Halloechen,
hatte in den letzten Tagen etwas Zeit zu lesen und kann daher mal ein bisschen was hier beitragen.
Philipp Vandenberg: Das fuenfte Evangelium
Ich hab's leider gelesen, fand's am Anfang interessant, irgendwann dann langatmig, und als er dann in der zweiten Haelfte immer mehr dazu ueberging zu
a) Phantasieren (oder war es einfach nur schlampige Recherche? Beispielsweise kann man mit Thermolumineszenz kein Papier untersuchen, da dies nur fuer gebrannte Materialien wie Keramiken geht; fuer Papier nimmt man dagegen C-14; Im Louvre gibt es keine "Madonna im Rosengarten" von Da Vinci, Da Vinci hat ueberhaupt kein solches Bild gemalt, dagegen aber sein Lehrmeister ...),
b) Halbwahrheiten mit offensichtlich falschen Tatsachen um ein gefaelschtes Evangelium zu platzieren
(Vandenberg nennt es Barabbas; in der Bibel wird ein Barrabas erwaehnt, ebenso ein Barnabas, letzterem wird ein gefaelschtes Evangelium zugeschrieben, dass sich grosser Beliebtheit im Islam erfreut als Argument gegen das Christentum, allerdings - erreicht man Jerusalem nicht per Schiff wie in diesem Evangelium behauptet, erwaehnt es vier der fuenf Saeulen des Islam (was anno Christi etwas eigenartig ist), Jesus wird nicht gekreuzigt, Auferstehung gibt's daher auch nicht, es zitiert aus einer lateinischen Bibeluebersetzung des vierten Jahrhunderts ... und natuerlich wird auf einen Propheten nach Jesus verwiesen ... tss ... ). Das Barabbas-Evangelium des Vandenberg ist sowohl in Inhalten dieser Faelschung wie auch in der Namensgebung extrem aehnlich. Dummerweise ist diese Faelschung zur Zeit Dantes und Leonardo Da Vincis zum ersten Mal aufgetaucht und bereits oeffentlich bekannt gewesen. Auch ist die aelteste erhalten Fassung dessen erst wenige hunder Jahre alt. Daher haben moegliche Querverweise dieser Personen auf besagten Text (wenn sie denn existieren) nichts mit einem Geheimnis zu tun, sind wohl eher als boshafte Seitenhiebe auf die Kirche und deren Problem mit diesem Machwerk zu interpretieren.
In einer Kritik im Web habe ich gefunden, dass Vandenberg mit diesem Teil der Geschichte auf die Qumran-Quellen angespielt haben soll, und darauf, dass diese immer noch unter Verschluss seien. Dass dies zu der Zeit in der dieses Buch entstanden ist im Wesentlichen nicht der Fall ist, und sich meist nur kleine Fragmente bezieht, die man meist noch nicht zuordnen konnte, bezieht, kann man beispielsweise hier nachlesen: http://www.amazon.de/Essener-Qumran-Johannes-T%C3%A4ufer-Jesus/dp/3451041286
(sorry, das Buch gibt's noch nicht im Web ... ist allerdings interessant zu lesen, weil da auch die Informationsquellen eines Dan Brown ein bisschen was auf die Nuesse kriegen )
c) Hahnebuechen zu argumentieren
(die Tatsache, dass in einem moeglichen Evangelium der Satz "Tu es Petrus" fehlt, ist noch lange kein Beweis, dass dieser Satz nicht ausgesprochen worden sein muss, weil nichts beweist, dass besagtes Evangelium tatsaechlich alles enthaelt, was gesagt wurde; Dummerweise ist gerade das eines der Hauptargumente, wieso dieses "Evangelium" fuer die Kirche so gefaehrlich sein soll. Ebenso unlogisch ist es, im Buch einerseits zu argumentieren, dass einem dummen Roemer es nicht aufgefallen waere, wenn jemand Pinguine in den Siegeszug des Trajan gemalt haette (der Feldzug ging nach Judaea), weil der Horizont eines Normalroemers an der Stadtgrenze aufhoert. Andererseits wird aber ein hypothetischer Elch in der Trajanssaeule als Anlass genommen, dass an dieser Stelle ein Hinweis codiert sein muss. Ich kann der Logik nicht folgen, da es niemand anderes als ein dummer Roemer war, der exotische Viecher in Stein gehauen hat. ... Wo sind bloss die Pinguine? ... Schlimm ist es nur, dass sich diese Art der Argumentation fast wie ein roter Faden durchs Buch zieht - leider)
d) schliesslich noch alle Beteiligten, die ihm nicht in den Kram gepasst haben billigst zu verunglimpfen (dass der eine z.B. Kardinal Ratzinger sein soll ist nicht zu uebersehen, was allerdings ein Anachronismus ist), wobei die Kirche lediglich als Institution strukturell an der Oberflaeche angegriffen wird, ohne die wirklichen Inhalte zu hinterfragen, dann ist das nur traurig. Auch die gnadenlose Ueberzeichnung der Wissenschaftlermafia ist so hoelzern und vorhersehbar, dass es nur noch anoedet. Daneben wirken die biederen Islamisten wie kleine ahnungslose Kinder. Probleme hatte ich mehrmals bei der Darstellung der Charaktere, da meist gesagt wurde, wie sie sind, bevor man sehen konnte, wie sie sich verhalten. Dadurch wirkten Personen wie Darstellung kuenstlich und aufgesetzt auf mich.
... so um zu meinem eigentlich Satz zurueckzukehren: Ab dem Zeitpunkt (etwa der Haelfte des Buches, als klar wurde, worauf es hinauslaeuft) habe ich es dann teilweise mit Kopfschuetteln, teils amuesiert oder frustriert ueber die Fehler des Autors mehr durchgeblaettert denn gelesen, um es zu Ende zu bringen.
Das einzige, was ich nach dem Lesen dieses Buches nicht verstehen kann, ist wie dieses Ding ein Lektorat passieren konnte, ohne dass der Lektor dabei aus den Latschen gekippt ist.
Ich kann daher dieses Buch nur als Lektuere empfehlen, wenn man herausbekommen will, wie man es nicht macht (was der Grund ist, weswegen ich so ausfuehrlich ueber die Fehler schreibe ...).
Ach ja, was gutes gibt's doch. Mr. Vandenberg scheint Schreibseminare amerikanischen Stils besucht zu haben, da das Wechseln zwischen den Handlungsstraengen und die Zuspitzung der Ereignisse gut aufeinander abgestimmt sind. Aber das war's dann auch schon mit dem Lob. Stilistisch ragt nichts heraus was man euphemisch mit sehr leicht lesbar umschreiben koennte, und die oben erwaehnten inhaltlichen Fehler wie der Ursprung der Story waren mir dann doch etwas grob und zu billig. Sorry.
Guenter Grass: Im Krebsgang
Eine unglaublich vielschichtige, authentisch wirkende feinfuehlige Novelle ueber das Ende des Zweiten Weltkrieges, damit verbundene persoenliche Schicksale, Rassismus im Wandel von der NS bis Heute, dem Umgang mit der eigenen Geschichte, dem Mikrokosmos einer Familie, die einfach keine Familie sein kann, scheiternden Existenzen und vor sich hinkrebsenden Menschen, die blind ihren Idealen Nachrennen, Fanatismus im Grossen wie im Kleinen, ... und vieles mehr.
Im Gegensatz zu obigen Buch von Vandenberg wird hinterfragt und geschildert, keine Meinung uebergestuelpt sondern kontroversen Perspektiven eine Ueberlebenschance gegeben. Das Buch ist Geschichte und Gegenwart, Roman und Bericht, Reportage und Analyse, und ein grosses engagiertes Plaedoyer gegen Radikalismus (vor allem von Rechts).
Sprachlich ist das Buch teilweise ein richtiger Genuss (nur der Anfang und das Ende sind etwas schleppend) und manche Worte so treffend, dass man nur zustimmend nicken kann. Ich nicke und wechsle zum naechsten Buch:
Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein
Das Buch ist etwas kompliziert in seinem Aufbau, den man zu Beginn nicht ganz kapiert, was einen dazu verleiten koennte, die ersten Seiten nicht zu ueberstehen. Letzteres waere furchtbar schade. Frisch arbeitet sich aus unterschiedlichsten Blickwinkeln in das Zusammenleben zweier hypothetischer Personen ein, um ein Bild der Gesellschaft oder genauer, einer Mann-Frau-Beziehung in das Zusammenleben eines ungleichen Paares (sie vermutlich Schauspieler, er spielt dagegen einen Blinden in der Realitaet) zu projizieren. Die Andersartigkeit dieses Paerchens wird dabei geschickt genutzt, einen Spiegel vor die Nase zu binden, der zeigt, was ein Blinder sehen muss, wenn er ein Auge darauf wirft, wie Personen in einer Beziehung interagieren. Ein Buch fuer dass man Zeit und Energie benoetigt, weil man zum nachdenken angeregt wird. Nichts fuer schnell mal zwischendurch und nichts, bei dem man die Details nach ein paar Wochen bereits vergessen hat, sondern etwas, aus dem man fuer sich selbst lernen kann. Wer sich allerdings im wahren Leben nicht fuer zwischenmenschliche Beziehungen interessiert, wird diesem Buch nichts abgewinnen koennen, da Spannung komplett Fehlanzeige ist und die Handlung mehr in sich verwobene Kreise beschreibt, die schliesslich in den Strudel einer Kathastrophe enden.