Weil anscheinend niemand die erst jetzt aufgedeckten terroristischen Taten in Deutschland für wichtig genug hält, um auf sie z.B. im Newsthread hinzuweisen oder sie gar zu kommentieren, bringe ich hier den
Leitartikel von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 14.11.2011 – vollständiges Zitat:
Mord und Mord und Mord und Mord. Es ist unbegreiflich und unendlich verstörend: Jahrelang konnte eine rassistische Terrorbande durch Deutschland ziehen und Einwanderer exekutieren. Sie konnte Anschläge planen, Bomben bauen und werfen. Sie konnte all das auch deswegen tun, weil Polizei, Staatsschutz und Staatsanwaltschaft rassistische Motive überwiegend ausgeschlossen haben. Die Verbrechen wurden als Terrorakte nicht erkannt, es hieß, es handele sich um Einzeltaten, sie seien nicht zusammengehörig, angeblich nicht politisch motiviert.
Diese Fehlbeurteilung erinnert an die achtziger und neunziger Jahre, als Ausländerwohnheime brannten. Viele Ermittler dachten damals erstens "Kurzschluss", zweitens "Zigarette" und drittens: "Die bringen sich ja gegenseitig um." Es dauerte ziemlich lange, bis sich das änderte, bis es Verfolgungsdruck gab und ein Mord auch dann als Mord galt, wenn Flüchtlinge und Einwanderer ermordet wurden. Erst 1994, erst nach dem Brandanschlag von Hünxe, nach dem dreifachen Feuermord in Mölln und dem fünffachen von Solingen korrigierte der Bundesgerichtshof eine unerträglich nachlässige Rechtsprechung.
Ausländerfeindliche Verbrechen sind zu oft und zu lange mit bagatellisierenden Vokabeln belegt worden - das waren "Vorkommnisse", das war "Randale". Vielleicht muss man das als trauriges Vorspiel sehen, wenn man fragt, wie es sein konnte, dass brauner Terror unentdeckt blieb - und auch noch weiter unentdeckt geblieben wäre, wenn zwei Täter sich nicht selbst umgebracht hätten.
Die Mordserie, derer sie sich in einem Video brüsten, mag an RAF-Zeiten erinnern. Aber es ist dies eine falsche Erinnerung. Von der Existenz der RAF wusste jeder. Von der braunen "Zelle Zwickau" wusste keiner, ausgenommen vielleicht der thüringische Verfassungsschutz. Die RAF wurde mit gewaltiger staatlicher Anstrengung verfolgt. Von solch gewaltiger Anstrengung bei der Verfolgung des Rechtsterrorismus ist nichts bekannt.
Es wird zu klären sein, was der thüringische Landesverfassungsschutz wusste: Es handelt sich um die Behörde, deren umstrittener Präsident Helmut Roewer (1994 bis 2000) den Top-Neonazi Tino Brandt als V-Mann führte. In Roewers Amtszeit wurden bei den jetzt toten Terroristen und weiteren Mitgliedern des "Thüringer Heimatschutzes" Bomben und 1,4 Kilogramm TNT entdeckt. Befremdet liest man, dass die Bombenbauer untertauchen konnten und seit einem guten Jahrzehnt untergetaucht blieben - und offenbar keine größere Fahndung nach ihnen lief.
Wäre das zu RAF-Zeiten vorstellbar gewesen? In jedem Postamt, an jeder Anschlagsäule hätten Suchplakate geklebt. Und: Könnten muslimische Bombenbastler so lange unentdeckt in Deutschland leben? Zu konstatieren ist also eine merkwürdig träge Gleichgültigkeit; womöglich verbirgt sich dahinter ein Verfassungsschutzskandal - eine heillose Unprofessionalität verbunden mit einer Na-ja-Haltung, die zum Ausdruck bringt: So richtige Terroristen seien Rechtsextremisten ja nicht.
Jahrzehntelang war es in Deutschland so: Linksextremisten galten als intelligent und gefährlich, Rechtsextremisten als blöd und daher ungefährlich. Neonazis wurden und werden oft als Dumpfbacken abgetan; und wenn sie Ausländerwohnungen anzündeten oder Menschen tottrampelten, galten sie als Einzeltäter.
Gewiss: Diese Neonazis fabulieren nicht, wie einst Linksterroristen, von der Propaganda der Tat. Ihre Schriften erheben keinen intellektuell-revolutionären Anspruch. Aber ein terroristisches Verbrechen bleibt ein solches auch dann, wenn am nächsten Tag kein unverschämt-verquastes Bekennerschreiben bei einer Nachrichtenagentur eingeht.
Es ist eigentlich egal, ob man die sogenannten Kameradschaften und Heimatschutzverbände als "braune RAF" benennt oder nicht. Zuletzt wurde über diesen Begriff gestritten, als 2003 das geplante Attentat auf die Münchner Synagoge aufgedeckt wurde. Der Haupttäter ist schon wieder entlassen. Die Erkenntnisse der Behörden aber sind nicht weiter als damals: Es gebe keine Logistik brauner Netzwerke, hieß es damals. Das mag so sein. Aber das kann kein Grund sein, Terroristen nicht als Terroristen zu verfolgen.
Die Ermittler stehen heute wieder in einer braunen Nebelsuppe - so wie 2003 nach dem Synagogen-Anschlag, und so wie 1980 nach dem Bombenattentat auf dem Oktoberfest: Ein Einzeltäter, hieß es damals. Heute grassiert diese Einzeltäter-Theorie in neuem Gewande. Heute sagt man: "Keine greifbaren Strukturen!" Aber diese Strukturen haben offenbar gereicht, um zehn Menschen zu ermorden.
Es gelte jetzt endlich, die NPD zu verbieten, heißt es wieder; sie sei das "Flaggschiff des Rechtsextremismus". Wenn es wirklich so ist, dass diese Partei Gewalttaten befördert, dann muss ein solches Verbot sein. Aber der Nachweis ist vor zehn Jahren nicht gelungen. Der Grund: Die NPD war von V-Leuten verseucht. Erst müsste man also diese V-Leute verbieten - dann könnte man die NPD verbieten. Zuallererst aber muss es sich der Staat verbieten, Linksextremisten und Islamisten für gefährlicher zu halten als Rechtsextremisten. Solange er dies tut, ist der Staat unverantwortlich dumm.