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Genre: gesellschaft

  1. Der schweigende Raum

    Ich stolpere über den Bordstein. Mama umklammert meine Hand, quetscht die Finger und zerrt mich unbeirrt weiter. Das Gehen in den steifen Lackschuhen fällt mir schwer, die Fersen schmerzen schon. „Mamaaa.“ Die Absätze knallen auf den Asphalt. „Mama, du tust mir weh!“ Ich reiße die Hand los und...
  2. Die Emergenz

    Es war der Tag, an dem die Grenzen fielen. Daren schlenderte über die Wiese hinter seinem Häuschen hinunter zum Fluss. Die kühle Morgenluft roch nach Tau und Moos. Ein Hauch von Frühsommer lag in der Luft. Er strich im Vorbeigehen über die feuchten Gräser. Der Tau kroch kühl und sanft in die...
  3. Mom ist in Bad Heilbrunn

    Vergesslich war Klaus schon immer, doch das er sogar vergaß, was am Vortag geschehen war, ist selbst ihm noch nie passiert. Es begann damit, das er in einem kleinen, fremden Zimmer aufwachte. Blasse Sonnenstrahlen fielen durch einen pastellgrünen Vorhang und tauchten das Zimmer in ein mattes...
  4. Der Traum vom Krieg

    Ich riss meine Augen auf. Es drückte und piepte auf dem rechten Ohr. Meine Beine fühlten sich taub an. Ich spürte wie eine Träne meine linke Wange herunter kullerte. Wieder derselbe Traum ... Alles fühlte sich so weich an. Mein Kissen, meine warme Decke. Das Vogelgezwitscher und die Morgensonne...
  5. Es ist das Dilemma unserer Zeit, dass wir perfekt sein können

    Der Anblick der Babys in ihren Bettchen erfüllte Tanja jedes Mal mit einem wohligen Gefühl des Stolzes. Es waren alles ihre, irgendwie. Nur durch sie traten diese kleinen Geschöpfe ins Licht der Welt und bereicherten die Familien, in denen sie ihr Leben verbringen würden. Sie waren rein und gut...
  6. Die Alberthöhe

    Die Alberthöhe Februar 1983 Als Heinz den Teich in den ersten Strahlen der Frühlingssonne glitzern sah, wusste er, dass es Zeit war, die Erlebnisse der Jugendtage niederzuschreiben. Gleich heute Abend würde er beginnen. Nur dafür hatte er im Gasthof seiner ehemaligen Heimat ein Zimmer gebucht...
  7. Ein Uhrzeiger nicht im Kreis

    Samuel läuft durch die einsamen Straßen einer kleinen Hafenstadt Norddeutschlands. Leichter Regen bedeckt die ganze Stadt. Die nassen Straßen reflektieren leicht die Lichter der Weihnachtsbeleuchtung. Er beobachtet das nieseln des Regens unter dem Leuchten der Straßenlaternen. Er schlendert...
  8. Nenn mich bei meinem Namen

    Aufm Teller `n Rest Omelett. Das hat sie mir so beigebracht – drei große Eier, halbe Zwiebel, `ne zerdrückte Knoblauchzehe, alles in die Pfanne und `n Spritzer Chilisauce dazu. Sie kauft immer die richtig scharfe. Keine halben Sachen, sagt sie. Ich seh aus dem Küchenfenster. Unten vor der...
  9. Träumerle, ach Träumerle

    Verträumt schaute Träumerle aus dem Wohnzimmerfenster. »Träumerle, ach Träumerle«, sagte Marlies. Daraufhin drehte er sich um, blickte sie an und lächelte, wie bei einem Reflex, der auf diesen Satz folgen musste. Im Esszimmer saßen sie sich gegenüber und musterten einander schüchternen Blickes...
  10. Die letzte Boje

    Es ist Nacht, der Wind fegt schreiend über die zugefrorene Brücke. Die Luft ist salzig und frisch. In der Ferne leuchtet eine kleine Boje grün auf; An. Aus. An. Aus. Sie schwankt bei den starken Wellen hin und her. Die Autos sehen ihn nicht. Die Menschen fahren an ihm vorbei wie Marionetten. Sie...
  11. Nicht immer hilft Farbe

    Wir stehen vor dem Spalt in der Hainbuchenhecke der Gärtnerei und mir zittern die Beine. Der eisige Wind treibt uns die Tränen in die Augen, das Rascheln der Blätter an der Hecke übertönt jedes Geräusch und Julia legt mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Komm schon, Florian! Diesmal wird...
  12. Monotonie

    Ich schreibe über Rene Descartes, seinen Lebensanfang, wo er wohnte, seine Lebenswerke und schlussendlich dessen Tod. Links neben mir sitzt eine graue, schimmernde Gestalt, den Kopf nach unten gesenkt und sie probiert verzweifelt den Stift zu halten, zu schreiben. Ich schreibe über Friedrich...
  13. Alaska

    Alaskas Haus steht in einer Ortschaft, die zum Großstadtspeckgürtel gehört, zur Behaglichkeitszone im Schatten von Lichtern und Lärm. Die Menschen, die dort wohnen, fahren morgens zur Arbeit in die Metropole, kehren abends zurück, pflegen Wochenendgemütlichkeit, engagieren sich in Vereinen...
  14. Narr Em

    Es war ein Tag im September, einer dieser Tage, an denen unklar ist, ob noch Sommer ist oder doch schon Herbst. Ich verließ das Haus bei strahlendem Sonnenschein, um ein paar Einkäufe zu erledigen, und schwitzte bereits nach ein paar Metern, da ich mich zu warm angezogen hatte. Ich trug ein...
  15. Der magische Ring

    Es war einmal vor vielen Jahren, da wurde ein Junge eines Tages zum Vollwaisen. Aber nicht plötzlich, denn es war abzusehen, dass es leider irgendwann so kommen musste. Der Junge, der übrigens schon siebzehn Jahre alt war, lebte mit seinen Eltern in einem Land, das hatte einen Herrscher, der...
  16. Segel setzen

    Er stand in der Tür zu seinem Büro und sog mit geschlossenen Augen den Geruch ein. Bohnerwachs, altes Papier und die unverwechselbare Würze von kaltem Zigarrenrauch. Natürlich durfte man hier schon lange nicht mehr rauchen, aber der Geruch war noch da. So viele Jahre hatte ihn dieses Aroma...
  17. Spring!

    Paul stand zögernd auf dem Fünfmeterturm. Das weiß getünchte Dach des Hallenbades erschien ihn so nah wie eine Kellerdecke. Er lunzte in die Tiefe und tastete sich langsam weiter. Der körnige Belag kratzte an den Fußsohlen, er merkte es kaum. „Papa, spring endlich!”, rief Linus. Fröhlich winkte...
  18. Gedankenwirbelsturm

    Beim dünnen geteerten Weg auf dem keinen Hügel bleib ich stehen. Ein Kaktus befand sich in meiner Brust und ein eiskalter Wind wehte mir zu. Meine übergrosse Kapuze verdecke mein Gesicht fast vollständig. Nebelschwaden machten die Dunkelheit weniger dunkel. Ich drehte mich. Niemand. Ich wusste...
  19. Der moderne Romeo

    Der moderne Romeo O. wachte in seinem Bett auf. An diesem Morgen war jenes Gefuehl, mit dem er schon lange gekämpft hatte, wieder stärker denn je zu spüren, und er wusste, dass es passieren würde, unbedingt passieren müsse, heute noch. Wann auch immer etwas Unabänderliches bevorstand, so...
  20. So nah

    Bald werden die grauen Schallschutzwände kommen und mit ihnen die Graffitis, die nach Heimat und Freiheit zugleich schreien. Sie sieht aus dem Fenster, sieht die Landschaften, die neben den Gleisen vorbei huschen. Austauschbar und oft gesehen. Und mit ihnen erscheinen bald Stationen, deren...

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