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Rauchmelder

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05.07.2020
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Rauchmelder

Das Aufstehen,
das ist ein Problem.
Nicht das Laufen.
Das Aufstehen.
Selbst wenn er aufs Klo muss, kommt er manchmal nicht mehr hoch.
Die Frau, die zweimal die Woche klingelt, die ihm die Wäsche macht und das Geschirr aus weißem Hartplastik von der AWO rausstellt, würde gerne mehr helfen. Aber so viel Zeit, wie es dafür bräuchte, hat sie nicht.
Es riecht nach Pisse.
Im Bad.
Im Fernsehzimmer.
Im Schlafzimmer.
Der Sessel, auf dem er sitzt, seine Tage verbringt, den kann man wegschmeißen.
Und,
dass er überhaupt noch die schmale Treppe ächzend herunter und wieder heraufsteigt …
Zehn Minuten braucht er dafür.
Er setzt sich auf die Stufen. Wenn die Schmerzen es zulassen.
Rutscht sie einzeln herunter.
Unten hat er einen Rollator stehen. Oben lehnen seine Stöcke.
Gewohnheit, sagt er.
Irrsinn, sagen sie.
Man telefoniert. Redet über ihn. Dann trifft man sich. Spricht über die Situation. Sucht nach einer Lösung. Einer, die man auch finanziell tragen kann.
Schließlich beendet man einen Lebensabschnitt und leitet
den letzten ein.
Denn
die Kinder wissens,
er weiß es,
dass er nicht mehr zurückkommen wird in das kleine Haus der Siedlung am Rande der Zeche, in dem er mehr als fünfzig Jahre lang gelebt hat.

Mit den anderen hier kann er nichts anfangen. Das Singen greiser Kinder. Das ist nichts für ihn, sagt er. Mandalas und Suppe. Das Starren ins Nichts. Er will das nicht. Also bleibt er alleine.
In seinem Zimmer. Auf zwölf Quadratmetern.
Löst Kreuzworträtsel.
Schläft.
Sieht aus dem Fenster auf den Garten der Wohnanlage. Betrachtet die Wohnungen im Haus gegenüber. Sieht durch die Fenster dort, wie die Familien aufstehen, die Kinder frühstücken, bevor sie in die Schule gehen, die Eltern abends von der Arbeit nach Hause kommen,
essen,
streiten,
fernsehen.

Einmal war sein Enkel da.
Hat ihm ein paar kleine grüne Fitness-Hanteln mitgebracht. Ein Kilogramm pro Stück. Für die Arme, meinte er.
Hatten sich nicht viel zu erzählen. Eine Ausbildung will er machen. Danach noch was Studium dranhängen. Wie es ihm hier geht? Gut, gut. Das Essen in Ordnung? Ja, gut. Ob er sich langweilt? Spannend ist anders. Aber sonst gut. Schönes Zimmer. Bisschen klein vielleicht aber er hat ja das Fenster. Blick auf den Garten. Hell.
Schweigen. Verabschiedung.
Nach draußen schauen.
Benutzen wird er die Hanteln nicht.
Wozu?, denkt er.
Er sitzt in seinem Zimmer. Auf zwölf Quadratmetern.
Denkt an früher.
Manchmal an die Tochter.

Laute Musik, Gelächter, Alkohol und Zigaretten.
Oft feierten sie früher wochenends bei ihnen im Wohnzimmer.
Ein guter Bekannter aus dem Kegelverein ist auch da. In einem Moment beugt er sich vornüber, sagt etwas zu der noch jungen Tochter, die bei ihnen sitzt, um der Musik zu lauschen.
Sie sieht den Gast erschrocken an.
Wendet sich zu ihm. Zu ihrem Vater.
Der muss das gehört haben, denkt sie. Trotz Musik und lautem Gerede, muss der das doch gehört haben! Aber er sagt nichts. Er hält den Mund.
Weitertrinken.
Weiterlachen.
Vater.
Mutter auch.
Und die besoffenen Gäste.
Am nächsten Morgen stinkt es nach kaltem Rauch, nach Bier und nach Schnaps. Die Aschenbecher sind voller zerdrückter Zigaretten und Erdnussschalen. Überall stehen Flaschen und Gläser und Teller.
Die Tochter wird es ihm nicht verzeihen.
Nie wird sie vergessen.

Das Telefon hält er in der Hand, so fest, als wolle er es zerdrücken.
Er hört zu. Den wenigen Worten, denn viel gibt es nicht zu sagen.
Er schreibt sich das Datum und die Uhrzeit auf einen kleinen, karierten Block.
Obwohl er weiß, dass er nicht hingehen wird.
Er bedankt sich. Dafür, dass man ihn informiert hat. Dann legt er auf. Legt Stift und Papier auf den Tisch neben dem Fenster mit Blick auf den Garten.
Jetzt ist er der Letzte.

Das Leben ist ein Fluss, sagen sie.
Ein ständiger Wandel. Eine Bewegung, bis hin zu einem großen Ganzen, einem ewigen Meer.
Er sieht es anders. Keinen Fluss hat er vor Augen. Kein Meer.
Nein,
ein Trotzen ist das.
Eine ständige Rückschau
Erinnern
Vergessen
kalte Wut
heiße Scham
ein angstvolles Warten.

Der Rauchmelder in seinem Zimmer hängt an der Decke über dem Bett.
Dass der funktioniert, weiß er. Denn der blinkt so regelmäßig, wie er wohl soll.
Fünfmal in der Minute.
Fünfmal. Das hat er gezählt. In seinem Zimmer, während sie draußen auf dem Flur singen wie die Bekloppten. Und er in der Ecke auf einem Stuhl sitzt, alleine mit sich und seinen Gedanken und nach oben zur Decke sieht.
Er zählt noch mal.
Fünfmal in der Minute blinkt der Rauchmelder.

 

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