Hallo Woltochinon
Hier nun endlich mein Gegenbesuch, ich hinke leider etwas hinterher, Real life und so.
Ich habe die Vorkritiken nur kurz überflogen, somit sorry für allfällige Überschneidungen/Wiederholungen.
Wenn ich die aktuellen Teilnahme-Geschichten richig in Erinnerung habe, bist du einer der wenigen, die den Challenge-Titel wortwörtlich umgesetzt haben: Hier wird tatsächlich eine Oma vom Balkon in die Tiefe gestossen. Skrupellos und mit einer unmenschlichen Niedertracht, aber der Reihe nach
Woltochinon schrieb:
„Hallo Lena, ich komm gleich runter!“
„Is gut! Paula, halt! Bringste meinen Schirm mit?“
„Hier, dein Schirm.“
„Da isser ja, der verlorene Sohn – gehen wir ins Café Schubert?“
Hm, als Einstiegsdialog recht holprig. Weil das mir vom zeitlichen Ablauf völlig gegen den Strich geht.
Paula soll Lenas Schirm mitbringen, steht dann aber wie runtergebeamt neben Lena.
Du möchtest doch die beiden Gefährtinnen als harmonisch und unternehmungslustig einführen, da würde ich nicht gar so reduziert beginnen.
Gut, du willst als Stilmittel ohne sagte sie/meinte er/ usw. auskommen, aber vielleicht eine kleine Pause andeuten zwischen Paula oben und unten?
Ist vielleicht Geschmacksache, aber trotzdem hier als Illustration, was ich meine:
„Hallo Lena, ich komm gleich runter!“
„Is gut! – Ach, Paula?"
"– Ja?"
"Bringste bitte meinen Schirm mit?“
"Mach ich."
„So, hier ist er, dein verlorener Sohn.“
„Danke dir. Heute mal Café Schubert?“
„Au ja, waren wir ewig nicht mehr.“
Woltochinon schrieb:
Die siebzig Jahre alte Frau hakt sich bei ihrer Gefährtin ein. Diese ist älter, wirkt jedoch viel resoluter, als ihre dünne Freundin. Offensichtlich genießen die beiden die gemeinsame Unternehmung.
robuster statt resoluter
Irgendwie beisst sich der letzte Satz mit der vorherigen Beschreibung der beiden Frauen, denn dadurch wird es doch nicht offensichtlich, dass sie ihre Unternehmung geniessen.
Idee: Eng aneinandergeschmiegt geniessen die beiden offensichtlich die gemeinsame Unternehmung.
Woltochinon schrieb:
„
Ahh, das war ein schöner Ausflug. Soll ich dich zur Bahn bringen?““
„Nee, is schon gut. Bis bald, ich ruf dich an. Tschüss, Paula!“
Der Hausflur riecht streng nach Katze.
„Hach, das war ein schöner ...“
Wieder diese streng gesetzten Zwischenzeilen. Irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, du möchtest damit etwas ausdrücken, oder andeuten? Aber mich verwirrt hier zu Anfang dieses künstliche Auseinanderhalten der einzelnen Dialogsätze.
Weiter unten, während der Balkonszene, da passt es dann ganz gut. Weil da auch so Pausen stattfinden.
Woltochinon schrieb:
Der Hausflur riecht streng nach Katze. Zielstrebig geht die Witwe hoch in den zweiten Stock. Dort ist ihre Wohnung, die im ersten steht schon lange leer, das Haus, überhaupt das ganze Viertel ist ziemlich heruntergekommen – die Möbelfabrik wurde vor einigen Jahren aufgegeben, auch der Supermarkt. Viel Vertrautes ist verschwunden, das Neue, die düsteren Lagerhallen und das zwielichtige Fitnessstudio sind nicht unbedingt ein Gewinn. Das Treppensteigen fällt Paula ziemlich schwer, sie ist müde …
Diesen Abschnitt empfinde ich stark gemacht. Beiläufige Charakterisierung von Paula, der Lauf der Zeit mit dem bekannten Ladensterben, Verödung der Gegend, sie ist müde – in mehrfacher Hinsicht.
Woltochinon schrieb:
… erst pennt die Oma wie tot, dann überrascht sie mich doch noch auf dem Balkon. Dabei bin ich sowieso am Abhauen.
Aha, mit Stream of consciousness geht's weiter.
Woltochinon schrieb:
Ein Windstoß – die Balkontür fällt hinter ihr ins Schloss. Einbruchsicher. Pech.
Unglaubwürdig, denn Balkontüren haben mMn keine Schnappschlösser.
Woltochinon schrieb:
So ein bockiges, dämliches Weib, schreit rum. Widerlich, diese Kittelschürze und der elende Zwiebeldunst[Komma] der sie umgibt. Ich zerre sie an ihren Haaren, sie soll sich hinsetzen.
Interessant, Paula hat einen kursiven Erzähler zur Seite, der Einbrecher agiert per SOC. Gefällt mir eigentlich, doch dann wechselst du die Perspektive und mein Ansatz verpufft:
Woltochinon schrieb:
Er triumphiert über dieses zerstörte Wesen in seiner Gewalt. Es ist nutzlos: Der Mann realisiert, dass unten im bizarren Schattengespinst der verrosteten Laterne Leute stehen geblieben sind. Weiße Flecken, das Abbild sensationsgieriger Menschen.
Schade. Hier könnte man durchaus in Paulas Perspektive kursiv die Leute unten wahrnehmen lassen und dann wieder zum SOC von Magwarth wechseln, wie er realisiert, dass er plötzlich noch weitere Zeugen um sich hat. Aber dazu müsste man da noch etwas umstellen.
Woltochinon schrieb:
Sie wimmert vor sich hin, hilflos. Und ich stehe vor verschlossener Tür. Scheiße, in was hat die mich reingezogen? Wie komme ich da weg mit dem Geld?
Im Nachsatz erklärt der Autor.
Woltochinon schrieb:
Eine kräftige, raue Stimme: „Du, Bubi – was machst du da?“ „Wirst du mit der Oma nicht fertig?“
Hier traut der Autor wohl dem Leser nicht.
Damit durchbrichst du die Prämisse der nackten Dialoge.
Und nun zu den Sensationsgaffern. Schon krass, dass da herbeigelaufene Leute sich zu Mittäter/innen aufspielen und die offensichtliche Gewalttat als Unterhaltungsprogramm zwischen zwei Wodkaflaschen betrachten
Woltochinon schrieb:
„Ihr Pisser – verzieht euch …“
„Sonst was?“ „Ja, was?“
Hier passen die Leerzeilen gut. Das gibt so einen Ping-Pong-Effekt der hin- und hergeworfenen Gehässigkeiten.
Woltochinon schrieb:
Es wird unangenehm heiß unter seiner Maske. Sie ist verrutscht, er schnauft atembehindert. Gehetztes Denken, panikgetriebenes Überlegen, Ausweglosigkeit.
Kursiv heisst, der Erzähler spricht. Aber ich lese hier eindeutig SOC von Magwarth, also eher nicht Kursiv und erste Person.
Woltochinon schrieb:
„Verzieht euch, sonst werfe ich die Alte runter!“
Und damit hab ich leider ein Problem, fühlt sich konstruiert an, muss er hier sagen, da es ihm am Ende um die Ohren fliegt. So verkommt das Ganze mit dieser ungewöhnlichen Drohung zur Satire, was ich eigentlich schade finde. Klar, dadurch eskaliert das ganze auf den nächsten Level, die Reaktion des nach Action gierenden Fussvolks fällt dementsprechend fordernd aus, in der Meinung, soweit wird der Pisser da oben schon nicht gehen. Fatale Fehleinschätzung der durch künstliche Substanzen vernebelten Erbsenhirne.
Aber was wäre, wenn in Wahrheit die verschworene Gemeinschaft unten tatsächlich so was wie "wirfste dann die Alte runter, oder was?" rufen würde, sie aber die einzigen Zeugen sind, die später steif und fest behaupten, Magwarth habe das gerufen. Das würde mir gefallen, das Gericht glaubt eher den unbescholtenen Bürgern, die zufällig Zeugen waren und natürlich einhellig behaupten, genau das gehört zu haben.
Woltochinon schrieb:
Eine feige Provokation: gewissenloses Wohlbefinden.
„Ihr Arschlöcher, kommt doch rauf! Dann schmeiß ich euch samt der Alten auf die Straße!“
Auch hier. Nicht die Reaktion, die ich von Magwarth erwarten würde. Eher so:
„Ihr Arschlöcher, euch werd' ichs zeigen!“
Woltochinon schrieb:
Für einen Moment scheint die Umgebung verzerrt um die Frau zu tanzen: von Angst gepeitschte Sinneseindrücke, verwaschene Formen und Farben. Ihr Magen krampft etwas Klebriges in ihre Speiseröhre; ein Pfeifton durchdringt ihren Schädel, das linke Ohr hämmert Schmerzen in ihr Bewusstsein. Ein Röcheln, das armselige Bruchstück eines Hilferufs, der Beginn wütender Verzweiflung.
Top! Dieser Absatz passt wieder perfekt – im Stil und zur Person der Paula.
Woltochinon schrieb:
Nix wie weg, die Fassade hoch, brauche weder eine Zeugin, noch das Geschrei von den Idioten da unten. Ich zerre an der Alten, schon wieder Zwiebelgestank …
Abfolge des SOC: Erst die Fassade hoch, dann die Alte packen. Irgendwie andersrum, oder?
Woltochinon schrieb:
Ein dumpfer, eigentlich harmloser Ton; unnatürlich greifbares Erstaunen, vereinzelte Schreie. Verlegenheit, keine Scham – eher rechtfertigender Trotz im Gemurmel.
Ich hab schon nur Mühe, mir greifbares Erstaunen vorzustellen.
Stummes Entsetzten,
vereinzeltes Aufstöhnen, o.ä.
Woltochinon schrieb:
Er blickt über das Geländer nach unten: Vor ihm uneinsehbare Tiefe – es ist sein selbst gewählter, innerer Abgrund. Es gibt keine Ausreden. –
Warum hier nicht den Magwarth im SOC reden lassen, ohne Kursivschrift?
Und besagen die Gedankenstriche, dass er ob seiner Tat kurz erstarrt ist? Ich schätze ihn anders ein. Der wird doch nicht lange über die Brüstung schauen wollen, ohne Maske schon gar nicht.
Woltochinon schrieb:
„Ihre Verteidigung behauptet, dass sie erst aufgrund der Rufe von der Straße dazu verleitet wurden, Frau Ottmann vom Balkon zu stoßen. Man führt ihre besondere Vulnerabilität infolge Ihrer problematischen psychischen Konstitution an. Aber es ist doch so – Sie haben die Leute erst durch Ihre Äußerung, ich zitiere: ‚Verzieht euch, sonst werfe ich die Alte runter‘ auf die Idee des Stoßens gebracht.
Finde ich geschickt gemacht, den Schnitt direkt in die vortgeschrittene Verhandlung im Gerichtssaal. Und hier offenbart sich auch, dass der fatale Satz von vorhin erneut seinen grossen Auftritt hat. Allerdings, wie ich schon vorher anmerkte, würde mir das Verdrehen der Wahrheit besser gefallen. Dann käme dem Schlussakkord feat. Magwarth, der so schön zum Juristendeutsch kontrastiert, viel mehr Bedeutung bei.
So in etwa 'Fickt euch. Hier glaubt mir ja doch keiner'
Auch wenn jetzt viel Gemecker dabei war, ich hab's trotzdem gerne gelesen. Gerne im Sinne der Auseinandersetzung, wie das niederträchtige Innere sich beim Zerbröseln der anerzogenen Schutzhülle ungebremst nach aussen drängt und sich durch Wohlbefinden in der Gruppe hemmungslos austobt.
Ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen was anfangen.
Liebe Grüsse, dot