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gesellschaft

Genre: gesellschaft

  1. Der letzte Gang

    Heute ließ er sich Zeit für die Rasur. Schenkte auch der Stelle unter der Nase mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich und war erst zufrieden, als jede noch so kurze Bartstoppel unter der scharfen Klinge des Rasiermessers verschwunden war. Wenigstens das konnte er noch tun: perfekt rasierte Miene zum...
  2. Ratten und Gold

    Einst rannte ein Mann dem Zug nach Sibirien hinterher. Er legte ein beachtliches Tempo an den Tag, trotz seiner Beleibtheit, seiner schweren, schäbigen, gar rissigen Kleidung, ja trotz des Köfferchens, das er trug. Er lief so geschwind über die morschen Gleisschwellen, dass das olympische...
  3. Du bleibst doch immer, was du bist

    Josh dreht sich weg von ihr, durchwühlt die Kleidung, um nach der Zigarettenschachtel zu suchen, flucht leise, bis er fündig wird. Wie viel Wärme, wie viel Sehnsucht ihr Körper abstrahlt. Er öffnet das Fenster. Mit dem Daumen lässt er die Klappe des Benzinfeuerzeugs nach oben schnellen, bewegt...
  4. Laufen lassen

    Er hatte es laufen lassen. Immer schon hatte er es laufen lassen. Es genügte ihm, immer dort zu sein, wo die anderen es verlangten. Es genügte ihm, immer das zu tun, wonach die anderen begehrten. Mehr wollte er nicht vom Leben, mehr hatte er nicht erwartet. Also ließ er es laufen. Alles ließ er...
  5. Big Little Homes

    Baschar steht vor der abschüssigen Zufahrt. In der einen Hand hält er einen Zettel, mit der anderen trägt er einen Koffer. Er schaut auf das Holzschild über ihm, dann auf das Papier und geht weiter. Vor ihm öffnet sich eine Senke, auf deren Flanken sich ein Dutzend Holzhäuser, Zirkuswagen und...
  6. Sternenkoffer

    Rauchschwaden hingen über dem Berg. An den Gestank hatte Manila sich schon lange gewöhnt, aber ihre Augen tränten, wenn der Müll brannte, und das störte bei der Arbeit. Da half auch das Tuch nicht, das sie sich über Nase und Mund gezogen hatte. Sie blinzelte und zerteilte mit den Zehen den...
  7. Persianas

    Ich höre das Schließen der Haustür, Schritte auf dem Flur. Auch Rosita, meine Frau, sieht erwartungsvoll vom Rechner auf, doch Yago kommt nicht herein. Nach einer Weile gehe ich zu seinem Zimmer und klopfe. Er öffnet, umwabert von blauen Schwaden, und raucht wie der Teufel. „Uh, dicke Luft“...
  8. Nicht nichts

    Beine in Hosen, unter Röcken und auf mehr oder weniger lauten Schuhen eilten an ihr vorüber. Hauptbahnhof, Vorplatz, ihr Revier, ihr Kiez, ihre Heimat, wenn es so etwas für sie gab. Ihr Kopf stieß an die Wand und die Sonne blendete, auch durch die eintönige Wolkendecke hindurch. Es war kühl, kam...
  9. Kleine Kartoffeln

    Farblos war sie. Grau, farblos und hatte schon viel durchgemacht. Sie hatte einen Krieg überstanden, aber musste stätig um ihren Erhalt kämpfen. Früher hatte sie ein buntes Muster und Charakter. Sie sprühte vor Lebenslust, selbst mit steigendem Alter. Vor ihr standen Menschen und bewunderten...
  10. Urlaub ohne Koffer

    Karin öffnete den Schrank und suchte eine Strickjacke, als unten die Haustür aufgeschlossen wurde. „Mama?“, hörte sie ihren Sohn Matthias rufen. „Hier oben“, rief sie. „Ich bin‘s, wir müssen langsam los.“ „Ich bin gleich fertig. Du kannst schon mal meinen Koffer ins Auto bringen.“ Matthias sah...
  11. Das Haus an der Klippe

    Das Haus an der Klippe war ein gemütliches Haus. Es war gerade groß genug für die zwei Menschen, die darin wohnten und Anna und Tom hießen. Sie konnten darin alles machen, was sie wollten. Es gab ein paar Werkzeuge und einen kleinen Garten, eine Bürste für die Katze. Wenn man die Tür von außen...
  12. Koffer voller Erinnerungen

    Hagebuttenmarmelade tropft von meinem Brot. Sandra schaut kurz mit dieser hochgezogenen Braue herüber. „Und das dir“, sagt sie mit Blick auf ihr Smartphone. „Zweitausend weitere Stellen bauen die ab“, sage ich kopfschüttelnd. „Kann dir doch jetzt egal sein.“ Als ob mir das egal wäre. Mein ganzes...
  13. Eiseskälte

    „Halt die Fresse!“, schreie ich, „komm mir bloß nicht näher!“ Das Blut schießt in meine Wangen, die Verzweiflung ist verschwunden. Nun ist es Wut, die durch die Tiefen meiner Selbst zum Leben erweckt wird. Der Muskel, der meinen Geist aufrecht hält scheint nur so vor Kraft zu strotzen. Wie ein...
  14. Delikatessen

    Der Ober umfasst die Karaffe mit der Serviette und schenkt einen Probeschluck ein. Côte Rôtie, 2015. Erhardt beugt sich vor und schnuppert genießerisch, hebt das Glas gegen das Licht, strahlt wie der Wein und sagt: „Schau dir das an! Himbeere, Aubergine, Rubin – eine Farbe aus dem Paradies. Und...
  15. Silberstreifen

    Mama war sehr wütend, als sie die Erdkrumen entdeckt hatte. »Willst du dich zum Ziel machen?« Ich wusste nicht, wovon sie sprach, stand bloß da und sah zu, wie sie den trockenen Schmutz aufkehrte. »Wie die Leute, die für ein paar Rüben von Zügen springen? Die von Scharfschützen oder Tieffliegern...
  16. Die Farben der Menschen

    Sie sehen mich an. Kinder, im Dreck spielend, über und über bedeckt mit grünen Flecken auf ihrer weißen Kleidung. Begutachten mein makelloses, fehlerloses Ich. Sie sehen mich an. Ein junges Paar ein rotes Getränk teilend, während der goldgelbe Sonnenschein sich in ihren Augen spiegelt...
  17. Wolkennilpferde

    Die Wolke über mir sieht jedes Mal anders aus. Erst hat sie mich an ein fluffiges Herz erinnert. Ich mag Herzen. Und Pinguine. Ich hätte gern ein Foto gemacht, aber ich habe kein Handy. Die anderen Mädchen in meiner Klasse haben eins, aber das ist meinen Eltern egal. Ich sehe wieder nach oben...
  18. Das Projekt Wahrheit

    Alle Seelen suchen sich einen Platz. Eine hochaufgeschossene Seele lehnt mit dem Rücken an einen Apfelbaum und verteilt an jeden die Früchte der Erkenntnis. Von einem Ast lässt sich eine Schlange zum Kopf der Seele herunter. » Du weißt schon, dass du nicht vom Baum der Erkenntnis essen sollst? «...
  19. Wa(h)rsteiners Resi G. Nation

    In Baumfalkengrün kracht es. Der Fahrer des Wagens steigt voll in die Eisen, kann den Zusammenprall aber nicht verhindern. Das Reh donnert in die Windschutzscheibe, das Auto rauscht die Böschung hinunter. Blaulicht saust an Marianne vorbei, die gerade den Bürgersteig fegt. „Wos is denn do los?“...
  20. Am Strand

    Wären wir Vögel, würde ich mich aus unserem Nest erheben und gen Süden fliegen. Was hält mich davon ab? "Rod, schau nur! So schöne Steine!" Lan hebt einen und befreit ihn vom restlichen Sand auf seiner Oberfläche. "Wie fein er sich anfühlt, so schön kühl und glatt!" Lächelnd streicht sie mit...

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