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Vegan-Wahn

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15.10.2015
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Vegan-Wahn

„Männer sind Schweine“, sagt Susanne. „So viel Fleisch könnte keine Frau essen. Diese Schweinhaftigkeit liegt wahrscheinlich auf dem Y-Chromosom.“
„Also, ich lasse mir ja eine Menge nachsagen“, antworte ich, „aber keinen Kannibalismus.“
„Was?“, fragt Susanne irritiert.
„Ist doch klar“, kläre ich sie auf. „Ich esse gerne Schwein. Und du sagst, ich bin ein Schwein.“
Sie sieht mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. Das ist ebenfalls Quatsch, wo wir doch gerade gemeinsam den Geschirrspüler ausgeräumt haben. Aber das tut nichts zur Sache, jetzt geht es gerade um Paarhufer.
„Du hast da vielleicht was falsch verstanden“, erläutere ich. „Wenn es irgendwo heißt: ‚Der Mann isst ein Schwein‘, dann schreibt sich das mit Doppel-S. Eine nähere genetische Verwandtschaft zwischen Männern und Schweinen ist jedenfalls wissenschaftlich nicht nachweisbar. Obwohl Forscher ja im Tierversuch gerne Schweine verwenden, wenn es zum Beispiel um die Verdauung geht. Die Ähnlichkeit in dem Bereich ist aber wohl eher eine zufällige Konvergenz.“
„Das war im übertragenen Sinne gemeint“, knurrt Susanne mit zusammengebissenen Zähnen. Das klingt etwas nuschelig und wirkt zusammen mit ihrem Gesichtsausdruck irgendwie süß, aber ich verkneife mir das Grinsen.
„Dafür war deine genetische Analyse aber ziemlich konkret“, mache ich noch geltend, da verlässt Susanne das Zimmer. Das zu Boden fallende Geschirrtuch bläht sich kurz im Luftzug der rasant geschlossenen Tür.
Ich verzichte darauf, ihr hinterherzugehen, um die Debatte zur Abstammungsforschung fortzusetzen. Vor geraumer Zeit habe ich auf langwierige und schmerzhafte Weise gelernt, dass das plötzliche Verlassen des Zimmers bei Susanne ein Anzeichen für meist ebenso plötzliche schlechte Laune ist. Und die will Mann sich nicht antun.
Habe ich wohl wieder was Falsches gesagt.

Das Zusammenleben mit Susanne ist schwieriger geworden, seit sie vegan ist. „Ist“ mit einfachem S, wie sie gerne betont. Weil es dabei nicht nur ums Essen geht, sondern um den gesamten Lebensstil. Denn von den Veganern gibt es ja zwei Subspezies, die sich nur selten miteinander kreuzen lassen – die Gesundheitsveganer und die Tierschutzveganer. Susanne gehört zu letzteren. Das bedeutet, sie will deshalb nichts vom Tier essen, weil die Lebensbedingungen für Nutztiere, speziell in der Massentierhaltung, durchweg grausam sind. Wenn man das konsequent zu Ende denkt, kann man eben auch keine Lederschuhe und Wollpullis mehr tragen, das Rot im Lippenstift darf nicht aus Pressläusen gemacht sein, und die Wildseidenbettdecke für den Sommer ist genauso böse, wie die Daunendecke für den Winter schon seit Langem war.
Und da gebe ich ihr sogar recht! Auch ich möchte nicht, dass ein Tier für meine Bedürfniserfüllung unnötig leiden muss. Wolle kratzt eh total, Bettdecken und Turnschuhe aus thermodynamisch schweißregulierenden Hightechfasern riechen viel angenehmer, und an Lippenstiften stehen mir so erdige Brauntöne wesentlich besser. Aber wenn es ums Essen geht, ist Verzicht für mich keine Option.
Das mit den Lippenstiften war übrigens ein Scherz.
Jedenfalls esse ich nur noch Fleisch, bei dem ich ein gutes Gewissen haben kann, weil die Tiere vorher ein glückliches Leben hatten. Bei Eiern und Milchprodukten mache ich das genauso, bloß dass die Tiere da auch hinterher ein glückliches Leben haben sollen.
Bio ist da immer schon mal deutlich besser als das normale Zeug, auch wenn heutzutage beides beim Discounter in derselben Kühltruhe einträchtig nebeneinander liegt. Besser allerdings in dem Sinne, wie eine einseitige Lungenentzündung besser ist als eine beidseitige. Oder Helene Fischer besser als Florian Silbereisen.
Deshalb kaufe ich mein Fleisch nur noch vom Bauern bei uns im Dorf. Der hat seine Tiere noch richtig klassisch auf der Weide stehen, wie man das aus alten Heimatfilmen kennt. Für mich persönlich wäre das ja ehrlich gesagt nichts (und ich meine nicht die Heimatfilme, die mag ich zwar auch nicht, aber jetzt rede ich von der Weidehaltung), so bei Wind und Wetter immer draußen stehen, aber die Kühe amüsieren sich wie Bolle. Die zeigen das zwar nicht so, aber die Experten sagen, Rindern gefällt das trotzdem. Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass mein Saftbraten von Klara stammt, mein Lachsschinken von Horst und mein Sonntagsei von Henriette, und dass die es alle gut hatten. Beziehungsweise noch haben, siehe oben.
Moment mal. Horst heißt der Bauer. Mein Schnitzel ist von Frieder, glaube ich. Vielleicht sollte man Tieren keine Menschennamen geben, um Verwechslungen zu vermeiden. Nicht auszudenken, was das für Folgen haben könnte!
Bäuerin zum Knecht: „Hast du den Frieder auch gut ausbluten lassen?“
Knecht zur Bäuerin: „Ach, den Frieder? Nicht den Horst?“

Nun kommt jedenfalls wieder Susanne ins Spiel, der mein Ansatz noch zu halbherzig ist. Sie sagt gerne: „Man kann doch nichts essen, was mal einen Namen hatte!“
Na ja, zumindest hat sie das eine Zeitlang gerne gesagt, bis ich mal eines Nachmittags, als sie gerade beim Einkaufen war, kleine Namensschildchen in ihrem Gemüsegarten aufgestellt habe. Die Tomaten habe ich alle Tom genannt (hundertsiebenunddreißig verschiedene Namen für die kleinen roten Racker sind mir nun wirklich nicht so schnell eingefallen), die Kartoffeln Karl, den Rhabarber Barbara, den Spinat Popeye und den Kohl Helmut. Ich habe mich exakt so lange an meinem gelungenen Lausbubenstreich erfreut, bis Susanne das nächste Mal in den Garten ging. Nachdem sie meine humorvollen kleinen Liebesgrüße entdeckt hatte, stürmte sie ins Wohnzimmer und fiel mir um den Hals. Also, genauer gesagt ging sie mir an die Gurgel, begleitet von einem verbalen Vulkanausbruch, dessen Inhalt leider wegen akuten Sauerstoffmangels nicht in mein Gedächtnis einging. Danach verließ sie das Zimmer.
Holla, dachte ich unter gierigem Luftholen, das ist ein Anzeichen für irgendwas!
Susanne hat dann erst mal zwei Tage gar nicht mit mir gesprochen, und nach mühsamer Wiederaufnahme der Kommunikation fiel der eingangs erwähnte Satz nie wieder. Ich werte das als Teilsieg.

Das mit dem Fleisch führt trotzdem immer wieder zu Diskussionen zwischen uns. So wie vor ungefähr sechs Monaten.
„Fleisch zu essen ist für Menschen überhaupt nicht natürlich“, behauptet Susanne. Das hat sie mit Sicherheit im Internet gefunden, da steht ja alles und sein Gegenteil. „Das sieht man schon am Gebiss. Unsere Backenzähne sind zum Mahlen gemacht, für Körner und so.“
Ich gähne ostentativ. Ein wundervolles Wort übrigens. „Das ist schon so lange widerlegt. Wir haben ja auch Schneidezähne, und unsere Eckzähne sind evolutionsgeschichtlich mal Reißzähne gewesen. Unsere Vorfahren waren Allesfresser, so wie heute noch unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen.“
„Ja, unsere Vorfahren. Aber wir haben uns ja wohl vom Neandertaler weiterentwickelt.“ Hölle, diese Frau wechselt die Strategie schneller als das Schuhwerk. „Die Zivilisation muss doch wohl einen Fortschritt gegenüber unseren Urinstinkten bringen. Wo bleibt denn die Moral? Die Ethik?“
Einen Moment erwäge ich, sie zu belehren, dass die Neandertaler mitnichten unsere Ahnen waren, sondern einen Seitenzweig der Evolution darstellen. Aber das würde sie als Ausweichen deuten und den Punkt für sich einfordern. Statt dessen entscheide ich mich für den Frontalangriff.
„Wenn der Herr nicht gewollt hat, dass wir Tiere essen“, doziere ich, „warum hat er dann das Rib-Eye-Steak so schön saftig gemacht?“ Das sitzt. Susanne stammt aus einer christlich geprägten Familie, da kann man mit Gottesbezügen immer Wirkungstreffer landen. Etwas billig, vielleicht, aber sie hat es ja quasi herausgefordert. Außerdem ist es ein gutes Gefühl, wenn der Atheismus mir mal zum Vorteil gereicht, denn normalerweise besteht sein einziger Nutzen darin, dass ich auf den Geburtstagsfeiern meiner Schwiegereltern allein am Katzentisch essen muss.
Aber diesmal geht Susanne nicht kampflos auf die Matte. „Nietzsche“, sagt sie lauernd.
„Was ist mit dem?“ frage ich ahnungslos.
„Atheist“, stellt sie fest.
Und ich gehe ihr voll auf den Leim. „Kluger Mann“, sage ich leichthin. „Einer der klügsten.“
Und dann hat sie mich. Auf diesen Punkt hat sie die ganze Zeit hingearbeitet, und ich Idiot habe es nicht gemerkt. „Hat kein Fleisch gegessen“, triumphiert sie. „Ich zitiere mal: ‚Durch den vollkommenen Mangel an Vernunft in der Küche ist die Entwicklung des Menschen am längsten aufgehalten und am schlimmsten beeinträchtigt worden. Ich glaube, dass die Vegetarier mit ihrer Vorschrift, weniger und einfacher zu essen, mehr Nutzen gestiftet haben als alle modernen Moralsysteme zusammen.‘“ Ein feines, aber abgrundtief bösartiges Lächeln umspielt ihre Lippen.
Verdammtes Internet. Ich verlasse das Zimmer. Frauen kämpfen so unfair.

Habe ich erwähnt, dass unser Zusammenleben schwieriger geworden ist? Das zeigt sich auch in rein logistischen Zusammenhängen. Zum Beispiel beim Einkaufen.
„Wir brauchen noch ein Gewürz“, sagt Susanne zu mir, „Garam Masala.“
„Gesundheit!“, antworte ich selbstverständlich. „Welches Gewürz denn?“
Susanne guckt mich böse an. Wenigstens kann sie mitten im Edeka nicht einfach das Zimmer verlassen.
Ich lerne, dass Garam Masala eines von diesen Gewürzen ist, die man beim veganen Essen offenbar braucht, weil es ohne Fleisch nach nichts schmeckt. So wie Ras el-Hanout, den kannte ich bisher nur als den Bösewicht aus Batman Begins, der ganz Gotham vernichten will und von Liam Neeson gespielt wird. Cooler Hund, der Neeson, wurde auf seine alten Tage noch vom Charakterdarsteller zum Actionhelden. So fit möchte ich mit sechzig auch noch sein. Ich bin ziemlich sicher, dass das ohne tierisches Eiweiß nicht geht.
Um ein Steak oder ein Schnitzel zu würzen, braucht man im Grunde nur Salz und Pfeffer. Wenn einem das nicht reicht, kann man ja noch einen Speckstreifen dazu braten. In der fleischlosen Küche hingegen werden nicht nur obskure Gewürzschurken aus Comicverfilmungen eingesetzt, sondern auch einige einheimische und orientalische Klassiker, die wohl unsere Großeltern schon kannten, ich aber nicht. Oder nur vom Namen her. Ich war vor zu vielen Jahren mal bei den Eltern eines Studienfreundes zum Essen eingeladen. Lehrer und Juristen, so richtig gebildet und kultiviert. Als Handwerkerkind kam ich mir gleich minderwertig vor; wie bei meinen Schwiegereltern eigentlich. Ich weiß nicht mehr, was es zum Essen gab, aber ich erinnere mich an die Scherze, die in diesem Hause gemacht wurden.
„Da muss noch Sal bei.“
„Nein, da Mus kat dran.“
„Also, ich würde mehr Majo ran tun.“
In so eine Art von Komik muss man wohl hineingeboren werden. Ich habe das mal bei Susanne versucht, als sie gekocht hatte: „Sollte da nicht ein bisschen mehr Saf ran?“
Ihr Gesichtsausdruck war eine liebenswerte Mischung aus Empörung und Mitleid. „An Sojagyros? Hast du 'nen Knall?“ Also auch nicht ihr Humor. Wenigstens darin waren wir noch auf einer Wellenlänge.

Ein anderes praktisches Problem ist die gleichzeitige Herstellung von veganen und unveganen Speisen. Für mein Cordon Bleu muss dann schon eine separate Pfanne auf den Herd, damit es nicht Susannes Dinkelbratling infiziert. Das war immer okay, solange sie es trotzdem mit zubereitet hat, aber seit einiger Zeit weigert sie sich.
„Ich fasse deinen Fraß nicht an, das Zeug ist eklig, da wird mir ganz schlecht.“
Komischerweise lässt sie das wortgleiche Argument nicht gelten, wenn ich mit Kochen dran bin und ihren Seitan braten soll. Seitan, das ist so ein Fleischersatz aus Getreide, der dem Original erstaunlich ähnlich sieht, bei geeigneter Würzung auch fast genauso riecht und erst beim Hineinbeißen seine Verwandtschaft mit Polyvinylchlorid offenbart. Ich habe mal einen der Hersteller gegoogelt – er hat dieselbe Adresse wie ein Importeur chinesischer Scherzartikel. Kann natürlich auch purer Zufall sein.

Im August hatten wir ein paar Freunde und Nachbarn zum Grillen da. Meine Schwiegereltern waren nicht dabei, da hatte ich mich durchgesetzt. Im eigenen Garten und vor Zeugen am Katzentisch essen, das ging nicht; so viel Selbstachtung wollte ich mir bewahren.
Ich hatte den Grill schon mal ordentlich angefeuert. Ich bin nämlich Profi, zweifacher norddeutscher Vizemeister in Bratwurst der Gewichtsklasse bis 120 Gramm. Da kam Susanne mit ihrem Tofustück.
„Machst du mir das mit? Schön braun, aber nicht zu doll. Muss aber schon Geschmack kriegen. Und lass es nicht mit dem Fleisch in Kontakt kommen.“
„Da kannst du unbesorgt sein, Schatz“, sagte ich sibyllinisch. Noch so ein tolles Wort.
Und was soll ich sagen – gegen Profis ist eben kein Kraut und keine Sojabohne gewachsen. Als ich Susanne ihr Grillgut auftischte, war sie begeistert. „So lecker war mein Tofu ja noch nie. So richtig rauchig-aromatisch. Hätte Björn Moschinski nicht besser gekonnt! Das ist total lieb, dass du dir so viel Mühe gegeben hast. Aus dir wird vielleicht doch noch ein veganer Koch!“
Und sie gab mir einen extradicken Kuss. Da brachte ich es nicht übers Herz zu gestehen, dass mir das glitschige Ding durch den Rost in die Glut gefallen war. Kann ja mal passieren. Zum Glück ist Holzkohle auch vegan.
Seitdem soll ich immer Susannes Tofu grillen, quasi als ihr veganer Leibkoch. Natürlich verbitte ich mir, dass sie dabei zuguckt; ein zweifacher norddeutscher Vizemeister muss ja seine kleinen Geheimnisse wahren. Und mit denen gelingt mir der Grilltofu jedes Mal.

Vielleicht bin ich ja doch ein Schwein. Ich esse auch weiter welches. Aber Susanne, die liebt mich trotzdem. Muss wohl was mit dem Y-Chromosom zu tun haben.

 
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Hallo Damaris,

vielen Dank für deinen wohlwollenden Kommentar!

Ich freue mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat, zumal ich gerade in deinem Komm zur Geschichte von GoMusic gelesen habe, dass du und deine Tochter selbst dem Vegetarismus/Veganismus nahesteht. Einige "Betroffene" hatten meinen Text ja als Veganer-Bashing aufgefasst, was er nie sein sollte. Ich bin froh, dass du ihn "richtig" verstanden hast.

Grüße vom Holg ...


PS: Das wiederholte aber gucke ich mir bei Gelegenheit noch mal an.

 

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