Was ist neu

Stille

Challenge-Text
Challenge-Text
Seniors
Beitritt
21.04.2015
Beiträge
1.419
Zuletzt bearbeitet:

Stille

Durch die Dachfenster fallen erste Strahlen des Morgens aufs Parkett. Marla reibt sich die Augen, schwingt die Beine aus dem Bett und steht auf. Ihr schlaftrunkener Blick tastet das Zimmer ab. Das Holz ist warm unter ihren nackten Füßen und sie verweilt einen Moment, die Augen halb geöffnet, Zehen in der Sonne. Während sie durch den Raum tapst, fällt der Schlaf von ihr ab. Sie stellt sich vor, wie er von den Schultern leise auf den Boden rieselt, kurz vor sich hinglitzert und verschwindet.
Das Fenster quietscht, als sie es öffnet. Marla streckt sich, blinzelt in den blauen Himmel, lauscht hinaus auf die Straße. Wo ist das Dröhnen der Lieferwagen, die jeden Morgen vorbeibrettern? Das Klingeln der Fahrradfahrer, wenn ihnen jemand die freie Bahn verstellt? Und weshalb schreit heute keins der Kinder im Hausflur, wieso knallt keine Tür im Treppenhaus? Die Stille fühlt sich an wie eine dicke Schicht Watte, die um ihren Kopf gewickelt ist.
Sie beugt sich vor, die Hände aufs Fensterbrett gestützt, und sieht hinunter. Keiner, der zur U-Bahn eilt oder mit dem Rad um die Ecke biegt. Mit dem Auto Richtung Innenstadt fährt. Nur hin und wieder lösen sich gelbe und rote Blätter von den Herbstbäumen und segeln hinunter aufs Kopfsteinpflaster. Ihr Blick huscht zum Nachbarhaus, sie sucht das Fenster des dicken Manns, der jeden Morgen im braunen Bademantel dasteht, eine Zigarette qualmt und ins Leere starrt. Er ist nicht da.
Langsam weicht sie vom Fenster zurück, dreht sich um und geht ins Bad. Während sie nach der Zahnbürste greift und einen dicken Streifen Zahnpasta auf die Borsten drückt, lauscht sie noch immer. Nach einem Türknallen, Schritten im Hof. Am besten wäre eine Stimme. Eine andere als ihre. Ein Lachen, Schreien, Fluchen, sie wäre da nicht wählerisch – ihr bleibt nur das schaumige Schrubben ihrer Zahnbürste, das Spucken ins Waschbecken, das Wasserplätschern.
Sie zieht sich an, kämmt die Haare, schminkt sich. Ganz genau achtet sie darauf, dass die Wimpern nicht verkleben, lenkt die volle Konzentration auf das Auftragen des Mascaras. Ihre Gedanken lassen sich davon nicht einfangen, sie kreisen immer wieder um diese eigenartige Stille. Es gibt sicher eine Erklärung dafür, dass es im Haus heute so ruhig ist. Reiner Zufall, dass sie gerade in dem Moment aus dem Fenster gesehen hat, als niemand auf der Straße war.
Auf dem Weg Richtung Flur schnappt sie Handtasche und Schlüssel, schlüpft in die Schuhe und zieht die Wohnungstür hinter sich zu. Ein dumpfes Gefühl begleitet sie auf dem Weg nach unten.

Vor dem U-Bahn Aufgang bleibt Marla stehen, dreht sich im Kreis. Eine Plastiktüte weht vorbei. Ansonsten bewegt sich nichts.
Beim Kiosk gegenüber ist die Markise ausgefahren, der Stehtisch für die Stammgäste wie jeden Morgen neben dem Eingang aufgestellt. Ein Lächeln huscht über Marlas Gesicht. Sie sieht Herrn Zupcic vor sich mit seinem grauen Haar und den Fältchen um die Augen, wie er sie hinter dem Tresen begrüßt und sagt: „Wie immer?“ Er wird wissen, was los ist – und Zigaretten braucht sie sowieso. Sie überquert die Straße und betritt den Laden.
Der Stuhl hinter der Kasse ist leer.
„Guten Morgen“, ruft sie und beugt sich über die Theke. Keine Antwort. Sie geht um den Verkaufstresen herum, um in die Abstellkammer zu sehen, die sich dahinter befindet.
„Hallo? Herr Zupcic?“
Ein Schal und eine Strickjacke hängen über der Lehne des Stuhls in der Ecke, auf dem kleinen Tisch steht eine volle Kaffeetasse. Langsam geht Marla wieder zurück in den Verkaufsraum. Ihr Blick huscht über das Regal mit den Zigaretten. Vielleicht ist Herr Zupcic nur kurz weg. Besorgt sich Frühstück oder hat was vergessen. Soweit sie weiß, wohnt er nur ein paar Häuser weiter. Sie greift nach einer Schachtel Gauloises, kramt den Geldbeutel hervor und legt das Geld auf den Tresen.
Zurück auf dem Gehsteig, zündet Marla sich eine Zigarette an. Ihre Hand zittert. Sie inhaliert den Rauch und sieht immer wieder die Straße entlang, hält Ausschau nach Herrn Zupcic. Oder sonst irgendjemandem.
In der Bäckerei nebenan brennt Licht. Durch das Schaufenster erkennt Marla Brot, Brezeln, süße Teilchen, die sorgfältig nebeneinander aufgereiht in der Theke liegen, aber niemand steht dafür an. Wo ist die alte Dame, die dort jeden Morgen ihre Semmeln holt und den Verkehr aufhält, weil sie mindestens fünf Minuten mit der Verkäuferin schwatzt? So oft steht Marla hinter ihr und verdreht die Augen. Jetzt würde sie gerne hören, was die Frau zu erzählen hat.
Leise kriecht Kälte die Beine hinauf, breitet sich in ihr aus, drückt auf den Magen. Marla schmeißt die Kippe weg, will die Übelkeit wegschlucken, aber es hilft nichts. Sie zieht das Handy aus der Tasche, öffnet die Nachrichtenseite. Weißer Bildschirm. Der Ergebnisbalken am oberen Rand des Displays kommt nur mühsam voran. Als er endlich am Ende angelangt ist, bleibt der Bildschirm unverändert.
Das blaue U-Bahn-Schild ein paar Meter weiter springt ihr ins Auge. Sie presst die Lippen zusammen und steigt die Treppen hinunter. Um die Uhrzeit sind die Bahnsteige normalerweise voll. Da unten muss jemand sein!
Der Bahnsteig ist leer.
Auf dem rechten Gleis steht ein Zug mit geöffneten Türen, aber die Beleuchtung ist ausgeschaltet. In jedes Abteil späht sie hinein, bis zum ersten Waggon geht sie, hebt die Hand, um an die Scheibe zu klopfen, den Lokführer zu fragen, was hier los ist. In der Fahrerkabine sitzt niemand. Auf dem Boden steht ein Rucksack, aus dem eine Thermoskanne herausragt.
„Hallo?“
Die Frage hallt von den gewölbten Wänden des Schachts wider.
„Hallo, ist hier jemand?“
Vorsichtig geht sie zum gegenüberliegenden Bahnsteig, beugt sich vor und starrt die Gleise entlang. Nichts. In ihrem Bauch rumort es. Plötzlich ist es viel zu eng hier, der Tunnel scheint zu schrumpfen, das Licht schwächer zu werden. So still, so verdammt still, warum ist hier niemand? Marla dreht sich um und geht mit großen Schritten zum Aufgang, nimmt zwei Stufen auf einmal, bis sie wieder an der Oberfläche ist.

Ihre Finger zittern, als sie das Internet-Symbol auf dem Handy antippt und erneut die Nachrichtenseite aufruft. Weißer Bildschirm.
„Scheiße!“ Marla lässt den Kopf sinken. Am liebsten würde sie mit den Füßen aufstampfen und schreien, so wie sie es als Kind getan hat. Schreien und stampfen, bis jemand kommt und sie fragt, was das soll. Aber sie reißt sich zusammen. Steuert auf eine Bank zu und sackt auf ihr zusammen.
Für einen Moment schließt sie die Augen. Ihr Brustkorb wird eingeklemmt von der Stille, die sich auf sie legt, sobald sie sich nicht mehr bewegt. Der Druck auf den Ohren ist wieder da. Sie wünscht sich eine Baustelle, einen Presslufthammer direkt hier vor der Bank, brüllende Arbeiter, blecherne Schritte auf Stahlgerüsten, Chaos, ohrenbetäubendes Chaos, und sich mittendrin.
Ein braunes Ahornblatt landet vor ihren Füßen. Sie hebt es auf, zerbröselt es in der Hand. Es raschelt und knistert. Sie springt auf, stapft in dem Grünstreifen zwischen Gehweg und Straße durch das getrocknete Laub, wirbelt die Blätter auf, tritt auf Äste, wirbelt, knackst und tritt. Erneut zieht sie ihr Handy hervor, versucht es im Internet. Scheitert.
Kristina! Sie wird sicher wissen, was los ist. Marla öffnet das Adressbuch, wählt die Nummer ihrer besten Freundin. Schrilles Pfeifen ertönt, als hätte sie ein Faxgerät angerufen. Okay, kein Problem, macht nichts. Sie probiert es bei Laura. Pfeifen. Die Buchstaben und Nummern auf dem Display verschwimmen.
„Komm schon“, flüstert sie und wischt sich über die Augen, sucht die Nummer ihrer Mutter heraus und drückt auf den grünen Hörer. Ein paar Sekunden lang geschieht nichts. Sekunden, in denen sie nicht atmet, sich nach dem Freizeichen sehnt, diesem gleichgültigen Tuten, dem Versprechen, dass am anderen Ende der Leitung ein Telefon klingelt, laut klingelt, und gleich jemand abhebt.
„Fuck!“
Das Handy landet im Gras, die Handtasche ebenfalls.
„Scheiße, verdammt, wollt ihr mich verarschen?!“
Ihr Blick springt zwischen den Baumkronen hin und her, flitzt über Hauswände, Straßenlaternen, Hecken. Sie dreht sich im Kreis, sucht nach offenen Fenstern.
„Es reicht jetzt!“
Jemand muss sie doch hören. Muss dafür verantwortlich sein, was hier passiert.
Schweigend blicken ihr die Fassaden entgegen. Ruckartig zieht sie Luft ein, lehnt sich an den Baum, der hinter ihr steht, als wolle er sie beschützen. Sie ballt die Hände zu Fäusten, atmet aus, langsam und kontrolliert, horcht auf den Herzschlag, darauf, dass er sich beruhigt. Sie bückt sich, wühlt in den Blättern herum, bis sie ihr Handy wiederfindet, wählt erneut die Nummer ihrer Mutter, kneift die Augen zusammen, zählt die Sekunden, nichts, kein Freizeichen, nur Stille. Sie lässt die Hand sinken. Lehnt den Kopf an den Stamm, fühlt das trockene Holz auf der Haut und schließt die Augen – nur für einen Moment will sie die toten Straßen aussperren.

Vorbei an Autos ohne Fahrer, leeren Bussen am Straßenrand und umgeworfenen Fahrrädern stapft sie in Richtung Innenstadt. Nach einer Weile öffnet sie die Musik-App auf dem Handy und drückt auf Play. Ein alter Soulklassiker ertönt aus dem Lautsprecher des Telefons, Marvin Gayes Stimme begleitet Marla, umgibt sie wie eine weiche Decke. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Sie durchquert den Westpark, der in seinen bunten Herbstfarben in der Sonne leuchtet, und spürt ihn wieder, den Kloß im Hals. Hier sitzt sie oft in dem kleinen Open-Air-Café am Mollsee und beobachtet die durcheinandergewürfelten Menschen. Die Mütter, die ihre quengelnden Kinder mit einem Eis besänftigen wollen, die Hipster, die ihre Hosen noch weiter hochkrempeln, um Sonne an die blassen Waden zu lassen, die Omis, die sich bei einem Kaffee über ihre Nachbarn beschweren. Heute stehen die Stühle und Tische verlassen am Wasser, die Luke des Bauwagens ist geschlossen, aus dem die Studenten sonst Getränke verkaufen.
Je näher sie dem Zentrum kommt, desto schwerer werden die Füße. Nach einer Stunde erreicht sie die Bavaria. Die Statue thront stolz auf ihrer Erhebung und wacht über die Theresienwiese. Als Marla auf die riesige Fläche schaut, die sich vor ihr ausbreitet, auf die letzten Reste der Oktoberfestzelte, die noch nicht abgebaut wurden, fühlt sich ihr Herz plötzlich an, als würde es reißen. Sie holt tief Luft und brüllt. Die Namen ihrer Freunde, ihrer Eltern. Stößt Hilferufe aus. Schreit an gegen die Leere in ihrem Bauch, gegen das Schweigen der Stadt.
Erst als ihre Stimme bricht und sie so heftig hustet, dass sie sich fast übergibt, hört sie auf. Die Augen glasig, der Hals von innen ganz wund, lehnt sie sich an eine Hauswand. Sie will sich auf den Boden schmeißen, um sich treten und weiterkreischen. Sieht ja keiner. Nur dass sie dann vielleicht nicht mehr aufsteht und dort auf dem kalten Asphalt den Verstand verliert.
Sie wendet den Blick von der Bavaria ab und macht sich auf den Weg nach Hause. Blendet sie aus, all die verlassenen Straßen und blinden Fenster. Mitten auf den Straßenbahngleisen läuft sie und bildet sich ein, hinter sich das schrille Klingeln der Tram zu hören, das Fluchen des Lokführers.
An einer Kreuzung bleibt sie stehen, biegt rechts ab und steht vor dem Supermarkt, in dem sie immer einkauft. Die gläsernen Schiebetüren öffnen sich. Marla steht davor, starrt in den Gang, der zur Obstabteilung führt. Unter leichtem Scharren schließen die Türen sich wieder. Erst beim zweiten Öffnen wagt Marla hineinzugehen.

Wie ferngesteuert greift sie nach dem Einkaufskorb, hängt ihn sich über den Arm und geht auf die Äpfel und Bananen zu. Wandelt zwischen den bunten Fächern voller Obst und Gemüse umher und kann nicht begreifen, versteht nicht, was sie in den Korb legt und warum. Hier drinnen surren Kühlschränke, das konstante Brummen kriecht in Marlas Kopf, begleitet sie durch den Markt, vorbei an Regalen voller Essen. Wie lange der Strom wohl noch funktionieren wird?
„Ist jemand hier?“
Sie hofft auf den schlechtgelaunten Kerl, der hier die Regale befüllt, auf sein faltiges Gesicht, das er nur hat, weil er immer so zornig um die Ecke schaut, wenn er gerufen wird.
Keine Antwort.
Im nächsten Gang bleibt sie ruckartig stehen. Vor ihr liegt einer dieser kleinen Einkaufswagen für Kinder auf dem Boden. Eine Tafel Schokolade ist auf den glatten Fliesen halb unter das Regal gerutscht. Mit zitternden Knien geht Marla rückwärts aus dem Gang und eilt zur Kasse.
Sie beginnt, die Sachen aufs Band zu legen, verscheucht das Bild des winzigen Einkaufswagens, das immer wieder vor ihr auftaucht. Erst nach ein paar Sekunden kapiert sie, dass das Band still steht, dass sie den Geldbeutel in der Tasche lassen kann, weil keiner kassiert, dass sie sich nicht beeilen muss, weil hinter ihr niemand ansteht. In dem Fach neben der Kasse liegen stapelweise Papiertüten, Marla zieht eine heraus, wirft die Lebensmittel hinein und hastet nach draußen.
Sie hält die Tüte mit beiden Armen umschlungen, klammert sich an den letzten Rest Alltag. Ihr Blick fällt auf die Bushaltestelle der 151er-Linie. Marla geht hinüber und setzt sich ins Wartehäuschen. Alles wird wieder gut. Halb so wild. Morgen fährt der Bus wieder. Voll mit Menschen, die sich laut unterhalten, in ihre Handys plappern, die sie anrempeln, ihr auf die Füße treten, sich vielleicht entschuldigen, vielleicht auch nicht.

 

Hallo @RinaWu,

Dein Beitrag hat eine sehr ähnliche Ausgangslage wie ein WK-Beitrag, den ich Anfang Oktober kommentiert habe: "Diese Welt ist leer" von JohnnyStyle300. Auch wenn Johnny mMn die Auflösung etwas verbockt, sah ich viele Ansatzpunkte, wie sich die Story entwickeln könnte und bei mir sprang der Gedankenapparat an.
Das passiert bei deinem Text leider nicht, da du außer einer nachvollziehbaren und gekonnten Schilderung des Innenlebens der Prota nichts anbietest. Es gibt keine Andeutung, keinen Ansatzpunkt, über eine mögliche Auflösung nachzudenken. Meine Gedanken finden keinen Haken und ich kann "nur" die Empfindungen und Sinneseindrücke der Prota miterleben. Und so denke ich mir, je weiter der Text fortschreitet: so what, kommt da noch was? Das Bedrückende des Settings habe ich erlebt, das bringst du sehr gut rüber, doch das trägt mich nicht durch den ganzen Text. Ich frage mich wohin führt das alles, aber du bleibst auf offener Strecke einfach stehen.
Mir fehlt da die besondere, vielleicht einzigartige Idee, der Clou der Story, durch den du mich überrascht und das Ganze einen anderen Drive erhält.
Würde mich freuen, wenn da noch was kommt, denn bei deiner Schreibkunst könnte das was richtig Gutes, Packendes werden.

Peace, linktofink

 

Hallo @linktofink,

Danke für deinen Kommentar.

Es ist ja schon mal schön, dass du findest, dass das Innenleben der Prota gut rüberkommt, denn da gab es auch geteilte Meinungen, bzw. stand die Frage im Raum, ob man das nicht noch mehr ausbauen könnte. Ich habe mich dagegen entschieden, da ich die Befürchtung habe, dann könnte es zu sehr zu einem Monolog, bzw. vielleicht sogar Gefühlsgeschwafel werden. Daher cool, dass das bei dir funktioniert hat, inklusive des Settings.

Ja, es stimmt, ich biete hier keine Auflösung an, lasse das offen, sowohl den Auslöser als auch den Ausgang. Einerseits weil das Thema der Challenge es anbot, andererseits weil ich selbst das Gefühl habe, jegliche Art von "Aufklärung" würde hier das kaputt machen, was ich mit der Geschichte schaffen wollte. Und den großen Clou, eine Überraschung oder was auch immer, den gibt es bezüglich dieser Story nicht in meinem Kopf, da bin ich ganz ehrlich. Mir ging es darum, diesen ersten Tag zu beschreiben, was passiert, wenn plötzlich niemand mehr da ist. Daher muss ich dich leider enttäuschen, ich bastel zwar immer wieder an Feinheiten der Geschichte, aber inhaltlich wird da kein großer Bruch mehr kommen.

denn bei deiner Schreibkunst könnte das was richtig Gutes, Packendes werden.
Danke dir aber für die Blumen. Ich sage ja immer, man kann nicht jeden erreichen mit allem, was man schreibt. Daher freue ich mich zumindest, dass dir der Stil gefallen hat, inhaltlich schafft es vielleicht mal eine andere Geschichte von mir, dich zu packen :)

Viele Grüße
RinaWu

 

Liebe @RinaWu,
als ich deine Geschichte direkt nach dem Einstellen gelesen habe, gehörte ich zu der enttäuschten Fraktion, die vergeblich nach dem winzig kleinen Haken suchte, der dem Ganzen einen Sinn geben würde. Den verweigerst du ja nun mit Nachdruck und nachdem ich mich damit abgefunden habe, lese ich die Geschichte anders. Nämlich als Liebeserklärung an das wimmelnde Leben um uns herum, dass nervig, stressig und unperfekt sein kann. Doch wenn es fehlt und bei dir fehlt ja auch alles tierische Leben, es gibt nichts, mit dem man kommunizieren kann, wenn es fehlt, ist das, wie tot sein mit umgekehrten Vorzeichen, vielleicht sogar die wahre Hölle.
Und ein anderer Gedanke kommt mir, der Gedanke an Fragen, an denen man sich genauso vergeblich den Kopf einrennt, wie deine Protagonistin an der Stille. Warum bestimmte Dinge auf der Welt passieren, Fragen nach Ursache und Sinn. Irgendwann werden all die Menschen, die uns jetzt so viel bedeuten, tatsächlich fort sein, spätestens in hundert Jahren. In der Realität wird dann neues Leben da sein und wir werden nicht mehr da sein, aber so kommt mir deine Geschichte wie ein Alptraum vor, eine Verschiebung, die sich mit der Vergänglichkeit beschäftigt und mit der Einsamkeit, dem Getrenntsein.
Als Leserin darf ich aus diesem Alptraum aufwachen. Und werfe gleichzeitig schaudernd einen Blick zurück auf deine Protagonistin, in ihrer Einsamkeit.

Das Holz ist warm unter ihren nackten Füßen und sie verweilt einen Moment, Augen halb geöffnet, Zehen in der Sonne.
Hier fehlen mir doch die Artikel, das wirkt auf mich wie Stichpunkte, die noch zu einem Satz geformt werden sollten.

Marla streckt sich, blinzelt in den blauen Himmel, lauscht hinaus auf die Straße. Fühlt sich an wie eine dicke Schicht Watte, die um ihren Kopf gewickelt ist.
Was fühlt sich an?

Langsam weicht sie vom Fenster zurück, dreht sich um und geht ins Bad. Während sie nach der Zahnbürste greift und einen dicken Streifen Zahnpasta auf die Borsten drückt, lauscht sie noch immer.
Das ist schön.

Ein Lächeln huscht über Marlas Gesicht. Sie sieht Herrn Zupcic vor sich mit seinem grauen Haar und den Fältchen um die Augen, wie er sie hinter dem Tresen begrüßt und sagt: „Wie immer?“
Wo ist die alte Dame, die dort jeden Morgen ihre Semmeln holt und den Verkehr aufhält, weil sie mindestens fünf Minuten mit der Verkäuferin schwatzt?
Sie hofft auf den schlechtgelaunten Kerl, der hier die Regale befüllt, auf sein faltiges Gesicht, das er nur hat, weil er immer so zornig um die Ecke schaut, wenn er gerufen wird.
Das mag ich an deinem Text, dass da soviel Wertschätzung entsteht für das, was sonst selbstverständlich ist oder sogar nervt.

Voll mit Menschen, die sich laut unterhalten, in ihre Handys plappern, die sie anrempeln, ihr auf die Füße treten, sich vielleicht entschuldigen, vielleicht auch nicht.
Den letzten Satz finde ich wirklich großartig, den Rythmus, das offene.

Das ist eine Geschichte, die im Kopf hängen bleibt, vielleicht gerade, weil sie keine "Erlösung" bietet.

Herzliche Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe @Chutney,

als allererstes: Danke, dass dich meine Dickköpfigkeit nicht abgeschreckt hat, sondern du dich neu auf den Text eingelassen hast. Das wärmt mir gerade den Bauch, weil ich es echt schön finde. Und es zeigt mir, dass Dickköpfigkeit sich manchmal doch auszahlt. Bzw., vielleicht ist es gar nicht so sehr Starrsinn, als dass ich mir eben genau bewusst bin, was ich hier erzählen möchte. Deshalb gibt es keinen AHA-Effekt oder eine brilliante, frische Auflösung oder Erklärung des Ganzen - eben weil es mir darum überhaupt nicht ging. Ich nehme die Kritiken ernst, denke darüber nach, nehme sie an, selbst da, wo es manchmal weh tut (also den Worten, die ich streichen muss ;) ), aber inhaltlich war ich hier von Anfang an ganz klar und dachte mir - nee, das verteidige ich jetzt. Und es freut mich sehr, dass du noch mal einen zweiten Blick auf den Text geworfen und ihn von einer anderen Seite betrachtet hast. Danke!

und nachdem ich mich damit abgefunden habe, lese ich die Geschichte anders. Nämlich als Liebeserklärung an das wimmelnde Leben um uns herum, dass nervig, stressig und unperfekt sein kann.
:shy: Das hast du schön beschrieben. Und ja, das schwingt in dieser Geschichte konstant mit - neben der Frage: was wird aus mir, wenn keiner mehr da ist? Weißt du, ich bin selbst jemand, der sich viel zu oft aufregt über andere, weil sie unhöflich sind, unfreundlich, grob oder rücksichtslos. Aber gleichzeitig genieße ich dieses Treiben mit all seinen Vor- und Nachteilen. Ja, ich kann auch mal gerne ohne Menschen, dann haue ich ab in die Berge und fahre komplett runter. Aber an anderen Tagen gehe ich in die Stadt und tauche ein in das Gewusel und mag auch das. Und ohne andere würde ich einfach verkümmern. Da kann man sich noch so sehr einreden, man ist super selbstständig und unabhängig von anderen - ich glaube das nicht. Zumindest trifft es nicht auf mich zu. Ich lebe schon auch zum großen Teil von der Kommunikation mit anderen.

Und ein anderer Gedanke kommt mir, der Gedanke an Fragen, an denen man sich genauso vergeblich den Kopf einrennt, wie deine Protagonistin an der Stille. Warum bestimmte Dinge auf der Welt passieren, Fragen nach Ursache und Sinn. Irgendwann werden all die Menschen, die uns jetzt so viel bedeuten, tatsächlich fort sein, spätestens in hundert Jahren. In der Realität wird dann neues Leben da sein und wir werden nicht mehr da sein, aber so kommt mir deine Geschichte wie ein Alptraum vor, eine Verschiebung, die sich mit der Vergänglichkeit beschäftigt und mit der Einsamkeit, dem Getrenntsein.
Als Leserin darf ich aus diesem Alptraum aufwachen. Und werfe gleichzeitig schaudernd einen Blick zurück auf deine Protagonistin, in ihrer Einsamkeit.
Wow. Es ist toll zu lesen, was die Geschichte in dir ausgelöst hat. Ja, definitiv schwirrten mir die Themen Einsamkeit/Getrenntsein im Kopf herum, die spielen eine große Rolle. Was genau ist noch übrig von unserem Leben, wenn keiner mehr da ist, mit dem man es teilt? Der Dinge, die du noch ansprichst, also Vergänglichkeit / Fragen nach Ursache und Sinn, war ich mir gar nicht so bewusst, da bin ich ganz ehrlich, als ich den Text schrieb. Hier eröffnest du mir einen weiteren Aspekt meiner eigenen Geschichte :)

Die zwei sprachlichen Dinge, die dir aufgefallen sind, schaue ich mir gleich mal an.

Den letzten Satz finde ich wirklich großartig, den Rythmus, das offene.
Ach Mensch, Chutney, wie geil! Ich hänge sehr an diesem Schlusssatz und das tut richtig gut zu hören!

Danke dir für diesen tollen Kommentar!
Liebe Grüße
RinaWu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Manlio,

danke für deine Rückmeldung.

Die Stille steht hier für mich für mehr als nur ihre Bedeutung, dass von außen kein Lärm zu hören ist. Stille, die von außen auf einen wirkt, bedrückend ist - sowie Stille, die sich im Inneren ausbreitet, weil kein Kontakt mehr zu anderen möglich ist. Klar gibt es Naturgeräusche wie raschelnde Blätter im Wind oder ähnliches, ich glaube aber nicht, dass man diese Geräusche mit denen vergleichen kann, die meine Prota zuvor kannte. Stille dann eben auch gleichgesetzt mit Einsamkeit. Mit dem Gefühl, blockiert zu sein, da man sich niemandem mehr mitteilen kann. Daher dachte ich mir, der Titel passt ganz gut zu dem, was ich erzählen möchte.

Dein Kommentar am Schluss an Achillus verstehe ich nicht, aber muss ich vielleicht auch nicht ...

Freut mich jedenfalls, dass du die Geschichte gerne gelesen hast. Ja, es haben schon einige gesagt, dass es sich wie der Anfang einer größeren Erzählung wirkt, wäre ich jetzt durch die prominenten Beispiele, die ich mir nun Stück für Stück zu Gemüte führe, nicht so abgeschreckt, hätte ich das vielleicht sogar probiert. Aber so belasse ich es lieber bei diesem kleinen Stück für die Challenge.

Viele Grüße
RinaWu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @maria.meerhaba,

doch für mich kommt das hier einfach viel zu schnell
Ja, ich hadere auch noch mit dieser Szene und bin gerade dabei mir zu überlegen, wie ich das besser machen könnte.

Schön, dass dir zumindest der Anfang gefallen hat, dass du die Atmosphäre mochtest, das freut mich wirklich sehr. Ich hätte ja gedacht, dir ist das viel zu ruhig. Aber umso geiler, wenn ich mich getäuscht habe :D

alle andere, die ich bis jetzt gelesen habe, enden mittendrinn und ich hasse solche Geschichten. Was soll ich da noch für eine Kritik äußern, wenn ich mich mit so was nicht anfreunden kann?
Aus dem Dilemma kann ich dir leider nicht heraushelfen, I'm sorry ;) Ich finde ja, dass nicht alle Geschichten mittendrin aufhören, für mich sind viele dabei, die sehr wohl ein Ende finden, ob nun schriftlich festgehalten oder in meinem Kopf. Daher sehe ich das Ganze ein wenig anders ...

Bis zum nächsten Mal :)
Viele Grüße
RinaWu


EDIT: Ich habe mich nun endgültig von der "versteckte Kameras"-Szene getrennt. Ich weiß zwar, was ich mit ihr bezwecken wollte, bin aber nun selbst klarer und sehe, dass das nicht so recht funktioniert und auch nicht zum Ton des Textes passt. Danke (u.a.) an @TeddyMaria, ich glaube für dich war das ja von Anfang an ein NoGo. Ich hab lange daran festgehalten, aber mittlerweile hat sich da mein Blick auf den Text auch etwas verändert.

@maria.meerhaba, die Szene, in der Marla zusammenbricht (am Anfang) habe ich umgeschrieben. Das kam tatsächlich zu schnell. Ich bin so nun zufriedener, auch dir und allen anderen, die das schon angemerkt hatten, danke für's Finger drauf legen. So wie es jetzt ist, kommt die Szene an der Bavaria, in der sie dann ihren Frust rausschreit, auch logischer und "sich entwickelnder" rüber, denke ich.

 

Hi @RinaWu,

toller Text. Einerseit ganz menschenleer und still, weil es das ist, was Marla erlebt und andererseits angefüllt mit Leben. Du hast mich mitgenommen, ich war drin in deiner unvollständigen Welt. Die fehlenden Menschen und ihre fehlenden "Emissionen" haben der Szenerie pulsierendes Leben eingehaucht. Ganz stark. Ich habe das sehr gern gelesen. Dabei passiert eigentlich kaum etwas, jedenfalls im konventionellen Sinne. Im Text passiert natürlich sehr viel. Genug, würde ich sagen.
Ich mag dieses einfache, konsequent umgesetzte, "was wäre, wenn". Natürlich ließe sich das noch weiter treiben - bis in die Nacht, bis in den Winter, über ein ganzes Jahr, aber für "Was dann?", reicht es vollkommen.
Vielleicht machst Du ja irgendwann noch mehr daraus. Momentan sieht es für mich so aus, als wolltest Du nur mal eben mit dem nackten Fuß prüfen, wie kalt das Wasser wirklich ist. Wenn Du noch weiter schreibst und Deine Figur länger dieser "Probe" aussetzt, könnte das eine große Geschichte werden.

Schöne Grüße
Lem Pala

 

Hi @Lem Pala,

vielen Dank für deine Rückmeldung und für dein Lob. Hat mich sehr gefreut zu lesen, dass der Text für dich funktioniert. Ich hatte ja viel damit zu kämpfen und zu verteidigen, da höre ich das natürlich super gerne :)

Die fehlenden Menschen und ihre fehlenden "Emissionen" haben der Szenerie pulsierendes Leben eingehaucht.
Deine Betrachtung finde ich total interessant. So habe ich das bisher noch gar nicht gesehen. Danke für diesen Denkanstoß.

Dabei passiert eigentlich kaum etwas, jedenfalls im konventionellen Sinne. Im Text passiert natürlich sehr viel.
Auch hier, danke, das tut gut zu hören. Ich habe hier ja versucht, recht unaufgeregt zu erzählen, um eben die Stille auch sprachlich mit zu unterstützen. Dennoch wollte ich natürlich rüberbringen, was da alles auf die Prota einstürzt, wie sehr es sie mitnimmt.

Momentan sieht es für mich so aus, als wolltest Du nur mal eben mit dem nackten Fuß prüfen, wie kalt das Wasser wirklich ist. Wenn Du noch weiter schreibst und Deine Figur länger dieser "Probe" aussetzt, könnte das eine große Geschichte werden.
Schöner Vergleich mit dem nackten Fuß ;) Ja, ich lasse den Text mal eine Weile liegen und dann mal sehen, ob und was sich da noch in meinem Kopf entwickelt.

Liebe Grüße!
RinaWu

 

Diese Geschichte beschreibt ein paar Stunden im Leben einer Protagonistin, die zwar in ihrer gewohnten Umgebung aufwacht, sie aber menschenleer vorfindet. Auch Tiere scheint es nicht zu geben, lediglich Bäume verlieren ihre Blätter, weil es Herbst ist, kurz nach dem Oktoberfest.

Und hier ist schon mein erster Kritikpunkt: Du, RinaWu, erwähnst zu oft, dass es Herbst ist – es gibt Herbstbäume, Herbstfarben und Oktoberfestzelte. Besser wäre es, nur von gelben und roten Blättern zu reden, alles andere kannst du dir sparen, es wird später auch Laub genannt, etc.

Du beschreibst minutiös all die Gedanken und morgendlichen Tätigkeiten der Prota, aber „vergisst“ zu erwähnen, dass sie sicher auch gepinkelt hat. Jedenfalls ist das bei mir immer die erste Tätigkeit nach dem Aufstehen. :D

Ich würde auf die ganzen Details – z.B.: „Sie zieht sich an, kämmt die Haare, schminkt sich … schnappt sie Handtasche und Schlüssel, schlüpft in die Schuhe“ – verzichten, denn sie bringen die Geschichte nicht wirklich vorwärts. Oder anders gesagt: Ich würde die an sich unwichtigen Details nur erwähnen, wenn sich die Prota dabei etwas denkt, z.B. Beobachtungen Richtung Stille macht oder Ähnliches. Dann entfiele auch (meine) Verwunderung, wenn etwas nicht genannt wird.

Die Formulierung „Sie sieht Herrn Zupcic vor sich mit seinem grauen Haar und …“ ist missverständlich – ich würde nach Zupcic ein „schon“ einfügen.

Das Ende geschieht etwas abrupt, aber den Leser im Unklaren zu lassen, was wirklich geschehen ist, ist auf jeden Fall besser, als – von mir fast erwartete – Aufwachen aus einem Traum.

Du hast den Charakter der Prota gut gezeichnet und auch ihre Reaktionen sind für die geschilderte Situation plausibel. Was will man mehr?

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom