Was ist neu

Schreiben for Future? Warum werden die Klimakrise und die ökologische Krise in der Literatur so wenig thematisiert?

So, ich will nicht die große klimapolitische Debatte wiedereröffnen, weil die führe ich an anderer Stelle oft genug und hier komme ich hin, um mich zu entspannen und über Literatur zu reden.

Aber ich fände es schon cool, hier weiterhin Lese- und ggf. Schreibtipps zu dem Themenkomplex zu sammeln, also freue mich, wenn ihr was in der Richtung habt, ob eigene Werke/Erfahrungen oder Empfehlungen von Büchern oder Filmen und Serien (Videospiele gibt es mit Sicherheit auch, die werd ich dann nicht extra spielen aber finde das auch interessant und auch nicht offtopic, weil die Story und die Dialoge für ein Spiel ja auch geschrieben werden und der kreative Prozess da nicht so viel anders ist als bei einem Roman oder Drehbuch, denke ich).

Seitdem ich den Thread gestartet habe, habe ich einige Bücher gelesen, die ich hier einfach kurz zusammenfassen und empfehlen möchte.

  1. „Die Geschichte der Bienen“, „Die Geschichte des Wassers“, „Die letzten ihrer Art“ von Maja Lunde. Die Bücher wurden ja schon zuvor im Thread erwähnt, weil sie halt Bestseller sind, aber bisher gab es soweit ich mich erinnere noch keine Leseeindrücke, und die kann ich mittlerweile nachliefern. Ich finde, die Bücher kommen meinem persönlichen Ideal schon sehr nahe, also es gab auf jeden Fall Stellen, wo ich das Gefühl hatte, die wären für mich persönlich geschrieben worden oder mir gewünscht habe, ich hätte die selbst geschrieben. Maja Lunde plant eine Tetralogie, also es wird noch ein viertes Buch geben, aber es ist keine Serie von aufeinander aufbauenden Geschichten, man kann die Bücher unabhängig voneinander lesen und muss keine bestimmte Reihenfolge einhalten. (Eine Figur aus „Die Geschichte des Wassers“ taucht in „Die letzten ihrer Art“ wieder auf, aber es nicht nötig das zu wissen, um die Handlung zu verstehen). Maja Lunde hat die Schwierigkeit, globale Zusammenhänge und Prozesse, die über sehr lange Zeiträume ablaufen, in eine Romanhandlung zu fassen, dadurch gelöst, dass alle Bücher mindestens zwei Zeitebenen und in der Regel auch mehrere Handlungsorte haben (Die Geschichte des Wassers hat zwei Zeitebenen, die anderen beiden Bücher haben jeweils drei), so dass sie Geschichte, Gegenwart und relativ nahe Zukunft abbilden und zeigen können, wie Ereignisse in der Vergangenheit sich auf die Zukunft auswirken. Es ist manchmal ein bisschen frustrierend, wenn man ein Kapitel gelesen hat und den Figuren einer Zeitebene bis zu einem sehr spannenden Punkt gefolgt ist, und dann folgt ein Kapitel einer anderen Zeitebene (das gleiche Problem hatte ich mit der kapitelweise wechselnden Perspektive in GRRMs Lied von Eis und Feuer), aber erstens sind die Figuren aus allen Zeitebenen so gut gezeichnet, dass sie einem alle ans Herz wachsen, und zweitens entwickelt sich dadurch ein starker Sog, weil man sehr motiviert ist immer weiter zu lesen, um schnell wieder an den Punkt zurückzukehren, wo man die Figuren verlassen hat. Die Handlung in den Zukunftsteilen ist jeweils sehr düster (bzw. realistisch), aber lässt einen trotzdem nicht komplett deprimiert zurück. Besonders die Erkenntnisse, wie bestimmte Dinge, die Figuren in der Vergangenheit getan haben, sich auf die Zukunft auswirken, sind zum Teil sehr berührend.
  2. „Malé“ von Roman Ehrlich. Malé ist ein kurzer Roman, der in der gleichnamigen und zum Zeitpunkt der Handlung aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels schon weitgehend überfluteten Hauptstadt der Malediven spielt. Dort hat sich eine bunte Truppe von Aussteiger:innen versammelt, die alle aus ihren eigenen Motiven dort sind. Das Buch lässt sich nur schwer einem Genre zuordnen. Es gibt ein paar übernatürliche Elemente, also ich würde sagen, es geht so in Richtung magischer Realismus, aber im Grunde macht es sein eigenes Ding. Es gibt sehr viele Figuren, die zum Teil sehr schemenhaft bleiben, und sehr viele Handlungsstränge, von denen am Ende keiner richtig abgeschlossen erscheint. Die Sprache ist virtuos und recht komplex – der Autor liebt Schachtelsätze, und baut gerne Versatzstücke aus Gedichten und so was ein. Es gibt häufig Wiederholungen, manchmal von ganzen Textpassagen. Das hört sich jetzt vielleicht nicht so richtig nach einer Empfehlung an, und ich denke, das Buch ist auch definitiv nichts für jede:n, aber ich fand es schon ziemlich toll. Die Tatsache, dass sehr vieles unvollendet, rätselhaft und nicht lösbar bleibt, passt zu meinem Lebensgefühl im 21. Jahrhundert.
  3. „The ministry for the future“ von Kim Stanley Robinson (müsste mittlerweile auch auf deutsch erschienen sein, Titel wahrscheinlich „Das Ministerium für die Zukunft“, hab ich allerdings jetzt nicht nachgeprüft). Science Fiction (die aber ohne viele „futuristische“ Elemente auskommt) über die Geschichte einer (bislang) fiktiven UN-Agentur zur Lösung der Klimakrise. Mit vielen Rückschlägen, massivem Geoengineering und einer Reihe von „inoffiziellen“ (in der Regel illegalen und nicht immer gewaltfreien Aktivitäten) kommt das Ministerium einer Lösung relativ nahe, zumindest besteht am Ende des Buchs eine gewisse Chance für die Menschheit. Eines der brutalsten und zugleich optimistischsten Bücher, die ich seit langer Zeit gelesen habe. Enthält einige „experimentelle“ Elemente, die mir persönlich sehr gut gefallen haben, aber ich glaube, man muss schon ein bisschen nerdig sein :). Es gibt Kapitel, die aus der Perspektive eines Photons oder eines Kohlenstoffatoms oder aus Sicht abstrakter Konzepte wie z.B. des Marktes geschrieben sind. Andere Kapitel bestehen aus Protokollnotizen, kontextlosen Dialogen über Wirtschaftstheorien, oder Listen von Konferenzteilnehmern. Für mich war nichts davon trocken und ich habe das alles mit Gewinn gelesen, aber ich kann mir vorstellen, dass sich da ein bisschen die Geister scheiden. Die meisten Kapitel sind aber in einem „konventionellen“ Romanstil gehalten und erzählen aus der Perspektive einiger zentraler Figuren, denen man gerne folgt. Die experimentellen Teile fand ich aber ziemlich inspirierend, weil sie auch sehr gute Beispiele dafür geben, wie man komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge und Prozesse, über große räumliche und zeitliche Distanzen ablaufen, in eine literarische Form bringen kann. Es gibt auch eine ganze Menge Kapitel, die schlaglichtartig die Perspektive einzelner Figuren beleuchten, die in der Rahmenhandlung nicht auftauchen: Klimaflüchtlinge, Zeugen extremer Wetterereignisse, Menschen, die von den Maßnahmen des Ministeriums positiv oder negativ betroffen sind. Diese Kapitel sind im Grunde wie Kurzgeschichten, die sich in das Gesamtbild einfügen. Ich finde diese Methode sehr gut geeignet, um eine weltumspannende Geschichte zu erzählen, die trotzdem nicht abstrakt und nah am individuellen Erleben ist.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Perdita ,

Das Science Fiction Jahr 2021 hat als Schwerpunktthema Klimawandel. Kam grad letzte Woche raus. Ich habe es noch nicht in der Hand, aber vom letzten Jahr her beurteilt, sind da wirklich tolle Beiträge drin, teils auf wirklich akademischem Niveau. Durchaus facettenreich und (immer gut begründet) kontrovers, also nicht so, dass alle Standpunkte in den Essays in die gleiche Richtung gehen würden.

Ich habe auch in diesem Band einen längeren Beitrag, "All Humans Must Die! - Pessimistischer Posthumanismus im Klimawandel". Es geht um Antinatalismus vs. runaway population growth / human overbreeding, die Faszination am Abandoned und 'die Welt ohne uns' als neue Utopie.

(Der englische Titelteil ist ein Zitat aus der kanadischen TV Serie Murdoch Mysteries. "All humans must die, George, so that all other creatures on this earth can live.")

Bei der Recherche fand ich Massen an Primär- und Sekundärliteratur (sowie Spielfilme) zum Thema, wobei vieles bereits auf die Zeit grob um die erste Studie des Club of Rome herum zurückgeht: Anfang der 60er.
Bei den (teils neueren) Subgenres Cli-Fi, Solarpunk, Ecocollapse etc. ist es allerdings so, dass der Klimawandel selten auch den literarischen Konflikt stellt. Mad Max z.B. hat als Konflikt die Treibstoffknappheit, obwohl das Setting mit Klimawandel zusammenhängt usw.

Das Problem, den Klimawandel in Fiktion zu verarbeiten, liegt an verschiedenen Gründen, die mit unserer Rolle dabei sowie der traditionellen Erzählstruktur und literarischen Figurenkonzepten zu tun haben. Es ist also nicht so, wie dein Ruf hier im OP andeutete - dass alle nur wegschauen würden. Es wird ja dazu geschrieben, damit kannst du eine ganze Bibliothek bestücken. Ich fands jetzt auch nicht schwierig, die Werke zu recherchieren oder auszuleihen / kaufen. Vielleicht beruhigt es dich, dass deine Sorge da wohl unbegründet ist.

Mein Favoriten dabei waren:
Brian Aldiss' Hothouse von 1962. Weil die Erzählperspektive bzw- haltung keine rein humanoide ist (Stichwort Spezieszismus) und es sehr dadurch ungewöhnlich ist.
Harry Harrissons KG "Roommate" (1971, die Kurzfassung seines Romans Make Room! Make Room!, der mir aber nicht ganz so gut gefällt wie die KG), worin er dezidiert das RPG als Ursache für den Klimawandel kritisiert. Das Buch diente als Inspiration zu dem Film Soylent Green, der aber zu Harrissons Unmut statt des Bevölkerungswachstums- ein Kannibalismusthema hernahm, was dem Ganzen eine irreale Note gibt und letztlich nix zum Thema beizutragen hat, außer ein bisschen Grusel.


Robinson hab ich in dem Essay unbeachtet gelassen, weil der - sorry - überhaupt nicht meine Tasse Tee ist und er ein zu umfangreiches Output hat, um das nur anzuschneiden. Ich hab inzw. allerdings vergessen, warum er mir nicht nur stilistisch, sondern auch von der Erzählhaltung her nicht gefiel.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom