Was ist neu

Schreiben for Future? Warum werden die Klimakrise und die ökologische Krise in der Literatur so wenig thematisiert?

Ja, Religion (allen voran, aber nicht ausschließlich, die abrahamistischen) ist neben morbid overbreeding der zweite Elefant im Raum, den kaum eine Bewegung benennt (und sorry, erst recht nicht Extinction Rebellion - da geht es ausschließlich gegen soft targets). Indien, Südostasien und China kriegst du allerdings nur zum Teil über das Christentum erklärt.
Doch – du vergisst, Indien und Südostasien wurden von Europäern kolonisiert. Die einheimischen Eliten eiferten uns schon im 19. Jahrhundert in allem nach, was sich nach deren Befreiung noch verstärkte: Für diese Länder sind Europa, USA und Japan bis heute Vorbilder. Denn auch Japan hat bereits im 19. Jahrhundert angefangen, uns nachzueifern, um in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert mit uns gleich-, wenn nicht vorbeizuziehen.

China verharrte lange in der Selbstisolation, was zu einem technologischen Rückstand ohne gleichen geführt hatte. Das wurde erst mit der japanischen Invasion Chinas richtig erkannt und führte zum „Großen Sprung nach vorn“, der zwar im Desaster endete, aber seit dem Tod von Mao im Grunde weiter geführt wird, diesmal mit Mitteln der Marktwirtschaft, also des Kapitalismus, allerdings ohne der regelnden Kraft der Demokratie, was zur beispiellosen Ausbeutung der Natur und der Menschen durch die Menschen führt.

Kapitalismus protestantischer Prägung hat in China gesiegt, weil die politische Führung das so wollte, und nicht, weil dort Protestanten bzw. überhaupt das Christentum eine Rolle spielte: China hat nur die Methode übernommen, nicht das Denken dahinter.

Das Beispiel der Evangelikalen, die ja auch aus dem Protestantismus kommen und großen und noch zunehmenden Einfluss in den USA und in Brasilien ausüben, zeigt uns, dass dieser Glauben an Gott, der die erfolgreichen Menschen mit Reichtum belohnt und die anderen mit Armut bestraft, immer noch existiert und nach wie vor die treibende Kraft hinter alledem ist.

Mehr noch, dieser Glaube hat sogar dazu geführt, dass indem es Menschen durch demokratische Wahlen an die Hebel der Macht brachte, die sich als erstes daran machten, eben diese Demokratie zu missachten und zu beschädigen. Indem Gott zulässt, so deren Logik, dass die Führer dieser Staaten zum Erreichen ihrer Ziele Lügen verbreiten dürfen, werden diese nicht mehr als Lügen wahrgenommen, sondern als gottgewollte alternative Wahrheiten.

Und was den Klimawandel betrifft ist für sie ohnehin klar: Gott wird es schon richten.


Da werden Kinder gemacht, weil "etwas von einem weiterlebt" (so die Illusion jedenfalls). Und je näher sich Leute am Tod fühlen, desto mehr wird gezeugt als gäbe es kein Morgen. Ein Teufelskreislauf.
Na ja, das Denken dahinter, im Alter versorgt zu sein, ist in den Entwicklungsländern nach wie vor die treibende Kraft, um möglichst viele Kinder zu haben. Wir haben eine Rentenversicherung, die uns diese Sorge abnimmt. Und wir haben eingesehen, dass Kriege, die bei uns bis zum Weltkrieg I. für die „Entsorgung“ der überschüssigen Söhne sorgten, keinen Sinn haben. Beides zusammen führte dazu, dass wir weniger Kinder in die Welt setzen. Das im Gegensatz zu den Ländern der sog. III. Welt.


Dion schrieb:
Will sagen, das Thema ist nicht neu, nur wurde damals nicht so emotional argumentiert wie heute.
Ich hab auch nicht behauptet, dass das Thema neu sei. Neu ist aus meiner Sicht, dass es im Alltag spürbar ist.

Zum Thema „Emotionalität“: Wissenschaftler:innen haben sich jahrzehntelang redlich darum bemüht, mit rein fachlichen Argumenten dafür zu sorgen, dass dem Thema die nötige Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ohne größere Erfolge.

Erst seitdem wir eine Bewegung haben, die Menschen auf emotionaler Ebene anspricht, ändert sich das langsam.

Von daher finde ich das Naserümpfen („Hysterie“) fehl am Platz.

Hysterie ist nie gut, und die Emotionalität nur dann, wenn sie noch ein Gehör für Fakten hat. Das hilft bei den anstehenden Aufgaben einen coolen Kopf zu bewahren. Sprich nicht in Aktionismus zu verfallen, das dann u.U. mehr Schaden anrichtet als nützt.

Wer alt genug ist, wird noch wissen, dass in den 1980er Jahren Waldsterben ein großes Thema war, dann aber, als man die Ursache dafür herausfand, einfach einschlief. Die Ursache waren hohe Schornsteine und Rußfilter, die man baute bzw. per Gesetz bauen musste, um die unmittelbare Umgebung vom Ruß zu befreien. Die Folge war, dass die Sulfat- und andere Aerosole, die bis dahin mit dem Ruß in unmittelbaren Umgebung niedersanken, nun in die weit entfernte Gebiete fliegen konnten, wo sie unter dem Einfluss der Sonnenstrahlung zerfallen und mit Wasserdampf den sauren Regen bilden konnten.

Als das erkannt war, schrieb man Rauchgasentschwefelungsanlagen vor, was im Hinblick auf den sauren Regen natürlich richtig war. Jetzt stellt man aber fest, dass die Abwesenheit dieser Aerosole in der Atmosphäre dazu führt, dass die Sonnenstrahlung ungehinderter als zuvor auf die Erde trifft und sie entsprechend mehr erwärmt. Ozeangewässer werden auf dieser Weise wärmer, was zu vermehrtem Auftreten von Hurrikanen führt – im Atlantik gab es in diesem Jahr 29 davon, während der Schnitt über ein halbes Jahrhundert bei 12 pro Jahr liegt.

Unsere Bemühungen, die Luft reinzuhalten, haben also die Klimaerwärmung noch verstärkt. Aus Unkenntnis der Zusammenhänge. Es ist so, wie @jimmysalaryman es sagte: „Wirtschaft ist, wie Klima, eine so hochkomplexe Angelegenheit, da gibt es keine einfachen Lösungen.“

Daraus folgt: Wir müssen Aktionismus vermeiden. Denn der entsteht, wenn der öffentliche Druck auf die Politik zu groß wird. Dann ist die Gefahr groß, dass etwas beschlossen wird, das u.U. gut gemeint ist und die Gemüter beruhigt, aber mittel- und langfristig mehr schadet als nutzt. Was zu beweisen war.


Danke für den Link zu deiner Geschichte. Ich hab sie gestern gelesen und sie gefällt mir aus verschiedenen Gründen nicht
Ja, die Geschichte ist nicht perfekt. Ich habe sie 2009 mehr aus Jux geschrieben, weil damals eine ähnliche Diskussion hochkochte wie heute, aber verglichen mit heute war sie geradezu manierlich.


Dion schrieb:
Es wird schlicht vergessen, dass das, was wir bisher auf dieser Erde angerichtet haben, die Folge einer göttlichen Anweisung ist: „Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!“

Es waren vor allem Christen, die den technologischen Fortschritt samt der Ausbeutung der endlichen Ressourcen vorangetrieben haben – erst später, nachdem sie gesehen haben, welchen „Erfolg“ wir damit haben, sind auch Anhänger anderer Religionen (Japaner, Chinesen) auf diesen Zug gesprungen.

Ich stimme zu, dass christliche Vorstellungen die Entwicklung unserer heutigen Gesellschaft stark geprägt haben. Aber die Idee, dass unser heutiges Verhalten in Bezug auf Klima und Umwelt damit zu tun hat, dass die Mehrheit der Menschen sich an religiöse Gebote halten möchte … sorry, aber das finde ich, freundlich ausgedrückt, nicht überzeugend.
Ich bitte dich, meine Antwort oben an Katla zu lesen, denn ohne diesen Glauben an Gott, der alles richten wird, wären Aufstiege von Trump, Bolsonaro, Orban und Kaczyński nicht möglich gewesen. Und das sind genau die Staatsführer, die die Klimaerwärmung negieren oder deren Ursache nicht dem Menschen zuschreiben.


Unabhängig davon: Die Weltbevölkerung könnte zu 100% aus Atheist:innen bestehen, ich bezweifle, dass das an der Situation irgendetwas ändern würde.
Du irrst – wären jene Religionen nicht (Christentum und Islam), die sich im Krieg der Gebärmütter befinden und deswegen Kondome und Abtreibungen verbieten, wäre der weltweite Bevölkerungszuwachs nicht so groß ausgefallen. Gut, Europa ist bis auf einige ehemalige Ostblockstaaten weitgehend aufgeklärt und hört nicht auf diese Prediger, aber in Afrika und in beiden Amerikas bestimmen darüber Katholiken und Evangelikale.

Gerade Länder mit strenggläubigen Bevölkerung – egal ob diese christlich oder muslemisch ist – haben die höchsten Geburtenraten, was zusammen mit der europäischen Medizin zur Youth Bulge führt – und in der Folge zu lokalen Kriegen, Umsturzversuchen und Migration.

Zu behaupten, Religionen hätten damit nichts bis wenig zu tun, ist wissentliches Wegschauen.


Aber um wenigstens den Versuch zu starten, etwas weniger Offtopic zu sein: Eine literarische Auseinandersetzung mit dem Thema, welche religiösen Vorstellungen unseren Umgang mit der Natur prägen, kann natürlich spannend sein.
Das finde ich auch. Aber nicht nur im Sinne von „religiöse Ausprägung der fossilen Brennstofflobby“ oder als „Ökologie-Religionen“, wie du sie anscheinend gut findest, sondern als Texte über konkrete Geschehnisse von gestern und heute, die dazu führten und führen, dass z.B. Trump und Bolsonaro ungestraft gegen die ganze aufgeklärte Welt arbeiten und deren Bemühungen um eine bessere Zukunft sabotieren können.

 

Hallo zusammen,

ich mache weiter, aber mit dem festen Vorsatz, auf Offtopic-Beiträge von jetzt an nicht mehr einzugehen. Ich hab mit Beiträgen in diesem Thread mittlerweile über 20 A4-Seiten voll (wohlgemerkt, das sind nur meine Beiträge, und die sind in zwei Tagen zusammengekommen), das kann ich auf Dauer schlichtweg nicht, vor allem nicht, wenn ich auch mal wieder dazu kommen will, Geschichten zu kommentieren.

Hi @Meuvind,

Meuvind schrieb:
ich denke schon, dass Literatur um Klima ein Stück weit angekommen ist (hab irgendwo noch New York 2140 im Schrank stehen, auch wenn ich das Buch fürchterlich fand), aber mMn sind diese Bücher immer postapokalyptisch. Das Schlimmste schon geschehen, alles ist den Bach runtergegangen, jetzt geht es um neue gesellschaftliche Ordnungen und Konflikte. Ich kann mich aber an kein Buch erinnern, dass den Klimawandel begleitet hat. Ich denke, du meinst letzteres an Literatur.

Ja, genau, so könnte man das sagen. Sachen, die sich mit dem Verlauf der Krise auseinandersetzen und damit, was das mit Menschen macht, und nicht mit dem potenziellen Endergebnis – wobei ich Science Fiction nach wie vor auch sehr gerne mag.

Ich hab mir grade auf Amazon Rezensionen zu „New York 2140“ angeschaut, und die gehen sehr weit auseinander, einige 5-Sterne-Rezensionen und etliche mit 1-2 Sternen. Polarisiert anscheinend ganz schön. :)

Vielleicht lese ich mal rein, meistens kann ich anhand von Leseproben einschätzen, ob ein Buch was für mich ist.

Danke dir für den Hinweis darauf, auch wenn es nicht dein Ding war.

Hi @Kellerkind,

Kellerkind schrieb:
Da es keine realistische Lösung für das Problem gibt, bleibt den Autoren nichts anderes übrig, als die Zukunft als unausweichlich darzustellen. Der Klimawandel funktioniert als Setting für Endzeitgeschichten, wozu er ja auch genutzt wird. Er ist aber nicht geeignet als zentraler Konflikt, weil Autoren und Leser bereits wissen, wie die Geschichte ausgeht.

Wenn das so wäre, dürfte es das ganze Genre historischer Romane theoretisch nicht geben, denn da weiß man als Leser:in ja auch schon von vornherein, wie es ausgeht. Aber die Frage, was ein historischer Umbruch mit für die Menschen bedeutet, die ihn miterleben macht – wie es ihnen damit geht, wie sie persönlich darauf reagieren – ist doch trotzdem spannend, denkst du nicht?

Kellerkind schrieb:
Ich frage mich, wie Du Dir einen – realistischen – Plot vorstellst, der den Klimawandel in ausreichendem Maß würdigt.

Chutneys Geschichte „Schwalbensommer“, auf die sie in ihrem Post verwiesen hat, ist ein sehr schönes Beispiel für das, was ich mir vorstelle – also nicht als die einzig wahre Geschichte zu dem Thema, aber als eine Variante. Die Klimakrise bzw. ökologische Krise ist da nicht „der Plot“, aber sie treibt in gewisser Weise die Handlung und man sieht, wie die Figuren auf unterschiedliche Weise damit umgehen. Nebenbei vermittelt die Geschichte Wissen um Zusammenhänge, ohne dass es als langatmiger, „Tell“-lastiger Infodump rüberkommt. Aber das sind alles Sachen, die ich eigentlich in einem Kommentar zur Geschichte schreiben möchte. – ist auf meiner To-Do-Liste, @Chutney :)

Aber wie gesagt – das wäre eine Variante der Art von Geschichten, die ich mir wünsche.

Kellerkind schrieb:
Ich meine, so eine Geschichte müsste auch den Regeln der Unterhaltungsliteratur* folgen, um verkauft und gelesen zu werden.

Verkäuflichkeit interessiert mich persönlich null. Ich meine, das hier ist ein Forum von Hobbyautor:innen, die schreiben, weil sie es gerne tun und sich dabei nicht danach richten müssen, was auf dem Buchmarkt gerade abgeht. Nur wenige hier haben schon mal was professionell veröffentlicht, und nur ganz rare Ausnahmen verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben.

Wo wenn nicht hier kann man mit Ideen experimentieren, die vielleicht nur ein kleines Publikum ansprechen?

Aber es scheint schon auch möglich zu sein, etwas „massentaugliches“ zu schreiben. Ich hab ja am Anfang die Bücher von Maja Lunde genannt (da hab ich aber leider ihren Vornamen falsch geschrieben). Die habe ich selbst noch nicht gelesen, aber ich weiß, dass die lange auf den Bestsellerlisten vertreten waren, darum hatte ich sie da mit aufgeführt. Falls es hier Leute gibt, die sie gelesen haben, würde mich übrigens interessieren, wie die so sind – also beispielsweise, ob Leser:innen da das Gefühl hatten, es sei Propaganda.

Kellerkind schrieb:
Das permanente Gewarne und die dümmlichen Schuldzuweisungen, ohne zielführende Vorschläge geht den meisten Menschen bereits auf den Geist. Damit findet man sicher kaum Leser.

Der „Schuld“-Aspekt kommt in den Kommentaren immer und immer wieder auf. Ich möchte einfach noch mal darauf hinweisen, dass ich den nicht in die Diskussion hineingebracht habe und dass es mir darum nicht geht. Wenn die Leute recht hätten, die der Meinung sind, dass die Veränderungen des Weltklimas auf die Sonnenaktivität zurückzuführen wären (Spoiler: sind sie nicht), dann wäre das immer noch ein globales Phänomen, das Einfluss auf das Leben von Menschen hat und das Stoff für Literatur sein kann. Ich denke, es muss doch möglich sein, das Thema unter diesem Aspekt zu diskutieren, ohne ständig in Diskussionen über ganz andere Aspekte abzudriften.

Wenn jemand für sich sagt: Ich habe keinen Bock, darüber zu schreiben oder zu lesen, finde ich das vollkommen ok. Ich gehe nicht davon aus, dass meine persönlichen Wünsche, was ich gerne lesen würde, irgendwie Anlass für andere sind, entsprechende Texte zu produzieren. Aber ich hatte die Vermutung, dass es entsprechende Texte hier schon gibt, und wollte gern wissen, was die Autor:innen dieser Texte darüber denken und wie sie es finden, darüber zu schreiben. Hat ja auch funktioniert.

Hi @Katla,

Katla schrieb:
Ich weiß nicht mehr, wer Le Guin genannt hat, (warst du das selbst, Perdita?), aber das ist doch der moralische Zeigefinger per se. Diese fürchterlichen Sozialpolit-Kitschschnulzen wie EarthSea, die uns mit all diesen 'guten' Charakteren zeigen, wie's gehen soll.

Ja, ich habe Le Guin genannt.

Earth Sea habe ich noch nicht gelesen, ich weiß nicht, ob die als Jugendbücher „pädagogischer“ angelegt sind als die für ein erwachsenes Publikum, aber ich mag auf jeden Fall die Bücher, die ich von ihr kenne.

Wir haben ja schon festgestellt, dass es individuell verschieden ist, was verschiedene Leser:innen als moralischen Zeigefinger oder als Propaganda empfinden. ¯\_(ツ)_/¯

Katla schrieb:
Sorry, wenn das fast-OT ist, aber eine extrem realistische und dazu wirklich perfekt gemachte TV-Serie ist das norwegische Okkupert / Occupied.

Das klingt wirklich spannend – und Serien und Filme würde ich nicht als Offtopic betrachten, denn auch die schreibt jemand. Weißt du, ob es irgendwo in englischer oder deutscher Synchronisierung zu sehen ist (oder zumindest mit Untertiteln)? Norwegisch kann ich leider nicht.

 

@Manlio

ich finde, Du hast die Beispiele sehr ungünstig gewählt. Herr der Ringe diente wohl eher dazu, die Leidenschaft des Autors für die Linguistik einer breiten Öffentlichkeit schmackhaft zu machen.
Dass der Oberschurke Bäume fällen lässt, um Waffen zu schmieden, verdeutlicht zwar seine Skrupellosigkeit, aber hauptsächlich, weil der Wald schon immer eine große Bedeutung für die Menschen besaß, die vor allem mit dem ökonomischen Nutzen zusammenhing.

Moby Dick birgt mehrere Interpretationsebenen. Ökologische Kritik würde ich als letztes darin erkennen. Vielmehr ist das Werk gefüllt mit philosophischen Betrachtungen, Wissensvermittlung über die Arbeit auf See und Betrachtungen religiöser Fragen. Es wird, für die Entstehungszeit nicht selbstverständlich, sehr viel aus Perspektive der Arbeiterschicht erzählt. Für einen symbolhaften "Krieg gegen die Natur" existierte damals kaum ein Bewusstsein. Eher für den Kampf gegen eine feindliche Umwelt ums eigene Überleben. Und gerade die fanatische Figur Ahab vermittelt eine Symbolik, die weit über das schnöde Thema Walfang hinausgehen.

Ich habe den Eindruck, du gehst in die Nostradamus-Falle; Durch fleißiges Hin- und Herdrehen lässt sich fast jede Aussage in eine gewünschte Richtung interpretieren. Auch wenn man beiden Werken eine romantische Naturverbundenheit zugestehen kann, dürften die Autoren das Problem des Klimawandels noch nicht auf dem Schirm gehabt haben. Im Übrigen hat die Zerstörung des Lebensraums vieler Arten auch nichts damit zu tun.

Oder liegt die Schuldzuweisung in einer bestimmten Art, Fakten zusammenzustellen?
Die Schuldzuweisungen liegen in den Schuldzuweisungen, die an die Fakten angehängt werden. In diesem Thread nur gering, im Vergleich mit anderen Diskussionsforen.

Grüße
Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

ich finde, Du hast die Beispiele sehr ungünstig gewählt. Herr der Ringe diente wohl eher dazu, die Leidenschaft des Autors für die Linguistik einer breiten Öffentlichkeit schmackhaft zu machen.
Hallo Kellerkind,

zu Moby Dick kann ich nix sagen, aber das Tolkien-Beispiel ist absolut passend. Da hatte ich auch schon dran gedacht. Dein Argument ist ja auch ziemlich fuzzy logic / Gefühl, scheint mir, das ist schade. In der Literaturwissenschaft ist es absolut keine Frage, dass LotR im Wesentlichen als Kritik an der Industrialisierung und genauer an der Zerstörung der Natur durch Kohleabbau in Großbritannien geschrieben wurde (was Tolkien sehr beschäftigte). Wenn du das Ende im Buch liest (der Fluch Sarumans, der mit seiner Ermordung eintritt, die Zerstörung des Auenlandes), ist das auch nicht zu übersehen. Wir hatten das an der Anglistik an der FU Berlin so durchgenommen, und das war 1989-1998, also kann man das jetzt nicht auf aktuelle Sensibilitäten schieben. Die Profs da waren auch eher Spießer. Diese Haltung Tolkiens kannst du auch in den Annotations zu LotR finden (ich hatte dann später 3-4 der fetten extra-Bände dazu gelesen, Harper Collins Publishers).

@Perdita
Ja, Okkupert gefällt dir bestimmt richtig gut. Gibt es als DVD / BluRay auf den üblichen Plattformen zu kaufen. Ich würde OV mit Untertiteln empfehlen (gibt es z.B. als UK-Import), weil die Schauspieler wirklich gut sind (auch in den nordischen Ländern sehr bekannt) und da so viel über Sprache und Missverständnisse erzählt wird.

Das hatte ich übrigens gefunden, als ich meinem Gedächtnis mit den Serien auf die Sprünge helfen wollte: The Geopolitics of Nordic Noir - akademischer Artikel.

Wenn du auch auf TV Produktionen gehen magst, läuft das Thema wirklich sehr oft mit, teils unterschwellig, teils als Hauptthema einzelner Staffeln. Z.B.
- 1. Staffel von Bron | Broen (The Bridge, SWE / DÄN), wobei es v.a. um politischen Aktionismus und Tierschutz zu gehen scheint (die Sache ist allerdings komplexer als das). Extrem gut. Nicht zu verwechseln mit den vielen Nachahmungen aus anderen Ländern. Absolut perfekte Serie in den Staffeln 1-3, danach leider vergessenswert bis ärgerlich. Unbedingt in der OV gucken.
- 1. Staffel von White Walls (SWE / FIN, 2020 - gibt es noch nicht synchronisiert / UT, aber kommt sicher bald, der macht hier grad richtig Furore. Ist letzte Woche mit allen Episoden gleichzeitig angelaufen und hat mir extrem gut gefallen. Thema: Atommüll-Lagerung. Spekulativ, SF/Thriller - allerdings in einer Realität von Morgen, nicht Überübermorgen.
- Die ganze Serie Fortitude (UK, aber Nordic Noir und an skandinavischen Settings gedreht). Ich finde die allerdings an den Haaren herbeigezogen und unglaubwürdig, aber der Vollständigkeit halber.
- Tellus (FIN), wobei es um eine Umweltschutzgruppe geht, ich hab eine oder mehr Folgen im TV gesehen, krieg das aber nicht mehr richtig zusammen.

Überhaupt kannst du auch mal beim anspruchsvollen Thriller (Roman) nach 'Nordic Noir' googlen, da geht es nahezu immer um eine subtile Gesellschaftskritik und oft auch um Umweltfragen. Die Qualität schwankt natürlich.

Du hattest angesprochen, dass du aktuelle Thematiken in KGs vermisstest, also das Hier & Jetzt des Klimawandels. Da die meisten von uns wohl in Städten dichtbesiedelter Gebiete leben, ist das wohl auch schwerer zu merken.
Ein Thema könnte man aber wirklich verarbeiten: (Finnisch) Lappland und die Rentierzucht der Sámi. In den letzten Jahren ist dort die gesamte Tradition (und das Einkommen) in Gefahr geraten, und es ist kein Happy End abzusehen. Normalerweise sind Winter dort zw. -10°C und -40°C kalt. Und zwar so, dass es von Herbst bis Frühjahr durchgehend friert. Dadurch ist Schnee & Eis pulverig, die Rentiere können die Flechten am Boden mit den Hufen freikratzen. Jetzt schwanken die Temperaturen auch immer mal wieder bis knapp über 0°C, das Eis taut an, gefriert nachts wieder, und damit schließt sich das Eis zu einer extrem harten, glasartigen Schicht, sodass die Tiere nicht mehr durchkommen. Also muss mit Heu zugefüttert werden. Nun sind die Herden nicht in Gehegen, sondern ziehen völlig frei durch ein riesiges Areal. Tausende verhungern jedes Jahr. Das ist laut der Sámi in ihrer überlieferten Geschichte nie vorgekommen.

Dazu (auch hier in Helsinki zu beobachten) wachsen andere Flechten an den Bäumen wie irre, weil die Winter zu warm und nass sind. Bei uns gehen ganze Waldflächen ein. Auch das ist neu, und sieht echt gruselig aus. Und das Meer hier im Süden war sonst richtig fett zugefroren zw. Dez und März, letztes Jahr gab es 6 Wochen lang eine flimsige, nicht-durchgehende Eisschicht. Bald kann ich im Febr segeln (was wir um Weihnachten rum bei den üblichen +12°C auch tun).

Das wären aktuelle Settings, die man auch in Erzählungen so verarbeiten könnte, ohne in die SF zu gehen.

Dann fiel mir noch Peter Høegs neuerer Roman The Susan Effect ein (eigentlich ein Remake seines gefloppten The Quiet Girl). Es geht quasi um die Rettung der Welt durch Kids mit paranormalen Kräften / besonderen Befähigungen (ob das klappt, bleibt offen). Ich liebe ja sein Miss Smilla, aber den fand ich eher nervig bis irritierend. Passt dennoch in dein Thema.

Ich hab jetzt nicht bei den TV Serien geschaut, wo du die finden könntest, weil ich kein PayTV habe, das läuft hier alles im kostenlosen StaatsTV, auch online. Aber Bron | Broen gibt es auf jeden Fall auf DVD.

Herzlichst,
Katla

 

Hi @Katla

ich beuge mich Deinem Spezialwissen. Meine Kenntnisse bezüglich Tolkiens Werk reichen nicht tief genug, um darüber leidenschaftlich zu debattieren.
Ich habe die Geschichte seinerzeit eher als Pflichtlektüre zu mir genommen und natürlich, wegen seiner wichtigen literaturgeschichtlichen Stellung, auch einiges an Sekundärliteratur verarbeitet. Dabei habe ich mich mehr auf die gesellschaftspolitischen Aspekte des Werks konzentriert.

Auch wenn Du wahrscheinlich besser über Tolkiens Motive informiert bist,

ich hatte dann auch 3-4 der fetten extra-Bände dazu gelesen
:eek:

so bleibt doch sein Interesse am Schutz der heimischen Landschaft, noch weit entfernt von der Problematik des Klimawandels.
Sein Sauron wäre nach seiner Wertvorstellung genauso böse, wenn er die Wälder vernichtet hätte, um dort Windräder aufzustellen, oder die Bewohner des Auenlandes in Knechtschaft gezwungen hätte, um seltene Erden für Elektroautos aus ihren Bergwerken zu fördern.
Das sehen heutige Klimaaktivisten anders.

Grüße
Kellerkind

 

Ich nochmals, wenn ich darf, denn selbst in der amerikanischen Wirtschaftsliteratur gibt es in Krugman und Galbraith (ich hoff, die Namen korrekt geschrieben zu haben) Abweichungen vom "mainstream".
Aber sind nicht schon Prometheus und Pandora-Mythos erste literarische Zeugnisse hinsichtlich der Umweltfrevel, die ja mit der Beherrschung des Feuers (dessen segensreicher Nutzung wir nicht nun am Amazonas zuschauen) und als an der Archäologie Interessierter weiß man auch, dass die "ursprünglichste" durchschnittliche Lebenserwartung gleich der des heutigen Gorillas maximal 35 Jahre betrug und ab dem 30. Jahr der Alterungsprozess sich beschleunigte, dass der Begriff der Generation festgelegt war und die Zahl der Nachkommen mindestens zwo zur Erhaltung der Sippschaft und drei "Überlebende" zum "Wachstum" der Familie sein mussten.

Wir sind halt immer noch, nach einem Wort von Karl Kraus, die alten Troglodyten - nur eben auf technologisch höherem Niveau.

Tschüss

Friedel

 

Ist es denn tatsächlich relevant, was der Autor von HdR oder Moby Dick sich tatsächlich dabei gedacht hat? Wir sind uns sicherlich alle einig, dass es bei der Interpretation von Texten nicht zwingend darum geht herauszufinden, was der Autor tatsächlich sagen wollte, sondern für uns selbst etwas aus dem Text ziehen möchten. Inspiration, Ideen, Anschauungen.
Wir haben das hier im Forum immer wieder, das bei der Kritik von Texten darauf wertgelegt wird, dass zwischen dem was der Autor sagen wollte / gesagt hat und der Interpretation der Kritiker sehr wohl etwas unterschiedliches rauskommen kann und auch darf und es nicht das eigentliche Ziel ist, die eigene Aussage so extrem deutlich darzustellen, dass ein jeder es auf jeden Fall so interpretieren muss.

Bedeutet das aber nicht auch im Umkehrschluss, dass ich einen Text auf Basis einer neuen Perspektive uminterpretieren darf? Ohne, dass danach kritisch hinterfragt wird, ob denn das der Autor überhaupt aussagen wollte?

Bei deiner Interpretation der Aussage von "The Hunger Game" hast du, @Kellerkind , sicherlich auch nicht zuerst recherchiert, was Suzanne Collins denn selbst über ihre Bücher sagt, denn sie ist ziemlich deutlich dabei, dass ihre zentralen Themen Krieg, Frieden und Armut waren und nicht Kommerz und Verzicht. Dennoch ist es das, was du aus der Geschichte ziehst und das ist völlig legitim, denn die Interpretation des Buches ist allein deine Sache, nicht die von Frau Collins.

Für mich ist "Eine Billion Dollar" immer noch ein Buch, das den Umgang des Menschen mit der Natur, dem Klima und dem Wachstum der Menscheit thematisiert, denn der Protagonist läuft einen großen Teil des Buches von Professor zu Professor, redet mit denen über genau diese Themen und was man denn ändern könnte, um aus deren Meinung und Empfehlungen schlau zu werden, @Perdita sieht das dagegen völlig anders. Was Eschbach damit sagen wollte, habe ich jetzt nicht recherchiert, ist aber wahrscheinlich nochmal was ganz anderes.

In einer meiner geliebtesten Pen&Paper-Spielwelten, Shadowrun - ein Fantasy-SF-Cyberpunk-Crossover - steht "Herr der Ringe" aufgrund von diskrimierenden Inhalten auf der roten Liste. In einer Welt, in der Orks und Trolle einfach nur eine Ausprägung des Homo Sapiens sind, sicherlich logisch, dass Tolkien jedoch tatsächlich Orks und Trolle diskrimieren wollte, wage ich allerdings zu bezweifeln :)

Grüße
feurig

 

Hallo @feurig

das ist natürlich unbestritten, dass die Interpretation von Kunst immer dem Publikum obliegt. Bei Eschbach und anderen modernen Autoren ist es nicht abwegig, das Thema Klimawandel zu verorten, da SF meist den Zeitgeist spiegelt. Aber der Kreativität der Interpretation sollte die Logik Grenzen setzen. Man darf mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Klimawandel als Folge der industriellen Entwicklung zu Melvilles Zeiten noch nicht bekannt war. Also war dieses Thema nicht Intention des Autors.
Trotzdem kann man oft aus historischen Stoffen Aussagen herausziehen, die gut auf moderne Probleme passen. Das gilt für moralphilosophische Fragen, die sich im Grundsatz über Jahrtausende hinweg kaum geändert haben. Zwischenmenschliche, soziale Konflikte existieren heute, wie zu Zeiten der Pharaonen. Deshalb funktionieren viele uralte Motive auch heute noch, in zeitgemäßer Form aufbereitet. So war die kritische Sicht auf die Zerstörung der natürlichen Umwelt auch in früheren Zeiten hin und wieder ein Motiv in der Kunst.
Genauso kann man Frankenstein bezüglich aktueller Gentechnik interpretieren, da die gleichen ethischen Fragen berührt werden.
Weder bei Melville noch bei Tolkien wird eine ethische Frage des Klimawandels berührt. Zum einen, weil sich ihre Romane nicht mit Themen befassen, die irgendetwas mit Klimawandel zu tun haben, und zum anderen, weil der Klimawandel keine moralische Frage ist, auch wenn das oft so dargestellt wird. Die gesellschaftliche Diskussion läuft nicht darüber, ob der Klimawandel moralisch richtig oder falsch ist, sondern ob und wie er verhindert werden könnte.
Natürlich kann jeder Leser jeden Stoff interpretieren, wie er will. Wenn die Interpretationen aus ideologischen Motiven geschehen, versagt aber jede Argumentation auf literaturkritischer Ebene.

Ein anderer Fall ist das Erkennen (nicht: Interpretieren) ideologischer Motive in einem vorgeblichen Unterhaltungsroman. Danke für den Hinweis auf die Erklärung der Autorin, dass es bei Hunger Games um Hunger geht. Das zeigt, wie hoch die Autorin das Niveau ihrer Leser einschätzt.

Schöne Grüße
Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

In einer meiner geliebtesten Pen&Paper-Spielwelten, Shadowrun - ein Fantasy-SF-Cyberpunk-Crossover - steht "Herr der Ringe" aufgrund von diskrimierenden Inhalten auf der roten Liste. In einer Welt, in der Orks und Trolle einfach nur eine Ausprägung des Homo Sapiens sind, sicherlich logisch, dass Tolkien jedoch tatsächlich Orks und Trolle diskrimieren wollte, wage ich allerdings zu bezweifeln
Hallo feurig, haha, das ist ja eine 'lustige' Anekdote *schauder*. Keinen Plan von nix aber erstmal fröhlich auf zur Bücherverbrennung. (Ich mag übrigens auch einiges von Tolkien nicht: all diese niedlichen Hobbitgeschichten; und die hehren Elbenwelten allein sind auch nur fürs Worldbuilding spannend.) Tolkien wird da interessant, wo es um Konflikte geht. Dann erzähl mal den Leuten da, sie sollen genauer lesen: Das, was so oft als Rassismus rausgepickt wird, ist nämlich der interessanteste Konflikt bei Tolkien.
Die Elben sollen ja perfekt sein, auch moralisch. Saruman fängt sich ein paar hundert von denen und foltert sie in unterirdischen Kerkern oder Höhlen so lange - evt. ein paar menschliche Jahrhunderte - bis sie sich physisch und psychisch unter dem Druck ihrer Schmerzen und der Magie verändern. Die Orks sind nichts anderes als 'pervertierte' Elben. Die Orks hassen die Elben, weil sie ihre positive, ursprüngliche Form sehen und nicht mehr zurück können. Die Elben wollen die Orks vernichten, weil die darin ihr dunkles Spiegelbild sehen, all das, was sie in ihrer idealen Gesellschaft überwunden glaubten: Neid, Hass, Aggression, Gewalt, Instinkte. Mehr noch als dass sie sie hassen, fürchten sie sie, eben weil sie Angst haben, dass dies auch in ihrer idealen Form irgendwo schlummert (heute würde man wohl von Verdrängung reden).
Das ist ein so finsterer, fieser Entwurf, den finde ich absolut grandios. Ist übrigens keine postmoderne Interpretation, dazu gibt es Originalquellen zusätzlich zum Roman, ich hab nur die Bücher nicht mehr (in den Annotations findet man aber einiges, ein Band ist meiner Erinnerung nach nur über die "Bösen").

Daher hat dieser Konflikt absolut nix mit Rassismus zu tun (selbst wenn Tolkien aus heutiger Sicht von mir aus als Traditionalist, Langweiler, Reaktionär bezeichnet werden kann), aber dann eben ist dieses Beispiel so unpassend wie nur irgendwas. Es ist das Gleiche, das heute in Postcolonial Studies analysiert wird: Man fürchtet im anderen das Negative im Selbst oder nutzt es für unrealistische Projektionen seiner eigenen Ängste.
Es gab auch nicht nur Kritik, dass Jackson das Ende von LotR gezuckerwattet hat, sondern auch, dass die Herkunft der Orks (bzw. im Film Uruk hai) nicht erklärt wird.


Hallo Kellerkind,
Man darf mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Klimawandel als Folge der industriellen Entwicklung zu Melvilles Zeiten noch nicht bekannt war. Also war dieses Thema nicht Intention des Autors.
Ich erinnere nochmal kurz an den Titel dieses Threads: Klimakrise und ökologische Krise. Wenn die Industrialisierung nicht letzteres war, weiß ich auch nicht.

Was ist die Quelle für deine Aussage, woher hast du das?
Es ist typisch für uns (ich nehme mich da nicht aus), dass wir meinen, wenn wir etwas nicht wüßten, hätte es auch vorher nicht existiert. Stichwort "Forschungsgeschichte des Klimawandels": Der natürliche Klimawandel wurde 1824 entdeckt (u.a. Jean Baptiste Fourier), und die Verbindung zur CO²-Emission wurde 1856 gezogen (von einer Frau obendrein: Eunice Newton Foote).
Im Vergleich: Moby Dick: 1851, Lord of the Rings: 1937 (über 100 Jahre nach Fourier), Frankenstein: 1818.
Wir hocken also bald 200 Jahre auf diesen Infos, und nicht erst seit der Club of Rome vor 40 Jahren seinen legendären Bericht veröffentlichte.

Nicht umsonst ist die Viktorianische Zeit die, über die mit am meisten geforscht und publiziert wird. Interessant ist auch die Reaktion der Leute damals: als elektrische Trams und erste Autos begannen, die Pferdekutschen zu verdrängen, sind eine ganze Menge Städtebewohner - Männer wie Frauen, es waren also nicht die engen Korsetts :D - mit Nervenanfällen auf der Straße zusammengebrochen und kamen erstmal ins Spital. Der ungewohnte Lärm (heute fänden wir wohl beschlagene Hufe & Wagenräder lauter) und all die technischen, mechanischen Innovationen war zu viel für die Leute.
Und das passt schon zu Perditas Frage: Warum wird dazu nicht mehr Prosa geschrieben? Weil wir zwar auch mit dem Hirn unseren eigenen Erfindungen hinterherhinken (wir sind nach wie vor von Instinkten geleitet, auch im Management: fight or flight, Sexualtrieb, Konkurrenzkampf, Resourcen-Horten, Schnäppchen'jagd' & Spielsucht). Aber wir bemühen uns, diese Irritationen zu verdrängen: Fracking? Tough shit. Fukuschima? Ist ja irgendwann abgebaut. Atommüll: Vergraben. Aus den Augen ...
Wir wollen nicht so naiv sein, wie die Leute der Viktorianischen Zeit, wir wollen denken, wir seien unserer Welt gewachsen. Könnten Entscheidungen fällen. Das ist aber nur begrenzt der Fall, weil wir fürchterlich irrational handeln. Wir sind auch nur Tiere, und die Entwicklung unseres Hirns hinkt seiner Kreativität hinterher: Z.B. können wir nur Mitleid mit max. 150 Menschen zur gleichen Zeit haben. Das kommt noch aus Zeiten, in denen die Gemeinschaften kleiner waren, solche Denkstrukturen ändern sich nicht so schnell. Daher ist es physiologisch faktisch unmöglich, mit Millionen von Leidenden echtes Mitleid zu haben. Das erschwert eben verantwortungsbewussteres Handeln auf globaler Ebene.

Manlios Einwurf mit der Literatur des 18./19. Jahrhunderts ist daher umso interessanter. Was früher noch Warnung war (weil sie in einem echten Entsetzen geschrieben wurde, zumindest bei Tolkien), ist heute sarkastische Dystopie, mit der eine gewisse Abgeklärtheit, Härte vermittelt wird. Eigentlich brauchten wir wieder dieses ursprüngliche Erschrecken vor unseren Innovationen. Und ich vermute, dass Umwelt-Aktionismus diesen Versuch unternimmt (ob nun die Mittel sinnvoll sind, lasse ich mal dahingestellt).

 

Hallo zusammen,

ich hab noch nicht aufgeholt mit dem Lesen der Beiträge, ich hoffe das gelingt mir im Laufe der Woche. Ich wollte aber einen Hinweis schon mal hier lassen, bevor ich es vergesse, für alle die sich für das Thema interessieren:

Vom 04.-06. Dezember gibt es ein Climate Fiction Festival (wird gestreamt, andere Formate sind ja momentan schwierig), da sind einige sehr interessante Progammpunkte dabei

Climate Fiction Festival | Programm

 

Der natürliche Klimawandel wurde 1824 entdeckt
Leider werden oft in Diskussionen zum Thema solche absurden Aussagen geäußert. Es wird schwierig zu erklären, wie 1824 ein Klimawandel entdeckt wurde, owohl damals noch gar keine Daten aufgezeichnet wurden. Und schon gar nicht global. Wenn man das ernsthaft glaubt, dann ist es natürlich auch plausibel, dass Melville und Tolkien den Klimawandel beschreiben.
Ich verabschiede mich mit der Empfehlung, naturwissenschaftliche Fragen nicht auf den Webseiten von Studenten der Sozial- und Geisteswissenschaftlen, aka Klimaaktivisten, zu recherchieren, sondern bei fachspezifischen Quellen.
Fourier hatte den Treibhauseffekt experimentell nachgewiesen, das hatte seinerzeit weder mit Klimawandel noch Umweltzerstörung zu tun. Der Nachweis für den Zusammenhang der globalen Erwärmung mit der CO2 Konzentration wurde in den 1950ern erbracht. Das ist lange genug her, um sich darüber zu empören, dass nicht reagiert wurde. Da muss man nicht hundert Jahre hinzu dichten.

Grüße!
Kellerkind

 

@Kellerkind hat natürlich Recht - sonst könnte ich jetzt behaupten, Wikinger hätten auf "Grönland" den "Klimawandel" entdeckt und im Gegensatz zu ihnen haben die Ureinwohner sich an die sich ändernden Bedingungen der kleinen Eiszeit anpassen können.

 

sonst könnte ich jetzt behaupten, Wikinger hätten auf "Grönland" den "Klimawandel" entdeckt und im Gegensatz zu ihnen haben die Ureinwohner sich an die sich ändernden Bedingungen der kleinen Eiszeit anpassen können.
Damit wärst du in sehr guter Gesellschaft (scroll mal auf die Mitte circa). "Mitschuld" hatte wohl ein Vulkanausbruch in Indonesien. ;) :D

 

Liebe Perdita,

ich habe keine weiteren Antworten gelesen, von daher hoffe ich, dass ich nicht wiederholend auffalle:

Ich vermute, dass sich die Leute einerseits vor der komplexen Recherche scheuen, was auch löblich ist, ansonsten würde ja nur herumfantasiert werden.
Andererseits ist das Thema so komplex, dass es schwierig ist, da einen Teil rauszuziehen.

Nur eine KG auf emotionaler Ebene zu schreiben geht dabei auch nicht, Hintergrundwissen ist nötig. Für mich der Gedanke, wieso so wenige darauf anspringen.

 
Zuletzt bearbeitet:

ich weiß,

liebe @Katla ,

und seit dem Atlantis-Mythos und den sieben Plagen aus dem hebräischen Gründungsmythos bis zum Untergang der minoischen Kultur usw. usf. weiß ich ziemlich viel und die "kleine" Eiszeit, auf die Du anspielst, hatte ja bis zur industriellen "Revolution" ihre Auswirkungen auch auf die westl. Zivilisation.

Einschub 21.11.2020, ca 23.54 MEZ: Über das Schicksal der Wikinger auf Grönland berichtet übrigens auch gleich der von @kiroly genannte Kollaps von Jared Diamond.

"Wasser" spielte eine entscheidende Rolle übrigens wenige Generationen, bevor das Pferd wieder in Amerika heimisch wurde. Buchstäblich wurde die Mississppi-KUltur "ersäuft" (selbst Jefferson wunderte sich ob der Hügel (Mounds), die menschengemacht waren.
Die Geschichte der Anasazi am andern Ende des Halbkontinents ist wahrscheinlich umgekehrt, durch Trockenperioden beendet worden. Da gibt's die Mythen ihrer mutmaßlichen Nachkommen in den Pueblos, den Hopi.

Mein Interesse an Amerika ist übrigens weniger durch beispielsweise Levi-Strauss als Karl May geweckt worden, als ich in den Filmen der 60er Jahre den wahrscheinlich "primitivsten" Stamm in "Pueblos" vorgegaukelt bekam.

Wie dem auch sei - ich setz mal eins drauf: Schon der "natürlichst" lebende Stamm begeht Umweltsünden und selbst als Pfadfinder haben wir unsere Spuren hinterlassen und nicht nur im Suff.

Bis bald

"Muck",
so mein Name unter den "Geusen"

 

Irgendwie hat mich ein Aspekt der Diskussion beschäftigt, @Perdita. Du hast ja explizit nach Literatur gefragt, nach fiktionaler Literatur, trotzdem ein nicht-fiktionales Werk: Kollaps von Jared Diamond (vielleicht schon ein Klassiker), ein Geograph, der sich mit den Wechselwirkungen zwischen dem Untergang einer Kultur und der Übernutzung ökologischer Ressourcen beschäftigt hat. Wurde, glaube ich, viel kritisiert, ich habe es gerne gelesen.

Andererseits: Rückkehr nach Reims von Didier Eribon. Da geht es nicht um den Klimawandel, beworben wird das Werk als Erklärung für den Aufstieg des Front Nationals in Nordost-Frankreich. Man läuft immer der Gefahr, nach der Lektüre eines tollen Textes die Welt durch dessen Schablone zu sehen. Das kann verfälschen. Oder aufdeckend sein.

Mich überrascht, wie lokal und klassenspezifisch FFF trotz universalen Anspruchs geblieben ist. Aus Leipziger Sicht: FFF empfand ich als ein Phänomen der Südvorstadt, von Plagwitz bis Neustadt-Neuschönefeld. Nicht eines von Mockau, Grünau oder Paunsdorf. Sprich das Phänomen einer akademisch (oder bald-akademischen) urbanen Mittelschicht, Abitur, weltoffen, nett, (angestrebte) Jobs mit hoher gesellschaftlichen Wertschätzung (was mit Systemrelevanz und Verantwortung nicht immer eine Schnittmenge bildet). Der urban-weltoffene Glaube, man kann alleine ganz, ganz viel schaffen und etwas ganz großes leisten. Ich arbeite in Leipzig-Land, in Böhlen, Markkleeberg, Rötha, Pegau, Zwenkau, bis Groitzsch, alles ehemalige Tagebauorte. Von den Azubis, die ich dort betreue, ging niemand zu FFF. Im Gegenteil, Greta Thunberg galt als nervige Zicke. "Eine Bratwurst für mich, eine für den Klimawandel". Albern, ja. Vielleicht Einzelfälle, ich weiß es nicht.

Auf die Gefahr hin, dogmatisch zu erscheinen, muss ich widersprechen. Eine eigene Realität basteln, das kann man in einer Geschichte, aber in der richtigen Welt gibt es Fakten, die sind wissenschaftlich extrem gut belegt.
Meinerseits missverständlich ausgedrückt, entschuldige! In diesem Thread wird nicht über Fakten geredet sondern über ein Verhalten, über eine Art, mit den Fakten umzugehen.

Für die meisten Menschen, die ich im Leipziger Land berate und versorge, ist der Klimawandel nur ein weiterer, wissenschaftlich fundierter und phantastisch vorgetragener Vorwand, ihr eigenes Leben einschränken zu müssen. Keine Ahnung wo das herkommt. Vielleicht summierten sich diese miesen Erfahrungen mit juristisch, ökonomisch und wissenschaftlich belegten und rhetorisch perfekt vorgetragenen "Notwendigkeiten". Arbeitslosigkeit, Hausverlust, höhere Benzinpreise, Wertverlust von Auto und Immobilien, Verlust von Sicherheit, ABM, Anrechnung des Lehrgehalts der Tochter auf eigenes Hartz IV, Wohngeldkürzung trotz fehlender Unterhaltszahlung des Partners, Verlust des Pflegegrads, Nicht-Auszahlung der Prämie Altenpflege, keine bezahlten Pausen (Exkurs: Es gibt wirklich Arbeitgeber, die in Stellenanzeigen pünktliche Gehaltszahlung angeben) im besten Fall gestiegene Haushaltskosten, die örtliche Großbäckerei kann wegen eines Fledermausart nicht ausbauen. Meist kleiden sich solche Notwendigkeiten in schöne Worte: " Wir nehmen ja alle mit, wir sind alle eins, wir sind tolerant, wir ziehen gemeinsam an einem Strang, wir wollen nur das Gute und das Gute ist das Beste für unseren Planeten. Wir differenzieren. Wir müssen immer differenzieren., Wir suchen nach optimalen Lösungen, in der alle gewinnen und niemand verliert." Meist entstehen dann unkonkrete, wolkige Vorschläge ("da müssen eben mehr Busse im ländlichen Raum fahren, dann nutzen die Leute den Bus, dann wird das schon").

Ich weiß, mit Klimawandel scheint das nichts zu tun zu haben - aber der Eindruck, bei jedem politisch wichtigen Thema auf der Verliererseite zu stehen, ist so tief, dass der simple Hinweis auf einen wissenschaftliche Begründung als Spott empfunden wird. Und so existiert ein großes Misstrauen gegen diese rhetorisch und juristisch bewanderte akademische Elite und Mittelschicht (in die ja FFF in 10-15 Jahren aufgehen wird).

@jimmysalaryman beschreibt das treffend:

Viele Menschen aus der Arbeiterklasse bzw der arbeitenden Bevölkerung haben wirklich eher andere Dinge zu tun, als sich um die Klimakrise zu kümmern: in diesem Dispositiv steckt ja sehr viel drin, ich muss mir Wissen anlesen, mich vernetzen, aktiv werden, diese ganze Sache übersehen, mein eigenes Verhalten organisieren und planen. Wenn du zwei Kinder und einen Job und eventuell noch einen Nebenjob hast, wirst du da eher weniger Zeit investieren können.

Was ich sagen will, und was mich auch ein wenig an dieser Diskussion stört: aus welcher Position das alles verhandelt wird.


Denn gegen diese Position kann ja, sagen wir mal, ein Zugbegleiter aus Rötha gar nicht argumentieren: Es ist ja ein wissenschaftlicher Fakt, dass etwas getan werden muss, denn der Planet liegt ja in einer gigantischen Notlage. Auf einem Kommunikationsmodell: Hier wird gesendet, aber der Empfänger wird nie zum Sender. Ich polemisiere: Was mich an FFF stört, ist diese Selbstverständlichkeit, mit der ein Verhalten von allen geteilt werden muss. Verbunden mit dem Glauben, man sei sehr tolerant und freundlich, wenn man sich als tolerant und freundlich empfindet.

Ich möchte hier keinen kulturellen Klassenkampf heraufbeschwören. Ist ja nichts neues, was hier schreibe.

Ich hoffe, ich klang nicht zu konfus oder polemisch.

Lg aus Leipzig :-)
kiroly

 

Passend zum Thema:

Von heute bis zum 6.12. findet das Climate Fiction Festival im Literaturhaus Berlin statt.

Beschreibung von der Webseite:

Das Climate Fiction Festival bietet Autor*innen und Wissenschaftler*innen eine Bühne, auf der sie ihre Arbeiten vorstellen und ihr gemeinsames Thema diskutieren können: das Klima, seine drastische Veränderung und die Möglichkeit der Literatur, auf die ökologische und gesellschaftliche Krise zu reagieren. Welche Rolle spielen Klima und Klimawandel in der Literatur der Vergangenheit und Gegenwart? Wie reagieren die Autor*innen auf die existentielle Dringlichkeit des Themas? Im Krimi, Thriller, Sci-Fi-Roman, Lyrik oder Sachbuch wird von einer der wichtigsten Herausforderungen unserer Gegenwart erzählt, werden Dystopien ausgemalt und neue Utopien entworfen.
Das Climate Fiction Festival Berlin ist weltweit das erste mehrtägige Literaturfestival mit dem Schwerpunkt Klimakrise und Literatur. Zur ersten Auflage im Dezember 2020 laden wir Autor*innen und Expert*innen aus Österreich, der Schweiz, Dänemark, Deutschland, der Türkei, England und den USA ein.

Alle Veranstaltungen sind kostenlos und live [...] auf dem YouTube-Kanal des Literaturhaus Berlin zu sehen.

 

Wurden glaube ich noch nicht genannt:

- 2101 - Was aus uns wurde: Post-Climate-Fiction-Stories
- Bienen oder die verlorene Zukunft

Zwei Anthologien zum Thema, beide nur wenige Monate alt.

 

Ich merk, ich werd lästig, aber beim Studium der heutigen Zeitung wurde ich auf folgendes Problem gestoßen durch Ranga Yogeshwar -

wenn mutmaßlich die Metropolen noch und noch wachsen und gleichzeitig der Drang zum Eigenheim immer größer wird mitsamt der darauffolgenden Betonierung der ländl. Regionen ...

Was, wenn die nächste Generation die Stadtflucht antritt?
Aufschub bis zur übernächsten?

Wieder drängt sich mir die Eigentumsordnung auf ... Da muss man kein Marxist sein - eine Ideologie, die so wenig mit ihrem Namensgeber zu tun hat wie die christlichen Kirchen und der Olymp.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo zusammen,

ich versuche, wieder in die Diskussion einzusteigen, und "überspringe" eine ganze Menge Beiträge. Sicherheitshalber möchte ich noch mal dazu sagen, das mache ich nicht, weil ich denken würde, dass die anderen es nicht wert wären, drauf zu reagieren, sondern schlicht weil ich nicht genug Zeit oder Energie habe, auf alles einzugehen. Vielleicht komme ich später noch dazu, auf weitere Beiträge zu antworten, aber da bin ich nicht sicher, weil ja die ganze Zeit neue dazu kommen. Also ich greife mir jetzt einfach Sachen raus, wo ich mich direkt animiert fühle, etwas dazu zu sagen. Wenn ihr in dem bisherigen Thread was geschrieben habt wo ihr das Gefühl habt, ich bin euch bisher eine Antwort schuldig geblieben, könnt ihr mir auch eine PN schreiben und dann würde ich mich bemühen da noch etwas dazu zu schreiben. Aber eigentlich läuft ja die Diskussion auch ohne meine Beteiligung gut ... :)

Hi @Manlio,

Ich habe das ziemlich schnell unterschrieben, aber vielleicht stimmt es nur im engeren Sinne, in Form von Literatur, die Klimawandel etc. ausdrücklich thematisiert. Viel größer könnte der Anteil derjenigen Bücher sein, die diese menschengemachten Probleme zumindest streifen oder in anderer Form verarbeiten.
Das fiel mir auf, als ich an zwei Bücher dachte, nämlich den Herrn der Ringe und Moby Dick. Im HdR wird das ja im Grund auch alles gebracht, aber bildhaft, als Fantasy - der "Unternehmer" Sauron, der Bäume fällen lässt, der das Idyll Mittelerde bedroht. Und in Moby Dick haben wir auch dieses moderne Thema, den Krieg des Menschen gegen die Natur, selbst wenn hier alles noch relativ harmlos aussieht, wenn ein paar Seemänner Jagd auf Wale machen. Und doch ist in dieser scheinbar romantischen Szene des frühen 19. Jahrhunderts alles angelegt, was später zu einem Riesenthema werden kann; der Fanatismus, mit dem das "unvernünftige Wesen" gejagt wird, der ist doch das Interessante, was ist das für eine Hybris, die uns antreibt, den Planeten "uns untertan" zu machen?
Ich möchte die These also etwas relativieren.

Das ist noch mal ein anderes - aber auf jeden Fall auch spannendes! - Thema. Mir ging es beim Starten des Threads erst mal um Literatur, wo die Autor:innen sich bewusst mit der Klimakrise/ökologischen Krise auseinandersetzen wollen.

Aber ich stimme dir zu, dass auch Literatur, die nicht mit dieser Intention entstanden ist, uns zu diesem Thema etwas "sagen" kann. Ich kann der "Tod des Autors"-These, also der Idee, dass man sich bei der Interpretation eines Werkes nicht unbedingt damit aufhalten muss, was der Mensch der es geschrieben hat sich dabei gedacht hat, auf jeden Fall was abgewinnen. Und ich finde es passt durchaus zu dieser Diskussion, auch über Werke zu reden, die vor der Zeit entstanden sind, wo es ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für diese Krisen gab, weil sich in vielen Fällen trotzdem etwas relevantes dazu "herauslesen" lässt. Aber das ist dann halt recht individuell.

Tolkien hat für mich persönlich keinen wirklichen Bezug zum Thema - was nicht heißen soll, dass es für andere nicht diese Bedeutung haben kann. Ich habe ähnliche Interpretationen wie deine auch schon mal an anderer Stelle gelesen. Aber für mich passt es nicht, Herr der Ringe als Kommentar zur ökologischen Krise in der realen Welt zu lesen, und zwar weil es eben so ein sehr eindeutiges "Gut und Böse"-Narrativ ist. Es gab zwar zahlreiche Kommentare in diesem Thread, die mir unterstellt haben, dass ich mit der Aussage "Menschliches Verhalten ist die Ursache des Artensterbens und der Klimakrise" meinen würde "Menschen sind böse". Aber ich sehe mich selbst und meine Artgenossen tatsächlich nicht als Orks oder sonstige Sauron-Anhänger. ^^

Niemand bohrt nach Öl oder holzt einen Wald ab und denkt sich dabei "Muahahaha, bald werde ich die Welt zerstört haben". Wir führen keinen Krieg gegen die Natur. Wir begehen fahrlässige Tötung - und wir stehen selbst auf der Liste der potenziellen Opfer.

Das heißt nicht, dass niemand moralisch zu verurteilen wäre - die Leute von Exxon beispielsweise, die lange bevor es Allgemeinwissen war Zugang zu Studien über die zu erwartenden Folgen der Klimakrise hatten und sich entschieden haben, diese unter Verschluss zu halten, denen würde ich auf jeden Fall individuelle Schuld anlasten und die wären als literarische Figuren klar "die Bösen". Aber ich fände es reichlich absurd, Menschen, die ihr Auto volltanken, um zur Arbeit fahren zu können, als Armee der Finsternis zu casten.

Moby Dick ... ich war sehr jung und schon damals sehr umweltbewegt, als ich das gelesen habe, und ich erinnere mich, dass aus meiner Sicht der weiße Wal der Held des Romans war und ich der Besatzung des Walfängerschiffs keinerlei Sympathien entgegen gebracht habe ... :D
Würde ich das Buch heute noch mal lesen, würde ich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Dinge darin sehen, die ganze religiöse Symbolik etc. war damals wirklich ein bisschen zu hoch für mich.

Es gibt aber auch für mich ältere Literatur, die etwas von dem einfängt, was ich persönlich mit unserem kollektiven Dilemma verbinde - vollkommen unabhängig von der Intention des Autors. Ganz oben auf meiner Liste ist da H. P. Lovecraft. Figuren, die miterleben, wie Mächte freigesetzt werden, die Menschen nicht begreifen können und denen gegenüber sie völlig hilflos sind - da sehe ich definitiv Parallelen zu meinem Lebensgefühl. Der uralte Kohlenstoff, der in den Permafrostböden gespeichert ist, ist zwar kein Tentakelmonster, aber er kann potenziell genauso viel Schaden anrichten und hat genausowenig Verständnis und Mitgefühl für die Menschheit, die ihn aus Unwissenheit und Hybris entfesselt ...

Selbst antike Werke haben Anknüpfungspunkte - die Leute damals verstanden halt was von Tragödien. Klimawissenschaftler:innen und Ökolog:innen mit Kassandra zu vergleichen, ist mittlerweile schon ein Klischee - aber der Vergleich trifft es eben auch verdammt gut.

Trotzdem finde ich persönlich es hilfreicher, Sachen von zeitgenössischen Autor:innen zu lesen, die sich bewusst und mit Intention mit dem Thema auseinandersetzen, als mir aus älteren Sachen was zusammenzusuchen.

Hi @bernadette,

Ich vermute, dass sich die Leute einerseits vor der komplexen Recherche scheuen, was auch löblich ist, ansonsten würde ja nur herumfantasiert werden.
Andererseits ist das Thema so komplex, dass es schwierig ist, da einen Teil rauszuziehen.

Nur eine KG auf emotionaler Ebene zu schreiben geht dabei auch nicht, Hintergrundwissen ist nötig. Für mich der Gedanke, wieso so wenige darauf anspringen.


Das ist bestimmt ein Faktor. Es gibt ja relativ wenige Belletristik-Autoren, die einen naturwissenschaftlichen Background haben - der schon erwähnte Andreas Eschbach ist grade das einzige Beispiel, was mir einfällt - sicher gibt es noch mehr aber kann glaube ich sicher davon ausgehen, dass es eine Minderheit ist. Das kann schon eine gewisse Hemmschwelle erzeugen, wenn man über Themen schreiben möchte, die etwas naturwissenschaftliches Hintergrundwissen voraussetzen.

Aber ich denke nicht, dass das Thema in der Hinsicht einzigartig ist und hab das Gefühl, dass es bei anderen Themen nicht so starke Hemmungen gibt. Es werden zahllose Krimis geschrieben und ich wage mal zu behaupten, dass viele der Autor:innen nicht wirklich viel Ahnung von Polizeiarbeit haben. :)

Wie tiefgehend die Recherche sein muss, hängt ja auch sehr davon ab, wo man den Fokus drauf legt. Wenn die Hauptfigur einer Geschichte ein:e Wissenschaftler:in ist, dann sollte man es schon glaubwürdig rüberbringen, dass die Figur etwas von ihrem Fachgebiet versteht, was wiederum bedeutet, dass man selbst auch genug davon verstehen muss, um drüber schreiben zu können.
Aber wenn es darum geht, wie die Krise sich auf den Alltag wissenschaftlicher Laien auswirkt - jemand geht im Park spazieren, sieht eine Menge tote Bäume und fühlt sich deswegen schlecht - dann muss man eigentlich nicht mehr wissen als die Figur und die Geschichte hat trotzdem etwas zu sagen und kann mMn auch gut sein, ohne dass da vor dem Schreiben irgendwelche Studien gewälzt wurden.

 

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