Was ist neu

Schnee in Much

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Seniors
Beitritt
28.12.2009
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Anmerkungen zum Text

Dieser Text basiert auf einem tatsächlichen Fall aus dem Jahr 1971, der im Rhein-Sieg Kreis geschah und überregionale Bekanntheit erlangte (bis in die USA). Der Rest ist fiktiv.

Schnee in Much

… das ist schon so lange her, ich weiß, sehr lange, aber … auch nach all den Jahren, Jahrzehnte sind das ja mittlerweile, glaub ich, ja, ja doch, Jahrzehnte … da lässt mich das immer noch nicht los, ich kann das einfach nicht vergessen, ich kanns einfach nicht, das ist … und, tja, wo soll ich da anfangen? Winter 71’, das war ein kalter Winter, viel Schnee und viel Nebel, so weit ich mich erinnern kann. Nein, kalt wars, bitterkalt, und auch neblig, man hat kaum was sehen können, so viel Nebel, durch den Nebel, ja …

… damals, da hab ich noch bei der KT in Troisdorf gearbeitet, die hatten ja gerade in der Poststraße auf zwei Stockwerke erweitert, die Produktion lief ja, Wirtschaftswunder, so war das … gutes Geld hab ich da verdient, und auch wieder ausgegeben. Kalt wars, also daran kann ich mich sehr genau erinnern, kalt und viel Nebel und … ich war verheiratet … glücklich ist jetzt die andere Sache. Eigentlich nicht. Nie. Das war so eine Sache - so hat man das eben gemacht. Ich bin in Scheidt aufgewachsen, das ist ein kleines Dorf vor Much, eine Straße nur, im Grunde, paar Häuser … und so, so war das. Das ergibt sich einfach, das suchst du dir nicht aus. Ich hab die Gitta geheiratet, das war 68’, in dem Jahr war ja viel los, hier, Rudi Dutschke und so, aber davon wussten wir ja gar nichts, da hat man fast nix von mitbekommen, wir haben da vielleicht mal was in der Zeitung gelesen … aber, die weite Welt war das eben nicht, und so richtig verstanden … na ja. Wir sind ja gleich um die Ecke gezogen, Steinwurf von meinem Elternhaus, und was will man da machen? Da guckt dir jeder ins Küchenfenster. Du konntest nicht mal auf deinem eigenen Balkon einen schmutzigen Witz erzählen, das ging nicht, da waren die Ohren überall. Und hast du mal fünf Flaschbier getrunken, da wusste das die ganze Nachbarschaft, dein eigener Vater wusste das! Also, ich frage Sie, wie sollte das schon enden?

… die Doris hab ich dann in einer Kneipe kennengelernt, ganz blöd. War so, ich weiß nicht … wir waren einfach was trinken, Kollegen und ich, nach der Arbeit, die gingen immer in so eine Kneipe unten an der Sieg, das Alpenhäuschen, so hieß das, gibt es schon lange nicht mehr, und da saß sie an der Theke, gleich neben uns. Ich war das erste Mal mit, ich hatte es nicht so mit dem Weggehen, und meine Kollegen waren auch alle ein paar Jahre älter als ich. Jedenfalls saß sie da, und … sagen wir, ich wusste, sie war jung - zu jung im Grunde, das wusste ich natürlich, aber wie das so ist … drei, vier, fünf Kölsch und dann vergisst man das eben, man vergisst das ziemlich schnell. Das war erstmal alles ganz unschuldig, flirten und Blicke, was man so macht, unbeholfen und schüchtern, ich war nie so der Aufreißer, ich meine, warum auch? Das brauchte ich ja nicht. Ich war ja verheiratet, da brauchte ich das nicht, dachte ich … ich hab mich da nie so groß drum gekümmert, die Gitta kannte ich ja schon ewig, quasi aus dem Sandkasten, da denkt man über so was gar nicht nach, man ist dann zusammen und dann Ende, aus. Und, ich hab mich gar nicht getraut, ich hab mich gar nicht getraut, sie anzusprechen, also zuerst, aber dann … wir wurd richtig heiß und kalt, und natürlich guckten auch die Kollegen … ich hab sie dann nur gefragt, ob sie öfters da ist, in dieser Kneipe, und … Nein, die Sache mit der Doris, die ist ja ganz wichtig, denn nur deswegen … aber was rede ich hier eigentlich? Natürlich, so wars, da hat sich dann was draus entwickelt, ich bin noch mal hin, und noch mal, natürlich alleine, und was soll ich sagen? Klar hab ich meine Frau betrogen, ich hab meine Frau betrogen vom Punkt Eins an, das ist die Wahrheit. Aber da war ja auch nix, von Anfang an, nix, Sie wissen schon, was ich meine, ja? Bei der Doris … da war das eben anders, da war das, da war das leidenschaftlich. Und man kann das dann nicht nur einmal machen, man kann das nicht bei einem Mal belassen, das geht einfach nicht. Ich war eben jung.

Ich hab das geheim gehalten, sicher … vor den Kollegen, und natürlich vor der Familie und so. So gut es ging. Zuhause treffen ging bei ihr ja nicht, wegen der Eltern, die hätten mir die Hölle heiß gemacht, und … gab da so einen kleinen Pinte auf halbem Weg,
direkt an der Sieg, da hatten die Fremdenzimmer, die wurden meistens von Monteuren gemietet … war günstig und gut gelegen, Abfahrt hinter der Brücke, und man konnte hintenrum parken … ich hab denen irgendeine Geschichte erzählt, der Besitzer von dem Schuppen war Grieche, soweit ich mich erinnere, und ich glaub, den hat sowieso nur das Geld interessiert, der hat keine Fragen gestellt. Ich hab mir immer wieder gesagt, jetzt hör zu, sie ist alt genug, um in solche Kneipen zu gehen, aber … im Grunde wusste ich es ja. Alle redeten sie von Sex und von Freiheit und wasweißichnicht, und wie toll das alles sein kann, nur ich, ich … naja. Jetzt lassen Sie mich doch einfach erzählen, ich komm da schon noch drauf, ich, ich muss hier erstmal meine Gedanken sortieren, ist nicht so, dass mir das leicht fällt, das ist … danke, danke, ja, das wäre nett. Wissen Sie, es ist so - ich habe das noch niemandem erzählt, Sie sind ja der Erste, der erste Mensch, der das … und mir war das nicht bewusst, über die Konsequenzen, da hab ich ja gar nicht nachgedacht, ich wollte nur, ich wollte … und mag schon sein, dass ich sie verführt hab, ja, ich hab sie verführt, das ist richtig, aber damals, da … und es war so, sie wollte das auch, sie wollte das ja auch!

Bin damals einen K 70 gefahren, nagelneu, neuneinhalb Tausend, mein Vater hat noch ganz schön was beigetan, weil er wollte, dass ich direkt ein größeres Auto fahre, als ich die Gitta geheiratet hab, und das war ja ein Viertürer, Mittelklasse, mehr Platz als mein alter 411, von wegen Familienplanung und alles … aber ich bin mit dem Wagen einfach nicht klargekommen, Frontantrieb, und dann bei schlechtem Wetter, das war nichts … ich hatte schon mal Probleme auf dem Weg dahin, also in diese Pinte, da bin ich von der Fahrbahn runter, in ein Feld rein, aber zum Glück ist da nichts weiter passiert … das war immer meine größte Angst, dass ich da einen Unfall baue und nachher erklären muss, was ich da gemacht hab, wie, warum, weswegen? Weswegen warst du denn da, Hans? Denn ansonsten hab ich da ja nichts zu suchen gehabt … ja, ich hab gesagt, ich bin da bei einer Sache dabei, der Herr Reither, der damals einer der Inhaber der KT war, der meinte, wir sollen uns alle an Willy Brandt erinnern, von wegen der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden, und ich wusste, dass die im Hintergrund an einer Sache arbeiteten, die waren grad dabei einen Abgaswäscher zu entwerfen, der dann in der chemischen Industrie eingesetzt werden sollte, das hab ich der Gitta gesagt und auch dem Rest der Familich, der Reither will eben, dass ich dabei bin, um direkt beurteilen zu können, ob das überhaupt umsetzbar ist, der will einen mit Erfahrung, einen aus der Fertigung, n Praktiker, so, so hab ich das gesagt, und das sind Überstunden, und Überstunden sind gut, Geld kann man immer gebrauchen.

Das wars dann, so hatte ich dann die Zeit, immer Donnerstags nach der Arbeit, da bin ich gleich los, ich hab sie unter der Unterführung an der Autobahnbrücke abgeholt, sie hat da ja immer auf mich gewartet, gleich da unten an der Ampel, als würde sie drauf warten, dass es Grün wird - so hab ich dir das gesagt, das fällt dann nicht weiter auf. Na ja, so war das eben. Wir hatten doch immer nur vier, fünf Stunden, das … wir sind durch den Eingang an der Seite, jedesmal das gleiche Zimmer, hinten im Gang links, ich bin rein und hab immer sofort die Gardinen zugezogen, obwohl da nichts weiter war, nur die Siegaue, aber man kann ja nie wissen, hab ich gedacht. Sie war klug, sie war sehr klug, wirklich, sie wusste, was in der Welt los war, und sie hat mir immer erstmal erzählt, was so alles passiert ist, Berlin, Frankfurt, Amerika - ich weiß nicht, wo sie das herhatte, aber … Wahnsinn, wir saßen da auf dem Bett und sie hat einfach erzählt, dies, das, das war … man hat dann ne Ahnung bekommen, ja? Wenigstens so n kleines bisschen, und sie hatte auch so viele Ideen, wie man und wo man was tun könnte, ich weiß nicht mehr, aber sie war wirklich klug, wirklich. Ich hab mich immer gefragt, tue ich selbst heut noch, was sie mit einem wie mir gewollt hat. Das habe ich nie so richtig verstanden, was sie an einem wie mir fand, und warum, ich denke mir immer, die hätt doch ganz andere haben können, aber ich, ausgerechnet ich!

Ging eine ganze Zeit lang gut, und das war schon wie im Traum, als würd man nich mehr aufwachen, oder aufwachen wollen, ich hab nur an den Donnerstag gedacht, die ganze Arbeitswoche über, da dacht ich dran, wie das ist, in diesem Zimmer, mit ihr, ganz allein, ja, obwohl ich wusste, es ist was Verbotenes im Grunde, und ich wusste, es war nicht richtig, aber es war dann doch stärker, es war immer stärker, das Verlangen, so wars. Und, auch wenn es so schön ist und alles, man weiß ja doch irgendwie, wie sowas ausgeht, das kann ja gar nicht funktionieren, die Zeit da in diesem Zimmer, die war wunderbar und alles, die Doris, toll und klug und intelligent, und zart, sanftmütig, alles was man sich wünscht, wünschen kann, und da, da war ich auch sowas wie frei, glaub ich, so hab ich mich jedenfalls gefühlt, als müsste ich da sein, in diesem Zimmer, in dieser billigen Absteige, als würd ich dahingehören, wir beide, als würden wir da hingehören, das war die Welt für mich, für uns, aber man weiß ja doch, wie das ist, ich war fünfundzwanzig Jahre alt, ich wusste, dass man nicht alles haben kann, das war mir klar, und dass Träume meistens Träume bleiben, das sowieso. Und als die Gitta dann schwanger wurde, da wusste ich gleich, das geht jetzt nicht mehr, ich muss das beenden, das muss ein Ende haben, das wurde dann ernst, der Ernst des Lebens, wie man sagt, aber ich bin einfach nicht von ihr losgekommen, ging nicht, ich wusste nicht, wie ich das hätte machen sollen, denn, es war so, wenn ich das jetzt beendet hätte, dann hätte das bedeutet, dass … ja? Dann hätte es nur noch das gegeben, dieses Leben, dieses eine Leben, in Scheidt, in diesem Haus so groß wie ein Hamsterkäfig, oder so klein, und nur n Steinwurf von meinen Eltern entfernt … da denkste noch mal drüber nach, ob jetzt oder nicht später, oder doch jetzt, oder sich noch was Zeit lassen. Ich hab ihr nix davon erzählt, dass die Gitta schwanger war, das wär nicht gut gewesen, aber ich nehm an, sie hats gemerkt, sie hat immer wieder gesagt, dass ich mich verändert hätt und was denn los ist, das hat sie gefragt, aber ich wollt nicht damit rausrücken, dass hätte sich nicht richtig angefühlt, weil …

War ja ein kalter Winter, hatte ich schon gesagt, und an diesem Donnerstag, an diesem Tag, da, da hab ich sie sitzengelassen - also, im Grunde wollte ich das, das wollte ich, ich hatte gerade Feierabend gemacht bei der KT, und fragte mich noch ein Kollege, der sagte, hör mal, solln wir nich nochmal n Kölsch zusammen, weißte?, und ich hab gesagt, heut nich, heut is ungünstig, aber es war ja so, ich wollt sofort los, ich wollt sofort los, ich wollte nach Hause, nach Scheidt, ich wollte da in der Küche sitzen und alleine sein, einfach nur allein sein, das wollte ich, ich wusste ja, die Gitta, die ist auch da und der ihr Bauch wächst und wächst, das hat man ja gesehen, das hat jeder gesehen, aber ich wollt da sein und zu mir selbst sagen: So ist das jetzt, so und nicht anders, und das wird auch so bleiben, das wird so bleiben bist du in der Kiste liegst. Und ich dacht noch, komm, auf dem Weg machste kurz Halt und kaufst dir bei Kaisers n Bismarck, trinkst dir das so weg, trinkst dir den Frust weg, das wollt ich, aber als ich dann im Auto saß, als ich da hinterm Steuer saß, da dacht ich, nee, so kanns wirklich nicht weitergehen, so kann das nicht zuende gehen und … nein, ich war zu feige, ich bin einfach zu feige, ne feige Sau biste, und das hat so an mir genagt, das hat so in mir gegärt, dass ich dann auf halber Strecke um bin, und da …

bin ich in den Nebel, dichter Nebel, richtige Suppe, und Schnee, dick Schnee. So war das aber immer damals, wenn ich mich so zurückerinner, da lag immer Schnee im Winter, und Schnee satt, nicht so wie heute, bisschen Matsch, von wegen Klima und alles. So war das. Und ich bin einfach irgendwo rechts ran an der Landstraße und hab auf nem Wirtschaftsweg gewendet, Reifen drehten durch und alles voller Schlamm, Motor soff ab und ich sitz da in der Kiste, und die roch noch so neu, und ich musste an den Bauch von der Gitta denken und an die Doris, an die Haut von der, kann man nicht beschreiben, ganz weich, ganz weich war die, und ich saß da, und um mich rum, da schneit und schneits wie sonst was und der Atem, hier, kleine Schafswölkchen, und ich sitz da im Dunkel und starr in den Schnee, tja, und das ist die Wahrheit, das erklärt das vielleicht, warum und wieso und …

der stand an der Straße, gleich da vorm Graben, und nackt. Ganz nackt, splitterfasernackt. Ich dacht ja, ich dacht zuerst an ein Reh, an Wild, was da wechselt, weil ich den Schatten gesehen hab, da im Schnee, und das war so … ich kriege das nicht raus, ich krieg das einfach nicht raus aus mir, selbst heute nicht, bis heute sehe ich den da stehen, als wär er grad erst ausm Schnee gekommen, wie so n kleines Kind, n Neugeborenes, ich wusste ja von nichts. Ich bin an ihm vorbeigefahren, einfach dran vorbeigefahren, ich hab mich nicht mal umgeguckt … nich in den Rückspiegel, nichts, einfach weiter, bin weiter, weiter bis an die Unterführung, aber da war nichts, ich glaub, die Doris hat das geahnt, sie hat das geahnt, oder sie hat es von sich aus nicht mehr gewollt, ich bin zweimal, dreimal an der Ampel vorbei, immer ganz langsam, weil sie die Straße da noch nicht geräumt hatten, aber natürlich auch wegen … aber, sie kam nicht, ich hab sie nie wieder gesehen, ich hab sie danach nie wieder gesehen, ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist, was sie heute macht, keine Ahnung.

Von der ganzen Sache hab ich erst in der Zeitung gelesen, paar Tage später. Mir war das nicht klar, mir war das nicht bewusst, was da eigentlich passiert ist, ich meine, wer denkt an sowas? Doch keiner, oder? Grausam, ja, grausam, kann ich da nur sagen … so sind die Menschen wohl, manchmal denk ich, es wär besser, wenn … aber na ja. Und, ich weiß nicht, ich glaub nicht, dass ich das sofort wusste, dass das ein Fehler ist, ich meine, wie kann man das auch ahnen, was los war, wenn ich das gewusst hätte, dann … aber jetzt, später, da kann man das immer sagen, oder? Da fällts einem leichter, das zu beurteilen, obs n Fehler war oder wasweißich … der stand da eben, nachts, nackt im Straßengraben, und ich hab das nicht gesehen, ich hab nicht gesehen, dass der gefesselt war oder so, das hab ich erst gelesen, das hab ich in der Zeitung gelesen, dass es da um ein Verbrechen geht und überhaupt, dass die den da an einen Baum gebunden haben, nackt an einen Baum gebunden - ich frage Sie, wer kommt auf so eine Idee, und ich hatte ja auch noch was anderes im Kopf, da meine Familie, da die Doris, und ich, ich dazwischen, und dann das … ein Junge nackt am Straßengraben, was hätten Sie da, ich meine, was hätten sie gedacht, gemacht? Kann man nicht sagen, oder? Kann man nicht genau sagen, wie man sich da verhalten hätte.

Und dann, doch, als ich das in der Zeitung gelesen hatte, als sie die dann auch verhaftet hatten, die, die dafür verantwortlich waren, Gastarbeiter warens, glaub ich, ja, Jugos, da, da wusste ich dann, nein, war nicht richtig, der arme Junge, und natürlich denkt man das, könnte der, hätte der … wäre der noch am leben, wenn du angehalten hättest, hättest du nur kurz gefragt, Wasn los hier?, Was machstn hier? Jung, du bist ja nackt!, spinnst du eigentlich?, aber nein, nee, nein, das hab ich eben nicht gemacht, ich bin einfach weitergefahren. Man redet sich dann auch was ein, später, später redet man sich das ein, vielleicht ist das doch ne Falle gewesen, vielleicht n schlechter Scherz, man kommt da auf alles Mögliche, man denkt sich alles Mögliche, könnte dies, könnte das, und du hättest nichts machen können, du hättest nichts anders machen können, es hätt nix geändert, aber ob das stimmt?, das sind ja diese Fragen.

All die Jahre, und das bleibt bei einem, ich seh ihn ja immer noch vor mir, ich seh ihn da stehen als sei er selbst aus Schnee, so ganz hell und … ich weiß nicht, und manchmal denk ich schon, da denk ich, dasser doch den Mund aufgemacht hat, das er mir was sagen wollte, dass er was rufen wollte, dass er um Hilfe rufen wollte, dasser mich so gesehen hat wie ich ihn gesehen hab, und dass ich vielleicht der letzte Mensch war, den er gesehen hat, ausgerechnet ich!, aber ich bin mir nie sicher, ich kann mir nie sicher sein, es gibt so Sachen, so Erinnerungen, denen kannst du nicht vertrauen, die sind auf einmal da und dann weißt du nicht, ob das alles wirklich so passiert ist, deswegen …

Ich weiß, ich weiß schon, dass das verjährt, unterlassene Hilfeleistung, das ist mir bewusst, aber … ich hatte das auch lange Zeit vergessen gehabt, ich hab nicht mehr drüber nachgedacht, auch über die Doris, nein, was hätte werden können oder sollen, das hab ich mir richtig verboten, denn es führt ja zu nichts, das macht einen nur unglücklich, und jetzt, jetzt bin ich zufrieden, wenn man das so sagen kann, zufrieden, ja. Mein Sohn ist erwachsen, längst erwachsen, und mit der Gitta komme ich gut klar, sie ist ein guter Mensch, treu, zuverlässig. Aber, es ist so, man hat da letztes Jahr diesen Gedenkstein aufgestellt, genau an der Stelle, wo der Junge dann erfroren ist, in diesem Winter, damals, 71’, und ich fahr da noch oft dran vorbei, weil ich immer noch in Scheidt wohne, nicht mehr in dem kleinen Haus da, natürlich in einem größeren, aber ich bin in der Gegend geblieben, war dann später Techniker bei Reifenhäuser, bin jetzt seit ein paar Jahren zuhause. Und eigentlich gehts mir gut, nur das … ich fahr dran vorbei, und das ists jedesmal wie ein Stich, ja? Ein Stich …

… da kommt dann alles zusammen, ich denk an die Doris und an den Jungen und an den Schnee, unds gab, glaub ich, nie wieder so einen Winter, nie wieder so viel Schnee wie damals, Schnee, Nebel, dicht wie nur was, und ich war noch nie da, an dem Stein, ich wollt immer mal anhalten und mir das ansehen, mir das genauer ansehen, aber ich kriegs nich hin, nein, irgendwie … und, ich weiß nicht, was Sie damit jetzt machen, das ist ja ihre Sache, ich konnt das aber nicht mehr, nicht mehr so, musste raus, musste einfach raus, das könnense doch verstehen, ja? Dass so was raus muss, aus einem, sonst, ja … sonst. Und jetzt denke ich an beide, manchmal sogar an beide gleichzeitig, auch wenn ich mich nicht mehr ans Gesicht von dem Jungen da erinnern kann, ich hab den ja kaum gesehen, nur ne Sekunde, vielleicht zwei, und an was will man sich da schon erinnern? Das war nicht mehr als n Schatten, n Schatten im Schnee, oder? Nur n Schatten im Schnee. So wars.

 

Hey @jimmysalaryman,

Endlich ist der erste Text zur Challenge da, freue mich :D Die Geschichte hat mir gut gefallen, ich muss sagen, erst nach ner gewissen Zeit stellte sich bei mir eine Gewöhnung ein, da der Stil schon speziell ist. Gerade die häufigen Wiederholungen von Verzögerungsworten wie "so" war zwischendrinnen etwas störend, passt aber zu dem Stil. Das häufige abbrechen von Sätzen "..." kam mir zu oft vor, dadurch verloren die mit der Zeit an Gewichtung. Zwischenzeitlich war mir die Geschichte gemischt mit dem Stil etwas zu Wirr, aber dazu später noch ein Bsp..
Finde den realen Bezug sehr interessant und gut eingebaut. Am Ende fehlte mir noch etwas die Spannung, aber ist vielleicht auch nur mein Geschmack.
Hier noch ein paar Meckereien:

wir wurd richtig heiß und kalt, und natürlich guckten auch die Kollegen
Wahrscheinlich meinst hier "mir"
Aber da war ja auch nix, von Anfang an, nix, Sie wissen schon, was ich meine, ja? Bei der Doris … da war das eben anders, da war das, da war das leidenschaftlich. Und man kann das dann nicht nur einmal machen, man kann das nicht bei einem Mal belassen, das geht einfach nicht.
Hier ist ein Beispiel, dass mich stört. Der Mann ist verwirrt und überwältigt, will sich keinen Ärger einbrocken, alles verständlich, aber dennoch den gesamten Text lang ziemlich wirr.
ich muss hier erstmal meine Gedanken sortieren
Finde ich gut, dass das hier erwähnt wird, erklärt einiges.
Ich hab ihr nix davon erzählt, dass die Gitta schwanger war, das wär nicht gut gewesen, aber ich nehm an, sie hats gemerkt, sie hat immer wieder gesagt, dass ich mich verändert hätt und was denn los ist, das hat sie gefragt, aber ich wollt nicht damit rausrücken, dass hätte sich nicht richtig angefühlt, weil …
Der Akzent, bzw. die Mundart, kommt immer wieder raus, mal mehr und mal weniger, aber für meinen Geschmack nicht konstant genug.
geändert, aber ob das stimmt?, das sind ja diese Fragen.
Du bricht in der Geschichte einige sprachliche Regeln, was den Text letztendlich ausmacht und, wenn man sich daran gewöhnt hat, auch sehr gut funktioniert, jedoch sieht "?," oder "!," völlig falsch aus. Da wäre vielleicht ein Punkt, den du durchaus hier und da gesetzt hast, meiner Meinung nach, besser gewesen.
den er gesehen hat, ausgerechnet ich!, aber

treu, zuverlässig. Aber, es ist so, man hat da letztes Jahr diesen Gedenkstein
Da hätte ich ein Komma gesetzt. In dem Text werden Kommatas gesetzt wie an Karneval Süßigkeiten geschmissen, deswegen ist mir die Stelle irgendwie besonders aufgefallen.

Eine gelungene Geschichte, mit einem interessanten Stil und spannendem Realbezug. Anfangs gewöhnungsbedürftig. Hauptcharakter wirkt nahbar und "echt", jedoch nicht außergewöhnlich oder einmalig. Ende etwas schwächer als der Rest, aber solide.
Gerne gelesen :thumbsup:

Lieber Grüße
AngeloS

 

Moin Jimmy,

ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass die Art der mir zusagenden Kurzgeschichten und viele Deiner Werke nicht mehr die besten Freunde werden. Das ist in keinster Weise böse gemeint und ich bin mir ebenso ziemlich sicher, dass Du das verstehst.
Diese KG ist ein gutes Beispiel dafür und ich kommentiere, da ich vorhabe, ebenfalls an der Challenge teilzunehmen und glaube verstanden zu haben, dass das so zum guten Ton gehört. Andernfalls hätte ich meine Fresse gehalten und aus Respekt still und leise den Hut vor Deinem Können als Autor gezogen. :sealed:

Du erschaffst durch Mundart, „Sprech“ und Erzählstil erneut eine Figur und ihre Geschichte, die sich beim Lesen überaus real anfühlt. Ein für mich klassischer "@jimmysalaryman".
Hier hatte ich das Bild eines alten Mannes vor Augen, der jemandem (einem Journalisten vielleicht? Oder einer neuen Bekanntschaft am Tresen?) eine, wenn nicht sogar die Geschichte aus seinem Leben erzählt.
Doch genau dieser Erzählstil, gepaart mit dem, was erzählt wird, ist es, der mich beim Lesen ermüden lässt. Die kurzen Einschübe, die auf das letzte Drittel und den Höhepunkt der Geschichte deuten, habe ich aufgrund der „echten“ Art und Weise Deines Erzählers beim ersten Durchgang schlicht überlesen. Wenn das gewollt war, so ist das natürlich sehr gut gemacht.

Nein, die Sache mit der Doris, die ist ja ganz wichtig, denn nur deswegen … aber was rede ich hier eigentlich? Natürlich, so wars, da hat sich dann was draus entwickelt, ich bin noch mal hin, und noch mal, natürlich alleine, und was soll ich sagen?

Jetzt lassen Sie mich doch einfach erzählen, ich komm da schon noch drauf, ich, ich muss hier erstmal meine Gedanken sortieren, ist nicht so, dass mir das leicht fällt, das ist … danke, danke, ja, das wäre nett. Wissen Sie, es ist so - ich habe das noch niemandem erzählt, Sie sind ja der Erste, der erste Mensch, der das … und mir war das nicht bewusst, über die Konsequenzen, da hab ich ja gar nicht nachgedacht, ich wollte nur, ich wollte …

Erst beim zweiten Mal lesen konnte ich sie ausfindig machen und für mich herausstellen.
Als passender Vergleich zu dieser "Ich-ermüde-aufgrund-der-im-ersten-Moment-oberflächlichen-Belanglosigkeit-und-der-zahlreichen-Wiederholungen", kam mir übrigens tatsächlich kein besseres Bild als Grandpa Abraham Simpson in den Sinn, wenn der in einer Folge Mr. Burns von früher erzählt, als er damals mit der Fähre nach Shelbyville rüberfahren wollte. Alles, was er brauchte, war ein neuer Absatz für seinen Schuh, also beschloss er, nach Morganville rüberzufahren, was zu damaliger Zeit aber noch Shelbyville hieß. Da hatte er sich eine Zwiebel an den Gürtel gehängt, denn das war damals üblich, und … die Überfahrt hat fünf Cent gekostet und auf dem Fünfcentstück war damals noch ein wunderschöner Hummelschwarm abgebildet, gib mir fünf Hummelschwärme, für ’nen Vierteldollar, hieß es. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, der springende Punkt war, dass er ’ne Zwiebel am Gürtel hatte, was damals absolut üblich war. Es gab keine weißen Zwiebeln, weil Krieg war, das einzige, dass es damals gab waren diese riesigen, gelben ...
Ich glaube, mein Punkt ist klar. ;)

Im letzten Drittel, wenn es um den nackten Mann am Baum und das moralische Dilemma des Protas geht, hattest Du meine Aufmerksamkeit wiedererlangt. Beim zweiten Mal lesen waren es vor allem die Sätze

Und eigentlich gehts mir gut, nur das … ich fahr dran vorbei, und das ists jedesmal wie ein Stich, ja? Ein Stich …
und
ich wollt immer mal anhalten und mir das ansehen, mir das genauer ansehen, aber ich kriegs nich hin, nein, irgendwie …
und zu guter Letzt
Und jetzt denke ich an beide, manchmal sogar an beide gleichzeitig, auch wenn ich mich nicht mehr ans Gesicht von dem Jungen da erinnern kann, ich hab den ja kaum gesehen, nur ne Sekunde, vielleicht zwei, und an was will man sich da schon erinnern? Das war nicht mehr als n Schatten, n Schatten im Schnee, oder? Nur n Schatten im Schnee.
die dafür sorgten, dass da dann doch ein recht trauriges Bild eines durch die Geschehnisse gezeichneten Mannes in meinem Kopf entstanden sind. Dafür, dass die ersten Abschnitte wie beschrieben bei mir ankamen, ist das dann doch auf irgendeine Art besonders, denke ich. :confused:

Textarbeit habe ich nicht, mir war es wichtig, Dir meine ehrliche Meinung zum Challengebeitrag übermitteln. Wenn Du irgendwo noch einen Satz einfließen lässt, dass es „um Weihnachten rum war“ (oder so), würde das mMn noch mehr zum Thema passen.

Beste Grüße
Seth

 

Lieber Jimmy,
ich muss dich gleich mal vorweg warnen, ich bin keine echte Kommentatorin mehr oder gar eine, die sich konstruktive Gedanken machen und am Text arbeiten will, ich bin dazu viel zu faul. Ich will einfach nur lesen und schauen, ob mich was gefangen nimmt und mir was sagt, ein Tor öffnet zu einer tiefen Emotion und mich wegträgt. Wohin auch immer.
Mit deiner Geschichte ist das gelungen. Der Erzähler, wie er da seine Geschichte erzählt, vielleicht in einer Kneipe, vielleicht irgendwo, wem er sie erzählt und mit welchen Konsequenzen, man weiß das alles nicht. Er gerät in einen Sog des Erzählens und unter all dem Gequassel, unter all den Oberflächlichkeiten, die er von sich gibt, entblättert sich dann eine tragische Geschichte, die ich so nicht erwartet hatte. Klar hatte ich was Schlimmes erwartet, einen Unfall vielleicht, den er nicht zugeben will. Aber nicht diesen nackten Mann. Mal zwei Textstellen, die ich sehr beeindruckend fand.

der stand an der Straße, gleich da vorm Graben, und nackt. Ganz nackt, splitterfasernackt. Ich dacht ja, ich dacht zuerst an ein Reh, an Wild, was da wechselt

bis heute sehe ich den da stehen, als wär er grad erst ausm Schnee gekommen, wie so n kleines Kind, n Neugeborenes

Dieses merkwürdige Bild von dem Mann im Schnee, das lässt einen nicht los. Wie kommt man auf sowas?

Du liebst ja sehr orale Erzähler, ich ja auch, aber manchmal fluten die einen auch mit zu viel Ambiente, hier empfinde ich das nicht so. Ich habe eher das Gefühl, der Mann, der da die Geschichte erzählt, die er sich noch nie getraut hat zu erzählen, hält sich an den vielen umständlichen Erinnerungen fest wie an Strohhalmen, aber der eigentliche Kern, das Dilemma zwischen dem Wunsch, bloß nicht aus seinem alten Leben herausspringen zu müssen und den Träumen von Freiheit und das Erlebnis mit dem gefolterten Mann, das bricht sich Bahn, so sehr er sich auch an Rechtfertigungen und hilflosem Geschwätz festhalten will.

Eine kleine Anregung hätte ich zum Schluss doch noch, ich neige dazu, entweder hier aufzuhören,

Und eigentlich gehts mir gut, nur das … ich fahr dran vorbei, und das ists jedesmal wie ein Stich, ja? Ein Stich …
weil der Rest sich wiederholend anfühlt. Ich glaube, ich weiß, warum du das nicht wolltest, vielleicht drückt es dir zu sehr aufs Gefühl, hier zu enden, ist dir zu manipulativ vielleicht, aber ich fände es dennoch besser, weil der Absatz danach wie gesagt recht redundant ist. Und wenn du ihn beibehältst, warum nicht ein bisschen kürzen und auf jeden fall das letzte "so wars" nicht streichen. Wenn du das streichst, bleibt der Schnee als letzter Leseeindruck, das wirkt auf mich irgendwie flüchtiger, mehr zu dem Mann passend.

Mich hat das bewegt, von diesem Mann zu lesen und seiner Geschichte zu folgen. Ein beeindruckender, düsterer Start für eine Weihnachtschallenge.
Viele Grüße von Novak

 

Gerade die häufigen Wiederholungen von Verzögerungsworten wie "so" war zwischendrinnen etwas störend, passt aber zu dem Stil. Das häufige abbrechen von Sätzen "..." kam mir zu oft vor, dadurch verloren die mit der Zeit an Gewichtung.

Moin, erstmal danke für Zeit und Kommentar.

Ja, ist immer schwierig, da Maß zu halten, man ist so drin, und irgendwann wird da mehr als ein Text draus, man wird zu dem Charakter, da legt man sich Marotten zu und das wird alles immer dichter. Also, ich denke nicht, dass ich den Text auf Effekt hin geschrieben habe, deswegen sind das keine rationalen Entscheidungen, Gewichtung etc, das sind ja rationale Konzepte, die ich als Kritiker auch verfolgen würde und auch einfordern würde, aber als Autor kann die Sache auch anders aussehen - ich sage das gar nicht, um mich herauszureden oder meinen Text zu verteidigen, sondern eher um die Position des Autoren aus meiner Sicht zu schildern, die eben noch NICHT mit dem rationalen Kritikerauge erschafft, sondern mehr oder weniger frei kreiert, so ganz hippiesk. Das sind also erstmal keine Vorgaben formeller Natur, ich schreibe das einfach wie es kommt. Der Text ist ja eine Beichte, er erzählt das offensichtlich einer Autorität, eventuell der Polizei etc, und da spricht man, so denke ich, nicht geordnet oder geradeaus, also man folgt keiner linearen Narrative. Ich denke, jeder Autor denkt sich Strategien aus, wie er erzählen möchte: ich versuche hier,

Hauptcharakter wirkt nahbar und "echt", jedoch nicht außergewöhnlich oder einmalig.
genau das, also einen möglichst echten Menschen zu schreiben. Außergewöhnlich soll der nicht wirken, einmalig sind wir aber doch alle, oder? Also, diese simulierte Mündlichkeit ist ja vor allem ein Rezept für einen Erzähler, der sich ranwanzt, sich ankumpelt - ich habe es hier natürlich auch auf den Bruch angelegt, dass der Text so etwas wie einen red herring auslegt mit der Liebesgeschichte oder besser: Affäre. Dann macht er aber einen turn und erzählt noch eine Art Addendum; spannend in dem Sinne ist das sicher nicht, vielleicht überraschend. Aber es soll und kann ja auch kein Spannungstext im klassischen Sinne sein, höchstens in dem Maße, dass man weiterlesen will, dass man sagt, ich will jetzt wissen, wie das endet.

So mal meine ersten Gedanken zu deinem Kommentar, ich melde mich heute abend nochmal zurück ausführlicher.


Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

Lieber Jimmy. Du warst ja im Vorfeld schon etwas unsicher, ob der Text zur Challenge passt und wir würden die Geschichte wirklich gern zulassen.
ABER: Jede Challenge-Geschichte muss inhaltlich so weit mit Weihnachten in Verbindung stehen, dass ihr mit gutem Gewissen das Tag "Weihnachten" zugeordnet werden kann (ich hab das im Info-Thread auch noch mal kommentiert). D.h. für deinen Text hättest du zwei Möglichkeiten: Den aus der Challenge rausnehmen lassen (und den Ruhm für eine gute Geschichte "nur" im Kurzgeschichten-Forum einheimsen :D), oder den so weit umzuarbeiten, dass er in die Challenge und zum Weihnachten-Tag passt. Gib durch, wofür du dich gern entscheiden würdest.

 

Logisch, lass dir Zeit! Ich erwarte nicht weniger als die beste Weihnachtsgeschichte, die wir hier je gelesen haben. :D

 

Hey @jimmysalaryman,

Ich möchte aufgrund deiner Reaktion zu meinem Kommentar noch etwas loswerden, was mir auf dem Herzen liegt. Du hast hier einen ganz entscheidenden Punkt genannt, den ich nicht nur verstehen kann, sondern auch, mit einem Rotstift, drei mal unterstreichen würde. Und zwar:

ich sage das gar nicht, um mich herauszureden oder meinen Text zu verteidigen, sondern eher um die Position des Autoren aus meiner Sicht zu schildern, die eben noch NICHT mit dem rationalen Kritikerauge erschafft, sondern mehr oder weniger frei kreiert, so ganz hippiesk. Das sind also erstmal keine Vorgaben formeller Natur, ich schreibe das einfach wie es kommt.
Es ist mir wichtig hervorzuheben, dass ich dein Werk zutiefst respektiere und mir niemals anmaßen könnte, dass in der KG schwerwiegende Fehler gemacht wurden. Meine Kritik kannst du als Leseeindruck verbuchen und wenn du  möchtest im Hinterkopf behalten für deine nächsten Projekte. Kreativität zeichnet sich durch die Freiheit aus, bei welcher Sachverhalte, Emotionen, Stilarten (beim schreiben) und persönliche Erfahrungen/Erlerntes in einen geordneten Zusammenhang gebracht werden. Beim Kritisieren, geschieht es schnell "Fehler" zu finden, die eigentlich keine sind, da der Text in seiner Gänze bereits sehr gut ist, ganz nach dem Motto "wer suchet, der findet". Da fließen dann zum Großteil persönliche Präferenzen ein.
Kritik ist, wenn man sie als Leseeindruck versteht oder als Hinweis auf Flüchtigkeitsfehler, sehr aufschlussreich. Außerdem bekommt man eine Idee davon wie andere die eigene KG wahrnehmen und was funktioniert, bzw. nicht funktioniert.

So, das war mir nochmal wichtig. Nochmal danke für die tolle KG, hat Spaß gemacht sie zu lesen.:D

Liebe Grüße
AngeloS

 

Hey jimmy,

die Challenge ist eingeläutet, und ich wage mich seit langem mal wieder ans Kommentieren. :D

Sehr eindrücklicher Text, ganz toller Stil, das liest sich so in einem Rutsch weg, da merkt man die Länge gar nicht. Und ich denke, das ist eines der größten Komplimente, die man einem Autor machen kann. Man merkt, du hast’s drauf.

Bezug zu Weihnachten … na, ich weiß nicht. Der Text liest sich insgesamt wie eine Beichte. Vielleicht ja in der Kirche zu Weihnachten? Aber wäre der Tag nicht, hätte ich eher an ein Verhör gedacht. Nur ist der Gesprächspartner „rausgeschnitten“. Vielleicht sitzt er bei der Polizei und lässt das alles raus. Es geht ja immerhin um ein Verbrechen. Aber da Weihnachten und so, eventuell doch eher Beichte. Obwohl ich das Gefühl habe, dass du Weihnachten hier eher mit Winter gleichgesetzt hast.

Die Wortwiederholungen, das ist eher Geschmackssache. Ich fand’s nicht schlimm und mit hat’s echt gefallen. Er druckst halt so rum bei seiner Beichte, will nicht zum Punkt kommen, im Englischen würde man rambling sagen. Im Mittelteil druckst er mir ein bisschen zu viel rum, mit seinem Job und dem Auto und so, da könnte man vielleicht kürzen, aber wie gesagt, dass Gedruckse hat ja auch eine Funktion. Wollte es nur mal anmerken.

Insgesamt eine tolle Introspektive, die sich fantastisch liest. Jedoch mit minimalstem Challengebezug, wenn ich das so sagen darf. :D Aber ja, alles endet irgendwann. Die Affäre, das Leben, der Anschein des Friedens im eigenen Ort. Verbrechen und verlorene Liebe. Starke Themen, auf jeden Fall.


Textzeug:

der dann in der chemischen Industrie eingesetzt werden sollte, das hab ich der Gitta gesagt und auch dem Rest der Familich, der Reither will eben, dass ich dabei bin, um direkt beurteilen zu können, ob das überhaupt umsetzbar ist

Familich hab ich noch nie gehört und da bin ich beim Lesen ins Stocken geraten. Ist das was Regionales? :D

nehm an, sie hats gemerkt, sie hat immer wieder gesagt, dass ich mich verändert hätt und was denn los ist, das hat sie gefragt, aber ich wollt nicht damit rausrücken, dass hätte sich nicht richtig angefühlt, weil …

das

so kann das nicht zuende gehen und … nein, ich war zu feige, ich bin einfach zu feige, ne feige Sau biste, und das hat so an mir genagt, das hat so in mir gegärt, dass ich dann auf halber Strecke um bin, und da …

zu Ende

wäre der noch am leben, wenn du angehalten hättest, hättest du nur kurz gefragt, Wasn los hier?, Was machstn hier? Jung, du bist ja nackt!, spinnst du eigentlich?

am Leben

dasser doch den Mund aufgemacht hat, das er mir was sagen wollte, dass er was rufen wollte, dass er um Hilfe rufen wollte

dass


So viel von mir dazu. Toller Einstieg in die Challenge und ein sehr guter Text.

Schon mal ein schönes und erholsames Wochenende.

Liebe Grüße,

gibberish

 

ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass die Art der mir zusagenden Kurzgeschichten und viele Deiner Werke nicht mehr die besten Freunde werden. Das ist in keinster Weise böse gemeint und ich bin mir ebenso ziemlich sicher, dass Du das verstehst.

Hallo Seth,

du musst das nicht betonen: es ist nicht böse gemeint. Hier treffen eben Meinungen aufeinander, da wird es eben im besten Sinne: divers.

Doch genau dieser Erzählstil, gepaart mit dem, was erzählt wird, ist es, der mich beim Lesen ermüden lässt. Die kurzen Einschübe, die auf das letzte Drittel und den Höhepunkt der Geschichte deuten, habe ich aufgrund der „echten“ Art und Weise Deines Erzählers beim ersten Durchgang schlicht überlesen. Wenn das gewollt war, so ist das natürlich sehr gut gemacht.
Das, zum Beispiel, ist eine für mich sehr wertvolle Sicht: Ja, das ist ein Text, der sich nicht sofort offenbaren soll. Natürlich tricky, weil ich das jetzt auch einfach so behaupten könnte. Aber so meine ich es: manchmal entblättern sich Dinge erst Jahrzehnten in ihrer vollen Wahrheit, und das ist oft schwer zu begreifen. Hier ist es ähnlich: niemals zu viel verraten. Für mich sind die besten Texte die, nach denen ich frage: Worum geht es hier eigentlich?

Ich glaube, mein Punkt ist klar.
Simpsons haben mich von meiner frühen Jugend begleitet. Ich verstehe deinen Punkt. Im amerikanischen würde man einen solchen Text vielleicht: rambling nennen. Ich habe mich viel mit Texten von Ring Lardner beschäftigt, die ungefähr 1920 entstanden sind. Er war ein Zeitgenosse und Freund von Scott Fitzgerald. Er stellte die These auf, dass ein literarischer Charakter nur dann wahr wird, wenn er wahr spricht: ich pflichte ihm bei. Und in diesem offensichtlichen Gebrabbel steckt aber immer auf Zeitkolorit, Wissen, Kulturpraxis. Das ist eben meine Art des Erzählens.
Dafür, dass die ersten Abschnitte wie beschrieben bei mir ankamen, ist das dann doch auf irgendeine Art besonders, denke ich
Schön ist, dass du dabeigeblieben bist und es so konstatieren konntest.

Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar.

Gruss, Jimmy

 

Mit deiner Geschichte ist das gelungen. Der Erzähler, wie er da seine Geschichte erzählt, vielleicht in einer Kneipe, vielleicht irgendwo, wem er sie erzählt und mit welchen Konsequenzen, man weiß das alles nicht.

Hallo liebe @Novak, vielen Dank für deine Zeit und deinen Kommentar. Freut mich natürlich sehr, wenn es für dich funktioniert hat.

Ich habe eher das Gefühl, der Mann, der da die Geschichte erzählt, die er sich noch nie getraut hat zu erzählen, hält sich an den vielen umständlichen Erinnerungen fest wie an Strohhalmen, aber der eigentliche Kern, das Dilemma zwischen dem Wunsch, bloß nicht aus seinem alten Leben herausspringen zu müssen und den Träumen von Freiheit und das Erlebnis mit dem gefolterten Mann, das bricht sich Bahn, so sehr er sich auch an Rechtfertigungen und hilflosem Geschwätz festhalten will.

Das ist, denke ich, so der Glutkern der ganzen Sache. Es geht nicht NUR um den Jungen im Schnee, der ist ein Ankerpunkt, aber es passiert ja erstmal "nebenbei", beiläufig, bei etwas Anderem. Ich habe mich gefragt, als ich da recherchiert habe zu diesem Fall, wie kann man an einem nackten Jungen vorbeifahren mitten im Winter? Es hat ja Verurteilungen wegen unterlassener Hilfeleistung gegeben, man hat verschiedene Fahrzeughalter ermitteln können damals; sie sagten, sie dachten es handele sich um einen schlechten Scherz oder eine Falle. Man hätte jetzt hingehen können und den Text nur davon handeln lassen, aber das wäre mir zu einseitig gewesen, dann hätte es nur diesen einen Effekt gegeben, zu offensichtlich, zu linear fand ich. Deswegen diese Backstory, aus der sich dann langsam dieses Dilemma oder die Tragödie entwickelt. Natürlich muss man damit leben, dass eventuell einige Leser vorher aussteigen und diesen turn of events nicht mehr mitbekommen, damit muss ich aber wohl oder übel leben. Ein Freund, er ist Schauspieler, sagte letztens nach der Lektüre des Textes: als Bühnenstück, als Einakter ja, aber als Text, zum reinen lesen, das fände er schwierig und anstrengend. Ich weiß nicht. Da kann aber was Wahres dran sein. Jedenfalls muss man das schon auch lesen wollen, das stimmt. Mir geht es ja auch immer irgendwie um "Stimme", also nicht nur um eine simulierte Mündlichkeit, sondern um etwas, was damit transportiert wird, nämlich eine Art Zwischenraum, zwischen Leser und Autor, also vielleicht so etwas wie eine behauptete, echte Gesprächssituation, damit wird der Leser auch zum unmittelbaren Zuhörer. Naja, so jedenfalls meine Theorie.
Wenn du das streichst, bleibt der Schnee als letzter Leseeindruck, das wirkt auf mich irgendwie flüchtiger, mehr zu dem Mann passend.
Ja, das ist eine gute Idee, ich denke drüber nach. Der Schnee wäre ja dann auch das letzte Leitmotiv aus dem Text, damit geht der Leser dann raus. Ich überlege mir was.

Gruss, Jimmy

 

Salü @jimmysalaryman

Ich bin ( – dummerweise? – ) erstmal deinem Hinweis im Infofeld gefolgt und habe das schreckliche Verbrechen von Much 71' nachgeschlagen.
Tja, so stieg ich dann in den Text ein und eben, das Ereignis irgendwie immer so im Hinterkopf, versuchte ich deinem Erzähler zu folgen, der ja bereits so um die siebzig rum sein müsste, weil er vor fünfzig Jahren bei KT gearbeitet hat. Eine Lebensbeichte also, trotzdem wunderte ich mich zunehmend, wohin denn da die Reise gehen soll ...

Mit der Zeit verblasste aber dann erstmal diese Grundierung und ich liess mich einlullen von der Lebensbeichte, hörte mir den hart an der Grenze zum Selbstmitleid entlang schrammenden Monolog an, erhielt Einblicke in eine unüberlegte Heirat, die alltägliche Langeweile, dem spiessigen Leben bereits überdrüssig, bevor es überhaupt beginnt, die Flucht in eine Affäre, die in Sucht nach Lustbefriedigung ausartet, dem ganzen nun ein Ende bereiten, auch weil da plötzlich so sichtbar Familie heranwächst und ein Funke Erkenntnis aufkeimt, aber nein, ob feige – oder einfach zu faul, sich der Verantwortung zu stellen –, dreht er doch wieder um und
bamm
der Twist da im Wald, wo er im Matsch den Wagen wendet, den nackten Jungen erblickt, ja, da war das ganze Verbrechen von Much 71' wieder im Fokus, nur diesmal mit dem Fahrerflüchtigen im Zentrum, und das fand ich dann schon gut gemacht, so eine gleichgültige Randfigur, die sich aber als einer der Auslöser der eigentlichen Tragödie ( – der Junge hätte gerettet werden können, die Anklage evt. "nur" Entführung mit grober Körperverletzung, usw. – ) entpuppt.

Die Ironie des Ganzen: Das Festhalten an seinem ursprünglichen Plan hätten den Verlauf der Ereignisse im strengen Winter 71' damals auch nicht verändert, denn er hat den Jungen erst nach dem Wenden des Wagens entdeckt.

Also, ich frage Sie, wie sollte das schon enden?
Ich mag es eigentlich nicht so, wenn ich als Leser angesprochen werde. Hier aber ist es wohl zwingend, dass ich die Rolle des Zuhörers (Barbesucher, Polizeibeamter, Wartesaalgenosse, was auch immer) aktiv übernehmen muss. Trotzdem – und da bin ich voll bei @Novak – würde ich den Text ebenfalls beim Stich enden lassen.
Denn im letzten Absatz werde plötzlich ich in die Pflicht genommen:
und, ich weiß nicht, was Sie damit jetzt machen, das ist ja ihre Sache, ich konnt das aber nicht mehr, nicht mehr so, musste raus, musste einfach raus, das könnense doch verstehen, ja?
ja, ja, werde aber schon fast genötigt, damit jetzt was zu machen. :D

Soviel zu der mitreissenden Story, die noch nicht so richtig zu Weihnachten, aber um so mehr zu "Schnee von gestern" passt. ;)
Lieber Jimmy, ich habe das sehr, sehr gerne gelesen und bin gespannt, nein, ich wünschte es mir, dass du dem tollen Text noch irgendwie den Bezug zu Weihnachten verpassen könntest.

Liebgruss dot

 

Hallo @jimmysalaryman,

ich habe, dies vorweg, die anderen Kommentare nicht gelesen, vielleicht mach ich es noch, aber im Moment bitte ich sodann Doppelungen zu entschuldigen.

Ich fang mal mit dem Titel an.
Mir gefällt er sehr gut. Klingt nach allem und lässt Raum für eigene Phantasien.
Nur grad just am Ende deiner Geschichte, dachte ich: Schatten im Schnee wärs aber auch.
Und sogar noch treffender. Nur so ein Gedanke.

Mir hat deine Geschichte gefallen, weil mir das Thema gefallen hat, wobei es sich erst in der zweiten Hälfte, nein letzten Drittel entfaltet. Es geht um das im günstigsten Fall schlechte Gewissen, jemandem nicht beigestanden zu haben und im schlimmsten Fall, um die Frage, ob man Schuld am Tod eines Menschen hat. Und es geht darum, dass wir Menschen nicht dazu geschaffen sind, Dinge, die uns belasten, beiseite zu wischen als hätte es sie nie gegeben.
Dieses Dilemma breitest du hervorragend vor dem Leser aus und die ganze Umständlichkeit, auf die ich gleich noch eingehen werde, mit der dein Protagonist erzählt, trägt ganz erheblich dazu bei. Denn er selbst tastet sich sehr sehr mühsam an seinen schwarzen Punkt im Leben heran.
Mir gefällt auch, dass du ihn nicht davon erlöst.
Der Leser spürt, dass dieser Mann entweder ab jetzt anfangen wird, Gott und der Welt von seiner Schuld zu berichten oder aber, er wird die nächsten Lebensjahre wieder damit verbringen, mühselig den Teppich drüber zu ziehen. Spannende Frage, was er machen wird und mir gefällt, dass du die Antwort dem Leser überlässt, wenn er drüber nachdenken möchte. Mich hat dein Thema jedenfalls gepackt und auch der Umweg, den dein Protagonist geht, bevor er zum Kern seiner Schuld gelangt.

Interessant ist auch, dass dein Protagonist breit schildert, wie er fremdgeht und sich mir der Gedanke anbietet, er tut dies, um seine als große Schuld empfundene Belastung etwas kleiner zu halten, indem er sich bereits schon gegenüber dem Zuhörer als derjenige outet, der bereits vor der dem Stehenlassen des nackten Jungen etwas tut, dessen er sich schuldig fühlt. Meine Deutung wäre die, dass für ihn das mit dem Jungen so schwer wiegt, dass er lieber alles andere als das deutlich geringere zugeben möchte.

Und natürlich berichtet er auch von Doris deswegen so ausführlich, weil es ja auch diese Verstrickung gegeben hat, dass der Weg zu ihr, dieses doch nochmal Umkehren und zum Treffen fahren, überhaupt erst diese andere Schuld hat entstehen lassen können.
Wäre er, wie er es vorhatte, einfach nur stur nach Hause gefahren, wäre er diesem Jungen nie begegnet. Fatale Situation. Und immer wieder der Stoff, aus dem unendliche viele gute Geschichten sind: es reicht eine Sekunde, um ein ganzes Leben eines oder vieler Menschen komplett zu verändern.

Was mich insgesamt an deiner Geschichte gestört hat, ist diese deutlich fast schon schmerzlich ausführlich und ewig wiederholende Art seiner Rede.
Ich erlebe Gespräche, immerhin bin ich alte Schachtel ja auch schon eine Ecke auf diesem Planeten, in zunehmendem Maße als immer knapper und kürzer werdende. So ausführlich zu schildern, das vermag vielleicht, aber auch das bezweifele ich fast, ein Therapeut in dieser Breite hinzunehmen.
Hier aber wirkt es auf mich so als stünde dein Protagonist zusammen mit jemandem, den er nicht kennt in einer Kneipe. Täusch ich mich da?
Diesen Raum würde man heutzutage niemandem mehr einräumen. Das würde man als Zuhörer und zwar als reiner Zuhörer irgendwann ermüdend finden. Irgendwann würde man eine gestrafftere Darstellung verlangen. Aus diesem Grunde, dies wäre meine einzige leise Kritik, sehe ich so eine Konstellation, dass jemand so ausführlich, sich ständig wiederholend redet und erzählt, nicht als heutige Situation. Du hast aber diese Geschichte in die heutige Zeit gelegt, nicht wahr? Und ja, ich weiß, du stellst an einer Stelle diesen Unmut auch dar, weil die Antworten, die dein Protagonist gibt, darauf deuten, dass da jemand mehr Tempo verlangt. Aber das ändert nicht mein Gefühl insgesamt zur Langatmigkeit.

Ändert aber nichts daran, dass du mit dieser Ausführlichkeit und Umständlichkeit, die dein Protagonist an den Tag legt, ihn super gut charakterisierst. Kommt ja gleich noch ein bisschen Textkritik, da sind nur ganz wenige Stellen, bei denen ich vom Sprachgefühl her etwas anderes von deinem Protagonisten erwartet hätte.
Ansonsten, Respekt, hast du seine Art in seinen Worten punktgelandet ausgedrückt.
Mir ist auch aufgefallen, dass diese Brüche, also immer dann, wenn seine Beichte ins Stocken gerät, diese supergut gewählt sind.
Und gleichsam, aber das bringt ja gelungene wörtliche Rede zum Klingen, viel über seine Charakterzüge ausgesagt. Das ist dir gut gelungen!

Ich habe während des Lesens immer überlegt, an welcher Stelle du vielleicht die Geschichte so drehen könntest, dass es eine Challengegeschichte wird, aber mir würde nur ganz dilettantisch einfallen, dass er sich vielleicht mit Doris Heilig Abend noch so ganz schnell treffen möchte oder an einem der Weihnachtsfeiertage. Schnell, also nicht wie sonst mehrere Stunden, weil eben Feiertag. Aber er will sie unbedingt noch sehen, denn schließlich gehört sie zu seinem Leben dazu. Jedenfalls so scheint es mir. Und der Deutsche ansich, und irgendwie wirkt er wie so ein bisschen wie ein Prototyp davon, der möchte auch zu Weihnachten seiner Geliebten zeigen, dass er an sie denkt.
Wenn du dich von der Idee lösen kannst, dass du damit diese tatsächlich passierte Straftat etwas vergewaltigst, weil du sie in eine ganz andere Zeit verlegst, könnte es vielleicht gelingen, daraus eine Weihnachtsgeschichte zu machen.
Aber das wäre nur dann richtig, es zu tun, wenn es dir unbedingt um die Wettbewerbsteilnahme geht. So wie die Geschichte grad ist, ist sie ja schon gut.

Nein, die Sache mit der Doris, die ist ja ganz wichtig, denn nur deswegen …
Da nimmt die Sache also ihren Lauf...hier baust du quasi endlich Spannung auf.

Aber da war ja auch nix, von Anfang an, nix, Sie wissen schon, was ich meine, ja?
Da war nix? Finde ich seltsam. Ich versteh es vielleicht falsch. Aber er will doch nicht behaupten, die Sache mit Doris sei nix gewesen? Nicht von Bedeutung für ihn? Eventuell fehlt an dieser Stelle etwas mehr Aussage von ihm?

Und man kann das dann nicht nur einmal machen, man kann das nicht bei einem Mal belassen, das geht einfach nicht.
So richtig erklärt er nicht, wieso er es nicht bei einmal belassen konnte. Da würde ich noch ein bisschen mehr von ihm erfahren wollen, denn selbstverständlich kann man es bei einmal belassen und das weiß auch dein Protagonist. Was ich meine, er kommt hier ein wenig zu verkürzt daher.
aber ich bin mit dem Wagen einfach nicht klargekommen, Frontantrieb, und dann bei schlechtem Wetter, das war nichts …
Ich musste mich erstmal schlau machen, das der K70 ein NSU war, aber ist natürlich in Ordnung, dass er nur K70 sagt. Was mich etwas gestört hat und deswegen würde ich es weglassen ist, dass Wagen mit Frontantrieb im Gegensatz zu Wagen mit Heckantrieb deutlich mehr Grip bei rutschigem Wetter haben. Und wenn ich richtig recherchiert habe, ist der NSU sowieso wegen seiner guten Straßenlage geschätzt worden. Tut ja auch der Sache keinen Abbruch, wenn du einfach den Frontantrieb weglässt. Dein Protagonist ist einfach mit dem Wagen nicht so gut klargekommen, egal weshalb, war halt so.


der dann in der chemischen Industrie eingesetzt werden sollte,
Hier habe ich mich gefragt, kenne mich aber null mit dem Sprachgebrauch aus: würde er nicht einfach nur "Chemischen" sagen und jeder weiß, dass er die chemische Industrie meint?
dem Rest der Familich,
Ist das Dialekt?
immer Donnerstags
immer Donnerstags nach der Arbeit,
donnerstags
so hab ich dir das gesagt, das fällt dann nicht weiter auf.
dir = mir
ein Junge nackt am Straßengraben,
Man sagt ja immer "im" Straßengraben, aber du meinst, dass der Junge neben einem Straßengraben stand, nicht wahr? Ich kam hier etwas ins Stolpern.
noch am leben
Leben
Ich weiß, ich weiß schon, dass das verjährt, unterlassene Hilfeleistung, das ist mir bewusst, aber …
Du hast ihn als irgendwie einfach gestrickten Menschen dargestellt. So einer weiß das nicht automatisch, es klingt aber so als wüsste er es. Wie wär es, wenn er sich da einfach schon mal schlau gemacht hat deswegen und das so dem Zuhörer mitteilt? Dann könnte ich ihm sein Wissen besser abnehmen.

Fazit: Wie man es schon bei dir als Serientäter gewohnt ist, hast du eine gut geschriebene Geschichte abgeliefert, die mir ob ihres Tiefgangs super gut gefällt. Etwas sperrige wörtliche Rede, wenn auch zutreffende und sehr anschauliche.


Lieben Gruß

lakita

 

Und ich denke, das ist eines der größten Komplimente, die man einem Autor machen kann.

Ja, danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar. Mir geht es auch so, gute Prosa muss nicht leichtgängig sein, aber sie sollte nicht offensichtlich hermetisch sein, so nach dem Motto: Das sind tausend geile Zitate und Bezüge drin, und wenn du sie nicht findest, bist du eben zu dumm. Das finde ich, ist bei Rollenprosa wie hier, unfassbar wichtig, dass der Autor sich nicht dazwischenmeldet; es liegt immer die Versuchung nahe, aus dem Charakter auszubrechen, etwas den Charakter sagen zu lassen, was der Autor von diesem denkt, das merkt man sofort, finde ich. Nun, ich merke es an den Texten anderer Autoren meistens, bei meinen eigenen natürlicht nicht so sehr, da ist man immer etwas blind, deswegen ist Textarbeit so wichtig.

Der Text liest sich insgesamt wie eine Beichte.
Genau so soll es auch sein. In meinem Bild vom Text sitzt er bei einem Polizisten, erzählt diesen Monolog, erklärt sich sozusagen. Das ist natürlich eine behauptete Mündlichkeit, also man muss das schon kaufen.
Die Wortwiederholungen, das ist eher Geschmackssache. Ich fand’s nicht schlimm und mit hat’s echt gefallen. Er druckst halt so rum bei seiner Beichte, will nicht zum Punkt kommen, im Englischen würde man rambling sagen.
Rambling ist gut. Das ist ja so das favorisierte Stilmittel, das Eigentliche etwas untergehen zu lassen in dieser Mündlichkeit; natürlich kauft man da immer mit, dass man weiter ausholen muss, ich glaube nicht, dass man solche Erlebnisse direkt und kurz erzählt, da braucht es Zeit, man druckst herum, und es ist immer so ein wenig die Kunst, es nicht zu übertreiben.

Insgesamt eine tolle Introspektive, die sich fantastisch liest. Jedoch mit minimalstem Challengebezug, wenn ich das so sagen darf
Ich gelobe noch Besserung alsbald!

Textzeug:
Hole ich nach, muss nur die Zeit finden, bin gerade etwas eingebunden.

So viel von mir dazu. Toller Einstieg in die Challenge und ein sehr guter Text.
Vielen Dank dafür, mache mich auch alsbald an deinen!

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin @jimmysalaryman,

ich finde dein Text hat einen guten Flow, hat mich direkt reingezogen und ich war gut in der Geschichte drin. Bei mir ist ein Sog entstanden und das lag an zwei Gründen: Erstens fand ich deinen Charakter interessant, hatte den Eindruck, als wäre ich direkt neben ihm und er würde mir diesen Fall beichten. Fand da deine Erläuterung interessant, dass du dir vorgestellt hast, dass er das einem Polizisten beichtet, das konnte ich mir auch gut so vorstellen. Ich mochte das. Zweitens finde ich es faszinierend, wie sich der Fall nach und nach entfaltet und du mir als Leser stückchenweise mehr Informationen gibst und so für Spannung sorgst. Zudem finde ich es bemerkenswert, dass das auf einem echten Fall basiert, gibt der Geschichte noch einmal mehr Gewicht. Ja, insgesamt ein wirklich schönes Teil, sehr gerne gelesen.

Ich gehe im Detail auf den Text ein:

… das ist schon so lange her, ich weiß, sehr lange, aber … auch nach all den Jahren, Jahrzehnte sind das ja mittlerweile, glaub ich, ja, ja doch, Jahrzehnte … da lässt mich das immer noch nicht los, ich kann das einfach nicht vergessen, ich kanns einfach nicht, das ist … und, tja, wo soll ich da anfangen? Winter 71’, das war ein kalter Winter, viel Schnee und viel Nebel, so weit ich mich erinnern kann.
Ich will als Leser wissen, was ihn belastet und um was es hier geht. Schöner Einstieg, weil das eben diesen Sog ermöglicht. Mochte auch, dass ich schon so früh zeitlich verortet war.
Ich bin in Scheidt aufgewachsen, das ist ein kleines Dorf vor Much, eine Straße nur, im Grunde, paar Häuser … und so, so war das. Das ergibt sich einfach, das suchst du dir nicht aus.
Ich weiß, wo wir sind und auch diese wichtige Frage beantwortest du früh, sodass ich da innerlich einen Haken setze und verortet bin.
… die Doris hab ich dann in einer Kneipe kennengelernt, ganz blöd. War so, ich weiß nicht … wir waren einfach was trinken, Kollegen und ich, nach der Arbeit, die gingen immer in so eine Kneipe unten an der Sieg, das Alpenhäuschen, so hieß das, gibt es schon lange nicht mehr, und da saß sie an der Theke, gleich neben uns.
Mag das hier, dass du zuerst schon damit startest, dass sie sich kennenlernen und dann folgen die Details und wie es dazu gekommen ist. Konnte ich als Leser gut nehmen und hat mich von der Vorgehensweise etwas an Haruki Murakami erinnert.
Und, ich hab mich gar nicht getraut, ich hab mich gar nicht getraut, sie anzusprechen, also zuerst, aber dann … wir wurd richtig heiß und kalt, und natürlich guckten auch die Kollegen
Diese Wiederholungen machen das glaubwürdig und löste in mir das Gefühl aus, dass es sich hier um eine Geschichte aus dem echten Leben handelt.
Aber da war ja auch nix, von Anfang an, nix, Sie wissen schon, was ich meine, ja?
Ich habe mich kurz gewundert, weshalb der Erzähler "Sie" verwendet und nicht duzt? Er spricht in meinen Augen eher locker und informell, daher ließ mich das kurz stolpern.
Jetzt lassen Sie mich doch einfach erzählen, ich komm da schon noch drauf, ich, ich muss hier erstmal meine Gedanken sortieren, ist nicht so, dass mir das leicht fällt, das ist … danke, danke, ja, das wäre nett.
Auch eine schöne Technik, dass du hier noch einmal betonst, dass er es jemanden erzählt, das erzeugt diese Unmittelbarkeit, die mir das Gefühl gibt direkt in der Situation zu sein.

Ging eine ganze Zeit lang gut, und das war schon wie im Traum, als würd man nich mehr aufwachen, oder aufwachen wollen, ich hab nur an den Donnerstag gedacht, die ganze Arbeitswoche über, da dacht ich dran, wie das ist, in diesem Zimmer, mit ihr, ganz allein, ja, obwohl ich wusste, es ist was Verbotenes im Grunde, und ich wusste, es war nicht richtig, aber es war dann doch stärker, es war immer stärker, das Verlangen, so wars.
Finde ich eine starke Beobachtung und bildet diesen Zustand des Verliebtseins in meinen Augen sehr gut ab, ich kaufe das.
Und als die Gitta dann schwanger wurde, da wusste ich gleich, das geht jetzt nicht mehr, ich muss das beenden, das muss ein Ende haben, das wurde dann ernst, der Ernst des Lebens, wie man sagt, aber ich bin einfach nicht von ihr losgekommen, ging nicht, ich wusste nicht, wie ich das hätte machen sollen, denn, es war so, wenn ich das jetzt beendet hätte, dann hätte das bedeutet, dass … ja?
Gitta wird schwanger, er wacht aus diesem Fiebertraum und der Affäre auf und ist wieder im Ernst des Lebens angekommen.
So ist das jetzt, so und nicht anders, und das wird auch so bleiben, das wird so bleiben bist du in der Kiste liegst.
Mag diese Wiederholungen, ich kann das gut nehmen und mag diesen Sound. Das klingt irgendwie echt wie aus dem Leben gegriffen.

Und ich bin einfach irgendwo rechts ran an der Landstraße und hab auf nem Wirtschaftsweg gewendet, Reifen drehten durch und alles voller Schlamm, Motor soff ab und ich sitz da in der Kiste, und die roch noch so neu, und ich musste an den Bauch von der Gitta denken und an die Doris, an die Haut von der, kann man nicht beschreiben, ganz weich, ganz weich war die, und ich saß da, und um mich rum, da schneit und schneits wie sonst was und der Atem, hier, kleine Schafswölkchen, und ich sitz da im Dunkel und starr in den Schnee, tja, und das ist die Wahrheit, das erklärt das vielleicht, warum und wieso und …
Mag wie du hier die Sinne aktivierst: durchdrehende Reifen, Schlamm, absaufender Motor, Geruch des neuen Autos, die Haut von Gitta. Diese spezifischen sensorischen Details gefallen mir.

Und, ich weiß nicht, ich glaub nicht, dass ich das sofort wusste, dass das ein Fehler ist, ich meine, wie kann man das auch ahnen, was los war, wenn ich das gewusst hätte, dann … aber jetzt, später, da kann man das immer sagen, oder?
ein Junge nackt am Straßengraben, was hätten Sie da, ich meine, was hätten sie gedacht, gemacht? Kann man nicht sagen, oder? Kann man nicht genau sagen, wie man sich da verhalten hätte.

Finde diese Rechtfertigung eine menschliche Reaktion und das verdeutlicht seinen inneren Kampf. Er will Bestätigung bekommen, will sich rückversichern, dass andere auch so gehandelt hätten.

Man redet sich dann auch was ein, später, später redet man sich das ein, vielleicht ist das doch ne Falle gewesen, vielleicht n schlechter Scherz, man kommt da auf alles Mögliche, man denkt sich alles Mögliche, könnte dies, könnte das, und du hättest nichts machen können, du hättest nichts anders machen können, es hätt nix geändert, aber ob das stimmt?, das sind ja diese Fragen.
Ich mag aber, dass er hier so reflektiert ist und sich auch hinterfragt, das gibt ihm Komplexität, macht ihn menschlich, sodass ich mich mit ihm identifizieren kann.

ber, es ist so, man hat da letztes Jahr diesen Gedenkstein aufgestellt, genau an der Stelle, wo der Junge dann erfroren ist, in diesem Winter, damals, 71’, und ich fahr da noch oft dran vorbei, weil ich immer noch in Scheidt wohne, nicht mehr in dem kleinen Haus da, natürlich in einem größeren, aber ich bin in der Gegend geblieben, war dann später Techniker bei Reifenhäuser, bin jetzt seit ein paar Jahren zuhause.
Finde das einen guten Abschluss, da steckt etwas Wehmütiges drin, es schwebt so im Raum und mir wird richtig schwer ums Herz. Finde ich sehr gut gemacht, lese ich gerne.

… da kommt dann alles zusammen, ich denk an die Doris und an den Jungen und an den Schnee, unds gab, glaub ich, nie wieder so einen Winter, nie wieder so viel Schnee wie damals, Schnee, Nebel, dicht wie nur was, und ich war noch nie da, an dem Stein, ich wollt immer mal anhalten und mir das ansehen, mir das genauer ansehen, aber ich kriegs nich hin, nein, irgendwie …
Und auch immer wieder der Bezug zum Schnee, wo wir sowohl die äußere Kälte haben, als auch die innere emotionale Kälte, mit der er so zu kämpfen hat. Insgesamt sehr gut geschrieben, konnte mich auf den Text einlassen und habe es genossen. Schönes Teil.

Beste Grüße
MRG

 

Hey jimmy!

Hab ja schon gesagt, dass ich gleich nach dem Einstellenund wirklich, wirklich sehr gern gelesen hab. Nun seh ich den Weihnachtstag dran und jetzt sollste auch endlich den Komm bekommen.

… das ist schon so lange her, ich weiß, sehr lange, aber … auch nach all den Jahren, Jahrzehnte sind das ja mittlerweile, glaub ich, ja, ja doch, Jahrzehnte … da lässt mich das immer noch nicht los, ich kann das einfach nicht vergessen, ich kanns einfach nicht, ...
Das glaub ich sofort. Das schleppt man sein Leben lang mit sich rum.

..., kalt und viel Nebel und … ich war verheiratet … glücklich ist jetzt die andere Sache. Eigentlich nicht. Nie. Das war so eine Sache - so hat man das eben gemacht.
Da ich den Text jetzt ein zweites Mal lese, fallen einem auch ganz andere Dinge auf, weil ich das Ende kenne und es ist schon gut gemacht, wie er sich da windet, nach all den Jahren doch drüber sprechen will/muss, und dann eben irgendwie doch nicht und deshalb von Stöckchen zum Hölzchen kommt - was natürlich auch irgendwie gut ist, für den Spannungsaufbau, dass er sich da erst mal so "warmreden" muss und deshalb lieber über Nebel und dann seine Ehe erzählt, bis er dann später zum eigentlichen Punkt kommt.

Und hast du mal fünf Flaschbier getrunken, da wusste das die ganze Nachbarschaft, dein eigener Vater wusste das! Also, ich frage Sie, wie sollte das schon enden?
:) Aber das ist hart!

also zuerst, aber dann … wir wurd richtig heiß und kalt, und natürlich guckten auch die Kollegen … ich hab sie dann nur gefragt, ob sie öfters da ist,

Und man kann das dann nicht nur einmal machen, man kann das nicht bei einem Mal belassen, das geht einfach nicht. Ich war eben jung.
Tja, so ist das wohl ... wer kennt das nicht.

Jetzt lassen Sie mich doch einfach erzählen, ich komm da schon noch drauf, ich, ich muss hier erstmal meine Gedanken sortieren, ist nicht so, dass mir das leicht fällt, das ist …
Man kommt so in den Textflow, dass man irgendwann vergisst, dass er ja mit einem Gegenüber redet, wobei es gut ist, dass der weder Name, noch Gesicht, noch Hintergrund hat. Weil es eben auch egal ist, wem er die Geschichte da erzählt. Es geht nur darum, sie zu erzählen. Und dass Du das auf die Art und Weise anlegst, funktioniert bei mir total.

und mir war das nicht bewusst, über die Konsequenzen, da hab ich ja gar nicht nachgedacht, ich wollte nur, ich wollte … und mag schon sein, dass ich sie verführt hab, ja, ich hab sie verführt, das ist richtig, aber damals, da … und es war so, sie wollte das auch, sie wollte das ja auch!
Und spätestens hier hatte Falco mir Jeanny ins Ohr gesetzt. Irgendwie in die Richtung würde es wohl gehen - kalt erwischt haste mich!

... aber zum Glück ist da nichts weiter passiert … das war immer meine größte Angst, dass ich da einen Unfall baue und nachher erklären muss, was ich da gemacht hab, wie, warum, weswegen? Weswegen warst du denn da, Hans? Denn ansonsten hab ich da ja nichts zu suchen gehabt … ja, ich hab gesagt, ich bin da bei einer Sache dabei,
Schon klar, dass das da eine unglaubliche Wirkung hat, Stilmittel ist und ich will Dir das auch gar nicht madig machen, aber manchmal ist halt ganz schön viel da. Jedenfalls für mein Empfinden. Die mittleren kriegt man ja nicht raus, dann vielleicht vorab eins weniger? Also immer, wenn es wirklich so ein Ballung von da gab, fand ich nicht ganz so nice.
Aber wir sind uns einig, dass das da ein viel besseres äh ist :).

gleich da unten an der Ampel, als würde sie drauf warten, dass es Grün wird - so hab ich dir das gesagt, das fällt dann nicht weiter auf.
dir? wer ist mit dir gemeint? Ihr würde für mich Sinn ergeben.

... und der ihr Bauch wächst und wächst, das hat man ja gesehen, das hat jeder gesehen, aber ich wollt da sein und zu mir selbst sagen: So ist das jetzt, so und nicht anders, und das wird auch so bleiben, das wird so bleibenKOMMA bist du in der Kiste liegst.
Irgendwie hat mich das total angefasst. Was für ne Aussicht auf ein Leben mit 25. Da liegen ja noch endlos Jahre vor einem und man weiß, da muss man jetzt durch, weil sich das so gehört. Aber wenn man erst mal auch andere Erfahrungen gemacht hat, weiß, wie es sich auh anfühlen kann, das Leben, die Frauen, ... dann ist das echt bittere Medizin. Wird damals vielen so gegangen sein. Männern und Frauen.

Und ich bin einfach irgendwo rechts ran an der Landstraße und hab auf nem Wirtschaftsweg gewendet, Reifen drehten durch und alles voller Schlamm, Motor soff ab und ich sitz da ...
Eigentlich ja total unglaubwürdig sich nach all den Jahren an solche Details zu erinnern, und mal ab davon, dass deine Erzählung diese Details braucht, glaub ich tatsächlich, dass man sich an so was erinnert, wenn man diesen Nachmittag immer und immer wieder in der Erinnerung durchspielt. Vielleicht war das damals so, vielleicht hat sich die Geschichte über die Jahre auch verändert in seinem Kopf, aber er hat diesen Nachmittag im Laufe seines Lebens so oft durchlebt, dass er halt wirklich all die Details (real oder nicht) im Kopf hat.

… wäre der noch am leben, wenn du angehalten hättest, hättest du nur kurz gefragt, Wasn los hier?,
Leben

... aber ich bin mir nie sicher, ich kann mir nie sicher sein, es gibt so Sachen, so Erinnerungen, denen kannst du nicht vertrauen, die sind auf einmal da und dann weißt du nicht, ob das alles wirklich so passiert ist, deswegen …
Absolut! Das ist wirklich ne krasse Geschichte. V.a. weil man auch ständig versucht, sich in seine Situation zu versetzen und man sich selbst fragt, was hättest Du getan. Und man weiß, was richtig wäre, aber was ich in der Situation wirklich getan hätte - keine Ahnung. Aber die Schuld, die man dann auf Ewig mit sich herumträgt, krass, darauf muss man erst mal klarkommen.

Ist noch gar nix mit Weihnachten hier. Die Gitta hätte ja wenigstens mal die Wohnung schmücken können und statt ner Kiste Bier hät er nen Baum gekauft, aber so ... meno!

Ja, sehr, sehr, sehr guter Text für mich. Kriegst ne Empfehlung von mir, wenn die Challenge vorbei ist oder Du den Text doch noch rausnimmst, weil Du da nix Weihnachten drin haben willst. Glaub aber, wenn Du den einfach in die Weihnachtszeit verlegst, tut es dem Text keinen Abruch. Der steht für sich. Der bleibt finster, kannste noch so viele Lichterketten reinpacken, macht dem gar nix.
Ist so ein Text, der mich emotional anfässt. Klar, die Backstory ist auch hart, wer bleibt da cool?, aber in solchen Fällen muss halt auch die Verpackung stimmen und die stimmt für mich.

Habe ne gute Zeit!
Fliege

 

Eine Lebensbeichte also, trotzdem wunderte ich mich zunehmend, wohin denn da die Reise gehen soll ...

Hallo dot,

so, sorry, ich lag echt bis gestern darnieder, bin immer noch krank, aber muss wieder malochen, man kennt das ja.

Lebensbeichte ist ein gutes Stichwort. Für mich sitzt er da irgendwo auf einer Wache bei einem Polizisten und erzählt sich das alles vom Leib; so erstmal die Grundausstattung, würde ich sagen.

der Twist da im Wald, wo er im Matsch den Wagen wendet, den nackten Jungen erblickt, ja, da war das ganze Verbrechen von Much 71' wieder im Fokus, nur diesmal mit dem Fahrerflüchtigen im Zentrum, und das fand ich dann schon gut gemacht, so eine gleichgültige Randfigur, die sich aber als einer der Auslöser der eigentlichen Tragödie ( – der Junge hätte gerettet werden können, die Anklage evt. "nur" Entführung mit grober Körperverletzung, usw. – ) entpuppt.

Ja, man kann bei solchen Texten ja immer direkt eingleisig fahren, den direkten Weg nehmen, oder aber auch zweigleisig, das Eigentliche wird nur nebenbei erwähnt, der Text braucht dann länger und ist langsamer, aber er entblättert sich auch eher, fast wie eine Zwiebel; ich finde das hier besser, weil es einen Effekt hat, der einen noch etwas mehr in den Text hineinzieht. Man weiß erstmal nicht, worum geht es hier, der Text könnte jede Menge andere Abzweige nehmen, und dann ... nimmt er eben diesen.
Ich mag es eigentlich nicht so, wenn ich als Leser angesprochen werde. Hier aber ist es wohl zwingend, dass ich die Rolle des Zuhörers (Barbesucher, Polizeibeamter, Wartesaalgenosse, was auch immer) aktiv übernehmen muss.
Ja, ist ein wenig der sich amkumpelnde Erzähler. Das erhöht natürlich die Nähe, auch wenn ich gestehe, dass mir das selbst manchmal unangenehm ist. Man wird so verhaftet und es bleibt einem auch keine andere Wahl, andererseits zieht das natürlich auch einen heran, man beginnt, sich tatsächlich Gedanken zu machen im Sinne einer teilhabenden, wenn auch nicht aktiven Person. Das ist nur eine These, aber so soll der Effekt wirken.

Soviel zu der mitreissenden Story, die noch nicht so richtig zu Weihnachten, aber um so mehr zu "Schnee von gestern" passt
Ich gelobe vor Ablauf der Challenge eine kleine, aber feine Änderung! Und hoffe, dass es dann besser ins Metier passt, dieser Text, passend zu Weihnachten.

Danke für deine Zeit und deinen Kommentar, lieber dot!

wird fortgesetzt

 

Mir hat deine Geschichte gefallen, weil mir das Thema gefallen hat, wobei es sich erst in der zweiten Hälfte, nein letzten Drittel entfaltet. Es geht um das im günstigsten Fall schlechte Gewissen, jemandem nicht beigestanden zu haben und im schlimmsten Fall, um die Frage, ob man Schuld am Tod eines Menschen hat. Und es geht darum, dass wir Menschen nicht dazu geschaffen sind, Dinge, die uns belasten, beiseite zu wischen als hätte es sie nie gegeben.
Hallo lakita, und endlich komme ich dazu, weiter Kommentare zu beantworten.

Ja, danke dir für deine Zeit. Ist ein sehr guter umfangreicher Kommentar von dir, da steckt einiges drin. Ich sehe das ähnlich, es ist einmal die Last eines solchen Geheimnisses, und auch die offene Wunde, wie wäre sein Leben verlaufen, wenn? Das steckt da ja auch mit drin, es ist so ein wenig eine Lebensgabelung, eine Kreuzung, die nun immer mit diesem Jungen im Schnee verbunden sein wird. Es wäre ja so oder so passiert, die Affäre, das Ende, aber nun wird das eben durch diese Tragik noch einmal unterstrichen.

Interessant ist auch, dass dein Protagonist breit schildert, wie er fremdgeht und sich mir der Gedanke anbietet, er tut dies, um seine als große Schuld empfundene Belastung etwas kleiner zu halten, indem er sich bereits schon gegenüber dem Zuhörer als derjenige outet, der bereits vor der dem Stehenlassen des nackten Jungen etwas tut, dessen er sich schuldig fühlt. Meine Deutung wäre die, dass für ihn das mit dem Jungen so schwer wiegt, dass er lieber alles andere als das deutlich geringere zugeben möchte.
Ist interessant, dass du das so aufgreifst. Ich glaube auch, dass da etwas dran ist, dass er seine eigene Schuld so besser rationalisieren kann; er ist es ja auch irgendwie nicht alleine, Doris war da, ist Teil dessen, wegen ihr ist er umgekehrt, er stellt das ja auch als etwas Unausweichliches dar, so nach dem Motto: einmal falsch abgebogen auf die Straße der Sünde und des Lasters, und dann passiert so etwas eben.
Und natürlich berichtet er auch von Doris deswegen so ausführlich, weil es ja auch diese Verstrickung gegeben hat, dass der Weg zu ihr, dieses doch nochmal Umkehren und zum Treffen fahren, überhaupt erst diese andere Schuld hat entstehen lassen können.
Wäre er, wie er es vorhatte, einfach nur stur nach Hause gefahren, wäre er diesem Jungen nie begegnet. Fatale Situation. Und immer wieder der Stoff, aus dem unendliche viele gute Geschichten sind: es reicht eine Sekunde, um ein ganzes Leben eines oder vieler Menschen komplett zu verändern.
Genau so ist es. Im Grunde ist er ja feige, er macht auch sie zu einer Art Komplizien an dieser Sache. Ich denke, so ist es oft: ein Moment kann ein Leben ändern. Das sind auch Geschichten, die mich interessieren mittlerweile, die ganz klein und begrenzt sind, begrenzt im Sinne von: nichts offensichtlich Welthaltiges, nicht am Zeitgeist verhaftet.
Was mich insgesamt an deiner Geschichte gestört hat, ist diese deutlich fast schon schmerzlich ausführlich und ewig wiederholende Art seiner Rede.
Ich erlebe Gespräche, immerhin bin ich alte Schachtel ja auch schon eine Ecke auf diesem Planeten, in zunehmendem Maße als immer knapper und kürzer werdende. So ausführlich zu schildern, das vermag vielleicht, aber auch das bezweifele ich fast, ein Therapeut in dieser Breite hinzunehmen.
Ich verstehe dich, aber ich glaube nicht, dass solche Dialoge oder Monologe viel kürzer werden oder geworden sind; die Kommunikation an der Oberfläche vielleicht, aber nicht ein solcher Lebensbericht, eine solche Beichte, die er sich ja selber auch erklärt, er erzählt es ja nicht nur diesem Polizisten, sondern noch viel eher sich selbst, ganz abschließend.
Ändert aber nichts daran, dass du mit dieser Ausführlichkeit und Umständlichkeit, die dein Protagonist an den Tag legt, ihn super gut charakterisierst.
Ich glaube, man braucht das auch, diese Länge, dieses Repetitive, um sich den Charakter richtig vorzustellen, sich in den einzufühlen.

Da war nix?
Sexuell meint er war da nix. Das ist ja auch ein Teil der Geschichte, diese Juxtaposition, Lust, Liebe, sexuelle Freiheit, und dann dieser nackte, drastische Tod.

Was mich etwas gestört hat und deswegen würde ich es weglassen ist, dass Wagen mit Frontantrieb im Gegensatz zu Wagen mit Heckantrieb deutlich mehr Grip bei rutschigem Wetter haben.
Ja, das ist richtig, aber ich habe mir sagen lassen, die seien regelmässig ausgebrochen bei schlechtem Wetter. Ich könnte es aber auch rausnehmen, hast Recht.

Zu den anderen Sachen sprachlicher Natur denke ich noch nach, da sind paar gute Sachen dabei, die ich in Ruhe bedenken möchte.

Du hast ihn als irgendwie einfach gestrickten Menschen dargestellt. So einer weiß das nicht automatisch, es klingt aber so als wüsste er es. Wie wär es, wenn er sich da einfach schon mal schlau gemacht hat deswegen und das so dem Zuhörer mitteilt? Dann könnte ich ihm sein Wissen besser abnehmen.

Ich weiß nicht. Ich tue mich damit schwer. Einfacher Mensch. Nachher war er Techniker, ich denke, so jemand weiß, was unterlassene Hilfeleistung ist, es sind ja auch tatsächlich andere Fahrer dafür verurteilt worden, darüber wird er gelesen haben. Müsste ich nochmal einbauen, dass er da eventuell schon was in der Zeitung gelesen hat, ist ein guter Tip, klar.

Ja, Mann, viel drin, ich muss das nochmal sacken lassen und endlich mal paar andere Texte kommentieren, sonst werde ich noch ramdösig! :D

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmysalaryman,
ich denke, Du bist hier schriftstellerisch ziemlich weit vorn. Die Geschichte liest sich sehr gut und flüssig. Ich war gar nicht darauf vorbereitet, dass es eigentlich um eine unterlassene Hilfeleistung geht, und war irritiert, dass plötzlich ein nackter Mann im Schnee auftauchte. Die Straftat, über die Du schreibst, soll sich ja wirklich ereignet haben. Vielleicht ist es gut, ein bisschen auf die Hintergründe einzugehen. Das würde mich, die nicht aus der Münchener Gegend kommt, sehr interessieren. Es könnte aber auch sein, dass viele denken, dass es so wie Du den Plot entwickelt hast, eigentlich am besten ist.
Adventsgrüße von Frieda

 

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