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Komm runter

Challenge 3. Platz
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Monster-WG
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18.06.2015
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Komm runter

In Zweierreihe auf dem Kirchplatz, die Knaben vorne beim Eingang, dahinter die Mädchen. Sie warteten, bis sich die Seitentür öffnete, die den Fünft- und Sechstklässlern zugewiesen war. Novemberkälte kroch Tom die Beine hoch. Er musterte die zwei Gesichter aus Sandstein, die über dem Torbogen aus der Wand glotzten. Die sähen furchterregend aus, weil sie dazu da seien, Dämonen abzuschrecken, hatte seine Mutter einmal erklärt. Tom fand sie bloß hässlich, mit abstehenden Ohren und offenem Mund. Dem einen hatte man die Nase abgeschlagen.
Die Tür wurde geöffnet, die ersten Schüler gingen hinein und auf einmal hörte Tom Gelächter aus der Kirche. Draußen Gemurmel. Einzelne lösten sich von ihren Partnern und drängten nach vorne, um zu sehen, was los war. Andere drehten sich um und sagten, vielleicht habe wieder einer gekotzt. Frau Barmettler rief zur Ordnung, doch die Reihe zerfiel. Es formte sich eine Traube aus neugierigen Schülern, die den Eingang blockierte. Eine Weile ging gar nichts. Dann aber schlüpfte einer nach dem anderen hinein. Am Ende stand Tom zusammen mit vierzig Schülern und einer Lehrerin, der es die Sprache verschlagen hatte, in der Kirche. Sie blickten auf ein Christuskreuz, das in einer Seitenkapelle stand.
Die Skulptur war aus Holz und rund zwei Meter groß. Die Hände des Herrn überdimensioniert, die Arme verdreht. Der Brustkorb wirkte nicht sehr gut gearbeitet, die Rippen kaum angedeutet. Ein unscheinbares Kunstwerk, gewiss hatten viele der Schüler die Figur noch nie bewusst wahrgenommen. Doch jetzt starrten alle darauf, denn Jesus war mit Farbe beschmiert und auf der Vorderseite des Sockels, einer Fläche von der Größe eines Kinoplakats, war Komm runter, du Arsch in roten Buchstaben zu lesen.
Frau Barmettler drehte sich um, als wollte sie um Hilfe rufen. Und tatsächlich eilte ein Kirchendiener herbei, nahm ein Tuch, das auf einem Seitenaltar gelegen hatte, hängte es über den Sockel und beschwerte es mit einem Kerzenständer. Man konnte das sch noch immer sehen. Der Küster drehte sich um und hob beide Arme.
„Setzt euch hin“, presste er hervor. Frau Barmettler zuckte zusammen und schob zwei Jungen, die in ihrer unmittelbaren Nähe standen und noch immer kicherten, in Richtung Mittelschiff, während der Küster nach hinten ging und die Hauptpforte öffnete. Die Erst- bis Viertklässler strömten herein und wenig später erklang die Orgel, um den Schulgottesdienst zu eröffnen.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Tom saß in der Bank, hatte die Hände im Schoss gefaltet, murmelte Worte, die ihm so vertraut waren, dass sie nichts mehr bedeuteten. Das Entsetzen in Frau Barmettlers Gesicht. Die hektischen Gesten des Kirchendieners. Tom ahnte, was in ihren Köpfen abging. Verbrechen. Schande. Oder: Blasphemie, wie seine Mutter sagen würde. Er schloss die Augen. Sein Vater hätte gelacht, ganz bestimmt. Hätte sich an den Kopf gefasst und Mannomann! gerufen. Jesus, komm runter. Das ist ja mal eine Ansage. Das mit dem Arsch hingegen hätte er nicht gut gefunden. Sowas wäre ihm zu weit gegangen. Aber er hätte es verstanden.

Einmal, da war er vier oder fünf, hatte Tom während der Messe plötzlich zu plappern begonnen, die Worte des Pfarrers mit langgedehnten Lauten nachgesprochen. Toms Mutter legte ihm die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf. Sein Vater jedoch setzte eine ernste Miene auf, sah sie an, zuckte mit den Schultern und flüsterte, der Junge werde offenbar mal Priester. Worauf er den Arm um Toms Schulter legte und ihm mit warmer Hand über die Wange strich.

Tom drehte den Kopf, er hatte das Gefühl, der Vater säße jetzt neben ihm. Doch da war nur Jonas, mit abwesendem Blick und klappernden Zähnen. Vorne hob Pfarrer Gasser den Kelch und brach das Brot. Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach.
Jonas stupste Tom an. „Voll krass!“, sagte er leise. „Das mit dem Jesus.“
Tom drehte sich um, Frau Barmettler war nicht zu sehen. „Ja.“
„Wer hat das gemacht?“
„Weiß ich doch nicht.“ Tom griff nach dem Gesangsbuch, das vor ihm lag. Blauer Einband mit aufgedrucktem Kreuz. Jonas sah ihn fragend an und Tom legte das Buch wieder hin. Dann standen sie auf, traten in den Mittelgang und gingen nach vorne, um die Kommunion zu empfangen. Tom war schwindlig, er hatte nicht gefrühstückt, und als er die Oblate auf die Hand gelegt bekam - der Leib Christi - war ihm, als fiele er gleich in Ohnmacht. Er hatte ein Zirpen im Ohr.

Die Grillen nervten, hatte sein Vater gesagt. Ob man die ausschalten könne? Das war im August und da hatte er schon über zwanzig Kilo abgenommen. Die Haut voller Flecken. Der Atem roch schlecht.
„Wie ist die neue Lehrerin?“, fragte er.
„Frau Barmettler? Sie ist nett.“
„Nett. Aha. Ist sie hübsch?“
„Ähm.“
„Also ja“. Er lachte. Dann nahm er Toms Hand. „Brich ihr nicht das Herz, ja?“ Er musste husten. Toms Mutter kam herein, schloss das Fenster und schob ihn sanft zur Seite.
„Vater braucht Ruhe“, sagte sie.

Gasser sprach den Segen und sie verließen die Kirche. Frau Barmettler hatte sich vor die Seitenkapelle gestellt, wie eine Verkehrspolizistin. Hinter ihr Jesus, mit roten Klecksen auf der Brust.
„Das waren bestimmt Dotta und Döbe“, sagte Jonas, als sie den Weg hinunter zum Schulhaus gingen. Es nieselte und Tom zog sich die Kapuze über den Kopf.
„Kann sein.“
„Die sind ständig betrunken, habe ich gehört.“
„Aha.“ Tom bedauerte, dass er nichts weiter dazu sagte. Jonas war sein Freund. Er war der einzige, der normal geblieben war. Der ihm in die Augen sah, wenn sie sich begegneten. Der genauso von Fürzen sprach und über Mädchen lästerte wie die Wochen zuvor. Jonas brauchte ihn nicht mit leiser Stimme zu fragen, wie es ihm ging, denn sein Vater war ebenfalls gestorben. Nicht langsam, sondern bei einem Unfall. Aber darauf kam es nicht an.
„Bin gespannt, was deine Mutter dazu meint“, sagte Jonas und beschleunigte die Schritte. Tom hielt mit, sein Atem ging schnell, die Luft brannte in der Lunge.

Dieses Jahr hatten sie nach der Messe Religionsunterricht, eine zufällige Laune des Stundenplaners und im Ergebnis eine geballte Ladung Gott, wie Jonas sich ausdrückte. Und dieses Jahr war Toms Mutter die Lehrerin. Katechetin mit Diplom. Sie unterrichtete nur zwei Klassen, aber gerade seine war betroffen. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie so taten, als wären sie nicht miteinander verwandt. Dass er sie Frau Gander nannte. Das sei professionelles Verhalten, hatte sie gesagt.
Die anderen aus Toms Klasse schien nicht zu kümmern, was mit der Christusfigur geschehen war. Während sie ihre Jacken an die Garderobe hängten, sprachen die Jungs über Luzerns vier zu null gegen Basel. Die Mädchen trällerten ein Lied. Als sie aber das Zimmer betraten und Frau Gander sahen, verstummten sie. Sie setzten sich, Tom und Jonas ganz nach hinten, so wie immer. Toms Mutter trat vor das Pult. „Frau Barmettler hat es mir erzählt. Was man getan hat. Was jemand getan hat“, sagte sie und verschränkte die Arme. Die Schüler starrten auf ihre Pulte, als müssten sie ein schlechtes Gewissen haben. Tom sah seiner Mutter in die Augen. Sie war nicht zornig, das wusste er. Ihr Gesicht sah aus, als wäre sie krank, die Wangen ohne Farbe, die Nasenspitze rot. Die Mundwinkel zuckten. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn ihr die Tränen gekommen wären, obwohl er sie noch nie hatte weinen sehen.
„Vor dieser Figur habe ich jeden Tag gekniet, die letzten zwei Jahre.“
Einige drehten den Kopf und Tom rückte seine Brille zurecht. Der Regen war stärker geworden, Tropfen schlugen gegen das Fenster.

Es stimmte. Zwei Jahre. Immer wenn Tom von der Schule kam, nahm sie den Rosenkranz, der auf dem Schlafzimmertisch lag, zog die schönen Schuhe an und sagte, sie gehe zur Kirche. Tom machte Hausaufgaben. Ab und zu schaute er nach seinem Vater, der meistens schlief. Um halb sieben war sie zurück, schob eine Fertigpizza in den Ofen und ging ins Schlafzimmer, wo sie sich für eine halbe Stunde hinsetzte und Blumenmotive auf Kissenüberzüge stickte. Später kam Herr Durrer, der Arzt. Am Anfang einmal die Woche, am Ende fast jeden Tag. Der nette Mann mit Morphium, wie Toms Vater sagte.
Toms Mutter übernahm die Pflege. Er werde zuhause sterben, hatte sie gesagt, nachdem Durrer erklärt hatte, dass ihr Mann den Krebs nicht besiegen werde. Das gebiete die Nächstenliebe und sie alle wollten es so. Tom stand daneben, mit Tränen in den Augen, und nickte. Am selben Abend rief er den Präsidenten des Schachklubs an, wo er zweimal die Woche spielte, und sagte, er komme nicht mehr ins Training. Er erledigte Einkäufe, brachte dem Vater Bücher aus der Bibliothek – ein Buch zu kaufen macht irgendwie keinen Sinn mehr, nicht? – las ihm daraus vor, reichte Säfte und Äpfel, am Ende nur noch Wasser, tat dieses, tat jenes, weil man nichts tun konnte.
Wie stark sein Vater gewesen war! Er hatte ihn den ganzen Weg vom Buochserhorn hinunter ins Dorf getragen, als sie wandern waren und Tom sich den Knöchel verstaucht hatte. Keine Sache, hatte er gesagt und zu singen begonnen, vom Schacherseppli, dem Vaganten. An Weihnachten gingen sie zum See, während Toms Mutter den Baum schmückte, und ließen Steine über die Oberfläche hüpfen. Von ihm hatte Tom gelernt, in welchem Winkel er werfen musste. Bald war wieder Advent.
„Es ist eine Prüfung für uns alle“, hatte die Mutter einmal gesagt, als sie Tom aus dem Schlafzimmer kommen sah. „Auch für dich.“ Sie strich ihm übers Haar. Tom fragte sich, was geschehen würde, wenn er durchfiele, und was er können musste, um zu bestehen. Er traute sich nicht, sie zu fragen. Er hatte gelernt, so zu tun, als verstünde er alles, was sie sagte, als wäre er mit allem einverstanden. Sie sprachen nicht viel. Abends saßen sie vor dem Fernseher, den Ton leise gestellt, damit sie hören konnten, wenn Toms Vater etwas brauchte.
Am Tag nach seinem Tod gingen sie ins Dorf, zur Gemeindeverwaltung. Es war warm, der Sommer hatte noch nicht aufgegeben.
„Dein Vater ist jetzt im Himmel“, sagte sie.
Eine Weile dachte Tom nach, dann sagte er: „Ich bin kein Kind mehr.“
„Doch“, sagte sie. „Das bist du.“

Sie stand noch immer vor dem Pult, ließ den Blick über die Klasse schweifen.
„Entschuldigt bitte“, sagte sie. Sie ging zurück an ihren Platz, setzte sich hin, nahm einige Blätter in die Hand und blickte auf. Nun begann der Unterricht, dachte Tom. Aber sie sagte: „Wie kann man nur so etwas tun?“

Die Woche bevor der Vater starb, hatte ihm Tom ein zweites Kissen unter den Nacken gelegt, ein Glas Wasser gereicht – zwei kleine Schlucke – und ihm ein Buch in die Hand drücken wollen. Sein Vater konnte es nicht festhalten und es fiel auf die Decke.
„Geht nicht“, sagte er.
„Versuch es nochmal.“
„Ich bin zu müde. Ich muss schlafen.“
Tom nahm das Buch, seine Hände zitterten. „Dann schlaf doch!“, schrie er und warf das Buch auf die Kommode, wo es über die Oberfläche rutschte und zu Boden fiel.
„Tom“, sagte der Vater.
Er konnte nicht antworten. Er hatte das Gefühl zu ersticken, als wäre etwas im Hals, presste die Kiefer aufeinander. Tränen traten in seine Augen. Er hob das Buch auf und rannte aus dem Zimmer. Später schämte er sich so sehr, ihn angeschrien zu haben, dass er erst am nächsten Tag wieder zu ihm ging. Der Vater lächelte, als er ihn hereinkommen sah, was Tom erleichterte. Noch lieber hätte er gehabt, wenn er mit ihm geschimpft hätte, wenn er aufgestanden wäre und ihm gesagt hätte, so dürfe man nicht mit seinem Vater reden.
„Er wehrt sich gar nicht“, sagte Tom zur Mutter. Sie saßen auf dem Sofa und sahen sich eine Tierdokumentation an. Ameisen krabbelten einen Baum hoch. Tom hatte vergessen, weshalb sie das taten, obwohl es der Sprecher gerade eben erklärt hatte.
„Das ist nicht fair, Tom. Er kämpft jeden Tag.“
„Stimmt gar nicht!“
Sie legte den Zeigefinger auf den Mund und blickte in Richtung Schlafzimmer. „Du musst es annehmen“, sagte sie leise. „Gott will es so.“ Sie sahen wieder auf den Bildschirm. Drei Ameisen schleppten einen toten Artgenossen mit sich, bis sie ihn irgendwo liegen ließen.

Toms Mutter schüttelte den Kopf. Sie legte die Blätter hin und starrte aus dem Fenster. Graupel hatte sich in den Regen gemischt. Die Klasse blieb still. Jonas drehte den Kopf zu Tom und hob die Augenbrauen. Es war, als würden sie alle auf etwas warten. Toms Puls wurde schneller. Das Zirpen kehrte zurück.
Früher gingen sie jeden Samstag spazieren, zu dritt, den Fluss entlang. Im Winter lieferten sie sich Schneeballschlachten. Toms Vater gegen ihn und seine Mutter, die ihm Deckung gab. Wie hatte ihr Lachen geklungen? Tom konnte sich nicht erinnern.
Vorgestern hatte sie gesagt, dass sie eine Kerze anzünden und beten gehen wolle. In die Kirche, zur Christusfigur. Um zu danken. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.
Tom hob die Hand. „Frau Gander.“
Sie sah ihn überrascht an. „Ja?“
„Ich war's.“
Einige wendeten den Kopf und starrten ihn an. Jonas bewegte sich nicht, Tom konnte ihn atmen hören.
„Alter!“, murmelte sein Freund.
„Was hast du gesagt?“, fragte Toms Mutter.
Tom stand auf. „Ich hab das gemacht. Den scheiß Jesus angemalt.“ Er ging nach vorne zur Tür, die Mutter stellte sich ihm in den Weg.
„Du bleibst hier!“ Sie versuchte ihn zu fassen, aber er duckte sich und glitt unter ihrem Arm durch. Er schlug auf die Türklinke, trat auf die Schwelle und drehte sich um. Seine Mutter hatte nicht nachgesetzt, sie stand bloß da, mit schlaffen Armen. Tom drosch mit der Faust gegen den Türrahmen.
„Scheiß auf Gott!“

Der Raum war klein. Holztäfelungen an der Wand. In der Mitte ein quadratischer Tisch, an dem sie saßen. Es war nach sechs, Pfarrer Gasser hatte zuvor keine Zeit gehabt. Er trug eine schwarze Soutane, das Haar nach hinten gekämmt. Die Hände gefaltet, als wollte er beten, saß er Tom gegenüber. Tom fiel auf, wie platt seine Nase war.
„Wie alt bist du?“, fragte Gasser.
„Zwölf.“
„Im Januar“, sagte Toms Mutter. Sie saß links von ihm, ihr gegenüber rutschte Frau Barmettler auf dem Stuhl hin und her. Tom wusste nicht, wen er ansehen sollte und blickte auf das Bild, das hinter Pfarrer Gasser an der Wand hing. Die Mutter Gottes mit dem Christuskind im Arm. Das Gemälde war rund, Marias Kleid leuchtete in kräftigem Blau.
„Aha“, sagte Gasser. „So. Dann erzähl uns, weshalb du das getan hast.“
„Woher hattest du überhaupt die Farbe?“, fragte Frau Barmettler. Der Pfarrer verzog das Gesicht. Aber dann wiederholte er ihre Frage.
„Aus unserer Garage“, sagte Tom.
„Die Kirche war offen?“, fragte Gasser.
„Ja.“
„Gestern Abend?“
Tom nickte.
„Und dann bist du hinein?“
„Ja.“
Die Luft im Raum war trocken und Toms Hals schmerzte. Auf einmal stand seine Mutter auf.
„Sag mir, warum!“, sagte sie. Frau Barmettler erschrak und wich zurück. Tom senkte den Kopf, überlegte, was er antworten sollte. Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht“, sagte er.
„Du weißt es nicht.“ Gasser bedeutete der Mutter, sich wieder hinzusetzen. Frau Barmettler nestelte an ihrer Bluse herum, sie hatte eine Brosche angesteckt, die zu schwer für den dünnen Stoff war. Gasser faltete erneut die Hände. Tom wurde übel, er wollte aufstehen und aufs Klo rennen. Warum konnten sie ihn nicht einfach bestrafen?
„Geht es dir gut, mein Junge?“, fragte Gasser. Tom nickte und der Pfarrer räusperte sich.
„Du hast geschrieben, Jesus solle herunterkommen“, sagte er.
„Ja.“
„Findest du das lustig?“, fragte Toms Mutter, aber der Pfarrer hob die Hand. Er rieb sich die Nase, als müsste er nachdenken.
„Gut. Angenommen, er kommt wirklich herunter“, sagte er. Frau Barmettler runzelte die Stirn. Das Bild hinter Gassers Schulter wurde unscharf, Tom sah bloß noch blaue Farbe. Er hatte den Geruch von Weihrauch in der Nase. „Was würdest du tun?“, fragte der Pfarrer.
„Er ist so ein braver Junge!“, rief Frau Barmettler dazwischen. „Ich hätte nie gedacht, dass er …“
„Hat er aber“, sagte Toms Mutter.
Gasser ließ sich nicht beirren. „Also, Tom. Was würdest du tun?“ Er sah Tom an.
„Er soll sagen, weshalb er das wollte. Dass Vater stirbt“, sagte Tom und es gelang ihm, die Tränen zurückzuhalten. Gasser lehnte sich zurück und blickte zu Toms Mutter. Sekunden vergingen. Tom kniff die Augen zusammen, Maria gewann wieder an Kontur. Frau Barmettler beugte sich zu ihm und bewegte lautlos die Lippen, während seine Mutter den Kopf in die Hände legte. Ihr Atem ging schwer. Toms Gesicht war heiß, die Füße fühlten sich an, als steckten sie in Eiswasser.
„Nun gut.“ Gasser räusperte sich wieder. „Was machen wir mit dir?“, fragte er.
„Er hat noch nie etwas Schlimmes getan“, sagte Toms Mutter, den Kopf noch immer zwischen den Händen vergraben. Tom setzte sich gerade hin.
„Das weiß ich.“ Gasser dachte nach. „Selber putzen kann er die Schweinerei nicht. Das ist zu heikel.“
„Ja“, sagte Toms Mutter. Sie hob den Kopf.
„Das wird teuer.“
„Ja.“
„Vielleicht kann er etwas helfen? Gartenarbeit?“, fragte Frau Barmettler.
„Womöglich“, sagte der Pfarrer. „Das ist eine Idee. Wir werden das abklären.“

Es hatte aufgehört zu regnen. Neben dem Pfarrhaus ragte der Kirchturm in die Höhe, dahinter konnte Tom den Mond sehen, verdeckt durch Wolken, schwach schimmernd.
„Gehen wir zum Grab“, sagte seine Mutter.
Es war nur ein kurzer Weg, aber Tom schien es ewig zu dauern. Die Mutter schwieg. Er sah zu ihr hoch. Sie öffneten das Tor und gingen hinein, dorthin, wo sein Vater begraben war. Neben dem Kreuz standen Kränze mit Schleifen in Rot und Gelb. Sie nahm einen Tannzweig, der in einer Steinschale lag, und sprenkelte Weihwasser auf das Immergrün. Als sie Tom den Tannzweig überreichte, berührten sich ihre Hände. Sie sah ihn an und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

 

Servus Peeperkorn,

ist eine richtig schöne Geschichte. Sie ist auch sehr rund, finde ich, mir gefällt das sehr gut, wie du langsam den Hintergrund des Farbanschlags aufklärst, wie du über den Vater erzählst und ihn auch sehr sympathisch und scharf zeichnest. Irgendwann in der Mitte des Textes ist mir gedämmert, dass der Junge wohl selbst der Täter ist, aber trotzdem finde ich es nicht zu vorhersehbar, es hätte auch anders kommen können - insofern hast du alles richtig gemacht, meiner Meinung nach.

„Dein Vater ist jetzt im Himmel“, sagte sie.
Eine Weile dachte Tom nach, dann sagte er: „Ich bin kein Kind mehr.“
„Doch“, sagte sie. „Das bist du.“
Das ist ein sehr guter Dialog. Sagt sehr viel aus, auch über die Beziehung der beiden, und natürlich über Mutter und Sohn an sich.


„Geht es dir gut, mein Junge?“, fragte Gasser. Tom nickte und der Pfarrer räusperte sich.
„Du hast geschrieben, Jesus solle herunterkommen“, sagte er.
„Ja.“
„Findest du das lustig?“, fragte Toms Mutter, aber der Pfarrer hob die Hand. Er rieb sich die Nase, als müsste er nachdenken.
„Gut. Angenommen, er kommt wirklich herunter“, sagte er. Frau Barmettler runzelte die Stirn. Das Bild hinter Gassers Schulter wurde unscharf, Tom sah bloß noch blaue Farbe. Er hatte den Geruch von Weihrauch in der Nase. „Was würdest du tun?“, fragte der Pfarrer.
„Er ist so ein braver Junge!“, rief Frau Barmettler dazwischen. „Ich hätte nie gedacht, dass er …“
„Hat er aber“, sagte Toms Mutter.
Das war die einzige Stelle, an der ich "technisch" gesehen etwas gestolpert bin - mir ist das mindestens eine Figur zu viel in diesem Dialog - Mutter, Pfarrer, Frau, Tom, jeder hat in dieser hitzigen Debatte etwas zu sagen - ist nicht total overkill, aber wäre das mein Text, würde ich wahrscheinlich probieren, ob es nicht hübscher wäre, wenn der Pfarrer vor diesem "Geht es dir gut" die Damen nach draußen schickt und ein persönliches Gespräch mit dem Jungen sucht. Das kann dann gerne auch tiefer gehen - ich stelle mir gerade die Szene so vor, dass der Pfarrer im persönlichen Gespräch mit dem Jungen ihm eine "Weisheit" oder irgendetwas mit auf dem Weg gibt, das heilsam für den Jungen ist ... der Pfarrer sozusagen als Vaterfigur, die ihn in seinem Konflikt heilen kann. Aber du musst du selbst mal schauen, ob dir das überhaupt passt und wie sich das umgesetzt richtig für dich anfühlt ... ist mir nur gerade eingefallen.

Es hatte aufgehört zu regnen.
Mir gefällt, wie du in diesem Text die Umwelt in Beziehung zum Innenleben deines Prots setzt - Sturm, wenn auch im Prot Sturm herrscht, die Ameisen, die einen toten Kumpanen mit sich tragen etc. Sehr schön.


Ja, Peeperkorn, sehr schön. Die Karthasis, das Gespräch mit dem Pfarrer, da sehe ich persönlich noch ein wenig Potential, gerade was die Figuren- und Konfliktentwicklung im Prot angeht, aber ansonsten ist das wie gewohnt auf einem sehr hohen Level und ich habe deine Story mit großem Vergnügen gelesen. Echt gut gemacht.


Gruß
zigga

 

Hey Peeperkorn,

ich weiß, ich weiß. Ich bin so was von zu spät, aber ich wollt Dir noch sagen, dass ich die Geschichte richtig gern gelesen hab. Der Titel hat mich nicht gerade motiviert, das muss ich zugeben, klingt nach: Da klingelt ein Kind beim anderen und will spielen gehen. Im Nachhinein ist er natürlich treffend. Ich habe so gefeixt innerlich, ich fand das so sau stark, ich habe dieses Kind geliebt in diesem Augenblick! Was für ein Kind! Daraus wird doch mal ein sehr spannender Mensch der Fragen stellt. Na ja, ist ja eine Figur, also wird kein unbequemer Bürger draus, aber wäre doch schön.

Sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie so taten, als wären sie nicht miteinander verwandt. Dass er sie Frau Gander nannte. Das sei professionelles Verhalten, hatte sie gesagt.

Die Mutter ist schon echt schräg. Das ist eine ganz komische Distanz da die ganze Geschichte über in der Geschichte zwischen ihnen. Dass der Sohn sie "Frau Gander" nennt, beschreibt das Verhältnis zwischen den beiden ganz gut. Schöner Zug von Dir. Obwohl es mir wirklich schwer fällt, sie als Figur zu verstehen. Ich sehe die echt, als wäre ihre Familie die Kirche, und das Zuhause eben das, wo man hingeht, weil man da hingehen muss. Ganz komisch wirkt die auf mich.

Es stimmte. Zwei Jahre. Immer wenn Tom von der Schule kam, nahm sie den Rosenkranz, der auf dem Schlafzimmertisch lag, zog die schönen Schuhe an und sagte, sie gehe zur Kirche. Tom machte Hausaufgaben. Ab und zu schaute er nach seinem Vater, der meistens schlief. Um halb sieben war sie zurück, schob eine Fertigpizza in den Ofen und ging ins Schlafzimmer, wo sie sich für eine halbe Stunde hinsetzte und Blumenmotive auf Kissenüberzüge stickte.

Da, die beiden leben so nebeneinanderher - furchtbar. Und das in dieser Zeit. Sicher muss auch die Mutter einen Weg für sich finden, um mit der Situation klarzukommen, aber das ist schon hart für den Jungen. Und kein Wunder, wenn er da jemanden haben will, bei dem er sich beschweren kann.

Er erledigte Einkäufe, brachte dem Vater Bücher aus der Bibliothek – ein Buch zu kaufen macht irgendwie keinen Sinn mehr, nicht? – las ihm daraus vor, reichte Säfte und Äpfel, am Ende nur noch Wasser, tat dieses, tat jenes, weil man nichts tun konnte.

so kurz, so gut, so treffend!

„Es ist eine Prüfung für uns alle“, hatte die Mutter einmal gesagt, als sie Tom aus dem Schlafzimmer kommen sah. „Auch für dich.“ Sie strich ihm übers Haar. Tom fragte sich, was geschehen würde, wenn er durchfiele, und was er können musste, um zu bestehen. Er traute sich nicht, sie zu fragen.

Oh je.

„Dein Vater ist jetzt im Himmel“, sagte sie.
Eine Weile dachte Tom nach, dann sagte er: „Ich bin kein Kind mehr.“
„Doch“, sagte sie. „Das bist du.“

:) Gut vorbereitet.

Vorgestern hatte sie gesagt, dass sie eine Kerze anzünden und beten gehen wolle. In die Kirche, zur Christusfigur. Um zu danken.

Ja, das verstehe einer.

„Du bleibst hier!“ Sie versuchte ihn zu fassen, aber er duckte sich und glitt unter ihrem Arm durch. Er schlug auf die Türklinke, trat auf die Schwelle und drehte sich um. Seine Mutter hatte nicht nachgesetzt, sie stand bloß da, mit schlaffen Armen. Tom drosch mit der Faust gegen den Türrahmen.
„Scheiß auf Gott!“

Ja, hätte mir bisschen gewünscht, die Geschichte würde jetzt mit der Wut weitergehen, diese zum Thema machen, Sohn und Mutter auf ein Probe im hier und jetzt stellen, wo die Lösung nicht ist, in die Kirche zu rennen und Kerzen anzuzünden, wo die beiden endlich mal wieder miteinander! agieren. Dann kam aber das Gespräch und bisschen fiel sie dadurch eben auch ab. Immer dieses Reden heute :). Statt der Kirchenszene eine am Abendbrottisch, nur die zwei, keiner der für sie das Gespräch übernehmen kann, der die beiden an die Hand nimmt, kein Mediator. Aber gut, Du bist friedlicher.

Eine sau schöne, traurige Geschichte. Mutter und Sohn, eigentlich bräuchte es den sterbenden Vater fast gar nicht. Also natürlich brauch es den, so als Auslöser, aber an sich tragen diese beiden Figuren die Geschichte. Und die können das vom Potential her auch locker. Die beiden könnten viele Geschichten schreiben.

Sehr, sehr schön!
Gutes neues Jahr für Dich!

Fliege

 

Hallo Lem Pala

Vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, die beiden Figuren, die du ansprichst, kommen vielleicht etwas zu kurz, vor allem an der Mutter könnte man noch das eine oder andere Detail herausarbeiten. Aber auch der Pfarrer, der nur als Nebenfigur eingeführt wird, dann aber doch einiges für die Geschichte zu leisten hat. Ich werde da noch mal drüber nachdenken, ich bin zwar zur Zeit grad ganz woanders, aber vielleicht komme ich auf diesen Text noch mal zurück, mal schauen. Aber auch wenn ich das jetzt nicht konkret ändere, nehme ich deine Anregung gerne auf. Ich merke, dass viele Kommentare in eine ähnliche Richtung gehen, auch die beiden folgenden: Platischer, konflikthafter erzählen. Ich werde das, wenn nicht in dieser, so sicher in folgenden Texten umzusetzen versuchen.
Merci für deine Überlegungen, Lem Pala.

Hey zigga

Das war die einzige Stelle, an der ich "technisch" gesehen etwas gestolpert bin - mir ist das mindestens eine Figur zu viel in diesem Dialog - Mutter, Pfarrer, Frau, Tom, jeder hat in dieser hitzigen Debatte etwas zu sagen - ist nicht total overkill, aber wäre das mein Text, würde ich wahrscheinlich probieren, ob es nicht hübscher wäre, wenn der Pfarrer vor diesem "Geht es dir gut" die Damen nach draußen schickt und ein persönliches Gespräch mit dem Jungen sucht.

Finde ich einen sehr interessanten Hinweis. Ich bin zwar weiterhin recht zufrieden damit, wie ich in der Szene vier Figuren "managen" konnte, aber deine Kritik und vor allem dein Lösungsvorschlag zeigen mir doch auch, dass ich hier an einem Szenario festgehalten habe, das mir von Beginn weg als plausible und praktische Auflösung der ganzen Sache erschienen ist. Ich weiss nicht, ich denke wohl noch etwas zu wenig in Alternativen, wenn ich einen Text konzipiere. Deine Variante (oder andere) habe ich überhaupt nicht in Betracht gezogen.
Ob ich noch mal an diesen Text rangehen werden, kann ich grad nicht sagen, aber deine Anmerkung ist auf jeden Fall hilfreich. Ich nehme mir vor, in Zukunft bei möglichst vielen Szenarien, Konstellationen mir die Frage zu stellen, ob das auch anders, eleganter gelöst werden könnte.

ansonsten ist das wie gewohnt auf einem sehr hohen Level und ich habe deine Story mit großem Vergnügen gelesen. Echt gut gemacht.

Aber auch das nehm ich mit! Vielen Dank, zigga, dass du reingeschaut hast.

Liebe Fliege

Ich weiß, ich weiß. Ich bin so was von zu spät, aber ich wollt Dir noch sagen, dass ich die Geschichte richtig gern gelesen hab.

Umso schöner, irgendwie.

Obwohl es mir wirklich schwer fällt, sie als Figur zu verstehen. Ich sehe die echt, als wäre ihre Familie die Kirche, und das Zuhause eben das, wo man hingeht, weil man da hingehen muss. Ganz komisch wirkt die auf mich.

Die übliche Gratwanderung zwischen interessant und unplausibel. "Komisch" finde ich okay. :D Auf alle Fälle gibt's so Leute, das kann ich dir versichern.

Ja, hätte mir bisschen gewünscht, die Geschichte würde jetzt mit der Wut weitergehen, diese zum Thema machen, Sohn und Mutter auf ein Probe im hier und jetzt stellen, wo die Lösung nicht ist, in die Kirche zu rennen und Kerzen anzuzünden, wo die beiden endlich mal wieder miteinander! agieren. Dann kam aber das Gespräch und bisschen fiel sie dadurch eben auch ab. Immer dieses Reden heute . Statt der Kirchenszene eine am Abendbrottisch, nur die zwei, keiner der für sie das Gespräch übernehmen kann, der die beiden an die Hand nimmt, kein Mediator. Aber gut, Du bist friedlicher.

Ja, so eine ähnliche Richtung haben auch andere Kommentatoren eingeschlagen. Schon der Ausdruck "Mediator" zeigt es an. Ich versuche mal, das zu verallgemeinern und ein Problem daraus zu machen: Ich habe häufig eine Vorstellung davon, wie lange ein Text werden sollte und dann versuche ich abzurunden und abzuschliessen und gehe aus Konflikten raus. Klingt blöd, aber manchmal ertrag ich die Geschehnisse selbst nicht so ganz, die ich da entwickle. Mal schauen, ob ich da offener werden kann für meine Texte, wie sie sich entwickeln, auch die Figuren.

Danke dir, liebe Fliege, für das Lob dazwischen und am Ende, für diesen schönen Kommentar und auch dir ein tolles 2017!

Lieber Gruss euch allen
Peeperkorn

 

Hey Peeperkorn,

das ist dein letzter Beitrag und da ich nicht weiß, wann was Neues von dir kommt, kommentier ich erstmal hier :> Also ... Ich muss sagen, dass ich die Geschichte echt mag. Mir gefällt auch - das kann ich ja nochmal sagen - dein Stil sehr gut. Ich hab' beim Lesen das Gefühl, dass du auf ganz feine Nuancen achtest, das Sprachrhythmus und Komposition scheinbar eine wesentliche Rolle für dich spielen. Das, was du in meiner letzten Story gesucht hast oder auch nicht, ist bei dir auf jeden Fall vorhanden - eine besondere Begebenheit und ein starker Konflikt. Auch, wenn mich deine Story überzeugt, frage ich mich, wie sich eine Geschichte ohne das aus deiner Feder lesen würde. Dass sie mir ebenfalls großen Spaß machen würde, weiß ich. Vielleicht kann ich ja die Challenge mal zurückgeben, haha - nein, dass ist Quatsch!
Besonders gefällt mir die Bescheidenheit deiner Sprache und der Minimalismus deiner Bilder. Ab und zu setzt du Schlaglichter, kleine Reflexionen der Charaktere - im Grunde große Gedanken. Ich gehe mal rein, bevor ich ins Schwafeln komme ...


Die sähen furchterregend aus, weil sie dazu da seien, Dämonen abzuschrecken, hatte seine Mutter einmal erklärt.

das habe ich mit einem Schmunzeln gelesen. Gescheitertes Show-Dont-Tell im Alltag ist eben auch witzig.

Andere drehten sich um und sagten, vielleicht habe wieder einer gekotzt.

Tolle Informationsvergabe! Da entsteht sofort Spannung. ...weil der so voraussetzungsreich ist, der Satz.

Doch jetzt starrten alle darauf, denn Jesus war mit Farbe beschmiert und auf der Vorderseite des Sockels, einer Fläche von der Größe eines Kinoplakats

Und hier ist deine ungewöhnliche Begebenheit (irgendwie ja auch das Novellenkriterium, hm..) (Btw. ich schreib gerade eine Erzählung (ca. 15-20 Seiten). Kann ich die auch bei den Kurzgeschichten einstellen? - sorry, dass ich deinen Thread für solche Fragen missbrauche, aber es war gerade irgendwie so praktisch :p )
Den beschmierte Jesus hab ich übrigens als Bild sofort vor Augen gehabt - irgendwie archaisch auch. Ziemlich gut gewählt, finde ich..

Hätte sich an den Kopf gefasst und Mannomann! gerufen. Jesus, komm runter. Das ist ja mal eine Ansage. Das mit dem Arsch hingegen hätte er nicht gut gefunden. Sowas wäre ihm zu weit gegangen. Aber er hätte es verstanden.

toll charakterisiert.

„Also ja“. Er lachte. Dann nahm er Toms Hand. „Brich ihr nicht das Herz, ja?“ Er musste husten. Toms Mutter kam herein, schloss das Fenster und schob ihn sanft zur Seite.
„Vater braucht Ruhe“, sagte sie.

fand ich auch total süß. Bei "Vater braucht Ruhe" war ich mir allerdings nicht ganz sicher, aber wo ich es jetzt lese, glaube ich, dass ist vielleicht etwas Regionales. Ich finde den Vater als Elternteil "Vater" zu nennen schon ziemlich, ziemlich antiquiert, und hab mich deshalb über dieses ungleiche Paar lustiger Vater/stocksteife Mutter gewundert. Aber vielleicht ist diese Anrede in der Schweiz üblicher?? Ansonsten vielleicht "Papa" oder Vorname.

Dieses Jahr hatten sie nach der Messe Religionsunterricht, eine zufällige Laune des Stundenplaners und im Ergebnis eine geballte Ladung Gott, wie Jonas sich ausdrückte.

Auch subtil humorvoll :) Mir hat auch gefallen, wie du in der Kursivschreibweise zitiert hast. Ist das gängig oder hast du dir das so ausgedacht?

[

I]Keine Sache[/I], hatte er gesagt und zu singen begonnen, vom Schacherseppli, dem Vaganten.

Das fand ich ziemlich herzerwärmend :>

Tom nahm das Buch, seine Hände zitterten. „Dann schlaf doch!“, schrie er und warf das Buch auf die Kommode, wo es über die Oberfläche rutschte und zu Boden fiel.

Und das ziemlich traurig :o

Drei Ameisen schleppten einen toten Artgenossen mit sich, bis sie ihn irgendwo liegen ließen.

:<

Er sah Tom an. Er hatte braune Augen.

Der nachfolgende Satz, den ich hier nicht zitiert hab, fängt auch mit "er" an. Außerdem war das nicht so klar, wessen Augen jetzt braun sind. Also aus dem Zusammenhang schon, aber... Warum machst du nicht einen Satz draus?

Sie sah ihn an und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Sorry, dass ich ausgerechnet, obwohl ich so gut wie nichts zu meckern hab, den letzten Satz und die Schlusswirkung anspreche... Du wolltest ja so einen Hoffnungsschimmer setzen. Eine positive Wendung und das die etwas hysterische Mutti auf den verstörten Kleinen zugeht. Das finde ich an sich super, aber irgendwie war mir das mit dem Lächeln nach der Geste mit dem Tannzweig und auf dem Friedhof zu plötzlich. Als angemessen hätte ich glaube ich eher eine köperliche Geste empfunden - Dass sie den Arm um ihn legt ihm vor dem Lächeln zumindest erstmal das Haar aus dem Gesicht streicht. Ich hoffe, du verstehst, was ich sagen will - eine Anbahnung.. :o

Soooo.. Nochmal, eine feine Geschichte, die hat mir gefallen! Hoffentlich gibts bald etwas Neues von dir zu lesen. Arbeitst du gerade an etwas?

LG
Carlo

 

Hey Carlo Zwei

Dein Interesse freut mich, schön, dass du reingeschaut hast. Zunächst zu deinen Fragen:

Arbeitst du gerade an etwas?

Btw. ich schreib gerade eine Erzählung (ca. 15-20 Seiten). Kann ich die auch bei den Kurzgeschichten einstellen?

Zur Zeit läuft es gut und ich komme vorwärts. Mittlerweile stelle ich nicht mehr alles, was ich schreibe, ins Forum, aber in den nächsten Wochen werde ich wohl einen Text posten. Der wird so rund 40 Seiten lang sein, vielleicht etwas länger. Womit auch deine zweite Frage beantwortet ist. Es gibt einige Geschichten hier, die mehr als 5000 Wörter lang sind, was in etwa 20 Standardmanuskriptseiten entspricht. Diese Texte sind bei den Kurzgeschichten gut aufgehoben.

Mir hat auch gefallen, wie du in der Kursivschreibweise zitiert hast. Ist das gängig oder hast du dir das so ausgedacht?

Ich habe mal damit experimentiert. Ich versuche, eine angemessene Form zu finden, wie man mit Dialogen, Erinnerungen und Dialogen in Erinnerungen umgeht. In meinem neuen Text verzichte ich vollständig auf Anführungszeichen, obwohl es viele Dialoge hat, setze auch nichts kursiv. (Muss aber noch mit dem Team abklären, ob das hier im Forum überhaupt geht).

Ich finde es sehr spannend, wie sich Texte durch solche Kleinigkeiten anders lesen. Anführungszeichen haben so etwas, wie soll man das sagen, Objektivierendes, Entäusserndes; wenn der Satz zwischen diesen Zeichen steht, dann kann ich ihn hören, dann ist die Akkusitik ebenfalls relevant, wenn nicht, dann ist er irgendwie näher bei der Figur, die Grenze zwischen Innen und Aussen wird verwischt.

Bei "Vater braucht Ruhe" war ich mir allerdings nicht ganz sicher, aber wo ich es jetzt lese, glaube ich, dass ist vielleicht etwas Regionales. Ich finde den Vater als Elternteil "Vater" zu nennen schon ziemlich, ziemlich antiquiert, und hab mich deshalb über dieses ungleiche Paar lustiger Vater/stocksteife Mutter gewundert. Aber vielleicht ist diese Anrede in der Schweiz üblicher?? Ansonsten vielleicht "Papa" oder Vorname.

Ja, das ist manchmal wirklich schwierig. Da ist diese Diskrepanz: Ich denke wirklich, ich schreibe Deutsch, also so echt, und dann erkennt man in meinen Texten doch immer das Schweizerische. Hier vielleicht auch: Also, wenn Erwachsene miteinander sprechen, dann sagen sie am ehesten: "Mein Vater..." Das "Papi" ist eher (aber auch nicht durchgehend) für Kinder reserviert. Hier in diesem Kontext würde es also passen. Aber ich wollte die Mutter halt als jemanden charkaterisieren, die auf solche eher liebevolle Bezeichnungen verzichtet und habe daher den Vater gewählt.

Der nachfolgende Satz, den ich hier nicht zitiert hab, fängt auch mit "er" an. Außerdem war das nicht so klar, wessen Augen jetzt braun sind. Also aus dem Zusammenhang schon, aber... Warum machst du nicht einen Satz draus?

Guter Punkt. Die Satzfolge ist schrecklich, wenn man es mal gesehen hat. Ich habe "Er hatte braune Augen." einfach gestrichen.

Du wolltest ja so einen Hoffnungsschimmer setzen. Eine positive Wendung und das die etwas hysterische Mutti auf den verstörten Kleinen zugeht. Das finde ich an sich super, aber irgendwie war mir das mit dem Lächeln nach der Geste mit dem Tannzweig und auf dem Friedhof zu plötzlich. Als angemessen hätte ich glaube ich eher eine köperliche Geste empfunden - Dass sie den Arm um ihn legt ihm vor dem Lächeln zumindest erstmal das Haar aus dem Gesicht streicht. Ich hoffe, du verstehst, was ich sagen will - eine Anbahnung.. :o

Das ist ja witzig. Denn das hatte ich einer ersten Version so gemacht. Aber dann war mir das zu körperlich, zu plötzlich und ich wollte das lieber durch ein Lächeln anbahnen. :lol:

Ja, das ist doch schön, wie das verschieden empfunden wird. Ich schreibe in meinen Texten häufig von Händen auf Schultern oder Umarmungen oder so was und frage mich dann, wie das gelesen wird, wieviel Nähe damit impliziert ist. Kann man nicht alles steuern.

Zu den anderen von dir herausgepickten Passagen: Vielen Dank! Ich fand das Lob u.a. auch erhellend, z.B. deine Ausführungen zur Dämonenpassage.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

deine Geschichte hat mich tief bewegt. Du hast das Drama so sensibel und gut beobachtet eingefangen, dass es mir stellenweise eng in der Brust wurde.
Du hast eine ausgewogene Balance zwischen Rückblende und Gegenwart geflochten. Das Verhältnis von Vater u d Sohn wird deutlich und ich finde es sehr angenehm, dass du keine großen Highlights zeigst, sondern Alltäglichkeiten aus deren gemeinsamer Vergangenheit. Das Wirk echt wie alles an dieser Geschichte. Ich kaufe das AB, ich leide mit und die Auflösung ist großartig. Natürlich ahnte ich es, aber die Art, wie du es aufdeckst, macht es noch Mal eine Spur intensiver. Der konflikt mit der Mutter überhaupt, den finde ich auch sehr gut.
Am besten aber gefällt mir das Gespräch gen Ende. Diese furchtbare ziellose Unbeholfenheit von Mutter und Lehrer ist grandios eingefangen, wie der Pfarrer versucht, in die Tiefe vorzudringen. Echt gut. Und auch die Antwort. Absolut nachvollziehbar. Das geht unter die Haut.
Danke auch für den kleinen Lichtblick am Ende. Das hat Tom verdient.

Grüßlichst
Weltenläufer

 

Lieber weltenläufer

Oh, schön, dass du auf deiner Tour durch die Empfehlungen von 2016 auch bei dieser Geschichte einen Etappenhalt eingelegt und einen Kommentar hinterlassen hast.

Am besten aber gefällt mir das Gespräch gen Ende. Diese furchtbare ziellose Unbeholfenheit von Mutter und Lehrer ist grandios eingefangen, wie der Pfarrer versucht, in die Tiefe vorzudringen.

Das hat mich besonders gefreut, denn zu dieser Stelle gab es die meiste Kritik. Nicht, dass diejenigen, die meinen, man könnte/müsste da noch tiefer reingehen, mehr Konflikt zeigen, unrecht hätten. Aber es ist doch sehr schön zu erfahren, dass die Szene für dich so funktioniert hat.

Danke auch für den kleinen Lichtblick am Ende. Das hat Tom verdient.

Auch da gab es zwei Lager (oder sogar drei). Für die einen hat's gepasst, für andere war es zu hell, für wiederum andere zu vage. Ich bin selber noch immer unentschlossen. Ich weiss nicht, ob ich mit dieser Geschichte mal noch was anfangen möchte, mich noch mal dran setzen werde. Bis dahin lasse ich den Lichtblick aber auf alle Fälle so stehen.

deine Geschichte hat mich tief bewegt.

Und das hat mich natürlich am meisten gefreut.

Vielen Dank fürs Reinschauen!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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