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Komm runter

Challenge 3. Platz
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18.06.2015
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Komm runter

In Zweierreihe auf dem Kirchplatz, die Knaben vorne beim Eingang, dahinter die Mädchen. Sie warteten, bis sich die Seitentür öffnete, die den Fünft- und Sechstklässlern zugewiesen war. Novemberkälte kroch Tom die Beine hoch. Er musterte die zwei Gesichter aus Sandstein, die über dem Torbogen aus der Wand glotzten. Die sähen furchterregend aus, weil sie dazu da seien, Dämonen abzuschrecken, hatte seine Mutter einmal erklärt. Tom fand sie bloß hässlich, mit abstehenden Ohren und offenem Mund. Dem einen hatte man die Nase abgeschlagen.
Die Tür wurde geöffnet, die ersten Schüler gingen hinein und auf einmal hörte Tom Gelächter aus der Kirche. Draußen Gemurmel. Einzelne lösten sich von ihren Partnern und drängten nach vorne, um zu sehen, was los war. Andere drehten sich um und sagten, vielleicht habe wieder einer gekotzt. Frau Barmettler rief zur Ordnung, doch die Reihe zerfiel. Es formte sich eine Traube aus neugierigen Schülern, die den Eingang blockierte. Eine Weile ging gar nichts. Dann aber schlüpfte einer nach dem anderen hinein. Am Ende stand Tom zusammen mit vierzig Schülern und einer Lehrerin, der es die Sprache verschlagen hatte, in der Kirche. Sie blickten auf ein Christuskreuz, das in einer Seitenkapelle stand.
Die Skulptur war aus Holz und rund zwei Meter groß. Die Hände des Herrn überdimensioniert, die Arme verdreht. Der Brustkorb wirkte nicht sehr gut gearbeitet, die Rippen kaum angedeutet. Ein unscheinbares Kunstwerk, gewiss hatten viele der Schüler die Figur noch nie bewusst wahrgenommen. Doch jetzt starrten alle darauf, denn Jesus war mit Farbe beschmiert und auf der Vorderseite des Sockels, einer Fläche von der Größe eines Kinoplakats, war Komm runter, du Arsch in roten Buchstaben zu lesen.
Frau Barmettler drehte sich um, als wollte sie um Hilfe rufen. Und tatsächlich eilte ein Kirchendiener herbei, nahm ein Tuch, das auf einem Seitenaltar gelegen hatte, hängte es über den Sockel und beschwerte es mit einem Kerzenständer. Man konnte das sch noch immer sehen. Der Küster drehte sich um und hob beide Arme.
„Setzt euch hin“, presste er hervor. Frau Barmettler zuckte zusammen und schob zwei Jungen, die in ihrer unmittelbaren Nähe standen und noch immer kicherten, in Richtung Mittelschiff, während der Küster nach hinten ging und die Hauptpforte öffnete. Die Erst- bis Viertklässler strömten herein und wenig später erklang die Orgel, um den Schulgottesdienst zu eröffnen.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Tom saß in der Bank, hatte die Hände im Schoss gefaltet, murmelte Worte, die ihm so vertraut waren, dass sie nichts mehr bedeuteten. Das Entsetzen in Frau Barmettlers Gesicht. Die hektischen Gesten des Kirchendieners. Tom ahnte, was in ihren Köpfen abging. Verbrechen. Schande. Oder: Blasphemie, wie seine Mutter sagen würde. Er schloss die Augen. Sein Vater hätte gelacht, ganz bestimmt. Hätte sich an den Kopf gefasst und Mannomann! gerufen. Jesus, komm runter. Das ist ja mal eine Ansage. Das mit dem Arsch hingegen hätte er nicht gut gefunden. Sowas wäre ihm zu weit gegangen. Aber er hätte es verstanden.

Einmal, da war er vier oder fünf, hatte Tom während der Messe plötzlich zu plappern begonnen, die Worte des Pfarrers mit langgedehnten Lauten nachgesprochen. Toms Mutter legte ihm die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf. Sein Vater jedoch setzte eine ernste Miene auf, sah sie an, zuckte mit den Schultern und flüsterte, der Junge werde offenbar mal Priester. Worauf er den Arm um Toms Schulter legte und ihm mit warmer Hand über die Wange strich.

Tom drehte den Kopf, er hatte das Gefühl, der Vater säße jetzt neben ihm. Doch da war nur Jonas, mit abwesendem Blick und klappernden Zähnen. Vorne hob Pfarrer Gasser den Kelch und brach das Brot. Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach.
Jonas stupste Tom an. „Voll krass!“, sagte er leise. „Das mit dem Jesus.“
Tom drehte sich um, Frau Barmettler war nicht zu sehen. „Ja.“
„Wer hat das gemacht?“
„Weiß ich doch nicht.“ Tom griff nach dem Gesangsbuch, das vor ihm lag. Blauer Einband mit aufgedrucktem Kreuz. Jonas sah ihn fragend an und Tom legte das Buch wieder hin. Dann standen sie auf, traten in den Mittelgang und gingen nach vorne, um die Kommunion zu empfangen. Tom war schwindlig, er hatte nicht gefrühstückt, und als er die Oblate auf die Hand gelegt bekam - der Leib Christi - war ihm, als fiele er gleich in Ohnmacht. Er hatte ein Zirpen im Ohr.

Die Grillen nervten, hatte sein Vater gesagt. Ob man die ausschalten könne? Das war im August und da hatte er schon über zwanzig Kilo abgenommen. Die Haut voller Flecken. Der Atem roch schlecht.
„Wie ist die neue Lehrerin?“, fragte er.
„Frau Barmettler? Sie ist nett.“
„Nett. Aha. Ist sie hübsch?“
„Ähm.“
„Also ja“. Er lachte. Dann nahm er Toms Hand. „Brich ihr nicht das Herz, ja?“ Er musste husten. Toms Mutter kam herein, schloss das Fenster und schob ihn sanft zur Seite.
„Vater braucht Ruhe“, sagte sie.

Gasser sprach den Segen und sie verließen die Kirche. Frau Barmettler hatte sich vor die Seitenkapelle gestellt, wie eine Verkehrspolizistin. Hinter ihr Jesus, mit roten Klecksen auf der Brust.
„Das waren bestimmt Dotta und Döbe“, sagte Jonas, als sie den Weg hinunter zum Schulhaus gingen. Es nieselte und Tom zog sich die Kapuze über den Kopf.
„Kann sein.“
„Die sind ständig betrunken, habe ich gehört.“
„Aha.“ Tom bedauerte, dass er nichts weiter dazu sagte. Jonas war sein Freund. Er war der einzige, der normal geblieben war. Der ihm in die Augen sah, wenn sie sich begegneten. Der genauso von Fürzen sprach und über Mädchen lästerte wie die Wochen zuvor. Jonas brauchte ihn nicht mit leiser Stimme zu fragen, wie es ihm ging, denn sein Vater war ebenfalls gestorben. Nicht langsam, sondern bei einem Unfall. Aber darauf kam es nicht an.
„Bin gespannt, was deine Mutter dazu meint“, sagte Jonas und beschleunigte die Schritte. Tom hielt mit, sein Atem ging schnell, die Luft brannte in der Lunge.

Dieses Jahr hatten sie nach der Messe Religionsunterricht, eine zufällige Laune des Stundenplaners und im Ergebnis eine geballte Ladung Gott, wie Jonas sich ausdrückte. Und dieses Jahr war Toms Mutter die Lehrerin. Katechetin mit Diplom. Sie unterrichtete nur zwei Klassen, aber gerade seine war betroffen. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie so taten, als wären sie nicht miteinander verwandt. Dass er sie Frau Gander nannte. Das sei professionelles Verhalten, hatte sie gesagt.
Die anderen aus Toms Klasse schien nicht zu kümmern, was mit der Christusfigur geschehen war. Während sie ihre Jacken an die Garderobe hängten, sprachen die Jungs über Luzerns vier zu null gegen Basel. Die Mädchen trällerten ein Lied. Als sie aber das Zimmer betraten und Frau Gander sahen, verstummten sie. Sie setzten sich, Tom und Jonas ganz nach hinten, so wie immer. Toms Mutter trat vor das Pult. „Frau Barmettler hat es mir erzählt. Was man getan hat. Was jemand getan hat“, sagte sie und verschränkte die Arme. Die Schüler starrten auf ihre Pulte, als müssten sie ein schlechtes Gewissen haben. Tom sah seiner Mutter in die Augen. Sie war nicht zornig, das wusste er. Ihr Gesicht sah aus, als wäre sie krank, die Wangen ohne Farbe, die Nasenspitze rot. Die Mundwinkel zuckten. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn ihr die Tränen gekommen wären, obwohl er sie noch nie hatte weinen sehen.
„Vor dieser Figur habe ich jeden Tag gekniet, die letzten zwei Jahre.“
Einige drehten den Kopf und Tom rückte seine Brille zurecht. Der Regen war stärker geworden, Tropfen schlugen gegen das Fenster.

Es stimmte. Zwei Jahre. Immer wenn Tom von der Schule kam, nahm sie den Rosenkranz, der auf dem Schlafzimmertisch lag, zog die schönen Schuhe an und sagte, sie gehe zur Kirche. Tom machte Hausaufgaben. Ab und zu schaute er nach seinem Vater, der meistens schlief. Um halb sieben war sie zurück, schob eine Fertigpizza in den Ofen und ging ins Schlafzimmer, wo sie sich für eine halbe Stunde hinsetzte und Blumenmotive auf Kissenüberzüge stickte. Später kam Herr Durrer, der Arzt. Am Anfang einmal die Woche, am Ende fast jeden Tag. Der nette Mann mit Morphium, wie Toms Vater sagte.
Toms Mutter übernahm die Pflege. Er werde zuhause sterben, hatte sie gesagt, nachdem Durrer erklärt hatte, dass ihr Mann den Krebs nicht besiegen werde. Das gebiete die Nächstenliebe und sie alle wollten es so. Tom stand daneben, mit Tränen in den Augen, und nickte. Am selben Abend rief er den Präsidenten des Schachklubs an, wo er zweimal die Woche spielte, und sagte, er komme nicht mehr ins Training. Er erledigte Einkäufe, brachte dem Vater Bücher aus der Bibliothek – ein Buch zu kaufen macht irgendwie keinen Sinn mehr, nicht? – las ihm daraus vor, reichte Säfte und Äpfel, am Ende nur noch Wasser, tat dieses, tat jenes, weil man nichts tun konnte.
Wie stark sein Vater gewesen war! Er hatte ihn den ganzen Weg vom Buochserhorn hinunter ins Dorf getragen, als sie wandern waren und Tom sich den Knöchel verstaucht hatte. Keine Sache, hatte er gesagt und zu singen begonnen, vom Schacherseppli, dem Vaganten. An Weihnachten gingen sie zum See, während Toms Mutter den Baum schmückte, und ließen Steine über die Oberfläche hüpfen. Von ihm hatte Tom gelernt, in welchem Winkel er werfen musste. Bald war wieder Advent.
„Es ist eine Prüfung für uns alle“, hatte die Mutter einmal gesagt, als sie Tom aus dem Schlafzimmer kommen sah. „Auch für dich.“ Sie strich ihm übers Haar. Tom fragte sich, was geschehen würde, wenn er durchfiele, und was er können musste, um zu bestehen. Er traute sich nicht, sie zu fragen. Er hatte gelernt, so zu tun, als verstünde er alles, was sie sagte, als wäre er mit allem einverstanden. Sie sprachen nicht viel. Abends saßen sie vor dem Fernseher, den Ton leise gestellt, damit sie hören konnten, wenn Toms Vater etwas brauchte.
Am Tag nach seinem Tod gingen sie ins Dorf, zur Gemeindeverwaltung. Es war warm, der Sommer hatte noch nicht aufgegeben.
„Dein Vater ist jetzt im Himmel“, sagte sie.
Eine Weile dachte Tom nach, dann sagte er: „Ich bin kein Kind mehr.“
„Doch“, sagte sie. „Das bist du.“

Sie stand noch immer vor dem Pult, ließ den Blick über die Klasse schweifen.
„Entschuldigt bitte“, sagte sie. Sie ging zurück an ihren Platz, setzte sich hin, nahm einige Blätter in die Hand und blickte auf. Nun begann der Unterricht, dachte Tom. Aber sie sagte: „Wie kann man nur so etwas tun?“

Die Woche bevor der Vater starb, hatte ihm Tom ein zweites Kissen unter den Nacken gelegt, ein Glas Wasser gereicht – zwei kleine Schlucke – und ihm ein Buch in die Hand drücken wollen. Sein Vater konnte es nicht festhalten und es fiel auf die Decke.
„Geht nicht“, sagte er.
„Versuch es nochmal.“
„Ich bin zu müde. Ich muss schlafen.“
Tom nahm das Buch, seine Hände zitterten. „Dann schlaf doch!“, schrie er und warf das Buch auf die Kommode, wo es über die Oberfläche rutschte und zu Boden fiel.
„Tom“, sagte der Vater.
Er konnte nicht antworten. Er hatte das Gefühl zu ersticken, als wäre etwas im Hals, presste die Kiefer aufeinander. Tränen traten in seine Augen. Er hob das Buch auf und rannte aus dem Zimmer. Später schämte er sich so sehr, ihn angeschrien zu haben, dass er erst am nächsten Tag wieder zu ihm ging. Der Vater lächelte, als er ihn hereinkommen sah, was Tom erleichterte. Noch lieber hätte er gehabt, wenn er mit ihm geschimpft hätte, wenn er aufgestanden wäre und ihm gesagt hätte, so dürfe man nicht mit seinem Vater reden.
„Er wehrt sich gar nicht“, sagte Tom zur Mutter. Sie saßen auf dem Sofa und sahen sich eine Tierdokumentation an. Ameisen krabbelten einen Baum hoch. Tom hatte vergessen, weshalb sie das taten, obwohl es der Sprecher gerade eben erklärt hatte.
„Das ist nicht fair, Tom. Er kämpft jeden Tag.“
„Stimmt gar nicht!“
Sie legte den Zeigefinger auf den Mund und blickte in Richtung Schlafzimmer. „Du musst es annehmen“, sagte sie leise. „Gott will es so.“ Sie sahen wieder auf den Bildschirm. Drei Ameisen schleppten einen toten Artgenossen mit sich, bis sie ihn irgendwo liegen ließen.

Toms Mutter schüttelte den Kopf. Sie legte die Blätter hin und starrte aus dem Fenster. Graupel hatte sich in den Regen gemischt. Die Klasse blieb still. Jonas drehte den Kopf zu Tom und hob die Augenbrauen. Es war, als würden sie alle auf etwas warten. Toms Puls wurde schneller. Das Zirpen kehrte zurück.
Früher gingen sie jeden Samstag spazieren, zu dritt, den Fluss entlang. Im Winter lieferten sie sich Schneeballschlachten. Toms Vater gegen ihn und seine Mutter, die ihm Deckung gab. Wie hatte ihr Lachen geklungen? Tom konnte sich nicht erinnern.
Vorgestern hatte sie gesagt, dass sie eine Kerze anzünden und beten gehen wolle. In die Kirche, zur Christusfigur. Um zu danken. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.
Tom hob die Hand. „Frau Gander.“
Sie sah ihn überrascht an. „Ja?“
„Ich war's.“
Einige wendeten den Kopf und starrten ihn an. Jonas bewegte sich nicht, Tom konnte ihn atmen hören.
„Alter!“, murmelte sein Freund.
„Was hast du gesagt?“, fragte Toms Mutter.
Tom stand auf. „Ich hab das gemacht. Den scheiß Jesus angemalt.“ Er ging nach vorne zur Tür, die Mutter stellte sich ihm in den Weg.
„Du bleibst hier!“ Sie versuchte ihn zu fassen, aber er duckte sich und glitt unter ihrem Arm durch. Er schlug auf die Türklinke, trat auf die Schwelle und drehte sich um. Seine Mutter hatte nicht nachgesetzt, sie stand bloß da, mit schlaffen Armen. Tom drosch mit der Faust gegen den Türrahmen.
„Scheiß auf Gott!“

Der Raum war klein. Holztäfelungen an der Wand. In der Mitte ein quadratischer Tisch, an dem sie saßen. Es war nach sechs, Pfarrer Gasser hatte zuvor keine Zeit gehabt. Er trug eine schwarze Soutane, das Haar nach hinten gekämmt. Die Hände gefaltet, als wollte er beten, saß er Tom gegenüber. Tom fiel auf, wie platt seine Nase war.
„Wie alt bist du?“, fragte Gasser.
„Zwölf.“
„Im Januar“, sagte Toms Mutter. Sie saß links von ihm, ihr gegenüber rutschte Frau Barmettler auf dem Stuhl hin und her. Tom wusste nicht, wen er ansehen sollte und blickte auf das Bild, das hinter Pfarrer Gasser an der Wand hing. Die Mutter Gottes mit dem Christuskind im Arm. Das Gemälde war rund, Marias Kleid leuchtete in kräftigem Blau.
„Aha“, sagte Gasser. „So. Dann erzähl uns, weshalb du das getan hast.“
„Woher hattest du überhaupt die Farbe?“, fragte Frau Barmettler. Der Pfarrer verzog das Gesicht. Aber dann wiederholte er ihre Frage.
„Aus unserer Garage“, sagte Tom.
„Die Kirche war offen?“, fragte Gasser.
„Ja.“
„Gestern Abend?“
Tom nickte.
„Und dann bist du hinein?“
„Ja.“
Die Luft im Raum war trocken und Toms Hals schmerzte. Auf einmal stand seine Mutter auf.
„Sag mir, warum!“, sagte sie. Frau Barmettler erschrak und wich zurück. Tom senkte den Kopf, überlegte, was er antworten sollte. Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht“, sagte er.
„Du weißt es nicht.“ Gasser bedeutete der Mutter, sich wieder hinzusetzen. Frau Barmettler nestelte an ihrer Bluse herum, sie hatte eine Brosche angesteckt, die zu schwer für den dünnen Stoff war. Gasser faltete erneut die Hände. Tom wurde übel, er wollte aufstehen und aufs Klo rennen. Warum konnten sie ihn nicht einfach bestrafen?
„Geht es dir gut, mein Junge?“, fragte Gasser. Tom nickte und der Pfarrer räusperte sich.
„Du hast geschrieben, Jesus solle herunterkommen“, sagte er.
„Ja.“
„Findest du das lustig?“, fragte Toms Mutter, aber der Pfarrer hob die Hand. Er rieb sich die Nase, als müsste er nachdenken.
„Gut. Angenommen, er kommt wirklich herunter“, sagte er. Frau Barmettler runzelte die Stirn. Das Bild hinter Gassers Schulter wurde unscharf, Tom sah bloß noch blaue Farbe. Er hatte den Geruch von Weihrauch in der Nase. „Was würdest du tun?“, fragte der Pfarrer.
„Er ist so ein braver Junge!“, rief Frau Barmettler dazwischen. „Ich hätte nie gedacht, dass er …“
„Hat er aber“, sagte Toms Mutter.
Gasser ließ sich nicht beirren. „Also, Tom. Was würdest du tun?“ Er sah Tom an.
„Er soll sagen, weshalb er das wollte. Dass Vater stirbt“, sagte Tom und es gelang ihm, die Tränen zurückzuhalten. Gasser lehnte sich zurück und blickte zu Toms Mutter. Sekunden vergingen. Tom kniff die Augen zusammen, Maria gewann wieder an Kontur. Frau Barmettler beugte sich zu ihm und bewegte lautlos die Lippen, während seine Mutter den Kopf in die Hände legte. Ihr Atem ging schwer. Toms Gesicht war heiß, die Füße fühlten sich an, als steckten sie in Eiswasser.
„Nun gut.“ Gasser räusperte sich wieder. „Was machen wir mit dir?“, fragte er.
„Er hat noch nie etwas Schlimmes getan“, sagte Toms Mutter, den Kopf noch immer zwischen den Händen vergraben. Tom setzte sich gerade hin.
„Das weiß ich.“ Gasser dachte nach. „Selber putzen kann er die Schweinerei nicht. Das ist zu heikel.“
„Ja“, sagte Toms Mutter. Sie hob den Kopf.
„Das wird teuer.“
„Ja.“
„Vielleicht kann er etwas helfen? Gartenarbeit?“, fragte Frau Barmettler.
„Womöglich“, sagte der Pfarrer. „Das ist eine Idee. Wir werden das abklären.“

Es hatte aufgehört zu regnen. Neben dem Pfarrhaus ragte der Kirchturm in die Höhe, dahinter konnte Tom den Mond sehen, verdeckt durch Wolken, schwach schimmernd.
„Gehen wir zum Grab“, sagte seine Mutter.
Es war nur ein kurzer Weg, aber Tom schien es ewig zu dauern. Die Mutter schwieg. Er sah zu ihr hoch. Sie öffneten das Tor und gingen hinein, dorthin, wo sein Vater begraben war. Neben dem Kreuz standen Kränze mit Schleifen in Rot und Gelb. Sie nahm einen Tannzweig, der in einer Steinschale lag, und sprenkelte Weihwasser auf das Immergrün. Als sie Tom den Tannzweig überreichte, berührten sich ihre Hände. Sie sah ihn an und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

 

Hallo Tintenfisch

Vielen Dank für die ehrliche Rückmeldung. Ja, das Ende. Ich habe mehrere Versionen davon. Eine ohne Lächlen und eine, bei der sich die Mutter sogar aktiv der Berührung entzieht. Aber, wie gesagt, so wie ich die Figuren wahrnehme und wie die Geschichte insgesamt sein soll, fand ich das hoffnungsvolle Ende angemessener. Aber das ist ja gar nicht wirklich dein Punkt, wenn ich dich richtig verstehe, sondern das Lächeln ist dir zuwenig vorbereitet.

Ich hatte mir gedacht, dass die eine Szene, wo sie Tom über den Kopf streicht, zeigen sollte, dass die Mutter durchaus zu zärtlichen Gesten fähig ist. Und dann dachte ich, dass die Tatsache, dass sie Tom, nachdem er sein Leid offenbart hat, zu verteidigen beginnt, zeigt, dass hier eine Wandlung vonstatten geht. Aber das ist doch sehr sehr sparsam, ich seh das.

Ich habe also eine kleine Szene eingefügt, in der die Mutter lachend an einer Schneeballschlacht teilnimmt - bevor ihr Mann erkrankt. Damit wird das Heitere, Menschliche etwas stärker im Charakter der Mutter angelegt, so dass das Ende psychologisch nicht völlig unplausibel erscheint. Ob das jetzt reicht, weiss ich nicht. Vielleicht lege ich da noch was nach.

Deine Änderungsvorschläge habe ich übernommen, merci. Ausser den langen Satz, da erlaube ich mir weiterhin sperrig zu sein, weil das auch der Dynamik entspricht, wenn vierzig Schüler sich vor eine Seitenkapelle drängen.

Vielen Dank für diese Rückmeldung, hat mir viel gebracht, um über das Ende und überhaupt den Text noch einmal nachzudenken.

Lieber ernst

Mir hat das sehr gut gefallen, die Schilderung deines Leseerlebnisses in Bezug auf den Pfarrer und seine Reaktion. Ich hatte mal eine tröstende Geste von Gasser drin, aber aus den von dir genannten Gründen habe ich sie wieder gestrichen. Ich sehe den sehr ambivalent, den Pfarrer Gasser, und das soll er auch sein, ich denke, das ist wichtig, um eben nicht in Relgionsschelte oder aber in die Verklärung Geistlicher abzudriften.

Ja, die ist einfach … schön? Berührend? Nachdenklich machend? Alles gleichzeitig irgendwie, und auf eine gewisse Art auch allgemeingültig (äh … konsenstauglich?)

Ich lese neben all dem Lob, das hier steht, auch eine Warnung. Auch wenn das nicht so gemeint war, nehme ich sie ernst. Ich gebe zu, dass ich nicht so an die Sache herangegangen bin, dass ich mir gesagt habe, jetzt packst du den superexperimentellen Text aus. Andererseits habe ich den Text auch nicht so und so geschrieben, damit er besser beim Publikum ankommt. Vielmehr wollte ich hier die Richtung fortsetzen, in die ich mich insgesamt bewege und einfach sauber erzählen, zeigen, was ich in den letzten eineinhalb Jahren hier gelernt habe. Womit wir beim nächsten Punkt wären:

Auch wenn ich diesmal ein bisschen das stilistisch Außergewöhnliche, das äh … Brillante vermisse, also z.B. so Sätze, die ich gleich fünfmal hintereinander lese, weil sie so irre gut sind.

Ja. Ich habe darüber nachgedacht. Ich denke, zurzeit ist es vor allem wichtig für mich, sauber zu schreiben, ich konzentriere mich darauf, keine schlechten Sätze zu formulieren, keine Fehler zu machen. Es wäre schade, wenn das so bleiben würde. Das muss ich im Auge behalten, danke für den Hinweis.

War mir wieder ein großes Vergnügen.

Und mir erst. Deine Schilderung der einschlägigen Kindheitserlebnisse: Sätze, die man fünfmal liest.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Peeperkorn schrieb:
Ich lese neben all dem Lob, das hier steht, auch eine Warnung.
Ja, „konsenstauglich“ ist eigentlich ein Scheißwort, Peeperkorn, das hat ja nicht unbedingt ausschließlich positive Konnotation.
Aber ich wollte diesen Begriff wirklich nicht als Warnung verstanden wissen, sondern vielmehr als ein Art leiser Bewunderung dafür, dass du für mein Gefühl einfach eine glückliche Hand bei der Wahl deiner Themen zeigst.
Nämlich insofern, dass du damit, also vor allem mit diesen Erzählungen über Konfliktsituationen adoleszenter Protagonisten, fast zwangsläufig das Herz vieler Leser triffst. Weil sich vermutlich jede/r von uns (wehmütig) an das spannende Gefühlskuddelmuddel erinnert, in dem man steckte, als es darum ging, seinen Platz in dieser eigenartigen Welt zu finden, darum, erst mal alles in Frage zu stellen, um sich als selbstbestimmtes Individuum begreifen zu können.

Ist halt einfach ein großartiges, unerschöpfliches und immer aktuelles Thema. So meinte ich das eigentlich.

offshore

 

Lieber Peeperkorn,

ich werde gleich ein bisschen in den Details herumwühlen, aber vorher wollte ich doch noch sagen, das mir deine Geschichte gut gefällt. Klingt ein bisschen platt, aber vielleicht schaffe ich gleich ja ein oder zwei konkretere Sätze. Es muss leider wieder mal relativ schnell gehen...

Figuren, die furchterregend aussähen (...) Tom fand sie bloß hässlich
Für mich nicht ganz klar, ob "bloß" nicht einen größeren Gegensatz verlangt. Von "furchterregend" zu "hässlich" gibt es zwar schon eine gewisse Abschwächung, aber vielleicht ist die etwas subtil für ein "bloß"?

Andere drehten sich um und behaupteten, einer habe gekotzt.
Erst Gelächter, jetzt soll einem übel geworden sein? Das haben die doch erfunden! Hat bei mir etwas gedauert, bis ich das zusammengebracht habe, es ging nicht ganz von selbst. Mir wäre es nicht zu viel, wenn du das klarer machen würdest, ich stelle mir das sogar ganz reizvoll vor, wenn man da dieses Fabulieren wirklich zeichnen würde. Muss aber sicher auch nicht. Insgesamt wirkt der Absatz allerdings schon recht sachlich und in der Stimmung wenig kindlich, finde ich.

Die Skulptur war aus Holz und rund zwei Meter groß.(...)
Mir gefällt gut, wie du dir Zeit nimmst, die Figur zu beschreiben, bevor du zum eigentlichen Ereignis kommst.

Komm runter, du Arsch
- für einen Zwölfjährigen ziemlich heftig. Einem Fünfzehnjährigen würde ich das eher zutrauen. Kann aber schon passen.

Frau Barmettler drehte sich um, als wollte sie um Hilfe rufen. Und tatsächlich eilte ein Kirchendiener herbei, nahm ein Tuch, das auf einem Seitenaltar gelegen hatte, hängte es über den Sockel und beschwerte es mit einem Kerzenständer. Man konnte das sch noch immer sehen. Der Sigrist drehte sich um und hob beide Arme.
„Setzt euch hin“, presste er hervor.
Schöne Szene. Auch der Rest, aber das hier besonders, finde ich.

murmelte Worte, die ihm so vertraut waren, dass sie nichts bedeuteten.
Ich habe das fehlende "mehr" übrigens eben beim Lesen innerlich gefordert, aber vielleicht nur, weil ich den Satz auch anders schon kannte.

Verbrechen. Blasphemie. (Auch dieses Wort hatte ihm die Mutter beigebracht.)
Diese Erklärung in Klammern finde ich nicht sooo toll. Das klingt mir ein bisschen zu stark nach einer Entschuldigung: "Ich weiß schon, ein Zwölfjähriger kennt das Wort normalerweise nicht, aber er hat es halt von der Mutter gelernt." -- "Verbrechen. Oder: Blasphemie, wie die Mutter neulich gesagt hatte" -- so etwas nach diesem Muster gefiele mir wahrscheinlich besser.

„Voll krass!“, sagte er leise. „Das mit dem Jesus.“
"Das mit dem Jesus" weg? Sie sitzen ja noch in der Kirche, ist da nicht klar, was Jonas meint?

Er hatte ein Zirpen im Ohr.

Die Grillen nervten, hatte sein Vater gesagt.

Gewagter Übergang! Aber warum nicht.

Jonas war sein Freund. Er war der einzige, der normal geblieben war.
Das ist so eine Stelle, wo ich etwas mehr Erklärung nicht unbedingt schlecht fände. Oder einfach eine schnellere Erklärung: "Er war der einzige, der normal geblieben war. Sein Vater war ebenfalls gestorben", und dann der Rest? Naja, so vielleicht auch nicht, aber ein kleines bisschen hatte ich jedenfalls das Gefühl, du lässt mich da künstlich zappeln.

„Vor dieser Figur habe ich jeden Tag gekniet, zwei Jahre lang.“
Ziemlich persönlich von der Frau Lehrerin. Aber passt. Allerdings hier
„Ich habe davor gekniet und gebetet, dass mein Mann wieder gesund wird“
habe ich fast den Eindruck, weniger Erklärung wäre mir lieber. Auch weil es jetzt noch persönlicher wird, da entblößt sich die Lehrerin noch mehr. Ich kann's aber auch gar nicht beschwören, dass es ohne die Erklärung wirklich verständlich wäre, denn ich kenne die Geschichte ja schon.

Aber wenn es eine Erklärung braucht, könnte man sie auch hier einflechten:

Es stimmte. Zwei Jahre lang.
Dann muss Frau Gander das nicht vor der Klasse sagen.

Die Zeit geht mir aus. Nur ein paar Stichworte noch:
- Schön, wie Tom sich vor der Klasse zu erkennen gibt, wenngleich vielleicht auf den ersten Blick nur schwer zu glauben, dass er das tut.
- Wenn er es nur behauptet, aber doch nicht war? Er macht sich die Botschaft zwar völlig zu eigen, aber er war es nicht - das könnte auch reizvoll sein. Aber das ist nur so ein Gedanke, das wäre letztlich eine andere Geschichte.
- Die Szene, wo er zwischen den Erwachsenen sitzt, fand ich erstklassig.

Soweit mal für's Erste.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Lieber Ernst

Danke für die Klärung. Schön. Dennoch werde ich mir darüber Gedanken machen müssen. Merci übrigens noch für die Identifizierung der drei "hatte" am Stück. Hatte das kurz danach gleich geändert und dann vergessen, mich zu bedanken.

Liebe bernadette

Ich musste schmunzeln:

Anscheinend hat bisher keiner Probleme mit diesem Absatz. Ich schon.
Ich kann mir diese Zweierreihe nicht vorstellen. Vor dem Eingang stehen die Jungs in einer Reihe, also in die Breite, und schauen Richtung Eingang. Die Mädchen dahinter, auch in der Breite, und schauen auch zum Eingang.
Wie können sich dann Jungen und Mädchen die Hände geben?

Am ersten Absatz habe ich am längsten gehabt, den immer wieder umgeschrieben und dabei: "Denk an bernadette" vor mich hin gemurmelt. :D
Die Lösung des Rätsels liegt im "Aber Tom kam spät ..." Er kommt eben so spät, dass er einem Mädchen die Hand geben muss, weil alle schon eingereiht sind. Ich habe das jetzt aber klarer gemacht, denn du warst im Nachhinein doch nicht die einzige, die da gestolpert ist.

lugen ist schon sehr schweizerisch angehaucht, vielleicht ginge auch spähen, glotzen, starren, also das aktive Sehen - oder meinst du, dass sie zu sehen waren, im Sinne von hervorragen?

Bin ich gar nicht so sicher. In svgs TDM-Geschichte z.B. lugt ein Kopf aus der Sahne. Aber ich finde "glotzen" so viel besser, das habe ich gleich übernommen.

das (Fremd)-Wort ist mir hier etwas zu dick aufgetragen, mir würde die nachfolgende Erklärung reichen.

Ich möchte Tom als einen Jungen darstellen, der sich solche Wörter merkt.

Mit so Kirchendingens bin ich durch meine Kindheit gut bewandert, aber Sigrist habe ich noch nie gehört.

Ja, das war ein Dilemma. Ich hatte zunächst "Küster" drin, aber das kennt wiederum in der Schweiz niemand. Habe mich letztlich für den "authentischen" Ausdruck entschieden.

braucht es wirklich die Klammern?

Ich habe die eliminiert, nachdem erdbeerschorsch jetzt ebenfalls darauf hingewiesen hat.
Aus den zwei Sätzen habe ich einen gemacht, so wie von dir vorgeschlagen, "zuhinterst" durch "ganz nach hinten" ersetzt.

Wie Schwups hat mir diese Offenbarung der Mutter auch nicht so gefallen. Besonders die Frage: Habt ihr das gewusst? finde ich unpassend. Zumindest würde ich es etwas einkürzen. Der erste Satz würde mir dann reichen. Aber sie tritt das auch noch so aus.

Ja, das habe ich gemacht. Ist jetzt reduziert. Ich denke, dem Leser ist klar, weshalb sie in die Kirche geht.

Das verstehe ich nicht. Die Bücher können dann doch auch andere lesen, wenn sie im Haus bleiben.

Hm. Hast schon recht. Das ist sehr pragmatisch. Ich dachte, die Mutter liest eher nicht und Tom ist erst zwölf, da würden die Bücher, die der Vater liest, noch ein paar Jahre herumstehen.

Ich wünschte mir, die Mutter wäre mit Tom in die Klasse und hätte den Kameraden gesagt, dass Toms Aktion alles andere als toll war, aber das man es verstehen kann, dass man eine Scheißwut auf den da oben bekommen kann, wenn der Vater stirbt.

Das wäre schön.

Trotz der Einwände (bei mir geht es ja nie ohne ) ist das wiederum eine Geschichte, die mich sehr berührt und auch traurig gemacht hat.

Das freut mich sehr (auch die Einwände: Ich beschreibe viel bewusster, seit ich dich kenne ;) )

Vielen Dank für diesen sehr schönen Kommentar, bernadette


Hallo Steffi

Puh, noch mal Glück gehabt, danke, dass du mehrere Anläufe genommen hast, um in den Text reinzukommen. Merci für deine Rückmeldung. Den Anfang habe ich geändert, es sollte jetzt etwas klarer sein, dass Tom nur ausnahmsweise einem Mädchen die Hand gibt, (weil er zu spät kommt). Wegkürzen möchte ich ihn nicht, obwohl du schon recht hast: Unbedingt brauchen tut man ihn nicht. Aber ich wollte zunächst Tom etwas einführen, auch die Stimmung vor der Kirche, das Setting, bevor dann der Paukenschlag kommt.

Es ist sehr schön zu erfahren, dass der Text dich berührt hat. Freut mich riesig!


Lieber erdbeerschorsch

Zuviel Kaffee gestern abend und daher schon wieder wach, um dir zu antworten. :)

Für mich nicht ganz klar, ob "bloß" nicht einen größeren Gegensatz verlangt. Von "furchterregend" zu "hässlich" gibt es zwar schon eine gewisse Abschwächung, aber vielleicht ist die etwas subtil für ein "bloß"?

Das "bloss" ist mir hier sehr wichtig. Im ersten Abschnitt wird die Thematik ja antizipiert: Clivias Blick auf die Friedhofshecke, dahinter liegt Toms Vater. Aber auch Toms Zweifel an der Macht des Glaubens. Deshalb sind die Figuren eben nicht furchterregend, haben keine Wirkung, sondern sind bloss hässlich.

Erst Gelächter, jetzt soll einem übel geworden sein? Das haben die doch erfunden! Hat bei mir etwas gedauert, bis ich das zusammengebracht habe, es ging nicht ganz von selbst.

Das habe ich angepasst, ein "vielleicht" dazu getan, damit es deutlicher als Gerücht erkennbar wird.

Ich habe das fehlende "mehr" übrigens eben beim Lesen innerlich gefordert, aber vielleicht nur, weil ich den Satz auch anders schon kannte.

Ja, ich habe den Satz noch ein paar Mal gelesen, im Kontext, und das "mehr" wieder reingetan. Ich meine, es ist ja das Vaterunser, und da wird er schon mal verstanden haben, was das bedeutet.

Diese Erklärung in Klammern finde ich nicht sooo toll.

Ist weg.

"Das mit dem Jesus" weg? Sie sitzen ja noch in der Kirche, ist da nicht klar, was Jonas meint?

Da liegt aber schon mindestens eine halbe Stunde dazwischen (von der Eröffnung bis zur Kommunion). Und auch für den Leser: Sonst bezieht er es auf das Heben des Kelchs.

Ziemlich persönlich von der Frau Lehrerin. Aber passt. Allerdings hier

„Ich habe davor gekniet und gebetet, dass mein Mann wieder gesund wird“
habe ich fast den Eindruck, weniger Erklärung wäre mir lieber. Auch weil es jetzt noch persönlicher wird, da entblößt sich die Lehrerin noch mehr. Ich kann's aber auch gar nicht beschwören, dass es ohne die Erklärung wirklich verständlich wäre, denn ich kenne die Geschichte ja schon.

Ich habe es weggekürzt. Experiment läuft. Wenn folgende Leser mehr Erklärung fordern, denke ich wieder drüber nach, ab zurzeit sehe ich das so wie du.

Vielen Dank, erdbeerschorsch, dass du unter zeitlich prekären Bedinungen den Text kommentiert hast. Dein genauer Blick ist immer sehr hilfreich.

Lieber Gruss an alle
Peeperkorn

 

Liebe Bea

Du hast recht, ich war da unachtsam. Habe den Abschnitt jetzt wieder so hergestellt, wie er früher war, und die Schneeballschlacht nach hinten verschoben, kurz vor das Geständnis, wo das auch besser hinpasst.

Voll krass, würde Jonas sagen, wie du dich hier um Geschichten kümmerst, mehrfach liest, genau hinschaust. Merci vielmal!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,
Wirklich eine sehr gute Geschichte. Mir selbst ist dieses Milieu fremd, zum Glück muss ich sagen, wenn ich mir die gefühlsmäßig starre und nichts hinterfragende Mutter so ansehe. Gott will es so. Punkt. Oder auch die andere Lehrerin. Nicht mal nach dem Verlust des Ehemanns, dem Vater ihres Sohnes, bröckelt die Fassade, zeigt sie etwas Menschliches. Für sie vielleicht ein Weg, mit dem Verlust umzugehen, aber für ihren Sohn ganz sicher genau der falsche Weg.
Ja, für mich insgesamt gut gezeichnet, ich konnte mich in diese Welt reinfühlen. Interessant fand ich den Pfarrer. Erst dachte ich, noch so einer, der sich hinter Prinzipien versteckt, aber dann war er der einzige, der wirklich wissen wollte, warum Tom die Figur bemalt hatte, war an ihm interessiert. Leider nur kurz, dann kehrte er zurück zum Geschäftsmäßigen.

Eine Stelle wollte ich stellvertretend für viele andere hervorheben:

tat dieses, tat jenes, weil man nichts tun konnte.
Ein richtig starker Satz, finde ich.

Soviel von mir. Danke für diese Geschichte.

Beste Grüße,
Fraser

 

Hallo Peeperkorn,

ich habe deine Geschichte schon vor Tagen angefangen zu lesen, dann wieder aufgehört. Ich glaube nicht an Gott und mir fällt es tatsächlich sehr schwer, Geschichten darüber zu lesen. Heute habe ich mir dann aber gedacht, ich lese sie doch, wäre ja Blödsinn, sie nur deshalb nicht mehr anzurühren. Und natürlich war das eine gute Entscheidung, mir wäre etwas entgangen, hätte ich nicht weiter gelesen.

Die ersten Sätze, die mich gerührt haben, sind diese hier:
Jonas war sein Freund. Er war der einzige, der normal geblieben war. Der ihm in die Augen sah, wenn sie sich begegneten. Der genauso von Fürzen sprach und über Mädchen lästerte wie die Wochen zuvor. Da wurde mir das Herz ganz schwer. Du sprichst erst danach deutlich aus, welches Schicksal die Jungs zu ertragen haben, aber in diesen Sätzen hier habe ich das ganz stark spüren können. Ich selbst habe noch nie einen Menschen verloren, aber mein Mann. Und er sagt noch heute, dass es ihm unfassbar geholfen hat, dass ich normal mit ihm umgegangen bin und nicht vorsichtig wurde, bei allem, was ich sagte und tat. Und dieses komplette Gefühl drückst du für mich in diesen Sätzen aus.

Im weiteren Verlauf der Geschichte wurde ich wütend, ähnlich wie Tom. Sehr treffend dafür ist dieser Satz:
Tom fragte sich, was geschehen würde, wenn er durchfiele, und was er können musste, um zu bestehen.
Richtig. Genau die Frage stelle ich mir auch immer, wenn Menschen so etwas sagen. "Gott prüft dich". Ich will da jetzt gar nicht ins Detail gehen, denn darüber zu diskutieren, ob es einen Gott gibt oder nicht, macht keinen Sinn. Jeder glaubt an das, was ihm Kraft gibt. Aber was ich sagen will: Ich konnte mit deinem Tom mitfühlen und zwar so richtig. Er bekommt von seiner Mutter keine Erklärung, nur diese Aussprüche, die für ihn keinen Sinn machen. Er sieht, dass sie ständig zum Beten in die Kirche geht und was passiert? Sein Vater stirbt trotzdem.

Ich muss ja zugeben, dass ich kurz aufgelacht habe, als die erste Szene mit dem Kreuz kam und der Aufschrift darunter. Das fand ich echt ziemlich gut. Und als dann herauskommt, dass Tom das war, mochte ich den Kleinen nur noch mehr. Ich kann seine Wut, seinen Trotz und die Enttäuschung verstehen, die ihn dazu getrieben haben muss. Vielleicht ist es auch eine Auflehnung gegen die Gottesfürchtigkeit der Mutter, die ihm dadurch ein Gespräch über den Tod verwehrt.

Lange Rede, kurzer Sinn: sehr berührend und sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße
RinaWu

 

Pepperkorn - top! Die Perspektive des Tom, "seine" Familien-, Freundes-, Gesellschaftssicht perfekt sprachlich wiedergespiegelt - auch sein Aufschrei "Komm runter, Du Arsch" und die betretenen Reaktionen der Erwachsenen und der Institution Kirche - fast schon unglaubhaft verständnisvoll zu nennen, wie der Pfarrer da reagiert, also muss diese Geschichte sehr aktuell sein - ich bin begeistert. Deine einfache, natürliche aber nicht schlichte, sondern inhaltsreiche Sprache ohne Übertreibungen, die genau auf das Sujet passt - Respekt!

 

Lieber Peeperkorn
Du legst wieder eine starke Geschichte vor und zeigst deine Möglichkeiten, deine sprachliche Könnerschaft und deine scharfe Beobachtungsgabe. Besonders beeindruckend sind in dieser Geschichte, neben dem Tränenfaktor, der nicht fehlen darf, zwei Szenen. Die, als Tom seinem Vater das Buch gibt (um diese Szene gruppiert sich der ganze Text und für sich genommen hätte sie schon gereicht für eine ausgezeichnete Geschichte) und die Szene als er mit den Erwachsenen über seine „Tat“ spricht.

Was den Text in meinen Augen ein wenig unrund macht, ist, dass ich die Leichtigkeit vermisse, dass ich an einigen Stellen den Autor herausspüre, der verdichtet, manipuliert und mit meinen Gefühlen als Leser spielt. Ich nenne Beispiele: warum braucht es den zweiten Jungen, der wie Tom seinen Vater verloren hat? Wozu kommt so einen Ameisendokumentation genau zum rechten Zeitpunkt im Fernsehen? Und warum tritt die Mutter dann ausgerechnet als seine Lehrerin auf? Das sind Stellen, die auf mich konstruiert wirken und den Genuss schmälern, auch ablenken von den berechtigten Fragen, die du aufwirfst, den großen Fragen, nach der Gerechtigkeit des Todes, nach dem Wesen der Liebe, nach alle dem. Lieber hätte ich etwas mehr über die Liebe zwischen Vater und Sohn gelesen. Du hast eine Stelle drin, klar. Aber wo gibt es Zärtlichkeit, Liebe zwischen den Eltern? Nur durch das Rosenkranzbeten der Mutter? Eine kleine Geste, eine Szene zwischen den Eltern hätte ja genügt.

Textstellen:

Das seien apotropäische Wesen,
na ja, das kann ich ja nicht mal flüssig sprechen :lol:

und auf der Vorderseite des Sockels, einer Fläche von der Größe eines Kinoplakats, war Komm runter, du Arsch in roten Buchstaben zu lesen.
warum rote Buchstaben, braucht es das?

murmelte Worte, die ihm so vertraut waren, dass sie nichts bedeuteten.
:thumbsup:

Jesus, komm runter. Das ist ja mal eine Ansage. Das mit dem Arsch hingegen hätte er nicht gut gefunden. Sowas wäre ihm zu weit gegangen. Aber er hätte es verstanden.
aha, warum hätte sein Vater das gedacht, oder wolltest du den Blick des Sohnes kennzeichnen, der seinen Vater zur Legende macht?

Jonas war sein Freund. Er war der einzige, der normal geblieben war. Der ihm in die Augen sah, wenn sie sich begegneten. Der genauso von Fürzen sprach und über Mädchen lästerte wie die Wochen zuvor. Jonas brauchte ihn nicht mit leiser Stimme zu fragen, wie es ihm ging, denn sein Vater war ebenfalls gestorben. Nicht langsam, sondern bei einem Unfall. Aber darauf kam es nicht an.
siehe oben :thdown:

Und dieses Jahr war Toms Mutter die Lehrerin. Katechetin mit Diplom. Sie unterrichtete nur zwei Klassen, aber gerade seine war betroffen. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie so taten, als wären sie nicht miteinander verwandt. Dass er sie Frau Gander nannte. Das sei professionelles Verhalten, hatte sie gesagt.
zweimal hatte und siehe oben :thdown:

wo sie sich für eine halbe Stunde hinsetzte und Blumenmotive auf Kissenüberzüge stickte.
wer stickt denn heute noch oder ist das in der Schweiz anders? :D

„Dein Vater ist jetzt im Himmel“, sagte sie.
Eine Weile dachte Tom nach, dann sagte er: „Ich bin kein Kind mehr.“
„Doch“, sagte sie. „Das bist du.“
ganz stark

Er hob das Buch auf und rannte aus dem Zimmer. Später schämte er sich so sehr, ihn angeschrien zu haben, dass er erst am nächsten Tag wieder zu ihm ging. Der Vater lächelte, als er ihn hereinkommen sah, was Tom erleichterte.
auch sehr stark :Pfeif:

Sie legte den Zeigefinger auf den Mund und blickte in Richtung Schlafzimmer. „Du musst es annehmen“, sagte sie leise. „Gott will es so.“ Sie sahen wieder auf den Bildschirm. Drei Ameisen schleppten einen toten Artgenossen mit sich, bis sie ihn irgendwo liegen ließen.
an sich guter Übergang, aber das mit den Ameisen ist zu viel Zufall, da überpact du :sealed:

„Er soll sagen, weshalb er das wollte. Dass Vater stirbt“, sagte Tom und es gelang ihm, die Tränen zurückzuhalten.
muss da nicht ein Komma vor das dass?

Als sie Tom den Tannzweig überreichte, berührten sich ihre Hände. Sie sah ihn an und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
klasse Schkuss-Tableau :Pfeif:

So viel von mir. Aus meiner Sicht: Tolle, beeindruckende Geschichte mit ein paar Schwächen, über die du nachdenken könntest. Und insgesamt verdienen sehr gute Autoren, wie du, Input und was zum Nachdenken.

viele Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fraser

Vielen Dank. Es freut mich, dass der Text einen Einblick in ein für dich fremdes Milieu gewähren konnte und du dich da auch reinfühlen konntest. Musste ich ein Stück weit ebenfalls.

Interessant fand ich den Pfarrer. Erst dachte ich, noch so einer, der sich hinter Prinzipien versteckt, aber dann war er der einzige, der wirklich wissen wollte, warum Tom die Figur bemalt hatte, war an ihm interessiert. Leider nur kurz, dann kehrte er zurück zum Geschäftsmäßigen.

Cool. Da brauchte ich ein paar Anläufe, um den so zu zeichnen, wie ich das wollte.

Merci für deinen kleinen aber feinen Kommentar!

Hallo RinaWu

Ich habe deine Geschichte schon vor Tagen angefangen zu lesen, dann wieder aufgehört. Ich glaube nicht an Gott und mir fällt es tatsächlich sehr schwer, Geschichten darüber zu lesen.

Ich sass eine Weile relativ ungläubig vor diesem Satz. Schliesslich bin ich ja selbst Atheist. Bis ich gemerkt habe, dass ich ja auch so Ausschlusskriterien habe. Wenn mir etwas zu fremd ist. Merci, dass du dann doch weitergelesen hast.

Da wurde mir das Herz ganz schwer. Du sprichst erst danach deutlich aus, welches Schicksal die Jungs zu ertragen haben, aber in diesen Sätzen hier habe ich das ganz stark spüren können.

Das freut mich sehr. Diese Passage mit Jonas ist mir sehr wichtig, weil sie nicht nur die Trauer, sondern vor allem auch die Wahrnehmung des Trauernden, die soziale Rekation thematisiert, und darum soll es in der Geschichte ja auch gehen.

Ich muss ja zugeben, dass ich kurz aufgelacht habe, als die erste Szene mit dem Kreuz kam und der Aufschrift darunter.

Das freut mich. Ich wollte über das Komische ins Tragische einsteigen.

Vielleicht ist es auch eine Auflehnung gegen die Gottesfürchtigkeit der Mutter, die ihm dadurch ein Gespräch über den Tod verwehrt.

Für mich noch zentraler als die Frage nach Gott und dessen Gerechtigkeit.

Vielen Dank, liebe RinaWu, für diesen schönen Kommentar.


Hallo Auhan

Merci auch dir für die tolle Rückmeldung. Die freut mich ungemein!

Lieber Gruss an alle
Peeperkorn

 
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Hallo Isegrims

Toller Kommentar. Vielen Dank dafür. Das sage ich mal vorneweg, weil ich dennoch (noch) nichts geändert habe - obwohl ich mir in einem Punkt nicht sicher bin. Super finde ich deine Anmerkungen, weil sie auf der analytischen Ebene genau die Elemente identifizieren, bei denen ich mich (mehr oder weniger bewusst) gefragt habe, ob die tragfähig sind. Das betrifft vor allem die Konstruktion der Geschichte.

Du sprichst drei Punkte an: 1. Jonas als Figur. 2. Die Tatsache, dass die Mutter gleichzeitig auch die Lehrerin ist. 3. Die Ameisen.

Ich habe eine Weile darüber nachgedacht.

1. Jonas erfüllt keine tragende Funktion, da hast du recht. Du fragst, weshalb es ihn braucht. Für mich vor allem aus zwei Gründen.

Erstens, weil ich dadurch Tom besser in seiner Lebenswelt einbetten kann. Die Geschichte spielt in der Schule (bzw. Schulgottesdienst). Ich finde wichtig, dass man da auch etwas Kontext bekommt, ähnlich wie bei einer Beschreibung. Ich kann mich erinnern, dass bernadette bei einer meiner letzten Geschichten, wo ich mich ausschliesslich auf eine Familienkonstalltion fokussiert habe, gefragt hat, ob der Protagonist denn keine Freunde habe? Das hat mir eingeleuchtet.

Zweitens, weil ich zeigen möchte, dass Trauer nicht nur ein psychologisches, sondern auch ein soziales Phänomen ist. Nicht nur die Trauer des Protagonisten, auch die Wahrnehmung der anderen interessiert mich.

2. Du fragst, weshalb die Mutter auch gleichzeitig die Lehrerin sein muss. Das erscheint dir zu konstruiert. Ich habe mich beim Schreiben gefragt, ob ich daraus zwei Figuren machen soll. Eine Lehrerin und dann noch die Mutter. Ich habe mich aus zwei Gründen dagegen entschieden.

Erstens, weil ich dadurch die Mutter besser greifen kann, in ihrer Rolle eben als Mutter aber auch als Vertreterin einer ideologischen Position.

Zweitens, weil ich den Konflikt zwischen Tom und der Mutter damit in den öffentlichen Raum (in den Kontext der Schule) tragen kann. Er erhält damit mehr Gewicht, die Mutter ist in einer doppelten Funktion darin involviert. Auch das Geständnis kann mehr Wirkung entfalten.

Ja, das ist ein Konstruktion. Aber vergleiche mit dem Distelfink, den du gerade liest, die ersten 150 Seiten. Falls du noch nicht so weit bis, setze ich das in Spoler-Klammern:

Dass der Prot das Mädchen genau dann zum ersten Mal sieht, als seine Mutter stirbt, das ist doch eine totale Konstruktion. Dass er den Ring in die Hand gedrückt bekommt, der ihn schliesslich zu diesem Mädchen führt. Nur schon die Tatsache, dass Mutter und Sohn genau in dem Moment getrennt werden, als die Bombe explodiert.

Ich bin der Meinung, dass es gerade solche Konstruktionen braucht, um eine interessante Geschichte zu erzählen. Das Leben ist doch schon langweilig genug. Das muss doch verdichtet, literarisch gestaltet werden, damit da was Spannendes rauskommt. Natürlich darf man dabei nicht zu weit gehen, aber ich denke nicht, dass das hier der Fall ist. Eine meiner Mitschülerinnen hatte ihren Vater als Religionslehrer, das kommt schon vor.

3. Am unsichersten bin ich bei den Ameisen. Ja klar, die sollen verstärken, worum es geht. Die sind nicht zufällig eingeführt. Aber nimm mal eine beliebige Geschichte. Es wird genau dann Frühling, wenn der Prot den Schritt in ein neues Leben macht. Wind kommt auf, während die Gedanken der Prot in Unordnung geraten. Und und und. In der Literatur nimmt man doch das Erzählenswerte und erzählt es, und dazu gehören auch solche Koinzidenzen, wie eine Dokumentation über tote Ameisen während eines Gesprächs über den Tod.

Aber mir ist schon klar, dass das etwas aufgesetzt wirkt. Auch die Buchstaben, ja, die müssen nicht rot sein. Aber das macht die Geschichte in meinen Augen lebendiger. Ich habe Angst, wenn ich auf solche Dinge verzichte, ich dann blasse Texte schreibe, und mir das keinen Spass mehr macht. Anders gesagt: Das ist ein Darling und ich habe Beisshemmung. :D

Also, Isegrims, du hast mich echt zum Grübeln gebracht und es hat mir sehr geholfen, noch mal kritisch über die Geschichte nachzudenken. Ich habe verteidigt, aber deine Anmerkungen werden nachhallen.

Vielen Dank zudem für die positive Gesamteinschätzung, das bedeutet mir viel. Besonders gefreut hat mich, dass dir die Szene am runden Tisch gefallen hat, das war verdammt harte Arbeit, an so was habe ich mich bisher nicht rangetraut, vier Personen, die längere Zeit miteinander sprechen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hallo Peeperkorn,

nach dem Lesen deiner Geschichte musste ich erst mal „runterkommen“.

Inzwischen sind so viele Kommentare zu deiner ergreifenden Geschichte geschrieben worden, dass sicher vieles schon so ähnlich gesagt wurde.

Danke für diesen tiefen Einblick in ein frommes bis bigottes Dorfleben, dessen katholische Strukturen und Rituale so festgefahren sind, dass jedes Aus-der–Reihe-Tanzen tabu ist.
Aus dem traditionellen Glaubenspanzer, der jedem Gemeindemitglied umgelegt ist, kann und will sich kaum jemand befreien, denn man wird dadurch in der Gemeinschaft auch aufgefangen und geschützt.

Dennoch geschieht dies eines Tages mit einer kindlich unübertrefflichen Direktheit, die alles Heile durchschüttelt.

Toms Mutter, die Katechetin mit Diplom, hält sich an fromme Worte, wie „Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat’s genommen!“ oder „ … alles liegt in Gottes Hand“, und findet so Trost in der Trauer.

Menschen mit einem unerschütterlichen Gottglauben haben es eben einfacher, als diejenigen, die an Gottes Willen zweifeln und für die Aussagen, wie „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben“ nur Sätze bleiben.

Selbst nach dem Tod des Vaters kann die Mutter Gott danken.
Das gelingt Tom nicht. Der fast Zwölfjährige beginnt, den Glauben zu reflektieren.

„Er soll sagen, weshalb er das wollte. Dass Vater stirbt“, sagte Tom …

Er nimmt den Schicksalsschlag nicht als gottgegeben an und fragt verzweifelt, warum der liebende Gott den Tod des Vaters zugelassen hat; stärker noch: Warum hat er das gewollt?
Hier vermischen sich rationales Denken und Glaube, wobei der Glaube … dein Wille geschehe …
doch noch in dem Heranwachsenden stärker verwurzelt ist.
Der Junge stellt nämlich nicht in Frage, ob Gott es so gewollt hat, sondern er fragt, warum er das gewollt hat.
Was waren Gottes Beweggründe, die Gebete der Mutter nicht zu erhören, das Sterben des Vaters zu wollen?

Da Tom hierauf keine schlüssige Antwort erhält, fordert er verzweifelt und kindlich naiv den Jesus, den Heilsbringer, heraus.
Komm, und sag es mir ins Gesicht.

Übrigens hast du die Namensgebung Tom bewusst angelehnt an den biblischen Thomas: „der ungläubige Thomas“, „Thomas der Zweifler“ aus der Auferstehungsgeschichte?

Die Frage, die der Priester Tom stellt, „Warum hast du das gemacht?“, ist eigentlich die Frage, die Tom dem „Heilsbringer“ stellt, der sich aber in feiges Schweigen hüllt.
Tom hingegen hat und gibt eine Antwort, und dem Priester wird bei Toms Antwort klar, wie ernst der Beweggrund des Jungen für die „Tat“ war.

Mich hat der beginnende Bruch der jungen Generation mit den festgefügten Glaubensstrukturen und Ritualen, den du immer wieder durchscheinen lässt, begeistert:

Ich bin doch kein Kind mehr …

Die anderen aus Toms Klasse schien nicht zu kümmern, was mit der Christusfigur geschehen war. Während sie ihre Jacken an die Garderobe hängten, sprachen die Jungs über Federers Chancen an den ATP-Finals. Ruth bewunderte Clivias neuen Schal, Marlène trällerte ein Lied. Als sie aber das Zimmer betraten und Frau Gander sahen, verstummten sie.

Hier wächst eine nicht mehr ganz so gottesfürchtige Generation heran.

Die Mutter sehe ich nicht als so kalt und herzlos, wie in manchen Kommentaren angedeutet.
Sie ist lediglich gefangen in ihrem unerschütterlichen Glauben, dass man alles an Schicksal annehmen müsse, weil alles von Gott gefügt sei.

Zudem ist die Zuwendung zum Kind wegen der intensiven Pflege des Vaters zwangsläufig lange Zeit in den Hintergrund getreten, auf das Nötigste beschränkt.

Sie schaut fern mit Tom, streicht ihm übers Haar, versorgt ihn mit Essen.

Bei einigen Textstellen dachte ich, dass sie willentlich ihre Gefühle zurückdrängt, weil sie sich stark zeigen will, um ihrem Kind Halt zu bieten.
Die Geschichte ist aus Toms Sicht geschrieben, und Tom hat seine Mutter nie weinen sehen, für ihn ist sie die Starke.

Im Winter lieferten sie sich Schneeballschlachten. Toms Vater gegen ihn und seine Mutter, die ihm Deckung gab.

Nur kurz vor seinem Geständnis schien sie ihm nicht stark zu sein:
Tom sah seiner Mutter in die Augen. Sie war nicht zornig, das wusste er.
Ihr Gesicht sah aus, als wäre sie krank, die Wangen ohne Farbe, die Nasenspitze rot. Die Mundwinkel zuckten. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn ihr die Tränen gekommen wären, …

Ich denke, für Toms Geständnis war ausschlaggebend, dass ihm beim Anblick seiner Mutter bewusst wurde, wie sehr er sie persönlich mit seiner „Tat“ getroffen/ verletzt hatte.
Die Jesusfigur diente seiner Mutter zwei Jahre lang als Hoffnungsträger und Trostspender. In ihren Augen entweiht er mit der skandalösen Aufschrift genau dieses Symbol. (Ein Arsch kann kein Trostspender sein.)
Deshalb halte ich es auch für wichtig, dass die Mutter in der Geschichte diesen Satz sagt:
„Vor dieser Figur habe ich jeden Tag gekniet, zwei Jahre lang. Habt ihr das gewusst?“

Da die Mutter den Glauben an Gott über alles stellt, wagt sie in der Befragungsszene nur ganz vorsichtig, ihr Kind zu verteidigen.
Du löst diese Gratwanderung höchst subtil und prägnant bei der Frage nach Toms Alter.
Da versucht die Mutter mit dem Einwand, dass Tom erst im Januar Zwölf wird, seine Unmündigkeit ins Spiel zu bringen.
„Wie alt bist du?“, fragte Gasser.
„Zwölf.“
Im Januar“, sagte Toms Mutter.

Symbolträchtig und hoffnungsvoll hast du das Ende der Geschichte gestaltet:

Sie nahm einen Tannzweig, der in einer Steinschale lag, und sprenkelte Weihwasser auf das Immergrün.
Das Immergrün des Tannenzweiges ist Symbol für Leben.
Indem die Mutter Tom den Zweig reicht, wendet sie sich wieder dem Leben, ihrem Kind zu.

So viel von mir noch als Senfklecks zur Geschichte, die mich – bezogen auf Sprachduktus und Aufbau begeistert und inhaltlich gefesselt hat.
Gefesselt auch deshalb, weil ich beim Lesen immer wieder an die Lebensbedingungen in meiner rheinisch–katholischen Dorfgemeinschaft der Nachkriegszeit erinnert wurde und ab und zu an Filmsequenzen aus „Don Camillo und Peppone“ denken musste, die wir in der Kindheit zusammen mit dem Vater sonntags genossen.

Danke für diese Geschichte!

Liebe Grüße
kathso

 

Hallo Peeperkron!

Ich fand deine Geschichte ausgesprochen berührend, was zugegebenermaßen jedoch (auch) persönliche Gründe hat.
Der Todeskampf des Vaters war vielleicht eine Spur zu lang, aber jetzt nichts, das "gestört" hätte. In sprachlicher Hinsicht hast du sehr solide Arbeit geleistet!

Besonders gut konnte ich Tom verstehen und meine Sympathie liegt bei ihm, während seine religiös-fanatische Mutter in ihrem Christus-Kirchen-Wahn bei mir leider eher den Wunsch geweckt hat, sie auf einem Scheiterhaufen zu grillen - müsste ihr als bibelhörige Christin doch eigentlich ganz gut gefallen, oder?:D

Es hat mich tatsächlich gewundert, wie wenig Verständnis sie für ihren Sohn, seine Frustration, Hilflosigkeit, Wut, Verzweiflung und letztlich Enttäuschung aufbringen konnte. Zum Kotzen - ihren Schmerz unter Psalmen und Priester-Fetischismus begraben und bei Tom ausschließlich die Farbschmierereien an der Jesusstatue zu sehen, und nicht die tiefe emotionale Wunde, die der Auslöser war.
Armer Junge - dämliche Bitch - gute Story ... mehr gib's von meiner Seite nicht zu sagen!

Grüße vom EISENMANN

 

Hey Peeperkorn,

hatte schon die erste Fassung gelesen, in die ersten Komms reingeschaut und den Text zunächst mal was liegen gelassen, da ich sah, dass du noch den Anfang reparierst ;)
Da war ich nämlich zunächst auch hängengeblieben. Mittlerweile glaube ich, es verstanden zu haben.

Sie warteten, bis sich die Seitentür öffnete, die den Fünft- und Sechstklässlern zugewiesen war.
Und warum versperren sie dann den (Haupt?)-Eingang vorne, wenn sie doch den Seiteneingang nehmen?

Schon in den ersten paar Zeilen hast du sehr schön alles verortet, den Prota und das Ereignis gut eingeführt. Man weiß sofort, wo man dran ist. Sehr schön.

den Blick von ihm weg und auf die Friedhofshecken gerichtet.
und musterte die zwei Gesichter aus Sandstein
und fragende Blicke.
Sie blickten auf ein Christuskreuz,
Ein Blick, dann mustern, dann wieder Blicke und blickten. Da wird ziemlich viel geguckt. :)
Das erste ist m.E. nicht nötig und eines der anderen könnte man durch eine Beschreibung des Objekts umformulieren, so dass kein Gucken mehr nötig ist.

die Hauptpforte öffnete. Die Erst- bis Viertklässler strömten herein
Hier habe ich Verständnisprobleme. Standen nicht zuerst die Fünft- und Sechstklässlern vor dem Haupteingang?

murmelte Worte, die ihm so vertraut waren, dass sie nichts mehr bedeuteten.
Klasse! Kenne ich.

Einmal, da war er vier oder fünf, hatte Tom während der Messe plötzlich zu plappern begonnen, die Worte des Pfarrers mit langgedehnten Lauten nachgesprochen. Toms Mutter legte ihm die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf. Sein Vater jedoch setzte eine ernste Miene auf, …
Habe mal gelesen – und das gefällt mir persönlich auch bessere, weil man dann besser einkommt – dass man bei Rückblenden nicht nur einmal den PQP („hatte“) benutzen sollte, sondern ruhig zweimal (hatte gelegt).
Später hast du für den Rückblick auch nur einfache Vergangenheit gewählt. Das irritiert ein wenig, wenn dann auch kein neuer Absatz kommt.

Jonas brauchte ihn nicht mit leiser Stimme zu fragen, wie es ihm ging, denn sein Vater war ebenfalls gestorben.
Du reißt da was an, führst es aber nicht weiter aus. Das finde ich schade.

sprachen die Jungs über Federers Chancen an den ATP-Finals.
Das zieht sich ja jetzt durch all deine Geschichten. Mal Fußball, dann Radfahren, jetzt Tennis. :D

„Vor dieser Figur habe ich jeden Tag gekniet, die letzten zwei Jahre.“.
Nicht sehr professionell von ihr, das alles zu erzählen.
Oh, jetzt wollte ich gerade anfangen zu schimpfen, aber du hast da ja schon viel oder alles wieder rausgenommen. :thumbsup:

und zu singen begonnen, vom Schacherseppli, dem Vaganten.
Aha. Und wer oder was ist da? :Pfeif:

Sie sprachen nicht viel. Abends saßen sie vor dem Fernseher, den Ton leise gestellt, damit sie hören konnten, wenn Toms Vater etwas brauchte.
Am Tag nach seinem Tod gingen sie ins Dorf, zur Gemeindeverwaltung. Es war warm, der Sommer hatte noch nicht aufgegeben.
Gerade die Nichterwähnung der Sterbeszene macht das noch stärker.

Frau Barmettler nestelte an ihrer Bluse herum, sie hatte eine Brosche angesteckt, die zu schwer für den dünnen Stoff war.
Mal exemplarisch ein Satz, der so nebenbei kommt aber den Text total aufwertet.

Starker Text. Hat mir sehr gefallen.

Wünsche dir einen schönen Tag.

Liebe Grüße,
GoMusic

 
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Hallo kathso60

Ich habe mich riesig über deinen Kommentar gefreut, denn ich habe mich sehr verstanden gefühlt, als ich deine Rekonstruktion gelesen habe.

Der Junge stellt nämlich nicht in Frage, ob Gott es so gewollt hat, sondern er fragt, warum er das gewollt hat.

Ja, das ist, denke ich, der erste Schritt des Zweifels, da stellt man die Existenz Gottes nicht unbedingt in Frage. Ich wollte auch offenlassen, wie Tom mit dieser Glaubenskrise letztlich umgeht.

Übrigens hast du die Namensgebung Tom bewusst angelehnt an den biblischen Thomas: „der ungläubige Thomas“, „Thomas der Zweifler“ aus der Auferstehungsgeschichte?

Seit den ersten Kommentaren, die ich von Friedrichard erhalten habe, mache ich mir jeweils einige Gedanken zur Auswahl der Namen. Nicht immer bei jeder Figur, aber hier schon. Mir ist ein Caravaggio-Gemälde vor Augen gewesen, der ungläubige Thomas, wie er einerseits auf beinahe kindlich naive Weise den Finger in die Seitenwunde legt, dabei aber gewissermassen empirisch-wissenschaftlich prüft, ob der Herr wirklich auferstanden ist. Ein grossartiges Bild.

Hier wächst eine nicht mehr ganz so gottesfürchtige Generation heran.

Ja, ich wollte zeigen, dass Tom in dieser Hinsicht ziemlich alleine dasteht. Er hat Jonas, der auch seinen Vater verloren hat, aber in seiner Glaubenskrise steht ihm niemand zur Seite.

Die Mutter sehe ich nicht als so kalt und herzlos, wie in manchen Kommentaren angedeutet.
Sie ist lediglich gefangen in ihrem unerschütterlichen Glauben, dass man alles an Schicksal annehmen müsse, weil alles von Gott gefügt sei.

Das freut mich und ist womöglich der Tatsache geschuldet, dass ich hier - auf Anregung einiger Kommentatoren - noch eine kleine Szene eingefügt habe, die Toms Mutter noch stärker von ihrer menschlichen Seite zeigt (die Schneeballszene). Aber du hast auch die anderen kleinen Gesten registriert:

Sie schaut fern mit Tom, streicht ihm übers Haar, versorgt ihn mit Essen.

Du löst diese Gratwanderung höchst subtil und prägnant bei der Frage nach Toms Alter.
Da versucht die Mutter mit dem Einwand, dass Tom erst im Januar Zwölf wird, seine Unmündigkeit ins Spiel zu bringen.

Auch hier freut mich sehr, dass dir das aufgefallen ist. Sie hält ihn ja noch für ein Kind. Und das kann zwei Aspekte haben, d.h. sie betrachtet ihn als unmündig, unreif, aber damit eben auch als weniger verantwortlich. So kann sie dazu übergehen, ihren Sohn zu verteidigen. Dass sie dabei selbst eine Entwicklung durchmacht und Tom am Ende auch ernst nehmen und verstehen kann, wollte ich mit der Schlussszene zumindest andeuten.

Das Immergrün des Tannenzweiges ist Symbol für Leben.

Ist eigentlich sogar doppelt da. Das Weihwasser wird vom Tannzweig auf das Immergrün, das auf dem Grab wächst, gesprenkelt. :)

Es war mir eine Freude, deinen Kommentar zu lesen, vielen Dank!


Hallo Eisenmann

während seine religiös-fanatische Mutter in ihrem Christus-Kirchen-Wahn bei mir leider eher den Wunsch geweckt hat, sie auf einem Scheiterhaufen zu grillen - müsste ihr als bibelhörige Christin doch eigentlich ganz gut gefallen, oder?

Hehe. Ja, über solche Dinge lässt sich gut scherzen. Einer meiner Schüler hat mal einen Essay geschrieben, in dem er die These vertrat, dass ein guter Christ seine Glaubensgenossen töten sollte, damit diese früher ins Paradies gelangen (die haben dann auch weniger Zeit zu sündigen, was ja den Weg dorthin gefährdet). Der Täter selbst käme dann in die Hölle. Damit die Gesamtbilanz positiv ausfalle, müsse er daher möglichst viele Mitchristen beseitigen, denn mehr als einmal Hölle gehe ja nicht.

Es hat mich tatsächlich gewundert, wie wenig Verständnis sie für ihren Sohn, seine Frustration, Hilflosigkeit, Wut, Verzweiflung und letztlich Enttäuschung aufbringen konnte.

Ich bin überrascht, dass du die Mutter derart negativ siehst, sie ist ja in gewisser Hinsicht auch nur ein Kind. Gefangen in der eigenen Trauer, aber auch gefangen im Trostgerüst, das sie sich aufgebaut hat. Aber, ja, es gibt da schon Passagen, wo man sie mal wachrütteln möchte - um es so gar nicht im Eisenmann-Stil zu formulieren. Ich kann dein Urteil also schon verstehen.

Vielen Dank für den typischen Eisenmannkommentar. Direkt, ehrlich, ein wenig Blutvergiessen hie und da. Zum Glück hat alles die Figur abgekriegt und nicht der Text. :D

Hallo GoMusic

Schön, dass du reingeschaut hast.

Und warum versperren sie dann den (Haupt?)-Eingang vorne, wenn sie doch den Seiteneingang nehmen?

Ne, sie versperren den Seiteneingang. Die Jungs stehen vorne beim Seiteneingang. Ich bin immer wieder nahe dran, das in den ersten Satz reinzuschreiben, aber das würde ihn so schwerfällig machen.

Ein Blick, dann mustern, dann wieder Blicke und blickten. Da wird ziemlich viel geguckt.

Blöd. Ich bin ein visueller Typ. Meine Welt besteht aus Bildern. Ich muss mich jeweils zwingen, einen Geruch oder ein Geräusch in meine Texte zu bringen. Ja, und das führt dann dazu, dass meine Figuren ebenfalls viel gucken. Danke für den Hinweis, ich habe das ein wenig entschärft.

Habe mal gelesen – und das gefällt mir persönlich auch bessere, weil man dann besser einkommt – dass man bei Rückblenden nicht nur einmal den PQP („hatte“) benutzen sollte, sondern ruhig zweimal (hatte gelegt).
Später hast du für den Rückblick auch nur einfache Vergangenheit gewählt. Das irritiert ein wenig, wenn dann auch kein neuer Absatz kommt.

Merci auch für diesen Tipp. Ich habe die sanfte Strategie gewählt und einen Abschnitt eingefügt.

Jonas brauchte ihn nicht mit leiser Stimme zu fragen, wie es ihm ging, denn sein Vater war ebenfalls gestorben.
Du reißt da was an, führst es aber nicht weiter aus. Das finde ich schade.

Ja, das wäre schön, dem noch nachzugehen. Mir schien das aber zu sehr auf Nebengeleise zu führen, wenn ich begänne, die Freundschaft von Tom und Jonas näher zu beleuchten. Ich wollte nur das Alleinsein von Tom etwas abfedern, ein wenig Freundschaft und Optimismus in die Geschichte reinbringen, damit die nicht so linear auf der Armer-Tom-Schiene dahingleitet.

Aha. Und wer oder was ist da?

Ich habe da einen anderen Zugang. Ich lese viel amerikanische Literatur und da gibt es Orte, Marken, Baseballspieler, Songs, von denen ich noch nie gehört habe. Das wird dann auch nicht erklärt. Stört mich aber überhaupt nicht, im Gegenteil.

Starker Text. Hat mir sehr gefallen.

Klasse! Vielen Dank für deine Zeit und deinen genauen Blick :D auf den Text.

Lieber Gruss an alle
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peeperkorn,

ein sehr starker Text ist das!

Beinahe hätte ich das einfach so stehen lassen können - eher untypisch für mich :) -, aber ich will doch etwas mehr dazu sagen - typisch.

Was mir so aufgefallen ist:

Ein unscheinbares Kunstwerk, gewiss hatten viele der Schüler die Figur noch nie bewusst wahrgenommen. Doch jetzt starrten alle darauf, denn Jesus war mit Farbe beschmiert und auf der Vorderseite des Sockels, einer Fläche von der Größe eines Kinoplakats, war Komm runter, du Arsch in roten Buchstaben zu lesen.
"einer Fläche von der Größe eines Kinoplakats", würde ich streichen. Ist doch egal. Für mich bremst der Einschub ein wenig aus. Alternativ hätte ich das in Gedankenstrichen besser gefunden. Vom Gefühl her.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Tom saß in der Bank, hatte die Hände im Schoss gefaltet, murmelte Worte, die ihm so vertraut waren, dass sie nichts mehr bedeuteten.
Ja, ich glaube, die Litanei verliert einfach an Bedeutung; wird inflationär dadurch.
Der Duden sagt zur Definition:
-besonders in der katholischen Liturgie zwischen Vorbeter und Gemeinde wechselndes Bittgebet
-(abwertend) langatmige, monotone Aufzählung von etwas
-(abwertend) immer wieder vorgebrachte Ermahnung, Klage o. Ä.

Jonas war sein Freund. Er war der einzige, der normal geblieben war. Der ihm in die Augen sah, wenn sie sich begegneten. Der genauso von Fürzen sprach und über Mädchen lästerte wie die Wochen zuvor. Jonas brauchte ihn nicht mit leiser Stimme zu fragen, wie es ihm ging, denn sein Vater war ebenfalls gestorben. Nicht langsam, sondern bei einem Unfall. Aber darauf kam es nicht an.
Das finde ich sehr schön beobachtet. Das ist es, was man sich wünscht, wie ich glaube: Normalität. Es gibt dazu nicht wirklich Hilfreiches zu sagen. Und das weiß und schätzt Tom, weil Jonas ihn verstehen kann.

Sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie so taten, als wären sie nicht miteinander verwandt. Dass er sie Frau Gander nannte. Das sei professionelles Verhalten, hatte sie gesagt.
Es hätte ihn nicht überrascht, wenn ihr die Tränen gekommen wären, obwohl er sie noch nie hatte weinen sehen.
Du zeichnest deine Figuren unheimlich gut. Schon verrückt - wenngleich nachvollziehbar -, wie sie sich hinter Förmlichkeiten und Ritualen versteckt. Dieses Verstecken, ja, wirklich gut. Es gibt ihr halt, bewahrt sie davor, zusammenzubrechen, da sie sich somit auch nicht mit sich selbst und den Gegebenheiten/Folgen auseinandersetzen muss.

Tropfen schlugen gegen das Fenster.
Schönes Beispiel dafür, dass gut gesetzte Verben Adjektive überflüssig machen.

Um halb sieben war sie zurück, schob eine Fertigpizza in den Ofen – zum Kochen fehlt mir die Kraft – und ging ins Schlafzimmer, wo sie sich für eine halbe Stunde hinsetzte und Blumenmotive auf Kissenüberzüge stickte.
Vielleicht besser (?): - zum Kochen fehle ihr die Kraft -

Er werde zuhause sterben, hatte sie gesagt, nachdem Durrer erklärt hatte, dass ihr Mann den Krebs nicht besiegen werde. Das gebiete die Nächstenliebe und sie alle wollten es so. Tom stand daneben, mit Tränen in den Augen, und nickte.
Wie sie die eigene Vorstellung auf alle anderen überstülpt. Gar nicht infrage stellt. Das zeigst du hier nur über die Reihenfolge der Erzählung. Prima.

Tom nahm das Buch, seine Hände zitterten. „Dann schlaf doch!“, schrie er und warf das Buch auf die Kommode, wo es über die Oberfläche rutschte und zu Boden fiel.
Toll, wie du zeigst, wie Tom nicht damit klar kommt; wie du diese Wut, Ohnmacht und Trauer zeigst dadurch ...
Der Vater lächelte, als er ihn hereinkommen sah, was Tom erleichterte.
... und gleichzeitig, wie du zeigst, dass da so viel Verständnis im Vater vorhanden ist. Er sieht seinen Sohn und versteht ihn.
Ist natürlich der absolute Übervater - wie er mit all dem und seinem Sohn umgeht. So viel Verständnis ... beinahe gottgleich zeigst du ihn (Vergib ihnen, denn sie wissen nicht ... usw.). Mich stört das aber nicht, im Gegenteil. Es freut mich für Tom.
Ist allerdings auch ein Grund dafür, dass auch ich eher negative Gefühle der Mutter entgegenbringe. Der Kontrast zwischen Vater und Mutter ist eben sehr groß.
Zudem schreibst du Eisenmann: "Ich bin überrascht, dass du die Mutter derart negativ siehst, sie ist ja in gewisser Hinsicht auch nur ein Kind."
Das stimmt schon. Aber eines, dem man eben nicht viel Sympathie entgegenbringen kann. Man wünscht sich, glaube ich, eben kein Kind als Mutter, sondern wünscht sich für Tom eine erwachsene, starke Mutter.
Wie hatte ihr Lachen geklungen? Tom konnte sich nicht erinnern.
Das ist schon traurig, ist aber eben auch ein Grund dafür, dass ich sie nicht mögen kann. Dafür habe ich viel zuviel positive Gefühle (auch Mitgefühl) Tom gg.

„Ich bin kein Kind mehr.“
„Doch“, sagte sie. „Das bist du.“
...
„Scheiß auf Gott!“
Ja, er ist eben auf dem Weg, erwachsen zu werden. Dazu gehören auch Fragen, Provokation und Ablehnung. Gut gemacht, Peeperkorn.

„Aus unserer Garage“, sagte Tom. „Autolack.“
Den Autolack könntest du streichen, finde ich.

„Er soll sagen, weshalb er das wollte. Dass Vater stirbt“
Er stellt nicht Gott infrage, sondern sein Handeln. Das ist klassisch, klar. Die Frage: Wie kann er das alles zulassen in der Welt, wenn er ein liebender Gott sein soll. Die Frage, wie ungerecht das alles ist. Die Frage: Was für ein beschissenes Arschloch kann so was zulassen. Und die Antwort: Weil seine Wege unergründlich sind; in deinem Text: gar keine Antwort darauf. Hmpf. Unbefriedigend. Da will man schon gerne mal tête-à-tête Antworten vom Verursacher haben.
Ja, Toms Denke verändert sich. Er wird langsam erwachsen.

Als sie Tom den Tannzweig überreichte, berührten sich ihre Hände. Sie sah ihn an und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Sehr schönes Ende, das Hoffnung macht, dass sich die zwei finden werden. Sie haben ja auch sonst niemanden mehr (von Gott abgesehen). Sie versteht ihren Sohn wohl doch; und endlich zeigt sie ihm das vielleicht auch mal.


So viel mal von mir, nein noch etwas:
Ich habe dir unter einer anderen Geschichte geantwortet, dass mir auffällt, dass du sehr gerne "als" verwendest, Alsheimer hast :). Das soll jetzt keine Kritik sein, sondern dich nur nochmals darauf aufmerksam machen. MS Word zählt 25 Ereignisse. Mich hat das hier nicht gestört, ich möchte dich trotzdem darauf hinweisen.


Das mal meine spontanen Gedanken zu deiner Geschichte. Zu deiner großartigen Geschichte!
Das Niveau der Challenge finde ich sehr hoch (habe noch nicht alle KG(n) gelesen, aber viele), wobei ich deinen Text bislang als den stärksten bewerte. Ganz klar und ohne Abstriche. Toll!


Vielen Dank fürs Hochladen und das Lesevergnügen!


hell

 

Hallo hell

Vielen Dank für deinen Kommentar, du kannst dir denken, dass mich der sehr gefreut hat.

Das Kinoplakat habe ich gestrichen und wieder hingehängt, ich konnte mich nicht überwinden, den Darling zu killen. Ich habe mir jetzt aber auch eine rationale Begründung zurechtgezimmert: Normalerweise sind solche Sockel verziert, haben ein Relief oder was auch immer. Es ist also eine nützliche Information, dass da eine leere Fläche ist, auf der der Spruch gut zur Entfaltung kommt.

Das "zum Kochen fehlt mir die Zeit" habe ich ganz gestrichen, das ergibt sich ja aus der Fertigpizza. Den Autolack habe ich ebenfalls gestrichen. Merci für die Hinweise.

Ist natürlich der absolute Übervater - wie er mit all dem und seinem Sohn umgeht. So viel Verständnis ... beinahe gottgleich zeigst du ihn (Vergib ihnen, denn sie wissen nicht ... usw.). Mich stört das aber nicht, im Gegenteil. Es freut mich für Tom.

Das hat mir schon etwas Kopfzerbrechen bereitet, die konsequent positive Besetzung des Vaters. Ich habe mir dann aber gedacht, dass das für eine kurze Erzählung passt. In einem längeren Text müsste es wohl abgeschwächt, realistischer gestaltet werden.

Ist allerdings auch ein Grund dafür, dass auch ich eher negative Gefühle der Mutter entgegenbringe. Der Kontrast zwischen Vater und Mutter ist eben sehr groß.
Zudem schreibst du @Eisenmann: "Ich bin überrascht, dass du die Mutter derart negativ siehst, sie ist ja in gewisser Hinsicht auch nur ein Kind."
Das stimmt schon. Aber eines, dem man eben nicht viel Sympathie entgegenbringen kann. Man wünscht sich, glaube ich, eben kein Kind als Mutter, sondern wünscht sich für Tom eine erwachsene, starke Mutter.

Ja, durch die Sympathie zu Tom kommt man dann schon auch zu klaren Urteilen über die Mutter, da nimmt man als Leser vielleicht auch eine andere Perspektive (die von Tom) ein, als der Autor.

Ja, er ist eben auf dem Weg, erwachsen zu werden. Dazu gehören auch Fragen, Provokation und Ablehnung.

Das macht Jugendliche in meinen Augen zu sehr dankbaren Protagonisten. Aber wem erzähle ich das? ;)

Ich habe dir unter einer anderen Geschichte geantwortet, dass mir auffällt, dass du sehr gerne "als" verwendest, Alsheimer hast . Das soll jetzt keine Kritik sein, sondern dich nur nochmals darauf aufmerksam machen. MS Word zählt 25 Ereignisse. Mich hat das hier nicht gestört, ich möchte dich trotzdem darauf hinweisen.

Alsheimer. Den merke ich mir! 5 Ereignisse sind "also" und "Hals" geschuldet. Aber es bleiben 20 übrig, ja, das ist bedenkenswert. Obwohl ich, ich schwöre, beim Schreiben bewusst darauf geachtet habe.

Natürlich haben mich deine weiteren Bemerkungen extrem gefreut, auch wenn ich das jetzt nicht nochmal aufgegriffen habe. Es ist halt auch schön, wenn man auf Stärken hingewiesen wird. Man lernt zwar aus Fehlern (nicht wieder machen), aber eben auch aus Lob (wieder so machen / mehr davon machen).

Vielen Dank!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Peeperkorn

ich muss noch ein paar Gedanken zu deiner Entgegnung meines Kommentars loswerden.

Zweitens, weil ich den Konflikt zwischen Tom und der Mutter damit in den öffentlichen Raum (in den Kontext der Schule) tragen kann. Er erhält damit mehr Gewicht, die Mutter ist in einer doppelten Funktion darin involviert. Auch das Geständnis kann mehr Wirkung entfalten.

Ja, das ist ein Konstruktion. Aber vergleiche mit dem Distelfink, den du gerade liest, die ersten 150 Seiten. Falls du noch nicht so weit bis, setze ich das in Spoler-Klammern:

Spoiler anzeigen:
Dass der Prot das Mädchen genau dann zum ersten Mal sieht, als seine Mutter stirbt, das ist doch eine totale Konstruktion. Dass er den Ring in die Hand gedrückt bekommt, der ihn schliesslich zu diesem Mädchen führt. Nur schon die Tatsache, dass Mutter und Sohn genau in dem Moment getrennt werden, als die Bombe explodiert.


Ich bin der Meinung, dass es gerade solche Konstruktionen braucht, um eine interessante Geschichte zu erzählen. Das Leben ist doch schon langweilig genug. Das muss doch verdichtet, literarisch gestaltet werden, damit da was Spannendes rauskommt. Natürlich darf man dabei nicht zu weit gehen, aber ich denke nicht, dass das hier der Fall ist. Eine meiner Mitschülerinnen hatte ihren Vater als Religionslehrer, das kommt schon vor.


Du legst deine Geschichten sehr bewusst an. Das stimmt mich nachdenklich, weil ich selbst eher intuitiv schreibe und erst während der Überarbeitung die Struktur überprüfe.

Sehr überzeugend ist das Argument Tom und seine Mutter mit deiner Konstruktion in den öffentlichen Raum zu tragen und dadurch eine weitere Ebene zu eröffnen.

Und zum Distelfink. Ich bin etwa bei der Hälfte und ehrlich gesagt wollte ich das Buch genau aus dem von mir erwähnten Grund weglegen. Zu viele Zufälle, nerviges Geplapper. Bis das mit dem Sog begann, wie sorgfältig die Charaktere entwickelt werden. Na ja und jetzt mag ich diesen Potter und kenne seine Seele. Dennoch: der Distelfink ist 1000 Seiten lang und deine Geschichte zehn Seiten, das hat eine andere Wirkung. Zumindest auf mich.

War mir wichtig, dass ich dir das sage. Was gut ist, wird in der Übertreibung schlecht. :Pfeif:

viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Isegrims

Vielen Dank fürs Nachhaken, fand ich nochmal sehr interessant.

Du legst deine Geschichten sehr bewusst an. Das stimmt mich nachdenklich, weil ich selbst eher intuitiv schreibe und erst während der Überarbeitung die Struktur überprüfe.

Das gilt nicht für alle Geschichten. Häufig weiss ich nicht genau, wie die Sache ausgeht - was sich meistens eher zum Nachteil auswirkt. Und es gibt auch Texte, wo ich einfach mal mit einem Satz beginne und es entwickelt sich was. Aber das ist auf alle Fälle die Ausnahme. Ich denke, beides geht, ja, alles geht - wenn man es seriös macht.

Sehr überzeugend ist das Argument Tom und seine Mutter mit deiner Konstruktion in den öffentlichen Raum zu tragen und dadurch eine weitere Ebene zu eröffnen.

Ist natürlich nie optimal, wenn man seinen Text argumentativ verteidigt. Freut mich aber.

Und zum Distelfink. Ich bin etwa bei der Hälfte und ehrlich gesagt wollte ich das Buch genau aus dem von mir erwähnten Grund weglegen. Zu viele Zufälle, nerviges Geplapper.

Den "Konter" habe ich befürchtet. :D

Dennoch: der Distelfink ist 1000 Seiten lang und deine Geschichte zehn Seiten, das hat eine andere Wirkung. Zumindest auf mich.

Und das wiederum finde ich überzeugend. Ja, ich orientiere mich insgesamt eher am Roman, ich lese auch fast ausschliesslich Romane, nur ab und zu eine Kurzgeschichte. Ich werde mir den Punkt merken, ja, da muss ich Vorsicht walten lassen. Merci.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Peeperkorn,

was soll ich sagen?

Ich habe deine Geschichte grade nochmal gelesen, nämlich als ich merkte, dass mein Kommentar, den ich schon ganz am Anfang eingestellt hatte, hier gar nicht auftauchte. Ich wollte prüfen, welche Geschichten ich noch unbedingt kommentieren will/muss. Und dann sah ich, mein Komm verwest gerade in meinem Antwortordner.
Mann - soviel zu meiner Ordnung und zu meiner Aufmerksamkeit. ich tanze wohl auf zu vielen Hochzeiten. :)

So - und jetzt hab ich hoffentlich auch genug geschwafelt, um meine Traurigkeit zu überspielen.
Ich hab wie gesagt, deine Geschichte noch mal gelesen, weil der Komm ja schon so lange her war und ich wissen wollte, was und ob überhaupt du geändert hast. Und ob solche Kleinigkeiten wie die vielen "hatte" oder der eine lange, etwas knorpelige Satz jetzt weg sind. und überhaupt wollte ich sie einfach nochmal lesen. Und klar, alles schon gesagt, geändert - kann ich auch schon wieder den Schnabel halten.

Ich muss da einfach immer schlucken, wenn ich sie lese, und ich gebs zu, die Augen werden feucht. Du erzählst das auf eine solch grandiose und berührende Weise, wie dieser Bub seinen Kampf mit Gott führt. Wie er allein ist, und auf die einzige Weise, die ihm zur Verfügung steht, aufbegehrt.
Das ist sehr traurig, auch ein bisschen komisch-melancholisch-lustig, wie er dem Jesus gerade diese kracherten Worte aufmalt. Das verschlägt einem alles ein bisschen die Sprache und das analytische Auge für die Weise, wie du die Geschichte aufbaust. Da muss man dann schon noch mal extra gucken, weil man so gefangen genommen wurde. Von Figuren, Atmosphäre und Erinnerung an eigene Erlebnisse.
Und die Machart, die ist schon toll: Du führst den Tom als Erzähler ein, lässt ihn als Unbeteiligten die ganze show am Anfang erleben, die tuschelnden Kinder, ihr Gerede. Dann löst du die Szene auf mit dem Zeigen auf die "Schandtat". Und führst danach den Hintergrund des Geschehens ein, ermöglichst dem Leser darauf zu kommen, dass es Tom selbst gewesen muss, indem du sein Motiv zeigst, sein Verhältnis zum Vater, die Krankheit des Vaters, aber auch die Strenge der Mutter. Und Toms Wut auf seinen Vater, die sich ja dann in seiner kindlichen Wut gegen den noch größeren "Vater" richtet. Und das immer in in Abwechslung mit den religiösen Formeln. "Vergib uns unsere Schuld .." Wie weise, dass du ausgerechnet mit Worten aus dem "Vaterunser" beginnst. Eine wunderbare Doppeldeutigkeit, die für Tom jeden Trost verloren hat.
Mich hat nicht nur die Geschichte als allererstes beeindruckt, einfach das Schicksal dieses Jungen, das Quäntchen Trost, das du ihm schenkst. Sondern auch die Art, wie du die Geschichte "aufgezogen" hast.
Ich hab damals geschrieben - und das lasse ich einfach so stehen:
Definitiv eine meiner allerallerliebsten Geschichten.

Viele Grüße von Novak

 

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