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Am 22. 9.2010 fragte Dion um 19:15 Uhr unter # 38 dieser Rubrik, nachdem ich in bescheidenem Maße über die Vergewaltigung bis hin zur Ermordung des Genitivs –
jeder hier an Bord sollte das ironisierende geflügelte Wort, dass der Dativ „dem Genitiv sein Tod“ sei kennen -
gewettert hatte, ob jemand den Dual vermisse. Der Grund der Frage findet sich hier im Zitat o. g. Beitrages:
„Vermisst jemand den Dual? / […] / Die Sprache hat sich entwickelt, [ist] nicht gemacht worden, d.h. alle Regeln, die sie hat, sind entstanden und nicht auf dem Reißbrett entworfen worden. Und da sie lebt, leben auch ihre Regeln – nur so ist z.B. das Verschwinden des Duals aus den meisten europäischen Sprachen zu erklären. Und wenn es der deutschen Sprache bzw. Sprechern dieser Sprache gefällt, dann verschwindet eines Tages vielleicht auch der Genitiv – oder wird nur noch von selbsternannten Sprachschützern benutzt.“
Wir wollten dann ein bisschen über den Dual plaudern und weil jeder, der sich dafür interessiert, im Internet bei einiger Skepsis einiges vorfindet, konnte ich gelassen die Renovierung der hiesigen Stadtbibliothek abwarten – was sich dann überraschend lange hinzog, war das Bert-Brecht-Haus doch wesentlich maroder als erwartet. Die Geduld hat sich gelohnt, sind doch Volkshochschule und Bücherei doch nun besser ausgestattet und – eigentlich logische Folge des Umbaus – publikumsfreundlicher als manche Bibliothek dieser und jener mit einer Hochschule beglückten reicheren Stadt (ich weiß, wovon ich rede, hab ich doch in einer solchen Stadt gewohnt, bis ich wieder in die Wiege der Ruhrindustrie - der griechischsten Stadt der Republik nach Medienberichten - zurückkehrte). Leider findet sich übers Dual nur ein eher schmaler Artikel im Metzler Lexikon Sprache, hgg. v. Helmut Glück, und das auch eher, weil es sich weniger mit dem Deutschen als mit der Sprache insgesamt auseinandersetzt. Wie der Zufall aber so will, hab ich dann doch in Köblers Etymologie des Rechts (!) und desselben Wörterbuch des Gotischen, aber auch Schweitzers altdeutschem Wortschatz ein wenig mehr gefunden – wenig genug, wie ich finde, um immerhin anzufangen, ohne einen längeren Vortrag über Wortarten und / oder Beugung einzuschieben, ausgenommen, dass mit dem Dual – der die „natürliche Paarigkeit“ bezeichnet [Köbler, Etymologie, S. XVII] – der „Lokativ (den Ort bezeichnender Fall)“ [ebd.] im Deutschen verschwunden ist wie auch etwa das Medium (nur noch im Altgriechischen), eine Tätigkeitsform zwischen Aktiv und Passiv, bei der ein Tun (oder Unterlassen, wie Juristen so schön sagen) nicht nur vom Subjekt ausgehe, sondern entweder in dessen Interesse sich vollziehe oder das Subjekt gleichzeitig Objekt sei – keine Bange, wir landen jetzt nicht bei der Frage, wie das Subjekt der Erkenntnis sich selbst zum Objekt werden kann, aber das Problem kann mit einfachen Sätzen wie „ich achte auf mich“ / „sie schminkt sich ab“ usw. angerissen werden.
Der Dual bezeichnet zwischen Singular und Plural die paarige Zweiheit bei Nomen und Verb und findet sich in einigen Sprachen, vor allem slawischen wie dem Sorbischen in der Lausitz, gibt’s also durchaus in neuen Ländern der Republik.
Ich behaupte nun – guter Dinge, weil nicht allein – dass es Reste des Duals selbst im abgeschliffenen Neuhochdeutschen heute noch gebe, die aber zu suchen wären. Ohne langweilen zu wollen, steht fest, dass es hier wie überhaupt in allen indoeuropäischen Sprachen den Dual gegeben hat. Als einzige umfangreichere schriftlicher Beleg germanischer/-en Sprache/Dialekts ist die Bibelübersetzung aus dem vierten Jh. durch den Tervinger / Visigoten („Westgoten“) (W)Ulfila, der eine vergleichbare Wirkung auf die gotischen Völker und für die Sprachentwicklung hatte wie Martin Luther mehr als ein Jahrtausend später. Wer Aug und Ohr zu nutzen weiß, wird das bisschen Gotisch, das ich jetzt auftragen werden, kommentar- und ohne Übersetzung verstehen. Noch einfacher wird es dem sich öffnen, der ein wenig Nordfriesisch oder auch Bairisch versteht.
Gehen wir nun die Personalpronomen der Goten in der Reihenfolge Nominativ / Genitiv / Dativ /Akkusativ durch:
ik / meina / mis / mik,
was selbst dem ungeübten Auge als 1. Person Singular aufleuchten wird – aber was wäre die nächste Zeile?
wit / ugkara / ugkis / ugkis,
richtig: das ist niemals die 2. Person Singular, denn die wäre im Gotischen die Reihe (und das kann das ungeübte Auge tatsächlich wiedererkennen):
þu / þeina / þus / þuk,
das þ ist kein anderer Buchstabe als das „moderne“ th, im Englischen als tie-aitsch bekannt (wäre das Zeichen þ hier nicht vorhanden, es stünde hier „thu / theina …) und wer wollte leugnen, dass da Ähnlichkeit mit dem heutigen „du“ bestehe!
Aber was mag dieses wit heißen? Es bezeichnet mik und þuk, „mich“ und „dich“ in einem besonderen Pronomen äußert sich der Dual. Es bedeutet nix anderes als „wir beide“, ist also auch etwas anderes, als unser heutiges „wir“, das hieße nämlich
weis / unsara / uns(is) / uns(is),
dass man schon geradezu befürchten muss, ob der Dativ nicht schon lange versuchte, dem Akkusativ den Tod zu bringen …
Doch fahren wir fort in der Reihe der Personalpronomen:
is / is / imma / ina
si / izos / izai / ija
ita / is / imma / ita,
was die 3. Person Einzahl er, sie, es bezeichnet.
Nun drängt sich uns auf
jut / igqara / iggis / iggis,
was sicherlich mit „ihr“ zu tun hat, wenn auch nur mit zwei Personen aber ohne mich, nämlich „euch beide“.
jðs / izwara / izwis / izwis (germ. *izwis)
wäre ab dem dritten „anderen“ die Pluralbildung des heutigen „ihr“.
So viel oder so wenig mag für heute genügen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der dritte „andere“ bewusst in Anführungszeichen steht, war „ander“ schon im Gotischen eine Ordinalzahl und bedeutete noch im Mittelhochdeutschen „der / die / das Zweite“.
Gruß & schönes Wochenende wünscht der
Vrîdel