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hehe.. ich glaube, da hat Frederik tatsächlich ein wenig über Gebot hinaus interpretiert. So sehr ich zumindest seinen Ausführungen auch folgen und diesen zustimmen kann, so wenig können sie sich in meinen Augen gegen Frauke wenden. Die Annahme eines Missverständnisses ist bereits selbst ein Missverständnis. Deshalb würde ich vorschlagen, Freds Beitrag als allgemeinen Beitrag zu betrachten, also nicht im Sinne einer an Frauke gerichtete Aufklärung in eigener Sache.
Stattdessen möchte ich mal versuchen, auf Fraukes oben von ihr gestellte Fragen konkreter einzugehen:
Gegenfrage von mir: Welche Rolle spielt das?Doch nicht jeder hat es verdient.Wer entscheidet sowas?
Vorab finde ich es wirklich schön von dir, Frauke, dass du dich nicht gleich, womöglich noch schlicht reaktionär, darüber aufregst, dass es vielleicht Leute geben mag, die "sagen, was richtig ist". Du stellst nicht gleich, wie so viele andere hier in ähnlichen Diskussionen, eine Art Antithese hintendran, die eine rhethorisch gemeinte Frage gleich vollendet zu beantworten beabsichtigt. Das gibt anderen die Möglichkeit, differenziert auf in den Raum gestellte Fragen einzugehen (die noch keine These beinhalten), ohne gleich, wie ich es häufig hier beobachten muss, allein zu einer lediglich entgegengesetzten Stellungnahme verleitet zu werden - was mMn zu einer Überbewertung von vor allem extrem entgegengesetzten Meinungsäußerungen führt; und dass auch noch allzu oft zugunsten des jeweils persönlichen Egos jedes Gesprächsführers, und damit letztendlich zu Lasten der eigentlichen Diskussion. Was wohl nicht im eigentlich beabsichtigten Sinne einer jeden Diskussion sein sollte (hoffe ich zumindest mal).Ich finde es nicht schade um jene, die zwar gut schreiben können, aber dabei so viel reflektieren, wie sie es beim Sprechen tun.Wer von Euch denkt nicht beim Sprechen?Wer sagt, was richtig ist? Das finde ich eben einfach eines der Probleme an dieser Diskussion.
Für diese Art von Gesprächsführung bin ich sehr dankbar.
So, jetzt aber zurück zum Thema: Zum Denken beim Sprechen und Schreiben fallen mir neben Annas von Wilhelm Busch zitierter Aphorismus auf der ersten Seite
auch noch ein weiterer des Philosophen Heideggers ein:Gedanken sind nicht stets parat.
Man schreibt auch, wenn man keine hat.
(Wilhelm Busch)
Beide Aphorismen sollte man am Besten gleich mehrmals hintereinander aufmerksam lesen und darüber reflektieren. Zumindest Heidegger tat das - er hielt Anfang der Fünfziger Jahre gleich einen ganzen Vortrag zu dieser zentral zu diskutierenden These. Weiterhin begann er seinen Vortrag damals mit dem AusgangspunktDas Bedenklichste in unserer bedenklichen Zeit ist, daß wir noch nicht denken.
So: Wenn es für uns Menschen nun ein Problem darstellt, diese Welt, in der wir leben (und damit meine ich auch uns selbst - denn wir leben - so wenigstens die Hoffnung - in erster Linie ja vor allem erstmal in uns selbst!), zu verstehen, ist es um unseren Frieden willen zuträglich, diese Welt zu interpretieren und uns "eigen" zu machen (das meine ich natürlich nicht im materiellen Sinne).In das, was Denken heißt, gelangen wir, wenn wir selber denken. Damit ein solcher Versuch glückt, müssen wir bereit sein, das Denken zu lernen.
Sobald wir uns auf dieses Lernen einlassen, haben wir auch schon zugestanden, daß wir das Denken noch nicht vermögen.
Aber der Mensch heißt doch der, der denken kann - und das mit Recht. [...] Indes will der Mensch vielleicht denken und kann es doch nicht. [...]Wenn wir zu lernen versuchen, was Denken heißt, verlieren wir uns dann nicht in die Reflexion, die über das Denken denkt? Gleichwohl fällt auf unserem Weg ständig ein Licht in das Denken. Allein dieses Licht wird nicht durch die Laterne der Reflexion erst herzugebracht. Das Licht kommt aus dem Denken selbst und nur aus ihm. Dem Denken eignet das Rätselvolle, daß es selber in sein eigenes Licht gebracht wird - freilich nur dann, wenn es und solange es ein Denken ist und davon frei hält, auf einem Räsonieren über die ratio (Vernunft) zu beharren.
Das betrifft in hohem Maße natürlich auch die Literatur (dh. besser jene, die wir auch tatsächlich lesen!), wie Zaza in Echnatons begleitendem Thema hier schon sehr ausführlich auf den Punkt gebracht hat.
Nun finde ich persönlich es weniger interessant, was man allgemein zum Status Quo in Sachen >bedeutende Literatur< kontra >unbedeutende Literatur< hier oder anderswo aussagen kann. Das ist mehr eine statistische Frage und über die Grenzziehung oder manch eine vermeintlich damit einherziehende Konsequenz wird gern und oft gestritten. Wir sollten uns lediglich darüber einig sein, dass man diese genannte Unterscheidung mit Überzeugung vollziehen kann.
Was spricht nun für die sogenannte >bedeutende Literatur< ? Antwort: Sie liefert uns Vorstellungsvorgaben für unsere Weltanschauungen (dazu wiederum Zazas Beitrag). >unbedeutende Literatur< dagegen macht genau das nicht! Das verstehen wir im allgemeinen auch unter dem Begriff "Unterhaltung" (jenes "Unter" in diesem Wort kommt nicht von ungefähr und deutet auf etwas sehr grundlegendes, dh. rudimentäres hin).
Nun meinte Anna in ihrem Posting bereits zutreffend
Der Schriftsteller als Gestalter seiner Gesellschaft. Und je größer sein Einfluss auf seine Gesellschaft wird, umso mehr Verantwortung wird auch von ihm erwartet; aber umso mehr Gefahr kann auch von ihm ausgehen.Ich bin nicht sicher, wann es beinahe zu einem "Pfui, das tut man nicht!" wurde, das Individuum als Teil seiner Gesellschaft zu beschreiben, und zwar als ihr Produkt ebenso wie als ihr Gestalter.
Liegt darin auch nur einer der Gründe verborgen, weshalb sich viele Autoren lieber in banale als in Aussagen-implizierende (>bedeutende<) Texte verlieren? Sowohl als Schreibender wie als Leser? Vielleicht, weil die Welt zu komplex und unübersichtlich geworden ist, sich damit kaum noch jemand zutraut, diese hinreichend interpretieren zu können (selbst im rein zwischenmenschlichen) ? Die Menschen aber sind nicht dümmer geworden. Es sind die Strukturen, die sich laufend verändern - und an die wir uns vielleicht noch immer nicht ausreichend akklimatisiert haben.
Ein Gutes hat die (Post-)Moderne allerdings: Es wird heute mehr gezeigt als erklärt denn je. Nicht nur, weil viele Erklärungen heute ohnehin kaum noch jemand verstehen kann (daher hat man sich umständehalber besser auf das Zeigen konzentriert). Man wird heute eben auch viel schneller zur Rechenschaft gezogen, mit seinen Aussagen. Denn unser Bildungsgrad ist heute größer als je zuvor. Damit wächst nicht nur die Quantität der kritikfähigen Menschen in Bezug auf die Literatur. Unser Wissen heute geht bekanntlich auch in die Breite - viele Schulen nähren viele Ansichten und Philosophien. Damit wachsen auch die Anforderungen an jeden Autoren, heutzutage überhaupt noch objektiv bedeutende Literatur schreiben zu können - und nicht nur schnelllebig populäre.
Vielleicht hängt es auch ganz wesentlich mit Heideggers "Uneigentlichkeit" des heutigen Menschen zusammen. Der heutige Mensch "wohnt" nicht mehr "in sich", sondern vielmehr in der ihn umgebenden Welt. Ist es nun daher so, dass sich diese Welt heute fast nur noch selbst interpretiert (und daher oberflächlich bleiben muss), als dass der Mensch als solcher diese Welt interpretiert (und damit erst zu Tiefe gelangen kann) ?