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Blaues Leuchten

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22.10.2011
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Blaues Leuchten

„Du kannst es nicht, du kannst es nicht.“
Lachend liefen die Kinder davon und ließen die Kleine zurück. Sie starrte auf die Hüpfkästchen. So groß waren sie. Kästchenriesen! Wenigstens die ersten paar musste sie schaffen, sonst ließen die Kinder sie nie mitspielen. Entschlossen warf sie die Zöpfe zurück, stellte sich knapp vor den ersten Strich und sprang. Geschafft! Der nächste. Und noch einer. Edith sah zum vierten Kästchen. Je länger sie darauf starrte, desto weiter weg war es. Ihr Bein wog schwer, immer schwerer. Schnell jetzt. Edith holte mit den Armen aus, sprang, für einen Moment schwankte sie in der Luft, als könnte ihr Körper sich nicht entscheiden, wo er landen sollte. Und gerade, als sie glaubte, jetzt klappte es, da mogelte sich der Strich doch unter ihren Schuh. Sie stampfte auf: „Böser Fuß!“ Von weitem hörte man Kinder lachen. Hatten sie das etwa beobachtet? „Blöde dicke Bowkes, ich wollte ja sowieso nicht mit euch spielen“, schniefte sie, dann nahm sie die Schürze vor das Gesicht und verbarg ihre Enttäuschung in dem mürben Stoff.
Hinter dem Zaun des nächsten Hauses schrien Gänse und rannten flügelschlagend auf die Straße, ein weißes Geschwader mit Schnäbeln wie hartes Holz. Ängstlich sah das Mädchen sich um, Willumeits Gänse waren gefürchtet in ganz Brösen. Ihr Herz hämmerte. Wo sollte sie hin? Gerade, als sie davonlaufen wollte, hörte sie eine Jungenstimme hinter sich. „Haut ab oder ich zieh euch den Holzschlorren über, ihr weißen Deiwel!“ Das Kreischen der Gänse verebbte. Als sie sich umwandte, watschelten sie zurück in den Hof. Vor ihr stand ein Junge, den sie noch nie gesehen hatte. Er war schmal. Arme und Beine schlotterten an ihm, als gehörten sie zu einem viel größeren Menschen. Irgendwie sah er falsch zusammengesetzt aus. Selbst der blonde Haarwust stand in einem verkehrten Winkel vom Kopf ab. Der Junge blickte auf sie herunter, als wollte er prüfen, wen er da vor sich hatte. Dann lächelte er. Mit einem so schiefen Mund, dass sie laut lachen musste.
„Bist du der schiefe Junge?“, sagte sie.
„Na hör mal, Marjellchen, grad pflück ich dir die Gänse von deinen dicken, kleinen Waden, jetzt wirst du mucksch.“ Während er das sagte, lächelte er weiter. Sogar die Nase krauste sich zu einem drolligen Fächer. „Wie alt bist du?“
„Ich bin schon fünf.“
„Und wie heißt du?“
„Edith.“
„So, Edith, ich bin der Georg, jetzt zeig ich dir mal, wie man hüpft, damit deine Freunde dich nicht mehr auslachen können. Nimm meine Hand und mach einfach mit. Und sprich mir alles nach.“ Er spreizte sein linkes Bein ab wie ein Storch, wartete, bis sie beide ruhig standen, dann hüpfte er los, zog sie mit, und sang im Rhythmus der Sprünge dazu:
Schwarz weiß rot
Der kleine Mann ist tot
Wir wollen ihn begraben
In einem Puppenwagen

Ihr Beinchen hüpfte und balancierte, fing sich und hüpfte weiter, die Zunge klemmte zwischen den Lippen, gleich hatte sie es geschafft. Schon waren sie im Himmelbogen, drehten und sprangen zurück, ein Kästchen, schwarz weiß rot, und noch ein Kästchen, der kleine Mann ist tot. Und da waren sie. Ohne Fehler.
„Ich kann es“, schrie Edith, „ich kann Kästchen hüpfen.“ Und der Junge mit dem schiefen Mund und dem schiefen Körper lachte sein schiefes Lächeln.
„Wohnst du hier?“, fragte Edith.
„Jetzt ja, früher wohnten wir in Kleschkau.“ Georg zupfte an seiner Oberlippe, ein Hautstreifchen löste sich und schwebte zu Boden. Das musste doch weh tun, dachte Edith.
„Du bist lieb, schiefer Junge, aber warum hilfst du mir? Mein Cousin macht das nie und der ist schon groß. So wie du.“
Das Lächeln des Jungen wurde gerade und so glatt, dass Edith sich das schiefe zurückwünschte. „Vielleicht, weil du mich an meine kleine Schwester erinnerst?“
„Wo ist die“, Edith hüpfte aufgeregt auf und ab. „Vielleicht kann ich mit ihr spielen?“
„Das wird nicht gehen“, sagte der Junge leise.
„Warum nicht, ich kann doch jetzt Hüpfkästchen.“
„Es geht wirklich nicht. Sie ist fort.“
„Fort? Ganz allein?“
„Sie ist nicht allein. Sie ist jetzt im Himmel. Die See hat sie geholt."
„Oh“, Edith runzelte die Stirn. „Das glaub ich dir nicht. Da hat dir einer Märchen erzählt. Das tut die nicht, die Ostsee, die ist nicht bös, die hat sogar Osterlämmchen. Die wohnen da. Komm, ich zeig sie dir. Man muss aber früh aufstehen. Genau am Ostersonntag, da kann man sie sehen.“

*

Es war noch dunkel. Aus dem Stall drang warmer, süßer Heugeruch, Kühe brummelten, träumten von einer saftigen Sommerwiese. Edith schlich über den Sandweg, ihr Blick kletterte das Rosenspalier hinauf zu dem Fenster der Mutter. Es war geschlossen. Gut, dachte Edith, ihre Mutter durfte nicht wissen, dass sie dem Jungen die Osterlämmchen zeigen wollte. Es war verboten, allein an die See zu gehen. Aber für Edith war es das Schönste. Wenn noch niemand da war, wenn selbst der Wind noch schlief, konnte man am besten sehen, wie die Sonne rotgoldenes Gefunkel auf das Wasser streute und den Sand versilberte. Zu Staub zerfallene Muscheln, die immer noch glänzen. Und wenn die See darüber hinwegbrandete, nach ihren Füßen leckte und wieder zurückwich, haftete Schaum darauf, der nach Tang roch und nach Salz.
Als sie von der Promenade auf den Strand bog, sah sie schon die Silhouette des Jungen.
„Schiefer Junge“, rief sie, „wir müssen uns beeilen.“ Energisch packte sie seine Hand und zog ihn zum Wasser. Sie stapfte durch den Sand, sank ein bis zu den Knöcheln, ein kühler Strumpf, der zwischen den Zehen rieb.
Dann blickten sie hinaus auf das Meer, bis die Weite sie einsaugte. Dünne Striche vor einem Land voller Wälder und Seen. Das Meer schimmerte grau. Doch der Himmel war schon in rosafarbenes Licht getaucht, Wolken türmten sich zu Bergen, hinter denen man fremde Länder ahnte. Violette Schlieren schoben sich davor, vereinten sich zu immer breiteren, rotglänzenden Flüssen und wurden orange.
„Wer hat dir das erzählt mit den Osterlämmchen?“, fragte Georg.
„Mein Vater. Aber er kann sie mir nicht mehr zeigen. Er ist in Amerika, Geld verdienen, und jetzt kann er nicht mehr zurück.“
Als er ihren Blick sah, sagte er: „Du hast wohl heut dein Sonntagskleid angezogen?“ Er zupfte an ihrem Puffärmelchen und lachte. „Nein, ich glaube, das ist eher ein Himmelskleid für ein Ostermädchen.“ Er deutete auf die blauen Blumen, die sich von dem orangen Stoff abhoben. Als er ihre schmutzigen Füße sah, lachte er noch mehr. „Himmel, Stall und Erde, passend zum Land“, sagte er. „Aber es ist noch kalt, du wirst Schnupfen kriegen.“
„Das ist mein Osterkleid“, sagte Edith stolz und fuhr mit dem Finger die Blüten nach. Blassblaue Vergissmeinnicht, zwischen denen die Tupfen kräftiger Veilchen leuchteten. „An Ostern muss man sein bestes Kleid anziehen für die Osterlämmchen, aber die Schuhe muss ich sparen.“ Vor Verlegenheit blies sie ihren Pony in die Höhe, dass er wie ein waagrechtes kleines Dach von ihrem Kopf abstand. Und dann war es soweit. „Schau! Da sind sie“, schrie sie und deutete hinaus. Als die Sonne sich zur Hälfte aus dem Wasser erhoben hatte, schickte sie ihre Strahlen wie suchende Finger über das Meer, und dort, wo sie die Oberfläche betasteten, brachen sie das Wasser und sprengten silbrige Lichter auf die Wellen. Wie kleine hüpfende Körper, die mutwillig miteinander spielten und rangen und hin und her sprangen, junge Schafe auf einer Weide.
„Siehst du die Osterlämmchen?“
„Ja“, sagte der Junge, „ich sehe sie.“

*

Und dann war Sommer. So schnell war er gekommen mit seinen Sommergästen und den Kornblumen, die das Gold des Roggens sprenkelten, viel zu schnell für ihre Mutter und für die anderen Erwachsenen, die arbeiteten und doch nie genug Geld hatten, um die Hände still zu halten. Die See wurde ruhig und tobte nicht mehr. Und am Abend, wenn man nur weit genug am Wasser entlang lief, bis die Lichter Brösens nur noch Punkte waren, dann glaubte man, das Atmen der Tiere zu hören, so leise berührten die Wellen den Strand.
Und viel zu schnell auch war der Sommer für Georg gekommen. Edith sah ihn nur selten, denn er spielte mit den großen Jungen. Doch manchmal, wenn er aus einem Fußballspiel aufblickte, wenn er sich vielleicht gerade um einen Gegner herumgespielt hatte, sah sie sein schiefes Grinsen, wie es für einen Moment auf ihr ruhte. Und wenn Hans, einer der anderen Jungen, schrie: „Pass doch auf, tu ihn rein, den Dubbas, was will das Madammche hier schon wieder“, senkte er rasch seinen Blick und trat nach dem Ball.
Doch manchmal traf sie ihn am Strand und dann liefen sie am Ufer entlang, kleine Schwester, großer Bruder, vorbei an der Seebrücke und dem Strandhotel, aus dem Jitterbug-Klänge zu ihnen wehten: My Little Bimbo Down On The Bimbo Isle. Und sie zeigten gleichzeitig mit dem Finger auf den anderen, kreischten Bimbo und sangen das Lied, obwohl sie nichts verstanden.
Und eines Tages zeigte er ihr das Leuchten der Ostsee.

„Hier“, sagte er, und deutete auf den Meeresabschnitt weit hinter dem letzten Strandbad, „hier darfst du nie weit reingehen. Siehst du da draußen, wo die See ganz dunkel wird? Wie es hochdampft? So ein ganz blaues Schillern?“
Edith kniff die Augen zusammen. „Es ist überall blau“, sagte sie.
„Ganz weit, bestimmt einen halben Kilometer weg, siehst du? Da steigt es hoch. Blauer Dunst.“
„Oh“, sagte Edith, „jetzt seh ich es auch, komisch. Das Wasser ist wirklich blauer. Wie ein Edelstein. Und der Nebel darüber ist auch blau. Und er wackelt. Was ist das?“
„Nein, er wackelt nicht, das sind Temperaturunterschiede. Mein Vater sagt, es sind gefährliche Gase. Da darfst du nie hinschwimmen. Versprich mir das. Nie!“
„Aber du auch nicht“, sagte Edith.
„Nein, das ist zu gefährlich. Aber hier am Ufer können wir rein. Wer als erster drin ist!“
Sie kreischten, weil die Kälte in ihre Haut schnitt, bespritzten sich und kreiselten wie flinke Fische. Und als er, einen Schwall Wasser vor sich herschiebend, mit verstellter Stimme brummte: „Siehst du die Osterlämmchen, hier kommen die Osterlämmchen, kleiner Bimbo“, da verschluckte sie sich vor Vergnügen. Dann stieg sie auf seine Schultern. Da oben stand sie, in ihrem dunkelblauen Badeanzug, bereit für ihren ersten Kopfsprung.
Als sie auftauchte, sah sie eine Schar Jungen über den Strand kommen. Die Fußballer. Mit Handtüchern um ihre braun gebrannten Jungenkörper und weiß gebleichten Haaren. Allen voran Hans. „Auf! Wir spielen Johnny Weißmüller. Bis zum blauen Leuchten. Wer als erster wieder hier ist. Nu los, Georg!“
„I wo. Mein Vater verbietet es. Da geht nuscht. Ich bin auch schon lang nich mehr so viel geschwommen.“
„Ei Georg, warst du in Kleschkau auch schon son Vaterkind? Was soll mir das?“
„Ne, nich, aber …“, er sah verstohlen zu Edith.
„Was die Ältern reden, das is doch schlimmer als Kleckermussupp. Hätt Kolumbus so rumgemaddert, würden wir heut noch im Poggenteich sitzen. Mein Vater hat im Wanderkino gesehen, dass eine Frau nach England geschwommen is. Eine Frau! Und du traust dich nich! Wer‘s gewinnt, kriegt zehn Dittchen. Wer‘s nich macht, is ein feiger Hund.“ Dann drehte Hans sich zur Seite, legte die Arme um die Schultern der beiden neben ihm stehenden Jungen und redete vertraulich auf sie ein.
„Ich weiß nich.“ Georg kratzte sich am Kopf und sah zu der Jungengruppe hin.
Edith stampfte mit dem Fuß, baute sich vor Hans auf, die Fäuste geballt, und trat mit Wucht gegen sein Schienbein.
„Au“, schrie der, „du verdammte Kreet. Was soll das? Du kannst froh sein, dass du noch so klein bist und Georgs Schwester.“
„Ihr dürft da nicht schwimmen.“
„Das ist nich meine Schwester, nur eine …“
„Was jetzt … dein Puppke vielleicht? Was betudderst du die kleine Kreet. Pomuchelskopp. Weißt du, dass die andern dich Rodolfo Valentino nennen? Ich sag ja immer was dagegen, aber …“
Georg senkte den Kopf. „Ich könnt‘ ja den Startschuss geben, statt Heinrich.“
Hans spuckte auf den Boden. „Du bist nich zu retten. Der hat ein offenes Bein, er würd alles drum geben, mitzumachen. Und du flennst. Willst du einen Lutschpungel? Bleib doch hier, lass dich schützen von einem Suckelkind. Du … Rodolfo.“ Er spie den Namen aus, als wäre er Dreck, der seinen Mund verstopfte.
Georg prallte zurück, als hätte Hans einen Stein geworfen und nicht einen Namen. Er sah zu Edith hin, dann wieder zu Hans, der an ihm vorbeiging, und ihn dann zur Seite stieß, so roh, dass Georg aus dem Kreis der Jungen taumelte.
„Feiglinge können abhauen“, sagte Hans ruhig, dann drehte er sich weg, als wäre da keiner mehr.
Georg vermied Ediths Blick. Er sah aus, als wäre etwas Schlimmes mit ihm geschehen, etwas, das Edith nicht verstand. Er hob den Kopf und schrie: „Komm mir nich so. Oder du kriegst gleich eene inne Fress. Ich mach mit, da gibt’s nuscht. Doch wehe, einer kadreiert das meinem Vater.“
„Ei, was glaubst du!“
Edith fing an zu weinen. „Du hast gesagt, da darf man nicht hinschwimmen, du hast gesagt, das ist gefährlich.“
„Nur für kleine Leute.“
„Du lügst. Du hast es versprochen.“
Doch Georg hatte sich abgewandt und sah zum Meer. Nur einmal noch spürte sie seinen Blick.
Dann hob ein Junge den Arm, schaute auf seine Uhr und gab das Kommando: „Auf die Plätze fertig“, bei „Los“ fiel sein Arm. Die Beine von sieben Jungen trommelten auf den feuchten Strand und wurden langsamer, als das Wasser an ihren Körpern hochstieg, dann tauchten sie ein, in die Wellen, dass man nur noch ihre Köpfe sah. Immer kleiner wurden sie, dann war da nur noch Wasser. Weit draußen wirbelten blaue Schlieren zum Himmel, verloren sich in seiner Weite und wirbelten erneut. Der Junge neben Edith schaute immer wieder auf seine Uhr, jedes Mal, nachdem er sie geprüft hatte, barg er sie umständlich in seinem Handtuch. Und endlich, endlich kletterte der erste erschöpfte Junge aus dem Wasser und ließ sich auf den Strand fallen. Edith stand still, wartete weiter und ließ die Zurückkehrenden an sich vorbeiziehen, Einzelne, einmal eine Traube von drei Jungen. Sie starrte weiter auf das Wasser, als könnte sie das blaue Leuchten mit ihren Blicken bezwingen. Dann kam keiner mehr.
Als sie sich umdrehte und die Jungen anschaute, starrte Hans zurück, blickte zu seinen Freunden und hinaus auf das Meer. Er zählte. Zählte noch einmal. „Einer fehlt.“ Und dann schrien alle durcheinander, sprangen ins Wasser und schwammen los, bis ihre Köpfe von den Wellen verschluckt wurden, trotzdem hörte man ihre Rufe bis an den Strand. Sie verstummten erst, als Hans zurückkam und nach Brösen rannte. Ein Junge nach dem anderen kehrte aus dem Wasser zurück. Aufgereiht standen sie neben ihr, starrten hinaus und warteten auf die Erwachsenen.
Um sie herum war plötzlich Geschrei, Leute rannten herum, von Brösen näherten sich Boote, erst vier, dann sechs oder sieben, sie schwirrten hinaus, hin zu dem blauen Leuchten und wieder zurück, kreuzten auf und ab, als wollten sie das Wasser vermessen. Der Strand war voller Menschen. Edith irrte zwischen ihnen herum, zupfte die Männer am Arm und fragte nach Georg. Doch keiner antwortete ihr, sie redeten und befahlen und redeten wieder. Und dann sah Edith eine blonde Frau. Sie wusste, dass das Georgs Mutter war, denn ihr Lächeln hing schief in ihrem Gesicht. Und als ein Polizist mit dem Kopf schüttelte, fing das schiefe Lächeln an zu zucken. Der große Mann neben ihr nahm sie am Arm und ging mit ihr fort. Weg vom Strand, hin zu den Weizenfeldern. Dort, wo das kleine Haus stand mit der Schaukel unter dem Apfelbaum, mitten in einem Garten voller Ringelblumen.
Als es dämmerte, saß sie immer noch am Ufer und schob den Sand zu kleinen Dämmen auf. Rahmte Kästchen bis zum Wasser und während sie häufelte, sang sie ein Lied: schwarz weiß rot, der kleine Mann ist tot und dann sang sie nicht weiter, sondern wiederholte die Verse, bis ein Nachbar kam und sie nachhause brachte.

*

In der Nacht hatte der erste Sturm das Meer aufgewühlt und das, was es verborgen hielt, dem Ufer zurückgegeben.
Als Edith an den Strand kam, wunderte sie sich; im Osten sah sie eine Menschenmenge. Blaue Uniformen, dazwischen die braunen Oberkörper von Jungen. Alle konzentriert auf einen Punkt. Ihr Herz schlug, endlich hatte man ihn gefunden. Das war ein weiter Weg zurück an den Strand. Da würde er müde sein. Bestimmt war er nur müde. Sonst nichts. Erst würde sie ihn schelten und dann lieb drücken.
Sie zwängte sich durch die Menge, vorbei an den Beinen der Männer, ignorierte ihr Geschimpfe, stieß und schob, bis nur noch ein Mann vor stand. Vor ihm sah sie einen Körper auf dem Boden liegen, bedeckt mit einem Laken. Fror er denn, der Georg? Edith kniff den vor ihr stehenden Mann, so dass er zur Seite zuckte und den Weg freigab.
„Gottverdammich, was …“, fluchte er los, doch als er das kleine, blasse Mädchen sah, das vor dem Laken kniete, verstummte er. Vorsichtig hob Edith das Tuch, ganz leicht, doch kaum hatte sie das getan, glitt ein schwarzer, langer Körper unter dem Laken hervor und schlängelte sich fort, Richtung See. Edith stand auf. Sie öffnete den Mund wie zu einem Schrei, doch nichts war zu hören. Der Schrei gellte zurück. In sie hinein, verbrannte sie. Der Mann packte Edith am Arm und sagte: „Ei Marjellchen, das ist nur ein Aal. Der tut dir nichts. Die Seele des Jungen hat die See geholt, den Körper überlässt sie ihren Totengräbern. Die haben nur getan, was in ihrer Natur liegt.“
Edith machte sich von ihm los und ging zum Wasser. Sie sah hinaus, hin zu dem blauen Leuchten, das wie ein dunkler Edelstein schillerte, und sie fürchtete sich vor der See und hasste sie.

*

Die Nächte wurden länger und die Tage kürzer. Und immer hörte man das Rauschen der See. Irgendwann war es eine Melodie, die den Atem der Menschen umspielt und die Seele gebrannter Kinder heilt. Als Edith im folgenden Jahr Georgs Grab besuchte, wuchsen darauf dunkelblaue Blüten, in deren Mitte kleine Sonnen glühten. Und die Luft summte wie von tausend Bienen.
Am nächsten Morgen ging sie an den Strand. Zusammen mit ihrem Vater, der zurückgekehrt war, um mit ihr die Osterlämmchen zu suchen. Da begrüßte sie den Himmel, der goldene Lichter auf die See zauberte. Und sie fragte sich, ob das alles tote Kinder waren und ob sie eines von ihnen erkennen würde. Das Wasser glitzerte, und sie wusste, dass die See tötete, wenn sie wollte. Aber jetzt machte ihr das nichts mehr aus. Denn die See sprach zu ihr und schenkte ihr Gesichter.

 

Hallo JuJu,
was für ein schöner schöner Kommentar. Ich war ganz glücklich. So langsam glaub ich, dass ich vielleicht nicht andauernd mit mir selbst rummeckern muss.
Worüber ich mich aber auch noch sehr gefreut habe, das war dein Hinweis auf meine Nachbemerkung mit dem Geschenk.
Mir ist es an deinen Hinweisen klar geworden, dass so eine Bemerkung den Kritiker auch bremsen kann. Das stimmt. Ich wollte das nicht, ich wollte erklären, wie es zu dem Dialekt kommt und ich hatte Angst, dass es vielleicht zu rührselig sein könnte, als ob ihr das nicht selber merkt. :bonk:
Ja, manchmal will man wohl zuviel erklären und dann hat das ganz andere Folgen, als die, die man beabsichtigt hatte. Jetzt verstehe ich es.
Ich persönlich werde/würde so eine Nachbemerkung (mit Geschenk und so) nicht mehr machen. Und ich bin im Nachhinein froh, dass du mir das so klar gesagt hast, welche Wirkung das auf dich hatte.
Also danke noch mal für deinen Kommentar, dein Lob, deine Ehrlichkeit, ich weiß das wirklich sehr zu schätzen.

Also mir hats sehr gut gefallen. Würde mich freuen noch mehr von dir zu lesen.
Ok, JuJu, kannst du haben! :D Wart mal ab!
Lass es dir gut gehen
Novak

 

Hallo Novak,
Ein feines Stück ist dir da geglückt. Stimmig und interessante Personen, die Dialoge kommen mir oft vor, wie von alten Personen:

Was die Ältern reden, das is doch schlimmer als Kleckermussupp. Hätt Kolumbus so rumgemaddert, würden wir heut noch im Poggenteich sitzen. Mein Vater hat im Wanderkino gesehen, dass eine Frau nach England geschwommen is. Eine Frau! Und du traust dich nich

Ansonsten finde ich die Geschichte einfach nur gelungen.

lg
Bernhard

 

Ja Hallo Bernhard, jetzt hätte ich fast übersehen, dass da ein Kommentar stand. Und dann noch so ein schöner.
Es hat mich gefreut, dass es dir gefallen hat und du die Personen interessant fandst.
Zu den Dialogen: Die von die zitierte Stelle sagt ja der Hans, der sollte so ein bisschen nassforsch sein und vorwitzig. Der Sohn reicherer Bauern. So habe ich mir ihn vorgestellt. Möglicherweise kommts durch das Nassforsche, dass er dir da älter vorkommt.
Ansonsten, tja die Dialoge, man lernt wohl immer und immer dazu, probiert sich und merkt dann doch, dass dies oder jenes noch im Argen liegt.
Ich denk jedenfalls dran, wenn ich wieder ein Geschichte schreibe.
Vielen Dank für dein Lob und deine Erinnerung, das hat gut getan.
Viele Grüße
Novak

 

Hi,

wenn ich dir fürs Schreiben was raten darf, dann vielleicht: Keine Kompromisse.

du hast ja Probleme gehabt wegen der Geschichten, und ich hab auch bei mir bisschen Angst gehabt, die zu kommentieren, weil ich das mitgekriegt habe, wie nah dir das ging (ich hab mir vorher extra sentimentale Stücke meiner neuen Lieblingsband Elbow angehört!).
Das ist aber gar nicht notwendig, weil Frau Fliege alles, was ich zu der Geschichte hätte sagen können, schon im 3. Kommentar gesagt hat. Sie sagt das immer sehr nett.

Also man merkt, die Geschichte ist für die Mutter geschrieben. Ich hab tatsächlich so eine Art Heimatgefühl gehabt bei vielen Stellen, weil meine Großmutter mütterlicherseits auch aus der Gegend kam und mir einige Begriffe geläufig waren (Hol's der Deiwel).
Aber für mich die Schwachstelle der Geschichte: Der Dialog zwischen den beiden Kindern, wenn sei ihm die Osterlämmchen zeigt, das ist mir viel zu süß, und dass es dann so abläuft, wie man es denkt, also dass der Junge losschwimmt und man ahnt schon: Der wird sterben.

Das ist genau das, was Fliege gesagt hat, dadurch, dass es der Mutter gewidmet ist und dann meint man bei dir so ein Bedürfnis zu erkennen, ihr das Recht zu machen, und das so wiederzugeben, was sie vielleicht erzählt hat, und das ist dann als Leser schwierig, weil man als Leser natürlich nach Brüchen sucht. Und dann ist das Zeit- und Lokalkolorit so vereinzelt gesetzt, so, wie ich finde, etwas bemüht auch. Wie einer sagt: Alles hochdeutsch und dann das eine Wort das ist dann regional.

Ich hatte in der ersten Hälfte des Texte, wenn sie da alleine ist und dieser Junge kommt mit dem schiefen Mund - da war für mich so eine Bedrohung im Text, so eine diffuse Spannung, etwas mystisches. Da war der Junge kein Junge, sondern ein Junge mit dem schiefen Lächeln, ein Irrlicht, ein Geist.
Das wird aufgelöst, wenn die anderen Kinder dazukommen, dann ist das Georg und er muss sich beweisen.

Es sind starke Momente in dem Text, finde ich, aber nicht an den Kernstellen. Nicht wenn Georg ertrinkt, nicht wenn sie mit ihm allein am Meer ist, nicht, wenn sich Georg entscheidet zu schwimmen, sondern am Rand dieser Szenen. Ich hätte es mir gewünscht, wenn das ganze eine Schauermär geworden wäre. Es gibt diesen wundbaren Film, den sie da in Skandinavien gemacht haben, So finster die Nacht - mit dem Jungen, der sich in ein Vampirmädchen verliebt. Es geht mir nicht darum, um den mystischen Aspekt oder so, sondern einfach, wie leicht man als Kind eigentlich drauf gehen kann. Wie alles neu ist und gleich gefährlich oder gleich sicher. Die Welt um diesen Jungen mit den sadistischen Mitschülern und den verschließbaren Türen im Schwimmbad und den Plattenbauten und dass keiner lacht und dass so früh die Sonne untergeht, das ist das Gefährliche und das Tolle in dem Film, nicht das Vampirmädchen.
Die besten Erzählungen mit Kindern, an die ich mich zurückerinnern kan , feiern dieses Gefühl. Stephen King ist unheimlich erfolgreich, weil er genau das verstanden hat.
Und in der Begrenzung auf diesen Auftrag, den du dir selbst gegeben hast, mit der Geschichte, nimmst du dir - jetzt aus meiner Sicht - vielleicht den Blick auf die poetische Wahrheit so eines Textes. Das klingt furchtbar aufgeblasen und esoterisch, ich weiß das. Aber mal rustikaler ausgedrückt: Das ist eigentlich die Schnittstelle, wo du etwas erzählst und der Leser kann direkt eine Verbindung zu seinem eigenen Leben und Denken hinkriegen.
Und ich denke, da ist hier der Kompromiss dazwischen, und das ist erzählerisch nicht gut.
Aber das ist schon ein reizvoller Stoff und ein reizvoller Weg, sowas zu machen. Ich hätte es mir halt als Schauermär gewünscht, etwas, das man niemandem zeigen will, der einen kennt. So sollte man viel öfter schreiben.

Wie gesagt: Lies dir noch mal die Kritik von Fliege durch, die sagt das sehr gut, finde ich.

Gruß
Quinn

 

Liebe Novak,

eine ganz wunderbare Geschichte ist dir da gelungen, durch die Dialoge lebendig, man ist mittendrin. Aber traurig. Gerade, weil man die beiden Kinder lieb gewinnt, ist das tödliche Ende sehr berührend. Deine Formulierungen sind absolut schön, hoffentlich schreibst du bald was Neues!

Schöne Grüße,

Eva

 

Liebe Nowak,
ich sollte mir doch öfter mal Zeit nehmen, um auf kg.de zu lesen.

Deine Geschichte gefällt mir ausgezeichnet, als Norddeutscher, der lange Jahre 20 km von der Ostsee entfernt gelebt hat, umso mehr.
Du schaffst es hervorragend, eine melancholische, traurige, aber keinesfalls depremierende Geschichte zu erzählen und gleichzeitg wirklich schöne Sprachbilder zu zeichnen.
Und: Ein besonderes Kompliment für die Dialoge.
Hat mir sehr gut gefallen. Zurecht empfohlen!
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Hallo, lieber Quinn,
Achtung, das wird jetzt ausführlicher. Weiß nicht, wie du das immer hinkriegst, aber ich mag deine Kommentare sehr gerne. Du sprichst halt sehr oft Punkte an, die hätte ich mein Lebtag so nicht gesehen. Und das ist in diesem Fall, um es vorweg zu nehmen, die Sache mit den Kindergeschichten, die Art, wie du auf eine gelungene Kindergeschichte schaust. Was du an grundsätzlicher Aussage darin entdeckst. Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Und das ist toll, wenn Kommentare das bewirken.
Aber der Reihe nach:

du hast ja Probleme gehabt wegen der Geschichten, und ich hab auch bei mir bisschen Angst gehabt, die zu kommentieren, weil ich das mitgekriegt habe, wie nah dir das ging (ich hab mir vorher extra sentimentale Stücke meiner neuen Lieblingsband Elbow angehört!).
:D Was machst du denn dann, wenn du eine Geschichte richtig scheiße findest, und/oder jemandem mal die Meinung sagen willst, hörst du dann Death Metal?
Ich hab total gekichert über diese Vorstellung, dass du dich extra für armes, weichherziges Novak in sanfte Stimmung lauschst. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mich darüber gefreut hab und kichern musste, ist es auch sehr sympathisch, dass du da auf die Befindlichkeiten der Damen guckst. Aber: Armes Novak ist wieder zurück und nicht mehr stimmungsgeschädigt, sondern kann auch einen Knuff verknusen. Zum Glück.

Und das hängt u.a. hiermit zusammen, aber anders, als du denkst:

wenn ich dir fürs Schreiben was raten darf, dann vielleicht: Keine Kompromisse.

Es ist kompliziert, aber genau dieser Entschluss ist es, wegen dem ich dann doch nicht mit dem Schreiben aufgehört habe, obwohl ich das ganz ernsthaft wollte.
Aber es ist ein anderer Kompromiss, den ich da in den Wind schieße, als der, den du meinst, glaub ich.
Ich war bei dieser Geschichte in meiner Schreiberseele echt angeätzt, (wenn ich mal alles andere, was damals war, aber hier nicht hergehört, weglasse) weil die Geschichte vorher, die hier noch gar nicht veröffentlicht ist, mir den allerletzten Nerv geraubt hatte. Diese Froschgeschichte, die grad immer noch am Abhängen ist wie ein altes Rindersteak. Mit der hatte ich mich richtig übernommen. So sehr war ich auf der Suche danach, nur ja was Neues oder eine ungewöhnliche Sichtweise zu bringen oder die Charaktere grau genug zu machen, egal, auf irgendeine Weise innovativ zu sein. Und es wurde und wurde nichts. Und das Schreiben der Geschichte hatte null Spaß gemacht. Ich war nur verspannt beim Schreiben. Und die beiden Leute, die sich meine Geschichten immer anhören müssen, fanden/finden sie beide total scheiße. Der eine wollte nach dem ersten Satz schon nicht mehr weiterlesen.
Blaues Leuchten hab ich nach dieser Frosch-Geschichte geschrieben, es war sozusagen Erholung, einfach weil ich Lust hatte und auch wegen dieses Geschenks. Das hatte ich immer schon mal vor. Und das Merkwürdige war, ich hab einfach drauflosgeschrieben und es hat Spaß gemacht. Richtig verdammt viel Spaß. Es war von daher überhaupt gar kein Kompromiss für mich. Sondern ich schrieb, was ich erzählenswert fand. Von daher mag ich sie jetzt, die Geschichte, nachdem mir klar geworden ist, was ich an ihr mag.
Mein Hauptkriterium beim Schreiben ist es, das ist mein fester Entschluss, Spaß zu haben, nicht darauf zu schielen, ob es auch neu genug ist oder oroginell genug ist, ich schreib nur noch das, was ich erzählenswert finde und was mir beim Schreiben Spaß macht und was ich selbst lesen würde. Selbst wenn es dann doof wird, und die Leute es zu Recht kritisieren. Dann hab ich aber wenigstens bei dem Prozess des Schreibens Vergnügen gehabt.

Ich finde es von daher so erstaunlich, dass du der Geschichte Kompromisshaftigkeit anmerkst. Ich hab auch sehr daran rumüberlegt, ob nicht diese Vorbemerkung mit dem Geschenk eventuell Vorerwartungen ausgelöst hat. Also so nach dem Motto: Was hättest du gesagt, wenn du das mit dem Geschenk nicht gewusst hättest? Hättest du das mit den Kompromissen immer noch gesagt?
Ich bin zu der Antwort gekommen, dass du immer noch „Kompromiss“ gesagt hättest, auch wenn du nichts von dem Geschenk gewusst hättest. Du hättest es nur vielleicht anders begründet.
Fliege hat die Charakterisierung der Figuren moniert. Sie gehen ihr nicht weit genug, sind zu weiß, mit Spitzenhandschuhen angefasst. Das meintest du doch. Gell?
Das Blöde ist halt nur, ich habe nicht das Gefühl, einen Kompromiss gemacht zu haben. Hier nicht. Das Kompromiss-Gefühl hatte ich bei vielen anderen Geschichten, die ich geschrieben habe, halt immer auf der Suche nach der neuen Sicht.

Ich weiß nicht, vielleicht erklärt sich das alles ja anders, aber ich habe ernsthaft überlegt, ob du und Fliege, ob ihr mir nicht vielleicht zu viel zugutehaltet. Vielleicht bin und denk und schreib ich ja einfach so, wie es im Blauen Leuchten ist. Verstehst du was ich meine? So ein bisschen weiß und lieb für die Figuren.
Ich habe sogar überlegt, ob ich deshalb so gerne Horror schreibe, weil man da so ganz anders sein kann, als man fas gewohnt ist, gezwungen ist, (schon von der Geschichte her) in Düsteres zu tauchen, jedenfalls, wenns klappt. Ich habe keine Ahnung, aber es ist jedenfalls für mich eine verdammt spannende und persönliche Frage. Warum schreib ich eigentlich Horror? Und was finde ich daran? Schreiben ist schon was sehr Eigenartiges.

So, das war jetzt das ganz Grundsätzliche. Ich denke einfach, ich habe meinen richtigen Schreibweg noch gar nicht gefunden, obwohl ich jetzt auch schon über ein Jahr schreibe. Ich weiß nicht, wie und was ich schreiben will und wie ich meine Figuren gestalten will. Ich weiß es nicht, ob ich jemand bin, die den Bruch suchen will, auch wenn du schreibst, dass der Leser den sowieso lesen will. Such ich den acuh?
Mein Problem ist es auch oft, dass ich so furchtbar intuitiv schreibe. Erst durch dich habe ich irgendwann mal geschnallt, dass man Szenen planen kann (das war bei Fucking Special). Und trotzdem passiert in den Geschichten, obwohl ich jetzt ein bisschen mehr plane, ganz oft was anderes, als ich das eigentlich vorhatte.

Aber jetzt zu Handwerklichem

Also man merkt, die Geschichte ist für die Mutter geschrieben. Ich hab tatsächlich so eine Art Heimatgefühl gehabt bei vielen Stellen, weil meine Großmutter mütterlicherseits auch aus der Gegend kam und mir einige Begriffe geläufig waren (Hol's der Deiwel).
Das ist schon lustig, wer dann doch alles von dort kommt oder zumindest ältere Verwandte hat, die von dort kommen.

Und dann ist das Zeit- und Lokalkolorit so vereinzelt gesetzt, so, wie ich finde, etwas bemüht auch. Wie einer sagt: Alles hochdeutsch und dann das eine Wort das ist dann regional.
Ich hab das natürlich extra eingesetzt, die geschichtlichen Hintergrundsprengsel, das ist ja klar, bemüht sollte es natürlich nicht wirken. Liegt es daran, dass ich zu wenige Hintergrundinfos eingebaut hab? Oder müsste die Sprache anders sein? Woran merkt man das, dass es bemüht ist?
Also meine Fragen sind schon ernst gemeint, wenn du da was antworten magst, ich würd mich sehr freuen. Aber fühl dich nicht gezwungen. Denn ich kenn das ja auch, manchmal ist es einfach ein Eindruck, eine Wahrnehmung, die man als Kommentator hat, die man vielleicht gar nicht minutiös beweisen kann und auch nicht braucht. Und die man als Adressat nur akzeptieren kann.

Ich hatte in der ersten Hälfte des Texte, wenn sie da alleine ist und dieser Junge kommt mit dem schiefen Mund - da war für mich so eine Bedrohung im Text, so eine diffuse Spannung, etwas mystisches. Da war der Junge kein Junge, sondern ein Junge mit dem schiefen Lächeln, ein Irrlicht, ein Geist.

So ein bisschen ist er das auch, das hab ich beim Schreiben so empfunden. Er hilft ihr weiter, es ist nicht nur das Kästchenhüpfen, wobei er hilft, er bringt ihr eine (in dem Fall) soziale Kompetenz bei. Und dann verschwindet er und ist nur mehr ein Gesicht.

Es sind starke Momente in dem Text, finde ich, aber nicht an den Kernstellen. Nicht wenn Georg ertrinkt, nicht wenn sie mit ihm allein am Meer ist, nicht, wenn sich Georg entscheidet zu schwimmen, sondern am Rand dieser Szenen. Ich hätte es mir gewünscht, wenn das ganze eine Schauermär geworden wäre.
Das fand ich jetzt sehr spannend. Ich hätte natürlich furchtbar gern gewusst, welche Randstellen das gewesen sein könnten? Das frage ich nicht, um dir Arbeit zu machen, sondern ich versuche deinen Kommentar für mich noch mehr zu füllen. Will dem auf die Spur kommen, was du vermisst.

Es geht mir nicht darum, um den mystischen Aspekt oder so, sondern einfach, wie leicht man als Kind eigentlich drauf gehen kann. Wie alles neu ist und gleich gefährlich oder gleich sicher. (…) Die besten Erzählungen mit Kindern, an die ich mich zurückerinnern kan , feiern dieses Gefühl. Stephen King ist unheimlich erfolgreich, weil er genau das verstanden hat.
Und in der Begrenzung auf diesen Auftrag, den du dir selbst gegeben hast, mit der Geschichte, nimmst du dir - jetzt aus meiner Sicht - vielleicht den Blick auf die poetische Wahrheit so eines Textes. (…) Aber mal rustikaler ausgedrückt: Das ist eigentlich die Schnittstelle, wo du etwas erzählst und der Leser kann direkt eine Verbindung zu seinem eigenen Leben und Denken hinkriegen.
Das hier ist das für mich das Entscheidende. Kings Stand by me ist eine meiner Lieblingserzählungen und wird das immer bleiben. Sich darüber klar zu werden, was den Zauber dieser wunderschönen Geschichte ausmacht, um sowas dann selbst zu probieren (und grandios zu scheitern), das wär geil.
Aber so richtig klar ist es mir leider immer noch nicht, was und wie ras macht, dass man da gefesselt vor diesem Buch sitzt und liest, obwohl da einfach ein paar Kinder unterwegs sind. Ich empfinde stand by me als eine Geschichte über eine Zeit in der Schwebe. Man weiß überhaupt nicht, was aus den Kerlchen werden wird. Es ist alles so ungewiss. Ich glaube, es ist immer das, was mich an dieser Geschichte so anzieht.
Ich bin auch die ganze Zeit am Rumüberlegen, wie der seine Buben da angelegt hat, ich habs ja furchtbar gern gelesen, von daher, wenn die Brüche hätten, die Buben, dann hättest du mich 1a überzeugt, dass Brüche geil sind. Da wär es schon klasse, rauszukriegen, womit er einen eigentlich an die Kandare kriegt.
Also das Rumdenken und Sinnieren, das ist noch lang nicht fertig.
Danke für diesen im besten Sinne sehr nachdenklich machenden Kommentar.
Viele liebe Grüße von Novak


Liebe Eva,

Dein Lob hat mich natürlich total gefreut. Ich druck es aus und häng es auf.
Mensch! Oder besser, ich mach mir eine Suppe draus und wärm mich innerlich daran.

Gerade, weil man die beiden Kinder lieb gewinnt, ist das tödliche Ende sehr berührend.
Das ist schön, dass du das so empfunden hast.

Deine Formulierungen sind absolut schön, hoffentlich schreibst du bald was Neues!
Hey, sowas Nettes lass ich mir nicht zweimal sagen. Aber Vorsicht, ich kann leider auch ganz anders. Denn eigentlich komm ich ja wirklich aus dem Horror.
Und was soaus den Geschichten wird, das weiß man ja nie.
Vielen Dank für dein Lob und die schöne Motivation.
Viele liebe Grüße von Novak

Lieber svg,
ich freue mich irre darüber, dass du wieder mal da bst. Du hast mir gefehlt mit deinem Humor und deinem Witz. Jetzt müsste nur noch fvg auch auftauchen. Dann könntet ihr die Humorrubrik ein bisschen rocken. Wär schön.

ich sollte mir doch öfter mal Zeit nehmen, um auf kg.de zu lesen.
Unbedingt, gibt, find ich, zur Zeit einen Haufen gute Geschichten. Und deine Geschichte Gedankenfick ist wieder rausgeholt worden. Die kannte ich noch gar nicht. Hab sie total gerne gelesen, die war vor meiner Zeit.

Du schaffst es hervorragend, eine melancholische, traurige, aber keinesfalls depremierende Geschichte zu erzählen und gleichzeitg wirklich schöne Sprachbilder zu zeichnen.
Und: Ein besonderes Kompliment für die Dialoge.
Hat mir sehr gut gefallen. Zurecht empfohlen!
Und genau das druck ich mir auch aus und häng es mir an die Wand. Jedenfalls dann, wenn ich mich wieder entfärbt habe.
Aber genug mal mit der Verlegenheit. Ich hab mich sehr sehr gefreut über das Lob. Manchmal braucht man das einfach. Ich hab ja oft Schwierigkeiten mit den Dialogen gehabt, z. B. bei Fucking special, da habe ich die Dialoge noch benutzt, um Infos zur Geschichte loszuwerden. Witzig, wenn man seine eigene Entwicklung so betrachtet. Das klingt dann natürlich oft nicht so prickelnd. Um so mehr habe ich mich gefreut, dass dir die Dialoge gefielen.
Viele liebe Grüße von Novak

 

Hey Novak,
du hast ja nochmal um Rückmeldung gebeten.
Das hier:

Ich empfinde stand by me als eine Geschichte über eine Zeit in der Schwebe. Man weiß überhaupt nicht, was aus den Kerlchen werden wird. Es ist alles so ungewiss. Ich glaube, es ist immer das, was mich an dieser Geschichte so anzieht.
Ich bin auch die ganze Zeit am Rumüberlegen, wie der seine Buben da angelegt hat, ich habs ja furchtbar gern gelesen, von daher, wenn die Brüche hätten, die Buben, dann hättest du mich 1a überzeugt, dass Brüche geil sind. Da wär es schon klasse, rauszukriegen, womit er einen eigentlich an die Kandare kriegt.
Ich glaub dieses "in der Schwebe sein" ist bei solchen Abenteuer-Geschichten eben am stärksten ausgeprägt.
Im Alltag oder als Erwachsener hat man einen festen Trott, man denkt über viele Dinge nicht mehr nach, man nimmt vieles als gegeben hin. Man macht Dinge und weiß, was dabei herauskommt. Wir gehen durch den Tag, ohne Erweckungserlebnisse, ohne dass uns eine neue Erkenntnis kommt, wir sind an Plätzen, am denen wir uns auskennen, wir machne Dinge, die wir schon gemacht haben, wir haben so eine dumpfe Sicherheit in unserem Alltag, eine Routine.
In diesen Abenteuergeschichten machen Menschen völlig Neues, sie kennen die Regeln nicht, sie wissen wenig über ihre neue Welt, über das Leben, über die Situationen, in denen sie sind. Sie haben eine verschobene Perspektive.
Bei stand by me machen sie sich auf die Suche nach einem toten Jungen, der bis vor ein paar Tagen noch den gleichen Trott hatte wie sie selbst. Und wenn einer von ihnen so leicht sterben kann, was sagt das über das Gefüge der Welt aus?
Wir nehmen im Alltag fast alles als gegeben an, wir akzeptieren Sachen, wie wir sie vorfinden. Wir folgen Mustern, wir akzeptieren Denkschemata, wir suchen uns eine vorgegebene Rolle, wir spielen nach den Regeln, die wir nach und nach lernen. Jeder von uns könnte in 24 Stunden irgendwo auf der Welt sein. Wir hätten, wenn wir unseren Kram hier verkaufen, alle genug Geld für ein Flugticket nach Mexiko, nach Korea, in die USA. Niemand hindert uns daran, so etwas zu machen. Das ist ja auch ein Schutzmechanismus, dieser Trott, weil wir funktionieren müssen.
In guten Kindergeschichten, in Abenteuergeschichten eigentlich auch immer, hören diese Leitplanken, die wir im Alltag sehen und wahrnehmen, irgendwann auf, zu existieren. Diese Flucht aus dem Alltag, aus dem Trott, die nicht nur körperlich stattfindet oder in der konkrete Welt, sondern die tatsächlich auch im Kopf stattfindet, ist etwas sehr Reales in unserer Welt. Wenn Menschen Urlaub machen, wenn sie Krisen durchleben, wenn sie mit etwas konfrontiert werden, das sie "aus der Bahn" wirft, dann hat man das wieder, dass so Leitplanken verschwinden.
Wunderbar, wenn jemand im Urlaub ist und sich da die Bildzeitung kauft und sich eine Liege reserviert - da ist jemand, der auch im Urlaub noch Leitplanken sucht. Oder wenn jemand in einer Krise dann ein Buch haben will, wie man mit einer Krise eigentlich umgeht, da sieht man die Sehnsucht nach solchen Grenzen und Ritualen. Der Begriff "Event" steht für mich immer für so ein geplantes Verlassen der Spur, schön angeseilt, damit auch nix schief geht. Für viele ist der Kinobesuch so ein Ritual oder die Betriebsfeier oder eine Affäre, aus der die Luft raus ist.

Ich denke als Autor und Leser möchte man diesen "Perspektivwechsel", das Einreißen von gedanklichen Barrieren, häufig haben oder erleben.
Ich denke Stephen King kann das und weiß das. Ich meine auch nicht nur stand by me, sondern die ersten Szenen in ES z.b. Wenn das Kind mit einem Papierschiffchen spielt und in der Kanalisation lauert das Monster.
Als Kind gibt es keinen Trott, ich hab mal als Ratschlag für einen Vater gelesen: Das Kind fragt ständig, wann etwas passiert. Und man soll immer sagen: Mittwoch. Weil das Kind überhaupt kein Verständnis für Raum und Zeit hat, und für das Kind kann immer Mittwoch sein, das ist irgendein magischer Tag. So wie uns als Kind immer die Ferien so magisch vorkamen, die kamen irgendwie aus dem Nichts, und gingen dann wieder, und der ganze Alltag war ein anderer. Das hat man nicht lange, wenn man erwachsen wird und genaue Vorstellungen von Raum und Zeit entwickelt, kommen die Ferien nicht mehr überraschend, auch Weihnachten nicht, der Sommer nicht, sondern man hat das alles in einem Gefüge drin.

Ich finde eben oder ich seh das bei mir, dass die wirklich guten Sachen, die wirklich gute Fiktion, ob das Film oder Buch ist, in irgendeiner Form es schaffen, solche Leitplanken einzureißen.
Ich will nicht wieder groß anfangen mit TV-Serien, aber man kommt halt doch immer drauf zurück, Mad Men gibt es eine Folge: Jet-Set. Das ist natürlich schwer, das so gesondert zu empfehlen, weil man da wieder 20 Folgen vorher gesehen haben muss, aber die schlägt schon sehr dicht ein.

Hier im Forum: Fischstäbchen, eine Frage des Glaubens.
http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=31730

 

Hallo, lieber Quinn,
das war gut, diese Rückmeldung.

In guten Kindergeschichten, in Abenteuergeschichten eigentlich auch immer, hören diese Leitplanken, die wir im Alltag sehen und wahrnehmen, irgendwann auf, zu existieren. Diese Flucht aus dem Alltag, aus dem Trott, die nicht nur körperlich stattfindet oder in der konkrete Welt, sondern die tatsächlich auch im Kopf stattfindet, ist etwas sehr Reales in unserer Welt. Wenn Menschen Urlaub machen, wenn sie Krisen durchleben, wenn sie mit etwas konfrontiert werden, das sie "aus der Bahn" wirft, dann hat man das wieder, dass so Leitplanken verschwinden.
Ja, das stimmt, ich hatte mir das nie zuvor überlegt, aber genau das ist der Grund, warim ich lese, wenn man mal von lustigen Büchern absieht. Das könnte ich wortwörtlich dick und fett unterstreichen. Das Verschwnden dieser Leitplanken, wodurch auch immer das geschehen sein mag, das ist ja auch etwas, das große Angst macht. Es ist eine riesige Verunsicherung, die jeder Mensch in seinem Leben schon kennen gelernt hat, und die man manchmal fast stellvertretend für die eigene Erfahrung, die ja in der Regel auch bitter ist, erlesen und lesend durchleben mag. Es ist eine Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen, derm Gefühl der Ungewissheit, die man ja spürt, auch wenn man in dem Trott und in der vermeintlichen Sicherheit ist.

Ich denke als Autor und Leser möchte man diesen "Perspektivwechsel", das Einreißen von gedanklichen Barrieren, häufig haben oder erleben.
Ja - auf jeden Fall - ja. Also wenn ich ein Ziel für mein Schreiben, wenn es ernsthafte Geschichten sind, formulieren könnte, dann wäre es wohl das. Die genaue Ausgestaltung dieser Idee in einer konkreten Geschichte, das ist dann wieder etwas anderes, denn die Idee als solche, die ist ja ganz abstrakt. Also ich erkenn das wieder in meinen ernsten Geschichten, dass ich mich darum herum drehe und das versuche. Und auch beim "Blauen Leuchten" dachte ich, ich hätte das versucht, vielleicht sogar ein Stück weit hingekriegt. Denk ich auch noch.
Aber: Ich habe halt die grundsätzliche Schwierigkeit, dass ich null Einschätzungsvermögen für meine eigenen Geschichten habe. Ich weiß nicht, ob sie misslungen sind, ob ein Teil gelungen ist oder welcher das dann ist. Oder oder oder. Ich bin da völlig auf andere angewiesen. Ich hoffe, das entwickelt sich noch mal irgendwann.
Dir gehe ich wohl, nicht weit genug, oder schramme, um in dem Bild der Leitplanke zu bleiben, mit meinem Geschichtenauto nur an der Leitplanke entlang, statt sie zu durchbrechen.
Darüber muss ich nachdenken. Ich weiß nicht, ob da Geschmacksfragen eine Rolle spielen, werden sie sicherlich, aber du kannst dir sicher sein, dass das in meinem Hirn ordentlich nachklingt. Mal schauen, was daraus noch wird. Ich finde es jedenfalls eine sehr sehr spannende Frage. Ich will nicht näher darauf eingehen, aber ich empfinde es so, dass man beim Schreiben auch sehr viel über sich selbst lernt und erfährt. Gerade wenn man wie ich der pure Hobbyschreiber ist.

Weil das Kind überhaupt kein Verständnis für Raum und Zeit hat, und für das Kind kann immer Mittwoch sein, das ist irgendein magischer Tag. So wie uns als Kind immer die Ferien so magisch vorkamen, die kamen irgendwie aus dem Nichts, und gingen dann wieder, und der ganze Alltag war ein anderer.
Das stimmt. Und nie wieder sind die Neugierde und der Mut so groß, sich in das Ungewisse zu schleudern wie das bei Kindern der Fall ist. Und genau das und die Bedrohung, die dahinter steckt, die sind bei King gut eingefangen.
Die Geschichte, die du mir empfohlen hast, habe ich natürlich gleich gelesen, sie ist hervorragend, sie konzentriert sich natürlch auch auf das Phänomen, durch das Erleben von etwas Schrecklichem, Unerklärbaren, den Glauben an den Zufall wiederzufinden. Das macht sie in Reinkultur.
Vielen Dank noch mal für deine Rückmeldung. Hast was bei mir gut.
Liebe Grüße
Novak

 

Hallo, Novak,

nach so vielen Kommentaren noch einer? Muss das sein?
Ja.
Ich rieche beim Lesen Deiner Geschichte die Ostsee, ich höre sie in Deiner Sprache plaudern und ich spüre die Angst der Kleinen vor dem Wasser und dem Rest der Welt (Jungen).
Eine so tröstliche Geschichte, wie sie vielleicht früher in der „Gartenlaube“ gut Platz gefunden hätte. Das ist keine subversive Kritik in Richtung Kitsch, sondern die Einsicht, dass solche Trostgeschichten zum menschlichen Grundbedürfnis gehören. Dass man von denen heute kaum mehr eine zu lesen bekommt, ist richtig. Die meisten Geschichten sind Untrostgeschichten, die einen unbeheimatet weiterziehen lassen. Deine Geschichte ist eine Ostergeschichte von Tod und Auferstehung. Sie zeigt, dass Metaphysik und Religionen geboren worden sind und werden, um den Tod zu „überwinden“, um den Tod seelisch zu bewältigen. Früher bemühte man dafür Trostgeschichten (eben Passion und Auferstehung), zu denen man heute vielleicht Kitsch sagt. Modern heißt dieser Vorgang Trauerarbeit, denn in einer arbeitsreligiösen Gesellschaft muss alles Arbeit genannt werden, sonst gilt es nichts. Trauerarbeit verrichtet Edith nicht, eine neue Lebenssicht lässt sie Leben und Tod ertragen.

Da begrüßte sie den Himmel, der goldene Lichter auf die See zauberte. Und sie fragte sich, ob das alles tote Kinder waren und ob sie eines von ihnen erkennen würde. Das Wasser glitzerte, und sie wusste, dass die See tötete, wenn sie wollte. Aber jetzt machte ihr das nichts mehr aus. Denn die See sprach zu ihr und schenkte ihr Gesichter.
Diese Geschichte beschreibt hier vorbildlich einen Wechsel der Lebenseinstellung von Edith, eine Möglichkeit, ein Trauma durch eine neue Sichtweise auf das Leben zu überwinden.
Herzliche Grüße
von einem getrösteten
Wilhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, lieber Wilhelm,

nach so vielen Kommentaren noch einer? Muss das sein?
Ja.
Find ich auch, denn ich hab mich über deinen Kommentar wirklich sehr gefreut.
Einmal natülich wegen des Lobes, das ist motivierend und aufbauend, wenn man mitkriegt, dass man Sachen richtig macht, ich dir durch meine Art zu schreiben, die Ostsee und das kleine Mädchen vorstellbar machen konnte.

Sehr interessant und wichtig für mich war aber auch deine Lesart und Einordnung der Geschichte.

Eine so tröstliche Geschichte, wie sie vielleicht früher in der „Gartenlaube“ gut Platz gefunden hätte. Das ist keine subversive Kritik in Richtung Kitsch, sondern die Einsicht, dass solche Trostgeschichten zum menschlichen Grundbedürfnis gehören. Dass man von denen heute kaum mehr eine zu lesen bekommt, ist richtig. Die meisten Geschichten sind Untrostgeschichten, die einen unbeheimatet weiterziehen lassen. Deine Geschichte ist eine Ostergeschichte von Tod und Auferstehung. Sie zeigt, dass Metaphysik und Religionen geboren worden sind und werden, um den Tod zu „überwinden“, um den Tod seelisch zu bewältigen.
Es erklärt mir ein wenig die unterschiedlichen Reaktionen auf die Geschichte. Vielleicht hast du da wirklich Recht, wenn du sagst, es ist eine Trostgeschichte. Ich hatte mich mit diesen sehr auseinanderdriftenden Reaktionen ja ganz schön abgeplagt, du zeigst mir hier eine mögliche Erklärung.
Etwas anderes fand ich lustig: Dass ausgerechnet ich als atheistischer Gesell eine metaphysische Ostergeschichte geschrieben haben soll, hinterlässt bei mir natürlich ein Stirnrunzeln. Aber vielleicht geschehen ja doch Zeichen und Wunder, bei bestimmten Themen gibt es glaube ich mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen als man so denkt. Und auch ein atheistischer Gesell setzt sich mit Tod und Trauer auseinander und sucht Trost.

Mir gefiel auch dein Hinweis auf die Trauerarbeit:

Modern heißt dieser Vorgang Trauerarbeit, denn in einer arbeitsreligiösen Gesellschaft muss alles Arbeit genannt werden, sonst gilt es nichts.
Das ist ja tatsächlich so, dass Arbeit nicht mehr ein Mittel ist, um etwas zu erschaffen, sondern ein Selbstzweck. Ein Wert an sich. Dann wird jede Regung in Arbeit umgemünzt, damit sie zählt. Gibt es eigentlich auch Liebesarbeit? Partnerarbeit bestimmt.

Trauerarbeit verrichtet Edith nicht, eine neue Lebenssicht lässt sie Leben und Tod ertragen.
Ja genau, das stimmt.

Diese Geschichte beschreibt hier vorbildlich einen Wechsel der Lebenseinstellung von Edith, eine Möglichkeit, ein Trauma durch eine neue Sichtweise auf das Leben zu überwinden.
He, wenn ich gewusst hätte, was alles in der Geschichte steckt. Ich hatte das nicht intendiert oder vorhergeplant. Es klingt auch ein wenig ulkig, wenn ich dann im Nachhinein sage, dass es trotzdem stimmt, was du da sagst. Hast du besser gesehen als ich selbst, was ich da gemacht habe, oder welches Bedürfnis ich da ausgeschrieben habe. Ich fühl mich da im positiven Sinne ertappt.
Vielen Dank für deine Sichtweise auf die Geschichte. Es hat mir tatsächlich etwas klarer gemacht.
Viele Grüße von Novak

 

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