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Achterbahn

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21.04.2015
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Achterbahn

Ich kann es nicht ausstehen, dieses demonstrative Schmatzen, wenn zwei Menschen sich küssen. Als wollten sie mich dazu zwingen, ihnen beim Verliebtsein zuzuschauen. Und die Blicke, die sie sich danach zuwerfen. Da wird mir schlecht. Am schlimmsten ist es, wenn er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr schiebt mit diesem glänzenden Film auf den Augen. Grenzdebil sieht das aus. Ich will dann immer seine Hand wegschlagen. Oder die Frau an den Schultern packen und sie schütteln. Ich meine – ernsthaft?
Die U-Bahn rast durch den Tunnel, der mir zu eng vorkommt. In der Scheibe kann ich das Spiegelbild der beiden Turteltauben sehen. Ich schaue in mein Buch, hebe es vor mein Gesicht und blende sie aus. Das Schmatzen höre ich trotzdem.

Früher gingen wir in den Sommerferien immer in den Freizeitpark. Es gab einen Bus, der vom Rathaus in unserem Dorf abfuhr, man konnte ein Kombiticket lösen, das Busfahrt und Parkeintritt beinhaltete. Wir waren meist zu viert oder zu sechst. Es musste eine gerade Zahl sein, sonst hatten wir ein Problem mit der Sitzverteilung in den Achterbahnen. Gab ja nur Zweier- oder Viererreihen. Einmal waren wir zu fünft, da gabs dauernd Diskussionen, wenn wir in der Schlange standen, weil niemand derjenige sein wollte, der allein mit Fremden fahren muss. Ich habe mich damals schon gefragt, warum es keine Bahnen mit ungeraden Sitzreihen gibt.

Meine Haltestelle wird angesagt und ich lächle. Es ist der U-Bahn-Fahrer, der immer schlechte Laune hat. Man versteht ihn kaum, weil er in tiefstem Bayerisch ins Mikrofon nuschelt. Ich beobachte gerne die Gesichter der Fahrgäste, wenn er die Stationen durchsagt. Das Stirnrunzeln und leichte Kopfschütteln, wenn sie wieder nur die Hälfte verstanden haben. In Gedanken nenne ich ihn Lokführer Hubert. Keine Ahnung, warum.
Hubert ist es egal, dass die Leute von ihm eine klare Aussprache erwarten. Er scheißt drauf und nuschelt in sein Mikrofon. Manchmal schreit er auch. Wenn jemand zu spät in die Bahn springt und in den sich schließenden Türen hängenbleibt, dann flippt Hubert aus. Brüllt in sein Mikrofon und scheißt den Typen vor allen Fahrgästen zusammen.
Ich mag Hubert.

Die Busfahrt zum Park dauerte jedes Mal viel zu lang. Wir zappelten auf den Sitzen herum, ein einziger Ameisenhaufen. Unsere Stimmen überschlugen sich, unser Lachen war hysterisch. Wahrscheinlich gingen wir den anderen Fahrgästen tierisch auf die Nerven. Aber egal – dieser Tag gehörte uns.
Wir saßen immer ganz hinten, ich meistens am Fenster. Ab und zu konzentrierte ich mich auf die Landschaft und atmete tief durch, um meine Nervosität in den Griff zu kriegen. Es fühlte sich an, als müsste ich gleich vor die Klasse treten und ein Referat halten. Oder als lächelte Benjamin aus der Neunten mich an, ganz plötzlich und mit diesem Augenzwinkern. Wie Murmeln, die im Bauch umherkugeln.

Auf dem Weg ins Büro kommen mir zwei Frauen mit Kinderwägen entgegen. Sie sind in meinem Alter und irgendwie sehen sie sich ähnlich. Enge Röhrenjeans, oversized Pullover, wild gemusterter Cardigan aus kratziger Wolle. Von den Kindern sehe ich nur die kleinen runden Gesichter unter der Decke hervorlugen. Ihre dicken Backen sind rot, die Augen glasig, sie sehen durch mich hindurch.
Ich steh nicht besonders auf Kinder. Klar, die von meinen Freundinnen, die mag ich. Auch wenn sie kleine Hindernisse sind, die sich quengelnd und plappernd zwischen uns schieben.
„Jetzt erzähl doch mal, was gibts ... Lukas, nein! Entschuldige, was gibts Neues?“ Sie sieht mich an, ihr Blick flattert. Lukas zieht am Ärmel ihres Pullovers.
Ich fange an zu erzählen. Von meinem Job, dem letzten Urlaub, wie ich letzte Nacht nackt durch die Stadt gerannt bin. Völlig egal.
Manchmal bin ich die einzige zwischen lauter Müttern. Spätestens nach einer Stunde will ich sie alle ohrfeigen. Oder schreiend wegrennen. Oder einfach nur heulen. Sie laufen alle in die gleiche Richtung und wundern sich, warum ich ihnen entgegenkomme.

Wir rannten los, sobald wir uns durch die Drehkreuze am Eingang geschlängelt hatten. Der Plan war jedes Mal der gleiche: Die schlimmste Bahn zuerst. Man sah sie schon von weitem, über hundert Meter ragte sie hoch, vier Sekunden freier Fall bei der ersten Abfahrt. Ich kannte sie auswendig, jede Kurve, jeden Anstieg und jede Beschleunigung. Aber in der Schlange war mir schlecht. Bis wir vorne an der Bahn ankamen, raste mein Herz, die Hände waren nass und ich konnte die Luft nur noch in kleinen Dosen einatmen.
Am schlimmsten war der Anfang der Fahrt, wenn die Wagen ratternd auf den Schienen hinauf gezogen wurden. Ich kniff die Augen zusammen und zählte die Sekunden, bis wir oben ankamen. Fünfundneunzig. Erst, als ich spürte, dass die Wagen langsam kippten, traute ich mich, wieder hinzuschauen. Genau in dem Moment, in dem die Bahn den steilen Abstieg hinunter raste. Ich weiß noch, wie ich den Mund aufriss, um zu schreien, aber der Fahrtwind erstickte jeden Laut in meiner Kehle.

„Scheiße!“ Er knallt die Tasse auf den Tisch und reibt hektisch mit einer Serviette auf dem Kaffeefleck herum, der mitten auf seinem weißen Hemd prangt. Frisch von der Uni ist er, arbeitet erst seit zwei Monaten hier. „Fuck, ich muss doch gleich zum Weidemann.“
Ich sehe auf die Uhr. „Jetzt noch?“
„Feedback-Gespräch, hat er gesagt.“ Die Haut an seinem Haaransatz glänzt. „Was mach ich denn jetzt?“
„Ist doch nur ein Fleck.“ Ich kann seine Aufregung nicht verstehen, sehe aber, dass ihn die Situation echt fertig macht. Also sage ich: „Um die Ecke ist ein H&M.“
„Falls jemand fragt: Ich hole schnell eine Akte aus dem Archiv.“
Ich nicke und er flitzt los. Es ist kurz vor sechs, draußen wird es langsam dunkel. Durch die Glasscheiben der Großraumbüros beobachte ich die anderen. Auch sie sehen nicht so aus, als würden sie bald den Stift fallen lassen.
Sie lieben das hier. Ohne Scheiß, das tun sie wirklich. Und ich stehe da und starre sie an.
Vor einer Woche habe ich den neuen Kollegen in einer Bar gesehen. Er stand auf einer kleinen Bühne und trug einen Text vor. Wirkte so anders ohne seinen Anzug. Das gedimmte Licht machte seine Züge ganz weich. Er hat den Slam nicht gewonnen, aber er kam unter die ersten drei. Und jetzt hetzt er durch den Laden und sucht nach einem neuen Hemd.
Als er wieder da ist, schalte ich den Computer aus, packe meine Sachen und verlasse das Büro.
Auf dem Weg zur U-Bahn fallen die ersten Regentropfen. Ich stelle mir vor, am Straßenrand würden Palmen stehen. Ein bisschen Sand zwischen den Zehen.

Mit zittrigen Beinen und tränenden Augen liefen wir die Rolltreppe hinunter zum Ausgang der Bahn. Ich weiß noch, wie mir das Gesicht wehtat, weil ich nicht aufhören konnte zu grinsen. Wir sahen aus wie eine Bande Wilder, die Haare klebten auf der Stirn, die Augen weit aufgerissen und glänzend. Auf dem Weg zum nächsten Fahrgeschäft jubelten wir und klatschten uns gegenseitig ab.
Wir flitzten von der Bobbahn zum Geisterschloss. Vom Alpenblitz zur Schiffschaukel. Die Murmeln im Bauch waren verschwunden. An ihre Stelle trat ein nicht enden wollendes Lachen. Bei jeder Abfahrt fühlte es sich an, als rutschte uns der Magen in den Hals, wir kreischten, rissen die Arme in die Luft, es gab nichts, was wir uns nicht getraut hätten.
Zwischendurch aßen wir fettige Pizza, versteckten uns hinter den Fressbuden und rauchten heimlich Zigaretten. Wir taumelten durch den Park, zwängten uns durch die Menschenmassen und doch waren da nur wir. Ich weiß noch, wie leicht sich jeder Schritt anfühlte.

Ich bin in mein Buch vertieft, als ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnehme. Ein Kerl mit viel zu engen Hosen, wild gestyltem Haar und einem Schal, der aussieht wie eine Sofadecke, kommt durch den Gang der U-Bahn auf mich zu. Er setzt sich auf die Sitzbank mir gegenüber und wirft einen Blick in die spiegelnde Fensterscheibe, fährt sich durchs Haar, bevor er zu mir rübersieht. Er zwinkert mir zu. Ich drehe mich von ihm weg, halte das Buch ein Stück höher.
„Was liest’n da?“
„’n Buch.“ Ich blättere um und lese weiter.
„Was’n für eins?"
Ich schaue auf. Er grinst mich an. Ganz kurz flackert sein Blick wieder zum Fenster, wahrscheinlich muss er checken, ob die Sofadecke noch richtig liegt. Dann grinst er weiter. Am liebsten würde ich ihm gegens Schienbein treten. Stattdessen hebe ich das Buch in die Luft, sodass er den Titel sehen kann.
Der Schaum der Tage ...“, liest er ab. „Kenn ich gar nicht.“ Ach was!
Ich zucke mit den Schultern, versuche ihn auszublenden. Die Bahn fährt in die nächste Station ein, die Türen öffnen sich ratternd, niemand steigt ein. Der Typ fixiert mich immer noch. Ich konzentriere mich auf die Zeilen vor mir.
„Worum gehts denn?“
Einfach weiterlesen. Irgendwann kapiert er es schon.
„Ich les ja eher selten, aber ...“ Er lehnt sich zu mir rüber. „Vielleicht kannst du mir ja was empfehlen.“
Ich klappe das Buch zu. Mein Fuß zuckt. Soll ich mich einfach umsetzen? Oder ihn anbrüllen, was für ein beschissener Idiot er ist? Gerade als ich mich für Letzteres entscheide und den Mund öffne, höre ich eine tiefe, heiser klingende Stimme hinter mir.
„Alter, raffst dus nicht?“
Ich drehe mich um. Er hat dunkles Haar, sehr kurz. Sein Dreitagebart kratzt sicher beim Küssen. Aber nur ganz leicht, sodass es doch irgendwie gut ist. Wir sehen uns an. Die braunen Augen werden zur Pupille hin immer dunkler, wie ein kühler, tiefer Brunnen. Ich will auf die Mauer steigen und reinspringen.
„Hab ich mit dir geredet, oder was?“, sagt der Typ mit der Sofadecke um den Hals.
„Nee, aber sie offensichtlich auch nicht mit dir. Schleich dich einfach!“
Der Typ holt Luft, öffnet den Mund, kneift die Augen zusammen. Dann steht er auf und geht.
Ich drehe mich wieder nach vorn, starre auf mein Buch und halte den Atem an. Hinter mir höre ich seinen Herzschlag.

Auf der Fahrt nach Hause schliefen wir meistens. Oder wir träumten. Ich beobachtete die Wolken am Himmel, die von der untergehenden Sonne angestrahlt wurden. Sie sahen aus, als hätten sie einen Heiligenschein.
Ich lächelte. Die ganze Zeit.

Bei jeder Station konzentriere ich mich auf die Bewegungen hinter mir. Ob das Polster der Rückenlehne plötzlich nachgibt, weil er aufsteht. Als es schließlich passiert und ich über mein Buch hinweg sehe, wie er vor den Türen steht und darauf wartet, dass sie sich öffnen, will ich aufspringen und ihn umarmen. Ich will mit den Händen über sein Gesicht streichen und spüren, wie sein Bart kratzt auf meiner Haut. Aber ich kralle mich am Buch fest und zwinge mich dazu weiterzulesen. Als er ausgestiegen ist, lass ich es in den Schoß sinken. Mein Blick fällt auf den leeren Sitz neben mir. Da liegt ein Zettel, zusammengefaltet, etwa so groß wie meine Handfläche.
Immer wieder gerne, steht da. Und eine Handynummer.
Ich starre auf die Buchstaben, die leicht nach links geneigt auf dem Papier stehen. Die U-Bahn fährt in der Endhaltestelle ein und erst als der Fahrer das zweite Mal „Bitte alle aussteigen“ ins Mikrofon plärrt, stehe ich auf. In meinem Bauch kugeln Murmeln umher.
Ich fahre die Rolltreppe nach oben und gehe durch den Regen nach Hause. Der Zettel steckt in meiner Hosentasche, er brennt ein Loch in den Stoff. Ich denke an damals, den steilen Aufstieg, an das Rattern der Räder auf den Schienen, den Schrei, der vom Wind erstickt wird.
Zu Hause ziehe ich den Zettel aus der Tasche, hole das Handy heraus und tippe auf das Nachrichtensymbol. Es passiert wie automatisch. Ganz leicht. Ich schreibe das Erste, was mir in den Sinn kommt. Das Einzige, was wichtig ist.
Fährst du gerne Achterbahn?

 

Hi RinaWu,

Sehr schöner Text! Das Leben ist eine Achterbahn, und die Protagonistin scheint sich gefühlsmäßig gerade ganz unten zu befinden. Nervige verliebte Pärchen rundherum, alle Freundinnen schon Mütter, die Kollegen noch grün hinter den Ohren und dann der anstrengende Typ mit den gestylten Haaren in der U-Bahn. Damit ist sie endgültig in der Talschleife angekommen. Aber nur kurz, denn anscheinend geht es jetzt wieder nach oben, in den nächsten Looping, Dreitagebart-Typ sei Dank! Das wünscht man ihr jetzt so richtig. Und natürlich dass der Looping nicht so schnell vorüber geht :)

Und dazwischen, als Parallelblende, die glücklichen Tage der Freizeitparkbesuche. Als die Gefühle Achterbahn fuhren.

Ich mag den Text, habe gar keine Verbesserungsvorschläge...

Was mir besonders gefallen hat:

Wie Murmeln, die im Bauch umherkugeln.*
(... und später....)
In meinem Bauch kugeln Murmeln umher.

Schönes Bild für dieses wundersame Gefühl, dazu klammert es die Gefühle vom Freizeitpark und dem Kennen lernen des Dreitagebart-Typen sehr passend ;)


Ich drehe mich um. Er hat dunkles Haar, sehr kurz. Sein Dreitagebart kratzt sicher beim Küssen. Aber nur ganz leicht, sodass es doch irgendwie gut ist. Wir sehen uns an. Die braunen Augen werden zur Pupille hin immer dunkler, wie ein kühler, tiefer Brunnen. Ich will auf die Mauer steigen und reinspringen.

"Liebe auf den ersten Blick" - sehr prägnant und einfühlsam beschrieben. Man spürt richtig den Sog, dem sie plötzlich ausgesetzt ist.

Sehr schöner Text!

viele Grüße
Philipp

 

Hallo Fliege,

du meine Güte, ich habe deinen Kommentar gar nicht gesehen, sorry für die verspätete Rückmeldung. Und deine Rückmeldung macht mir einen ganz warmen Bauch. Vielen Dank für deine lieben Worte, das tut gerade sehr gut.

Hach ja, es ist einfach ein schönes Gefühl zu merken, wenn eine Geschichte genau die richtige Stimmung des Gegenübers trifft. In den letzten Monaten hat mir das Schreiben sehr geholfen, um bestimmte Dinge zu verarbeiten, mit einer neuen Lebenssituation klarzukommen, klingt total klischeemäßig, aber mich hat das wirklich davor bewahrt, mich einzuigeln. Deshalb ist es umso cooler, wenn eine solche - ich nenne es mal - "Verarbeitungsgeschichte" dann auf verstehende Ohren trifft :)

Mir ist natürlich bewusst, dass das Ende nah am Kitsch entlangschrammt. Aber was soll's, dieses Mal hab ich das irgendwie gebraucht ;)

Eine Schokoladengeschichte mit Sahnehäubchen
:kuss:

Liebe Grüße, RinaWu

Hallo philipp,

auch dir vielen lieben Dank für deine wohlwollenden Worte.

Das Leben ist eine Achterbahn, und die Protagonistin scheint sich gefühlsmäßig gerade ganz unten zu befinden.
Ja, so scheint es. Das Gute an einer Achterbahn ist aber, dass man irgendwann auch wieder hoch fährt :)

Aber nur kurz, denn anscheinend geht es jetzt wieder nach oben, in den nächsten Looping, Dreitagebart-Typ sei Dank
Über die Zeitspanne wird ja nichts gesagt. Es ist ungewiss, wie lange sie sich schon in dieser Phase befindet. Nach meinem Gefühl dauert diese Gefühlslage schon eine Weile an. Es dauert ja, bis man sich überhaupt mal sortiert hat. Bis man benennen kann, was eigentlich gerade nicht stimmt oder einen unzufrieden macht.

Schönes Bild für dieses wundersame Gefühl, dazu klammert es die Gefühle vom Freizeitpark und dem Kennen lernen des Dreitagebart-Typen sehr passend
Es freut mich sehr, dass das Murmel-Bild nun doch ein paar Freunde gefunden hat.

"Liebe auf den ersten Blick" - sehr prägnant und einfühlsam beschrieben. Man spürt richtig den Sog, dem sie plötzlich ausgesetzt ist.
Ich weiß nicht, ob es Liebe ist, aber auf jeden Fall löst er etwas in ihr aus.

Hab einen schönen Tag!
Viele Grüße
RinaWu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Rina, Deine Geschichte gefällt mir gut. Ich mag die Stimmung darin, also diese Wahrnehmung und Reflexion widerstreitender Emotionen. Da ist einmal der Überschwang der Jugend, diese Sehnsucht nach dem Kick (z.B. durch die Achterbahn), die Hoffnung auf ein Leben jenseits der üblichen Routinen vielleicht. In diesen Part gehört auch die kühle Haltung gegenüber Kindern und dem Mutter-Sein.

Dann, Jahre später, wird die Protagonisten von der Realität der Erwachsenenwelt eingefangen. Das, was Menschen in ihrem Leben wollen, und das, was sie tun müssen, ist selten identisch. Ich würde nicht so weit gehen, das Resignation zu nennen, aber Ernüchterung trifft es wohl. Als Jugendliche glauben wir, uns gehöre die Welt, und als Erwachsene sorgen wir uns um einen Kaffeefleck auf unserem Hemd.

Die letzte Passage ist ein skurriles Beispiel für moderne Ritterlichkeit. Der Held kämpft nicht mehr gegen Drachen und Raubgesindel, um eine Dame aus höchster Not zu befreien, sondern kanzelt einen aufdringlichen Yuppie ab. Hm. Keine Ahnung, ob ich das für einen Fortschritt halten soll. In jedem Fall löst das bei der Protagonistin schwärmerische Gefühle aus. Das kann man so oder so lesen. Entweder als ein Hurra für die Existenz der Romantik inmitten der öden und banalen Alltagswelt. Oder als ein: So einfach ist das und der Frage, ob die beiden Männer Wingmen waren, was dann so ziemlich der älteste Trick der Welt beim Flirten wäre und offenbar immer noch bestens funktioniert.

Interessant fand ich die angestaute Wut, die sich da immer wieder in den Gedanken der Protagonistin äußert. Letztlich ist das auch ein Zeichen dafür, dass sie mit der Welt und sich selbst nicht im Reinen ist. Wahrscheinlich hat sie die Stufe der Desillusionierung noch nicht erreicht, die dafür notwendig ist.

Sehr gern gelesen, Rina.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

freut mich sehr, dass dir meine Geschichte gefällt. Ja genau, sie schwankt zwischen widersprüchlichen Empfindungen und Sehnsüchten. Da ist dieser unbeschwerte Tag im Freizeitpark, der stellvertretend steht für so vieles, was die Jugend in sich trägt. Und auf der anderen Seite die exemplarischen Situationen aus ihrem Leben, manche machen ihr Spaß (die Fahrt mit Hubert), andere widerum erdrücken sie.

Ja, Ernüchterung ist hier das richtige Wort. Ich glaube, es ist total wichtig, aus diesem Kreislauf, in dem sie gefangen ist, einen Weg raus zu finden. Sonst kann es schnell passieren, dass man sarkastisch auf das Leben blickt, total abgeklärt, vielleicht sogar frustriert. Deshalb habe ich diese Szenen aus ihrer Jugend dagegen gestellt. Einmal, um die Sehnsüchte, die Melancholie auszudrücken, andererseits aber auch, um vielleicht einen kleinen Silberstreifen am Horizont zu zeichnen. Es ist durchaus möglich, sich ein Stück Unbeschwertheit zurückzuerobern, auch wenn man erwachsen ist.

Die letzte Passage ist ein skurriles Beispiel für moderne Ritterlichkeit. Der Held kämpft nicht mehr gegen Drachen und Raubgesindel, um eine Dame aus höchster Not zu befreien, sondern kanzelt einen aufdringlichen Yuppie ab. Hm. Keine Ahnung, ob ich das für einen Fortschritt halten soll.
Der moderne Ritter ;) Irgendwie habe ich mir darüber gar nicht so viele Gedanken gemacht. Ich hatte einfach Lust auf ein bisschen Kitsch, auf jemanden, der sie aus ihrer Lethargie reißt. Ach, und weißt du, ein bisschen altmodische Ritterlichkeit fände ich ab und zu echt nicht schlecht. Ich finde es schade, dass mittlerweile alles verteufelt wird, was mit den "klassischen" Rollen Mann und Frau zu tun hat. Ich bin da vielleicht nicht ganz so fortschrittlich wie andere Frauen, ich steh noch immer auf eine gesunde Portion Ritterlichkeit :)

Stimmt, da brodelt es immer wieder in meiner Protagonistin. Vielleicht ist es, weil sie mit sich im Unreinen ist. Also, ziemlich sicher sogar macht das einen Teil der Wut aus. Aber vielleicht auch die Erwartungshaltungen, die sie von außen erfährt. Du bist Anfang Dreißig, wieso willst du keine Kinder? Und wenn du schon keine Kinder willst, wieso machst du dann nicht Karriere? Und weshalb bist du eigentlich single, willst du nicht so langsam mal zur Ruhe kommen? Usw.
Ich hoffe eigentlich, dass es nicht unbedingt Desillusionierung braucht, um mit sich ins Reine zu kommen, sondern einfach die Kraft, fein damit zu sein, dass man einen anderen Lebensweg beschreitet, als die Mehrheit um einen herum.

Danke dir für deine Gedanken, Achillus.
Liebe Grüße
Rina

 

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