Was ist neu
  • Die Deadline für die aktuelle Challenge Schmeiß die Oma vom Balkon naht. Veröffentlicht eure Geschichten bis Mittwoch Mitternacht!

Aasfresser

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20.10.2024
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Anmerkungen zum Text

Änderungsprotokoll

3. Runde

  • Text zurück auf überarbeitete Urversion.
  • Neuen Schlussabsatz hinzugefügt.
2. Runde
  • Titel erneut geändert
  • Text sehr stark gekürzt
  • Stärker auf einen Aspekt fokussiert
  • Erzähler wieder geschwächt
  • Figur Doni zu "anderer Albaner" reduziert
  • Chronologie geändert
1. Runde
  • Titel geändert
  • Passagen gestrichen
  • Passagen ergänzt (Intro u. a.)
  • Erzähler gestärkt (mehr Reflexion, mehr Kommentar)

Aasfresser

Bei Frechen führte die Strecke über einen Hügel und die Autobahn sah aus wie ein rot-weißes Leuchtband. Das aufgepeitschte Moderatorenduo im Radio kündigte den nächsten Popsong an, als wollten sie mir meine Müdigkeit unter die Nase reiben. Ich musste gähnen, was Günther sofort amüsiert kommentierte. „Das kennt der Student nicht, wie? Früh raus und schaffen.“
„Doch, schon“, sagte ich, obwohl er vollkommen recht hatte.
Ich vergrub die Hände in den Taschen meines Kapuzenpullis und schloss die Augen.

Als ich sie wieder öffnete, hatte es im Rückspiegel zu dämmern begonnen. In Aachen war es hell. Wir suchten eine ganze Weile nach der Adresse, denn Günther kannte sich nicht aus. Schließlich fanden wir das Haus, es war bereits Viertel nach acht. Doch auch die Albaner waren noch nicht da.
„Na, gut, gehen wir noch einen Kaffee trinken“, entschied Günther mit Blick auf die Bäckerei direkt gegenüber.

***​

“Da sind sie ja!”
Ein taubenblauer Transporter machte auf der anderen Straßenseite Halt. Der Fahrer kurbelte die Scheibe herunter und hob den Zeigefinger zum Gruß. Günther erwiderte die Geste und bedeutete ihm, auf den Bürgersteig zu fahren. Ich zog mein Portemonnaie heraus. Günther winkte ab. “Lass stecken, Frühstück zahlt der Chef!”
Irgendwie war mir das nicht recht.

“Morgen!”, rief Günther und überquerte mit rollendem Gang die Straße. Er hatte Probleme mit der Hüfte, was angeblich auch der Grund dafür war, dass er nicht mitarbeiten würde. Angesichts seiner Wampe musste er diese Probleme schon länger haben, spöttelte ich für mich selbst.
“Moargön, Güntöar!”, erwiderte der Mann mit breitem Akzent. Er war klein und kompakt gebaut, was man trotz der Bomberjacke direkt sah. Die nach hinten gegelten Haare waren graumeliert, der löchrige Fünftagebart war noch pechschwarz. Alles in allem sah er wie ein Autobschieber. Er gab erst Günther die Hand, dann mir. Ich drückte fest zu. “Hallo, ich bin Henry!”
“Meda, freut misch!”
Ein zweiter Mann kam um die Fahrerkabine getrottet. Er war genauso breitschultrig wie Meda, aber zwei Köpfe größer und kurzgeschoren. Meda stellte ihn vor, doch Günther verstand seinen Namen nicht.
“Wie war das, Toni?
“Doni!”, riefen Meda und der Mann gleichzeitig. “Doni!”
“Doni? Mit D?”
“Ja, genau. Doni! Alle Deutschen denken ja immer Toni. Aber kommt von Liridon.”
“Doni also”, sagte Günther und Doni nickte lächelnd.
“Das ist so eine niedliche Form, verstehst du?”, sagte Meda. “So wie Günni für Güntöar.”
“Oder Toni für Anton”, sagte ich.
Doni schaute mich fragend an und Meda sagte, “Nisch Toni, Doni!”
Ich bereute, mich eingemischt zu haben.
“Ja, hab ich verstanden. Doni! Hat das eine Bedeutung?”
“Freiheit”, sagte Meda und Doni nickte.
Günther wurde unruhig. “Also, wollen wir mal?”
“Natürlisch”, sagte Meda. “Dafür sind wir ja hier!”

Wir gingen zum Eingang des braungrauen Nachkriegsscheusals. Günther drückte eine Klingel und als kein Summer ertönte, zog er einen Schlüsselbund aus der Tasche.
“Eigentlich wollte Herr Jammerzen schon hier sein. Naja, wir gehen mal hoch.”
Er schloss auf und wir schoben uns einer nach dem anderen ins Treppenhaus. Auf dem schwarz-weiß-gesprenkelten Terrazzoboden vor dem Metallbriefkasten lagen Werbeprospekte und das aus dünnen Stangen zusammengesetzte Treppengeländer hatte einen Handlauf aus PVC.
“Hier müsst ihr ein bisschen aufpassen”, sagte Günther, während wir die Treppe hochstiegen. Er deutete auf die Wände, die etwa bis auf Schulterhöhe mit einer schimmernden Farbe grasgrün und darüber beige gestrichen waren.
“Ist gar keine Problem, ist ja breit genug”, sagte Meda.
“Einfach bisschen aufpassen”, wiederholte Günther und ich nahm mir fest vor, daran zu denken. Nur keine Fehler machen beim ersten Mal!

Im zweiten Stock blieben wir stehen. Günther drückte auch hier auf die Klingel und eine unwirklich laute Schelle drang durch die Wohnungstür.
“Sitzt er vielleicht aufm Pott?”
Wieder verhallte das Klingeln unbeantwortet. Günther schloss auf und knipste das Licht an. Es roch nach Schuhputzmittel, Altfrauenparfüm und Frittierfett. Linker Hand, zwischen zwei Türen stand eine Holzgarderobe mit Unterschrank und Spiegel. An den Haken hingen Jacken und Mäntel, auf der Ablage darüber lagen Strickwaren und ein kugelförmiger Hut. Ein ausgestreckter Läufer mit Orientmuster führte weiter in die Wohnung hinein. Es wirke alles so, als würde gleich jemand in den Flur treten und uns in die Stube bitten.
Günther zeigte auf den Boden. “Das Linoleum hier und in der Küche muss auch raus. Sollte aber kein Problem sein, ist nicht verklebt.”
Wir rückten bis in Wohnzimmer vor. Dafür, dass es in einer Etagenwohnung lag, war es groß. An der Wand stand ein ausladendes Stoffsofa mit tiefen Kissen, auf dessen Rückenlehne ein kleiner Klabautermann thronte. Er schaute mit glotzenden Augen auf eine dackelbraune Schrankwand aus Holz.
“Gelsenkirchner Barock”, sagte Günther und zwinkerte mir zu.
“Ja, genau”, sagte Meda und machte prüfend eine der Türen auf.
“Interesse?”
“Danke, Güntöar, aber das will ja keiner mehr haben.”
“Will keiner mehr haben, oder?”
“Ist ja schade, normalerweise ist das eine schöne Regal. Gut gearbeitet!”
“Der ist massiv!”
“Aber kauft ja keiner mehr so was.”
“Also weg!”
“Aber das ist eine schöne Stück. Sechziger Jahre.”
Meda machte einen Schritt auf ein Sideboard zu. “Diese nehme ich, wenn ich darf.”
“Ja, klar, nimm mit!”
Er sagte etwas auf Albanisch zu Doni, dann zu mir, “Diese bitte lassen!”
Ich fragte mich, ob Günther und Meda die Möbel verrechneten oder ob es ein Geschenk war – und ob ich mir auch einfach Sachen zum Mitnehmen aussuchen durfte?

Über einen alten Bauernschrank und eine Kommode im Schlafzimmer wurde dasselbe Urteil gefällt wie über die Schrankwand im Wohnzimmer:
“Weg!”
„Kann man so was nicht wieder aufarbeiten und verkaufen?“, fragte ich.
„Vergiss es!“, sagte Günther nur und es klang, als hätte er diese gute Idee schon hundert Mal zu hören bekommen. Bei einer Holztruhe, die für mich im Grunde genauso altbacken aussah wie der Schrank und die Kommode, entschied sich Meda nach einigem Zögern dafür, sie mitzunehmen.
“Bleibt!”
Ein höhenverstellbares Einzelbettgestell, so teilte uns Günther mit, würde später abgeholt werden.
“Bleibt auch!”
“Und die Matratze?”
“Weg!”
Im Bad wurde alles zum Abschuss freigegeben, bis auf die alte Waschmaschine. Als Meda sie entdeckte, sagte er nur, “Miele!”, woraufhin Doni anerkennend nickte. Es schien sofort klar zu sein:
„Bleibt!”
Anscheinend handelte es sich hier um echte deutsche Wertarbeit für die Ewigkeit, um ein Produkt aus der guten, alten Zeit. Wir gingen weiter in die Küche, von der noch einmal eine kleine Abstellkammer abging.
“Hier kann alles weg”, sagte Günther.
“Gibt es eine Keller?”, fragte Meda, als wir nach unserem Rundgang wieder im Flur standen.
“Ja. Und auf dem Balkon ist auch noch Krempel.”
Es klingelte. Günther öffnete mit einem Ruck die Wohnungstür. “Herr Jammerzen!” “Guten Morgen!” Ein kleiner Mann in Anorak und Jeans schaute in die Runde. Seine dünnen Haare trug er gescheitelt, am Hals hatte er bei der Rasur nicht sauber gearbeitet. “Sind Sie schon fleißig?”
“Wir haben uns gerade ein Bild gemacht, ja”, sagte Günther mit betonter Ruhe. “Aber es ist ja im Grunde alles besprochen. Das Linoleum kommt raus, das Bettgestell wird später abgeholt …”
“Das Bettgestell wird später abgeholt”, wiederholte Herr Jammerzen. “Und hier habe ich noch ein paar Sachen aussortiert für mich.”
Er machte einen Schritt ins Schlafzimmer und zeigte auf den Boden. Meda sagte etwas auf Albanisch und Doni antwortete breit lächelnd, “Bleibt!”
Wir lachten und Herr Jammerzen warf uns einen irritierten Blick zu. “Genau, die Kartons bitte da lassen.”
“Verstanden”, sagte Meda wieder mit ernster Miene und ich nickte auch, damit er sich keine Sorgen um seine Sachen machte. Ich glaube, wir schüchterten ihn ein und er wusste nicht, was er von der Firma halten sollte, die er hier engagiert hatte. Er bestand darauf, Günther und Meda, den er richtigerweise als Vorarbeiter identifiziert hatte, noch einmal den Keller zu zeigen, obwohl ihm Günther versicherte, dass das nicht nötig sei.

“Güntöar deine Vater?”, fragte Doni, als wir alleine im Flur standen. Ich wusste nicht, wie ich ihm die Verhältnisse erklären sollte, also sagte ich nur, “Nein, ein Freund!”
“Ohhh, Freund!”
Ich fühlte mich verpflichtet, nun auch etwas zu fragen.
“Und Meda?”
“Cousin!”
“Aha! Woher in Albanien kommt ihr denn?”
Er zog die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf.
“Woher?”, sagte ich akzentuiert und setzte meinen Zeigefinger auf einen Punkt in der Luft. “In Albanien?”
“Nicht Albanien, Kosovo!”
“Mhm!” Ich war ehrlich überrascht, denn ich kannte mich mit den Verhältnissen auf dem Balkan überhaupt nicht aus. ”Aber Sprache Albanisch?”
“Ja.”
“Verstehe.”
Eigentlich interessierte es mich, mehr zu erfahren. Leider ging das nicht und ich hielt es simpel.
”Und Deutschland gut?”
Er nickte und hob einen Daumen. “Sehr gut!”
“Schön!”

Wir schwiegen und warteten. Einmal kreuzten sich unsere Blicke und wir nickten uns zu. Es war unangenehm und ich ging mich noch einmal umgucken. Mit den Händen in den Taschen schlenderte ich durch die Räume. Einiges erinnerte mich an die Wohnung meiner Oma, etwa das nicht gerade üppig gefüllte Regalfach mit den Büchern, allesamt Hardcover wie Ziegelsteine: Meyers Konversations-Lexikon, Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Es muss nicht immer Kaviar sein. Oder der wuchtige Röhrenfernseher über dem silbernen Stereoanlagenwürfel, Grundig und Loewe, zwei Traditionsmarken eingemauert im Zentrum der Schrankwand, linear, statisch und analog. Ich öffnete eine Klappe und fand die Hausbar und eine vielfältige Auswahl an Gläsern, auch das wie bei meiner Oma. Die Laster und Sünden, sie wurden früher noch versteckt, und wenn es nur pro forma war. Ich beugte mich vor und betrachtete die Fotos im Fach darüber. Eines hatte einen starken Gelbstich und zeigte ein mittelaltes Paar, das vor den Pyramiden in Ägypten posierte. Sieh an, sie sind sogar ein wenig rumgekommen! Bestimmt mit einer Reisegruppe, erst im Flieger nach Kairo, dann im Bus weiter, tagsüber wohl dosiertes Lokalkolorit, abends fettes Buffet nach deutscher Art in der neugebauten Hotelanlage, die Aschenbecher überall ausklappbereit. Ich nahm das Porträt eines Mannes im Rentenalter in die Hand. Er saß in Anzug und Krawatte vor einem hellblauen Hintergrund und lächelte akkurat frisiert und ein wenig gezwungen in die Kamera. Über eine der oberen Ecken war ein schwarzes Band geklebt worden. Wie lange sie wohl allein weiterleben musste? Dem Stil nach zu urteilen, lange. Fotos von Kindern oder anderen Personen gab es keine, Herr Jammerzen war wohl nicht der Sohn. Vielleicht ein Neffe?

Ich hörte, dass Günther und Meda zurück waren.
“Na, haste den Schatz gefunden?”, fragte Günther.
“Nee.”
“Bin ich doch schon alles durch.”
“War was dabei?”
“Eine Silberbrosche und eine schöne Damenglashütte. Sieht echt aus, muss aber gemacht werden. Ansonsten nur Mist.”
Beim Antworten wandte er sich von mir ab und Meda zu. Der nickte, als hätte er das erwartet.
“Was ist eigentlich, wenn ich tatsächlich noch was von Wert finde?", fragte ich.
Günther reckte das Kinn und machte eine raffende Handbewegung. “Her damit!”
Er tauschte einen kurzen Blick mit Meda, den ich nicht deuten konnte. Hatte Günther die Brosche und die Uhr einbehalten, obwohl er sie Herrn Jammerzen hätte geben müssen? Oder war es eine Warnung an Meda? Irgendwas in diese Richtung lief hier ab, was mich nichts anging. Ich bohrte nicht nach und Günther verabschiedete sich kurz darauf.

“Wie trennen wir?”, fragte ich Meda, nachdem er mich eingewiesen hatte. Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. “Nisch trennen!”
“Alles in dieselben Säcke? Glas, Metall, Lebensmittel?”
Ich dachte an den Aufkleber auf der Seite des Transporters – “Fachgerechte Entsorgung” – und musste schmunzeln. Mir gefiel das.
“Chemikalien kommen extra”, sagte Meda.
„Immerhin“, dachte ich und riss einen Sack ab. Aus dem Kleiderschrank schlug mir der leicht modrige Geruch eines Second-Hand-Ladens entgegen. Ich nahm so viele Blusen und Jacken von der Kleiderstange, wie ich greifen konnte, faltete sie über meinem Arm zusammen und stopfte sie mitsamt der Bügel in den Sack. Es waren schlichte, aber hochwertige Stücke. Ganz am Rand hing ein Pelzmantel. Ich hielt ihn eine Weile hoch, dann schlüpfte ich hinein und trat damit zu Meda und Doni ins Zimmer. “So, ich werde jetzt Zuhälter!”
Die beiden lachten und ich freute mich über den Treffer, den ich gelandet hatte.
“Kann man den nicht noch verkaufen?”
Meda warf kopfschüttelnd einen Blick aufs Innenfutter. “Motten! Siehst du hier?”
Er zeigte mir die Löcher. Es tat mir ein wenig leid um den Mantel, der bestimmt einmal der ganze Stolz der Frau gewesen war.

Nach dem Schrank nahm ich mir die Kommode vor. Es war im ersten Moment seltsam, die Unterwäsche der alten Frau in die Hand zu nehmen, aber ich schob das Gefühl zur Seite und räumte die Kommode in zwei Minuten leer. Meda kam in den Raum. “Wie sieht’s aus hier?”
“Säcke sind gepackt. Hast du einen Hammer?”
“Wofür?”
Ich nickte in Richtung des Schranks.
“Brauchst du keine Hammer!”
Er trat mit Wucht gegen die Rückwand, bis sie heraussprang. Anschließend lehnte er sich mit der Schulter gegen die Seitenwand des Schranks und er fiel krachend in sich zusammen.
“Siehst du? Brauchst du keine Hammer!”
Freude füllte meine Brust. Ich durfte eine Wohnungseinrichtung kurz und klein schlagen wie ein besoffener Rockstar und wurde noch dafür bezahlt! Ich zog eine Schublade aus der Kommode und schmetterte sie auf dem Boden. Beim zweiten Mal zersprang sie. Ich machte auch aus den anderen Schubladen Kleinholz, dann griff ich mir ein dickes Brett und drosch damit auf den Korpus ein, bis er zerbarst. Es war ein herrliches Gefühl, dasselbe Gefühl, das ich als Kind gehabt hatte, wenn ich am Ende eines Strandtages die Sandburg zertreten hatte. Etwas aufbauen ist gut, aber es zu zerstören ist besser, denn es führt die Dinge wieder in ihren Urzustand zurück. Ich hörte, dass sie auch im Wohnzimmer mit dem Zusammenhauen der Möbel begannen und ging direkt hinüber. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen.

“Erst alle Bretter einladen?”, fragte ich Meda, als es vorerst nichts mehr zu zerschlagen gab.
“Ja, machen wir Kette, ist besser.”
“Warum schmeißen wir das Zeug nicht einfach aus dem Fenster? Dann müssen wir viel weniger Treppe laufen.”
Meda lachte. “Sollten wir ja eigentlich machen, nä?”
Er sagte etwas zu Doni und der lachte auch. Aber ich hatte keinen Scherz gemacht.
“Vor dem Haus ist doch genug Platz. Muss nur einer aufpassen, dass keiner kommt. Was soll passieren?”
Meda schaute wieder zu Doni, dann zu mir. Er runzelte die Stirn. “Is vielleicht ja gar nischt so eine schlechte Idee.”
Er ging auf den Balkon und beugte sich über die Brüstung. “Is ja wirklisch nur die Einfahrt da unten.”
“Wir müssen nur im ersten Stock und im Erdgeschoß Bescheid sagen. Nicht, dass sich jemand rausbeugt und dann… ”
Ich schlug mir mit der flachen Hand auf den Kopf. Gackernd lachte Meda das erste Mal an diesem Tag richtig. “Das wär ja schlecht, nä?”
Er sah zu Doni und der zuckte mit den Schultern.
“Also gut!”

Doni stellte sich vor das Haus, Meda kletterte in den Transporter, um dort das Holz zu verteilen. Ich ließ die ersten Bretter fallen. Sie trafen mit einem lauten Knall auf und ich befürchtete, dass gleich ein besorgter Nachbar gucken käme. Ich holte die Matratze und schmiss sie als Dämpfer in die Einfahrt. Jetzt ging es fast geräuschlos und ich war stolz auf meinen Einfallsreichtum. Das beeindruckt sicher auch die Albaner, hoffte ich. Auf einem der letzten Bretter, es war eine der Rückwände von der Wohnzimmerwand, war noch das Preisschild: “7950,–”. Fast achttausend Mark! Einmal halb so teuer wie ein Auto und heute noch in tadellosem Zustand, war dieses perfekt gearbeitete Möbel am Ende nicht mehr wert als das billigste Sperrholzschränkchen.

Das ganze Holz war nun unten und ich sah mich nach anderen Gegenständen um, die ich werfen konnte. Das Bettzeug war noch bezogen und ich wandte den Kopf ab, um nicht daran riechen zu müssen, als ich es zur Brüstung trug. Im Fallen spannte sich die Decke auf und segelte ins Gras neben der Einfahrt. Ein älterer Herr, der mit seinem Hund vorbeispaziert kam, blieb stehen und betrachtete die Szenerie kopfschüttelnd. Plötzlich war es mir peinlich, dass ich die persönlichen Sachen einer Toten so achtlos vors Haus schmiss.
“Das war’s. Mehr hab ich nicht”, rief ich Doni zu und kreuzte dabei mehrmals die Arme. Er gab mir einen Daumen hoch.
Ich lief die Treppe herunter und sah in den Transporter, den die beiden immer “Bus” nannten. Meda stand gebückt darin und schichtete Bretter übereinander. Der Stapel reichte ihm schon bis ans Kinn.
“Noch paar Säcke, dann ist genug. Wird zu schwer sonst!”
“Also fahren wir gleich zur Kippe?”
“Is ja besser, wenn isch mit Doni alleine fahre. Dann kannst du hier schon weitermachen.”
Auch wenn das durchaus sinnig war, fühlte ich mich ausgeschlossen. Was hatte ich mir denn vorgestellt? Ich war für die beiden nur ein Tagestourist, einer, der ausnahmsweise mal den Arbeiter gab. Es war schon komisch – an der Uni fühlte ich mich stets fremd unter all den körperlosen und feingeistigen Akademikern. Doch hier, in der Welt des simplen Physis war es jetzt genauso. Vielleicht hatte nicht jeder einen Platz auf dieser Welt. Solche Dinge gingen mir durch den Kopf, als ich alleine wieder nach oben in die Wohnung stieg.

Doni hatte seine Kippen liegenlassen und ich steckte mir eine an. In der Küche sammelte ich ein paar Kleinigkeiten zusammen, die man noch gebrauchen konnte. Ich verstaute sie in einem Pappkarton und stellte ihn ins Schlafzimmer vors Fenster, damit ihn niemand wegwarf. Mein Magen knurrte. Ich ging zurück in die Küche und öffnete den Eisschrank. Eine Packung mit Minipizzen war schon abgelaufen, sah aber noch gut aus. Ich überlegte, ob ich sie mir aufbacken konnte. War das pietätlos? War es eklig? War es unkollegial? Ich fand keine triftigen Gründe, es nicht zu tun, und schaltete den Backofen auf 220. Als Meda und Doni später davon erfuhren, lachten sie mich aus. Ich öffnete einen der Küchenschränke und holte eine Schachtel Kekse heraus.
“Die wollt ihr dann wohl auch nicht?”
Nach einem kurzen Zögern griffen sie zu. Ich fasste erneut in den Küchenschrank und schwenkte eine Flasche Cognac hin und her. “Und ich hab noch was ganz Feines gefunden!”
“Ohhh!”
“Gibt sogar passende Gläser.”
Ich verteilte drei Schwenker und goss ein. “Auf die alte Frau, die hier gewohnt hat! Möge sie in Frieden ruhen.”
Ich meinte das scherzhaft und Meda lachte, doch Doni blieb ernst, nachdem er erfuhr, was ich gesagt hatte. Darüber dachte ich später lange nach.

Als die Wohnung soweit leer war, gingen wir in den Keller. In zwei morschen Holzregalen standen unzählige leere Einmachgläser und es dauerte ewig, sie alle in irgendwelchen Eimern und Wannen zu zertrümmern, damit sie weniger Raum einnahmen. Danach fand sich dauernd irgendwo noch etwas, das in den Transporter gebracht werden musste, der dieses Mal bis unters Dach gefüllt wurde. Zuletzt schoben wir den Kühlschrank und den Herd hinein, die “weiße Ware”, wie Meda es nannte. Ich stellte mir einen Titel für meine Abschlussarbeit vor: “Weiße Ware. Die Poetik der Haushaltsauflösung.” Ich war jetzt fix und fertig, jeder Schritt schmerzte. Dann war der Keller endlich leer und in mir machte sich ein erlösendes Gefühl breit: geschafft! Aber in der Wohnung mussten noch alle Gardinenstangen, Lampen und Haken abgeschraubt werden.

Ein letztes Mal schritt ich die Wohnung ab. Sie war jetzt ausgeweidet wie der Bauchraum eines Kadavers. In ein paar Tagen wollte die Wohnungsgesellschaft die Handwerker schicken. Sie würden noch die vergilbten Tapeten von den Wänden schaben wie Fleisch von einem Knochen und die Sanitärkeramik herausbrechen wie Zähne aus einem Kiefer.

***​

Vor der Auffahrt zur Kippe war eine Schlange. Zwei Typen mit dunklen Bartschatten saßen am Straßenrand auf Bierkisten. Sie trugen Wollmützen und bunte Skijacken wie aus den Achtzigern.
“Zigeuner”, raunte Meda spöttisch und Doni grinste. Einer der Männer deutete auf unsere Ladung und Meda nickte. Der Mann stand auf und kam an die Fahrertür. “Hast du was, meine Freund?”
“Kühlschrank”, raunte Meda und der Mann winkte seinem Kompagnon. Meda machte sich nicht die Mühe auszusteigen. Ich hörte, wie die Tür zum Laderaum aufgemacht wurde. Es kratzte und schepperte kurz, dann wurde die Tür wieder geschlossen. Die Männer stellten den Kühlschrank neben den Bierkisten ab und setzten sich wieder hin.
“Ist der doch noch was wert?”, fragte ich.
“Die bauen ja nur den Kompressor aus.”
“Verstehe”, sagte ich, obwohl mir nicht klar war, wozu sie ihn brauchten.

Oben bei der Einfahrt mussten wir halten, bis uns jemand einen Platz zuwies. Sie hatten dort alten Plunder aufgestellt wie ein Skelett mit blonder Perücke, das ein Schild hielt: “Im nächsten Leben mach’ ich was ohne Idioten!” Ein Arbeiter in einem orangefarbenen Overall kam mit breitem Gang zum Auto geschlendert. Er hatte einen Pferdeschwanz und trug eine fluoreszierende Sportsonnenbrille. Um seinen Hals hing eine dicke Silberkette, auf dem Unterarm entdeckte ich ein grob gestochenes Tattoo. Meda kurbelte das Fenster runter und reichte ihm die Hand. Ich sah einen zusammengefalteten Zwanziger.
“Hallo, wie geht’s denn heute?”
Der Mann griff kurz zu und ging nicht auf die Floskel ein. “Was haste?”
“Eine Herd, ansonsten nur Sperrmüll.”
“Herd in den Container, Sperrmüll in die zwölf.”

***​

Eingereiht in denselben scheinbar stillstehenden Strom aus Lichtern wie am Morgen fuhren wir auf der Autobahn zurück. Was war geblieben? Eine Brosche, eine Uhr, ein Bettgestell, eine Waschmaschine, ein Kühlschrankkompressor, ein Sideboard, eine Truhe, ein paar Haushaltsgegenstände und die Kleinigkeiten, die Herr Jammerzen mitgenommen hat. Ein Leben, neun Posten.

Meda hielt direkt vor meinem Haus. Er beugte sich vor und reichte mir die Hand. "Henwie!"
Auch Doni gab mir die Hand. Ich stieß die Tür des Transporters auf und setzte den Fuß auf die Stufe.
"Bis du nächste Mal wieder dabei?"
Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Aber es sprach nichts dagegen. Im Gegenteil. Ich fühlte mich nach dem Tag angenehm erschöpft wie selten zuvor, so als hätte ich mir eine große Last vom Hals geschafft.
"Ja, klar, warum nicht?"
"Schön! Starke Jungen können wir ja immer gebrauchen!"
Doni reckte einen Daumen.
"Also dann, bis demnächst!"
Ich warf die Tür zu und holte den Pappkarton aus dem Laderaum - mein Stück vom Aas.

 

Hallo @Sturek,

ich bedanke mich für deinen Kommentar. Deine Vorschläge schaue ich mir an und setze sie zeitnah um. Viel mehr bleibt mir auch nicht zu antworten, außer vielleicht hierauf:

Eine Richtung, den Text noch auszubauen, wäre es, die Entrümpler wirklich mal in Streit über die besten Stücke geraten zu lassen. Wie Geier oder Hyänen eben.

Plot-technisch ist das eine sehr gute Idee, aber in der Realität ist so ein Szenario sehr unwahrscheinlich, eben weil es eine klare Hackordnung gibt. Das thematisiert die Story ja auch.

Was indes nicht unrealistisch wäre, wäre ein Konflikt zwischen Hinterbliebenen oder Auftraggeber und Entrümpler. Da sind die Verhältnisse manchmal etwas grauzonig ;-)

Freundliche Grüße und bis bald mal

Hk

 

Salü @H. Kopper

Du lieferst mir einen Einblick in den geschäftsmässigen Vorgang der Auflösung eines Haushalts. Oder etwas dispektierlich Entrümpelung. Heisst, Gerümpel wird getrennt von Sachen mit Wert abtransportiert und entsorgt.

Ich hatte anfangs etwas Mühe, die Personen zu verorten. Spannend fand ich auch diese Hirarchiestufen, von Erzähler/Günther über die beiden Albaner (Schade ist Doni rausgeflogen) hin zu den "Zigeuner". Jeder holt sich was vom Kuchen.
Der Jammerzen müsste der Auftragsgebers sein, korrekt?

Gegenüber von einem Sofa mit tiefen Kissen stand eine braune Holzwand.
Meinst du hier nicht eher eine Wohnwand.
Jedenfalls heisst das bei uns so. Eine schwere, die ganze Wand einnehmende Schrankkombination.

raus, das Bettgestell wird später abgeholt …”
“Das Bettgestell wird später abgeholt”, wiederholte der Mann.
Würde mir 'wiederholte Jammerzen' statt der Mann besser gefallen. Auch im weiteten Verlauf.
Ich blieb mit dem anderen Albaner alleine im Flur.
“Güntöar deine Vater?”, fragte er.
“Nein, ein Freund!”
“Ohhh, Freund!”
“Und Meda?”
“Cousin!”
“Aha! Woher in Albanien kommt ihr?”
Er zog die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf.
“Woher?”, sagte ich akzentuiert und setzte meinen Zeigefinger auf einen Punkt in der Luft. “In Albanien?”
“Nicht Albanien, Kosovo!”
“Mhm! Aber Sprache Albanisch?”
“Ja.”
“Verstehe.”
”Und Deutschland gut?”
Er nickte und hob einen Daumen. “Sehr gut!”
“Schön!”
Wir schwiegen und warteten. Einmal kreuzten sich unsere Blicke und wir nickten uns zu. Es war unangenehm und ich ging mich noch einmal umgucken.
Sehr authentisch, mag ich!

“Noch einen Schatz gefunden?”
“Nein.”
“Bin doch schon alles durch.”
“War was dabei?”
Hier kann ich die Personen dem Gesprochenen nicht zuordnen.

Ich hörte, dass Günther und Meda zurück waren.
“Noch einen Schatz gefunden?”
“Nein.”
“Bin doch schon alles durch.”
“War was dabei?”
“Bisschen Silber und eine schöne Herrenuhr. Glashütte, muss aber gemacht werden. Sonst nur Kleinkram für den Flohmarkt.” Er gab uns die Hand. “So Männers, ich bin dann weg!”
Er müsste dann Günther sein, oder doch Jammerzen?

“Ist der doch noch was wert?”, fragte ich.
“Die bauen ja nur den Motor aus.”
“Verstehe”, sagte ich, obwohl mir nicht klar war, wozu sie den Motor brauchten.
Und schon stehen die Kosovo-Albaner wissenstechnisch eine Hierarchiestufe höher, hr, hr.

Wir nahmen wirklich alles mit, was nicht fest verbaut war, jeden Nagel, jede Leiste, jede Matte, selbst die Halterung für das Klopapier.
Warum wird das so explizit erwähnt, ist ja auch nicht fest verbaut.

Fazit: Liess sich flüssig lesen, auch dank authentischen und knapp gehaltenen Dialogen. Aber irgendwie flutschte ich durch die Geschichte, ohne jetzt einem richtigen Konflikt zu begegnen. Gut, das muss ja jetzt nicht immer gleich riesen Drama und so, aber am Ende is die Wohnung leer und die Handwerker können kommen.
Ich wünschte mir da irgendwo noch so ne kleine Kabbelei.

Liebe Grüsse, dot

 

Hallo @H. Kopper

Ich habe deinen Text auch deswegen interessiert gelesen, weil ich selbst vor ein paar Jahren öfter mal an Entrümpelungen beteiligt war. Ich muss dazu sagen, dass ich nur diese aktuelle Version deines Textes kenne. Anscheinend hast du da bereits viel verändert und gekürzt. Die Entwicklung deiner Geschichte kann ich daher leider nicht nachvollziehen, da ich nur die jetzige Version kenne.
Dein Text ist sauber geschrieben. Das sind deine Texte aber ja in der Regel immer. Man erkennt da schon dein routiniertes Schreiben. Als Leser bleibt man nicht stecken, stolpert über nichts. Es gibt keine schiefen Bilder, es liest sich gut und in einem Rutsch sozusagen.
Trotzdem muss ich sagen, dass mich dein Text nicht so richtig erreicht hat. Ich kenne ja auch andere Texte von dir und meistens empfinde ich die als gelungen und ich lese sie in der Regel gerne. Ich habe darüber nachgedacht, warum mir das bei dieser Geschichte anders geht. Deswegen habe ich (anders als bei den sonstigen Challengebeiträgen) hier auch die Kommentare gelesen. Ich finde interessant, was die Intention von dir gewesen zu sein scheint:

Zweitens fand ich als "Geschichte" interessant, dass da ein mehr oder weniger Milieufremder in die Welt dieser Arbeit hereintritt und sie entdeckt.
Ich finde, dass es absolut wert wäre, so etwas in einer Geschichte zu thematisieren. Ich finde das aber in deinem Text eigentlich nicht wieder. Es sei denn, mir ist da massiv etwas entgangen, die Möglichkeit besteht natürlich auch immer. Ich fasse dir mal meinen Eindruck zusammen: Es bestehen Sprachbarrieren zwischen ihm und seinem albanischen Kollegen. Darüber hinaus fehlt mir in deinem Text aber diese Fremde, die du zeigen möchtest. Wo schimmert die denn durch? Er tut sich ja überhaupt nicht schwer damit, diese Arbeit zu verrichten. Im Gegenteil schlägt er dann ja sogar vor, die Dinge einfach aus dem Fenster zu schmeißen, ist also voll dabei sozusagen. Die Fragen die er sich stellt, reichen mir nicht aus. Wozu sie den Motor ausbauen? Ist ihm unklar aber mehr Gedanken macht er sich dann darüber auch nicht. Wenn die Fremde doch mal ein wenig durchschimmert, was folgt dann daraus? Was ergibt sich daraus für den Blickwinkel des Protagonisten und was überträgt sich auf mich als Leser? Der Mann, der den Kopf schüttelt, als sie beginnen, alles Mögliche aus dem Fenster schmeißen, wäre in meinen Augen so eine Stelle gewesen, die das gut hätte aufzeigen können. Aber im Prinzip passiert dann damit auch nichts mehr. Finde ich eine verpasste Chance.

An einer anderen Stelle schreibst du, dass du auch darüber nachgedacht hast, die Wohnung als eigentlichen Protagonisten zu verstehen. Finde ich mindestens genauso spannend wie die Fremde des handelnden Protagonisten. Wäre meiner Meinung nach absolut wert, das auszubauen. So wie dein Text im Moment aber ist, fehlt mir da noch etwas, als dass das so funktionieren würde. Da bräuchte es für mich unter anderem auch mehr plastische Schilderungen der Wohnung. Ich vermisse ein konkretes Bild. Ich fand zum Beispiel den Mantel mit den Mottenlöchern gut. Da kann ich was herauslesen. Aber sonst war mir das zu wenig. Es stehen Fotografien herum. Eines davon hat einen Gelbstich. So what? Da bräuchte es für mich mehr, damit auch das Leben hinter dieser Wohnung lebendig wird und etwas erzählt. Es brächte für mich mehr Dinge wie zum Beispiel den Mantel, der mir einen Hauch des Lebens zeigt, dass da entrümpelt wird. Das ist mir bisher noch zu distanziert bzw. zu wenig aussagekräftig. Vielleicht würde es den Text stärken, wenn die Bilder, die du aufmachst detaillierter wären? Da bin ich mir unsicher.

Aber ich vermute auch, dass du dich bewusst gegen eine solche Perspektive entschieden hast, es also kein Versehen ist, dass das so in deinem Text nicht stattfindet? Ich lese hier nämlich eine andere Schwerpunktsetzung. Der handelnde Protagonist steht im Fokus. Weniger das Leben derjenigen, die in der Wohnung gewohnt haben. Und ganz grundsätzlich bin ich mir unsicher, ob es nicht wert wäre, das noch mal anders aufzuziehen.
Ich habe damals in meiner Zeit mal in einem komplett vollgestopften Haus gearbeitet. Ich kann mich an einen Raum mit Kartons bis zur Decke erinnern. Die Kartons waren vollgestopft mit (teilweise noch eingeschweißten) Sportsocken. Das war absurd und ich habe es noch heute vor Augen. Ich weiß auch noch wie seltsam das Gefühl für mich war, mit Arbeitsschuhen in einem fremden Wohnzimmer zu stehen, zu rauchen und in vergilbten Landserheften, die wirklich stapelweise zwischen anderem Schund herumlagen, herumzublättern. Im Nachhinein habe ich mir jedenfalls immer vorgestellt, was das für Leute gewesen sind, die zwischen Landserheften und Sportsocken gelebt haben.
Was ich sagen möchte, ist, dass mir dieser Fokus in deinem Text fehlt. Mir scheint es, als wäre die alte Frau (und auch ihr Leben) im Grunde austauschbar. Und gerade, dass so ein Leben innerhalb eines Tages quasi einfach so verräumt und verramscht wird, wäre in meinen Augen doch das wirklich Interessante. Dafür müsste der Text aber stärker in diese Richtung gehen wollen.

die Sanitärkeramik herauszubrechen und die Fliesen zu wegzumeißeln.
Streichen

Nun ja, ich hoffe, du kannst mit meinem kritischen Kommentar etwas anfangen.

Viele Grüße
Habentus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @dotslash,

vielen Dank für deine Zeit und deinen Kommentar!

Du lieferst mir einen Einblick in den geschäftsmässigen Vorgang der Auflösung eines Haushalts. Oder etwas dispektierlich Entrümpelung. Heisst, Gerümpel wird getrennt von Sachen mit Wert abtransportiert und entsorgt.

Genau! Wobei das wirklich Erstaunliche ist, was wir als Gesellschaft alles für "wertlos" befinden. Das mal als Kommentar abseits der Story. Ich habe oft gedacht: Man bräuchte kaum noch etwas kaufen, wenn man sich frei auf einer Müllkippe und an ähnlichen Orten bedienen könnte.

Fazit: Liess sich flüssig lesen, auch dank authentischen und knapp gehaltenen Dialogen. Aber irgendwie flutschte ich durch die Geschichte, ohne jetzt einem richtigen Konflikt zu begegnen. Gut, das muss ja jetzt nicht immer gleich riesen Drama und so, aber am Ende is die Wohnung leer und die Handwerker können kommen.

Ja, einen wirklichen Konflikt gibt es nicht. Für mich liegt der Konflikt hier irgendwie auf der Meta-Ebene und nicht so wirklich in der Story selbst. So nach dem Motto: Was heißt es eigentlich, wenn etwas so stattfindet?

Ich wünschte mir da irgendwo noch so ne kleine Kabbelei.

Ich hatte so einen Text schon lange vor der Challenge im Sinn und da hätte es einen handfesten Konflikt gegeben und auch eine teilweise andere Thematik. Das hat dann aber nicht zur fliegenden Oma gepasst und ich habe es ausgespart. Vielleicht setze ich das irgendwann noch zusätzlich um. In der Story hier habe ich einfach keine Kabbelei vor Augen, die ich erzählen kann.

Freundliche Grüße

HK

+++++

Dein Text ist sauber geschrieben. Das sind deine Texte aber ja in der Regel immer. Man erkennt da schon dein routiniertes Schreiben. Als Leser bleibt man nicht stecken, stolpert über nichts. Es gibt keine schiefen Bilder, es liest sich gut und in einem Rutsch sozusagen.

Hallo @Habentus,

vielen Dank für deinen Kommentar und natürlich auch für dieses Kompliment (ich fass das mal als eines auf :D). Ich kann meine Antwort kurz halten: Mittlerweile kristallisiert sich für mich immer mehr heraus, dass die Vorversion weitaus besser war in den Augen der Mehrheit. Mit diesem Fazit kann ich nicht nur gut leben, es freut mich sogar, da sie mir persönlich näher war bzw. ist als der jetzige Text – und ich habe sie ja noch "zu Hause".

Ich würde als normalerweise schlussendlich sie auswählen, will nur nicht zu ihr zurückwechseln, denn das wäre dann wirklich zu viel des Hin und Hers – es ist ja jetzt schon verwirrend. Dein Feedback ist sehr wertvoll, weil es mir aufzeigt, wo für die meisten Leser ungefähr die Grenze der Verknappung verläuft. Irgendwann wird es zu steril und seelenlos. Der Text ist wohl in diese Zone gerutscht.

Freundliche Grüße

HK

 

Hallo @H. Kopper,

deine Geschichte hat einen interessanten Titel, er passt gut zum Inhalt: Die Reste eines ganzen Lebens werden "gefressen". Aber klar, die "Aasfresser" müssen auch überleben. Und was sie selbst verschmähen, bleibt für andere ... Wenn man die beschriebene Situation als Metapher für das vergängliche Dasein ansieht, ergibt sich über die eigentlich schlichte Handlung hinaus ein melancholischer Subtext.
Ein grundsätzliches Problem bei solchen Texten ist der fehlende Spannungsbogen. Wie weit kann man als Autor gehen, ohne den Leser zu verlieren (und trotzdem Eintönigkeit, Tristesse usw. vermitteln)? Da gibt es sicher individuelle 'Schmerzensgrenzen.
Meine war (noch) nicht erreicht, Inhalt und Form waren in einem sich gut ergänzenden Gleichgewicht.
Du hast mich nachdenklich in der Wohnung, die

restlos ausgehöhlt
ist, zurückgelassen – mit dem Gefühl, dass (wenn die Fliesen entfernt sind) dem Ende ein Anfang innewohnt.

LG,


Woltochinon

 

Wenn man die beschriebene Situation als Metapher für das vergängliche Dasein ansieht, ergibt sich über die eigentlich schlichte Handlung hinaus ein melancholischer Subtext

Hallo @Woltochinon,

schön, dass du das so siehst – ich denke, so war das mehr oder weniger bewusst auch gedacht.

Ein grundsätzliches Problem bei solchen Texten ist der fehlende Spannungsbogen

Da gebe ich dir recht. Bei der Vorgängerverseion hatte ich so einen in Ansätzen, aber dann habe ich ihn für diesen Challenge-Text eliminiert. Mir kam es so vor, als würde er der eingangs zitierten Deutung im Wege stehen. Es ist halt schwer, eine Handlung um eine Figur aufzubauen, die nicht im Zentrum stehen soll: die alte Frau, symbolisch vertreten durch die Wohnung und das "Gerümpel". Gut, dass du für dich zum Schluss gekommen bist:

Inhalt und Form waren in einem sich gut ergänzenden Gleichgewicht.

Das freut mich natürlich sehr, genauso wie, dass du mit diesen Worten schließt:

Gefühl, dass (wenn die Fliesen entfernt sind) dem Ende ein Anfang innewohnt

Darauf wollte ich mit diesem Motiv hinaus. Hatte das sogar anfangs ausbuchstabiert. Ich sehe durch deinen Kommentar: Es kann auch mit der Leerstelle so gelesen werden! Dann ist es ja alles gut mit der Sparsamkeit in dieser Hinsicht.

Ich bedanke mich für deine Zeit und den Kommentar und grüße freundlich,

HK

 

Hallo @H. Kopper ,
ich hatte die erste Version schon gelesen und fand sie gar nicht so schlecht, besonders den Anfang mit den Albanern. Zuerst wird man im unklaren gelassen, worum es geht, nachher klärt es sich auf, dass das eine Arbeitsgelegenheit ist.
Von allen Sätzen stach mich der Satz: "Hier in die Welt der körperlichen Arbeit passte ich nicht rein, aber in die Welt der Universität auch nicht", ins Auge. Ist nur sinngemäß wiedergeben. Das Thema würde sich noch weiter ausbauen lassen, denke ich, aber in einem anderen Text. Das Nirgendwo richtig reingehören, das viele kennen.
Deinen Text über die Wohnung fand ich flüssig geschrieben, wobei dabei vielen bestimmt Angst und Bange wird, wenn sie daran denken, wie es mal kommen kann. So was versuche ich zu vermeiden. Ich will die Leute nicht runterziehen. Nachher müssen sie noch die doppelte Dosis Antidepressiva schlucken.
Bei dem Thema geht das wohl gar nicht anders. Hier gab es mal eine Weile ein jährlichen Literaturwettbewerb über den Bahnhof Ostkreuz. Als ich im Web darauf stieß und mir die Beiträge durchlas, entwickelte ich eine Depression, denn die meisten der Autoren waren sowas von negativ eingestellt und sahen alles grau in grau. Bestimmt die Meisten Zugezogene wie ich, die es schwer haben, hier anzukommen. Selbst bei "Liebe am Ostkreuz" ging es nur um Selbstmord. Die Nachwuchsschriftsteller schrieben sich ihren eigenen Frust von der Seele. Das ist keine Literatur, indem man nur seine Ängste auf Andere überträgt. Ich möchte eher, dass die Leute aus meinen Texten Stärke rausziehen und Mut gewinnen. Ich weiß aber nicht, ob mir das gelingt.
Gruß Frieda

 

Hey @H. Kopper,

wie du den Text angelegt hast, ist das eine recht technische Beschreibung einer Wohnungsauflösung. Du legst das übliche Prozedere dar, das Sortieren, das Fahren zur Kippe, die Resteverwertung, etc.. Da sind interessante Beschreibungen bei und das ist gut geschrieben - du schreibst ja auch im Infotext, das sei ein Destillat wahrer Begebenheiten - es geht nur leider kaum darüber hinaus, mir fehlt da der Impact dieser Erfahrung. Aus dem Text lese ich zwischendurch sowas wie ein schlechtes Gewissen des Protas, vllt. ein Unwohlsein oder eine leise Verunsicherung, ob das alles richtig ist, was sie dort tun und wie sie es tun. Damit meine ich z.B. den Absatz mit der Unterwäsche der Frau, doch der Prota schiebt das Gefühl zur Seite, wie du schreibst, und entdeckt, dass ihm das Zertrümmern Spaß macht (Sandburg), bis er selbst den Vorschlag macht, einfach alles aus dem Fenster zu werfen, weil das schneller geht und weniger mühsam ist. Für mich wäre an der Stelle Gelegenheit gewesen, tiefer reinzugehen. Aber das ist nur meine Lesart, mir persönlich fehlt ein wenig Focus und Seele in dieser Geschichte.
Welche Geschichten lese ich gerne, welche bleiben mir in Erinnerung? Das sind diejenigen, die es schaffen, mich emotional zu berühren, mich zum Nachdenken anzuregen, die vllt. ein Fenster nach außen weisen aus der Geschichte raus, weil sie etwas erzählen, das auf das Dasein der Menschen allgemein übertragbar ist. Das bleibt hängen.
Es geht ja nicht nur darum, dass eine Wohnung entkernt wird, sondern um Spuren, die ein Leben in der Welt hinterlässt, bzw. nicht mehr hinterlassen kann, weil diese Spuren heute professionell vernichtet werden und dabei nur die kommerzielle Verwertbarkeit zählt. Daraus ergibt sich genügend Potential für einen Konflikt, innere Widersprüche, einen Bruch. Weil der beschrieben Ablauf da aber glatt drüberzieht, inkl. Prota, denke ich nach dem Lesen irgendwie schade, wie das läuft, aber es erreicht mich nicht so wirklich. Das wäre anders, wenn du stärker fokussierst, beispielsweise der Prota den Pelzmantel anzieht und durch Albernheiten lächerlich macht und dann ein Foto findet mit der Verstorbenen, wo sie so alt ist wie der Prota jetzt und ebendiesen Pelzmantel trägt. Und auf der Rückseite steht irgendwas geschrieben, das er so ähnlich auch geschrieben haben könnte, wodurch sich sein Focus verschiebt. Oder ein anderer Haken, der es aus dem rein Alltäglichen rauszieht.

Kleinkram:

Nehmw ich!
bestimmt nehme.
Hell kichernd lachte Meda das erste Mal an diesem Tag richtig.
das ist wie laut heulend weinen eine Dopplung.
Die bauen ja nur den Motor aus.
Und die Kosovaren wissen nicht, dass ein Kühlschrank einen Kompressor hat und keinen Motor?

Gruß, l2f

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @H. Kopper.
vielen Dank an dieser Stelle für deine Antwort unter meiner Geschichte, damit kann ich gut was anfangen und werde dir natürlich auch noch antworten (bin da aber nicht so schnell). Aber jetzt zu deiner Geschichte, in der es um das Entrümpeln der Wohnung einer verstorbenen Frau geht und damit auch um die Frage, was bleibt. Für mich gibt es zwei Aspekte, die mir besonders aufgefallen sind und verhindern, dass mir der Text irgendwie nahe kommt. Das ist zum einen der Ich-Erzähler, der sehr nüchtern und neutral die Situation beschreibt. Es gibt nur wenig, was er uns darüber erzählt, wie er die Situation empfindet oder bewertet. Er beschreibt vorwiegend visuell die Umgebung, d.h. die Wohnung. Der Leser bekommt aber nur sehr wenig Einblick darin, wie es dem Ich in der Situation geht uach die Beschreibungen helfen da nicht weiter, dadurch wirkt sowohl das Ich als auch der Text irgendwie ... nüchtern, emotional kühl, sehr sachlich usw. Der zweite Aspekt betrifft den Plot, der keinen einzigen Konflikt enthält, was mMn das größte Problem der Geschichte ist. Ich glaube, am Ende bedingen sich beide Aspekte gegenseitig. Der Erzähler hat nichts zu erzählen, außer einem Ablauf von recht alltäglichen Ereignissen, weil es keinen Konflikt in ihm oder um ihn herum gibt, dadurch bleibt er irgendwie "unsichtbar" (no pun intended!) und als Leser kann ich weder ihm noch dem Text nahe kommen.

In dem Infofeld fragst du nach der Stimmung. Für mich liest sich das eher wie ein Bericht und was ich vermisse, ist, ein Subtext, eine zweite Ebene. Ich lese, was dort steht, so richtig viel mehr bewegt sich nicht in mir. Ich weiß, also auf kognitiver Ebene, dass es darum geht, was nach einem Leben bleibt (für mich trifft das im Übrigen auch nur so mittelprächtig das Thema), aber ich hatte tatsächlich an keiner Stelle beim Lesen diesen Gedanken, sondern habe mir den nach dem Lesen hergeleitet. Auch der Dialog bietet irgendwie keine zweite Ebene. Ist jetzt vermutlich nicht so richtig hilfreich, aber ich würde sagen, der Text atmet nicht, es gibt keine Stelle, an der ich wirklich weiterdenke, wo Platz ist, wo etwas implizit ist (vielleicht am ehesten die Stelle mit dem Strandtag, aber das ist ja auch nur ein Stichwort). Ich hab mir ja den Film angeschaut und ich würde sagen, dort ist die Wohung der Protagonist, die Geschichte wird aus Sicht der Wohnung erzählt, man ist dabei, wenn die ausgeräumt wird und ich glaube, es war als der Schrank eingetreten wurde, dass ich eben genau das dachte: Ja, das ist was bleibt. Am Ende wird gefegt, das fand ich auch ein eindrückliches Bild (da würde ich den Text auch beenden - was danach kommt, wissen wir ja auch so).

Hier noch ein bisschen Textkram:

Gegenüber von einem Sofa mit tiefen Kissen stand eine braune Holzwand mit Fächern und Türen.
Ich weiß nicht, was tiefe Kissen sind und braune Holzwand mit Fächern und Türen klingt sehr seltsam. Ich kenne dafür eher den Begriff "Schrankwand"
“Und hier habe ich noch ein paar Sachen aussortiert für mich.”
Er machte einen Schritt ins Schlafzimmer und zeigte hinter die Wand.
Er zeigt hinter die Wand? Steht er in der Tür, oder wie soll ich mir das vorstellen. Da hat er Sachen liegen, die er behalten will? Der Erzähler beschreibt sonst sehr ausführlich was er sieht, aber hier nicht ...
Scheinbar hatte die Frau schon lange alleine gelebt.
Ich denke, es muss "Anscheinend" heißen, nicht "Scheinbar"
Mir kam eine Idee. “Warum schmeißen wir das Zeug nicht einfach aus dem Fenster?”
erklärt sich von selbst, wenn er die Frage stellt. Ach, vielleicht an dieser Stelle noch mal zu den Dialogen: Beim ersten Lesen war ich echt überfordert, weil ich meist nicht wusste, wer spricht, und ich hatte darum einen eindeutigen Impuls das Überlesen zu wollen ...

Viele Grüße
Katta

 

Hallo in die Runde,

das Feedback war in seiner Summe nicht mehr zu ignorieren, deswegen bin ich doch zur überarbeiteten und längeren Ur-Version zurückgekehrt. Ich habe mal gesammelt, was zur Entscheidung geführt hat. Es war am Ende einfach zu viel Verknappung, das ist eindeutig:

Ich empfand die vorherige Version als besser.

Da gibt es kein verbindendes Element zwischen dem Erzähler und den Geschehnissen. Es wird nichts gespiegelt, ihm kommt kein Gedanke, es scheint parallel zu seinem Leben zu verlaufen, aber nie etwas direkt mit ihm selbst zu tun zu haben.

Und mich wundert diese Drastik, weil ich im Protagonisten zwischenzeitlich einen feinen Beobachter erkenne, der sich Gedanken macht, der seine Gedanken dann aber häufig auch wieder abbricht, bevor es für mich als Leser interessant wird.

Ich habe hier bei den Kommentaren nur oberflächlich mitgelesen, aber mitbekommen, dass es schon einige frühere Versionen gab. Die kenne ich aber nicht.

Aber irgendwie flutschte ich durch die Geschichte, ohne jetzt einem richtigen Konflikt zu begegnen.

Ich finde, dass es absolut wert wäre, so etwas in einer Geschichte zu thematisieren. Ich finde das aber in deinem Text eigentlich nicht wieder.

Ein grundsätzliches Problem bei solchen Texten ist der fehlende Spannungsbogen.

ich hatte die erste Version schon gelesen und fand sie gar nicht so schlecht, besonders den Anfang mit den Albanern

Das wäre anders, wenn du stärker fokussierst, beispielsweise der Prota den Pelzmantel anzieht und durch Albernheiten lächerlich macht und dann ein Foto findet mit der Verstorbenen, wo sie so alt ist wie der Prota jetzt und ebendiesen Pelzmantel trägt.

Für mich liest sich das eher wie ein Bericht und was ich vermisse, ist, ein Subtext, eine zweite Ebene.

Ich bedanke mich auf diesem Weg noch einmal für eure Zeit und eure Anmerkungen, vor allem auch euch, @Frieda Kreuz, @linktofink, @Katta, denn euch habe ich ja noch nicht geantwortet. Gerade eure Kommentare haben noch einmal unterstrichen, was ich auch nach Feedback im "real life" im Grunde schon wusste.

Wer Lust hat und die Lang-Version noch nicht kennt, darf sie sich natürlich sehr gerne durchlesen und vielleicht noch den einen oder anderen Satz dazu dalassen, ob dieser Text es besser macht.

Freundliche Grüße

HK

 

Hallo @H. Kopper,
gemocht habe ich bisher alle drei Varianten, auch die Letzte, bei der es fast nur noch um die Wohnung ging, die praktisch "ausgeweidet" wurde. Das läuft jetzt immer noch so mit, dass es auch befriedigend ist, rauszuschmeißen, abzureißen, wieder auf Null zu bringen. Der Titel und auch die Gedanken, die Henry sich flüchtig macht, weisen wiederum darauf, dass es hier eben auch um ein Leben geht, dessen Überreste verteilt und entsorgt werden.
Ich finde es eine richtige Entscheidung, diese Variante hier zu nehmen, denn die Interaktion zwischen den Leuten hast du interessant und genau gezeichnet, das wäre schade drum. Auch die Themen von Henry, sein Wunsch dazuzugehören, Anerkennung zu bekommen, was ja auch funktioniert, das wird viel deutlicher.
Und dein Text befriedigt auch schlicht die Neugierde, wie so etwas eigentlich ablaufen kann. (Und bestätigt auch ein bis zwei Vorurteile)

Ich musste gähnen, was Günther sofort amüsiert kommentierte. „Das kennt der Student nicht, wie? Früh raus und schaffen.“
„Doch, schon“, sagte ich, obwohl er vollkommen recht hatte.
Ich vergrub die Hände in den Taschen meines Kapuzenpullis und schloss die Augen.
Ich finde, da hast du jetzt die beste Lösung gefunden. Da hattest du längere Erklärungen anfangs, so finde ich das viel besser und trotzdem eine kleine Szene, die schon den Ton und das Thema setzt.
“Oder Toni für Anton”, sagte ich.
Doni schaute mich fragend an und Meda sagte, “Nisch Toni, Doni!”
Ich bereute, mich eingemischt zu haben.
“Ja, hab ich verstanden. Doni! Hat das eine Bedeutung?”
“Freiheit”, sagte Meda und Doni nickte.
Toll, auch komisch.
Wir rückten bis in Wohnzimmer vor. Dafür, dass es in einer Etagenwohnung lag, war es groß. An der Wand stand ein ausladendes Stoffsofa mit tiefen Kissen, auf dessen Rückenlehne ein kleiner Klabautermann thronte. Er schaute mit glotzenden Augen auf eine dackelbraune Schrankwand aus Holz.
Ja, es hat was von Invasion. Skurril, das kriegerische Vokabular und die dackelbraune Schrankwand.
“Guten Morgen!” Ein kleiner Mann in Anorak und Jeans schaute in die Runde. Seine dünnen Haare trug er gescheitelt, am Hals hatte er bei der Rasur nicht sauber gearbeitet. “Sind Sie schon fleißig?”
Beschreibung und Wortwahl - passt perfekt.
Ich fragte mich, ob Günther und Meda die Möbel verrechneten oder ob es ein Geschenk war – und ob ich mir auch einfach Sachen zum Mitnehmen aussuchen durfte?
Interessant ist ja durchgängig, dass die Situation neu ist, dass Henry versucht, die Regeln herauszufinden, damit beschäftigt ist, sein Verhalten anzupassen.
Einiges erinnerte mich an die Wohnung meiner Oma, etwa das nicht gerade üppig gefüllte Regalfach mit den Büchern, allesamt Hardcover wie Ziegelsteine: Meyers Konversations-Lexikon, Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Es muss nicht immer Kaviar sein. Oder der wuchtige Röhrenfernseher über dem silbernen Stereoanlagenwürfel, Grundig und Loewe, zwei Traditionsmarken eingemauert im Zentrum der Schrankwand, linear, statisch und analog. Ich öffnete eine Klappe und fand die Hausbar und eine vielfältige Auswahl an Gläsern, auch das wie bei meiner Oma.
Neugierde ist schon da, auch die Erinnerung an die eigeneOma.
Die Laster und Sünden, sie wurden früher noch versteckt, und wenn es nur pro forma war. Ich beugte mich vor und betrachtete die Fotos im Fach darüber.
Er macht sich auch seine Gedanken, aber nicht sehr emotional. Die Erinnerung an die Oma löst jetzt nichts weiter aus, so kommt es mir vor. Im Grunde ist es ja ein Eindringen in eine Privatsphäre, mit allen Gefühlen, Neugier, Ekel vor der Bettwäsche, sich das Beste raussuchen, dann wieder Lust an der Zerstörung, am Ende das Essen der abgelaufenen Pizza. Da gibt es ein Zögern, zwischen durch auch leise Scham.
Freude füllte meine Brust. Ich durfte eine Wohnungseinrichtung kurz und klein schlagen wie ein besoffener Rockstar und wurde noch dafür bezahlt! Ich zog eine Schublade aus der Kommode und schmetterte sie auf dem Boden. Beim zweiten Mal zersprang sie. Ich machte auch aus den anderen Schubladen Kleinholz, dann griff ich mir ein dickes Brett und drosch damit auf den Korpus ein, bis er zerbarst. Es war ein herrliches Gefühl, dasselbe Gefühl, das ich als Kind gehabt hatte, wenn ich am Ende eines Strandtages die Sandburg zertreten hatte. Etwas aufbauen ist gut, aber es zu zerstören ist besser, denn es führt die Dinge wieder in ihren Urzustand zurück.
Hier würde mir diese lustvolle Beschreibung reichen, das Schwarze ist zu erklärend, fast schon rechtfertigend am Ende. Und die Sandburg ist für mich ein ganz anderes Gefühl vom Material her, das konkurriert dann eher mit dem Bild davor.
Er ging auf den Balkon und beugte sich über die Brüstung. “Is ja wirklisch nur die Einfahrt da unten.”
Raffiniert gelöst, wie du den Titel der Challenge noch mit drinhast, einschließlich der Beklemmungen, die er auslöst. Zufall?
Ich verteilte drei Schwenker und goss ein. “Auf die alte Frau, die hier gewohnt hat! Möge sie in Frieden ruhen.”
Ich meinte das scherzhaft und Meda lachte, doch Doni blieb ernst, nachdem er erfuhr, was ich gesagt hatte. Darüber dachte ich später lange nach.
Hier zum Beispiel. Für diese Arbeit werden Leute gebraucht und bezahlt, die nicht zimperlich sind, aber jeder hat trotzdem so seinen nachdenklichen Moment.
Eine Packung mit Minipizzen war schon abgelaufen, sah aber noch gut aus. Ich überlegte, ob ich sie mir aufbacken konnte. War das pietätlos? War es eklig? War es unkollegial? Ich fand keine triftigen Gründe, es nicht zu tun, und schaltete den Backofen auf 220. Als Meda und Doni später davon erfuhren, lachten sie mich aus. Ich öffnete einen der Küchenschränke und holte eine Schachtel Kekse heraus.
“Die wollt ihr dann wohl auch nicht?”
gute Stelle
Auch Doni gab mir die Hand. Ich stieß die Tür des Transporters auf und setzte den Fuß auf die Stufe.
"Bis du nächste Mal wieder dabei?"
Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Aber es sprach nichts dagegen. Im Gegenteil. Ich fühlte mich nach dem Tag angenehm erschöpft wie selten zuvor, so als hätte ich mir eine große Last vom Hals geschafft.
Ja, es ist eigentlich ein Happy end. Er gehört nun dazu.

Ich habe das gerne gelesen.

Liebe Grüße von Chutney

 

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