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- Anmerkungen zum Text
Der Text ist ein Destillat wahrer Begebenheiten. Nach dem Schreiben habe ich mich daran erinnert, dass einmal eine Kurz-Doku über eine dieser Begebenheiten gedreht wurde. Ich konnte diesen Film soeben im Netz aufspüren. Er enthält überraschenderweise sogar die aus dem Fenster fliegende Oma, was ich gar nicht mehr wusste. – Für mich wäre es sehr spannend, wenn jemand erst den Text liest und sich dann den Film ansieht (er geht nur 12 Minuten). Wie ähnlich sind sich die Stimmungen? Wurden ähnliche Bilder erzeugt? Ist die Interpretation am Ende ähnlich? Es wäre echt ein Gewinn für mich als lernenden Autor, dazu ein paar Antworten zu erhalten. Den Link würde ich dann bei Interesse per DM schicken.
Änderungsprotokoll
2. Runde
- Titel erneut geändert
- Text sehr stark gekürzt
- Stärker auf einen Aspekt fokussiert
- Erzähler wieder geschwächt
- Figur Doni zu "anderer Albaner" reduziert
- Chronologie geändert
- Titel geändert
- Passagen gestrichen
- Passagen ergänzt (Intro u. a.)
- Erzähler gestärkt (mehr Reflexion, mehr Kommentar)
Aasfresser
Der Flur roch nach Schuhputzmittel, Altfrauenparfüm und Frittierfett. An einer Garderobe hingen Jacken und Schals, auf der Ablage lag ein Damenhut. Günther zeigte auf den Boden. “Das Linoleum muss auch raus.”
Wir rückten ins Wohnzimmer vor. Für eine Etagenwohnung war es groß. Gegenüber von einem Sofa mit tiefen Kissen stand eine braune Holzwand.
“Gelsenkirchner Barock”, sagte Günther und zwinkerte mir zu.
“Ja, genau”, sagte Meda und machte prüfend eine der Türen auf.
“Interesse?”
“Danke, aber das will ja keiner mehr haben.”
“Also weg!”
“Aber das ist eine schöne Stück.” Er machte einen Schritt auf eine Kommode zu. “Diese nehme ich, wenn ich darf.”
“Ja, klar, nimm mit!”
Er sagte etwas zum anderen Albaner, dann zu mir, “Diese bleibt!”
Wir gingen durch die übrigen Räume.
“Weg” – “Weg!” – “Nehm ich mit.” – “Weg!”
Im Bad stand eine alte Waschmaschine.
“Miele!”, sagte Meda und der andere nickte.
“Nehm ich auch mit.”
Es klingelte. Günther öffnete mit einem Ruck die Wohnungstür. “Herr Jammerzen!”
“Guten Morgen!” Ein kleiner Mann in Anorak und Jeans schaute in die Runde. Seine Haare trug er gescheitelt, am Hals hatte er bei der Rasur nicht sauber gearbeitet. “Sind Sie schon fleißig?”
“Wir haben uns gerade ein Bild gemacht”, sagte Günther mit betonter Ruhe. “Aber es ist ja im Grunde alles besprochen. Das Linoleum kommt raus, das Bettgestell wird später abgeholt …”
“Das Bettgestell wird später abgeholt”, wiederholte der Mann. “Und hier habe ich noch ein paar Sachen aussortiert für mich.”
Er machte einen Schritt ins Schlafzimmer und zeigte hinter die Wand.
“Lassen wir stehen!”
Der Mann bestand darauf, Günther und Meda noch einmal den Keller zu zeigen, obwohl sie ihm versicherten, dass das nicht nötig sei.
Ich blieb mit dem anderen Albaner alleine im Flur.
“Güntöar deine Vater?”, fragte er.
“Nein, ein Freund!”
“Ohhh, Freund!”
“Und Meda?”
“Cousin!”
“Aha! Woher in Albanien kommt ihr?”
Er zog die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf.
“Woher?”, sagte ich akzentuiert und setzte meinen Zeigefinger auf einen Punkt in der Luft. “In Albanien?”
“Nicht Albanien, Kosovo!”
“Mhm! Aber Sprache Albanisch?”
“Ja.”
“Verstehe.”
”Und Deutschland gut?”
Er nickte und hob einen Daumen. “Sehr gut!”
“Schön!”
Wir schwiegen und warteten. Einmal kreuzten sich unsere Blicke und wir nickten uns zu. Es war unangenehm und ich ging mich noch einmal umgucken. Mit den Händen in den Taschen schlenderte ich ins Wohnzimmer. Ein einziges Regalfach war nicht gerade üppig mit Büchern bestückt, allesamt Hardcover dick wie Ziegelsteine. Meyers Konversations-Lexikon, Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Es muss nicht immer Kaviar sein – nichts Spannendes dabei. In der Mitte der Wand saß wie eingemauert ein wuchtiger Röhrenfernseher über einem silbernen Stereoanlagenwürfel, alles Technik von gestern. Hinter einer Klappe fand ich die Hausbar und eine ganze Auswahl an Gläsern, darüber im Fach waren ein paar gerahmte Fotos aufgereiht. Ich beugte mich vor, um sie näher zu betrachten. Eines hatte einen starken Gelbstich und zeigte ein mittelaltes Paar, das vor einem Alpensee posierte, ein anderes einen Mann im Rentenalter. Er saß in Anzug und Krawatte vor einem Fotografenhintergrund und lächelte gezwungen in die Kamera. Über eine der oberen Ecken war ein schwarzes Band geklebt worden. Scheinbar hatte die Frau schon lange alleine gelebt. Fotos von Kindern gab es keine, der Mann von eben war wohl nicht der Sohn. Vielleicht ein Neffe? In der Küche fand ich ein Messerset und ein paar andere Dinge, die ich gebrauchen konnte. Ich verstaute sie in einem Pappkarton und stellte sie zur Seite. Ich hörte, dass Günther und Meda zurück waren.
“Noch einen Schatz gefunden?”
“Nein.”
“Bin doch schon alles durch.”
“War was dabei?”
“Bisschen Silber und eine schöne Herrenuhr. Glashütte, muss aber gemacht werden. Sonst nur Kleinkram für den Flohmarkt.” Er gab uns die Hand. “So Männers, ich bin dann weg!”
Wir machten uns ans Werk. Aus dem Kleiderschrank schlug mir der modrige Geruch eines Second-Hand-Ladens entgegen. Ich nahm so viele Blusen und Jacken von der Kleiderstange, wie ich greifen konnte, faltete sie über meinem Arm zusammen und stopfte sie mitsamt der Bügel in den Sack. Es waren schlichte, aber hochwertige Stücke. Ganz am Rand hing ein Pelzmantel. Ich schlüpfte hinein und trat damit zu Meda und dem anderen ins Zimmer. Die beiden lachten.
“Ist der nichts mehr?”
Meda warf kopfschüttelnd einen Blick aufs Innenfutter. “Motten!”
Er zeigte mir die Löcher.
Nach dem Schrank nahm ich mir die Kommode vor. Es war im ersten Moment seltsam, die Unterwäsche der alten Frau in die Hand zu nehmen, aber ich schob das Gefühl zur Seite und räumte die Kommode in wenigen Minuten leer. Meda kam in den Raum. “Wie sieht’s aus hier?”
“Säcke sind gepackt. Hast du einen Hammer?”
“Wofür?”
Ich nickte in Richtung des Schranks.
“Brauchst du keine Hammer!”
Er trat mit Wucht gegen die Rückwand, bis sie heraussprang. Anschließend lehnte er sich mit der Schulter gegen die Seite und der Schrank fiel krachend in sich zusammen.
“Siehst du? Brauchst du keine Hammer!”
“Oder so ...”
Ich zog die Schubladen aus der Kommode und zerschmetterte sie auf dem Boden, dann griff ich mir ein dickes Brett und drosch damit auf den Korpus ein, bis auch er zerbarst. Es war ein herrliches Gefühl, dasselbe Gefühl, das ich als Kind hatte, wenn ich am Ende eines Strandtages die Sandburg zertrat. Auch im Wohnzimmer wurden jetzt die Möbel zusammengeschlagen. Ich ging rüber, um mitzumachen.
Den ganzen Krempel die Treppe nach unten zu tragen, war sehr anstrengend. Mir kam eine Idee. “Warum schmeißen wir das Zeug nicht einfach aus dem Fenster?”
Meda lachte. “Sollten wir ja eigentlich machen, nä?"
Aber ich hatte keinen Scherz gemacht. “Vor dem Haus ist doch genug Platz. Was soll passieren?”
Er runzelte die Stirn. “Is vielleicht ja gar nisch so eine schlechte Idee.”
“Wir müssen nur Bescheid sagen. Nicht, dass sich jemand rausbeugt und dann… ”
Ich schlug mir mit der flachen Hand auf den Kopf. Hell kichernd lachte Meda das erste Mal an diesem Tag richtig. “Das wär ja schlecht, nä?”
Er sah zum anderen und der zuckte mit den Schultern.
Nacheinander ließ ich die ersten Bretter fallen. Sie trafen mit einem lauten Knall auf und ich befürchtete, dass gleich ein besorgter Nachbar gucken käme. Also holte ich die Matratze und schmiss sie als Dämpfer in die Einfahrt. Jetzt ging es fast geräuschlos. Auf einer der Rückwände von der Wohnzimmerwand klebte ein verblichenes Preisschild. Fast achttausend Mark! Jetzt landete das Teil auf demselben Stapel wie das billigste Sperrholzschränkchen. Ich sah mich nach anderen Gegenständen um. Das Bettzeug war noch bezogen und ich wandte den Kopf ab, um nicht daran riechen zu müssen. Im Fallen spannte sich die Decke auf und segelte ins Gras neben der Einfahrt. Ein älterer Herr, der mit seinem Hund vorbeispaziert kam, blieb stehen und betrachtete die Szenerie kopfschüttelnd.
Mit dem Gewicht des Holzes war der Wagen bald voll und wir fuhren das erste Mal zur Kippe. Neben der Auffahrt saßen zwei Typen mit dunklen Bartschatten. Sie trugen Wollmützen und grelle Skijacken.
“Zigeuner”, sagte Meda spöttisch und der andere grinste. Einer der Männer deutete auf unsere Ladung und Meda nickte. Der Mann stand auf und kam an die Fahrertür.
“Hast du was, meine Freund?”
“Kühlschrank”, raunte Meda und der Mann winkte seinem Kompagnon. Meda machte sich nicht die Mühe auszusteigen. Ich hörte, wie die Tür zum Laderaum aufgemacht wurde. Es kratzte und schepperte kurz, dann wurde die Tür wieder geschlossen. Die Männer stellten den Kühlschrank neben den Bierkisten ab und setzten sich wieder hin.
“Ist der doch noch was wert?”, fragte ich.
“Die bauen ja nur den Motor aus.”
“Verstehe”, sagte ich, obwohl mir nicht klar war, wozu sie den Motor brauchten.
Wir räumten auch den ganzen Nachmittag. Gegen vier holte Meda Kaffee. Ich hatte eine Schachtel Kekse gefunden und reichte sie herum. Dazu goss ich uns einen Cognac aus der Hausbar ein. Nach der Pause leerten wir den Keller. Dort standen in zwei morschen Holzregalen unzählige leere Einmachgläser und es dauerte ewig, sie alle in irgendwelchen Eimern und Wannen zu zertrümmern. Ganz zum Schluss schraubten wir in der Wohnung alle Gardinenstangen, Lampen und Haken ab. Wir nahmen wirklich alles mit, was nicht fest verbaut war, jeden Nagel, jede Leiste, jede Matte, selbst die Halterung für das Klopapier.
Es dämmerte draußen, als ich mit dem Besen das letzte Mal durch die Wohnung ging. Sie war restlos ausgehöhlt. Jetzt konnte die Wohnungsgesellschaft die Handwerker schicken, um die Tapeten von den Wänden zu schaben, die Sanitärkeramik herauszubrechen und die Fliesen zu wegzumeißeln.