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Aasfresser

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20.10.2024
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Anmerkungen zum Text

Der Text ist ein Destillat wahrer Begebenheiten. Nach dem Schreiben habe ich mich daran erinnert, dass einmal eine Kurz-Doku über eine dieser Begebenheiten gedreht wurde. Ich konnte diesen Film soeben im Netz aufspüren. Er enthält überraschenderweise sogar die aus dem Fenster fliegende Oma, was ich gar nicht mehr wusste. – Für mich wäre es sehr spannend, wenn jemand erst den Text liest und sich dann den Film ansieht (er geht nur 12 Minuten). Wie ähnlich sind sich die Stimmungen? Wurden ähnliche Bilder erzeugt? Ist die Interpretation am Ende ähnlich? Es wäre echt ein Gewinn für mich als lernenden Autor, dazu ein paar Antworten zu erhalten. Den Link würde ich dann bei Interesse per DM schicken.

Änderungsprotokoll

2. Runde

  • Titel erneut geändert
  • Text sehr stark gekürzt
  • Stärker auf einen Aspekt fokussiert
  • Erzähler wieder geschwächt
  • Figur Doni zu "anderer Albaner" reduziert
  • Chronologie geändert
1. Runde
  • Titel geändert
  • Passagen gestrichen
  • Passagen ergänzt (Intro u. a.)
  • Erzähler gestärkt (mehr Reflexion, mehr Kommentar)

Aasfresser

Der Flur roch nach Schuhputzmittel, Altfrauenparfüm und Frittierfett. An einer Garderobe hingen Jacken und Schals, auf der Ablage lag ein Damenhut. Günther zeigte auf den Boden. “Das Linoleum muss auch raus.”
Wir rückten ins Wohnzimmer vor. Für eine Etagenwohnung war es groß. Gegenüber von einem Sofa mit tiefen Kissen stand eine braune Holzwand.
“Gelsenkirchner Barock”, sagte Günther und zwinkerte mir zu.
“Ja, genau”, sagte Meda und machte prüfend eine der Türen auf.
“Interesse?”
“Danke, aber das will ja keiner mehr haben.”
“Also weg!”
“Aber das ist eine schöne Stück.” Er machte einen Schritt auf eine Kommode zu. “Diese nehme ich, wenn ich darf.”
“Ja, klar, nimm mit!”
Er sagte etwas zum anderen Albaner, dann zu mir, “Diese bleibt!”
Wir gingen durch die übrigen Räume.
“Weg” – “Weg!” – “Nehm ich mit.” – “Weg!”
Im Bad stand eine alte Waschmaschine.
“Miele!”, sagte Meda und der andere nickte.
“Nehm ich auch mit.”
Es klingelte. Günther öffnete mit einem Ruck die Wohnungstür. “Herr Jammerzen!”
“Guten Morgen!” Ein kleiner Mann in Anorak und Jeans schaute in die Runde. Seine Haare trug er gescheitelt, am Hals hatte er bei der Rasur nicht sauber gearbeitet. “Sind Sie schon fleißig?”
“Wir haben uns gerade ein Bild gemacht”, sagte Günther mit betonter Ruhe. “Aber es ist ja im Grunde alles besprochen. Das Linoleum kommt raus, das Bettgestell wird später abgeholt …”
“Das Bettgestell wird später abgeholt”, wiederholte der Mann. “Und hier habe ich noch ein paar Sachen aussortiert für mich.”
Er machte einen Schritt ins Schlafzimmer und zeigte hinter die Wand.
“Lassen wir stehen!”
Der Mann bestand darauf, Günther und Meda noch einmal den Keller zu zeigen, obwohl sie ihm versicherten, dass das nicht nötig sei.

Ich blieb mit dem anderen Albaner alleine im Flur.
“Güntöar deine Vater?”, fragte er.
“Nein, ein Freund!”
“Ohhh, Freund!”
“Und Meda?”
“Cousin!”
“Aha! Woher in Albanien kommt ihr?”
Er zog die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf.
“Woher?”, sagte ich akzentuiert und setzte meinen Zeigefinger auf einen Punkt in der Luft. “In Albanien?”
“Nicht Albanien, Kosovo!”
“Mhm! Aber Sprache Albanisch?”
“Ja.”
“Verstehe.”
”Und Deutschland gut?”
Er nickte und hob einen Daumen. “Sehr gut!”
“Schön!”
Wir schwiegen und warteten. Einmal kreuzten sich unsere Blicke und wir nickten uns zu. Es war unangenehm und ich ging mich noch einmal umgucken. Mit den Händen in den Taschen schlenderte ich ins Wohnzimmer. Ein einziges Regalfach war nicht gerade üppig mit Büchern bestückt, allesamt Hardcover dick wie Ziegelsteine. Meyers Konversations-Lexikon, Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Es muss nicht immer Kaviar sein – nichts Spannendes dabei. In der Mitte der Wand saß wie eingemauert ein wuchtiger Röhrenfernseher über einem silbernen Stereoanlagenwürfel, alles Technik von gestern. Hinter einer Klappe fand ich die Hausbar und eine ganze Auswahl an Gläsern, darüber im Fach waren ein paar gerahmte Fotos aufgereiht. Ich beugte mich vor, um sie näher zu betrachten. Eines hatte einen starken Gelbstich und zeigte ein mittelaltes Paar, das vor einem Alpensee posierte, ein anderes einen Mann im Rentenalter. Er saß in Anzug und Krawatte vor einem Fotografenhintergrund und lächelte gezwungen in die Kamera. Über eine der oberen Ecken war ein schwarzes Band geklebt worden. Scheinbar hatte die Frau schon lange alleine gelebt. Fotos von Kindern gab es keine, der Mann von eben war wohl nicht der Sohn. Vielleicht ein Neffe? In der Küche fand ich ein Messerset und ein paar andere Dinge, die ich gebrauchen konnte. Ich verstaute sie in einem Pappkarton und stellte sie zur Seite. Ich hörte, dass Günther und Meda zurück waren.
“Noch einen Schatz gefunden?”
“Nein.”
“Bin doch schon alles durch.”
“War was dabei?”
“Bisschen Silber und eine schöne Herrenuhr. Glashütte, muss aber gemacht werden. Sonst nur Kleinkram für den Flohmarkt.” Er gab uns die Hand. “So Männers, ich bin dann weg!”

Wir machten uns ans Werk. Aus dem Kleiderschrank schlug mir der modrige Geruch eines Second-Hand-Ladens entgegen. Ich nahm so viele Blusen und Jacken von der Kleiderstange, wie ich greifen konnte, faltete sie über meinem Arm zusammen und stopfte sie mitsamt der Bügel in den Sack. Es waren schlichte, aber hochwertige Stücke. Ganz am Rand hing ein Pelzmantel. Ich schlüpfte hinein und trat damit zu Meda und dem anderen ins Zimmer. Die beiden lachten.
“Ist der nichts mehr?”
Meda warf kopfschüttelnd einen Blick aufs Innenfutter. “Motten!”
Er zeigte mir die Löcher.

Nach dem Schrank nahm ich mir die Kommode vor. Es war im ersten Moment seltsam, die Unterwäsche der alten Frau in die Hand zu nehmen, aber ich schob das Gefühl zur Seite und räumte die Kommode in wenigen Minuten leer. Meda kam in den Raum. “Wie sieht’s aus hier?”
“Säcke sind gepackt. Hast du einen Hammer?”
“Wofür?”
Ich nickte in Richtung des Schranks.
“Brauchst du keine Hammer!”
Er trat mit Wucht gegen die Rückwand, bis sie heraussprang. Anschließend lehnte er sich mit der Schulter gegen die Seite und der Schrank fiel krachend in sich zusammen.
“Siehst du? Brauchst du keine Hammer!”
“Oder so ...”
Ich zog die Schubladen aus der Kommode und zerschmetterte sie auf dem Boden, dann griff ich mir ein dickes Brett und drosch damit auf den Korpus ein, bis auch er zerbarst. Es war ein herrliches Gefühl, dasselbe Gefühl, das ich als Kind hatte, wenn ich am Ende eines Strandtages die Sandburg zertrat. Auch im Wohnzimmer wurden jetzt die Möbel zusammengeschlagen. Ich ging rüber, um mitzumachen.

Den ganzen Krempel die Treppe nach unten zu tragen, war sehr anstrengend. Mir kam eine Idee. “Warum schmeißen wir das Zeug nicht einfach aus dem Fenster?”
Meda lachte. “Sollten wir ja eigentlich machen, nä?"
Aber ich hatte keinen Scherz gemacht. “Vor dem Haus ist doch genug Platz. Was soll passieren?”
Er runzelte die Stirn. “Is vielleicht ja gar nisch so eine schlechte Idee.”
“Wir müssen nur Bescheid sagen. Nicht, dass sich jemand rausbeugt und dann… ”
Ich schlug mir mit der flachen Hand auf den Kopf. Hell kichernd lachte Meda das erste Mal an diesem Tag richtig. “Das wär ja schlecht, nä?”
Er sah zum anderen und der zuckte mit den Schultern.

Nacheinander ließ ich die ersten Bretter fallen. Sie trafen mit einem lauten Knall auf und ich befürchtete, dass gleich ein besorgter Nachbar gucken käme. Also holte ich die Matratze und schmiss sie als Dämpfer in die Einfahrt. Jetzt ging es fast geräuschlos. Auf einer der Rückwände von der Wohnzimmerwand klebte ein verblichenes Preisschild. Fast achttausend Mark! Jetzt landete das Teil auf demselben Stapel wie das billigste Sperrholzschränkchen. Ich sah mich nach anderen Gegenständen um. Das Bettzeug war noch bezogen und ich wandte den Kopf ab, um nicht daran riechen zu müssen. Im Fallen spannte sich die Decke auf und segelte ins Gras neben der Einfahrt. Ein älterer Herr, der mit seinem Hund vorbeispaziert kam, blieb stehen und betrachtete die Szenerie kopfschüttelnd.

Mit dem Gewicht des Holzes war der Wagen bald voll und wir fuhren das erste Mal zur Kippe. Neben der Auffahrt saßen zwei Typen mit dunklen Bartschatten. Sie trugen Wollmützen und grelle Skijacken.
“Zigeuner”, sagte Meda spöttisch und der andere grinste. Einer der Männer deutete auf unsere Ladung und Meda nickte. Der Mann stand auf und kam an die Fahrertür.
“Hast du was, meine Freund?”
“Kühlschrank”, raunte Meda und der Mann winkte seinem Kompagnon. Meda machte sich nicht die Mühe auszusteigen. Ich hörte, wie die Tür zum Laderaum aufgemacht wurde. Es kratzte und schepperte kurz, dann wurde die Tür wieder geschlossen. Die Männer stellten den Kühlschrank neben den Bierkisten ab und setzten sich wieder hin.
“Ist der doch noch was wert?”, fragte ich.
“Die bauen ja nur den Motor aus.”
“Verstehe”, sagte ich, obwohl mir nicht klar war, wozu sie den Motor brauchten.

Wir räumten auch den ganzen Nachmittag. Gegen vier holte Meda Kaffee. Ich hatte eine Schachtel Kekse gefunden und reichte sie herum. Dazu goss ich uns einen Cognac aus der Hausbar ein. Nach der Pause leerten wir den Keller. Dort standen in zwei morschen Holzregalen unzählige leere Einmachgläser und es dauerte ewig, sie alle in irgendwelchen Eimern und Wannen zu zertrümmern. Ganz zum Schluss schraubten wir in der Wohnung alle Gardinenstangen, Lampen und Haken ab. Wir nahmen wirklich alles mit, was nicht fest verbaut war, jeden Nagel, jede Leiste, jede Matte, selbst die Halterung für das Klopapier.

Es dämmerte draußen, als ich mit dem Besen das letzte Mal durch die Wohnung ging. Sie war restlos ausgehöhlt. Jetzt konnte die Wohnungsgesellschaft die Handwerker schicken, um die Tapeten von den Wänden zu schaben, die Sanitärkeramik herauszubrechen und die Fliesen zu wegzumeißeln.

 

Hallo @Sturek,

ich bedanke mich für deinen Kommentar. Deine Vorschläge schaue ich mir an und setze sie zeitnah um. Viel mehr bleibt mir auch nicht zu antworten, außer vielleicht hierauf:

Eine Richtung, den Text noch auszubauen, wäre es, die Entrümpler wirklich mal in Streit über die besten Stücke geraten zu lassen. Wie Geier oder Hyänen eben.

Plot-technisch ist das eine sehr gute Idee, aber in der Realität ist so ein Szenario sehr unwahrscheinlich, eben weil es eine klare Hackordnung gibt. Das thematisiert die Story ja auch.

Was indes nicht unrealistisch wäre, wäre ein Konflikt zwischen Hinterbliebenen oder Auftraggeber und Entrümpler. Da sind die Verhältnisse manchmal etwas grauzonig ;-)

Freundliche Grüße und bis bald mal

Hk

 

Salü @H. Kopper

Du lieferst mir einen Einblick in den geschäftsmässigen Vorgang der Auflösung eines Haushalts. Oder etwas dispektierlich Entrümpelung. Heisst, Gerümpel wird getrennt von Sachen mit Wert abtransportiert und entsorgt.

Ich hatte anfangs etwas Mühe, die Personen zu verorten. Spannend fand ich auch diese Hirarchiestufen, von Erzähler/Günther über die beiden Albaner (Schade ist Doni rausgeflogen) hin zu den "Zigeuner". Jeder holt sich was vom Kuchen.
Der Jammerzen müsste der Auftragsgebers sein, korrekt?

Gegenüber von einem Sofa mit tiefen Kissen stand eine braune Holzwand.
Meinst du hier nicht eher eine Wohnwand.
Jedenfalls heisst das bei uns so. Eine schwere, die ganze Wand einnehmende Schrankkombination.

raus, das Bettgestell wird später abgeholt …”
“Das Bettgestell wird später abgeholt”, wiederholte der Mann.
Würde mir 'wiederholte Jammerzen' statt der Mann besser gefallen. Auch im weiteten Verlauf.
Ich blieb mit dem anderen Albaner alleine im Flur.
“Güntöar deine Vater?”, fragte er.
“Nein, ein Freund!”
“Ohhh, Freund!”
“Und Meda?”
“Cousin!”
“Aha! Woher in Albanien kommt ihr?”
Er zog die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf.
“Woher?”, sagte ich akzentuiert und setzte meinen Zeigefinger auf einen Punkt in der Luft. “In Albanien?”
“Nicht Albanien, Kosovo!”
“Mhm! Aber Sprache Albanisch?”
“Ja.”
“Verstehe.”
”Und Deutschland gut?”
Er nickte und hob einen Daumen. “Sehr gut!”
“Schön!”
Wir schwiegen und warteten. Einmal kreuzten sich unsere Blicke und wir nickten uns zu. Es war unangenehm und ich ging mich noch einmal umgucken.
Sehr authentisch, mag ich!

“Noch einen Schatz gefunden?”
“Nein.”
“Bin doch schon alles durch.”
“War was dabei?”
Hier kann ich die Personen dem Gesprochenen nicht zuordnen.

Ich hörte, dass Günther und Meda zurück waren.
“Noch einen Schatz gefunden?”
“Nein.”
“Bin doch schon alles durch.”
“War was dabei?”
“Bisschen Silber und eine schöne Herrenuhr. Glashütte, muss aber gemacht werden. Sonst nur Kleinkram für den Flohmarkt.” Er gab uns die Hand. “So Männers, ich bin dann weg!”
Er müsste dann Günther sein, oder doch Jammerzen?

“Ist der doch noch was wert?”, fragte ich.
“Die bauen ja nur den Motor aus.”
“Verstehe”, sagte ich, obwohl mir nicht klar war, wozu sie den Motor brauchten.
Und schon stehen die Kosovo-Albaner wissenstechnisch eine Hierarchiestufe höher, hr, hr.

Wir nahmen wirklich alles mit, was nicht fest verbaut war, jeden Nagel, jede Leiste, jede Matte, selbst die Halterung für das Klopapier.
Warum wird das so explizit erwähnt, ist ja auch nicht fest verbaut.

Fazit: Liess sich flüssig lesen, auch dank authentischen und knapp gehaltenen Dialogen. Aber irgendwie flutschte ich durch die Geschichte, ohne jetzt einem richtigen Konflikt zu begegnen. Gut, das muss ja jetzt nicht immer gleich riesen Drama und so, aber am Ende is die Wohnung leer und die Handwerker können kommen.
Ich wünschte mir da irgendwo noch so ne kleine Kabbelei.

Liebe Grüsse, dot

 

Hallo @H. Kopper

Ich habe deinen Text auch deswegen interessiert gelesen, weil ich selbst vor ein paar Jahren öfter mal an Entrümpelungen beteiligt war. Ich muss dazu sagen, dass ich nur diese aktuelle Version deines Textes kenne. Anscheinend hast du da bereits viel verändert und gekürzt. Die Entwicklung deiner Geschichte kann ich daher leider nicht nachvollziehen, da ich nur die jetzige Version kenne.
Dein Text ist sauber geschrieben. Das sind deine Texte aber ja in der Regel immer. Man erkennt da schon dein routiniertes Schreiben. Als Leser bleibt man nicht stecken, stolpert über nichts. Es gibt keine schiefen Bilder, es liest sich gut und in einem Rutsch sozusagen.
Trotzdem muss ich sagen, dass mich dein Text nicht so richtig erreicht hat. Ich kenne ja auch andere Texte von dir und meistens empfinde ich die als gelungen und ich lese sie in der Regel gerne. Ich habe darüber nachgedacht, warum mir das bei dieser Geschichte anders geht. Deswegen habe ich (anders als bei den sonstigen Challengebeiträgen) hier auch die Kommentare gelesen. Ich finde interessant, was die Intention von dir gewesen zu sein scheint:

Zweitens fand ich als "Geschichte" interessant, dass da ein mehr oder weniger Milieufremder in die Welt dieser Arbeit hereintritt und sie entdeckt.
Ich finde, dass es absolut wert wäre, so etwas in einer Geschichte zu thematisieren. Ich finde das aber in deinem Text eigentlich nicht wieder. Es sei denn, mir ist da massiv etwas entgangen, die Möglichkeit besteht natürlich auch immer. Ich fasse dir mal meinen Eindruck zusammen: Es bestehen Sprachbarrieren zwischen ihm und seinem albanischen Kollegen. Darüber hinaus fehlt mir in deinem Text aber diese Fremde, die du zeigen möchtest. Wo schimmert die denn durch? Er tut sich ja überhaupt nicht schwer damit, diese Arbeit zu verrichten. Im Gegenteil schlägt er dann ja sogar vor, die Dinge einfach aus dem Fenster zu schmeißen, ist also voll dabei sozusagen. Die Fragen die er sich stellt, reichen mir nicht aus. Wozu sie den Motor ausbauen? Ist ihm unklar aber mehr Gedanken macht er sich dann darüber auch nicht. Wenn die Fremde doch mal ein wenig durchschimmert, was folgt dann daraus? Was ergibt sich daraus für den Blickwinkel des Protagonisten und was überträgt sich auf mich als Leser? Der Mann, der den Kopf schüttelt, als sie beginnen, alles Mögliche aus dem Fenster schmeißen, wäre in meinen Augen so eine Stelle gewesen, die das gut hätte aufzeigen können. Aber im Prinzip passiert dann damit auch nichts mehr. Finde ich eine verpasste Chance.

An einer anderen Stelle schreibst du, dass du auch darüber nachgedacht hast, die Wohnung als eigentlichen Protagonisten zu verstehen. Finde ich mindestens genauso spannend wie die Fremde des handelnden Protagonisten. Wäre meiner Meinung nach absolut wert, das auszubauen. So wie dein Text im Moment aber ist, fehlt mir da noch etwas, als dass das so funktionieren würde. Da bräuchte es für mich unter anderem auch mehr plastische Schilderungen der Wohnung. Ich vermisse ein konkretes Bild. Ich fand zum Beispiel den Mantel mit den Mottenlöchern gut. Da kann ich was herauslesen. Aber sonst war mir das zu wenig. Es stehen Fotografien herum. Eines davon hat einen Gelbstich. So what? Da bräuchte es für mich mehr, damit auch das Leben hinter dieser Wohnung lebendig wird und etwas erzählt. Es brächte für mich mehr Dinge wie zum Beispiel den Mantel, der mir einen Hauch des Lebens zeigt, dass da entrümpelt wird. Das ist mir bisher noch zu distanziert bzw. zu wenig aussagekräftig. Vielleicht würde es den Text stärken, wenn die Bilder, die du aufmachst detaillierter wären? Da bin ich mir unsicher.

Aber ich vermute auch, dass du dich bewusst gegen eine solche Perspektive entschieden hast, es also kein Versehen ist, dass das so in deinem Text nicht stattfindet? Ich lese hier nämlich eine andere Schwerpunktsetzung. Der handelnde Protagonist steht im Fokus. Weniger das Leben derjenigen, die in der Wohnung gewohnt haben. Und ganz grundsätzlich bin ich mir unsicher, ob es nicht wert wäre, das noch mal anders aufzuziehen.
Ich habe damals in meiner Zeit mal in einem komplett vollgestopften Haus gearbeitet. Ich kann mich an einen Raum mit Kartons bis zur Decke erinnern. Die Kartons waren vollgestopft mit (teilweise noch eingeschweißten) Sportsocken. Das war absurd und ich habe es noch heute vor Augen. Ich weiß auch noch wie seltsam das Gefühl für mich war, mit Arbeitsschuhen in einem fremden Wohnzimmer zu stehen, zu rauchen und in vergilbten Landserheften, die wirklich stapelweise zwischen anderem Schund herumlagen, herumzublättern. Im Nachhinein habe ich mir jedenfalls immer vorgestellt, was das für Leute gewesen sind, die zwischen Landserheften und Sportsocken gelebt haben.
Was ich sagen möchte, ist, dass mir dieser Fokus in deinem Text fehlt. Mir scheint es, als wäre die alte Frau (und auch ihr Leben) im Grunde austauschbar. Und gerade, dass so ein Leben innerhalb eines Tages quasi einfach so verräumt und verramscht wird, wäre in meinen Augen doch das wirklich Interessante. Dafür müsste der Text aber stärker in diese Richtung gehen wollen.

die Sanitärkeramik herauszubrechen und die Fliesen zu wegzumeißeln.
Streichen

Nun ja, ich hoffe, du kannst mit meinem kritischen Kommentar etwas anfangen.

Viele Grüße
Habentus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @dotslash,

vielen Dank für deine Zeit und deinen Kommentar!

Du lieferst mir einen Einblick in den geschäftsmässigen Vorgang der Auflösung eines Haushalts. Oder etwas dispektierlich Entrümpelung. Heisst, Gerümpel wird getrennt von Sachen mit Wert abtransportiert und entsorgt.

Genau! Wobei das wirklich Erstaunliche ist, was wir als Gesellschaft alles für "wertlos" befinden. Das mal als Kommentar abseits der Story. Ich habe oft gedacht: Man bräuchte kaum noch etwas kaufen, wenn man sich frei auf einer Müllkippe und an ähnlichen Orten bedienen könnte.

Fazit: Liess sich flüssig lesen, auch dank authentischen und knapp gehaltenen Dialogen. Aber irgendwie flutschte ich durch die Geschichte, ohne jetzt einem richtigen Konflikt zu begegnen. Gut, das muss ja jetzt nicht immer gleich riesen Drama und so, aber am Ende is die Wohnung leer und die Handwerker können kommen.

Ja, einen wirklichen Konflikt gibt es nicht. Für mich liegt der Konflikt hier irgendwie auf der Meta-Ebene und nicht so wirklich in der Story selbst. So nach dem Motto: Was heißt es eigentlich, wenn etwas so stattfindet?

Ich wünschte mir da irgendwo noch so ne kleine Kabbelei.

Ich hatte so einen Text schon lange vor der Challenge im Sinn und da hätte es einen handfesten Konflikt gegeben und auch eine teilweise andere Thematik. Das hat dann aber nicht zur fliegenden Oma gepasst und ich habe es ausgespart. Vielleicht setze ich das irgendwann noch zusätzlich um. In der Story hier habe ich einfach keine Kabbelei vor Augen, die ich erzählen kann.

Freundliche Grüße

HK

+++++

Dein Text ist sauber geschrieben. Das sind deine Texte aber ja in der Regel immer. Man erkennt da schon dein routiniertes Schreiben. Als Leser bleibt man nicht stecken, stolpert über nichts. Es gibt keine schiefen Bilder, es liest sich gut und in einem Rutsch sozusagen.

Hallo @Habentus,

vielen Dank für deinen Kommentar und natürlich auch für dieses Kompliment (ich fass das mal als eines auf :D). Ich kann meine Antwort kurz halten: Mittlerweile kristallisiert sich für mich immer mehr heraus, dass die Vorversion weitaus besser war in den Augen der Mehrheit. Mit diesem Fazit kann ich nicht nur gut leben, es freut mich sogar, da sie mir persönlich näher war bzw. ist als der jetzige Text – und ich habe sie ja noch "zu Hause".

Ich würde als normalerweise schlussendlich sie auswählen, will nur nicht zu ihr zurückwechseln, denn das wäre dann wirklich zu viel des Hin und Hers – es ist ja jetzt schon verwirrend. Dein Feedback ist sehr wertvoll, weil es mir aufzeigt, wo für die meisten Leser ungefähr die Grenze der Verknappung verläuft. Irgendwann wird es zu steril und seelenlos. Der Text ist wohl in diese Zone gerutscht.

Freundliche Grüße

HK

 

Hallo @H. Kopper,

deine Geschichte hat einen interessanten Titel, er passt gut zum Inhalt: Die Reste eines ganzen Lebens werden "gefressen". Aber klar, die "Aasfresser" müssen auch überleben. Und was sie selbst verschmähen, bleibt für andere ... Wenn man die beschriebene Situation als Metapher für das vergängliche Dasein ansieht, ergibt sich über die eigentlich schlichte Handlung hinaus ein melancholischer Subtext.
Ein grundsätzliches Problem bei solchen Texten ist der fehlende Spannungsbogen. Wie weit kann man als Autor gehen, ohne den Leser zu verlieren (und trotzdem Eintönigkeit, Tristesse usw. vermitteln)? Da gibt es sicher individuelle 'Schmerzensgrenzen.
Meine war (noch) nicht erreicht, Inhalt und Form waren in einem sich gut ergänzenden Gleichgewicht.
Du hast mich nachdenklich in der Wohnung, die

restlos ausgehöhlt
ist, zurückgelassen – mit dem Gefühl, dass (wenn die Fliesen entfernt sind) dem Ende ein Anfang innewohnt.

LG,


Woltochinon

 

Wenn man die beschriebene Situation als Metapher für das vergängliche Dasein ansieht, ergibt sich über die eigentlich schlichte Handlung hinaus ein melancholischer Subtext

Hallo @Woltochinon,

schön, dass du das so siehst – ich denke, so war das mehr oder weniger bewusst auch gedacht.

Ein grundsätzliches Problem bei solchen Texten ist der fehlende Spannungsbogen

Da gebe ich dir recht. Bei der Vorgängerverseion hatte ich so einen in Ansätzen, aber dann habe ich ihn für diesen Challenge-Text eliminiert. Mir kam es so vor, als würde er der eingangs zitierten Deutung im Wege stehen. Es ist halt schwer, eine Handlung um eine Figur aufzubauen, die nicht im Zentrum stehen soll: die alte Frau, symbolisch vertreten durch die Wohnung und das "Gerümpel". Gut, dass du für dich zum Schluss gekommen bist:

Inhalt und Form waren in einem sich gut ergänzenden Gleichgewicht.

Das freut mich natürlich sehr, genauso wie, dass du mit diesen Worten schließt:

Gefühl, dass (wenn die Fliesen entfernt sind) dem Ende ein Anfang innewohnt

Darauf wollte ich mit diesem Motiv hinaus. Hatte das sogar anfangs ausbuchstabiert. Ich sehe durch deinen Kommentar: Es kann auch mit der Leerstelle so gelesen werden! Dann ist es ja alles gut mit der Sparsamkeit in dieser Hinsicht.

Ich bedanke mich für deine Zeit und den Kommentar und grüße freundlich,

HK

 

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