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Genre: gesellschaft

  1. Schattenhedda

    I Jeder im Dorf kennt die Hedda mit dem Strick um den Hals. Aber nur der kleine Ruben weiß Bescheid. Dass man die alte Hedda schon vor dreihundertunddreiundvierzig Jahren zum Tod am Galgen verurteilt hat. Sie aber nicht sterben wollte. Sie nicht mal mit den Beinen gezappelt hat, nur die Lippen...
  2. Es darf nicht wieder sein wie vor einem Jahr

    „Dirk, was ist mit dir?“ fragt Steffen in einem ruhigen Moment. Dirk wirkt gedankenverloren. Sein Blick liegt auf seinem Sohn, der am Rand einer Gruppe Kameraden in der Fahrzeughalle steht. Seine Augen scheinen in die Ferne zu blicken, als wären sie an einem Ort, den niemand sonst betreten...
  3. Verheerung

    Welches Lied pfiff Jack the Ripper? Ich fand den nie besonders komisch, obwohl ich trotzdem gelacht habe. Der Witz ist eben, wie man ausblenden kann, dass man Menschen aufschlitzt. Trotzdem habe ich nie an Melodien gedacht. Das ist Roberts Marotte, mich lenkt es nur ab. Ich wünschte, er würde...
  4. Schuld

    Sie stand am Fenster und starrte in die Dunkelheit. Doch sie sah nichts, auch nicht ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte. Stattdessen fühlte sie, fühlte die pulsierenden Stellen an ihrem Körper. Er kam nach Hause. Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, wie er seinen...
  5. Zwanziger Schrot

    In den letzten Tagen brachte ich ihm morgens eine Handvoll Munition, und jedesmal fragte er mich nach der guten Flinte und dem 20er Schrot. Nein, sagte ich. Das Luftgewehr reicht. Wir haben hier keine Nachbarn, sagte er. Das hat keine Sau zu interessieren, das ist immer noch mein Grundstück...
  6. Haselnüsse

    Wie überrascht mein Opa war, als ich ihn umarmte, fest um seinen runden Bauch, wie beschämt er mir da die große Hand auf den Kopf legte, als ob er gar nicht wüsste, dass die Welt sich weitergedreht hat, dass jetzt ich am Fenster stehe und raus starre, wie er es immer getan hat, dass jetzt ich...
  7. Wahnbachtalsperre

    Es ist dunkel, und wir stehen auf dem schmalen Vorsprung hinter der Dammmauer. Warst du wirklich noch nie hier? Sie schüttelt den Kopf. Ich nehme einen der Steine, der auf dem Boden liegt und lasse ihn fallen. Er schlägt ein paarmal gegen die Mauer, bevor er auf die Oberfläche trifft. Gugung...
  8. Engelmann

    Novembernacht. Stockduster. Regen. Vereinzelte Blitze sind zu sehen. Als Henny den Motor ihres Polos startet und zu ihrer Freundin fahren will, wird der Donner immer lauter. Dann blitzt es ganz hell. Sie erblickt im Rückspiegel die Silhouette einer großen, dürren Figur. Henny schreit und hupt...
  9. Hassmacher

    Hallo. Mein Name ist Hasso, Hasso Glück. Wie ein Teil meines Namens es schon verrät, hasse ich es, wenn andere fröhlich sind. Und ich liebe es, wenn andere Menschen todtraurig sind. Das ist für mich wahre Freude. Warum ich so bin? Das weiß auch ich nicht. Sorry. Das war gelogen. Alte...
  10. Marek

    Der Raum lag im Halbdunkel, nur die winzigen LEDs der Kontrollsensoren rundum tauchten ihn in grünes Licht. Marek hielt still. Wann immer er sich bewegte, wechselten die Dioden zu Gelb, und das Panel direkt über ihm flammte auf. Das Display seiner Armmanschette zeigte eine erhöhte Herzfrequenz...
  11. Das Schulgespenst

    Ben, der von seinen Freunden Benni genannt wurde und von den meisten nur der Dürre, saß in der vorletzten Reihe links am Fenster, also aus seiner Sicht war es links, die Lehrerin schaute immer sofort nach rechts, wenn von irgendwoher ein Zwischenruf kam. Dabei waren es die anderen, die ihn so...
  12. Ausputzholz

    Mein Vater steht auf der betonierten Fläche hinterm Haus und verbrennt Laub. Er hat einzelne Haufen gemacht - Schnittholz, kleine Äste, große Äste, Haselnusssträucher. Das Verbrennen ist seine Sache. Feuer ist Sache der Männer. Mein Vater hat große Hände. Ich mag es, wenn er mir damit über den...
  13. Leimrute

    In der Klasse hatte keiner aufgepasst, auch ich nicht, und doch wusste ich als einziger die Antwort. Von da an war ich die Leimrute, Leimrute Oskar, weil es im Unterricht um den Vogelfang ging. Ich war die Leimrute und vor allem ein großer Betrüger in den Augen meiner Klassenkameraden. Die mir...
  14. Zu wenig Worte

    Ich habe mich heute für die Stille beim Duschen entschieden. Keine Musik. Lieber Ruhe. Erst schaut mein Fuß aus der Badezimmer Tür und jetzt läuft mein ganzer Körper Richtung Schlafzimmer. Das süße Parfum spritzt aufs Handgelenk und an den Hals. Ich ziehe mir meine dunkelblaue Hose und grau-weiß...
  15. Die innere Schwelle

    Ich öffne die Tür zum Sprechzimmer. Sehe ihm in die Augen. Sehe einen klareren und offeneren Blick, als ich es die letzten Wochen von ihm gewohnt war. Nach Bruchteilen von Sekunden weicht er meinem Blick aus. Ein inneres Lächeln kann er jedoch nicht verbergen. Ich schwinge mich auf meinen Stuhl...
  16. Die Kontur eines Hirsches

    Ich stelle mir Carlo mit langen, schwarzen Haaren vor. Er stammte aus dem Tessin und half Großvater auf dem Hof. Heute ist er alt, damals war er schön. Er wohnte in einem Zimmer im oberen Stock, gegessen hat er stets mit der Familie. Großvater starb an Schuppenflechte. Meine Mutter war noch...
  17. Tee mit Honig

    Fünf Stunden war er weg. Im Regen ohne Schirm. Er hängt die nasse Jacke auf einen Bügel an die Garderobe. Feuchtigkeit sammelt sich, rinnt die Ärmel hinunter und tropft auf das Parkett. Er schlurft in die Küche und betätigt den Wasserkocher. Die Tasse ist oben im Schrank, der Teebeutel in der...
  18. Cocktails in Kellerbars

    Niedergemachte Briefkästen. Fahrradschrott im Gang zum Hof. Jugendstile im Treppenhaus. So hell und aufgeräumt erscheint Tanja die Wohnung wie ein Versprechen. Sie hatte mit der Bude eines unbelehrbaren Junggesellen und geborenen Untermieters gerechnet. Tanja kommt in den Korridor, jahrelang...
  19. Hella von Helgoland

    Hella von Helgoland Montag war für Anders mehr als nur der Beginn einer neuen Woche; es war ein Ritual, ein Moment der Kontemplation inmitten der immer gleichen Routine seines Lebens mit HIV. Seine monatlichen Arzttermine legte er bewusst auf diesen Tag, weniger aus pragmatischem Kalkül...
  20. Freiheit

    Freiheit Die dürren Kronen der toten Kiefern peitschen sich knarzend die letzten Äste aus ihren Stämmen. Das kann der Mann gut beobachten, der unter ihnen im feuchten Moos liegt. Der Hintergrund, vor dem sich die Bäume immer heftiger duellieren, wird grau. Mit den ersten Tropfen entschließt er...

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