Zufrieden?
Zufrieden?
„Thomas, bist du eigentlich zufrieden?“
„Ja, natürlich, Sylvia, wieso?“ Thomas blickte erstaunt vom Sportteil in der Zeitung auf.
„Nun, ich meine, bist du zufrieden mit dem Leben, das wir beide miteinander führen?“
„Aber, Sylvia, was soll denn diese Frage, wir sind heute auf den Tag genau schon seit vier Jahren ein Paar und verstehen uns prima!“ Kopfschüttelnd wandte sich Thomas wieder dem Sportteil zu.
„Weißt du, ich frage mich manchmal wohin das alles führen soll?“ Sylvia ließ nicht locker.
„Wieso? Wohin soll es denn großartig führen? Wir haben doch ein schönes Leben, jeder hat seinen Job, jeder seine eigene Wohnung und wir sehen uns, wann immer wir wollen. Was soll daran falsch sein?“ Thomas runzelte jetzt ärgerlich die Stirn und legte die Zeitung auf dem Tisch ab. Das würde wieder eine dieser langen, sinnlosen Diskussionen werden!
„Ja, aber, ich finde, wir müssten mehr gemeinsame Ziele haben, nicht nur jeder seinen Job und sein Leben im Auge. Gemeinsamkeit besteht doch nicht nur darin, gemeinsam zu essen und zu schlafen und miteinander ins Bett zu gehen, vielleicht manchmal noch ins Theater oder in eine Ausstellung!“
„Mein Ziel ist es einfach, in Frieden und Harmonie mit dir gemeinsam alt zu werden. Zusammen zu halten eben. Die schönen Stunden zu genießen, und sich auch in schlechten Zeiten aufeinander verlassen zu können, so wie damals, als du ohne Job warst. Oder als mein Vater gestorben ist. Da haben wir uns doch gegenseitig gut unterstützt, findest du nicht?“ Thomas redete sich langsam in Rage.
„Ja, sicher, das gefällt mir ja auch, aber das kann doch noch nicht alles sein! Ich möchte ein höheres, gemeinsames Ziel mit dir, etwas, wofür es sich zu leben lohnt!“ Sylvias Augen schimmerten verdächtig.
„Aber was für ein Ziel sollte das denn sein? Willst du, dass wir uns bei Greenpeace engagieren oder im Eine-Welt-Laden? Dafür haben wir neben unserer anstrengenden Arbeit doch gar keine Zeit!“ Langsam wurde Thomas diese Diskussion unheimlich.
„Thomas, ich bin jetzt 36, du 40“. Sylvia sprach auf einmal sehr leise. „Ich hatte immer die Vorstellung, mit dem Mann, den ich liebe, einmal Kinder zu bekommen.“ Jetzt war es heraus. Sylvia wagte nicht, Thomas in die Augen zu sehen. Zuviel Angst hatte sie vor seiner möglichen Reaktion.
Thomas zog scharf die Luft ein. Daher wehte der Wind! Langsam wurde es dramatisch!
„In diese Welt willst du Kinder setzen? Nur, um dich selbst zu verwirklichen? Findest du das nicht reichlich egoistisch? Ich dachte, wir wären einer Meinung gewesen, dass wir keine Kinder wollen?“
„Das dachte ich früher auch“, erwiderte Sylvia nun etwas forscher. „Aber seit ein, zwei Jahren stelle ich unsere alte Entscheidung in Frage. Ich sehe einfach keinen Sinn mehr darin, nur für die Arbeit und unser Freizeitvergnügen zu leben. Ich möchte eine wichtigere Aufgabe und Verantwortung im Leben, die uns verbinden würde. Was könnte das besseres sein, als gemeinsam ein Kind groß zu ziehen?“ Sie sprach nun immer leidenschaftlicher.
„Aber willst du wirklich deine Position aufgeben? Du wirst nach dem Mutterschutz nie wieder daran anknüpfen können! Du hast dir deine Stellung doch hart erarbeitet in all den Jahren! Willst du das wirklich aufgeben für Windeln wechseln und Krabbelgruppe? Du wirst schnell die Nase voll haben davon, glaube mir.“ Thomas versuchte nun, ihr Verständnis zu signalisieren. Vielleicht brachte sie das ja ab von ihrer fixen Idee!
„Die hohe Position ist mir eben nicht mehr das Wichtigste im Leben, das habe ich mir schon gut überlegt. Ich könnte auf jeden Fall später weiter in meinem Beruf arbeiten, zunächst auch sicher zum Teil von zuhause aus. Wirtschaftsanalysen kann man von jedem PC der Welt aus machen.“
„Ich bitte dich! Zwischen Kindergeschrei und anbrennendem Essen? Wohl kaum! Da könntest du dich doch gar nicht richtig konzentrieren. Außerdem musst du ja auch in Außentermine zu den Unternehmen, die du berätst. Willst du da die Kinder jedes Mal einem Babysitter anvertrauen?“ Thomas verlor langsam die Fassung über ihrer Hartnäckigkeit. Das war mal wieder ihr berühmter Dickkopf!
„Nein, aber nach dem neuen Elternzeitgesetz könntest doch auch du eine gewisse Zeit die Kinderbetreuung übernehmen, oder nicht? Sind wir nun Partner, wie du immer betonst, oder nicht?“
Jetzt wurde es Thomas aber zu bunt.
„Ich will aber gar keine Kinder! Warum sollte ich dann zuhause bleiben? Mir ist meine Arbeit wichtiger!“
„Du, du, du, immer nur du!“ schluchzte Sylvia jetzt. „Deshalb sorgst du wohl auch immer dafür, dass du überall an und in mir kommst, nur nicht da, wo es biologisch vorgesehen ist?“
Thomas errötete und schrie los:
„Das ist unter der Gürtellinie! Willst du mir jetzt auch noch die intimsten Dinge vorwerfen?“
Sylvia heulte jetzt laut los. „Nein, tut mir leid, ich meine,.... wieso sträubst du dich so dagegen, Kinder zu bekommen? Das ist doch etwas ganz Normales? Und ich wünsche es mir ja so sehr!“
Thomas wurde nun sehr still. Es gab keinen Ausweg mehr. Er musste es ihr sagen.
Er räusperte sich, legte den Arm um sie und sagte leise: „Komm her, beruhige dich erst mal. Es ist, wie soll ich sagen...“ Sylvia schaute ihn fragend an. „Das Problem ist, Sylvia, ich habe schon drei Kinder – mit meiner Ehefrau! Tut mir leid“, setzte er hinzu.
Sylvia schlug seinen Arm weg und sprang auf. Jetzt kreischte sie.
„Du Schwein. Du bist verheiratet? Drei Kinder? All die Jahre hast du nichts gesagt? Ich Idiotin!“ Laut heulend rannte sie aus dem Zimmer. Die Wohnungstür schlug zu.
Thomas blieb wie betäubt sitzen. Das war’s dann wohl, dachte er und schmiss das Etui mit dem Ring, den er ihr hatte schenken wollen, in die Ecke. Eigentlich wollte er ihr ja auch die Einreichung der Scheidung von seiner Frau zeigen. Aber das erübrigte sich jetzt ja.
© Heike van den Bergh