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Wolfstage

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09.06.2017
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Wolfstage

Als das Schloss klickt, sehe ich Vanessa durch die Glasscheibe am Empfang gestikulieren. „Der Chef will dich sprechen."
„Hat er gesagt, worum es geht?", frage ich atemlos und winde mich aus meinem Poncho.
Sie schüttelt ihre blonde Mähne und wendet sich wieder dem Poststapel zu. Ich habe weiche Knie, meine Probezeit ist noch nicht um.
Ulf kommt um die Ecke und beugt sich zu Vanessa. „Hab gehört, die holen Wolf aus München zurück."
„Oh Mann", höre ich sie murmeln. „Als ob wir den Irren hier bräuchten."

Meine Hände zittern.
Zum Chef.
Ich biege kurz ab, beuge mich übers Waschbecken und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Vielleicht habe ich es in Ulfs Projekt übertrieben, meine Kompetenzen überschritten. In der Hektik der letzten Wochen habe ich einen Plan aufgestellt und koordiniere seitdem den Softwaretest. Sie lassen es zu - er und das gesamte Team. Ich glaube, dass es am besten funktioniert, wenn ich die wichtigsten Module persönlich prüfe.

Ich klopfe an Carls Tür und trete ein. Er steht mit durchgedrücktem Rücken am Fenster, dreht sich um. So leise wie möglich schließe ich die Tür.
„Morgen."
„Den Leon bring ich um", donnert er los. „Hat sich beim Skifahren verletzt, der Idiot!"
Ich nehme den Stapel Computerzeitschriften vom Stuhl und setze mich.
„Du übernimmst bei Prisma II den Test."
„Gern", sage ich. „Die Testleitung macht ... wer nochmal?"
„Hab ich doch eben gesagt: Du! Das Konzept muss übrigens angepasst werden."
Ich hole tief Luft, Prisma II ist unser größtes Projekt.
„Wolf springt als Projektleiter ein. Um elf ist Telefonkonferenz. Ich mail euch die Sachen." Als Carl ein paar Schritte auf mich zuläuft, weht sein Altherren-Irisch-Moos-Geruch rüber. Mit Mühe widerstehe ich dem Impuls, Richtung Tür auszuweichen.
„Jetzt lächle mal. Damit siehst du schöner aus."
Ich versuche es, fühle eine Art Krampf im Gesicht.
„Na also. Bis elf."

Draußen erwartet mich Vanessa. „Und?"
"Ich brauch erst mal einen Kaffee", murmle ich und schiebe mich an ihr vorbei.
Sie läuft mir hinterher, ich stecke die Kapsel in den Automaten.
„Jetzt sag schon."
„Es ging um Prisma II. Ich soll testen."
„Ach so. Das." Vanessa sieht enttäuscht aus.
Ulf rührt in seinem Kaffeebecher. „Habt ihr das von Wolf gehört?"
„Was ist mit dem?", sagt Bernd. „Ich dachte, der wär jetzt fest in München."
„So wie es aussieht, kommt der zurück." Ulf nimmt einen Schluck. „Ich schätz mal, wegen Prisma II." Er fixiert mich mit zu Schlitzen verengten Augen.
„Wie ist der denn so, der Wolf?", frage ich wie beiläufig. „Ist der nett?"
Für einen Moment wird es still. Vanessa zerknüllt eine Serviette.
„Yoaah ...", sagt Bernd und geht.

Das Material, das Carl gemailt hat, liegt ausgedruckt neben mir, als ich mich einwähle.
„Hallo, hier ist Anouk", sage ich und bemühe mich, so professionell wie möglich zu klingen.
Zwischen Papiergeraschel brummt eine Stimme: „Carl, los, komm. Wähl dich ein."
Dann wird es still. Anscheinend hat er das Mikro stummgeschaltet.
Als ich den zweiten Zettel mit Blümchen bekritzelt habe, klickt es und ich höre Carls Stimme. „So, Leute. Los gehts.“
„Ich glaub, Bernd und Ulf sind noch nicht eingewählt“, werfe ich ein.
„Die können nicht“, sagt Carl. „Also, Wolf, nächsten Donnerstag kommst du zum Meeting. Anouk wird auch da sein. Sie leitet ab jetzt das Testteam."
„Testteam, meine Fresse. Ich brauche mehr Entwickler, das weißt du ganz genau. Und nicht diese Idioten, die ..."
„Ich will, dass du eng mit Anouk zusammenarbeitest. Ist das klar?“
„Auf Deutsch: Die hat erst angefangen und ich muss ihr alles erklären.“
„Sie hat Potential“, sagt Carl. „Ich schick die Einladung rum. Bis dann."
Zweimal macht es Klick.
„Sie sind der einzige Teilnehmer im Konferenzraum“, sagt die Computerstimme.

Kurz vor zehn - Vanessa ist gerade dabei, Milch und Zucker neben dem Kaffeeautomaten zu arrangieren - betrete ich den Meetingraum. Ich wähle einen Platz mit dem Rücken zum Fenster. Aus dem Flur dringen Männerstimmen, kurz darauf kommen sie zu viert in den Raum. Bernd, der Charmeur mit dem kratzigen Dreitagebart, umarmt mich wie immer. Meiner Theorie zufolge ist er bi. Ich mag ihn.
Ulf zwinkert mir zu und lässt sich auf den Platz gegenüber fallen. „Moin."
„Anouk, das ist Wolf", sagt Carl und gestikuliert zu einem Mann in Jeans und dunklem Rollkragenpullover, der im Türrahmen steht.
Sein Haar ist militärisch kurz geschnitten, der dünne Vollbart kann die Aknenarben nicht kaschieren. Er hebt die Augenbrauen und lässt seinen Blick unruhig durch den Raum wandern. Etwas stimmt nicht mit ihm, denke ich. Ungelenk umrundet er den Tisch und setzt sich neben mich. Zu dicht.
Carl stellt Leons Projekt vor, ab und zu unterbrochen durch unsere Fragen. Ich versuche, die wichtigen Informationen mitzuschreiben. Alles ist im Verzug, auch die Hardware aus China.
„Kina“, sagt Wolf und verzieht dabei den Mund.
Die Besprechung verläuft konstruktiv. Was er sagt, hat für mich Hand und Fuß, anscheinend hat er schon Projekte dieser Größenordnung geleitet. Das beruhigt mich.

Die Tür öffnet sich einen Spalt und Vanessa winkt Ulf und Bernd zu sich heraus. Als Carl auf den Balkon geht, um eine zu rauchen, wirbelt eine Windböe Staub durch den Raum. Mein Auge sticht, ich kann nicht aufhören, zu blinzeln. Während ich halbblind in meiner Handtasche wühle, streicht etwas meinen Oberschenkel entlang. Falls die Tränen den Fremdkörper nicht wegspülen, muss ich die Kontaktlinsen rausnehmen. Mit zittrigen Händen öffne ich die Dose und das Fläschchen mit der Desinfektionslösung. Wolfs schlanke Finger ruhen auf meinem Bein. Als ich seinen Atem auf mir spüre, steigt Wärme in mir auf. Mein Auge brennt wie die Hölle.
„Nimm die Hand da weg!", sage ich leise, während ich an Wolf vorbei Richtung Balkon blinzele.
Tränen strömen über meine Wange. Carl hat uns den Rücken zugewandt, schaut runter zum Park und bläst Rauchringe in die Luft.
„Ich zeig dich an.“
„Das wirst du nicht tun“, entgegnet Wolf ruhig.
Meine Ohren rauschen, während ich nach Worten suche und keine finde. Sein Blick brennt tief.
Als Ulf und Bernd zurückkommen, rückt Wolf von mir ab und nimmt einen Schluck Kaffee. Carl schließt die Balkontür und stellt das nächste Programmpaket vor. Alles in mir kribbelt, ich höre nur noch mit halbem Ohr zu.

In der Nacht liege ich mit trockenem Mund im Bett und lausche dem Ehestreit meiner Nachbarn. Ich erfahre, dass er überall in der Wohnung seine Kleidung rumliegen lässt und dass sie ein Flittchen ist. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und fahre mein Notebook hoch. Während der Minztee zieht, durchforste ich Stellenanzeigen und formuliere erste Anschreiben. Der abgewetzte Teddy auf meinem Bett schaut stumm vor sich hin. Vielleicht melde ich mich morgen krank, rede ich mir zu, während ich auf das Waschbecken starre und mich frage, worauf ich eigentlich warte. Weder kann ich seine Berührung abspülen noch erbrechen. Ich lege eine alte Sting-CD auf, stürze den kalten Tee hinunter und verschicke fünf Bewerbungen - mehr kann ich nicht tun.

Laut Office-Kalender ist Wolf heute in München, stelle ich erleichtert fest, und in nächster Zeit mehrmals pro Woche. Wenn er hier im Haus ist, geistert er meistens bei den Entwicklungsteams im Stockwerk unter uns rum. Gestern um 21:49 Uhr hat er mir mein Testkonzept zurückgemailt. Er hat es umgeschrieben und mit detaillierten Erklärungen am Rand versehen.
In der Mittagspause surfe ich auf dem Smartphone, beginne eine E-Mail an Henning vom Betriebsrat und lösche sie wieder.

Je mehr ich mich in Prisma II vertiefe, desto weniger traue ich meiner Erinnerung. Ich werde die Sache auf sich beruhen lassen und nicht mehr daran denken. Womöglich habe ich überreagiert. Hoffentlich vergisst er es auch.

„Berufsanfänger ... packt die nicht“, höre ich, als ich um die Ecke biege. Das Grüppchen am Kaffeeautomaten verstummt und sieht mich an. Ich öffne den Kühlschrank, um die Milchpackung zu holen. Bernd kommt gutgelaunt mit großen Schritten angefegt, angelt eine Flasche aus dem Wasserkasten und flüstert Jamil etwas ins Ohr. Der verzieht keine Miene. Manchmal frage ich mich, was in diesem dunkelhäutigen, feingliedrigen Mann vorgeht, der auf mich wie ein halbes Kind wirkt.
„Na, Anouk, alles klar? Wie läufts?“, sagt Ulf.
„Bis jetzt gut“, murmle ich und stelle mich neben Vanessa, die für mich ein Stück zur Seite rückt. Zumindest hoffe ich das, eine Rückmeldung habe ich nicht. Wolf ist ständig unterwegs, wir kommunizieren nur per E-Mail und Telefon.

Korsika. Obwohl es kühl ist, liegen wir am Kieselstrand. Wir kuscheln eng aneinander, seine Hände sind überall auf mir. Er bedeckt mich mit Küssen, ich spüre seinen kratzigen Bart, bade in seinem intensiven Blick. Ich sehe, wie seine Lippen sich bewegen, aber es kommt kein Ton - seltsam. Mit einer linkischen Handbewegung streicht er mir eine Strähne aus der Stirn. Darüber legt sich der Klang von Mülltonnen, die gerade entleert werden. Heute ist Mittwoch. Als ich aus dem Bett springe, sacken mir beinahe die Knie weg. Mein Puls rast und eine Welle von Übelkeit überrollt mich. Ich muss duschen.

„Schön, dass du da bist“, empfängt mich Vanessa auf dem Sommerfest und drückt mir ein Glas Sekt in die Hand. Ich sehe mich auf der Dachterrasse um. Ein paar aus meinem Team sind auch da, Gott sei Dank. Ganz hinten sehe ich Bernd, der zum Gruß die Bierflasche hebt. Wie immer steht er dicht neben Jamil, unserem jüngsten Entwickler. Ich habe vergessen, wo der herkommt, aus Aserbaidschan, glaube ich. Bernd zauselt ihm durchs Haar.
„Anouk, Schätzchen!“, reißt mich Carl aus meinen Gedanken. „Jetzt erzähl mal. Wie läuft Prisma II?“
Achtung, Fangfrage.
Ich nippe am Sekt und streiche eine imaginäre Fluse von meiner Jeans. „Was willst du wissen?“
„Ob ihr die Timelines haltet.“
„Also, das fragst du besser Wolf“, sage ich schnell.
„Okay. Dann formulier ich es anders: Was ihr zum Testen bekommt, taugt das was?“
Zögernd nehme ich einen Schluck. Wolf macht das Beste aus dem unterbesetzten Projekt und nimmt sich im größten Stress die Zeit, mir alles zu erklären: Wie er plant und wie er Prioritäten setzt. Die Fehlerraten im Test sind hoch, aber ich will ihn nicht reinreiten.
Wenn man vom Teufel spricht.
„Hi!“ Wolf erscheint im Türrahmen. „Gibts auch Hefeweizen?“
Er sieht müde aus, hat Ringe unter den Augen. Vanessa reicht ihm ein Erdinger und er stellt sich dicht neben mich. Ich trete zwei Schritte zur Seite.
„Ist was?“, sagt er und blickt in die Runde.
Bernd kommt angeschlendert, er ist schon angeschickert und legt den Arm um meine Schulter. „Und, wie gefällts dir bei uns, Anouk?“
Ich winde mich aus seinem Griff und stelle mein Glas etwas fester als beabsichtigt auf dem Tisch ab.
„Du bist Jungfrau, oder?“, sagt Bernd zu mir.
Wolf verschluckt sich und beginnt, zu husten.
„Das Sternzeichen, mein ich“, sagt Bernd. „Jungfrauen sind die perfekten Softwaretester, wusstest du das?“
„Sorry, aber ich glaub nicht an Horoskope“, murmle ich und rücke näher an Wolf heran.
Carl erzählt von dem neuen Projekt namens Lava, das er an Land gezogen hat. Aus dem Augenwinkel beobachte ich Wolf, der am Etikett seiner Bierflasche pult und etwas vor sich hinmurmelt, das wie „Streichkonzert“ klingt.
Ich zwänge mich an ihm vorbei und laufe zur Treppe. In der Toilette grimassiert Bea vorm Spiegel und zieht Make-up nach. Ich verschließe meine Kabine und checke E-Mails. Bisher haben zwei Firmen den Eingang meiner Bewerbung bestätigt. Ich setze mich auf den WC-Deckel, surfe im Internet. Meine Probezeit ging gestern zu Ende. Vielleicht sollte ich mich in anderen Branchen umsehen? Oder umschulen auf ... was weiß ich ... Töpferin? Schäferin auf Korsika?
Die Tür geht.
„Warst du schon bei Henning?“, höre ich Beas Stimme.
Jemand schnäuzt die Nase.
„Wieso nicht?“, fragt Bea.
Ich schließe die Augen, wünschte, ich wäre ganz weit weg.
„Da ist jemand“, flüstert eine Stimme.
Als ich die Kabine verlasse, läuft Bea auf den Flur.

Die Tür zu Carls Zimmer ist geschlossen, als ich auf dem Weg zum Kaffeeautomaten bin. Zum ersten Mal höre ich Wolfs Stimme in Maximallautstärke.
„Ist mir scheißegal, deine Lavascheiße, ehrlich gesagt.“
Was Carl antwortet, kann ich nicht verstehen. Die Tür wird aufgerissen und plötzlich steht Wolf mit finsterer Miene vor mir.
„Anouk, kommst du mal bitte zu mir“, ruft Carl.
Ich betrete sein Zimmer und schließe die Tür.
„Hast du Lust, den Test bei Lava zu übernehmen?“, fragt er und lümmelt sich auf seinem Ledersessel mit der hohen Lehne nach hinten.
„Geht das denn? Eigentlich bin ich mit Prisma II voll ausgelastet.“
„Dafür würden wir eine Lösung finden“, sagt Carl mit einem Sphinxlächeln. „Ich mail dir die Infos über Lava und du schaust es dir an.“
Er beugt sich über seine Tastatur und ich verlasse den Raum. In meinem Kopf dreht sich ein Karussell. Prisma II ist auf einem guten Weg. Ich gebe alles für Wolfs Projekt. Er gibt alles.
Irgendwann einmal werde ich Schafe hüten auf Korsika. Aber bis dahin teste ich Software. Witzig eigentlich, das ist wie ein Lauf gegen die Uhr, wenn die Überstunden wie im Flug vergehen, bis die verdammte Software endlich funktioniert.
Bin ich nun aus Prisma II abgezogen oder nicht?

In der Ecke mit der Riesenpalme, hinter der Säule vorm Abstellraum hat er auf mich gewartet. Wolf stützt sich mit der Hand an der Wand ab, dass ich eingekesselt bin. Während er sich über mich beugt, rieche ich seinen Zwiebelminzeatem, sehe direkt in seine funkelnden Augen.
„Was hast du Carl erzählt?“, fragt er heiser.
„Lass mich vorbei.“
Ich wünschte, meine Stimme klänge anders. Nicht so piepsig.
„Erst beantwortest du meine Frage.“
Wolfs Blick ist nicht zu ertragen, ich will zu Boden sinken. Oder zur Seite schauen. Er nimmt seine Finger und hebt mein Kinn, zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen. In meinem Kopf dröhnt es, als schlügen unentwegt Stahlplatten aufeinander. Ich gebe einen Angstlaut von mir und verachte mich selbst dafür. Es war falsch, sich nicht an Henning zu wenden. So falsch.
„Du miese, kleine ...“, fängt Wolf an. Abrupt dreht er sich um und lässt mich stehen.

Ich sitze mit Kaja im Straßencafé und löffele die Crema von meinem Cappuccino. Es war ein Fehler, meiner Schwester davon zu erzählen.
„Du kannst ihn immer noch anzeigen“, sagt sie mit Bestimmtheit. „Das solltest du sogar tun.“
„Morgen hab ich ein Vorstellungsgespräch bei der IT-Leiterin einer Umweltorganisation, vielleicht wird das was.“
Dass es unterirdisch bezahlt ist und auf ein halbes Jahr befristet, unterschlage ich.
„Der Täter muss weg, nicht du.“ Sie beugt sich nach vorne. „Wegen Frauen wie dir machen diese Typen immer weiter. Du musst jetzt handeln.“
„Jetzt lass doch mal die Kirche im Dorf, er hat mich ja nicht ..., nicht vergewaltigt.“
Kaja schnappt nach Luft. „Was du mir erzählst, reicht locker für eine Anzeige. Schon ein anzüglicher Witz würde genügen.“
„Weißt du ... das war irgendwie komisch, ich hatte was im Auge und war abgelenkt.“
„Siehst du!“, sagt sie. „Der hat das ausgenutzt. Statistisch gesehen trifft es meist die Schwächsten: Leute in der Probezeit, Ausländer und Behinderte.“
„Das verstehst du nicht“, sage ich. „Etwas Besseres als Prisma II konnte mir karrieremäßig nicht passieren.“
Kaja winkt den Kellner herbei und wir bezahlen. Schweigend machen wir uns auf den Heimweg.

Wolf ist nicht an seinem Platz, Jamil auch nicht. Ich habe Fragen wegen dem neuen Release und gehe vor zum Empfang.
Vanessa zieht mich zur Seite und blickt umher, bevor sie in mein Ohr flüstert: „Wolf ist bei Carl drin. Die haben sich wieder angebrüllt.“
„Warum das denn?“
Sie zuckt die Schultern.
„Weißt du, wo Jamil ist?“, will ich wissen.
„Der kommt nicht mehr. Hat gekündigt.“ Vanessa mustert mich eingehend. „Steht dir übrigens gut, die neue Brille.“
„Danke“, murmle ich und verfluche im Geiste die Entzündung, die mich dazu zwingt, mit den Kontaktlinsen auszusetzen. Ich fühle mich unwohl mit dem schweren Ding auf der Nase und ständig kommentiert jemand mein Aussehen.
Meine Gedanken wandern zu Jamil. Er ist ein stiller Typ, arbeitet genau. Wolf hat ihn fair behandelt, soweit ich das mitbekommen habe, hat sein Talent gefördert und ihm nach und nach mehr Verantwortung übertragen. Weißt du, warum er gekündigt hat, liegt mir auf der Zunge zu fragen, und dann sehe ich wieder Bernd vor mir, wie er Jamil auf dem Sommerfest belagert hat.

Carl hat mir eine Nachricht geschickt, ich soll in sein Büro kommen. Als ich eintrete, fläzen sie sich auf ihren Stühlen, trifft mich Wolfs Blick mit voller Wucht.
„Anouk, Schätzchen. Setz dich“, sagt Carl und zeigt auf den Platz neben sich.
Ich ziehe den Stuhl vom Tisch weg, um den Abstand zu den beiden zu vergrößern, und lasse mich nieder. Hoffentlich kommt jetzt kein Spruch wegen meiner Brille.
„Hast du dir die Unterlagen für Lava angeschaut?“, fängt Carl an.
Ich nicke.
„Und? Wär das was für dich?“
„Klingt interessant, aber ich bin mit Prisma II ausgelastet. Beides gleichzeitig schaffe ich nicht.“
Carl runzelt die Stirn. „Ist dir Prisma II so wichtig? Möchtest du das gerne weitermachen?“
„Ja klar. Ich will das Projekt auf jeden Fall zu Ende bringen.“
Wolf richtet sich in seinem Stuhl auf. Sehe ich da den Anflug eines Lächelns?
Carl seufzt. „Also gut. Ihr habt mich überzeugt.“ Er steht auf und gestikuliert zu Wolf. „Der hier hätte alles hingeworfen, wenn ich dich zu Lava abgezogen hätte. Ab mit euch zweien.“
Wolf und ich erheben uns gleichzeitig. An der Tür lässt er mir mit einer knappen Handbewegung den Vortritt.
Als ich eine Kapsel in den Kaffeeautomaten stecke, holt er die Milch aus dem Kühlschrank und reicht sie mir. „Kommst du dann bitte mit in mein Büro.“

Ich stehe am Fenster und schlürfe meinen Kaffee. Wolf schließt die Tür, setzt sich mit verschränkten Armen hin und betrachtet mich eine Weile.
„Ich hab Carl gesagt, dass ich mit deiner Arbeit sehr zufrieden bin, Anouk. Dass du Prisma II voranbringst, dass wir dich brauchen. Und deshalb bin ich froh, dass du bleibst. Also, danke.“
„Ist das alles?“
Er kaut auf der Unterlippe. Ich trinke den letzten Schluck und knalle meine Kaffeetasse auf die Fensterbank, dass er zusammenfährt.
„Wegen dir hab ich meine Freizeit damit zugebracht, mich auf mies bezahlte Langweilerjobs zu bewerben.“ Ich mache ein paar Schritte auf ihn zu. „Wegen dir habe ich mir von meiner Schwester diese Scheiße anhören müssen, dass ich unsolidarisch handele, wenn ich dich nicht anzeige!“
Auf dem Weg zur Tür fällt mein Blick auf ein Foto auf seinem Schreibtisch, das ein Paar mit zwei Mädchen im Grundschulalter zeigt. Ohne Bart hätte ich ihn fast nicht erkannt.
„Deine Töchter, hm?“, schnappe ich. „Wie alt sind die jetzt?“
Ohne die Antwort abzuwarten, gehe ich raus in den Flur und schließe die Tür mit Nachdruck.

Am späten Abend verlasse ich das Büro. Als ich meine brennenden Augen reibe, schlüpft Wolf im letzten Moment zu mir in den Aufzug zur Tiefgarage. Falls er jetzt meine Brille kommentiert, erwürge ich ihn. Umständlich holt er seinen Schlüssel aus der Jackentasche und ein paar Mal habe ich das Gefühl, er setze an, etwas zu sagen, oder vielleicht bilde ich es mir nur ein.

 

Hallo Anne49,

ja ja, die Tester werden von den Entwicklern nie ernstgenommen. Mimmimi :schiel:. Ist wahrscheinlich eine Art Schwanzvergleich: Dipl.-Ing/Master schlägt Bachelor/Ausbildung. Dabei sind die Entwickler doch ganz froh, wenn das Testing ihre Fehler findet, bevor es an den Kunden rausgeht. ;)

Ich schreibe dir, was mir aufgefallen ist. Vlt. kannst du davon etwas gebrauchen.

Ich beuge mich übers Waschbecken und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht.
Schwups ist sie auf dem Damenklo.


TC habe ich nicht gleich verstanden. Telefonkonferenz kenne ich eher als Telko, noch kürzer Tk; englisch: audio conference, AC


„Hallo, hier ist Anouk",
So ein schöner Name! :)


„Sie hat Potential“, sagt Carl. „Ich schick die Einladung rum. Bis dann."
Zweimal macht es Klick.
„Sie sind der einzige Teilnehmer im Konferenzraum“, sagt die Computerstimme.
Sie reden über sie, als ob sie nicht da wäre. Schöne Stelle.


ich stecke die Kapsel in den Automat.
Vanessa arrangiert Milch und Zucker neben dem Kaffeeautomat.
Ich weiß, das ist Singular. Aber ich lese automatisch… in den Automaten/ neben dem Kaffeautomaten. (?)


Alles ist im Verzug, auch die Hardware aus China.
„Kina“, sagt Wolf und verzieht dabei den Mund.
Verbessert er hier die Aussprache vom Chef, von Sch- auf K-?


Unsere Blicke kreuzen sich und das Schlimmste ist, seine dunklen Augen brennen sich in mich ein.
Blicke brennen sich vielleicht ein, aber Augen?


Alles in mir kribbelt und klebt, ich höre nur noch mit halbem Ohr zu.
Das klingt, als hätte sein Verhalten sie erregt. Soll das so?
Oder was klebt in ihr? Ihre Sachen könnten vor Angstschweiß an ihr kleben.


Ich unterdrücke das Verlangen, ein weiteres Mal heiß zu duschen.
Versteh mich nicht falsch. Ich will Anouks Erlebnis nicht runter spielen. Aber der Satz ist mir zu sehr drüber und im Zusammenhang mit dem Thema Vergewaltigung zu geläufig.


In der Mittagspause surfe ich auf dem Smartphone, beginne eine Email an Henning vom Betriebsrat und lösche sie wieder.
E-Mail

„Okay. Dann formulier ich es anders: Was ihr zum Test bekommt, taugt das was?“
Ich hätte hier Testing oder zum Testen geschrieben.


Zögernd nehm ich einen Schluck.
Keine wörtliche Rede, besser nehme.


„Hi!“ Wolf erscheint im Türrahmen. „Gibts auch Hefeweizen?“
Ah, er hat das mit Kina also tatsächlich verbessernd gemeint. :shy:


„Sorry, aber ich glaub nicht an Horoskope“, murmele ich und rücke näher an Wolf heran.
Warum rückt sie jetzt näher an ihn ran?


Ich setze mich auf den geschlossenen WC-Deckel, surfe im Internet.
Geschlossen könnte weg.
Meine Probezeit ging gestern zuende
Zu Ende(?)


Die Tür geht.
„Warst du schon bei Henning?“, höre ich Beas Stimme.
Jemand schnäuzt die Nase.
„Wieso nicht?“
Ich schließe die Augen, wünschte, ich wäre ganz weit weg.
„Da ist jemand“, flüstert eine Stimme.
Als ich die Kabine verlasse, läuft Bea auf den Flur.
Die Passage habe ich mehrmals gelesen, habe aber nicht kapiert, wer mit wem redet.


Gnadenlos nimmt er seine Finger und hebt mein Kinn, zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen.
Das klingt irgendwie falsch.


Es war falsch, sich nicht an Henning zu wenden.

Es war ein Fehler, meiner Schwester davon zu erzählen.

Beides recht nah bei einander, stilistisch und auch im Text.


Ich hab Fragen wegen dem neuen Release und gehe vor zum Empfang.
Keine wörtliche Rede, besser habe.


Sein Audi steht vorne, nahe der Ausfahrt, während ich ganz hinten parke, wo die Neonröhren flackernd und sirrend einen langen Tod sterben. Meine Schritte hallen über den Betonboden.
Deine Geschichte endet, wie manche Horrorgeschichten beginnen. Wenn der Leser das hineininterpretieren soll, könntest du das etwas weiter treiben… etwas packt sie/ seine Schritte sind zu hören/es riecht plötzlich nach Zwiebelminze/...
Du beschreibst, wie schlecht es Anouk durch die Belästigungen geht. Und dann erteilt sie Wolf eine Ansage und alles ist wieder gut für sie? Klar, ist das mutig von ihr. Aber kann sie dann einfach weiter mit ihm arbeiten? Steht sie von da an echt darüber? Das ist für mich noch nicht ganz zu Ende gedacht. Eine schöne Geschichte hast du geschrieben. Aber ich will mehr Gegenwind von Anouk! :D

Liebe Grüße
wegen

 

"Sexismus ist, wenn Laura Himmelreich bei "Anne Will" gerade über Sexismus als "strukturelles Problem" referiert - und der Kameramann auf die rosafarbenen Stilettos von Verona Pooth zoomt, um dann laaangsam die Beine hinaufzufahren. Besser als mit dieser praktischen Übung hätte man #MeToo nicht auf die Meta-Ebene überführen können", beginnt Spiegel Online (unter http://www.spiegel.de/kultur/tv/ann...nstitution-hat-einen-weinstein-a-1177650.html) und da hastu,

liebe Anne,

tatsächlich den Liebhaber des Wolfes und seiner Derivate allein schon aufgrund des Titels angelockt.

Hat der Wolf sich einmal entschieden, bleibt er auch bei der Wölfin, schickt aber potentielle Konkurrenten im eigenen Rudel - i. d. R. also seine Söhne - auf Wanderschaft. Ich wüsste auch nicht, dass er eine Wölfin auch nur verniedlichte oder gar betatschte (diese Bremse kann bei Hundwelpen sich gar nicht entwickeln, weil der Wolf fast ein halbes Jahr - i. d. R. 21 Wochen - beim Muttertier bleibt und der Hundwelpe i. d. R. nur acht Wochen - sonst könnt er ja wie der Wolf eine gewisse Intelligenz erlangen und halt nicht nur pielen wollen)

Aber ist es nicht eine Schande, wenn sich ehrenwerte Kronen der Schöpfung nicht von animalischen Neigungen befreien können und andere mehr als nur in Verlegenheit bringen, ob in der Arbeitswelt oder im überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel auf dem Weg da- oder sonstwo hin? Ein Zitat aus dem o. g. Bericht trifft dann Deine Geschichte auf den Punkt: "Wenn ich dann die Klappe aufmache, bin ich eine starke Frau, aber ich bin meinen Job los." Aber die Frage bleibt doch auch, ob nicht hier schon Sexismus beginnt, wenn es heißt

„Anouk, Schätzchen!“, reißt mich Carl aus meinen Gedanken.
Und Carl scheint latent darunter zu leiden ...

Triviales

Sie läuft mir hinterher, ich stecke die Kapsel in den Automat.
(heißt es nicht "des, dem, den Automaten"?)

„Nimm die Hand da weg", sage ich leise, ...
(Selbst wenn es leise klingt, klingt es nach mehr als einer Aussage ...!)

Wolf ist nicht an seinem Platz. Jamil auch nicht. Ich hab Fragen wegen dem neuen Release und gehe vor zum Empfang.
Ich weiß, Umgangssprache ... und schweige beschämt, obwohl's mich juckt ... sonst stünd es ja nicht hier. Hier aber nicht, selbst wenn so gesprochen wird
Ich will das Projekt auf jeden Fall zuendebringen.“
"zu Ende bringen"
„Kommst du dann bitte mit in mein Büro.“
siehe oben!, wenn auch leiser

Also, was tun gegen die Carls ja nur lieb gemeinte Verniedlichung und wie gegen die Wölfe im Schafspelz - wie überhaupt gegen Machtgehabe?

Wie immer - gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne49,

gleich am Anfang habe ich gedacht, dass dein Text auf mich sehr lebendig wirkt. Du schreibst schnörkellos, direkt, das gefällt mir. Vor allem die Dialoge fand ich gut.

Der Carl, der haut halt gleich was ganz Schönes raus:

„Jetzt lächle mal. Damit siehst du schöner aus."
Ich muss dazu sagen, ich finde so ein bisschen Flirterei am Arbeitsplatz ja nicht schlimm. Wenn die Grenzen von Anfang an klar sind, dann finde ich das sogar unterhaltsam und fühle mich da nicht belästigt oder so. Aber dieser eine Satz hier von dir, bzw. von Carl, der ist voll unangenehm. Einfach unpassend. Hast du gut gewählt.

Auch der Dialog mit den Kollegen ist super. Das hier mag ich besonders:

„Wie ist der denn so, der Wolf?", frage ich wie beiläufig. „Ist der nett?"
Für einen Moment wird es still. Vanessa zerknüllt eine Serviette.
„Yoaah", sagt Bernd und geht.
Oh je, ich bin gespannt ...

Sein Haar ist militärisch kurz geschnitten, der dünne Vollbart kann die Aknenarben nicht kaschieren. Er hebt die Augenbrauen und lässt seinen Blick unruhig durch den Raum wandern. Etwas stimmt nicht mit ihm, denke ich. Ungelenk umrundet er den Tisch und setzt sich neben mich. Zu dicht.
Gefällt mir, kann ich mir gut vorstellen.

Als Wolf ihr dann gleich beim ersten Meeting (live) auf die Pelle rückt, ist mir das dann irgendwie zu plötzlich. Bzw. gleich zu krass. Ich glaube, eine wie zufällig erscheinende Berührung, der passende Blick dazu, aber alles ein wenig subtiler, hätte ich besser gefunden. Auch das "Ich zeig dich an" war mir hier irgendwie zu fix bei der Hand. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Kollegen jederzeit wieder in den Konfi kommen könnten, hätte ich da eine subtilere Vorgehensweise des Wolfs besser gefunden. Sehe aber vielleicht nur ich so, mal abwarten.

In der Nacht liege ich mit trockenem Mund im Bett und lausche dem Ehestreit meiner Nachbarn. Ich erfahre, dass er überall in der Wohnung seine Kleidung rumliegen lässt und dass sie ein Flittchen ist. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und fahre mein Notebook hoch. Während der Minztee zieht, durchforste ich Stellenanzeigen und formuliere erste Anschreiben. Der abgewetzte Teddy auf meinem Bett schaut stumm vor sich hin. Ich unterdrücke das Verlangen, ein weiteres Mal heiß zu duschen. Vielleicht melde ich mich morgen krank, rede ich mir zu, während ich auf das Waschbecken starre und mich frage, worauf ich eigentlich warte. Weder kann ich seine Berührung abspülen noch erbrechen. Fühlt es sich so an, den Verstand zu verlieren? Ich lege eine alte Sting-CD auf, stürze den kalten Tee hinunter und verschicke fünf Bewerbungen - mehr kann ich nicht tun.
Auch das ist mir irgendwie zu schnell. Ich weiß auch nicht, hier fehlt mir so eine Entwicklung ... Das wird irgendwie so abgehandelt.

Womöglich habe ich überreagiert. Hoffentlich vergisst er es auch.
Das macht wieder Sinn, finde ich. Sie versucht, sich zu beruhigen, ihm auch einfach nicht die Macht zu geben.

Korsika. Obwohl es kühl ist, liegen wir am Kieselstrand. Wir kuscheln eng aneinander, seine Hände sind überall auf mir. Er bedeckt mich mit Küssen, ich spüre seinen kratzigen Bart, bade in seinem intensiven Blick. Ich sehe, wie seine Lippen sich bewegen, aber es kommt kein Ton - seltsam. Mit einer linkischen Handbewegung streicht er mir eine Strähne aus der Stirn. Darüber legt sich der Klang von Mülltonnen, die gerade entleert werden. Heute ist Mittwoch. Als ich aus dem Bett springe, sacken mir beinahe die Knie weg. Mein Puls rast und eine Welle von Übelkeit überrollt mich. Ich muss duschen. Schnell!
Okay, jetzt bin ich verwirrt ... Hat sie geträumt? Vielleicht sogar von Wolf? Ist ihr deshalb schlecht?

Bernd kommt angeschlendert, er ist schon angeschickert und legt den Arm um meine Schulter. „Und, wie gefällts dir bei uns, Anouk?“
Ich winde mich aus seinem Griff und stelle mein Glas etwas fester als beabsichtigt auf dem Tisch ab.
„Du bist Jungfrau, oder?“, sagt Bernd zu mir.
Wolf verschluckt sich und beginnt, zu husten.
„Das Sternzeichen, mein ich“, sagt Bernd. „Jungfrauen sind die perfekten Softwaretester, wusstest du das?“
Poah, wie unangenehm. Aber sehr gut dargestellt! Auch wie sich plötzlich ihre Sichtweise zu verändern scheint. Sie rückt näher an Wolf heran, wegen dem sie sich ja sogar bei anderen Firmen bewirbt ...

„Warst du schon bei Henning?“, höre ich Beas Stimme.
Jemand schnäuzt die Nase.
„Wieso nicht?“, fragt Bea.
Ich schließe die Augen, wünschte, ich wäre ganz weit weg.
„Da ist jemand“, flüstert eine Stimme.
Als ich die Kabine verlasse, läuft Bea auf den Flur.
Ebenfalls gut gemacht. Ich mag es total, wie du szenisch beschreibst, was passiert. Es gibt also anscheinend noch eine Dame, die belästigt wird.

„Der Täter muss weg, nicht du.“ Sie beugt sich nach vorne. „Wegen Frauen wie dir machen diese Typen immer weiter. Du musst jetzt handeln.“
„Jetzt lass doch mal die Kirche im Dorf, er hat mich ja nicht ..., nicht vergewaltigt.“
Kaja schnappt nach Luft. „Was du mir erzählst, reicht locker für eine Anzeige. Schon ein anzüglicher Witz würde genügen.“
„Weißt du ... Beim ersten Mal war das irgendwie komisch. Ich hatte was im Auge und war abgelenkt.“
„Siehst du!“, sagt sie. „Der hat das ausgenutzt. Statistisch gesehen trifft es meist die Schwächsten: Junge Mitarbeiter, Ausländer und Behinderte.“
„Das verstehst du nicht“, sage ich. „Etwas Besseres als Prisma II konnte mir karrieremäßig nicht passieren. Wolf ist schwer in Ordnung und ich profitiere enorm von ihm.“
Spüre ich da einen Hauch von Harvey Weinstein? Der mächtige Mann, von dem ich profitiere, der mich aber unangenehm oder unschicklich behandelt? Also hier fängt deine Protagonistin an, mich zu nerven. Entweder - oder! Entweder ich fühle mich belästigt und wehre mich. Oder aber ich profitiere. Seit dieser ganzen Debatte habe ich viel über das Thema nachgedacht, vor allem, nachdem ja gefühlt jede zweite Frau #metoo auf ihren Onlinepräsenzen posted. Ich weiß auch nicht, ich habe da (wohlgemerkt als Frau!) sehr gemischte Gefühle ... Aber das jetzt auszuführen, wäre off topic und ginge zu weit.

„Anouk, Schätzchen. Setz dich“, sagt Carl und zeigt auf den Platz neben sich.
Schon wieder so ’n Ding. Wieso wehrt sie sich nicht? Das macht mich fuchsig ...

„Wegen dir hab ich meine Freizeit damit zugebracht, mich auf mies bezahlte Langweilerjobs zu bewerben.“ Ich mache ein paar Schritte auf ihn zu. „Wegen dir habe ich mir von meiner Schwester diese Scheiße anhören müssen, dass ich unsolidarisch handele, wenn ich dich nicht anzeige!“
Wolf springt auf wie von der Tarantel gestochen. Auf dem Weg zur Tür fällt mein Blick auf ein Foto auf seinem Schreibtisch, das ein Paar mit zwei Mädchen im Grundschulalter zeigt. Ohne Bart hätte ich ihn fast nicht erkannt.
„Deine Töchter, hm?“, schnappe ich. „Wie alt sind die jetzt?“
Ohne die Antwort abzuwarten, geh ich raus in den Flur und schließe die Tür mit Nachdruck.
Meine Güte, na endlich!!!

Also, ich mag deine Geschichte. Auch wenn ich über manche Stellen gestolpert bin, aber das macht ja nichts. Sie löst viel in mir aus. Wut, Genervtheit, Verständnis, Ungeduld. Das Thema Belästigung am Arbeitsplatz ist echt schwierig. Was du gut schaffst, ist zu zeigen, dass es da vielfältige Formen gibt und dass eben auch Männer sich belästigt fühlen können. Da gibt es den ganz auffälligen Betatscher, diesen Bernd, dann den, der’s im Verborgenen macht, Wolf, und schließlich ihren Chef Carl, der wahrscheinlich denkt, er sei charmant ;)

Hat mir gut gefallen.
RinaWu

 

Hallo wegen,

meinen innigsten Dank für deinen tollen Kommentar!

(All die Fehlerlein, die du gefunden hast und die ich einfach verbessert habe, liste ich nicht noch mal hier auf.)

Ich beuge mich übers Waschbecken und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht.
Schwups ist sie auf dem Damenklo.

Jahaa, das ist eine ganz schlechte Angewohnheit von mir, die Szenen nicht zu verorten. Nach dem Motto, der Leser wird es schon merken, wo wir uns gerade befinden. Ich hab jetzt davor ergänzt, dass sie kurz abbiegt. Klingt vielleicht immer noch etwas kryptisch, oder? Aber es wäre so abtörnend, es noch direkter zu schreiben, finde ich.

TC habe ich nicht gleich verstanden. Telefonkonferenz kenne ich eher als Telko, noch kürzer Tk; englisch: audio conference, AC

Hm, bei uns heißt das so. Aber okay, jetzt ist es die ausgeschriebene Telefonkonferenz.

Anouk - So ein schöner Name! :)

Ja, nicht? Ich traue es mich kaum zu sagen, aber ganz zu Anfang hieß sie Agnes, was sich mit dem lateinischen „agnus“ für Lamm in Verbindung bringen ließe. Wolf + Lamm - das war schon arg plump, diese Täter-Opfer-Benennung. So weit wollte ich dann doch nicht gehen.

Alles ist im Verzug, auch die Hardware aus China.
„Kina“, sagt Wolf und verzieht dabei den Mund. -

Verbessert er hier die Aussprache vom Chef, von Sch- auf K-?

Ich denke mal, der Chef spricht das Ch in China aus wie das Ch in Märchen (hochdeutsch) und Wolf kommt aus Bayern und spricht es aus wie K.
Wolf sagt es verächtlich, so von wegen schlechte Chinaqualität.
Anouk fällt die Aussprache mit dem K auf. So wie sie mir als Hessin auch auffallen würde, ich amüsiere mich zugegebenermaßen gerne darüber. Kann nur hoffen, dass du nicht aus Bayern bist ... :shy:

Unsere Blicke kreuzen sich und das Schlimmste ist, seine dunklen Augen brennen sich in mich ein. -
Blicke brennen sich vielleicht ein, aber Augen?

Gekauft! Hab ich geändert.

Alles in mir kribbelt und klebt, ich höre nur noch mit halbem Ohr zu. -
Das klingt, als hätte sein Verhalten sie erregt. Soll das so?
Oder was klebt in ihr? Ihre Sachen könnten vor Angstschweiß an ihr kleben.

Also, es soll schon so ein bisschen durchschimmern, dass Wolf sie unterm Strich nicht total anekelt. Hier in dieser Situation hab ich aber doch eher an ein unangenehmes Kribbeln gedacht.

Ja, vielleicht sind diese Formulierungen vom innerlichen Kribbeln und Kleben hier zu symbolisch und dann doch wieder auch zu gewöhnlich. Ich werde noch mal drüber nachdenken.

Ich unterdrücke das Verlangen, ein weiteres Mal heiß zu duschen. -
Versteh mich nicht falsch. Ich will Anouks Erlebnis nicht runter spielen. Aber der Satz ist mir zu sehr drüber und im Zusammenhang mit dem Thema Vergewaltigung zu geläufig.

Hm, kann ich nachvollziehen. Ich behalte es mal im Hinterkopf. Da hängen halt noch mehr Sätze dran, von der Logik her, weswegen ich erst mal abwarte. Aber das ist ein Streichkandidat ...

„Sorry, aber ich glaub nicht an Horoskope“, murmele ich und rücke näher an Wolf heran.
Warum rückt sie jetzt näher an ihn ran?

Das ist irre, oder? Ich bin total glücklich, dass dir das aufgefallen ist. Bernd ist beschwipst und in dem Moment fühlt sich Anouk bei Wolf sicherer als bei Bernd.

Die Tür geht.
„Warst du schon bei Henning?“, höre ich Beas Stimme.
Jemand schnäuzt die Nase.
„Wieso nicht?“
Ich schließe die Augen, wünschte, ich wäre ganz weit weg.
„Da ist jemand“, flüstert eine Stimme.
Als ich die Kabine verlasse, läuft Bea auf den Flur.

Die Passage habe ich mehrmals gelesen, habe aber nicht kapiert, wer mit wem redet.

In der vierten Zeile habe ich jetzt noch hinzugefügt: „fragt Bea.“ Wer die andere Person ist (die Nase schnäuzt und flüstert), sieht Anouk nicht, sie ist ja hinter der Tür, in der WC-Kabine.

Gnadenlos nimmt er seine Finger und hebt mein Kinn, zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen.
Das klingt irgendwie falsch.

Hast Recht. Gnadenlos hab ich rausgezogen aus dem Satz.

Es war falsch, sich nicht an Henning zu wenden. ...
Es war ein Fehler, meiner Schwester davon zu erzählen. --

Beides recht nah bei einander, stilistisch und auch im Text.

Also, das ist schon ganz bewusst so geschrieben. Bin auch fast geneigt, aus dem ‚falsch‘ im ersten Satz wieder ‚ein Fehler‘ zu machen. So, wie es erst war.

Es ist ja bezeichnend für Anouks Situation, dieses Hin- und Hergerissensein: Wem soll sie es erzählen? Wem nicht? Und was hilft es ihr? Die einen verharmlosen das Ganze („stell dich nicht so an, ist doch nicht so schlimm“), die anderen reagieren übertrieben („du musst dich wehren, du musst dich beschweren, du musst ihn anzeigen“).

Sein Audi steht vorne, nahe der Ausfahrt, während ich ganz hinten parke, wo die Neonröhren flackernd und sirrend einen langen Tod sterben. Meine Schritte hallen über den Betonboden.
Deine Geschichte endet, wie manche Horrorgeschichten beginnen. Wenn der Leser das hineininterpretieren soll, könntest du das etwas weiter treiben… etwas packt sie/ seine Schritte sind zu hören/es riecht plötzlich nach Zwiebelminze/...

Hach, danke! Das ist sooo schön, dass du das schreibst! Für wie wahrscheinlich hältst du das denn?

(Irgendwann demnächst erzähle ich mal, welches Ende ich ursprünglich geplant hatte.)

Du beschreibst, wie schlecht es Anouk durch die Belästigungen geht. Und dann erteilt sie Wolf eine Ansage und alles ist wieder gut für sie? Klar, ist das mutig von ihr. Aber kann sie dann einfach weiter mit ihm arbeiten? Steht sie von da an echt darüber? Das ist für mich noch nicht ganz zu Ende gedacht.

Ja kann man das denn zu Ende denken? Muss man das zu Ende denken?
Ich möchte die Geschichte nicht bis zu dem Tag erzählen, an dem sich ihre beruflichen Wege trennen.

Das ist schon so ein Kuddelmuddel mit den beiden. Anouk hat sich ja dafür entschieden, weiter in Wolfs Projekt zu arbeiten. Anscheinend können die beiden doch gut zusammen arbeiten. Ich hoffe, das kommt ansatzweise rüber.
Ich weiß nicht, habe ich es übertrieben mit der Darstellung ihres Ekelgefühls?

Also, ich wollte einfach irgendwann abbrechen. Das Leben geht weiter, die Menschen sind wie sie sind. Ich könnte mir vielleicht vorstellen, dass sie Wolf an der richtigen Stelle gepackt hat - bei seinen Töchtern - und dass er auf dem Heimweg drüber nachdenkt.

Und ich entschuldige mich bei Jamil, dass ich seine Geschichte nicht erzähle.

Eine schöne Geschichte hast du geschrieben. Aber ich will mehr Gegenwind von Anouk!

Ich wollte keine „schöne“ Geschichte schreiben. Es ist ein sehr vielschichtiges Thema und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm wenigstens ansatzweise gerecht werde.

Anouk ist eine recht starke Heldin, weil sie es in ihrem Job draufhat. Noch kämpferischer möchte ich sie nicht zeichnen. Ich habe auch gar nichts dagegen, wenn sie in ihrem Ehrgeiz und ihrer Zielstrebigkeit etwas negativ rüberkommt, weil sie sich nicht genug wehrt.

Hat mich sehr gefreut, wegen. Und nun bin ich gespannt auf deine Gegenwind-, ach was, deine Orkan-Geschichte! :read:

Liebe Grüße
Anne

 

Anne49
Hallo liebe Anne,

Ich denke mal, der Chef spricht das Ch in China aus wie das Ch in Märchen (hochdeutsch) und Wolf kommt aus Bayern und spricht es aus wie K.
... Kann nur hoffen, dass du nicht aus Bayern bist ...:shy:
Nee, bin ick nich. :p

(Irgendwann demnächst erzähle ich mal, welches Ende ich ursprünglich geplant hatte.)
Yeah! Bin gespannt.

Ich weiß nicht, habe ich es übertrieben mit der Darstellung ihres Ekelgefühls?
hmm, ich find schon. Vielleicht schwächst du das ab und lässt Anouk eher sich ungerecht behandelt fühlen und empört sein, über seine Dreistigkeit, sie so zu behandeln. Das würde sie als Prota stärken und ihre Entscheidung, darüber hinweg zu sehen und trotzdem weiter mit ihm zu arbeiten, für den Leser realistischer machen. Weißt du, was ich meine?

Und nun bin ich gespannt auf deine Gegenwind-, ach was, deine Orkan-Geschichte!
:shy: Bau ruhig Druck auf! Grundgerüst steht, aber die Sache mit dem prägnanten, gepfefferten Schluss... puhh.

Viele Grüße
wegen

 

Friedrichard

Ich weiß, Umgangssprache ... und schweige beschämt, obwohl's mich juckt ...

hast ja Recht, lieber Friedel,

und die (hessisch babbelnde) Anne hat verschämt noch ein E an das eine oder andere Verb gehängt ... Ein Ausrufezeichen habe ich hinzugefügt und die Deklination der schon inflationär in meiner Geschichte auftretenden Kaffeeautomaten ist korrigiert. Anouk hat bestimmt eine Koffeinvergiftung. :Pfeif:

"Sexismus ist, wenn Laura Himmelreich bei "Anne Will" gerade über Sexismus als "strukturelles Problem" referiert - und der Kameramann auf die rosafarbenen Stilettos von Verona Pooth zoomt, um dann laaangsam die Beine hinaufzufahren.

Schöner Artikel! Endet mit der Feststellung, dass es ja auch eine Kamerafrau gewesen sein könnte. Eine Täterin gibt es in meiner Geschichte nicht, dafür mit Jamil zumindest auch ein männliches Opfer, wenn auch nur in einer Nebenrolle.

Ja, und da muss dieses märchenhafte Raubtier in meiner Geschichte als Bild herhalten ... Im Vorfeld habe ich gar nicht so darüber nachgedacht über die (lt. Wikipedia) ambivalente Einstellung des Menschen gegenüber dem Wolf, einerseits verehre er ihn als starkes und überlegenes Tier, zum anderen projiziere er auf das Raubtier vielfältige Ängste.

Und Anouk hieß in meinen allerersten Entwürfen Agnes (agnus, lat. das Lamm). Na ja, das war mir dann doch zu dolle mit dem Symbolholzhammer. Und außerdem musste ich immer an „Der Wolf, das Lamm, Hurz!“ von Hape Kerkeling denken ...

Besten Dank für deinen Besuch und die Flusenlese! :)

Liebe Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Anne49

Ist grad viel los im Forum. Die vielen neuen Challenge-Geschichten, und meine Kommentatoren warten auch auf eine Antwort.
Nun habe ich auch Gewinn aus der Situation, denn ich kann mich auf eine deutlich verbesserte Version einlassen. Danke dafür, dass du umgehend verbesserst und mir dadurch das Leben erleichterst.:thumbsup:

Du bist wieder einmal hochaktuell mit deiner Geschichte aus dem Arbeitsplatzalltag, wo einer Frau sehr viel Wind entgegenbläst. Mal als sanftes Säuseln (Bernd, Carl) was aber auf die Dauer auch austrocknen kann, mal als Dauersturm (da empfiehlt es sich, den Arbeitsplatz zu wechseln nach dem Motto "love it or leave it".)

Am schlimmsten sind die Situationen mit den unberechenbaren Sturmböen, und in einer solchen befindet sich deine Anouk. Ich stimme dir übrigens zu mit der entschärften Namensgebung. "Der Wolf liegt neben dem Lämmlein":D.Das Paradies. Das hätte mich zum Lachen gereizt.

Ungelenk umrundet er den Tisch und setzt sich neben mich. Zu dicht.

Das könnte ja Zufall sein, ein Typ Mann, der allen den Raum wegnimmt. Vielleicht ist er ja gewöhnt, dass alle andern zur Seite rücken.

Wolfs Finger umklammern mein Bein, dass es weh tut, ... steigt Wärme in mir auf.

Das ist die im Unterbewusstsein erwartete Attacke und auch die dort verankerte Reaktion. Es ist halt das Dilemma, dass übergriffige Männer attraktiv sein können. Aber im Bewusstsein ist verankert, dass einer hier wieder einmal Machtspielchen probiert: Deine Karriere hängt von mir ab.

Ich finde deine Prota sehr mutig, dass sie ihm die Schranken weist und mit einer Anzeige droht. Ob der Hinweis auf seine Töchter ihn zur Raison bringt??

Du lässt den Schluss offen, und das finde ich richtig. Wie wir gerade aus den Medien erfahren, dauert es Jahre, bis Frauen sich entschließen, über solche Machtspiele zu sprechen. Manch eine wird ihre eigene Ambivalenz zur Kenntnis nehmen müssen.

Sprachlich übrigens flott erzählt mit guten Dialogen (deine Stärke), und nachdem der fachliche Sound etwas gedämpft wurde, ohne Probleme verständlich.

Hat mir gut gefallen, liebe Anne. Ich könnte auch einiges dazu beitragen. Aber nicht im Forum:sealed:

Herzlichst
wieselmaus

 

Hallo RinaWu,

vielen Dank für deinen tollen Kommentar! :)

Das Lob darin habe ich begierig aufgesogen. Aber ich spüre schon auch deine Kritik und das deckt sich mit meinem eigenen Empfinden, dass der Geschichte noch ein bisschen Bearbeitung gut anstehen würde.

„Jetzt lächle mal. Damit siehst du schöner aus."
Aber dieser eine Satz hier von dir, bzw. von Carl, der ist voll unangenehm. Einfach unpassend. Hast du gut gewählt.

Das ist so ein Klassiker, oder? Ich finde diese Anweisung auch total unangenehm. Als ob Anouk ein Teil der Zimmerdekoration wäre! (Keine Ahnung, ob man das auch zu Männern sagen würde?)

Als Wolf ihr dann gleich beim ersten Meeting (live) auf die Pelle rückt, ist mir das dann irgendwie zu plötzlich. Bzw. gleich zu krass. Ich glaube, eine wie zufällig erscheinende Berührung, der passende Blick dazu, aber alles ein wenig subtiler, hätte ich besser gefunden. Auch das "Ich zeig dich an" war mir hier irgendwie zu fix bei der Hand.

Ja, ich ahne, was du meinst. Diese Schlüsselszene ist zum einen nicht optimal formuliert (ich bin dran) und zum anderen so krass. Dass er das so schamlos ausnutzt, dass sie gerade mit der Kontaktlinse rumfummelt ...

Die Frage ist aber auch, wie viele unangenehme Szenen zwischen Wolf und Anouk soll es geben? Momentan gibt es zwei. Und mehr wollte ich eigentlich nicht unterbringen. Wenn ich es jetzt sehr subtil mache, dann fragt man sich, warum sie sich so daran stört. Bzw. dann müsste es eine weitere Belästigungsszene geben, oder wie meinst du das?

Das ‚Ich zeig dich an‘ ist ebenfalls krass, stimmt. Irgendwo habe ich vor Monaten mal etwas in einem Zeitungsartikel über zwei halbwegs prominente Leute gelesen: Er hätte sie vor Jahren belästigt, indem er ihr die Hand aufs Knie gelegt und sie betatscht hätte. Woraufhin sie gesagt hätte, sie zeige ihn an. Er hätte die Hand weggenommen und sie seien seitdem sehr gut befreundet. Leider kriege ich die Namen nicht mehr zusammen. Aber das bildete die Grundidee zu meiner Geschichte.

In der Nacht liege ich mit trockenem Mund im Bett und lausche dem Ehestreit meiner Nachbarn. Ich erfahre, dass er überall in der Wohnung seine Kleidung rumliegen lässt und dass sie ein Flittchen ist. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und fahre mein Notebook hoch. Während der Minztee zieht, durchforste ich Stellenanzeigen und formuliere erste Anschreiben. Der abgewetzte Teddy auf meinem Bett schaut stumm vor sich hin. Ich unterdrücke das Verlangen, ein weiteres Mal heiß zu duschen. Vielleicht melde ich mich morgen krank, rede ich mir zu, während ich auf das Waschbecken starre und mich frage, worauf ich eigentlich warte. Weder kann ich seine Berührung abspülen noch erbrechen. Fühlt es sich so an, den Verstand zu verlieren? Ich lege eine alte Sting-CD auf, stürze den kalten Tee hinunter und verschicke fünf Bewerbungen - mehr kann ich nicht tun.
Auch das ist mir irgendwie zu schnell. Ich weiß auch nicht, hier fehlt mir so eine Entwicklung ... Das wird irgendwie so abgehandelt.

Die beiden Sätze mit dem Heißduschen und Verstandverlieren habe ich mal gekillt (siehe oben). Das nimmt dem Absatz hoffentlich etwas die Spitze.

Zum Schreiben der Bewerbungen möchte ich nur anmerken, dass Anouk aktuell in der Probezeit ist, d.h. ihre letzten Bewerbungen liegen noch nicht lange zurück. Sie hat vermutlich alles bereitliegen, Zeugnisse, Lebenslauf usw.

Mit der fehlenden Entwicklung und dem Abgehandeltwerden: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was konkret ich noch tun müsste, um das zu beheben? Vielleicht kommt mir ja noch eine Eingebung. :shy:

Korsika. Obwohl es kühl ist, liegen wir am Kieselstrand. Wir kuscheln eng aneinander, seine Hände sind überall auf mir. Er bedeckt mich mit Küssen, ich spüre seinen kratzigen Bart, bade in seinem intensiven Blick. Ich sehe, wie seine Lippen sich bewegen, aber es kommt kein Ton - seltsam. Mit einer linkischen Handbewegung streicht er mir eine Strähne aus der Stirn. Darüber legt sich der Klang von Mülltonnen, die gerade entleert werden. Heute ist Mittwoch. Als ich aus dem Bett springe, sacken mir beinahe die Knie weg. Mein Puls rast und eine Welle von Übelkeit überrollt mich. Ich muss duschen. Schnell!
Okay, jetzt bin ich verwirrt ... Hat sie geträumt? Vielleicht sogar von Wolf? Ist ihr deshalb schlecht?

In einem ersten Entwurf stand Wolfs Name explizit drin, dann habe ich das durch Pronomen ersetzt und fand das schön nebulös. Na klar darf es so gelesen werden. Bernd hat zwar auch einen Bart, aber anscheinend denkt man doch eher an ... :Pfeif: Wolf.

Ich war und bin gespannt auf die Rückmeldungen, inwieweit das schön ambivalent ist oder einfach nur inkonsistent und verwirrend. Dass sie von Wolf träumt, kann ja vieles bedeuten. Ich denke, sie findet ihn irgendwie auch attraktiv.

Auch wie sich plötzlich ihre Sichtweise zu verändern scheint. Sie rückt näher an Wolf heran, wegen dem sie sich ja sogar bei anderen Firmen bewirbt ...

Das freut mich sehr, dass dir das aufgefallen ist! Weil Bernd schon reichlich getrunken hat, fühlt sie sich bei Wolf sicherer.

„Der Täter muss weg, nicht du.“ Sie beugt sich nach vorne. „Wegen Frauen wie dir machen diese Typen immer weiter. Du musst jetzt handeln.“
„Jetzt lass doch mal die Kirche im Dorf, er hat mich ja nicht ..., nicht vergewaltigt.“
Kaja schnappt nach Luft. „Was du mir erzählst, reicht locker für eine Anzeige. Schon ein anzüglicher Witz würde genügen.“
„Weißt du ... Beim ersten Mal war das irgendwie komisch. Ich hatte was im Auge und war abgelenkt.“
„Siehst du!“, sagt sie. „Der hat das ausgenutzt. Statistisch gesehen trifft es meist die Schwächsten: Junge Mitarbeiter, Ausländer und Behinderte.“
„Das verstehst du nicht“, sage ich. „Etwas Besseres als Prisma II konnte mir karrieremäßig nicht passieren. Wolf ist schwer in Ordnung und ich profitiere enorm von ihm.“
Spüre ich da einen Hauch von Harvey Weinstein? Der mächtige Mann, von dem ich profitiere, der mich aber unangenehm oder unschicklich behandelt? Also hier fängt deine Protagonistin an, mich zu nerven. Entweder - oder! Entweder ich fühle mich belästigt und wehre mich. Oder aber ich profitiere.

Hm, ja, das war schon beabsichtigt. Ich wollte Anouk nicht nur als lieb und nett charakterisieren. Sie sollte schon auch so eine Obsession in ihrem Job haben, viel und gut arbeiten (und diese Eigenschaft mit Wolf teilen). Weswegen sie weiter mit ihm zusammenarbeiten will. Er scheint ja auch seine gute Seiten zu haben und sie zu coachen.

Dann habe ich gelesen, dass wieselmaus in einem anderen Thread geschrieben hat, einen Ich-Erzähler als unsympathisch zu charakterisieren, sei etwas für Fortgeschrittene. Da bin ich dann ein bisschen zusammengezuckt ...

Na ja, so sehr unsympathisch soll Anouk auch wieder nicht sein. Kurz und gut, das Reizwort „profitieren“ habe ich gekillt (siehe oben), um es ein wenig zu entschärfen. „Karriermäßig“ habe ich nach einigem Hin und Her aber dringelassen.

vor allem, nachdem ja gefühlt jede zweite Frau #metoo auf ihren Onlinepräsenzen posted. Ich weiß auch nicht, ich habe da (wohlgemerkt als Frau!) sehr gemischte Gefühle ...

Wem sagst du das! Da setzt dann irgendwann auch so eine Ermüdung ein. Ich glaube, das Thema wurde medial überreizt.

„Anouk, Schätzchen. Setz dich“, sagt Carl und zeigt auf den Platz neben sich.
Schon wieder so ’n Ding. Wieso wehrt sie sich nicht? Das macht mich fuchsig ...

Weiter oben erwähne ich Carls Altherren-Irisch-Moos-Geruch. Er ist kein junger Mann mehr. Ich glaube, Carl denkt sich nichts dabei bzw. hält sich für supercharmant. Anouk kennt ihn gut genug, um zu wissen, dass er mit Unverständnis reagieren würde. Es gibt ja wirklich diese Missverständnisse, was der eine als Kompliment meint, fasst die andere als respektlose Verniedlichlichung oder Belästigung auf.

Also, ich mag deine Geschichte. Auch wenn ich über manche Stellen gestolpert bin, aber das macht ja nichts. Sie löst viel in mir aus. Wut, Genervtheit, Verständnis, Ungeduld.

Freut mich sehr, dass die Geschichte Gefühle bei dir auslöst!
An den Stolperstellen bin ich dran. Hoffentlich an den richtigen ... :Pfeif:

Was du gut schaffst, ist zu zeigen, dass es da vielfältige Formen gibt und dass eben auch Männer sich belästigt fühlen können. Da gibt es den ganz auffälligen Betatscher, diesen Bernd, dann den, der’s im Verborgenen macht, Wolf, und schließlich ihren Chef Carl, der wahrscheinlich denkt, er sei charmant

Freut mich. Genau das war mir ein Anliegen!

Besten Dank und liebe Grüße!
Anne

 

Liebe Anne49,

Die Frage ist aber auch, wie viele unangenehme Szenen zwischen Wolf und Anouk soll es geben? Momentan gibt es zwei. Und mehr wollte ich eigentlich nicht unterbringen. Wenn ich es jetzt sehr subtil mache, dann fragt man sich, warum sie sich so daran stört. Bzw. dann müsste es eine weitere Belästigungsszene geben, oder wie meinst du das?
Ja, so meine ich das. Lieber habe ich eine spürbare Entwicklung, als dass ich als Leser so mit der Nase drauf gestoßen werde. Weißt, wie ich meine? Da würde es mich auch nicht stören, wenn die Geschichte ein wenig länger ist. Ich finde eben einfach, Wolfs Verhalten ist in dieser ersten Belästigungsszene viel zu plump und drüber. Ich meine, er ist ja ein cleveres Kerlchen, der ja irgendwie auch was von Anouk zu halten scheint. Da könnte ich mir schon vorstellen, dass das erstmal nur eine kleine, unangenehme Geste ist, die Anouk wegschiebt, weil sie denkt, sie reagiere über und beim nächsten Treffen probiert er es noch einmal und dann auch deutlicher. Dann fände ich auch ihre Reaktionen angebrachter. Aber so ist mir das zu schnell abgehandelt. Aber wie gesagt, vielleicht empfinde nur ich das so.

Ich wollte Anouk nicht nur als lieb und nett charakterisieren. Sie sollte schon auch so eine Obsession in ihrem Job haben, viel und gut arbeiten (und diese Eigenschaft mit Wolf teilen). Weswegen sie weiter mit ihm zusammenarbeiten will. Er scheint ja auch seine gute Seiten zu haben und sie zu coachen.

Dann habe ich gelesen, dass @wieselmaus in einem anderen Thread geschrieben hat, einen Ich-Erzähler als unsympathisch zu charakterisieren, sei etwas für Fortgeschrittene. Da bin ich dann ein bisschen zusammengezuckt ...

Ich finde es super, wenn die Protagonisten mehrdimensional sind. Niemand ist einfach nur nett oder einfach nur böse. Und es ist auch gar nicht schlecht, dass mich Anouk nervt, denn ihr Verhalten kann in dieser Situation gar nicht einwandfrei sein. Das fand ich auch gar nicht schlimm.
Und zusammenzucken brauchst du doch nicht, ich finde, das hat nichts mit "Anfänger" oder "Fortgeschrittener" zu tun. Klar, es ist schwierig, da ein gutes Maß zu finden. Aber wie sollst du das finden, wenn du es nicht einfach probierst? ;)

Liebe Grüße!
RinaWu

 

Hey Anne,


ein schwieriges Thema, eines, dass ich sehr interessant finde. Sehr spannend in dem Zusammenhang, finde ich, wenn hinter der Belästigung am Arbeitsplatz ein Fragezeichen zurückbleibt.
M. E. - um gotteswillen, bloß nicht missverstehen! - scheint mir, dass hin und wieder ein wenig übersensibel reagiert wird, nicht zuletzt durch die mediale Bearbeitung der Problematik, die natürlich ihre Berechtigung hat (leider), klar. Da wird aber manchmal jedes Kompliment zur sexuellen Belästigung, da trauen sich Lehrkräfte nicht mal mehr, ein Vier-Augen-Gespräch mit Schülern/Schülerinnen zu führen, um nicht in Verdacht zu geraten. Usw. Ja, da habe ich schon selbst die Befürchtung, dass das, was ich gerade schreibe, missverstanden werden könnte :).

Ich hätte mir gewünscht, dass du da subtiler vorgegangen wärst. Wenn das nicht so klar wäre. Gerade mit dem Staub im Auge, wenn er nicht zugepackt hätte (oder erst später). Wenn er vielleicht eine Situation falsch interpretiert, als Einladung oder so gewertet hätte. Oder wenn sie sich selbst die Frage stellen müsste, ob das kriminell ist, oder ob eine verbale Zurechtweisung schon ausreichen würde.

Bei all der Diskussion wird oft vergessen, dass sich nun mal Menschen und nicht nur Roboter in der Arbeitswelt begegnen. In dem Zusammenhang ist ja auch interessant, dass es sehr viele feste Beziehungen gibt, von Menschen, die sich am Arbeitsplatz kennen- und liebengelernt haben. Da wird es auch den einen oder anderen Flirt gegeben haben. Für so manche Außenstehenden geht das halt gar nicht. Da wird gleich von Belästigung und so gesprochen.
Hier ist es nun mal so, dass Wolf eben ganz klar übergriffig wird. Das geht gar nicht, Punkt. Da muss ich nicht mehr kritisch darüber nachdenken, sondern deiner Prota eher zurufen, sie solle sich klar abgrenzen, das dem Betriebsrat melden oder eben Anzeige erstatten. Mehr Spielraum bleibt mir eben nicht als Leser. Verstehst du?

Aber gut, du gewichtest eben anders. Was mir gefällt, sind die Fragen, die sie sich stellt, ob sie da halt einfach durch soll, muss, um den karrierefördernden Job zu behalten - das erinnert (irgendwer hat das oben schon geschrieben) auch mich an die Weinstein-Sache. Ich vermute mal, viele Frauen, die jetzt Anzeige erstatten, haben eben in die Zitrone gebissen, um sich karrieremäßig hochzupushen. (Ganz explizit: Natürlich meine ich keine Vergewaltigungen!). Das macht die Sache für die wahren Opfer natürlich umso schlimmer.
Man könnte sagen, die böse Männerwelt zwingt Frauen dazu, wenn sie nach oben kommen wollen. Aber ist das wirklich so? Haben besagte Frauen nicht selbst dazu beigetragen? Was, wenn Weinstein nur Körbe eingefangen hätte? (Oder was, wenn Anouk Wolf schöne Augen gemacht hätte, selbst mit ihrer Weiblichkeit gespielt hätte, um etwas zu erreichen? Vllt. mit dem Ergebnis, dass ihr das zu weit führt ...).

Na ja, das ufert jetzt ein wenig aus, aber du merkst schon, letztendlich stößt dein Text etwas an, was absolut für ihn spricht.

Sprachlich hat mir das gut gefallen, zwei/ drei Dinge nur, über die ich etwas gestolpert bin - die suche ich dir bestimmt noch raus, wenn ich etwas mehr Zeit habe :).

Gegenwind: Bisschen mehr hätte ich mir gewünscht, muss ich sagen. Ein, zwei Sätze am Ende sind mir etwas zu wenig. Interessant wäre, wenn sie tatsächlich Anzeige erstattet hätte, was das mit ihr gemacht hätte, was für Gegenwind auf Gegenwind erfolgt wäre. Dann am besten noch Kolleginnen, die das als übertriebene Reaktion werten würden ... :).


Summa summarum hat mir deine Geschichte letztendlich aber gut gefallen, Anne.


Vielen Dank fürs Hochladen!


hell

 

Hallo Anne49,

als ich deine Geschichte am Anfang gelesen habe und mit ansehen musste, wie Anouk sich geekelt hat, habe ich gedacht, Mensch, Mädel, hau ihm doch einfach das Knie irgendwohin – es ist eine verdammte Geschichte, du darfst das – aber es ist eben eine realitätsnahe Geschichte, und deshalb funktioniert das nicht so (#metoo ;) – ich habe auch irgendwann mal verpasst, dass Knie zu heben :( ) Und deshalb finde ich deine Geschichte gut gemacht. Und nachdem du sie, wie auch immer, gebürstet und geglättet hast - dass du diesen übertriebenen Ekel etwas zurückgenommen hast, finde ich auch besser - lässt sie sich richtig gut runterlesen und man kann sich sehr gut in Anouk und ihre Ambivalenz einfühlen, auch wenn sich der eine oder andere vielleicht doch noch mehr Gegenwind von ihr wünschen würde.
Aber das Ende lässt du ja auch offen, vielleicht kommt ja noch mehr, irgendwann. Und dass Wolf paarmal ansetzt, etwas zu sagen, ist ja auch ein Hinweis, dass er’s kapiert haben könnte. Sicher sagt er noch etwas, wenn wir nicht mehr hinlesen. :D

Was Hell geschrieben hat: „Bei all der Diskussion wird oft vergessen, dass sich nun mal Menschen und nicht nur Roboter in der Arbeitswelt begegnen“ ist auch meine Meinung, und es wäre schon traurig, wenn niemand mehr ein Kompliment machen/entgegennehmen dürfte, ohne gleich kriminell/Opfer zu sein.
Aber das gehört schon nicht mehr zu deiner Geschichte, sondern zu den Diskussionen und dem Nachdenken, dass sie auslöst.

Liebe Grüße von Raindog

 

Gude Anne49,

eine heftige Kurzgeschichte, das muss ich gleich zu Anfang loswerden. Das beklemmende Gefühl hat mich noch immer nicht ganz losgelassen.
Was dir meiner Meinung nach sehr gut gelungen ist, ist die Umgebung, in der sich deine Protagonistin bewegt. Das Problem ist nicht nur singulär, sondern schlägt ihr auf vielen Ebenen entgegen. Bereits der Kommentar des Chefs, dass sie lächeln soll, leitet ein, was noch viel schlimmer werden soll. Hinzukommen kommen unaufgeforderte Berührungen der Mitarbeiter und schließlich der Wolf (passender Name). Und dann ist sie (vielleicht) auch nicht die einzige, die Opfer von Sexismus wird, wie man bei Jamil vermuten kann - aber nicht weiß, weil er schweigt.
Aber besonders gekriegt hast du mich mit der emotionalen Schockstarre, in die Anouk gerät. Sie weiß nicht vor, sie weiß nicht zurück, sie weiß nicht, ob Wolf das Problem ist oder sie - selbst ihre intimste Gefühlswelt gerät durcheinander und alles ist verkehrt. Du hast das glaubhaft beschrieben und somit auch gut dargelegt, warum Anouk nicht tut, was man rational erwarten würde.
Damit weist für mich auch ein Finger auf ein großes Problem, das (wie wir auch mit dem aktuellen Befreiungsschlag "MeToo" sehen) immer noch besteht, auch wenn es dieses von der theoretischen Grundlage her nicht mehr geben sollte. Aber ich will das jetzt gar nicht allzu sehr ins politische ziehen: dafür habe ich einfach zu wenig Erfahrung (oder Ahnung überhaupt) von dieser Thematik.

Wo ich an deiner Geschichte etwas gestutzt habe, war die Einführung zu Wolf. Er wird am Anfang bereits als "Irrer" eingeführt. Später wird er "nur" als Choleriker offenbar (für alle Kollegen). Da würde ich wohl im Alltag auch sagen, der ist "irre" - aber in der Geschichte habe ich darauf gewartet, dass einer von Anouks Arbeitskollegen einen Rückbezug darauf macht bzw. das generell daran angeknüpft wird. Ich könnte mir das passend vorstellen, wenn Anouk sich ein Herz fasst und einen Arbeitskollegen fragt: "Ich hatte gehört, ihr findet, der Wolf ist 'irre' ..."
"Ja, der flippt manchmal völlig aus. Aber so ist er halt, der Wolf".
Und damit zieht sich Anouk wieder zurück, weil die gedachte Rettungsleine gar keine ist, sondern Wolf dann doch irgendwie so akzeptiert wird - und keiner ein Auge für Sexismus / Belästigung hat.

Ähm, jetzt aber genug der Fanfiction, das interessiert keinen :sealed:


Das "erste" Ende kam für mich dann etwas überraschend. Anouk explodiert plötzlich? Aber ich finde es passt - da du Anouk als emotionalen, nicht rationalen Menschen aufgebaut hast. Ob das jetzt klug war stellt sich gar nicht als Frage.
Doch damit kommen wir leider zum "zweiten" bzw. letzten Ende. Und da hab ich schwer geschluckt. Gerade dieser kleine, einzige (Etappen-)Sieg - und dann diese Vorausdeutung. Mit dem Aufgreifen des bekannten Bildes der flackernden Neonröhre lässt du mir als Leser nicht den Hauch einer Hoffnung.


Ich hoffe, ich konnte dir wenigstens darlegen, was du gut gemacht hast - denn an Verbesserungsvorschlägen hatte ich nicht viel. Für mich eine sehr starke Kurzgeschichte!


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Huhu wegen,

schön, dass du noch mal reingeschaut hast!

Ich weiß nicht, habe ich es übertrieben mit der Darstellung ihres Ekelgefühls?
hmm, ich find schon.

Danke für die Rückmeldung! Die Sätze übers Heißduschen und Verstandverlieren sind gekillt. Die waren ja unsäglich. :schiel:

Grundgerüst steht, aber die Sache mit dem prägnanten, gepfefferten Schluss... puhh.

Sogar in deinem Profil sinnierst du über den prägnanten Schluss. Hm. Ich verstehe schon, dass der Schluss wichtig ist. Aber warum prägnant? Beziehungsweise, was ist das? Da scheint es mir doch auf den Charakter der Geschichte anzukommen.
Äh, also, in meinem ursprünglichen Ende war es nicht so, dass Anouk einen Sprengkörper in Wolfs Audi plaziert hat. Falls das für dich ein prägnanter Schluss wäre. :baddevil:

Liebe Grüße
Anne

***​

Hallo wieselmaus,

freut mich sehr, dass du vorbeigeschaut hast! Und das auch noch ehrenamtlich. :D

ich kann mich auf eine deutlich verbesserte Version einlassen.

Danke dir für die Rückmeldung! Diese Geschichte habe ich ausnahmsweise schnell geschrieben und gepostet. Ob ich die gröbsten Holperstellen selbst bemerkt hätte, wenn ich die Geschichte noch eine Weile länger daheim gedreht und gewendet hätte, keine Ahnung, will ich nicht behaupten.

Du bist wieder einmal hochaktuell mit deiner Geschichte

Ja, wobei ich auch gedacht habe, das man das Thema vielleicht jetzt gerade nicht mehr hören mag. Dieses #metoo-Getue nervt langsam - aber Anouk hat ja nicht getwittert.

aus dem Arbeitsplatzalltag, wo einer Frau sehr viel Wind entgegenbläst. Mal als sanftes Säuseln (Bernd, Carl)

Ich hab das zwar alles nur angedeutet, aber in meiner Phantasie ist der Bernd vielleicht gar nicht so ohne. Bin mir nicht sicher, ob wir der Erzählerin da so hundertprozentig trauen können. Sie sagt zwar, dass sie ihn mag, aber all diese kleinen Details und dass Jamil geht, ich weiß nicht ...

Es ist halt das Dilemma, dass übergriffige Männer attraktiv sein können.

Mir war wichtig, zu zeigen, dass Wolf kein Totalausfall ist. Der hat viele gute Seiten. Er ist ein fähiger Projektleiter, er coacht und fördert seine jungen Mitarbeiter, sowohl Anouk als auch Jamil.
Ich traue es mich kaum zu sagen, aber der Wolf fasziniert mich selbst, der hat Charisma. :Pfeif:

Ich finde deine Prota sehr mutig, dass sie ihm die Schranken weist und mit einer Anzeige droht.

Danke für deine Einschätzung! Ich bin auch sehr geneigt, das so drinstehen zu lassen. Obwohl ich zwischendurch mal kurz dran gezweifelt habe. Man könnte ihre Reaktion für überzogen, wenn nicht unrealistisch, halten.
Ich glaube nicht, dass sie nur einen Moment daran denkt, das wirklich umzusetzen. Aber drohen kann man ja mal.

Ob der Hinweis auf seine Töchter ihn zur Raison bringt??

In meiner Phantasie: Ja.
Vielleicht bin ich zu harmoniesüchtig, aber ich denke, sie packt ihn exakt an der richtigen Stelle. Das ist aber nur meine Privatmeinung. Man muss das nicht so lesen.

Du lässt den Schluss offen, und das finde ich richtig.

Das freut mich, zu hören. Das war nämlich buchstäblich eine Entscheidung in der letzten Minute vorm Posten. Und mit offenen Enden tue ich mich grundsätzlich schwer, da steht mir meine Harmoniesucht (siehe oben) oft im Wege. Diese weißen und schwarzen Farbstreifen, die sich am Ende zu Grauschlieren vermengen, dazu musste ich mich ein wenig zwingen, aber so ist halt das Leben.
Interessanterweise sind nicht alle Kommentatoren derselben Meinung wie du.
Der Lohn ist nun, dass ich sehe, was alles Unterschiedliches in den offenen Schluss hineininterpretiert wird. Das gefällt mir.

Liebe wieselmaus, ich danke dir sehr für deine ermutigenden Worte!

Beste Grüße,
Anne

 

christianheynk

Hallo Christian,

deine Geschichte hat mich gepackt. Ich habe in der U-Bahn auf dem Handy mit dem Lesen angefangen und dann im Café weitergelesen, weil ich wissen wollte, wie es weitergeht.

Hach, toll, warte, ich setze gleich mal den Tag „Spannung“, bin gleich zu - rüü - hück! ... :D

Viele Szenen finde ich gut ausgearbeitet (die Szene am Kaffeeautomaten z.B.)

Davon gibt es zwei. Ach, du findest sie bestimmt beide gut ... ;)

andere weniger gut (die Schlüsselszene z.B., weil mir da nicht ganz klar wird, wer sich wo befindet, als Wolf Anouk betatscht)

Ja, hast Recht, ich weiß, was du meinst. Ist mir selbst aufgefallen. Ich hab schon einmal nachgebessert, indem ich das mit ihrer Taille gekillt habe. Aber wahrscheinlich muss ich nochmal ran.

und manche verwirren mich sogar.

Vermutlich ihr Traum von Korsika. Ja, das ist die Frage, ob das schön ambivalent ist (sie findet ihn trotz allem auch attraktiv) oder einfach nur verwirrend. Ich frag mich das selbst auch.

Sprachlich finde ich den Text an manchen Stellen etwas farblos, da hätte ich mir noch mehr Bilder, kreativere Umschreibungen oder was weiß ich gewünscht.

Jaaaaa, ist jetzt nicht so das innovative Sprachfeuerwerk. Hier und da werde ich vielleicht noch nachbessern, wenn mir was einfällt. :shy:

Das Ende hat mich enttäuscht. Ich habe auch den Wandel von der eingeschüchterten und verzweifelten Anouk zur mutigen, eine Ansage machenden Anouk nicht nachvollziehen können. War allein das Gespräch mit Schwester Katja schon ausreichend?

Es heißt ja immer, in einer guten Geschichte durchlebt der Protagonist eine Veränderung. Lustig, dass du das so schreibst, weil für mich ist Wolf derjenige, der eine Veränderung nötig hat. Ich hab versucht, das anzudeuten. Er hat ja gedacht, Anouk hätte Carl von dem Übergriff erzählt und deshalb würde sie aus seinem Projekt abgezogen. Für ihn ist es eine Überraschung, zu erfahren, dass sie weiter in seinem Projekt arbeiten will. Anschließend verhält er sich auffallend höflich (lässt ihr den Vortritt bei der Tür, reicht die Milchpackung aus dem Kühlschrank).
Bei der Ansage packt sie ihn an seiner empfindlichsten Stelle, bei seinen Töchtern, und danach wirkt er verlegen. Ich hoffe, es deutet sich im Aufzug zur Tiefgarage an, dass er nicht völlig unbeeindruckt ist von ihrem Ausbruch.

Klar wird das Erlebte Anouk auch verändern. Aber ich seh gar nicht so den Wandel in ihr, den du beschreibst. Ich denke, sie ist ihre verbale Gegenwehr im richtigen Moment losgeworden: Anfangs motzt er rum, dass er eine Anfängerin ins Projekt gesetzt bekommt. Dann später lobt er sie für ihre Arbeit und bedankt sich, dass sie seinem Projekt treu bleibt - und bam! - da bricht es aus ihr heraus. Das ist für Anouk der Augenblick, um Tacheles zu reden. Ist das nachvollziehbar?

Dass solche offenen Enden enttäuschen, kann ich verstehen. Ursprünglich hatte ich einen anderen Schluss vorgesehen, dann hab ich mich spontan dazu entschieden, früher aus der Geschichte rauszugehen, und bin jetzt ganz zufrieden damit. Bei dieser komplexen Thematik bietet sich das an, finde ich. Welches Ende hätte dir denn gefallen, liegt es mir da auf der Zunge zu fragen.

Vielen Dank für deinen hilfreichen Kommentar!

Liebe Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

HI, Anne,

während des Lesens musste ich erst an verschiedene Teams meiner Arbeitserfahrung denken, dann an #metoo und zum Schluss hatte ich das Gefühl, eine empowerment-story zu lesen. Eine Geschichte die eine Fantasie illustriert und quasi Handlungsempfehlungen liefert fürs Manövrieren auf zwischenmenschlich komplexem Gebiet. dazu passt auch der hohe Grad an Realismus eines fast perfekten Fließtextes - du hältst deinen Ton durch, behältst die Erzählgeschwindigkeit bei, hast eigentlich keinen Textanteil, der übergewichtig wirkt oder sich irgendwie unrund ins Textganze einfügt. dass der mich trotzdem nicht begeistert, kann daran liegen, dass ich grundsätzlich skeptisch gegenüber empowerment in der Literatur bin. oder daran dass ich ein Mann bin. Titel gefällt mir sehr gut. da habe ich beim Lesen auch was in der Richtung assoziiert: das Tier im Menschen, Wolf im Schafspelz. Wolfstage, Tierzeiten.

beim Drüberlesen habe ich kaum Textstellen gesehen die mich irritiert haben oder die ich anders formulieren würde. sauber geschrieben, sehr klare Prosa, macht Spaß!

at er gesagt, worum es geht?", frage ich atemlos und schäle mich aus meinem Poncho

sich aus Klamotten 'schälen' ist fast eine stehende Wendung, aber die passt mE fast nie. Eigentlich nur bei komplizierten, mehrteiligen Anziehsachen wie einem Ballkleid zB

h biege kurz ab, beuge mich übers Waschbecken und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Vielleicht habe ich es in Ulfs Projekt übertrieben. Meine Kompetenzen überschritten. In der Hektik der letzten Wochen habe ich einen Plan aufgestellt und den Softwaretest koordiniert. Sie haben es geschehen lassen - er und das gesamte Team. Schon immer habe ich einen Blick fürs Detail gehabt. Ich habe geglaubt, es funktioniere am besten, wenn ich die wichtigsten Module persönlich prüfe.
Ich bin ein Kontrollfrea

Kontrollfreak würde ich hier weglassen und dem Leser somit Raum geben, die Figur zu bezeichnen. Ist ja eine Lebenswirklichkeit auf Arbeit die fast jeder kennt und mit der fast jeder was anfangen kann.

Den Leon bring ich um", donnert er los. „Hat sich beim Skifahren verletzt, der Idiot!

:D

ern", sage ich. „Die Testleitung macht ... wer nochmal?"
„Hab ich doch eben gesagt: Du! Das Konzept muss übrigens angepasst werden

das ist der Bezug zu ihrer Überlegung oder? ich habe das so gelesen und mir gefällt das sehr

eht sein Altherren-Irisch-Moos-Geruch rüber. Mit Mühe widerstehe ich dem Impuls, Richtung Tür auszuweichen.
„Jetzt lächle mal. Damit siehst du schöner aus

Ja, das ist eklig. Ja, so was sagen Männer und sie meinen es auch so. diese Cheftypen sind sich oft sehr ähnlich, hier fand ich gut, dass du ihn die Arbeit der Ich-Erzählerin am Ende loben lässt. Kann natürlich als weiterer Annäherungsversuch gelesen werden, könnte aber auch die Anerkennung ihrer Arbeit sein.
Wichtiger: Ab hier habe ich geahnt, wohin die Reise geht. Das ist für mich als Leser nicht so meins. Stilhöhe und Erzählton halten mich zwar mühelos bei der Stange, aber mir fehlen in der Geschichte überraschende Momente oder Herangehensweisen. diese Fantasie ist sehr eng mit der Wirklichkeit verzahnt, die in Geschichte einfach an ein paar Stellen umgedreht wird.

Sie sind der einzige Teilnehmer im Konferenzraum“, sagt die Computerstimm

gut gezeigt die Atmosphäre im Gespräch!

Bernd, der Charmeur, umarmt mich wie immer. Sein Dreitagebart kratzt. Meiner Theorie zufolge ist er bi. Ich mag ihn

es ist manchmal faszinierend, wer wem welche sexuelle Orientierung unterstellt. die Beschreibung zeigt aber auch dass eben die Frage, ob jemand straight ist, schwul oder bi fast immer eine große Rolle spielt, obwohl es im Arbeitszusammenhang ja eigentlich eher zweitrangig sein müsste

twas stimmt nicht mit ihm, denke ich. Ungelenk umrundet er den Tisch und setzt sich neben mich. Zu dich

Was ist denn mit dem verkehrt? sie so was denken lassen? wäre uU näher an ihr dran, Zoom in den Figurenkopf

as er sagt, hat für mich Hand und Fuß. Anscheinend hat er schon Projekte dieser Größenordnung geleitet. Das beruhigt mich

dass die Erzählerin so denkt, hat für mich auch Hand und Fuß und beruhigt mich. als wäre Professionalität der kleinste gemeinsame Nenner, auf den mensch sich im Zweifel einigen kann. was vielleicht auch so ist-

Mit zittrigen Händen öffne ich die Dose und das Fläschchen mit der Desinfektionslösung. Wolfs schlanke Finger ruhen auf meinem Bein. Als ich seinen Atem auf mir spüre, steigt Wärme in mir auf. Mein Auge brennt wie die Hölle

die Situation ist klasse durchkomponiert. einerseits hast du ein realistisch anmutendes Problem mit den Kontaktlinsen erschaffen, in dessen Windschatten sozusagen die Hand auf Anouks Bein landet. ich mag auch das Detail seiner schlanken Finger - und nicht die als Klauen oder Griffel bezeichnen, nur weil er ein Belästigungsmonster ist. das ist alles sehr gut angelegt und miteinander verwoben, wirkt organisch auf mich.

Nimm die Hand da weg!", sage ich leise, während ich an Wolf vorbei Richtung Balkon blinzele.
Tränen strömen über meine Wange. Carl hat uns den Rücken zugewandt, schaut runter zum Park und bläst Rauchringe in die Luft.
„Ich zeig dich an.“
„Das wirst du nicht tun“, entgegnet Wolf ruhi

ich mag den Erzählton und die Unaufgeregtheit der Geschichte. keine Vergewaltigung sondern eine kleinere Grenzverletzung wird thematisiert. und vor allem die Folgen. ihre Verunsicherung, wie sie sich verhalten soll. Suche nach einer neuen Stelle. Allgemein sich mit dem Scheiß beschäftigen müssen, das mit der Schwester besprechen. in der Zwickmühle zwischen idealem Anspruch und den Ansprüchen der Realität stecken.
ja ich mag auch den Fokus, der weniger auf der Aktion an sich ruht, sondern mehr auf den Folgen. und dafür ist es auch gut, dass die Aktion vergleichsweise harmlos wirkt. je mehr Staub aufgewirbelt ist, desto schwieriger wird es, deutliche Bilder zu vermitteln.

n der Nacht liege ich mit trockenem Mund im Bett und lausche dem Ehestreit meiner Nachbarn. Ich erfahre, dass er überall in der Wohnung seine Kleidung rumliegen lässt und dass sie ein Flittchen is

Menschen im Spätkapitalismus. Hopper hätte seine Freude dran.

. Er hat es umgeschrieben und mit detaillierten Erklärungen am Rand versehen. Fast wie ein Lehrer

Oder: das letzte Mal hat jemand meinen Klassenarbeiten so viel Aufmerksamkeit geschickt oder was in der Richtung? das indirekt vermittelt fände ich hier besser.... ist leicht ähnlich dem Kontrollfreak - mir etwas zu viel Vorgabe..

Okay, ich muss jetzt erst mal los. zum Rest schreibe ich später wenn mir noch was auffällt. Fortsetzung, 12:53:

. Vielleicht melde ich mich morgen krank, rede ich mir zu, während ich auf das Waschbecken starre und mich frage, worauf ich eigentlich warte. Weder kann ich seine Berührung abspülen noch erbrechen.

ist die Berührung hier das eigentliche Problem? Ich hätte gedacht dass es bei einer Situation wie du sie hier erschaffen hast eher das Machtgefüge das Problem ist und dass er als Vorgesetzter zig Möglichkeiten hat, ihr das Leben zu verkomplizieren oder zur Hölle zu machen. weißt du, was ich meine?
ich will das jetzt nicht vergleichen, aber wenn die Nutten Sankt Georgs im Rahmen des Verkaufsgesprächs mit mir mitgegangen sind und mich unsittlich berührt haben, fand ich das in der Situation dreist und abtörnend, aber ich habe im Nachhinein nicht ihre Hände auf meinem Körper brennen gespürt oder so. kann aber auch wirklich sein dass irgendwas tief in mir weiß oder davon ausgeht, dass ich zum Geschlecht der sexuellen Räuber gehöre und nicht zu dem der Beraubten.

Berufsanfänger ... packt die nicht“, höre ich, als ich um die Ecke biege. Das Grüppchen am Kaffeeautomaten verstummt und sieht mich an.

gut!

Zögernd nehme ich einen Schluck. Wolf macht das Beste aus dem unterbesetzten Projekt und nimmt sich im größten Stress die Zeit, mir alles zu erklären: Wie er plant, wie er Prioritäten setzt, wie er das Team zum Blühen bringt. Die Fehlerraten im Test sind hoch, aber ich will ihn nicht reinreiten

gefällt mir sehr gut diese Ergänzung - dass sie trotz des wölfischen Verhaltens ihm gegenüber fair bleibt. so was hat für mich viel mit innerer Stärke zu tun.

Er sieht müde aus, unter seinen Augen schimmern Ringe

schimmern passt für mich nich zu Augenringen.

"Und, wie gefällts dir bei uns, Anouk?“
Ich winde mich aus seinem Griff und stelle mein Glas etwas fester als beabsichtigt auf dem Tisch ab.
„Du bist Jungfrau, oder?“, sagt Bernd zu mir.
Wolf verschluckt sich und beginnt, zu husten.
„Das Sternzeichen, mein ich“, sagt Bernd. „Jungfrauen sind die perfekten Softwaretester, wusstest du das?“
„Sorry, aber ich glaub nicht an Horoskope“, murmele ich und rücke näher an Wolf heran.

ja, ist gut, die Dreistigkeit und Dummheit hier tun schon derbe weh. da fällt mir ein dass meine Chefin und meine Ausbilderin im Sommer immer mal wieder hinter mir herglotzten wenn ich Librikisten schleppen musste und Bemerkungen machten die man beim Lackmustest als sexistisch einstufen würde

Die Tür geht.
„Warst du schon bei Henning?“, höre ich Beas Stimme.
Jemand schnäuzt die Nase.
„Wieso nicht?“, fragt Bea.
Ich schließe die Augen, wünschte, ich wäre ganz weit weg.
„Da ist jemand“, flüstert eine Stimme.
Als ich die Kabine verlasse, läuft Bea auf den Flur

auch schön am Rande der Wahrnehmung erwähnt, dass es um mehr geht, als nur um sie. oder dass es um mehr gehen könnte, wenn die Menschen aufstünden und solidarisch miteinander wären. leider kriegen die Menschen das nicht auf die Reihe, nicht mal zum Preis des eigenen Untergangs. ich war letzte Woche auf dem Plenum eines linksversifften Hausprojekts weil wir auf einem Festival im Frühjahr eventuell lesen und nen Film zeigen werden. und abgesehen von der epischen Zeitverschwendung war es wieder einmal ekelerregend, wie wenig Menschen in der Lage sind, sich ihrer eigenen Ideale gemäß zu verhalten. selbst wenn sie von Gleichgesinnten umgeben sind. aber immer große Worte führen! Lippenbekenntnisse. so werden wir auch in der nächsten Generation uns noch auf dem Klo verstecken, wenn wir in solche Situationen geraten, und nicht mutig Pieps sagen und gemeinsam was reißen.

itzig eigentlich, das ist wie ein Lauf gegen die Uhr, wenn die Überstunden wie im Flug vergehen, bis die verdammte Software endlich funktioniert

Witzig eigentlich - wenn die Sätze aufgebaut sind wie hier, funktionieren Formulierungen wie "Überstunden vergehen wie im Flug" für mich, und das obwohl die "verdammte Software" ja was anderes impliziert. Sirupklebrige Zeit zB. aber ich kenne diese Ambivalenz

Wolfs Blick ist nicht zu ertragen, ich will zu Boden sinken. Oder zur Seite schauen. Er nimmt seine Finger und hebt mein Kinn, zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen. In meinem Kopf dröhnt es, als schlügen unentwegt Stahlplatten aufeinander. Ich gebe einen Angstlaut von mir und verachte mich selbst dafür. Es war falsch, sich nicht an Henning zu wenden. So falsch.
Ich sitze mit Kaja im Straßencafé und löffele die Crema von meinem Cappuccino. Es war ein Fehler, meiner Schwester davon zu erzählen.

alles falsch, nix möglich außer Fehler machen in der Situation? gibt keinen richtigen Fehler im falschen Richtig

Siehst du!“, sagt sie. „Der hat das ausgenutzt. Statistisch gesehen trifft es meist die Schwächsten: Junge Mitarbeiter, Ausländer und Behinderte.“

Junge MA, Ausländer und Behinderte? Hier gehts doch die ganze Zeit um ein Mann-Frau-Ding

Danke“, murmele ich und verfluche im Geiste die Entzündung, die mich dazu zwingt, mit den Kontaktlinsen auszusetzen. Ich fühle mich unwohl mit dem schweren Ding auf der Nase und ständig kommentiert jemand mein Aussehen

ihr Unwohlsein im Arbeitsumfeld insgesamt kommt gut rüber.

eißt du, warum er gekündigt hat, liegt mir auf der Zunge zu fragen, und dann sehe ich wieder Bernd vor mir, wie er Jamil auf dem Sommerfest belagert hat

finde ich auch gut wenigstens by the way anzudeuten dass das kein reines Frauenthema ist. die Thematisierung davon ist aber ein reines Frauenthema, also in meiner Erfahrung

Als ich eintrete, fläzen sie sich breitbeinig auf ihren Stühlen, trifft mich Wolfs Blick mit voller Wucht

hier ist es mir ausnahmsweise etwas viel - dass beide breitbeinig fläzen. lässt mich eher an Schulkids denken nicht an Bosse.

Wegen dir hab ich meine Freizeit damit zugebracht, mich auf mies bezahlte Langweilerjobs zu bewerben.“ Ich mache ein paar Schritte auf ihn zu. „Wegen dir habe ich mir von meiner Schwester diese Scheiße anhören müssen, dass ich unsolidarisch handele, wenn ich dich nicht anzeige!

das kommt kool, das ist gut! aber ich kaufs trotzdem nicht! :)

eine sehr fein ausgearbeitete, erdverbunden erzählte Geschichte. klare, unaufgeregte Prosa. ist jetzt nicht so ganz mein Thema, ich weiß nicht warum. andere Emanzipationsbestrebungen kann ich viel eher unterstützen. vielleicht weil weibliche Emanzipation dieses Mann-Frau-Ding zusätzlich verkompliziert und ich schon einige Menschen im Zuge der Sprach- und Genderdebatten verloren habe, die mir eigentlich nah sind. meine Skepsis ist angesichts deiner Story etwas weniger geworden, aber so ganz werde ich die nicht los. zwei Punkte habe ich noch, die ich hier als problematisch für mich als Leser empfinde.
zum Einen, dass die Geschichte sich wie eine Anleitung zur Selbstermächtigung liest und ich glaube dass Literatur so was nicht gut leisten kann. und zum Anderen daran dass sich die abschließende Szene für mich nach einer Fantasie anfühlt, die den realistisch anmutenden Rahmen der Geschichte verlässt. wobei ich noch mal deutlich sagen will dass ich versucht habe, auf dem Niveau der Geschichte zu kommentieren. das ist schon sehr hohe Textqualität sagt mein Analyseprogramm.

Grüße,

Kubus

 

Huhu RinaWu,

tausend Dank, dass du mir nochmal erklärt hast, was du meinst! :)

Dein Vorschlag ist für mich nachvollziehbar, ich hab intensiv drüber nachgedacht, auch mal versucht, es zu schreiben. Aber es ging es nicht. Ladehemmung.

Allerdings habe ich die Textstelle, wo er ihr im Meeting zu nahe kommt, überarbeitet und entschärft. Im Kern der Schlüsselszene steht jetzt:

Wolfs schlanke Finger ruhen auf meinem Bein. Als ich seinen Atem auf mir spüre, steigt Wärme in mir auf.

Nur das von dir gewünschte Crescendo wollte nicht dabei herausgekommen. Ich denke, ich will Wolf eine Hintertür lassen. Es gibt ja die zweite Stelle, wo er an der Säule bei der Palme auf sie wartet und sie physisch einschüchtert. Und ich denke, wenn ich jetzt am Anfang noch eine weitere Belästigungsszene dazunehmen würde, dann wären es drei. Die magische Zahl drei! Dann wäre er verbrannt, nix mehr zu retten. Na ja, das ist so meine Logik ...

Trotzdem, es war ein bedenkenswerter Vorschlag und definitiv gut und wichtig, dass du ihn eingebracht hast.

Beste Grüße
Anne

***​

Hi hell

Sehr spannend in dem Zusammenhang, finde ich, wenn hinter der Belästigung am Arbeitsplatz ein Fragezeichen zurückbleibt.

Ich fasse das jetzt mal so auf, dass du das offene Ende meiner Geschichte für gut befindest. Das gefällt ja nicht allen Kommentatoren, war aber eine bewusste Entscheidung von mir, die mir nicht ganz leicht gefallen ist. Ich hab halt mitunter ein Faible für Friede, Freude, Eierkuchen, was soll ich machen. Du weißt ja, dass ich was für Romantik übrig habe. Aber bei diesem Thema erschien es mir unpassend. Da ist es besser, wenn es in der Schwebe bleibt, so wie im richtigen Leben auch.

Da wird aber manchmal jedes Kompliment zur sexuellen Belästigung [...] Ja, da habe ich schon selbst die Befürchtung, dass das, was ich gerade schreibe, missverstanden werden könnte

Alles gut. Ich seh das genauso wie du.

Ich hätte mir gewünscht, dass du da subtiler vorgegangen wärst.

Ja, da hast du absolut Recht. Inzwischen habe ich die Stelle etwas umgeschrieben und versucht, zu reduzieren. Siehe direkt hier obendrüber, bei RinaWu hab ich das zitiert.

Es ging halt nur bis zu einem gewissen Punkt. Sonst wäre es eine andere Story geworden. Du zählst ja in deinem Kommentar viele Variationsmöglichkeiten auf. Das wären dann halt viele andere Geschichten über das Thema, die alle denkbar wären.

Sprachlich hat mir das gut gefallen, zwei/ drei Dinge nur, über die ich etwas gestolpert bin - die suche ich dir bestimmt noch raus, wenn ich etwas mehr Zeit habe

Sehr gerne. Ich mag das, wenn du deine Höllenpinzette rausholst. :lol:

Hier ist es nun mal so, dass Wolf eben ganz klar übergriffig wird. Das geht gar nicht, Punkt. Da muss ich nicht mehr kritisch darüber nachdenken, sondern deiner Prota eher zurufen, sie solle sich klar abgrenzen, das dem Betriebsrat melden oder eben Anzeige erstatten. Mehr Spielraum bleibt mir eben nicht als Leser. [...] Aber gut, du gewichtest eben anders. Was mir gefällt, sind die Fragen, die sie sich stellt, ob sie da halt einfach durch soll, muss, um den karrierefördernden Job zu behalten

Ich versuche, den Wolf so zu zeichnen, dass er auch gute Seiten hat. Er ist ein fähiger Projektleiter und nimmt sich im größten Projektstress Zeit, die Neulinge Anouk und Jamil zu coachen und zu fördern. Und klar, da stellt sich für Anouk die Frage, was es heißt, die Kirche im Dorf zu lassen. Oder wann der richtige Zeitpunkt ist, sich zu wehren. Falls es Anounk gelingen sollte, das mit Wolf alleine zu lösen, dann geht es auch ohne Betriebsrat. Falls Wolf zu erkennen gibt, dass ihre Botschaft angekommen ist. Wir wissen es nicht. Die Geschichte hört vorher auf.

Vielen Dank für deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut!

Liebe Grüße
Anne

PS/Off-topic: Deine Überarbeitung von „Ein Schnitt“ ist dir gut gelungen, finde ich! Dadurch, dass du Drama rausgenommen hast, kann ich mich jetzt ganz auf die Atmosphäre einlassen. Beklemmend schön.

to be continued ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Anne49,
ich finde das eine tolle Geschichte.
Sehr spannend, sehr aktuell, sehr gut geschrieben. Da hängt nichts, bremst nichts, das zieht einen durch. Und wirklich spannend.
Am meisten hat mir eigentlich die Atmosphäre gefallen. Diese Spannung, die zwischen allen Beteiligten schwebt. Dieses konkurrente "Miteinander", man muss sich zuarbeiten, empfindet den oder die andere aber gleichzeitig als Rivalin in der Karriere, da geiert jeder nach oben, missgönnt dem anderen und spürt dem Fehler des Konkurrenten und jeder seiner Schwächen nach. Das ist so widerlich und du triffst diese Atmosphäre so gut. Es geht dir zwar nicht speziell darum, aber du hast das trotzdem gut gezeigt. Und in all den Bereichen, in denen es um Erfolg und Karriere und Konkurrenz im weitesten Sinne um Macht geht, kann die sexuelle Ausnutzerei Blüten treiben einerseits, aber eben auch das Gegenteil, das Ausnutzen dieser Situation, kann Blüten treiben. Aber der letzte Gedanke führt zu weit, das ist nicht dein Thema. Nur mir persönlich brennts fast auf den Nägeln, eine Geschichte eines Mannes zu schreiben, der in den Sog solcher Anspielungen und Vorwürfe gerät, die auch gut taugen, jemanden zu deinstallieren und man weiß als Leser nicht, ist er jetzt Täter oder Opfer, jedenfalls wird er aufgespießt und erlegt und dabei hat er einfach nur ein paar vielleicht bescheuerte aber naja trotzdem irgendwie harmlose Komplimente gemacht.

In deiner Geschichte ist die Sache eindeutig. Alle Kerle (außer Ulf und dem Aserbaidschaner, Jamil oder so, und denen, die nicht da sind :D ) reagieren mehr oder weniger alle sexistisch, auch wenn es zum Teil beim ollen Chef im Rahmen der Altherrenkomplimente bleibt. Aber auch Aktherrenkomplimente werden, wenns gleichzeitig um Macht geht, zweischneidig. Denn man wird sich immer zweimal überlegen, ob man sagt: Keinen Bock drauf, leiber Herr Chef.

Sehr stark fand ich, dass deine Protagonistin sich zwar abgestoßen fühlt von Wolf, sie aber trotzdem Schutz bei ihm sucht. Das fand ich sogar sehr sehr stark. Und dazu noch der Traum. Der ist ja echt der Hammer. Ich dachte erst, ich les nicht recht.
Eine Frage dabei, ist keine Kritik, sondern ich denk da halt drüber nach, wenn die sowas träumt, irritiert sie das nicht? Schämt die sich dann nicht vielleicht sogar und zweifelt an sich selbst? Oder vor sich selbst? Weil Übergriffe kann/darf man doch nicht genießen? Du zeigst ja nur ihre körperliche Reaktion, was bestimmt auch genau richtig ist. Trotzdem bin ich darüber ins Nachdenken geraten. Schon wieder ein eigentümliches Thema für eine Geschichte. Ich fand das sehr sehr stark, dieses Ambivalente in ihr, das ganz schön weit geht. Eine spannende Figur, die einerseits die Übergriffe deutlich wahrnimmt und brandmarkt, dann wieder einknickt, sich dann wehren lernt. Und andererseits das ganz schwache Weibchen ist, das Schutz sucht und den sexuellen Agressor im Traum/im Unterbewusstsein attraktiv findet.
Ich hätte nur, da ging es mir genauso wie RinaWu die erste Annäherungsszene nicht so eindeutig gemacht. Die ist mir viel zu übertrieben. Ich hätte eine weitere Annäherungsszene nachgesetzt. Aber ich bin mir auch noch nicht so wirklich sicher. Da arbeitst es noch in mir. Später vielleicht mehr.
Mehr kriegst du erstmal nicht von mir, außer, dass ich das eine sehr aufregende Geschichte fand.
Übrigens fand ich auch die Kommentare verflucht spannend.

Als Carl ein paar Schritte auf mich zuläuft, weht sein Altherren-Irisch-Moos-Geruch rüber. Mit Mühe widerstehe ich dem Impuls, Richtung Tür auszuweichen.
Sehr gut finde ich hier, wie du sie darstellst. Vorher ihre Angst versus ihren sehr intensiven Jobeinsatz, hier wirkt sie eher zerbrechlich und empfindsam. Der arme alte Chef hat noch gar nichts gemacht, da stört sie sich schon an seinem Aftershave.

„Jetzt lächle mal. Damit siehst du schöner aus."
Ich versuche es, fühle eine Art Krampf im Gesicht.
Sein Spruch danach ist dann ein tolles Beispiel. Man könnte kotzen, wenn man das hört. Würde man nie im Leben zu einem Mann sagen, es sei denn man etikettiert ihn als weiblich. Hat einfach was total Überhebliches. Aber er ist anderereseits auch nichts Dramatisches, wäre da nicht die Abhängigkeit. Halt ein doofes Kompliment. Und würde er nur sagen: Jetzt lächle doch mal, das kriegst du schon hin, wäre es ein Motivationsspruch. Das einzig wirklich Dramatische ist wie gesagt das Machtgefälle und die Abhängigkeit, wenn man nicht einfach mal sagen kann, dass einem schön sein im Job sonstwo vorbeigeht.
Und auch ihre Reaktion, dass sie künstlich lächelt. Gut gemacht.


„Jetzt sag schon."
„Es ging um Prisma II. Ich soll testen."
„Ach so. Das." Vanessa sieht enttäuscht aus.
Das zum Beispiel. Man weiß nicht genau, warum Vanessa enttäuscht ist. Kann wegen einer ganz anderen Sache sein. Ich musste denken, sie hat für sich selbst einen Sprung auf der Karriereleiter erhofft. Oder vielleicht sogar, dass Anouk eins auf den Deckel kriegt. Wie auch immer, selbst wenn es ganz was anderes ist als das, du erzeugst hier so eine unterschwellige Spannung, ein unterschwelliges Misstrauen.

In diesem Sinne finde ich auch die Telko wirklich geschickt gemacht.

„Ich will, dass du eng mit Anouk zusammenarbeitest. Ist das klar?“
„Auf Deutsch: Die hat erst angefangen und ich muss ihr alles erklären.“
„Sie hat Potential“, sagt Carl. „Ich schick die Einladung rum. Bis dann."
Puhh, die reden über sie wie über einen Gegenstand. Echt gut gemacht. Da freut man sich doch auf die Zusammenarbeit. :D

Sein Haar ist militärisch kurz geschnitten, der dünne Vollbart kann die Aknenarben nicht kaschieren. Er hebt die Augenbrauen und lässt seinen Blick unruhig durch den Raum wandern. Etwas stimmt nicht mit ihm, denke ich. Ungelenk umrundet er den Tisch und setzt sich neben mich. Zu dicht.
Hier fand ich es fast schade, wenn sie nicht genauer denkt, was mit ihm nicht stimmt. Jemand anderes hat das auch schon eingeworfen. Ging mir genauso. Das zu dicht daneben setzen fand ich dann wieder sehr sehr stark. Das ist so herrlich dreideutig. Es kann eine einfache Präsenz sein, er wirkt einfach sehr körperlich wie ein Riesenbär, was einen ja auch schon stört. Oder sie ist empfindlich. Oder sie befürchtet schon hier seine sexuelle Dominanz und Übergriffigkeit.

Ich versuche, die wichtigen Informationen mitzuschreiben. Alles ist im Verzug, auch die Hardware aus China.
„Kina“, sagt Wolf und verzieht dabei den Mund.
Cool

„Ich zeig dich an.“
„Das wirst du nicht tun“, entgegnet Wolf ruhig.
Wie vorhin schon gesagt. Ich finde seinen Übergriff zu schnell, zu früh, zu abrupt. Ebenso seine Reaktion. Auf der anderen Seite, kommt mir ein Gedanke, der lä#sst mich einfach nicht los. Und der Vollständigkeit halber will/muss ich ihn dazu sagen. Ich weiß gar nicht, ob das wirklich für den Gesamtplot eine so gute Idee wäre, wenn du diese Szene hier entschärfst und eine ähnlich krasse wie diese hier nachfolgen lässt. Wie will man dann Wolf jeweils reagieren lassen? Das ist ja hier eine sehr eindeutige Reaktion. Ein heftiger Übergriff einerseits und dann seine unverschämte Reaktion, die seine Machtposition widerspiegelt. Man kann es auch so interpretieren, dass diese Melange in Anouks Augen durchaus zu seiner Faszination beiträgt.
Ich denke, dir kommt es schon auf die Ambivalenz von Anouk an, sie findet den Mann als "Eroberer" gleichzeitig furchteinflößend, abschreckend, ekelerregend, aber irgendwie auch interessant, faszinierend, so, dass sie ihn sehr eindeutig abwehrt, gleichzeitig aber von ihm träumt, sogar einen sexuellen Traum. Ich weiß grad selbst nicht, was mir diese Stelle und die Geschichte hier sagt, aber wie du ihn hier zeichnest, fachlich kompetent, was sie beruhigt, aber in seiner Aggression auch offensichtlich anregend für sie, was heißt das dann? Hmm, wenn ich das so lese, muss ich mein vorheriges statement zurücknehme. Ich würde die Reaktion weder abmildern noch eine mildere sexuelle Zwischenbelästigung dazwischensetzen. Es kommt halt drauf an, wie weit seine Faszination für sie gehen soll. Ob die Faszination tatsächlich auch ein Quäntchen Faszination über seine Dominanz enthält. Und wenn das der Fall ist, würde ich das alles so lassen. Ich hoffe du verstehst, was ich meine.


„Berufsanfänger ... packt die nicht“, höre ich, als ich um die Ecke biege. Das Grüppchen am Kaffeeautomaten verstummt und sieht mich an.
Wieder so eine Stelle, die zu der Atmosphäre beiträgt. Gut.

Ganz hinten sehe ich Bernd, der zum Gruß die Bierflasche hebt. Wie immer steht er dicht neben Jamil, unserem jüngsten Entwickler. Ich habe vergessen, wo der herkommt. Aus Aserbaidschan, glaube ich. Bernd zauselt ihm durchs Haar.
Aber du hast Jamil doch schon eingeführt. Brauchst du doch hier nicht mehr.

Ich winde mich aus seinem Griff und stelle mein Glas etwas fester als beabsichtigt auf dem Tisch ab.
„Du bist Jungfrau, oder?“, sagt Bernd zu mir.
Ach Bernd.

Wolf verschluckt sich und beginnt, zu husten.
Sehr gut.

„Sorry, aber ich glaub nicht an Horoskope“, murmele ich und rücke näher an Wolf heran.
Top

„Erst beantwortest du meine Frage.“
Wolfs Blick ist nicht zu ertragen, ich will zu Boden sinken. Oder zur Seite schauen. Er nimmt seine Finger und hebt mein Kinn, zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen. In meinem Kopf dröhnt es, als schlügen unentwegt Stahlplatten aufeinander. Ich gebe einen Angstlaut von mir und verachte mich selbst dafür. Es war falsch, sich nicht an Henning zu wenden. So falsch.
„Du miese, kleine ...“, fängt Wolf an. Abrupt dreht er sich um und lässt mich stehen.
Das ist auch klasse gemacht. Es ist so, das ist hier nicht nur ein körperlicher Übergriff, der aber andere Ursachen hat als eine sexuelle Nötigung, der reagiert so, weil er glaubt, sie verlässt das Projekt. Und das macht es auf andere Weise so schrecklich. Es ist furchteinflößend, echt eklig, aber was ich da gut finde, es ist eben diese üble Büromischung, die sich aus Macht und dem Gefühl des Verrats und der körperlichen, bedrängenden Dominanz ergibt, eben wieder sehr ambivalent.

„Siehst du!“, sagt sie. „Der hat das ausgenutzt. Statistisch gesehen trifft es meist die Schwächsten: Junge Mitarbeiter, Ausländer und Behinderte.“
Leute in der Probezeit. :)

„Das verstehst du nicht“, sage ich. „Etwas Besseres als Prisma II konnte mir karrieremäßig nicht passieren. Wolf ist schwer in Ordnung.“
Und dass sie hier ihre Karriere sprechen lässt, finde ich konsequent, so wie du diese Frau charakterisiert hast. Dass sie allerdings sagt, Wolf sei schwer in Ordnung kann ich mir trotzdem nicht vorstellen.

Wolf und ich erheben uns gleichzeitig. An der Tür lässt er mir mit einer knappen Handbewegung den Vortritt.
Als ich eine Kapsel in den Kaffeeautomaten stecke, holt er die Milch aus dem Kühlschrank und reicht sie mir.
Ihre Loyalität scheint ihm einen gewissen Respekt abzufordern.

Ihr scheint das Kraft zu geben, die Situation zwischen ihnen klarzustellen. Ihn in seine Schranken zu weisen. Und sie scheint die richtigen Worte gefunden zu haben. Ob es die Loyalität war, der Hinweis auf die Töchter. man weiß es nicht. Aber er scheint Ruhe zu geben.

Sein Audi steht vorne, nahe der Ausfahrt, während ich ganz hinten parke, wo die Neonröhren flackernd und sirrend einen langen Tod sterben. Meine Schritte hallen über den Betonboden.
Hmmm, ich bin wohl die einzige, die dieses Ende echt sehr künstlich findet. Du spielst halt damit, dass noch was anderes möglich wäre, er über sie herfällt. Und wenn nicht er, dann der nächste. Aber es wächst nicht organisch aus der Geschichte. Ist drangebabbt. Schade.

Trotzdem eine wirklich "schöne" spannende und interessante Lektüre. Hat mir sehr gefallen.
Vielen lieben Gruß an dich von Novak

 

Liebe Anne49

wenn man so spät kommt, dann ist schon das meiste gesagt. Mir hat deine Geschichte von der Darstellung des Themas, aber auch von seiner sprachlichen und inhaltlichen Ausführung her sehr gut gefallen. Am stärksten finde ich, wie du es schaffst, deiner Hauptfigur eine gewisse Ambivalenz zu verleihen. Wolf stößt sie ab und zieht sie auf eine diffuse Weise gleichzeitig an, sie möchte sich vor ihm in Sicherheit bringen und sucht doch auch seine Nähe. Das ist eine sehr gute Idee gewesen, sie so zu zeichnen. Ich glaube, die Gefahr, bei dieser Thematik in eine Schwaz-Weiß-Darstellung zu geraten, ist sehr groß. Die hast du mit klugen Einsprengseln und der Traumsequenz gut umschifft und deiner Figur damit eine innere Spannung verschafft.

Probleme hatte auch ich mit dem recht unvermittelten Annäherungsversuch Wolfs. Der kommt mir zu schnell, was den Aufbau der Geschichte angeht, aber auch, was die Nachvollziehbarkeit der Situation betrifft.

Komischerweise gingen auch meine Gedanken beim Lesen deiner Geschichte in eine ähnliche Richtung wie Novak s, allerdings eher so ein bisschen in Richtung eines Copywrite-Textes: Es wäre sicher mal ein sehr interessantes Unterfangen, dieselbe Geschichte aus der Sicht des Mannes (Wolfs) darzustellen. Denn das ist für mich eigentlich das größte Fragezeichen dieser Thematik: Was geht in den Köpfen dieser Männer vor sich? Ich frage mich aber, ob wir als Frauen das überhaupt schaffen können, ohne wieder auf eine Ebene zu geraten, die von vermeintlichem Wissen, nicht von echtem getragen ist. Aber das nur am Rande.

Liebe Anne, dir ist eine facettenreiche Geschichte gelungen, bei der mir diesmal besonders die Charakteristik deiner Protagonistin in ihrer Mehrschichtigkeit sehr gut gefallen hat.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne49,
eine ganz aktuelle Problematik bearbeitet Dein Text und ich empfinde eine Bedrohlichkeit, die von der Bedrängnis ausgeht, kann die argwöhnische Wachsamkeit spüren, die Anouk aufbaut und die sich in den Alltag hineinfädelt im Büro, an der Kaffeemaschine und so weiter. Die kleinen Deutungen, die Fragen, die sich dann auftun, das Bohrende , das sich aus dem Übergriff ergibt und der Ekel, das ist für mich dicht eingefangen. Rein persönlich sind mir manche Schilderungen zu konkret, ich weiß selbst nicht genau, wie ich es beschreiben soll. Zu plastisch, überplastisch vielleicht. Gleich am Anfang stört mich das "Schälen aus dem Poncho". Das klingt für mich zu ambitioniert. "Pudding in den Knien" finde ich zu pauschal und als Bild etwas abgetragen. Auch den Zwiebelminz-Geruch. Es muss immer Zwiebel sein, damit es auch wirklich eklig ist. Sonst aber in der Gesprächsführung und in der Dramaturgie ein gekonnte gebauter Text.
Was mich noch umtreibt: Interessant finde ich die Geschichte unter dem Aspekt, was Macht bedeutet, was Kontrolle bedeutet und wie sie ausgeübt und erzeugt wird: das nüchterne, austauschbare Arbeitssetting, das in den Mechanismen wie ein Räderwerk funktionieren soll und für die Erzählung unter dem Aspekt interessant wird, was sich darin menschlich ereignet, also auf einer Ebene, die vordergründig nicht relevant ist für das Unternehmen. Und dann tickt im Hintergrund beständig der Urmensch, eine subkutane Macht und dann ganz unverhohlen der moderne Machtmensch mit den mehr oder weniger subtil eingesetzten Mitteln der Hierarchiebildung. Dann wird also die moderne Arbeitswelt erst interessant, wenn sie sich an den menschlichen Seiten reibt. Das sehe ich in Deinem Text auf der Ebene Sexualität und kann aber weiter die Perspektive öffnen eben hin zu Machstrukturen allgemein, die da einfach sehr gut nachgefühlt sind. Das führt mir Dein Text vor Augen und das finde ich sehr
interessant.
Herzliche Grüße
rieger

 

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