Wirres Scheuchengebrabbel
Drüben am Bach kriecht der Nebel.
Ein graues Tier, echsengleich, geduckt. Klauen wie ein Mörder hat es, nass, kalt, nicht von dieser Welt. Das brache Feld klirrt mit dem Eis auf seinen Schollen, hält den Atem zurück vor so viel Frost, vor soviel kalter Unersättlichkeit. Krähen trudeln als Fallobst gegen starre Wolkenwände.
Eine gläserne, erstarrte Revue. Das ist meine Bühne. Ein erfrorener Schlund. Ich bin das Vergessene darin, ohne Lippen, ohne Schrei. Eine an das Herbstlaub erinnernde Mystik in starren Lumpen. Lächerlich geworden.
Hingestellt in einen gähnenden Wintertag, in einen von den vielen im Dezember.
Das heisere Krächzen im Wolkengranit ist alles, das ich gegen die Weite habe, gegen die amorphe Ebene, die sich in eine andere Welt dehnt, irgendwo an der Stelle reißt, die ich als blutleeren Horizont erkenne. Dort ist das Ende der Platte Welt und das Gebirge der Lüge, das sie trägt.
Eure Dörfer, Städte, Trinklöcher. Eure Ehekrisen, Heilanstalten, Kinderkrippen. Eure verdauenden Därme, altersgeilen Schwänze, bitterbösen Träume. Eure nimmermüden Fäuste und euer Glaube an das Gute, obwohl ihr schlecht seid wie die Pest.
Ich hasse euch, weil ihr mich so schändlich vergessen habt, stehen gelassen habt wie einen inzestuösen Bastard, für den ihr euch schämt, nachdem eure Felder abgeerntet waren.
Darum:
Meidet mich, denn es ist schlecht um mich bestellt. Seht mich an, mich erstarrtes Einerlei. Bin ich das jetzt, das ihr gewollt habt? So gewollt, dass ihr mich darüber vergessen konntet? Ich geh’ jetzt los, doch bleibt wo ihr seid, um Gottes Willen und um Jesus Christus Willen, seinen Sohn. Ich finde euch ohne eure flackernden Laternen, ohne eure stumpfen Gebete, die euch so oder so ins Grab bringen werden. Und ich finde euch ohne dem Geschaukel über mir, das ihr Mond nennt. Ich bin das, das euch zur Ernte gereicht hat, abzuschrecken, fernzuhalten hatte, das ihr vor der Ernte mit klingendem Singsang auf die Felder gestellt habt. Ich bin die Scheuche, das Flatterhafte, jetzt der Auswurf. Ich bin der Spiegel, für all die Armseligen dieser Zeit, die sich noch an mir vorbeizuschleppen haben, weil sie in fernen Hütten leben und ohne deren Wärme nichts sind. Alles verkehrt sich. Ich gehe jetzt los. Nicht sehr schnell und doch mit Ziel. Ich bin das, das mit seinem Hauch Eisblumen auf die Fensterscheiben malen kann. Ihr seid das Ziel.
Wer weiß, was noch passiert.
Weiß es jemand?
Iihich...., gellt mir der Wahn ins klappernde Ohrgeschirr. Weil ich erfunden bin, aufgespießt, zusammengeflickt, weggeworfen und zur Schau gestellt wurde von euch. Ich bin vergessen worden hier draußen und höre das Dröhnen eurer Träume in den nackten Wäldern. Euer armseliger Herzschlag ist es, der unter dem Eispanzer sein Dezemberliedchen hämmert und damit meine Haselrutenbeine massiert. Ich sag’ euch was: Es ist nicht fein, dem letzten Erntewagen nachblicken zu müssen, dem letzten Rotzbuben darauf ein Lebewohl nachzugreinen. Ich habe genug gefroren. Stellt euch vor: Die Kälte hat mir den Mut gebracht. Wie ich die Krähen zu lieben gelernt habe in dieser Eiswelt. Komm, krächzendes Fallobst, und hab’ Angst vor meinem Fetzenschädel. Ich stecke so tief in der Haut der Rübenackerreste, dass mir alles vergangen ist. Der Hass auf euch Bestien dagegen ist gekommen.
Ihr müsst wahnsinnig sein, mich hier stehen gelassen zu haben. Mag sein, dass ihr mich dazu geschaffen habt, doch ich hatte lange Nächte Zeit, um dem Nordwind Glauben zu schenken. So geh doch, geh in ihre Träume, hat mich der beweint und nicht aufgehört damit. Wie der Frost jetzt singt und die Balken im Kirchendach zum Knacken bringt.
Ich komme in eure Träume, jawohl, und ihr alle werdet Augen machen.
Aufscheuchen will ich euch hinter euren Öfen, Holzstößen, Herrgottswinkeln. Aus euren Betten und aus den Armen eurer Lieben will ich euch treiben. Hinter euren geschwärzten Fassaden und schon dörrenden Christbäumen werde ich auftauchen und eure Vergesslichkeit verfluchen. Habt ihr einmal, so wie ich es tat, euren Mann, eure Frau gestanden? Oder in den Nächten mit dem Eiswind kopuliert und den Krähen seltsame Geschichten vorgelogen, nur um das zweite Kastanienauge behalten zu dürfen? Was habt ihr euch dabei gedacht, als ihr mich stehen ließet, in diesem Meer aus Kälte und Verzweiflung? Es ist der Ekel vor euch, der mich jetzt zu euch treibt, und meine Angst davor, zu versäumen, was euch hinter löchrigen Schneewällen erwarten wird. Sehen will ich, wenn ihr den Zerfall eurer Liebe beweint, weil euch die Prinzipien abhanden gekommen sind. Dabei sein will ich, wenn ihr die Katzenjungen ertränkt und eure Frau missbraucht, weil euch vor dem bisschen Leben graut, das euch verblieben ist und genau das Grauen es ist, das euch zu ersticken droht. Ihr verschwindet in den Beichtstühlen, um euren Schmutz dort abzuladen. Das habt ihr vor dem großen Fest noch nie vergessen, das habt ihr euch noch nie zu leisten gewagt.
Aber mich vergessen, das konntet ihr. Obwohl ich da draußen alles für euch erledigt hatte. Weil ich ausgedient hatte und ihr mit meiner Nutzlosigkeit nichts mehr anzufangen wusstet. Ihr hättet Platz gehabt in euren Scheunen und ich hatte mir diesen auch verdient. Für euch war wohl danach, als alles eingefahren war und die Scheunen sich bis unters Dach bogen, nichts mehr anzufangen mit mir, hm?
So seid ihr. So ward ihr immer schon.
Menschen eben.
Die Gier soll euch das große Kotzen bescheren, wenn ihr mit übervollen Bäuchen winselnd eure Mägde beschläft. Kriecht euren Peinigern weiter zu Kreuze. Tut es und bleibt weiter auf der Suche nach etwas, das ihr nie finden werdet. Zu mehr als dieser Suche seid ihr nicht fähig, weil ihr euch selbst nie gefunden habt. Ihr habt den Segen der Weihnacht nicht verdient, weil ihr euch immer noch für Götter hält bei all eurem gottlosen Tun. Krepiert in euren Konsumtempeln, im farblosen Geplärre eurer widerlichen Einkaufsmeilen. Stellt euch euren Plastikkrippen und wechselt Josef mit dem Esel aus. Darin seid ihr gut. Versucht euch am Stern von Tschernobyl und lasst den von Bethlehem untergehen. Ihr habt ihn nicht verdient und auch all das Andere nicht.
Ihr hättet mich da draußen nicht vergessen dürfen.
Es war nicht abgemacht.
Meine Wünsche für euch wären bessere geworden, wenn ihr euch für mich entschieden hättet. Ich habe in den Nebeln das Schluchzen gehört. Wer kann das sein, dachte ich, so kurz vor der Weihnacht. Auch etwas wie ich, etwas Vergessenes? Ihr aber seht derweil der Wintersonne beim Blähen zu und begreift gar nichts. Das könnt ihr. Ja. Das Nichtbegreifen wollen ist euch in die Wiege gelegt. Ist nicht so wichtig, dachtet ihr und habt noch lachen können dazu, weil euch der Punsch den Schädel benebelt hat. Ihr lässt euch belügen und benutzen. Ihr wollt den falschen Weihnachtsmännern hinter die Bärte pinkeln, doch ihr habt vergessen, wie das geht. Ihr habt euch zu wehren vergessen, wie ihr mich vergessen habt. Nun, ich werde euch den Abend heilig machen, aber vorher den Bart abnehmen. Ihr sollt euch in meiner ausgepickten Fresse wiedererkennen. Es wird schon gehen, weil ihr nicht die Nerven habt, euch mit mir anzulegen. Ich wurde von euch erschaffen. Das ist es, was euch die Courage nimmt und den Mut, mich zu zerstören. Lasst mich nur machen. Es ist wie ein Krippenspiel, nur spannender.
Wer weiß, was noch passiert.