Wir Kinder vom Bombenkeller
Wir Kinder vom Bombenkeller
"Schnell, schnell in den Bunker. Die Flieger kommen zurück. Nun macht schon!"
"Aber ,wo ist David?"
"Jetzt lauft wir werden ihn schon finden."
So sah ich meine Eltern zum letzten Mal. Der Angriff ist vorüber und die halbe Nachbarschaft wurde dabei zerstört. Fassungslos hatten wir nach dem Entwarnungsalarm die Türe geöffnet und ein Bild des Grauens gesehen.
Der ganze Block war von diesem erneuten Angriff in Schutt und Asche gelegt worden und von all den Leuten, die sich zuvor noch in ihren Bunkern verkrochen hatten, kamen nur noch wenige an die Oberfläche.
Wie gebannt liefen meine drei Geschwister und ich durch die Straßen und suchten unsere Eltern, doch von all den Leuten die wir fragten, konnte uns keiner Auskunft geben, ob sie es noch in einen Bunker geschafft hatten. Tränen liefen mir über die Wange und ich musste mich hinsetzen. Was sollten wir denn jetzt nur tun? Meine Geschwister schauten mich mit genauso verheulten Augen an und erhofften sich eine Lösung von mir aus dieser Situation, aber ich hatte keine und ein weiteres Mal verlor ich meine Beherrschung und ich begann hemmungslos zu weinen. Warum nur? Warum hatte man diesen Krieg nur begonnen? Warum ausgerechnet unsere Stadt? Warum ausgerechnet meine Eltern? Warum ausgerechnet ich?
Diese Fragen würden mich auch nicht weiterbringen, dessen war ich mir sicher aber ich konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen, wenn ich daran denken muss, meine Eltern in einem sinnlosen Krieg verloren zu haben.
Unsere Nachbarn konnten, oder wollten uns nicht helfen, zu viel hätten sie schon so um die Ohren, der Krieg fordert eben Opfer, sagten sie uns stattdessen. In Ausnahmezuständen scheint der Mensch die Augen für das Leid anderer verloren zu haben, um alles außer seinem eigenen Wohl auszublenden.
Dann saß ich mit meinen ratlosen und weinenden Geschwistern in unserem Bunker, während immer noch das Geheul von Sirenen zu hören war. Nicht etwa die eines Krankenwagens, vielmehr sind es die unheilbringenden den nächsten Angriff ankündigenden Sirenen, die die Stille der Nacht zerreißen.
Was wir tun sollten, hatten sie mich kurz zuvor noch gefragt, aber ich sagte sie sollen erstmal schlafen, wir würden morgen weitersehen. Ich war als einziger noch wach und überlegte, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass sie es vielleicht doch noch geschafft hatten irgendwo unterzukommen. Sie war fast gleich Null, da sie sich mittlerweile schon längst hätten melden müssen.
Warum dieser für uns schon verlorene Krieg überhaupt geführt würde, habe ich meine Eltern oft gefragt und jedesmal antwortete mein Vater, dass das keiner so genau wissen würde, es aber am wahrscheinlichsten sei, dass die Ressourcen unseres kleinen Landes sie angelockt hätten.
Ressourcen? Sind sie es wert so viele Menschenleben zu opfern? Ich glaube kaum, das diese "Ressourcen" in der Lage sind soviele Leben zu retten, wie sie hier geopfert werden, oder sind unsere weniger wert als die unserer Besetzer?
Während ich so überlegte, fiel mir die Antwort ein:
Unsere Großeltern! Es würde nicht einfach sein, aber es waren die nächsten Verwandten, die noch in der Lage waren uns aufzunehmen.
Am nächsten Morgen fragte ich die anderen, was sie von meiner Idee hielten und es war allen klar, dass es wohl die einzig vernünftige Lösung in unserer Situation war, wenn wir nicht auf das Kriegsende warten und dabei vielleicht verhungern wollten.
Wir verbrachten den Tag damit, Proviant einzupacken und auszusortieren was wir nicht brauchen würden, da diese Reise uns genug abverlangen würde.
Am nächsten Tag brachen wir schließlich auf und begaben uns auf den Weg, der über unsere Zukunft bestimmen würde. Ich hatte beschlossen, dass wir durch den weitgehend ungefährlichen Wald gehen würden, da dies der mit Abstand kürzeste Weg war. Schon nach einer halben Stunde hatten wir das riesige Waldstück erreicht, auf dessen anderer Seite unser Ziel, die Haupstadt unseres Landes gelegen war.
Sie hatten heftig protestiert, als ich ihnen sagte, dass wir zweimal im Wald würden schlafen müssen, wenn wir den Weg durch die Wälder, anstelle dem Umweg der Straße wählen würden.
Jetzt liege ich wach hier, während wir unsere erste Nacht im Wald verbringen. Die anderen sind auch noch wach, weil sie auf dem harten Boden und wegen der niedrigen Temperaturen nicht schlafen können.
Noch einen Tag und eine Nacht müssen wir überstehen und wir würden das Haus unserer Großeltern erreichen. Wenn sie nur die Angriffe überstanden haben...
... mit diesem Gedanken gleite ich in einen unruhigen Schlaf über und vergesse für ein paar Stunden meine Sorgen.
Als ich aber am nächsten Tag nach der Karte sehen will, finde ich sie nicht mehr. Dabei hatte ich sie doch sicher in meiner Tasche verwahrt.
"Weiß einer von euch wo die Karte ist", frage ich meine noch sichtlich müden Geschwister.
"Ja sie müsste gleich hier..."
"Was? Wo müsste sie?!"
"Ich hatte sie gestern hier hin gelegt, bevor ich das Feuer ausgemacht habe und eingeschlafen bin, aber sie ist nicht mehr da."
Hoffnungslos, der Wind kann sie überall hingeweht haben. Es bleibt uns nicht anderes übrig, als sie zu suchen. Als wir sie aber, obwohl wir schon den ganzen Morgen danach suchen, nicht finden können, trommle ich die anderen zusammen und schlage ihnen vor ohne Karte weiterzulaufen. Sie sind einverstanden und wir laufen in Richtung Norden, wo wir das Moos an den Bäumen immer vor uns haben.
Als wir nach zwei Tagen aber ein Auto hören, können wir unser Glück kaum fassen, wir haben die Straße gefunden und wenn wir ihr folgen müssten wir die Stadt bald gefunden haben.
Nach zwei Stunden kann ich schon vereinzelte Lichter erkennen und all das Jammern, das mich schon den ganzen letzten Tag begleitete, verstummt.
Nicht mehr lange und wir haben unser Zeil erreicht.
Als wir die Stadt erreichen, breche ich in Tränen aus. Es ist keine Stadt mehr, es ist ein Trümmerhaufen. Dabei habe ich solch große Hoffnungen gehabt, sie hätten die Hauptstadt doch nicht so schrecklich zugerichtet, wie überall zu hören gewesen war.
Immer wieder begegnen uns Soldaten, die aber keinerlei Kenntnis von uns nehmen. Sie haben wohl ganz andere Probleme.
Endlich kommen wir in den Block in dem das Haus unserer Großeltern stehen müsste. Total erschöpft und unglaublich aufgeregt laufen wir an den Ort an dem das Haus stehen müsste und tatsächlich...
... es steht noch. Ich lasse mein Gepäck fallen und renne zur Tür.
Leben sie noch? Sind sie noch am Leben? Schießt es mir noch durch den Kopf, als ich endlich an die Tür klopfe. Unglaubliche Erleichterung breitet sich in mir aus, als ich hörbar alte Füße die Stufen herunterschlurfen höre.
Als sich die Tür öffnet und mein Großvater vor mir steht, breche ich endgültig zusammen und weine vor Freude.