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Wiedersehen
Ich sitze in dieser kleinen Bar. Gelächter und Geschrei betäuben mich, betäuben meine Sinne. Der Geschmack von kaltem Rauch auf meinen Lippen. Noch einen Amaretto-Kirsch. Irgend etwas ist seltsam. Keine Ahnung, was es ist. Die Zigarette in der einen Hand, während die andere unruhig an einem Bierdeckel fummelt.
Ein im Vorbeigehen zugeworfener Blick. Entsetzen, als ich dich erkenne. Ein tiefer Schluck aus meinem Glas.
Du hast dich nicht verändert. Weißt du, wie lange ich auf den Moment gewartet habe? Wahrscheinlich nicht. Inzwischen stehst du vor mir, verseuchst meine Ohren mit sinnlosem Geschwätz, willst mir einen Drink ausgeben. Erinnerst du dich nicht an mich? Macht nichts. Früher oder später...
Ich lächle dich an. Ich weiß, was du im mir siehst. Ein langer, genussvoller Zug an meiner Zigarette mit geschlossenen Augen. Es stört mich nicht. Wieso auch? Ich weiß, wer du bist. Niemand weiß das so gut wie ich. Oder?
Damals standest du vor mir, älter und reifer als ich. Weißt du noch? Du wusstest genau, was du wolltest. Und ich? Ich habe auf dich gewartet, dich hereingebeten. Die Ledercouch haben meine Eltern immer noch.
Tja, das war damals. Du sahst du an, anders als heute in dieser stinkenden Bar, nicht wahr? Du standest vor mir. Wie jetzt. Weißt du es wirklich nicht mehr? Deine sanften, braunen Augen. Alles Lüge. Wenn man jung ist, lässt man sich leicht blenden. Das weiß jeder. Du auch, oder?
Ich wusste nicht, dass du gekommen bist, um mich zu verletzen. War hilflos, konnte nicht schreien. Mich nicht wehren. Hab nur gewartet. Gewartet, bis du fertig bist. Der einzige Trost die Gewissheit, dich nie wiederzusehen. Heute ist das anders. Du baggerst in der Hoffnung, mich noch heute Nacht zu ficken. Nur zu. Du erinnerst dich immer noch nicht. Ich trinke inzwischen Wodka. Diesmal wirst du es sein, der nie vergisst. Es ist meine Nacht. Heute bin ich am Zug. Prost. Auf dich, mein Liebster. Es ist spät. Zeit zu gehen, findest du nicht?
Was sagst du jetzt? Was sagst du nun, wo ich halbnackt auf dir sitze und du hilflos unter mir liegst? Es fühlt sich gut an, nicht wahr? Macht es dich geil? Was gäbe ich für deine Gedanken. Ein Brett im Bett. Das war einmal. Einen Augenblick noch. Ich bin sofort wieder für dich da. Versprochen. Ich stehe auf, um mein kleines Geschenk für dich zu holen. Es kommt von Herzen. Garantiert. Eingepackt ist es nicht. Wozu auch? Wir stehen doch beide nicht auf sentimentalen Scheiß. Zärtlich raune ich dir meinen Namen ins Ohr. Du verstehst nicht. Noch nicht. Ich habe mich verändert, oder? Ja, das habe ich wohl. Ich spüre diese warme Masse, die sanft meine Finger in ein beruhigendes, rotes Licht taucht, während ich das Messer tief in deinen Bauch stoße. Und, kommt dir das bekannt vor? War es damals nicht das Gleiche?
Na endlich! Dein entsetzter Blick zeigt mir, endlich hast du mich erkannt. Aber das Grau deiner Haut passt gar nicht zu dem Braun deiner Augen. Du willst ohnmächtig werden. Das wollte ich damals auch. Aber das macht doch so keinen Spaß, oder? Ich setze an. Um wieder zuzustechen. Ohne Ziel. Es belebt mich. Immer und immer und immer wieder. Es ist gut so, wie es ist. Gerade eben habe ich dir vergeben.