bluefin,
ich sehe unser Missverständnis, und nur um ein solches handelt es sich.
Die Aussage ist: Warum jemand schreibt, ist egal, wenn es um die Interpretation seines Textes durch einen anderen geht.
A schreibt einen Text. Dafür mag er viele Gründe haben. Und er möchte mit dem Text kommunizieren, er möchte Inhalte vermitteln oder vielleicht auch nur unterhalten, amüsieren, sich vielleicht seine Vergangenheit von der Seele schreiben, etwas über sich erzählen und aus seinen Gedanken Literatur machen. Sonst, da hast du recht, würde er ihn in sein Tagebuch schreiben. Wenn er mit einem bestimmten Menschen kommunizieren würde, schriebe er dem einen Brief oder eine E-mail (obwohl auch solche Texte leider oft hier landen).
Bleiben wir also beim literarischen Text.
B liest diesen Text. Wenn er Glück hat, entnimmt er ihm auch die Motivation des Autors. Aber er kann darüber nur spekulieren, er weiß nichts darüber. Da der Text das einzige Kommunikationsmittel ist, ist B einzig auf ihn angewiesen, nicht auf die Motivation. Zusätzlich liest er (das kann er nicht verhindern) auch seine eigenen Erfahrungen in den Text. Er vermischt das Wort mit dem, was er kennt und erlebt hat. Darüber wiederum weiß A nichts. Es bleibt also eine Kommunikation mit Unbekannten. Auf jeder Seite.
Hier ist es eine Ausnahme, denn weder der Graffitisprüher noch der Buchautor haben die Möglichkeit, die Wirkung ihrer Kommunikationseröffnung zu überprüfen. Welche Intention sie auch immer haben, sie erhalten nie so ein direktes Feedback wie wir hier.
Insofern stelle ich auch hier oft die Frage, warum dieser Text, was wolltest du damit, denn anhand der Beantwortung kann ich dem Autor eventuell Hinweise geben, warum die Intention nicht angekommen sein könnte und wie das zu erreichen wäre. Aber es ist eine Sondersituation. Und, das widerspricht deiner Theorie, mit dieser Frage stieß ich hier schon oft auf die verständnislose Gegenfrage: Muss ein Text immer etwas wollen? Der Graffitikünstler möchte im Zweifelsfalle nichts, außer mit seinem "Tag" seine Duftmarke setzen. Hundesprache, Reviermarkierungen, Ursprungsrituale - auch das ohne Zweifel Kommunikation.
Zu dieser Thematik gibt es hier übrigens schon einen geeigneteren Thread, in dem die Frage gestellt wird, wie wichtig die Intention des Autors für den Text ist.
Ich stamme ja aus Vorinternetzeiten. Und ich habe schon als Kind geschrieben (trotz Verbot), habe die fertigen Werke zerrissen (aus Angst vor Strafe bei Entdeckung) und mich schnell daran gewöhnt, mit dem Geschriebenen alles andere zu machen, als zu kommunizieren. Bevor ich hierher kam, hat es niemanden interessiert, was ich schreibe (oder warum). Ich habe es trotzdem nicht gelassen. Und doch war der Wunsch nach Kommunikation darüber ganz deutlich da. Ich wollte nur meine Freunde nicht damit penetrieren.
Lieben Gruß, sim