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Vampire

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08.07.2012
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Vampire

Ich spuckte Blut und spülte mir den Mund aus. Während ich mir die Hände abtrocknete, betrachtete ich mein Gesicht im Badezimmerspiegel. Ich stand eine Weile da, drehte meinen Kopf nach links, dann zur anderen Seite. Ich befühlte die Haut der Wangen, strich über meine faltenlose Stirn. In Momenten wie diesem bestand an den Veränderungen kein Zweifel.
Ich löschte das Licht und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Ein Schimmer lag über Julias nacktem Leib.
»Das war crazy.« Julias Stimme klang matt. »Lange nicht mehr so gefickt.«
Ich ging zum Fenster, öffnete es und schaute in die Schwärze des nächtlichen Himmels. Das Schwert des Orion leuchtete in der Finsternis.
»Nik, ich hab die Medikamente im Badezimmerschrank gesehen«, sagte Julia und zog sich das Kopfkissen in den Nacken. »Ist vielleicht blöd zu fragen, aber …«
»Leukämie«, sagte ich.
Ich lauschte den Geräuschen der nächtlichen Stadt.
»Ist es schlimm?«, fragte Julia nach einiger Zeit müde.
Ich sog die kühle Luft ein. »Unheilbar«, sagte ich.
»Scheiße.« Julia seufzte, rollte sich in die Bettdecke und murmelte so etwas wie: »Tut mir sehr leid.« Kurz darauf hörte ich, wie sich ihre Atemzüge vertieften.
Nachdem ich das Fenster geschlossen hatte, trat ich ans Bett. Ich ergriff die Decke und schleuderte sie mit einem Ruck ins Zimmer.
»Fuck!«, stöhnte Julia.
Ich legte mich zur ihr ins Bett, drehte sie auf den Bauch und umfasste ihre Hüften.
»Hast du immer noch nicht genug? Du bist …« Sie ächzte, als ich in sie eindrang. Ich griff in ihr Haar, wickelte es zu einem Zopf und dann zog ich daran, wie an einem Zügel.
»Du bist …« Unsere Körper klatschten aneinander.
»Nik, du bist … ein Schwein.« Bei jedem Stoß presste sie sich härter gegen mich, und dann wurde sie schneller und schneller. Ich sah ihren im Dämmerlicht glänzenden Leib vor mir, hörte ihr Keuchen und fühlte, wie sie von einem Zittern erfasst wurde. Es war ein Beben, beinahe ein Krampf.
Als sie zwischen ihren Schenkeln hindurch griff, reagierte ich sofort. Ich wusste, was sie vorhatte. Sie wollte meine Hoden streicheln und mich dazu bringen, mit ihr zu kommen. Ich packte ihren Arm, zog ihn unter ihrem Körper hervor und drehte ihn auf ihren Rücken.
»Nein«, ächzte ich. »Wir haben noch die ganze Nacht.«


Der Stadtpark lag still im morgendlichen Dunst, und für einen Augenblick tauchte ich ganz in diese Ruhe ein, in diesen Frieden vor dem ersten Hieb. Tarai erwartete gleichmütig meinen Angriff, und Sarah beobachtete uns beide mit einem Ausdruck grimmiger Aufmerksamkeit. Es war unmöglich zu sagen, ob sie das, was sie sah, missbilligte oder nicht.
Das Eichenholz unserer Trainingsschwerter knallte aufeinander, ich hörte, wie die Bokken durch die Luft rauschten und dann erneut das Krachen bei Schlag und Block. Tarai konterte auf der Stelle. Er führte sein Schwert so schnell und leicht, dass es aus meinem Sichtfeld verschwand. Angriff und Gegenangriff, das war jetzt nur noch Intuition.
Nach dem Kampf trat Sarah zu uns. Sie musterte Tarai mit ernstem Blick.
»Du ziehst bei der Abwehr immer noch die Schultern hoch«, sagte sie schließlich, und Tarai nickte.
»Und du, Nikolai«, sie wandte sich mir zu, »du versuchst, das Schwert deines Gegners mit dem Blick zu verfolgen.«
Mit weitaufgerissenen Augen und hektischen Kopfbewegungen ahmte sie meinen Fehler nach. Tarai und ich lachten.
»Schon gut«, sagte ich und winkte ab.
Sarah hatte eine unvergleichliche Art, wenn sie ihre Witze machte. Niemals lächelte sie. Nie verlor sie die Kontrolle oder ließ sich gehen. Es war ebenso komisch wie beängstigend. Ich dachte an das Fiasko, das ich mit ihr im Bett erlebt hatte.
Nach dem Training setzten wir uns auf einem Hügel in den Schatten einer Linde und beobachteten zwei Mädchen, die auf der Wiese ihre Yoga-Matten ausgerollt hatten und nun ihre Asanas übten.
»Die könnte man gut ficken«, sagte Sarah, und nahm einen Schluck aus ihrer Trinkflasche.
Tarai nickte ernst. Wir schauten den Mädchen eine Weile zu. Ich wurde schläfrig.
»Wie läuft es mit Julia?«, fragte Tarai, und ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln.
»Schwierig«, sagte ich schließlich. »Ich überfordere sie.«
Sarah zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
»Darüber haben wir tausend Mal geredet«, erwiderte Tarai.
»Ja«, sagte ich, um das Thema zu beenden, doch Tarai wiederholte, was wir alle wussten: »Du verschleißt sie, wenn du es nur mit einer tust.«
»Schon klar«, sagte ich.
»Und damit meine ich nicht nur ihre sexuelle Energie«, fuhr Tarai fort. »Auch emotional …«
Ich kannte das alles.
»Ich habe mich schon darum gekümmert«, sagte ich. »Ist eine Freundin von Julia.«
»Hoffentlich eine Verbesserung«, sagte Sarah. »Du suchst die Falschen aus, das ist dein Problem.«
Tarai nickte zustimmend. »Du hast kein gutes Auge. Sie müssen viel robuster sein.«
»Glaub mir, Tammy ist robust«, sagte ich.
»Tammy?«, grunzte Sarah. »Was für'n Scheißname.« Sie stellte ihre Trinkflasche zur Seite, erhob sich und ging langsam die Wiese hinunter, hin zu den beiden Yoga-Mädchen.
Tarai und ich sahen ihr hinterher.
»Wie läuft es bei euch?«, fragte ich.
Tarai schüttelte den Kopf. Eine Weile schwiegen wir.
»Sie ist ein Monster«, sagte er irgendwann.
Ich nickte. Sarah hatte sich zu den Mädchen gesetzt und sprach jetzt mit ihnen.
»Du musst nicht mit ihr schlafen. Es gibt viele andere«, sagte ich.
»Für dich ist das eine Option, Nik. Aber nicht für mich.«
Wir beobachteten, wie Sarah eine ihrer Asanas demonstrierte.
»Jetzt verschlägt‘s ihnen die Sprache«, lachte Tarai.
»Und warum nicht? Warum ist es keine Option für dich?«, fragte ich.
Tarai schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Ihr beide seid mir weit voraus«, sagte er dann. »Ihr habt so viel Energie.«
»Bedeutet?«
»Das bedeutet, ich muss diese Chance wahrnehmen. Sie brennt wie Feuer. Da bleibt eine Menge für mich übrig.«
»Du weißt, dass das schiefgehen kann.«
Unten auf der Wiese probierte eines der Mädchen Sarahs Asana aus. Sarah umfasste die Hüften des Mädchens und korrigierte. Wir hörten den hellen Klang ihrer Stimme, als sie ihre Anweisungen gab.
»Was ist denn bei euch schiefgelaufen?«, sagte Tarai. »Hast du mir nie erzählt.«
Ich winkte ab. »Erzähl ich dir irgendwann mal.«


Tammy schaute mich erwartungsvoll an. Ich zögerte. »Los!«, sagte sie.
Ich schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Tammy wurde zur Seite geschleudert und prallte gegen die Wand meines Schlafzimmers.
»Ausziehen«, sagte ich. Eine Weile stand Tammy mit hochgezogenen Schultern still da, den Blick auf den Boden gerichtet. Haarsträhnen hingen ihr wirr ins Gesicht, und im Schein der Kerzen konnte ich nicht erkennen, ob sie weinte.
Schließlich sah ich, dass sie den Kopf schüttelte, ganz leicht nur, aber offenbar entschlossen, sich meiner Anweisung zu widersetzen. Ich stieß sie aufs Bett und versetzte ihr eine Reihe klatschender Schläge ins Gesicht. Vergeblich versuchte sie, sich mit ihren Armen zu schützen. Ich ergriff ihre Hände, drückte sie weg und schlug noch ein paar Mal kräftig zu.
»Okay«, rief sie schließlich. »Okay, ich zieh mich aus.«
Als sie kurz darauf nackt und zitternd vor mir stand, erfasste mich ein sonderbares Gefühl der Scham.
»Hinhocken«, sagte ich, und wieder schüttelte Tammy den Kopf. Ich packte sie bei den Haaren, stieß sie gegen den Schrank und zerrte sie zu Boden. Ich versetzte ihr ein paar Tritte, sie schrie auf, und wieder sagte sie: »Okay. Okay, ich mache, was du willst.«
»Zeig mir deine Fotze«, sagte ich und beobachtete, wie Tammy sich auf allen Vieren herumdrehte und mir ihren Hintern entgegenstreckte.
»Was soll das?« Meine Stimme klang rau. »Ich kann nichts erkennen. Beine spreizen.«
Tammy öffnete ihre Schenkel, und ich stand da und betrachtete sie. Betrachtete die Konturen ihres Körpers, die Narben der Schnittwunden, die sie sich selbst zugefügt hatte. Ich begann, mich auszukleiden. Von Zeit zu Zeit versuchte Tammy, ihre Haltung zu verändern, wahrscheinlich schmerzten ihre Knie oder ihr tat der Rücken weh.
»Hey!«, rief ich dann. »Halt gefälligst still.«
Irgendwann hockte ich hinter ihr. Tammys Arme zitterten.
»Hör auf zu keuchen«, sagte ich. Zuerst wimmerte Tammy leise, dann wurde es still im Zimmer.
Ich zog sie zu mir heran.
»Beine noch weiter auseinander«, sagte ich und sie gehorchte.
Ich schloss die Augen und meinte zu spüren, wie Tammy auf den großen Knall wartete. Darauf wartete, dass ich über sie herfiel, wie der Schakal, den sie in mir suchte. Sie stieß mit ihrer Vulva gegen mich, ganz leicht nur.


In der Schwimmhalle herrschte kaum Betrieb. Wir hatten eine Bahn für uns allein. Ich wartete, bis die beiden bei mir waren. Tarai atmete schwer und Sarah rieb sich die Schultern. Die getönte Schwimmbrille verbarg ihre Augen, aber ich wusste, dass sie sauer war.
»Dein Kick ist viel zu heftig«, sagte ich zu Tarai. »So kannst du nicht Delphin schwimmen. Einfach nur aus der Hüfte kicken.«
»Ja, aber wenn ich nur aus der Hüfte kicke, komme ich nicht richtig aus dem Wasser«, sagte Tarai.
»Du musst deine Arme stärker einsetzen. Lass die Schwingung durch deinen Körper gehen, der Rest kommt von allein.«
Tarai nickte.
Ich wandte mich Sarah zu: »Du hebst den Kopf viel zu hoch aus dem Wasser.«
»Ja, aber sonst krieg ich nicht genug Luft. Ich denke, ich saufe ab.«
»Ist heute ›Ja, aber‹ - Tag?«, erwiderte ich. »Kinn dicht über dem Wasser halten.«
Wir setzten unser Training fort. Delphinschwimmen brachte jeden an die Grenzen, stopfte auch den Wildesten das Maul. Ich schwamm fünfzig Meter voraus und wartete dann auf die beiden. Sarah machte auch hier eine ziemlich gute Figur, aber ich weidete mich daran zu beobachten, wie viel ihr das Training abverlangte.
Anschließend setzten wir uns in der Nähe des Schwimmbads in ein Café.
Nachdem sie für uns bestellt hatte, sagte Sarah: »Ich hab gute Neuigkeiten.«
Tarai und ich sahen sie an. Sarah blickte ernst drein, wie immer. Ich fragte mich, wie es ihr gelang, all diese Männer und Frauen zu verführen, ohne jemals zu lächeln.
»Ich bin so weit«, sagte sie schlicht, und als der Kellner kam und unsere Getränke brachte, starrten Tarai und ich sie noch immer ungläubig an. Ich wusste, dass es Sarah vor mehr als einem Jahr gelungen war, ihre Menstruation endgültig einzustellen. Etwa solange lag mein letzter Samenerguss zurück. Seit dieser Zeit vermehrte sich unsere Energie. Wir speicherten und verfeinerten, verfeinerten und akkumulierten. Es war abzusehen, dass wir früher oder später das kritische Niveau erreichen würden. Früher oder später.
»Jetzt schon?«, sagte Tarai schließlich. »Ich dachte, es würde noch mindestens ein Jahr dauern.«
Sarah nickte. Sie rührte in ihrem Kaffee und sagte: »Haltet euch ran. Ich kann nicht ewig auf euch warten.«


Tammy lächelte und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf eine Familie Blässhühner, die unweit des Stegs durch das Röhricht paddelte. Ich nickte und widmete mich wieder meinen Überlegungen. Wenn es stimmte, was Sarah sagte, wurde es auch für Tarai und mich Zeit. Sarah hatte recht, sie konnte nicht ewig warten. Es war schwierig, ein so hohes Niveau zu erreichen. Noch schwieriger war es, dieses Niveau zu halten.
Ich hustete, zog mein Taschentuch und wischte mir den Mund ab. Ich musste nicht nachschauen, ich konnte das Blut schmecken.
»Das ist ein wunderbarer Ort«, sagte Tammy leise wie zu sich selbst.
»Hm.«
Im Grunde machte ich mir keine allzu großen Sorgen. Zumindest nicht, was mich selbst betraf. Was allerdings Tarai anbelangte … Er war der Wackelkandidat unserer Gruppe.
»Hab gestern mit Julia gesprochen«, sagte Tammy. Ihr Blick war auf den ruhigen Spiegel des Sees gerichtet. Es schien, als erleuchteten seine Reflexionen ihr blasses Gesicht.
»Und? Ist sie sauer, ich meine, wegen uns beiden?«
Tammy lachte. »Nein, ganz im Gegenteil.«
Irgendetwas an dieser Antwort wurmte mich.
»Achso?«
Tammy sah mich an, strich mir über den Arm und sagte: »Ach komm, du weißt doch, dass es nicht so funktioniert hat, zwischen euch.«
In ihrem Wesen lag eine Sanftheit, die mich sprachlos machte.
Eine Weile lauschten wir dem Plätschern der Wellen.
»Hat sie das gesagt?«
Tammy schaute wieder aufs Wasser. »Yup. Hat sie.«
»Und was genau?«
Tammy schürzte die Lippen, lächelte und schwieg.
»Na, sag schon.«
»Sie meint, dass du ein unersättlicher Ficker bist und im übrigen einen schlechten Charakter hast.«
»Aha.«
»Ja.«
Tammy las einen Kiesel auf, holte aus und ließ ihn über das Wasser springen.
»Und du? Denkst du das auch?«
»Ich weiß, dass du unersättlich bist. Und dein Charakter …«
Ich wartete.
» … da bin ich noch nicht ganz sicher.«
Ich hatte schon vor Tammy Frauen mit masochistischen Neigungen kennengelernt, aber ich spürte, dass hier etwas anderes ablief. Tammy bedeutete der übliche BDSM-Firlefanz gar nichts. Sie hatte kein Interesse an ausgefeilten Rollenspielen, raffinierten Spielzeugen, Uniformen oder Lack- und Lederphantasien. Alles, was sie wollte, war rohe Gewalt. Sie behauptete, dass Sex ohne Gewalt und Schmerzen sinnlos für sie sei.
»Glaubst du, dass ich dich benutze?«, fragte ich.
Sie setzte sich zu mir und schmiegte sich an mich.
»Jeder benutzt irgendjemanden.«


Wir saßen unbekleidet in Tarais Appartement. Sarah hatte an diesem Morgen kaum etwas gesagt, irgendetwas schien sie zu beschäftigen. Mit einem Ausdruck unverhohlener Feindseligkeit beobachtete sie Tarai, der gerade Nauli Kriya demonstrierte. Ich schätzte die Pranayama-Übungen sehr, denn ich fand, dass diese Atemtechniken einen direkteren Bezug zu unserem großen Ziel aufwiesen, als das Kampftraining oder unsere Schwimmstunden.
»Okay, jetzt ihr«, sagte Tarai.
Ich atmete ein paar Mal durch, presste dann die Luft aus meinen Lungen und begann mit den Bauchmuskelkontraktionen. Mit Nauli Kriya bezweckte man eine Reinigung der Eingeweide. Die Technik wirkte aktivierend, und ich hatte nach dem Üben häufig das Gefühl, als lodere ein Feuer in meiner Bauchhöhle. Die Kontraktionen ließen den Körper schwingen, und dieses sanfte Wippen löste die Spannungen in meinem Rücken.
Sarah sog scharf die Luft ein und fauchte mich an: »Was glotzt du mir auf die Titten!« Sie sprang auf und lief im Raum umher.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich Sarahs Brüste betrachtet hatte.
Ich holte Luft. »Sorry. Ich wollte nicht …«
Sarah stand vor dem geöffneten Fenster. Sie hatte die Fäuste in die Seiten gestützt und starrte mich wütend an. Ich sah, wie die Muskeln an ihrem Hals zuckten.
»Wenn du nicht so ein verdammter Schlappschwanz wärst«, sagte sie schließlich. Sie hatte die Stimme nicht erhoben, aber in ihrem Tonfall lag etwas Drohendes. Ich war bestürzt. Ich kannte Sarahs extreme Persönlichkeit, aber dieser Jähzorn passte nicht zu ihr.
»Hey!«, rief Tarai. »Jetzt komm mal wieder runter.«
Sarahs Blick richtete sich auf Tarai. »Und du …«, hob sie an.
Tarai sprang auf und versetzte Sarah einen Schlag, der sie zu Boden warf.
»Komm zu dir!«, brüllte Tarai. Ein Schauer jagte über meinen Rücken. Tarai hatte seine Kriegerstimme benutzt, und die Gewalt dieser Stimme schmerzte wie der Hieb eines Bokken.
Benommen rappelte sich Sarah hoch. Sie sah uns an, Tränen traten in ihre Augen. Es war, als hätte ihr Tarai die Luft raus gelassen.
»Tut mir leid«, stammelte sie. »Ich …«
Mit unsicheren Schritten verließ sie das Zimmer.


Tammy wartete vor dem Krankenhaus auf mich. Ich trat zu ihr, und sie küsste mich zur Begrüßung. Wir gingen ein paar Schritte.
»Und? Was sagt der Doc?«
Ich hörte sie kaum.
»Nik?«
»Hm?«
»Was hat er gesagt?«
Ich schluckte. »Er sagte, ich wäre der fitteste Todgeweihte, den er kennt.«
Tammy schnaubte. »Ich find’s Scheiße, wenn du so redest.«
Ich blieb stehen und sah sie an. »Entschuldige, bin nur ein bisschen geschockt. Die Werte haben sich verschlechtert.«
Tammy nickte, und wir gingen weiter.
»Wie viel Zeit hast du noch?«
»Nicht viel«, erwiderte ich.


Im Absynth hämmerten die Bässe aus den Boxen.
»Ich dachte, das wär ne Bar«, rief ich über den Tisch.
»Ist doch eine«, rief Sarah zurück.
Tarai kippte seinen Wodka hinter, erhob sich und sagte: »Ich hol Nachschub.«
Sarah rückte zu mir heran. »Wir sollten uns unterhalten«, sagte sie.
»Schieß los.«
Sie räusperte sich. »Also ich hab ein bisschen nachgedacht.«
Vorn am Tresen redete Tarai auf den Barkeeper ein.
»Ihr beide müsst etwas aufs Gas treten«, sagte Sarah.
Ich hob mein Glas. »Das hatten wir doch schon.«
Ich trank. Der Wodka brannte sich seinen Weg durch meine Eingeweide.
»Ja, aber jetzt habe ich eine konkrete Idee. Zumindest, was Tarai betrifft.«
»Nämlich?«
Zu meiner Überraschung zog Sarah ein Päckchen blauer Gauloises aus ihrer Jackentasche. Sie schüttelte eine Zigarette heraus, entzündete sie an dem Teelicht, das auf dem Tisch stand und rauchte. Ich hatte Sarah nie zuvor rauchen sehen.
»Wenn wir ficken, versuche ich wirklich alles, um ihm zu helfen«, sagte sie. »Aber er hat Schwierigkeiten, sich zu kontrollieren. Ich will es mit der Yin Mo-Technik probieren.«
Ich sah sie an.
Sarah hob die Hände. »Ich weiß, ich weiß«, sagte sie. »Bei uns lief es nicht besonders gut, aber das war nicht dein Fehler, es lag an mir.«
»Du hättest mich fast umgebracht«, sagte ich.
Sarah begann, an ihren Fingernägeln zu kauen. Sie inhalierte hektisch, blies Rauch in den Raum und starrte in Tarais Richtung, als fixierte sie einen Feind.
Ein Typ mit tätowierten Unterarmen und Boxerstatur trat an unseren Tisch.
»Rauchen ist hier verboten.«
Sarah sah mich an, und zum ersten Mal begriff ich, was das Training aus uns gemacht hatte. Ein eiskalter Hauch strich über meinen Nacken.
»Du musst es Tarai sagen, Nikolai. Auf dich hört er.«
Der Boxertyp stützte sich auf unseren Tisch.
»Hör zu, Nutte. Ich sagte …«
Mit einem Krachen schlug sein Schädel gegen die Tischkante. Sarah ließ ihn los und schlug noch einmal zu. Sie fletschte tatsächlich die Zähne.
Um uns her wichen die Leute entsetzt zurück.
Mit irrem Blick starrte Sarah mich an. »Du musst es ihm sagen. Krieg ihn auf die Reihe! Krieg ihn auf die Reihe!« Sie fuhr herum und stampfte davon.
Als sich etwas später die Aufregung gelegt hatte, und Tarai schon ziemlich betrunken war, sagte ich zu ihm: »Du wolltest doch wissen, was schiefgelaufen ist, zwischen Sarah und mir.«
»Ja«, sagte er. »Keine Ahnung, weshalb du so ein Geheimnis draus machst.«
Und dann erzählte ich es ihm. Ich erzählte, wie Sarah versucht hatte, mir einen massiven Energieschub zu geben, indem sie die Yin Mo-Technik anwandte.
»Sie brachte mich kurz vor den Höhepunkt«, sagte ich, »und dann presste sie diesen Dammpunkt, der bewirkt, dass der Samen nicht nach außen, sondern nach innen schießt.«
»Hab von der Technik gehört«, sagte Tarai. Schlagartig wirkte er nüchtern. »Würde ich nie machen.«
Ich nickte.
»Und wie war es?«, fragte Tarai.
Ich überlegte. »Es war … intensiv.«
Ich erinnerte mich an das Gefühl, als würde etwas meine Eingeweide zerfetzen. Ich dachte daran, wie ich mich übergeben musste und kaum das konvulsivische Beben in meinen Därmen beherrschen konnte.
»Um ein Haar hätte ich in Sarahs Laken geschissen«, sagte ich. »Wir haben es einfach zu früh versucht. Ich war noch nicht bereit, aber jetzt …«
Tarai sah mich an. »Was jetzt? Worauf willst du hinaus?«
Ich presste die Lippen zusammen.
Tarai stieß mich an. »Willst du etwa, dass ich ihr das erlaube?«
Ich zuckte die Schultern. »Uns gehen langsam die Optionen aus, Tarai.«


Wir saßen auf dem Sofa und schauten fern. Tammy hatte sich an mich geschmiegt und kommentierte hin und wieder mit einem Seufzen oder einem leisen »Tss …« den Film, der vor meinen Augen flimmerte, ohne dass ich so recht begriff, wovon er handelte. Ich konnte nicht aufhören, über dieses Problem nachzudenken. Selbst wenn sich Tarai dazu entschließen würde, Sarah die Yin Mo-Pressur zu erlauben, gab es keine Garantie dafür, dass ihn dies aus seinem energetischen Tief herausholte. Und sollte das wider Erwarten doch gelingen, was wurde dann aus mir? Ich hatte das kritische Niveau ebenfalls noch nicht erreicht, doch zwei Personen genügten nicht, um die Barriere zu öffnen. Es mussten drei sein. Aus diesem Grunde trainierte man in unserer Schule seit Jahrhunderten stets zu dritt.
Tammys sanfte Stimme riss mich aus meinen Grübeleien. »Diese Freunde, von denen du erzählt hast«, sagte sie.
»Hm?«
»Sind sie auch todkrank?« Meine Gedanken überschlugen sich. Was hatte ich ihr von Tarai und Sarah erzählt? Doch nur, dass wir ein gemeinsames Fitnessprogramm absolvierten. Oder hatte ich mich verplappert?
Tammy griff zur Fernbedienung und stoppte den Film. Sie wandte sich mir zu und sah mich an. Aus ihren grünlich schimmernden Augen sprach etwas zu mir, es war, als wandte sich mir - zum ersten Mal in meinem Leben - ein Mensch ganz und gar zu. Ganz und gar offen, ohne jeglichen Vorbehalt. Das war natürlich Unsinn, aber vielleicht hatten mich die letzten Wochen weich gemacht. In diesem Moment hielt ich Tammy für die Verkörperung reiner Güte, und voller Scham dachte ich daran, welche Qualen ich ihr regelmäßig zufügte.
»Stimmt«, sagte ich, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. »Tarai leidet unter einer schweren Autoimmunkrankheit, und Sarah hat einen inoperablen Gehirntumor.« Und dann brach es aus mir heraus. Ich erzählte von unserem Lehrer, der die Welt bereits verlassen hatte, von unseren Erfolgen beim Ansammeln, Speichern und Verfeinern sexueller Energie, von der Möglichkeit dem sicheren Tod zu entgehen. Ich redete und redete. Tammy unterbrach mich nicht. Sie hörte mir aufmerksam zu. Irgendwann verließ mich die Kraft. Ich schwieg, und einer Weile schauten wir stumm auf das Standbild des Films im Fernseher.
»Merkwürdig«, sagte Tammy. »All die Mühe, nur um den Tod aufzuhalten.«
»Was meinst du?«
Sie antwortete nicht. Ich sah, dass sie über etwas nachdachte.
»Es steigert deine Erregung, wenn du mich beim Sex schlägst, nicht wahr?« In ihrer Frage lag kein Vorwurf, und die Antwort lag auf der Hand.
Ich presste die Lippen zusammen.
»Und je mehr Erregung, desto mehr Energie«, sagte sie wie zu sich selbst.
In diesem Augenblick konnte ich ihre Gedanken lesen.
»Nein«, sagte ich mit heiserer Stimme. »Ich will nichts davon hören.«
»Du hast mich gefragt«, sagte Tammy leise, »ob ich glaube, dass du mich benutzt.«
»Ja«, sagte ich. Mein Mund war trocken und ich spürte, dass mir übel wurde.
»Hast du mal darüber nachgedacht, ob es nicht auch umgekehrt sein könnte?«


Sarah und Tarai blickten mich ernst an. Wir saßen in einem Café unweit meiner Wohnung. Hier war noch nicht viel los, die Nachmittagsschicht hatte gerade begonnen.
Sarah sprach zuerst. »Es könnte funktionieren«, sagte sie. »Einen Menschen zu töten, das löst eine Schockwelle aus, die durch dein ganzes System geht.«
In diesem Moment hasste ich sie. Ich öffnete den Mund, doch Tarai kam mir zuvor. »Das ist reine Spekulation«, sagte er. »So eine Schockwelle könnte ihn auch lähmen. Seit wann gehört Mord zu unseren Methoden?«
Sarah rührte in ihrem Kaffee. »Es wäre kein Mord, wenn sie es will.«
»Unsinn«, sagte ich. »Tötung auf Verlangen ist Mord, besonders wenn da eine psychische Störung im Spiel ist.«
Sarah sah mich böse über ihre Tasse hinweg an. »Und diese angebliche psychische Störung hielt dich nicht davon ab, ihr beim Ficken die Fresse zu polieren.«
Ich spürte, wie ich vor Wut zitterte. »Das ist doch wohl ein Unterschied«, presste ich hervor.
»Leute, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren«, sagte Tarai. »Konzentrieren wir uns auf unsere Übungen, dann werden wir …«
Sarah schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Ich sah, wie viel Mühe es sie kostete, sich zu beherrschen.
»Reißt euch zusammen«, sagte sie mit bebender Stimme. »Hier gelten die normalen Regeln nicht. Wenn ihr nach den Regeln spielen wollt, dann hättet ihr bei Chemotherapie und Heilfasten bleiben sollen. Wir sind für einander verantwortlich. Eure ethischen Reflexionen kann ich mir nicht leisten.«


Es dauerte ein paar Tage, bis ich Tammy vermisste. Ich hatte ihr meine Entscheidung mitgeteilt, dass ich auf keinen Fall tun konnte, was sie mir vorschlug, und dann war ich mit meinen Trainings, vor allem aber mit meinen Grübeleien beschäftigt. Irgendwann rief ich sie an, und nachdem ich sie mit mehreren Versuchen nicht erreicht hatte, wählte ich die Nummer von Julia.
»Hast du es nicht gehört?«, sagte sie. »Tammy hat versucht, sich umzubringen.«
»Wie?«, fragte ich fassungslos.
»Tabletten.«
Ich parkte vor dem Krankenhaus, als Tammy entlassen wurde. Sie stieg zu mir in den Wagen und sagte mit ruhiger Stimme: »Ich werde nicht warten, bis du stirbst.«


Im Westen der Stadt stand die Sonne glutrot über schwarzen Häuserschluchten. Wir hockten auf dem Flachdach des Wohnblocks, in dem Tarai und Sarah lebten. Schon als Tarai mir an diesem Abend zu Begrüßung die Hand gegeben hatte, war mir eine Veränderung an ihm aufgefallen. Und auch mit Sarah war etwas geschehen.
»Okay«, sagte ich. »Ihr wolltet mich sehen. Hier bin ich.«
»Ja«, sagte Sarah. Sie wirkte eindeutig befangen. »Wir möchten dir etwas zeigen.«
Ich blickte von einem zum anderen. »Was ist los mit euch?«
Tarai hob die Hand. Die Geste hatte etwas Zwingendes. »Schau einfach zu«, sagte er. Seine Stimme klang tiefer als sonst. Aus ihr sprach eine Festigkeit, die ich von Tarai nicht kannte.
Die beiden fassten sich bei den Händen, und augenblicklich spürte ich einen Reißen in der Brust. Es war, als lastete ein Gewicht auf mir.
Ich schloss die Augen und hörte ein Knacken, tief im Inneren meines Körpers. Und dann sah ich den Riss. Es war ein Spalt, eine sich öffnende Kluft. In ihr loderte ein lautloser Brand. Ich spürte seine Hitze, sie schlug mir entgegen, versengte mich, schälte mir die Haut vom Fleisch …
Ich kam zu mir und mein Blick fiel auf Sarah, die über mir kauerte und meine Brust rieb.
»Alles okay, Nik«, sagte sie. »Ich helfe dir hoch.«
Einige Minuten später hatte ich mich erholt.
Sarah und Tarai hockten vor mir und sahen mich an. Sie wirkten sehr ruhig. In ihren Gesichtern lag ein Ausdruck, der mir fremd war.
»Die Barriere«, sagte ich. »Ihr hättet sie beinahe geöffnet.«
Tarai nickte. »Ja. Wir sind bereit. Es liegt jetzt nur noch an dir.«


Tammy küsste mich. Ich schmeckte ihre Lippen, roch den Duft ihres Körpers. Ich wollte etwas sagen, doch ich brachte nichts heraus. Tammy verstand, was in mir vorging.
»Schon gut«, sagte sie und schaute mich an. »Zeit, Abschied zu nehmen.«
»Ja«, sagte ich tonlos.


Als ich in dieser Nacht die Tür meiner Wohnung hinter mir ins Schloss zog, war es vollkommen still. Ich hörte nicht den Klang meiner Schritte im Treppenflur. Nicht das Schlagen der Haustür. Ich trat auf die Straße und sog die kühle Nachtluft ein. Ich ging, ohne mich umzudrehen. Ich wusste, dass ich nicht zurückkehren würde.

 

Hallo Perdita, vielen Dank, dass Du Dich noch mal mit dem Text auseinandergesetzt hast und gute Besserung für Deine verstopften Nebenhöhlen! Ich entnehme Deinen Hinweisen folgende wichtige Gedanken: In dieser Geschichte reichen Dir die Charakterisierungen der Figuren nicht aus, Du verstehst nicht deren Motive und Du magst die Art nicht, wie dort Sex dargestellt wird. Das kann ich alles so akzeptieren. In wie weit das subjektivistische Einschätzungen sind, ließe sich erst bei einer tiefer gehenden Analyse feststellen.

Beispielsweise: Was wäre für Dich eine angemessene Darstellung von kaltem, rücksichtlosen Sex, den die Hauptfigur hier beispielsweise im ersten Abschnitt praktiziert? Für meine Begriffe ist die mechanistische Darstellung in ihrer Form genau das, was sie vom Inhalt eben sein will. Denn es geht nicht darum, was ein Leser gern liest. Es geht darum, ob ein Text von der Form her das sagt, was er inhaltlich ausdrücken will.

In Spannungsgeschichten geht es weit seltener um erschöpfende Charakterisierungen der Figuren als in Dramen oder in Liebesgeschichten. Prominentestes Beispiel ist wohl James Bond, der im Grunde sogar völlig charakterlos ist. Kein Mensch könnte sagen, wie der psychisch eigentlich tickt. Dennoch versuche ich meinen Figuren Eigenheiten, Gefühle, Vorlieben, Stimmungen zu geben. Dir gehen die nicht weit genug, das sehe ich ein.

Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Hinweise.

Gruß Achillus

 

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