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Völkerverständigung
Mein letzter Kaufhausbesuch war ja mehr als nur glimpflich ausgegangen. Trotz der demütigenden Vorstellung, die der Detektiv bei meinem letzen Besuch geboten hatte, ging ich erneut dorthin, in der Hoffnung, nicht wieder einem Missverständnis zu unterliegen.
Meinen deutschen Pass hatte ich selbstverständlich sicher in der Innentasche meiner Jacke verstaut, für alle Fälle.
Ich betrat also das Kaufhaus und kämpfte mich durch die wütenden Menschenmassen hindurch, die dem Schlussverkauf ein Schnippchen schlagen wollten. Da ich kein spezielles Einkaufsziel im Auge hatte, schritt ich gemächlich durch die verschiedenen Abteilungen voran – denn zügig konnte ich mich sowieso nicht fortbewegen. Die Kundschaft benahm sich dank des Schlussverkaufs nicht sehr zurückhaltend.
Kunden unterschiedlichster Nationalitäten bückten sich über die Verkaufstresen und schubsten sich gegenseitig beiseite. Viele drängten sich vor und versuchten, sich die letzten preiswerten Waren zuzueignen. Dabei bot sich mir ein Schauspiel sondergleichen. Eine Dame mit Kopftuch versuchte einer anderen Dame mit plüschiger Kopfbedeckung Socken aus der Hand zu reißen, die von einer anderen Dame mit Kopftuch, einer schwäbischen Bäuerin, abgefangen wurden. Eine andere Dame mit Pelzmantel und einem Pudel im Arm schüttelte bestürzt den Kopf und schenkte diesem unzivilisierten Verhalten keine weitere Beachtung.
Auch ich ließ meine Blicke von diesem Zwischenfall ab und setzte meinen Bummel fort.
Fast in jeder Abteilung machte ich Halt und begutachtete die Verpackungen der einzelnen Waren genauer.
Der kundenfreundliche Service der Hersteller war nicht zu übersehen. Hinweise zur Anwendung und rückführende Informationen zur Herstellung des Produkts waren in einem Dutzend Sprachen vorzufinden. Respekt und Ehrfurcht vor solch nobler Geste war mehr als nur angebracht gewesen. Allerdings schien den Herstellern dabei ein kleiner Schönheitsfehler unterlaufen zu sein: Bürger all dieser auf der Verpackung beschriebenen Nationen hielten sich doch gar nicht hier im Lande auf. Sogar unter Bezugnahme der Exportländer wären einige Sprachen unnötig gewesen. Wieso also all diese Umstände mit der Übersetzung?
Aber natürlich, die Europäische Union. Alle, die hier vertreten waren, waren Amtssprachen der EU. Klar, europäischer Binnenmarkt erfordert selbstverständlich das allgemeine Sprachverständnis und die mittelbare Völkerverständigung.
Etwas passte aber trotzdem nicht ins Gesamtbild.
Das zugehörige Land einer dieser zwei Hieroglyphensprachen war kein EU-Mitglied, geschweige denn ein Exportland.
Doch die Menschen dieser Nation kamen mit der Wende und wurden als Bürger dieses Landes eingestuft und auch mehr oder weniger als solche akzeptiert. Eigene Bürger des eigenen Landes und trotzdem eine differenzierte Sprache, die nicht einmal Teil der eigenen Amtssprache war? Warum also eine ethnisch - sprachliche Differenzierung herbeiführen?
Wir waren schon seit Generationen hier und ich habe bislang keine einzige Verpackung gesehen, die das Produkt zum besseren Verständnis in unserer Muttersprache feilbot. Nachdenklich legte ich die Ware an ihren Platz zurück und bewegte mich weiter.
Auf der Rolltreppe blieb mein Blick an der Tafel neben dem Geländer haften: MALLARIMIZDA HIRSIZLIĞA KARŞI ELEKTRONiK EMNiYET TAKILIDIR! – UNSERE WAREN SIND ELEKTRONISCH GEGEN DIEBSTAHL GESICHERT! Stolz war die zugehörige Landesflagge über dieser Information platziert. Na ja, somit wurde meine These immerhin widerlegt, man denke gar nicht an uns; vielleicht waren wir ja doch nicht so fremd, wie es den Anschein erweckte?
An den Kassen hatten sich lange Schlangen gebildet und so fiel es mir schwer, mich da hinaus zu quengeln. Nach einigen freundlichen und andererseits minder freundlichen Kunden, die mir Durchlass gewährten, schlich ich mich mit erhobenen Armen durch die Kasse und entgegnete dem mich misstrauisch musternden Blick der Kassiererin mit einem müden Lächeln.
Anbei schienen einer Kundin die Tücken dieser Konsumvielfalt und sozial freien Marktwirtschaft wahrhaftig an den Leib gerückt zu sein, dass sie mit einem mir fast unverständlich klingenden Akzent und einer animalischen Aussprache die Warteschlange verfluchte, alsbald eine minder laute Stimme aus den hinteren Reihen ertönte: „Was du wollen? Wir dich nicht haben gerufen!“ Die Dame mit Kopftuch und den ellenlangen Armreifen aus Gold schüttelte aufgeregt den Kopf.
Die Frage nach der Erfordernis, was Integration und Akzeptanz betraf, war damit für mich mehr oder weniger geklärt worden.
Schmunzelnd verließ ich das Kaufhaus und kehrte in die Würstchenbude ein, die unmittelbar daneben stand.