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Touristen, Buddha und ich
Touristen, Buddha und ich (Plus editierte Version)
Touristen, Buddha und ich.
Es war an einem sonnigen Julinachmittag, als Armin und ich beschlossen unsere knappen Kassen mal wieder durch Straßenmusik aufzubessern.
Wir luden unsere Gitarren in seine Ente und knatterten mit offenem Rollmopsdach Richtung Heidelberg.
Wir parkten jenseits des Flusses und schlenderten gemächlich über die Alte Brücke in Richtung Altstadt, jeden Sonnenstrahl genießend. Wir genossen jeden Augenblick des Sommerlichen Panoramas.
Wir bewunderten die Schönheit der in der Wärme vor sich hinbrütenden Altstadt, welche sich geduckt um ein paar Sandsteinerne Kirchen scharte. Dieselbe am fuße des großen Berges liegend, an dessen unterem Drittel sich ein gewaltiges in warmem Rot leuchtendes Schloss schmiegte.
Klitzekleine bunte Punkte durchwuselten die Balkone und Terrassen des fernen Schlosses.
Touristen.
Auch auf der Brücke ein unglaublich dichtes Treiben.
Japaner, Koreaner, Chinesen, Franzosen, Holländer, Amerikaner, Deutsche, ein buntes Gemenge stets das selbe fotografierender Menschen.
Es sah auf den ersten Blick vielversprechend aus, für unser Vorhaben.
Dort, wo die Alte Brücke in ihrer Verlängerung auf die Steingasse trifft, kurz hinter den rot-weiß gestreiften Tortürmen mündet jene Gasse in einen kleinen Platz welcher die Heiliggeistkirche Flussseitig flankiert.
Genau dort befindet sich ein Seiteneingang jener Kirche mit einer ausladenden Treppe.
Dies war unser Stammplatz.
Die Restaurantbesitzer winkten uns freundlich zu, denn sie wussten, dass sich ihre Außenplätze nun rasch mit Gästen füllen würden, wenn wir zu spielen begannen.
Jeder bekam noch einen Radler „aufs Haus“ um die Stimmbänder zu ölen, und dann legten wir los.
Wir begannen mit einem „Starken Stück“, das heißt, einem kraftvollen, schnellen Lied, welches die Leute schon von weitem anlockte und zum stehen bleiben animierte.
Dann gingen wir ohne eine Pause zu machen in ein altes, aber genau so Kraftvolles Lied aus dem 17. Jahrhundert über, um die Leute nicht gleich wieder zu verlieren.
Ein Rudel Japaner kam vorbei, wild fotografierend, lächelnd, kompakt, zwei Minuten, dann drängelte der Führer weiter in Richtung Hotel Ritter.
Die Armen, sie hatten so wenig Zeit.
Alles straff organisiert, drei deutsche Städte an einem Tag.
Kein Wunder also, dass sie immer nur am fotografieren waren, sie hatten wohl erst zuhause in Japan die Zeit sich alles was sie in „good old Europe“ durchs Okular eingefangen hatten in Ruhe zu betrachten.
Gehetzt wirkend, selbst im Urlaub.
Rädchen einer großen Maschine, niemals alleine, stets höflich zurückhaltend, zufrieden innerhalb ihrer Gemeinschaft, aber immerhin von ihren Firmen zu dieser Reise eingeladen.
Ganz anders die Amerikaner.
Raumgreifend, als hätten sie das alles selbst gebaut, so als gehöre dies alles ihnen. Laut, lustig, teure Kameras mit Riesenobjektiven vorm Bauch, und doch mit kindlichem Staunen auf ihren durch Strohhüte und Baseballcaps beschirmten Gesichtern. Gute Esser und noch bessere Trinker.
Amis sind beliebt, denn sie geben ihr Geld auch aus.
Die Holländer sitzen uns zu Füßen auf der Treppe, Rucksack mit Thermosflasche und Butterbrot... kein gutes Geschäft für Gastronomen.
Für uns selbst nach einer Stunde nur Pfennige... na ja.
Die Franzosen erkennst du fast nicht. Sie sind eher zurückhaltend, aber du erkennst sie am Essen, welches sie bestellen, wie sie essen, vor allem wie lange und was sie dazu trinken. Sie sind meistens sehr wählerisch aber auch immer ganz ihrem Genuss zugewandt.
Auch sie sind als Gäste gerne gesehen. Sie sparen nicht, weder am Essen, noch am Trinkgeld.
Chinesen sind ganz anders.
Sie kommen eher vereinzelt, sind undurchdringlich höflich, gute Zahler, immer interessiert aber stets distanziert.
Wir haben unseren ersten Set beendet und gehen das erste Mal mit dem Hut herum.
Die Holländer verschwinden.
Fürs erste etwa 60 Mark, im Gitarrenkasten liegt auch schon was.
Wir sortieren Geld aus, damit es so aussieht, wir hätten noch nichts eingenommen.
Getränkerunde Nummer zwei, diesmal was "richtiges“: jeder ein Pils.
Es zischt geradezu auf unseren trockenen Gaumen.
Singen macht durstig.
Es ist wunderbar, so exponiert zu stehen und angegafft zu werden.
Ich komme mir immer ein bisschen vor, wie im Zoo.
Dort habe ich auch immer das Gefühl, dass nicht ich mir die Tiere anschaue, sondern die Tiere mich.
Du bist da so herrlich sicher, hinter Deiner Gitarre verschanzt, fast unangreifbar, außer durch erboste Anwohner, oder Ordnungskräfte der Stadt, die aber hier nichts zu sagen haben, da wir uns auf Kirchengrund befinden.
Es hat etwas von Macht, die du ausübst über die Menschen deren Emotionen... und – deren Geldbeutel.
Wir haben gerade das zweite Set gestartet mit „Ordinary man“ als eine kleine Gruppe Asiaten von rechts in unser Blickfeld gerät und stehen bleibt.
Unüblich für Asiaten, denn diese hier hören zu, ohne zu fotografieren.
Einer von ihnen ist in leuchtendes Orangerot gewandet, die anderen eher in unauffälligeren Farben, teilweise auch in Anzüge.
Der orange Mann lächelt uns entschuldigend zu, als er am Gewand gezupft und weiter in Richtung der alten Brücke bugsiert wird.
Wir singen gerade „the Town I loved so well“ von Christie Moore, als die Gruppe mit dem orangen Mann wieder auf uns zukommt.
Der orange Mann hält etwas in der hocherhobenen rechten Hand und geht mit einem breiten Lächeln zielstrebig auf uns zu.
Er legt die Münze nicht etwa in den dafür bereitstehenden, offenen Gitarrenkasten, der mit dem Schild „Vielen Dank, schönen Tag noch“ versehen ist, sondern erklimmt die Stufen zu uns hinauf.
Armin muss sein Spiel unterbrechen um das Fünfmarkstück in Empfang zu nehmen.
Der orange Mann geht die Treppe rückwärts wieder hinunter, legt die Hände auf Brusthöhe mit den Innenflächen aneinander, hebt sie dann an seine Stirne, senkt sie wieder auf Brusthöhe und schenkt uns ein so sonniges, herzliches Lächeln, dass uns beiden ganz warm ums Herz wird.
Noch ehe wir richtig begreifen, was da eben geschehen ist, sind der orange Mann und seine Begleiter verschwunden.
Wir spielen noch zwei Lieder, dann ist unsere Kraft verbraucht.
Wir sind beide sehr schweigsam als wir noch ein Bier trinken und das Geschehene Revue passieren lassen.
Tage später sehe ich das Gesicht des orangen Mannes im Fernsehen.
„Dalai Lama“ inkognito auf Deutschlandreise“ heißt es da.
Als ich Armin anrufe glaubt er mir kein Wort.
Dankbar bin ich für solche Momente in meinem Leben... ich trage sie in mir und sie tragen mich.
Überarbeitete Version !
Touristen, Buddha und ich.
Es war an einem sonnigen Julinachmittag, als Armin und ich beschlossen, unsere knappen Kassen mal wieder durch Straßenmusik aufzubessern.
Wir luden unsere Gitarren in seine Ente und knatterten mit offenem Rollmopsdach Richtung Heidelberg, parkten jenseits des Flusses und schlenderten gemächlich über die Alte Brücke in Richtung Altstadt, jeden Augenblick des Sommerlichen Panoramas genießend.
Wie schon so oft zuvor bewunderten wir die Schönheit der Warm und träge vor sich hinbrütenden Altstadt, welche sich unterhalb des malerischen Schlosses an den Berg schmiegte.
Klitzekleine bunte Punkte durchwuselten die Balkone und Terrassen des in der warmen Nachmittagssonne herüberleuchtenden Schlosses. Touristen. Auch auf der Brücke ein unglaublich dichtes Treiben.
Japaner, Koreaner, Chinesen, Franzosen, Holländer, Amerikaner, Deutsche, es war ein buntes Gemenge stets das selbe Motiv fotografierender Menschen.
Es sah auf den ersten Blick vielversprechend aus, für unser Vorhaben.
Dort, wo die Alte Brücke in ihrer Verlängerung auf die Steingasse trifft, kurz hinter den rot-weiß gestreiften Tortürmen mündet jene Gasse in einen kleinen Platz welcher die Heiliggeistkirche flussseitig flankiert.
Genau dort befindet sich ein Seiteneingang jener Kirche mit einer ausladenden Treppe und eben jene Treppe war unser Stammplatz. Die Restaurantbesitzer winkten uns freundlich zu, denn sie wussten, dass sich ihre Außenplätze, sobald wir spielten, nun rasch mit Gästen zu füllen würden. Jeder bekam noch einen Radler „aufs Haus“ um die Stimmbänder zu ölen, und dann legten wir los.
Wir begannen mit einem „Starken Stück“, das heißt, einem kraftvollen, schnellen Lied, welches die Leute schon von weitem anlockte und zum stehen bleiben animierte. “Ye Jacobite By Name, Lent An Ear, Lent An Ear...“
Den Takt mitstampfend, zufrieden die sich sammelnde Menge betrachtend, so sangen wir uns warm und grinsten uns immer wieder fast verschwörerisch dabei an.
Dann gingen wir ohne eine Pause zu machen in ein altes, aber genau so Kraftvolles Lied aus Irland über, um die Leute nicht gleich wieder zu verlieren.
Eine Reisegruppe Japaner kam vorbei, wild fotografierend, lächelnd und kompakt in ihrer Masse. Zwei Minuten blieben sie vor uns stehen, dann drängelte der Führer seine „Herde“ weiter in Richtung Hotel Ritter.
Die Armen, sie hatten so wenig Zeit. Alles war straff organisiert, drei deutsche Städte an einem Tag.
Kein Wunder also, dass sie immer nur am fotografieren waren, sie hatten wohl erst zu Hause in Japan ausreichend Zeit, alles, was sie in „Old Europe“ durchs Okular eingefangen hatten, in Ruhe zu betrachten, um ihren Angehörigen zeigen zu können, was sie alles gesehen hatten.
Sie wirkten irgendwie gehetzt, wenn auch fröhlich, selbst hier im Urlaub. Japaner machen auf uns meistens den Eindruck von Rädchen einer großen Maschine. Sie erschienen niemals alleine, waren stets höflich zurückhaltend, schienen zufrieden innerhalb der Geborgenheit ihrer Gemeinschaft und wurden wohl immerhin von ihren Firmen zu dieser Reise eingeladen.
Ganz anders die Amerikaner.
Raumgreifend treten sie auf, fast so, als hätten sie das alles selbst gebaut, als gehöre dies alles ihnen, nur weil sie Heidelberg im zweiten Weltkrieg nicht mit ihren Bombern zerstört hatten. Laut, jovial und lustig kamen sie daher, teure Kameras mit Riesenobjektiven vorm Bauch und mit durch Strohhüte und Baseballkappen beschirmten Gesichtern. Amis sind beliebt hier, denn sie sind gute Esser und noch bessere Trinker.
Amis sind einfach klasse. Man kann sich prima mit ihnen unterhalten und sie geben ihr Geld gerne aus.
Ein paar Holländer setzten sich uns zu Füßen auf die Treppe, Rucksack mit Thermosflasche und Butterbrot, damit kein gutes Geschäft für Gastronomen, denn man sagt ja Boshafterweise über sie, die Abkürzung NL bedeute „Niente Lira“. Es muss wohl was wahres dran sein, denn sie gaben uns nach fast einer Stunde Musik nur ein paar Pfennige. Na ja, immerhin etwas.
Die Franzosen erkennt man fast nicht. Sie sind eher zurückhaltend, aber du erkennst sie am Essen. Daran, was sie bestellen, wie sie essen, vor allem wie lange und was sie dazu trinken. Sie sind meistens sehr wählerisch aber auch immer ganz ihrem Genuss zugewandt. Auch sie sind als Gäste gerne gesehen. Sie sparen nicht, weder am Essen, noch am Trinkgeld. Chinesen sind ganz anders.
Sie kommen meistens eher vereinzelt, sind undurchdringlich höflich, gute Zahler, immer interessiert, aber stets distanziert.
Wir haben unser erstes Set beendet und gehen das erste Mal mit dem Hut herum.
Die Holländer verschwinden augenblicklich.
Fürs erste sammelten sich etwa 60 Mark im Hut und im Gitarrenkasten lag auch schon was.
Wir sortierten Geld aus, damit es so aussah, als hätten wir noch nichts eingenommen. Getränkerunde Nummer zwei war fällig, diesmal was "richtiges“: jeder ein Pils. Es zischte geradezu auf unseren trockenen Gaumen. Singen macht durstig.
Es ist wunderbar, so exponiert zu stehen und angegafft zu werden.
Ich komme mir, wenn ich Straßenmusik mache, immer ein bisschen vor wie im Zoo.
Dort habe ich auch immer das Gefühl, dass nicht ich mir die Tiere anschaue, sondern die Tiere mich.
Als Straßenmusiker bist du da so herrlich sicher hinter deiner Gitarre verschanzt, fast unangreifbar, außer durch erboste Anwohner, oder Ordnungskräfte der Stadt, die aber hier nichts zu sagen haben, da wir uns auf Kirchengrund befinden. Genialerweise kam die Stadt nämlich vor ein paar Jahren auf den Gedanken, sogenannte „Bardenplätze“ einzuführen, auf denen man aber nur maximal eine Dreiviertelstunde spielen darf.
Diese Plätze sind aber meistens von der „Peruanermafia“, so heißen hier die meist acht - bis zehnköpfigen Folklorebands, oder von Arbeitslosen Russischen Konservatoriumsmusikern belegt... wir gönnen es ihnen von Herzen, aber sie sind eine gnadenlose Konkurrenz für uns und wir Einheimischen wollen ja auch leben...
Es hat etwas von Macht, die man als Musiker ausüben kann über die Menschen, deren Emotionen und deren Geldbeutel, kurzum, es befriedigt einen zutiefst.
Wir hatten gerade das zweite Set gestartet mit „Ordinary Man“, einem Irischen Lied, welches von Arbeitslosigkeit handelt und auch eher zu den schnellen, aufrüttelnden Liedern zählt, als eine kleine Gruppe Asiaten von rechts in unser Blickfeld geriet und vor uns stehen blieb. Sie verhielten sich unüblich für Asiaten, denn diese hier hörten zu, ohne zu fotografieren.
Einer von ihnen war in leuchtendes Orangerot gewandet, die anderen trugen Gewänder in unauffälligeren, eher gedeckten Gelbtönen und einige von ihnen hatten Anzüge europäischen Zuschnitts an.
Der „Orange Mann“ lächelte uns fast entschuldigend zu, als er von einem der Anzugträger am Gewand gezupft und weiter in Richtung der alten Brücke bugsiert wurde. Etwa eine halbe Stunde später, wir sangen gerade „The Town I Loved So Well“ von Christie Moore, kam die Gruppe mit dem Orange gekleideten Mann wieder zu uns zurück. Er hielt etwas Silberblitzendes in der hocherhobenen rechten Hand und ging mit einem breiten Lächeln zielstrebig auf uns zu. Erstaunlicherweise legte er die Münze nicht etwa in den dafür bereitstehenden, offenen Gitarrenkasten, der mit dem Schild „Vielen Dank, schönen Tag noch“ versehen war, sondern begann die Stufen zu uns hinaufzusteigen.
Armin musste sein Spiel unterbrechen, um das Fünfmarkstück persönlich in Empfang zu nehmen.
Dann ging er langsam die Treppe rückwärts wieder hinunter, legte dabei die Hände auf Brusthöhe mit den Innenflächen aneinander, hob sie kurz an seine Stirne, senkte sie wieder auf Brusthöhe und schenkte uns ein so sonniges, herzliches Lächeln, dass uns beiden ganz warm ums Herz wurde.
Noch ehe wir richtig begriffen, was da gerade geschah, waren der „Orange Mann“ und seine Begleiter wieder in Richtung Rathaus verschwunden. Wir sahen uns etwas aus der Fassung gebracht an. Es war als hätte uns ein gewaltiger Flügel tief in unserem Inneren gestreift. So etwas hatten wir beide noch niemals zuvor erlebt.
Nachdem wir noch zwei Lieder gespielt hatten, war unsere Kraft verbraucht.
Wir waren recht schweigsam als wir noch ein Bier tranken um das Geschehene Revue passieren zu lassen und rätselten beide über die Identität des „Orangen Mannes“, da er mir irgendwie bekannt zu sein schien, aber wir kamen zu keinerlei greifbarem Ergebnis.
Tage später sah ich das Gesicht des Mannes in Orange im Fernsehen, in der Sendung „Leute heute“.
„Dalai Lama inkognito auf Deutschlandreise“ hieß es da.
Als ich Armin anrief, glaubte er mir kein Wort.
Die besagten fünf Mark (wie auch das übrige Geld) waren inzwischen rettungslos, bis auf den letzten Pfennig ausgegeben.
Dankbar bin ich für solche Momente in meinem Leben... ich trage sie in mir und sie tragen mich.
19/27.01.2003