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Spuren

Monster-WG
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18.06.2015
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Spuren

Im Death Valley gibt es Steine, die wandern. Spuren zeigen den Weg, den sie zurückgelegt haben, zwanzig, dreißig Meter, manchmal mehr. Es muss der Wind sein, der die Brocken bewegt, doch niemand weiß, wie er das tut. Manche sagen, es geschehe nur, wenn es regne.

Sie fuhren über den Townes Pass in das Tal. Auf einem gelben Schild am Straßenrand stand, man solle die Klimaanlage ausschalten, der Motor drohe zu überhitzen. Sie gehorchten. David saß auf dem Beifahrersitz und studierte die Karte, die der Nationalpark-Broschüre beilag. Danach verstaute er beides im Handschuhfach und blickte nach draußen. Ockerfarbener Fels. Gelbe Grasbüschel, als habe man ausgefranste Pinsel in die Erde gesteckt. Lautlos glitt der Camaro über den Asphalt. Eine nach Leder riechende Raumkapsel, die ihre Insassen so sehr behütete, dass es kein Draußen mehr gab. David drehte sich um und zählte die Wasserflaschen, die auf den Rücksitzen lagen. Alles gut. Am Abend würden sie in Las Vegas sein.
„Stovepipe Wells“, sagte er.
„Ja?“ Es klang, als sei sie soeben erwacht.
„Noch mal tanken. Und Kaffee?“
„Klar.“
„In etwa dreißig Meilen.“
„Okay.“
Im Wageninnern war es noch immer angenehm kühl. Majlen begann leise zu singen. In a minute there, I lost myself, I lost myself. Es war seine Schuld. Er hatte nur diese eine CD gekauft, bevor sie losgefahren waren. Nun war Radiohead in ihrem Kopf und würde ihn nicht wieder verlassen, bis der Urlaub vorbei war. Er machte das Beste daraus, sang mit und traf die Töne ebenso wenig wie Majlen. Sie drehte den Kopf und lächelte. Hinter der Sonnenbrille waren ihre Augen nicht zu erkennen. Es war ein gutes Lächeln, dachte er, sicher ein gutes Lächeln.

Das hellgraue Dach von Stovepipe Wells glänzte im Licht des späten Vormittags. Sie parkten vor dem Gebäude, kein Schatten. Als sie aus dem Wagen stiegen, war David, als erhielte er einen Schlag ins Gesicht. Trockene Wüstenluft, die man nicht einzuatmen wagte, aus Angst, sich die Kehle zu versengen. Er schloss die Augen.
„Scheiße, ist das heiß.“
„Findest du?“, sagte Majlen.
Im Innern gab es einen Souvenirladen und ein winziges Restaurant. Es duftete nach gebratenem Speck. Sie zählten fünf an die Wand gehängte US-Flaggen, setzten sich an die Theke und bekamen wässrigen Kaffee von einer Frau ausgeschenkt, die aussah, als habe man ihrem Körper sämtliche Flüssigkeit entzogen.
„Where are you going?“, fragte die Frau.
„Las Vegas“, sagte Majlen.
Die Frau blickte zur Decke, ein weißer Schleier überzog die Iris ihrer Augen. Vielleicht ist sie blind, dachte David. Aber wie hätte sie dann Kaffee servieren können?
Las Vegas sei kein guter Ort, sagte die Frau. Es sei besser, wieder umzukehren. Sie meine es ernst, da gebe es nichts zu grinsen. Daraufhin hob sie den rechten Arm, als wolle sie einen Eid schwören. Dort wohne der Teufel, sagte sie, und beinahe habe er sie gekriegt, aber nur beinahe. Sie schnalzte mit der Zunge, zog ihr T-Shirt hoch und drehte sich einmal um die eigene Achse. Die Tanzeinlage wurde von zwei Männern, die in einer dunklen Ecke des Diners saßen, mit einem Kichern quittiert.
„Was soll das?“, flüsterte Majlen.
„Sieh doch hin.“ Schlecht verheilte Narben auf Bauch und Rücken, schrundige Spuren der Gewalt.
„Ach so.“ Und etwas lauter: „We’d like to pay now.“
Während Majlen den Wagen tankte, blickte David noch einmal zurück auf das Gebäude. Der Eingang war von großen Holzfässern flankiert, deren ursprüngliche Verwendung sich ihm nicht erschloss. Daneben ein paar Stühle und weiter links, hinter dem Parkplatz, sah er eine Schaukel.

Als sie wieder losfuhren, stand die Sonne im Zenit. Im Wagen war es heiß geworden. David ließ mit einem Knopfdruck das Seitenfenster nach unten gleiten. Es half nichts.
„Schalten wir die Aircondition wieder ein?“, fragte Majlen.
„Die stellen die Schilder wohl kaum zum Spaß hin.“
„Meine Güte! Wir fahren einen Chevrolet.“
„Ich hab's dir ja gesagt.“ David fasste sich an den Hals, formte die Hand zu einer Kralle und begann zu röcheln.
„Hä?“
„Das werden meine letzten Worte sein.“
„Ja. Sehr lustig.“ Kein Lächeln erkennbar. David ahnte nichts Gutes. Er drehte den Schalter und bald darauf kitzelte kühle Luft die Haare an seinen Unterschenkeln.
„Alles klar?“, fragte er.
„Ja.“
„Die Frau war ziemlich schräg, nicht?“
„Mhm.“
„Woher hat sie wohl die Narben?“
„Keine Ahnung. Interessiert mich nicht.“
Majlen zog ihr Programm durch. Drei Wochen Schweigen. Grübeln. Wie immer, wenn ihr ein Urlaub Zeit zum Nachdenken gab. David hatte sich bemüht. „Die Golden Gate ist nebelfrei, schau mal.“ Keine Antwort. „Ich hätte nicht gedacht, dass Chinatown so groß ist.“ Nichts. Er kam sich vor wie ein Vierjähriger, der seiner Mutter auf die Nerven ging. Manchmal hatten sie sich gestritten, immerhin. Das erste Mal, als sie in Zürich das falsche Terminal angesteuert hatten – sag mal, wie kann man dreiundzwanzig mit zweiunddreißig verwechseln? – und der Flieger nach San Francisco beinahe ohne sie abgehoben wäre. Auch gestern. Kurz nach Yosemite hatten sie zweimal wenden müssen, weil er die Karte nicht richtig interpretiert hatte, und Majlen nannte ihn einen verdammten Kretin. Ein Kretin mit Uniabschluss, erwiderte er und dann brachen sie in Lachen aus und später meinte Majlen, sie hätte in dieser Situation selbst den lieben Gott persönlich einen Idioten genannt. Ein kurzer Moment des Glücks, längst aufgezehrt vom Tal des Todes. Hier herrschte die Sonne. Gab Leben und ließ es verdorren. Der Gott der Wüste. Oder die Göttin? David wusste nicht, was besser passte, aber es spielte keine Rolle, fand er. Majlen hatte wieder zu singen begonnen, in genau der Lautstärke, die man wählt, wenn man alleine ist. I lost myself, I lost myself.

Sie überholten ein Wohnmobil, ein schwerfälliges weißes Ungetüm mit aufgeschraubter Satellitenschüssel. Kein Gegenverkehr. Dann kam Furnace Creek, hohe Palmen umsäumten das Anwesen, eine Oase mitten im Staub. Majlen bremste ab. Hinter dem langgezogenen Gebäude konnte man leere Liegestühle erkennen. Im Juli gab es niemanden, der hier Halt machte, der Ort gehörte den Raben, die reglos im Schatten des Vordachs hockten und mit ihrem pechschwarzen Gefieder der Evolutionstheorie widersprachen. Ein Rätsel, wie diese Vögel überleben konnten. Majlen beschleunigte den Wagen wieder und David überlegte, was er zu ihr sagen konnte.
„Kristallwörter?“, fragte er schließlich. Kristallwörter waren auf den ersten Blick unauffällig. Doch wenn man sie näher betrachtete, wenn man sie gegen das Licht hielt, sie ein paar Mal wiederholte, ganz schnell aussprach oder ganz langsam, wie ein Walkman, dessen Batterien zur Neige gehen, dann begannen sie auf einmal zu glitzern. Er war für die gezischten und gepressten Laute zuständig, Majlen für die gedehnten.
„Rhabarberkuchen“, sagte sie nach einigem Überlegen.
„Rehkitz.“
„Muttermal.“
„Schabernack.“
„Baby.“
„Finster.“
„Baby.“
„Hattest du schon.“
„Ich weiß.“
Er schwieg, das Spiel war zu Ende. David schloss die Augen und versuchte, ein wenig zu schlafen.

Sie erreichten Zabriskie Point. Der Aussichtspunkt lag etwas oberhalb der Straße, sie stiegen aus und quälten sich auf die Anhöhe, je eine Literflasche Wasser in der Hand. Sand drang in Davids Schuhe, seine Füße brannten, die Sohlen waren zu dünn. Schweiß rann in seine Augen. Oben angekommen, blickten sie auf die Wüstenlandschaft. Brauner Fels, Stein, Sand. Keine Pflanze, kein Leben.
„Siehst du die Risse? Als habe man in den Fels gekritzelt“, sagte David. Keine Antwort. Majlen blickte zu Boden. Dann nahm sie seine Hand.
„Was ist?“, fragte er.
„Gekritzel“, sagte sie. „Mein Großvater hat jeden Tag Briefe geschrieben. Im Jahr, bevor er starb. Er saß da, kerzengerade, mit ernstem Gesicht, beinahe feierlich. Und schrieb und schrieb.“
„An wen?“
„Es war nur Gekritzel, David. Wellenlinien. Seitenweise. Die Betreuer haben ‚gut gemacht‘ gesagt und ‚wir schicken es ab‘ und seine Schulter getätschelt. Danach haben sie's weggeworfen.“
„Okay.“
„Man schreibt und schreibt und nichts macht einen Sinn.“
Majlen hatte zu weinen begonnen, ihre Hand, die in seiner lag, verkrampfte. David dachte nach.
„Ich ahne, worauf das hinausläuft“, sagte er.
„Ach ja?“ Sie drehte sich um und ging zurück zum Auto. David hatte Mühe, ihr zu folgen. Die Haut auf seinen Wangen brannte.
„Aahh, schön kühl“, sagte er, als er in den Wagen stieg, aber es war zu spät.
„Ich will das jetzt klären.“ Majlen steckte den Zündschlüssel ins Schloss und verschränkte die Arme.
„Hier?“
„Ja, hier. Wieso nicht?“
„Du schweigst mich zehn Tage lang an und auf einmal willst du reden? Nach einem Schlüsselerlebnis am Zabriskie Point?“
„Ach, David. Alles ins Lächerliche ziehen. Bravo! In Wirklichkeit hast auch du nicht gesprochen. ‚Schau mal da!‘ und ‚Sieh mal, wie schön!‘ So reden Neunzigjährige. Immerzu plappern. Aber wenn es um Grundsätzliches geht, bleibst du stumm.“ Sie schlug mit der Faust gegen seinen Oberarm.
„Na gut, reden wir.“
„Okay.“ Sie startete den Wagen und fuhr los. „Warum willst du keine Kinder?“
„Das habe ich nie gesagt.“
„Was denn? Erklär's mir, David. Was hast du gesagt?“
„Dass ich's mir vorstellen kann.“
„Und?“
„Reicht das nicht?“
„Und ich kann mir vorstellen, auf dem Mars zu leben. Nein, das reicht nicht. Wir sind jetzt drei Jahre zusammen. Ich hab' dir von Anfang an gesagt, woran du bist.“
„Ach, Quatsch!“
„Darüber will ich nicht streiten. Du weißt, was ich will. Ich hab's dir gesagt, du hast genickt und seither lenkst du ab.“
„Das muss überdacht werden.“
„Ja, das muss es.“ Die Straße verlief schnurgerade, gegen den Horizont wurde sie schmaler und schmaler und in der Ferne flimmerte die Luft, als beherberge sie Antworten auf alle Fragen der Welt. Das war eine Illusion und David wusste es.
„Das Leben ist sinnlos, also machen wir ein Kind? Das ist nicht wirklich dein Argument, oder?“, sagte er.
„Mach dich nicht über mich lustig. Du sagst jetzt, was Sache ist.“
„Majlen, bitte.“ Er versuchte, ihr eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen.
„Fass mich nicht an.“ Sie trat auf die Bremse, der Wagen kam ins Schlingern und blieb schließlich auf der Gegenfahrbahn stehen. „Antworte, oder ich werfe dich aus dem Wagen.“
„Bist du irre?“
„Ich sag's nicht noch mal.“
David dachte an die Hexe von Stovepipe Wells und an den Teufel, der in Las Vegas auf sie wartete. An die Raben von Furnace Creek. Vielleicht atmeten sie am Morgen, wenn es noch kalt war, tief ein und die Luft kühlte sie den Tag über von innen, bis sie am Abend wieder ausatmeten. Ein vorzeitiges Krächzen und sie mussten sterben.
„Ich möchte schon Kinder“, sagte er dann.
„Aber?“ Majlen hatte die Sonnenbrille abgenommen und starrte ihn an. David schloss die Augen. Bilder in rasender Geschwindigkeit. Ein Vorgeschmack auf diesen Film, der angeblich vor dem Tod abläuft und das gesamte Leben zusammenfasst. Er sah Majlen, wie sie ein Glas gegen die Wand warf. Wie sie mit dem Oberkörper wippte und an ihren Haaren riss. Wie sie auf dem Balkongeländer stand.
„Ich weiß nicht, ob du eine gute Mutter sein kannst.“ Er atmete aus.

Majlen fuhr den Wagen weg von der Straße, Schotter knirschte unter den Reifen. Dann stoppte sie.
„Steig aus.“
„Bitte?“
„Du steigst jetzt aus.“ Sie löste den Sicherheitsgurt, griff nach einer Flasche, die auf dem Rücksitz hinter ihm lag, und warf sie ihm in den Schoß.
„Lass uns vernünftig reden.“
„Genug geredet.“ Sie stieg aus, ging um den Wagen herum und riss die Tür auf seiner Seite auf. „Warum bist du mit mir zusammen?“
„Was jetzt?“
„Arschloch!“ Sie packte ihn am T-Shirt, ihre Fingernägel gruben sich in seinen Nacken „Du kommst jetzt da raus.“
„Okay.“ Er stieg aus und sie standen sich gegenüber.
„Was machen wir in dieser gottverdammten Wüste? Was soll das überhaupt? Ich meine, wir beide?“, fragte sie. Sie blickte nach oben, als erwarte sie göttliche Inspiration. Und auf einmal ganz ruhig: „Ums Ficken geht's. Nicht wahr?“
„Ach Quatsch.“
„Doch, doch! Ficken? Ja du, das kann sie super. Ein Kind in die Welt setzten, nein du, das lieber nicht, wie? Dazu ist sie nicht so geeignet, die Irre.“ Sie hob die Hände neben ihren Kopf und streckte die Zeigefinger in die Höhe. Teufelshörner. Dann glitt sie mit der Zunge über ihre Lippen. „Also gut. Komm, ficken wir.“
„Hör auf!“
Aber sie hörte nicht auf. Sie griff unter ihren Rock, zog den Slip aus und warf ihn in den Sand. Dann stieg sie auf die Kühlerhaube und setzte sich darauf.
„Komm, David. Rosa Muschi. So, wie du's magst.“ Sie schob den Rock hoch, spreizte die Beine und er konnte sie tatsächlich sehen, ihre Muschi. Er bekam eine Erektion. David blickte an sich hinunter, als sei es die erste seines Lebens. Dreiundvierzig Grad, kurz vor dem Kollaps, vor sich eine Furie. Und er stand da, mit einem zuckenden Schwanz in der Hose. Sein Sperma würde verdampfen, bevor es rauskäme.
„Aua! Scheiße!“ Majlen sprang auf. „Heiß!“ Sie hüpfte von der Kühlerhaube, klappte den Fahrersitz herunter und warf sich bäuchlings auf die schmalen Rücksitze. Die Wasserflaschen kullerten zu Boden. „Verdammter Idiot!“, schluchzte sie und David wusste nicht, wen sie damit meinte. Sie hatte den Rock noch immer hochgezogen. Ihr Hintern war feuerrot, die Haut sah aus, als platze sie gleich. David schraubte eine der Flaschen auf und goss Wasser über die verbrannten Stellen.
„Aahh!“ Majlen wimmerte noch immer, nun aber mischten sich kurze glucksende Lacher dazwischen. Es klang, als hätte sie Schluckauf. „Verdammter Idiot“, sagte sie.
„Du bist verrückt“, sagte David. „Echt crazy.“
„Und du bist ein geiler Bock.“
Sie beschlossen, nach Furnace Creek zurückzufahren und dort zu übernachten. David übernahm das Steuer. Sand war in den Camaro gedrungen, die Hitze hatte sich festgesetzt, Majlen jammerte.

Zu ihrer Überraschung waren sie nicht die einzigen Gäste. Als sie eincheckten, wurden sie von einem Pärchen mit tätowierten Gesichtern gemustert, das in der Vorhalle saß. Später, als sie ihr Zimmer bezogen, konnten sie nebenan einen Mann husten hören. Die Klimaanlage surrte, sie hatten sie bis zum Anschlag aufgedreht. Eine Flasche Four Roses stand auf dem Nachttisch, der Whiskey schimmerte im einfallenden Abendlicht honigfarben. Majlen hatte daraus getrunken, ohne Glas, als handle es sich um Mineralwasser. Nun lag sie nackt auf dem großen Kingsize-Bett, David kniete neben ihr. Er hielt ihr die Body Lotion vor die Nase, die er aus ihrem Koffer geholt hatte und die nach Rosmarin duftete.
„Soll ich den Typen an der Rezeption fragen? Die haben vielleicht was Besseres. Was Medizinisches.“
„Schon okay“, murmelte Majlen ins Kissen. David schmierte sich etwas von der Lotion auf die Fingerspitzen und trug sie vorsichtig auf.
„Aua!“ Majlen hob den Kopf.
„Sorry.“
„Ist nicht schlimm. Nur diese eine Stelle.“
„Wieso hast du das erst so spät bemerkt? Das frage ich mich die ganze Zeit.“
„Weiß nicht.“ Sie sprach wieder ins Kissen. „Denkst du, ich bin verrückt?“
„Nein“, antwortete er. Kein Zögern. „Es ist die Hitze. Die wühlt sich ins Hirn und dann fließt Strom, wo er nicht sollte. Ich hab‘ den ganzen Tag Todesvisionen gehabt.“ Das war reichlich übertrieben, aber David hoffte, dass es helfe. Er hatte begonnen, ihren Rücken zu streicheln.
„Einmal habe ich versucht, den Nagel meines Zeigefingers abzulösen“, sagte Majlen. „Mit einem Messer.“
„Zsss.“ Er sog Luft zwischen die Zähne, ihm wurde schwindlig.
„Nicht aufhören, David, das ist schön.“ Sie seufzte leise. „Das war lange bevor ich dich kennengelernt habe. Ich war betrunken, weißt du, also so richtig.“
„Okay.“
„Ich sollte dir so was nicht erzählen.“ Sie begann zu summen, so wie man ein Einschlaflied summt, und er küsste ihren Nacken. Dann rollte er sich neben sie und schloss die Augen. Er war müde.
„Mein Slip“, sagte Majlen. „Der liegt immer noch draußen in der Wüste.“
„Macht doch nichts.“ David stellte sich vor, wie ein Rabe hoch zur Sonne flog, das schwarze Stück Stoff im gelben Schnabel. Bevor ich dich kennengelernt habe. Er erinnerte sich, wie er Majlen das erste Mal gesehen hatte, auf einer Studentenparty im Keller eines Freundes. Das Blau ihrer Augen glich der Kühlflüssigkeit, die man im Innern von Eisschränken fand. Ihre Lippen waren schmal, besonders die obere. Unter ihrem Pullover zeichneten sich winzige Brüste ab. Er hatte sich vorgestellt, wie sie ihn küsste, und gespürt, wie sich seine Hoden sanft zusammenzogen, um ihre warme Zustimmung zu geben. Dann hatte er in ihre Augen gesehen und sich vorgestellt, wie sie einem Kätzchen die Kehle durchschnitt. Auch das hatte gepasst. Und die letzten drei Jahre hatten nichts geändert. Meine Majlen, meine irre Majlen, flüsterte er und schlief ein, während er mit den Daumen die Nägel seiner Zeigefinger rieb.

Jemand hämmerte gegen die Tür. Davids Kopf schmerzte.
„You have to check out!“
„One moment, please.“
Die Flasche war bis auf einen kleinen Rest leer, es sah nicht mehr aus wie Honig, sondern wie dunkle Pisse, die auf eine üble Krankheit hinwies. Spuren. Majlen lag neben ihm und schnarchte. Er rüttelte leicht an ihrer Schulter.
„Majlen, wir müssen.“
„Eh?“
„Auschecken.“
„Mir ist schlecht.“
„Okay.“
„Können wir nicht hierbleiben?“
David ging zur Rezeption und bezahlte für eine weitere Nacht. Dann ging er zum Frühstücksraum, bestellte eine Kanne Kaffee und ließ zwei Brötchen mitgehen, die auf einem verwaisten Tisch gelegen hatten. Das tätowierte Paar blickte ihn an, der Mann räusperte sich und sagte, man solle den Dieb halten, worauf er loslachte und sich die Ornamente auf seinem Gesicht zu schiefen Gebilden verzerrten.

Es gab einen Pool. Nachdem sie nochmal eine Stunde geschlafen hatten, holten sie sich eine Cola und stiegen ins Wasser, das ihnen bis zu den Schultern reichte. Die einzige Möglichkeit, sich draußen aufzuhalten. Sie standen nebeneinander, hatten die Arme auf den Rand des Bassins gelegt und starrten in das hellbraune Nichts der Wüste. Majlen trug einen Strohhut und einen türkisfarbenen Bikini. Selbst verkatert sah sie fantastisch aus, dachte David.
„Alles klar?“, fragte er. Besser, er brachte das Gespräch wieder in Gang. Dosiert und vernünftig.
„Wie? Ja, alles gut.“
„Das will mir nicht mehr aus dem Kopf.“
„Was?“
„Das mit dem Nagel.“
„Ja?“
„Ich meine, wie konntest du so was tun?“
„Was?“
„Dir den Fingernagel wegschneiden.“
„Wovon sprichst du?“
„Was du mir gestern erzählt hast.“
„Ich hab' echt keine Ahnung, was du meinst.“
„Warst du so betrunken, dass du nichts mehr davon weißt?“
„Na ja, ich habe die Flasche nicht allein leergemacht, David.“ Sie lachte. David war, als streiche jemand über sein Haar. Er drehte sich um und sah einen Raben, der am anderen Ende des Pools stand und seinen Schnabel mit schnellen Bewegungen ins Wasser tauchte.
„Egal“, sagte er. Die Hitze ließ einen am eigenen Verstand zweifeln.
„Ich habe auch Narben“, sagte Majlen.
„Das weiß ich.“
„Ich spinne manchmal. Ich hab' Krisen.“
„Mhm.“
„Ich bin impulsiv.“
„Ja.“
„Aber ich wäre eine gute Mutter.“
„Okay.“
„Ich würde mein Leben geben, damit es meinem Kind gut geht.“ Majlen sah ihn an. „Nimm die Sonnenbrille ab. Ich will deine Augen sehen.“ David erinnerte sich an die Ärztin, die ihm einen Holzspatel in den Mund geschoben hatte, damals, bevor er sich die Mandeln entfernen lassen musste. Weshalb kamen ihm immer diese seltsamen Gedanken?
„Und?“
„Du glaubst mir nicht.“ Sie drehte den Kopf wieder ab. Er hätte zurücknehmen können, was er gesagt hatte. Aber er wollte aufrichtig sein.
„Es ist nicht einfach.“
„Wieso bist du mit mir zusammen, wenn du das wirklich denkst?“, fragte sie.
„Du bist der faszinierendste Mensch, den ich kenne.“
„So eine verfluchte Floskel!“ Sie schlug mit der Hand aufs Wasser.
„Wenn du es so siehst.“ David ließ sich nicht beirren. „Ich denke, wir sollten warten.“
„Warten, worauf?“
„Bis es dir besser geht. Bis du stabiler bist“, sagte er. Sie sah ihn an, ließ etwas Wasser in ihren offenen Mund fließen, schloss den Mund, das Wasser rann über ihr Kinn. Dann tauchte sie unter. Sie schwamm zur anderen Seite und stieg aus dem Pool.
„Gehen wir essen“, sagte sie, während sie nach einem Handtuch griff, um sich die Haare zu trocknen.

Sie saßen einander wortlos gegenüber, der Kellner war sehr freundlich. Rinderschädel hingen an der Wand, in der Ecke wachte ein Adler, er sah ziemlich echt aus. Sie bestellten eine Flasche Four Roses, die sie mit aufs Zimmer nahmen. David blickte auf die Uhr, nahm ein paar Schlucke und legte sich aufs Bett. Fünf Uhr nachmittags. Er schlief ein, während Majlen noch im Bad war.

David schreckte hoch. Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn, es war dunkel und viel zu kalt im Zimmer. Er suchte nach einer Decke. Dann hörte er einen Wagen wegfahren und er wusste instinktiv, dass er nach einem Zettel suchen musste. Er machte das Licht an und fand ihn direkt neben sich liegen. Es waren nur fünf Zeilen.

Wenn du so über mich denkst,
kann ich nicht mehr mit dir sein.
Nimm du den gebuchten Flug.
Ich werde früher fliegen.
M.

Er rannte nach draußen, doch er sah nicht einmal mehr die Rücklichter des Camaros. David setzte sich auf den Parkplatz. Kein Geräusch, nichts. Noch nie hatte er einen solch klaren Sternenhimmel gesehen. In der Schule hatte er ein paar Sternbilder gelernt, aber jetzt fiel ihm keines mehr ein. Er ging zurück ins Zimmer und legte den Zettel in die Bibel, die im Nachttisch lag, der richtige Ort für Majlens Worte, wie er fand. Zwischen altem und neuem Testament. Dann trank er den Whiskey leer und packte seine Sachen. Das Flugticket hatte sie ihm in den Koffer gelegt. Geld, Pass, alles da. Er war sich sicher, dass sie nach San Francisco zurückgefahren war. Nachdem er sich die Zähne geputzt hatte, legte er sich aufs Bett. Keine seltsamen Gedanken mehr, sein Kopf war leer.

Als es dämmerte, ging er zur Straße. Zunächst wartete er vor dem Gebäude, dann aber ging er in Richtung Zabriskie Point, nicht zu weit, er konnte Furnace Creek noch immer sehen. Das verlieh der Sache eine gewisse Dramatik und erhöhte die Wahrscheinlichkeit, mitgenommen zu werden. Zwei Wagen in einer Stunde, ferne Lichter zunächst, dann näher und näher kommend, an ihm vorbei. Der nächste Fahrer hatte Mitleid. Es saß in einem alten Ford.
„Las Vegas?“
„Okay.“ Der Mann rümpfte die Nase, als David seinen Koffer auf die Rückbank wuchtete. Er setzte sich nach vorne, der Mann spuckte aus dem Fenster und fuhr los. David blickte in den Seitenspiegel. Sanftes Morgenlicht, weiche Sandhügel, nicht zu dieser Welt gehörend. Nur die Steine hinterließen Spuren, in diesem Tal, das Gott aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. David lehnte sich zurück und schloss die Augen. In ein paar Stunden würde er in Las Vegas sein. Und dort durfte der Teufel mit ihm tun, was er wollte.

 

Hallo Pepperkorn,

deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Das Zusammenspiel zwischen der Natur und dem Konflikt der Beiden ist dir außerordentlich gut gelungen. Ein stimmiges Gesamtbild.

Ich kann David gut verstehen, solche Frauen sind einfach anziehend. Bisschen verrückt, aber mindestens genauso versaut und abgefahren, mit mehr Problemen als Lösungen. Einfach liebenswürdig.
Eiskalte Engel, mit blauen Augen die dich um den Verstand bringen - und töten können. Nicht nur kleine Kätzchen. Das Spiel mit dem Feuer interessiert schon kleine Jungs, wenn sie PET Flaschen mit Benzin befüllen, Socken hinein stopfen und in die Flammen werfen. Große Jungs spielen eben mit Frauen wie Majlen. Wie gesagt, kann ich gut nachvollziehen.
Die Liebe lässt uns ja auch hoffen. Hoffen, dass das Verrückte mit der Zeit weicht, und die blauen Augen dem weiten, offenen Meer ähneln. Der Freiheit, nicht der Verdammnis. Vielleicht sieht sich David selbst als Retter, der dadurch gerettet wird. Ein wenig Banane muss er sein, mit dem Feuer zuspielen, aber wer das Feuer bändigt - der hat vielleicht nicht mehr den Drang, damit zukünftig zu experimentieren. Eine Win-Win Situation eben. Anders gesagt: eine funktionierende Ehe. Aber ehrlich gesagt, das braucht Zeit. Keiner brennt darauf eine solche Frau seinen Eltern vorzustellen, geschweigend seine EnkelInnen mit ihnen Zeugen. Das braucht wahrlich Stabilität. Aber das ist ein weiter Weg, und die Hitze des Feuers lässt gewisse Kapseln eben leicht zerspringen. Beziehung Adé.
Aber ich bin sicher, David wird eine neue Teufelin kennen lernen, vermutlich schon in Las Vegas.


Am Anfang deiner Geschichte dachte ich noch, Mejl ist eben so, wie sie ist. Sie spricht wenig. Nicht jeder spricht viel. Manche sprechen viel, sagen aber wenig. Ich hätte mir fast noch ein, zwei Rückblenden mehr gewünscht. Vielleicht sogar aus sicht von Mejl? Warum ist sie so geworden, wie sie ist? Warum trennt sie sich von dem "geilen Bock" , der drei Jahre lang genügt hat? Da muss doch mehr gewesen sein, als nur der Wunsch nach der Familie. Irgendetwas wie Zuneigung, oder so. Warum ist es ihr so verdammt wichtig, ein Baby - möglichst in neun Monaten- zu gebären, dass sie alles über Bord wirft? Oder was war so verletztend an der Antwort von David? Ich hätts gern gewusst, oder erahnt. Da fehlt mir bisschen was Pepperkorn, aber sonst. Gut gemacht!

Grüße,

schwarze sonne

 
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bernadette: Die Steine sind keine Sage, die gibt es wirklich. Wenn Du bei Google als Suchbegriff "wandernde Steine" eingibst, dann kannst Du Bilder von den Steinen sehen. In Wikipedia werden sie beschrieben.

Die Klimaanlage muss man dort ausschalten, da es im Sommer im Death Valley Themperaturen von mehr als 50 Grad im Schatten (!) geben kann. Die Strassen zu den Pässen sind teilweise sehr steil. Bei angeschalteter Klimaanlage kann es sehr schnell zu einer Überhitzung des Motors kommen. Eine Autopanne in dieser gottverlassenen Gegend wäre fatal, insbesondere weil man dort weit und breit keiner Menschenseele begegnet. - Mir begegneten nach stundenlanger Fahrt lediglich meine eigenen Visionen: ich wartete auf die Indianer, die durch das Tal reiten - aber Menschen traf ich dort keine (ausser meinem Beifahrer).

Bei über 40 Grad im Schatten kann man sich ganz schnell verbrennen, das weiss ich auch eigener schmerzhafter Erinnerung - allerdings waren es bei mir die Fussohlen ;-)
Dazu braucht man nicht schmerzunempfindlich sein, es reichen ein paar Sekunden ...

Es ist ein psychologisches Moment, der Urlaub in Kombination mit dieser ganz speziellen Landschaft, die einen zwangsläufig mit der Vergänglichkeit des Lebens konfrontiert. Automatisch kommen schwelende Probleme an die Oberfläche - ähnlich wie sich viele Paare an Weihnachten zanken - die Landschaft wirkt wie ein Vakuum.

Das Kraut ist das indische Springkraut, das auch Bauernorchidee genannt wird - ein Unkraut, das als invasive Pflanze vielerorts bekämpft wird. Sie gilt als Bedrohung für die heimische Pflanzenwelt.

@Pepperkorn: Verstehe ich das richtig: Ist der Kinderwunsch der invasive Eindringling in die Beziehung? Die Bedrohung für David? Was sich auch in den Bildern wiederspiegelt: die Mandel OP (nach Infekt herausoperierte Mandeln), der Traum (das Baby, das entfernt werden muss) und der Teufel (die bekannten Teufel-Ringe aus Las Vegas, die oft als Eheringe verwendet werden)?

LG mej

 
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mej schrieb:
Das Kraut ist das indische Springkraut, das auch Bauernorchidee genannt wird - ein Unkraut, das als invasive Pflanze vielerorts bekämpft wird. Sie gilt als Bedrohung für die heimische Pflanzenwelt.
Das ist nur die halbe Wahrheit, mej. Es gibt nämlich auch eine Springkrautart (das Große Springkraut, Impatiens noli-tangere), die in Europa ursprünglich heimisch ist. Damit hatten wir schon als Kinder unseren Spaß.

Ericale Grüße :D

 

Hallo,
danke für den botanischen Ausflug zu der heimischen Art. Seltsamerweise kenne ich das Grosse Springkraut nicht. Aber ich hatte dafür meine Freude mit anderen Arten und Beihilfe zur Invasion geleistet :lol:
Grüsse mej

 
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Hallo schwarze sonne

Deine Ausführungen zu David und Majlen fand ich sehr spannend, immer schön zu lesen, wie jemand sich in eine Geschichte reindenkt oder sie weiterspinnt.

Das Zusammenspiel zwischen der Natur und dem Konflikt der Beiden ist dir außerordentlich gut gelungen.

Das freut mich. Ich werde dennoch versuchen, da noch etwas zu optimieren.

Das Spiel mit dem Feuer interessiert schon kleine Jungs, wenn sie PET Flaschen mit Benzin befüllen, Socken hinein stopfen und in die Flammen werfen. Große Jungs spielen eben mit Frauen wie Majlen.

Ja, so was Ähnliches stand in meiner Figurenskizze zu David.

Aber ich bin sicher, David wird eine neue Teufelin kennen lernen, vermutlich schon in Las Vegas.

Eine bedrückende Vorstellung, aber ja, so ist das Leben, so sind die Menschen. :)

Ich hätte mir fast noch ein, zwei Rückblenden mehr gewünscht. Vielleicht sogar aus sicht von Mejl? Warum ist sie so geworden, wie sie ist? Warum trennt sie sich von dem "geilen Bock" , der drei Jahre lang genügt hat? Da muss doch mehr gewesen sein, als nur der Wunsch nach der Familie. Irgendetwas wie Zuneigung, oder so. Warum ist es ihr so verdammt wichtig, ein Baby - möglichst in neun Monaten- zu gebären, dass sie alles über Bord wirft? Oder was war so verletztend an der Antwort von David? Ich hätts gern gewusst, oder erahnt. Da fehlt mir bisschen was

Ja, den Punkt sehe ich. Für mich stand das Verletzende von Davids Äusserungen im Vordergrund. Ich werde eh noch die Dialoge überarbeiten, vielleicht gelingt es mir, diesen Aspekt und damit die Motive Majlens für die Trennung noch etwas spürbarer zu machen, ohne mit dem Holzhammer aufwarten zu müssen. Über einen Perspektivenwechsel habe ich häufig nachgedacht - so jetzt müsste doch Majlen was dazu sagen - aber ich fand es letztlich konsequent, die Sache aus Davids Sicht zu erzählen. Ein Wechsel würde die Geschichte doppelt so lang machen, damit die Sache "fair" bleiben würde, so mein Empfinden.

Lieben Dank für die Zeit, die du der Geschichte gewidmet hast und für deine Überlegungen.


Hallo mej

Ich denke, bernadette wollte nur auf den Widerspruch zwischen bewegten Steinen und Spuren im Sand hinweisen (die ja bei starkem Wind verwehen müssten). Ich muss noch mal genau recherchieren, auf welchem Untergrund sich die Steine bewegen.

Verstehe ich das richtig: Ist der Kinderwunsch der invasive Eindringling in die Beziehung? Die Bedrohung für David? Was sich auch in den Bildern wiederspiegelt: die Mandel OP (nach Infekt herausoperierte Mandeln), der Traum (das Baby, das entfernt werden muss) und der Teufel (die bekannten Teufel-Ringe aus Las Vegas, die oft als Eheringe verwendet werden)?

Nach meinen letzten, ziemlich durchdachten Geschichten wollte ich hier auch mal etwas assoziativer vorgehen (Teufel, Kapsel, etc.) ohne im Detail alles verorten zu können. Ich weiss gar nicht mehr so recht, ob das alles Sinn macht. Den Vorwurf der Beliebigkeit (Teufel als Versatzstück) kann ich nicht einfach so zurückweisen. Ich habe auf ein stimmungmässiges Mitschwingen (ach, das klingt jetzt ziemlich esoterisch) gehofft, was bei einigen Lesern geklappt hat, aber nicht bei allen.

Nach deiner Frage, die ich gar nicht so recht beantworten kann, werde ich das bei der Überarbeitung noch mal bedenken, schauen, wo ich gezielter arbeiten, die Symbolik gezielter einsetzen kann.

Danke also für diese anregenden Ausführungen.

Lieber Gruss euch beiden
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

wieder ein hammermäßiges Stück, ich erblasse vor Ehrfurcht. Habe die Story neulich schon gelesen, aber nicht kommentiert, weil ich mit den Antworten zu meiner eigenen Geschichte gerade gar nicht hinterherkam. Jetzt will ich unbedingt auch noch was sagen, obwohl mir wahrscheinlich nicht viel einfällt, was kein anderer vor mir erwähnt hat.

Auf einem gelben Schild am Straßenrand stand, man solle die Klimaanlage ausschalten.
Wurde schon kommentiert, ich will nur sekundieren: Es wäre toll, wenn man den Grund nicht erklären müsste, weil es etwas ablenkt. Aber mir scheint, das können sich nur die wenigen Leser erschließen, die mal da waren, oder die, die Motoröl im Blut haben und sich das einfach denken können. Wäre schade um die anderen (wie mich). Bestimmt fällt Dir ein Halbsatz ein, der nicht zu sehr stört.

Das Gebäude duckte sich in den Sand, in der Mitte war das Dach durchbrochen und ein zweiter Stock gebaut worden.
Also, ich konnte mir das vorstellen. Halt ein zweiter Stock, der nicht über die gesamte Länge geht, sondern aus dem sonstigen Dach herausragt. Aber wenn's andere stört ...

und bekamen wässrigen Kaffee von einer Frau ausgeschenkt, die aussah, als habe man ihrem Körper sämtliche Flüssigkeit entzogen
Ich wollte zu dem anderen Komm (von bernadette) anmerken: Nicht den Nebensatz streichen, sondern das "spindeldürr"! Haste richtig gemacht! :thumbsup:

Die Frau blickte zur Decke, das Weiß ihrer Augen war von einem bläulichen Schleier überzogen. Vielleicht ist sie blind, dachte David.
Das würde ich nur dann denken, wenn das Blau ihrer Augen einen weißlichen Schleier hätte. Das hast Du wohl nicht zufällig vertauscht? :D

„Don’t go there“, sagte sie. In Las Vegas wohne der Teufel.
Das finde ich unschön, wie Du hier mit der wörtlichen Rede anfängst und mit der indirekten weitermachst. Und das bestimmt nur deshalb, weil das mit dem Teufel auf Englisch nicht so schön einfach ist wie der erste Satz. Vermutlich gar nicht für Dich zum Schreiben, sondern für den Leser, der vielleicht kein tourismustaugliches Englisch spricht. Und da fühle ich mich irgendwie nicht ernstgenommen, weil Du mir diese Sprachkenntnis absprichst. Das ist sicher nicht Deine Absicht, kommt aber bei mir so an, sorry. Wie hätte ich es lieber? Keine Ahnung, vielleicht komplett indirekte Rede?

Schlecht verheilte Narben auf Bauch und Rücken, schrundige Spuren der Gewalt.
„Ach so.“ Und etwas lauter: „We’d like to pay now.“
Bezeichnend, dass ausgerechnet Majlen sich diesem Anblick entziehen will. Sieht sie da etwas von sich selbst, das sie nicht wahrhaben will?

so als sei eben noch ein Kind darauf gesessen
Keine Ahnung, ob Dir das wichtig ist: Im Hochdeutschen hat dort ein Kind gesessen.

Kurz nach Yosemite hatten sie zweimal wenden müssen, weil er die Karte nicht richtig interpretiert hatte
Haben die Mietwagen in USA kein Navi? Oder habe ich verpasst, dass wir in einem früheren Jahrzehnt unterwegs sind?

„Baby.“ Sie sprach es normal aus.
„Finster.“
„Baby.“
„Hattest du schon.“
„Ich weiß.“
Und da kommen wir dem Konflikt auf die Spur. Ich weiß selbst noch nicht, aber vielleicht könnte man das Unterstrichene weglassen, weil Du sonst gleich zwei Hinweise darauf hast, dass das Wort "Baby" für Majlen bedeutsam ist. So als ob Du dem Leser nicht zutrautest, dass ein Hinweis reicht - obwohl der nicht zu übersehen ist.

Übrigens fand ich dieses Kristallwörterspiel schön, auch wenn es reichlich intellektuell ist. Mal was anderes, womit Du hier die Charaktere bebilderst. Und in meiner Familie haben wir auch vergleichbare Spiele - schön zu wissen, dass wir nicht die einzigen Verrückten sind ...

Der braune Siltstein war gefurcht, als habe ein Gigant seine gespreizten Finger durch das Land gezogen. Von weitem sah die Oberfläche des Steins aus wie die spröde Haut eines menschlichen Ellenbogens. Keine Pflanze, kein Leben.
Mich stört der zweite Satz ein bisschen. Zum einen beschreibst Du zweimal denselben Stein, aber Du beschreibst ihn unterschiedlich, und ein spröder Ellbogen sieht für mich nicht so aus, als hätte ihn jemand mit den Fingern gefurcht, auch nicht von weitem. Zum anderen könnte man denken, dass sich der letzte Satz auf den Ellbogen bezieht, auf dem es also keine Pflanze und kein Leben gebe. Was wäre, wenn Du den zweiten Satz einfach wegließest? Vielleicht würde dem Leser dann auch die spätere Assoziation zum Gekritzel von Majlens Opa (Wellenlinien) leichter fallen.

So reden Neunzigjährige. Immerzu plappern.
Und schreiben tun sie bloß Wellenlinien. Sehr schön!

„Was denn? Erklär‘s mir, David. Was hast du gesagt?“
„Dass ich’s mir vorstellen kann.“
Deine Apostrophe sind mal links- und mal rechtsseitige Akzente oder einfache Anführungsstriche. Verdammtes AutoFormat! ;) Der richtige Apostroph ist gerade: '

Ein Vorgeschmack auf diesen Film, der vor dem Tod abläuft und das gesamte Leben zusammenfasst.
War kritisiert worden, ebenfalls von bernadette, glaube ich, weil es diesen Film nicht wirklich gibt. Aber Du könntest z.B. schreiben: "der angeblich vor dem Tod abläuft".

„Warum bist du mit mir zusammen?“
„Weil ich dich liebe.“
War auch kritisiert worden, von jimmysalaryman. Ich weiß nicht, ob das schlechter Stil ist, die Komms anderer Leute zu kommentieren, aber ich habe einfach das Bedürfnis, Dir zu sagen, dass mindestens ein Leser das auch anders sieht. Dafür nenne ich aber die Namen, damit Jimmy und bernadette sehen, dass sie zitiert wurden, und ggf. reagieren können, so dass ich nicht über abwesende Dritte rede. Ich hoffe, das ist okay.

An dieser Stelle fand Jimmy die Dialoge unglaubwürdig, und Du hast ihm schon so halb zugestimmt, aber auch Deine Intention genannt:

Üble Sache. Kann ich aber annehmen. Die Beispiele, die du rausgepickt hast, sind gut gewählt. Ich wollte zuweilen halt auch das floskelhafte von Davids Antworten, vor allem unter Druck. Daher dieses „ich liebe dich“ und an einer Stelle wirft es ihm Majlen sogar vor.
Und da will ich einfach nur sagen: Bei mir hat Deine Intention funktioniert. Leute reden einfach manchmal in Floskeln, und das gibt den Charakteren ja auch ein bisschen Farbe, gerade wenn sie es bei bestimmten Themen tun. Ich finde es andersrum unrealistisch, wenn wirklich jedes Wort bedeutungstragend sein muss, auch wenn ich weiß, dass man in Geschichten eben kondensieren muss und nicht die ganze Banalität des echten Lebens wiedergeben kann oder will. Aber das kann man m.E. gerade in Dialogen etwas anders handhaben, die müssen für mich nicht echter als echt sein, so larger than life. Ist aber nur meine Meinung, ich will hier keinem auf den Schlips treten.

„Echt jetzt? Der vorbildliche Vater. Bittet das kleine Kind, sich zu beruhigen.“
Sorry, ich tu's schon wieder: Auch dieser Satz war kritisiert worden (schon wieder bernadette - nimm's bitte nicht persönlich!), aber ich finde den total passend. Er zweifelt ihre Mutterqualitäten an, und dafür wirft sie ihm eine scheinheilige Vaterpose vor. Das ergibt für mich Sinn.

Das war lange bevor ich dich kennengelernt habe.
Da muss bestimmt ein Komma, aber ich weiß nicht genau, wo. Guck mal die Regeln 126 und 128:
http://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/komma#K126

Er erinnerte sich, wie er Majlen das erste Mal gesehen hatte, an einer Studentenparty im Keller eines Freundes.
Hochdeutsch eher "bei" oder "auf" einer Party.

„Ich würde mein Leben geben, damit es meinem Kind gut geht.“
Meine Antwort an Davids Stelle wäre gewesen: Genau davor habe ich Angst.

David erinnerte sich an die Ärztin, die ihm einen Holzspatel in den Mund geschoben hatte, damals, bevor er die Mandeln entfernen musste.
"... entfernen lassen musste"? Er musste das ja hoffentlich nicht selbst erledigen.

So, das ist alles, was ich gefunden habe. Die Liste ist doch etwas länger, aber das meiste ist ja Lobhudelei, und der Rest sind nur irgendwelche Kleinigkeiten, die ich sowieso erst beim zweiten Lesen gefunden habe, weil ich beim ersten einfach zu geflasht war von Deiner Geschichte, von der Stimmung, von den Bildern. Superklasse!

Jetzt wende ich mich wieder demütig meinem eigenen kleinen Geschreibsel zu und blicke nur manchmal schüchtern hinüber zu Dir und sage: Boah ...

Grüße vom Holg ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Holg

Was tust du mir an? Eine halbe Stunde hat es mich gekostet, diese verdammten Apostrophe zu ersetzen, ich hoffe, ich habe alle erwischt.

Jetzt weisser Schleier auf der Iris. Kein englischer Satz zu Beginn der Hexenrede. Ja, kein Navi, spielt in den Neunzigern (OK Computer von Radiohead), aber wollte es nicht so genau in der Zeit verorten. "Sie sprach es normal aus" ist weg, super Hinweis. Angeblicher Todesfilm. Auf der Party.

Habe ich alles geändert und noch mehr, das du angesprochen hast, aber auch andere erwähnt haben. Ich werde das weiter unten noch mal kurz zusammenfassen.

Ich danke dir für diesen holgtypischen Kommentar, ich habe neulich mal gedacht, man müsste eigentlich auch Empfehlungen für Kommentare einführen, da wärst du ein paar Mal auf der Liste. :)

Vielen, vielen Dank für deine Zeit und die sorgfältige Lektüre (auch der anderen Kommentare). Die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen fand ich sehr hilfreich, Schlipse wurden da auf keinen Fall betreten, meiner Meinung nach.

Lieber Gruss
Peeperkorn

Chutney GoMusic bernadette jimmysalaryman
schwarze sonne mej
@alle, die den Thread noch verfolgen: Ich habe den Text überarbeitet. Nicht so, dass sich eine erneute Lektüre aufdrängen würde, ganz ehrlich. Daher ein kurzer Überblick für die, die sich interessieren:

  • Keine Spuren mehr im Sand (bernadette)
  • Ausschalten der Klimaanlage begründet, aber erst etwas später (Chutney, GoMusic, Holg)
  • Kein zweiter Stock in Stovepipe Wells (GoMusic, bernadette)
  • Konflikt trotz Urlaub begründet (bernadette)
  • Natur dringt stärker ein, sowohl bei Stovepipe Wells, wie auch am Zabriskie Point (Jimmy, bernadette)
  • Dialoge leicht überarbeitet. Keine "Ich liebe dich" mehr, aus "Das ist alles so sinnlos" ist "man schreibt und schreibt und nichts macht einen Sinn." geworden. Vielleicht immer noch etwas Düsterkitsch am Zabirskiepoint (Jimmy)
  • Kein "Beruhige dich" "Der gute Vater ..." mehr (bernadette)
  • Teufel etwas abgeschwächt, ist nicht mehr am Zabriskie Point geboren (GoMusic)
  • Massiv der deutschen Sprache weg (bernadette)
  • Keine Kapselmetaphorik mehr (GoMusic, mej)
  • Opa-Erinnerungen besser (hoffentlich) eingebettet, David gibt nun das Stichwort "Gekritzel" (GoMusic)
  • Zabirskie Point hoffentlich besser beschrieben (bernadette, Holg)
  • Schmerzunempfindlichkeit weg (GoMusic)
  • Trennungsgrund etwas deutlicher (schwarze sonne)

Insgesamt also die Metaphorik etwas zurückgefahren, die Natur etwas stärker integriert. Aber die Grundausrichtung, der Ton sehr ähnlich wie bisher.

Lieben Dank an euch!

Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn!

Auch mir gefällt deine Geschichte sehr gut, besonders ihre Symbolik. Die Gemütsverfassung des Paares spiegelt sich in der Landschaft. Denn die Wüste, die zu Recht Tal des Todes heißt, ist unfruchtbar, verdorrt - und so fühlt sich auch Majlen, die sich ein Kind wünscht und von David befruchtet werden will. Es ist die uralte Vorstellung von der Mutter Erde, der Archetypus Frau = Erde, der zum Beispiel eine Stelle im Koran prägt, wo es um das Verhältnis von Ehemann und Ehefrau geht, und wo an die Adresse der Ehemänner gesagt wird:

Eure Frauen sind euch ein Saatfeld; so naht eurem Saatfeld, wann und wie ihr wollt

Solch ein Saatfeld will auch Majlen sein. Sie will in ihrem Schoß endlich Samen, also Sperma von David empfangen, damit sie nicht unfruchtbar wie das Death Valley bleibt.

Menetekelhafte Verkörperung dieser wüstenhaften Unfruchtbarkeit, der Majlen entfliehen will, ist auch die Kellnerin:

bekamen wässrigen Kaffee von einer Frau ausgeschenkt, die aussah, als habe man ihrem Körper sämtliche Flüssigkeit entzogen

Das Kind, das noch nicht gezeugte, das Majlen sich von David so sehnlich wünscht, spukt gleichsam schon im Raume herum, als Geist, der sich in Majlens Schoß materialisieren will:

Daneben ein paar Stühle und weiter links, hinter dem Parkplatz, sah er eine Schaukel, die sich trotz Windstille hin und her bewegte, so als sei eben noch ein Kind darauf gesessen und mit dem letzten Schwung abgesprungen. Aber da war niemand.

Aber David ist ein Egoist, er will nicht Vater werden. Das Kind, das ihm von Majlen droht, erscheint ihm im Traum als Monster:

Was ist los, fragte er und sie stöhnte, es kommt raus, rief sie und er sah zwischen ihre Beine, da war überall Blut und noch mehr Schleim und etwas zwischen ihren Beinen zuckte, es zuckte und dann kroch es heraus, direkt aus ihrer Muschi und krächzte, es krächzte und spuckte Blut und statt Augen hatte es Fingernägel. Es wand sich und plumpste auf den Boden und dann sah es ihn mit seinen Fingernagelaugen an.

Er wünscht sich eine Freundin, die bereit ist, ihr Kind abzutreiben, also zu töten wie ein Kätzchen:

Dann hatte er in ihre Augen gesehen und sich vorgestellt, wie sie einem Kätzchen die Kehle durchschnitt. Auch das hatte gepasst.

Deine Geschichte hat es in sich!
Grüße
gerthans

 

Hallo gerthans

Auch mir gefällt deine Geschichte sehr gut, besonders ihre Symbolik.

Da bin ich grad mal erschrocken, weil ich fast gleichzeitig zu deinem Kommentar die überarbeitete Version eingestellt habe, in der einiges an Symbolik rausgestrichen wurde.

Aber dann habe ich mich um so mehr gefreut, dass fast alle Aspekte, die du ansprichst, noch immer in der Geschichte sind. So bin ich optimistisch, dass es mit gelungen ist, die wesentliche Symbolik drin zu behalten und das Ablenkende, Gekünstelte wegzustreichen.

Solch ein Saatfeld will auch Majlen sein. Sie will in ihrem Schoß endlich Samen, also Sperma von David empfangen, damit sie nicht unfruchtbar wie das Death Valley bleibt.

Und David denkt, es würde verdampfen, bevor es in ihr wäre!

Menetekelhafte Verkörperung dieser wüstenhaften Unfruchtbarkeit, der Majlen entfliehen will, ist auch die Kellnerin

Es freut mich ganz besonders, dass du das so gelesen hast.

Aber David ist ein Egoist, er will nicht Vater werden. Das Kind, das ihm von Majlen droht, erscheint ihm im Traum als Monster

Nur diese Stelle ist der Überabeitung zum Opfer gefallen. Der Gedanke, den du formulierst, ja den
wollte ich schon drin haben. Aber die Form des Alptraums hat nicht so recht gepasst. Schade eigentlich. :)

Deine Geschichte hat es in sich!

Freut mich sehr!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

ich finde die Geschichte noch besser als zuvor, auch die einbauten Rückblenden bzgl. der Alten, Haare rupfend auf dem Balkon, Gläser an die Wand werfend, ...

Sie liest sich sehr flüssig und kurzweilig, spart aber weiter nicht an Eindrücken, auch wenn du wohl viel Symbolik gestrichen hast ... Das wichtigste ist trotzdem irgendwie drin geblieben!
Mehr kann ich wohl nicht mehr beisteuern, meine Lesereindrücke hast du ja schon ;)

Beste Grüße,

schwarze sonne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo schwarze Sonne

Sind z.T. heikle Operationen gewesen und ich musste auch noch nachbessern. Manchmal kürzt man was weg, das es eigentlich unbedingt braucht, oder lässt was stehen, das isoliert gar keinen Sinn ergibt. Es freut mich daher sehr, dass du dir den Text noch mal angeschaut hast und danke für die erneute Rückmeldung.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Lieber Peeperkorn

ich hab schon eine Weile keine Geschichte mehr kommentiert, war irgendwie die Luft raus nach dem TdM. Also habe ich gelesen und genossen. Bzw. ein bisschen experimentiert, denn teilweise habe ich bloß die Komms überflogen und dann entschieden, ob ich ne Geschichte lesen will oder nicht und auch wann ich sie lesen will.
Deine neue Geschichte wurde so sehr gelobt, dass ich sie mir für eine "besondere" Stunde aufgehoben habe. Gestern Nacht war es dann soweit. Ich mach das nie wieder so. Nach all dem Lob habe ich wohl einfach zu viel erwartet und bin enttäuscht worden.
Dachte mir: symbolüberfrachtet, sprachlich angenehm zu lesen, wenngleich ich schon luzidere Texte von dir gelesen habe (zB die ganzen als-Sätze, die irgendein anderer schon moniert hat), Gespräche, die allzu karg sind... David, dessen Gedanken allzu oft gekennzeichnet werden (er dachte usw.)
Und dann noch das mit den Raben. Warst du schon mal im Hochsommer irgendwo im Süden auf dem Land? Da tragen die Leute auf dem Feld schwarze Kleider, weil die Farbe die Hitze abhält wie unter einer Glocke ... So ist das auch mit den Raben.
Na ja: und nach all dem, habe ich den Daumen über deiner Geschichte gesenkt...:thdown::D

Ist trotzdem eine gute Geschichte, war wohl mein Fehler, erst die Erwartung in den Himmel zu jagen.

Besonders gut gelungen, finde ich die Szene in der Wüste, als sie sich auf die Kühlerhaube legt... besonders fragwürdig die Hexenszene: der Teufel in Las Vegas, na ja ...
Ist jetzt natürlich auch meckern auf einem gewissen Niveau, schließlich ist es größtenteils brillant geschrieben...:Pfeif:

Mal schauen, was ich im Text finde:

Im Death Valley gibt es Steine, die wandern. Spuren zeigen den Weg, den sie zurückgelegt haben, zwanzig, dreißig Meter, manchmal mehr. Es muss der Wind sein, der die Brocken bewegt, doch niemand weiß, wie er das tut. Manche sagen, es geschehe nur, wenn es regne.
du beginnst mit symbolik und erklärst darin das ganze stück... bisschen esoterisch

als sei sie soeben erwacht.
hier der erste Satz mit als, es folgen noch viele andere..

Nun waren Radiohead in ihrem Kopf und würden ihn nicht wieder verlassen, bis der Urlaub vorbei war, das war sicher.
klingt komisch, müsste es nicht heißen: nun war radiohead in irhem kopef? besser noch der song, dann steht hier: sicher... würde ich weglassen, zwei sätze später machst du einen wunderbaren satz, in dem sicher wieder vorkommt...

„Scheiße, ist das heiß.“
„Findest du?“, sagte Majlen.
sehr gut: hier prallen sie aufeinander...

„Where are you going?“, fragte die Frau.
„Las Vegas“, sagte Majlen.
Die Frau blickte zur Decke, ein weißer Schleier überzog die Iris ihrer Augen. Vielleicht ist sie blind, dachte David. Aber wie hätte sie dann Kaffee servieren können?
Las Vegas sei kein guter Ort, sagte die Frau. Es sei besser, wieder umzukehren. Sie meine es ernst, da gebe es nichts zu grinsen.
da bist du wohl in die falle gegangen :D fängst mit englischem dialog an und ziehst es nicht durch, stattdessen indirekte rede :)

so als sei eben noch ein Kind darauf gesessen und mit dem letzten Schwung abgesprungen. Aber da war niemand.
hier bin ich unentschlossen, ob ich es gut oder aufgesetzt finde...

Der Wagen besaß eine Trennscheibe, dachte David, so wie bei diesen Taxis.
hier so ein beispiel für das "dachte er"... wenn die perpektive klar ist, brauchst du das nicht...

„Kristallwörter?“, fragte er schließlich. Kristallwörter waren auf den ersten Blick unauffällig.
kapier ich nicht dieses kristall-zeugs... jedenfalls ist es mir zu intellektuell...

„Gekritzel“, sagte sie. „Mein Großvater hat jeden Tag Briefe geschrieben. Im Jahr, bevor er starb. Er saß da, kerzengerade, mit ernstem Gesicht, beinahe feierlich. Und schrieb und schrieb.“
„An wen?“
„Es war nur Gekritzel, David. Wellenlinien. Seitenweise. Die Betreuer haben ‚gut gemacht‘ gesagt und ‚wir schicken es ab‘ und seine Schulter getätschelt. Danach haben sie's weggeworfen.“
sehr gut :thumbsup:

Majlen fuhr den Wagen weg von der Straße, Schotter knirschte unter den Reifen. Dann stoppte sie.
„Steig aus.“
„Bitte?“
„Du steigst jetzt aus.“ Sie löste den Sicherheitsgurt, griff nach einer Flasche, die auf dem Rücksitz hinter ihm lag, und warf sie ihm in den Schoß.
ff: beste passage

Er hatte sich vorgestellt, wie sie ihn küsste, und gespürt, wie sich seine Hoden sanft zusammenzogen, um ihre warme Zustimmung zu geben. Dann hatte er in ihre Augen gesehen und sich vorgestellt, wie sie einem Kätzchen die Kehle durchschnitt.
er hatte sich vorgestellt und hatte sich vorgestellt... wenig elegant ...

„Okay.“ Der Mann rümpfte die Nase, als David seinen Koffer auf die Rückbank wuchtete. Er setzte sich nach vorne, der Mann spuckte aus dem Fenster und fuhr los. David blickte in den Rückspiegel. Sanftes Morgenlicht, weiche Sandhügel, nicht zu dieser Welt gehörend. Nur die Steine hinterließen Spuren, in diesem Tal, das Gott aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. David lehnte sich zurück und schloss die Augen. In ein paar Stunden würde er in Las Vegas sein, dachte er. Und dort durfte der Teufel mit ihm tun, was er wollte.
da weiß ich auch nicht, was ich denken soll... gott und teufel durchschweifen den schluss, soll ich daran glauben?

Ich hab's gern gelesen, aber die Fragen (siehe oben) bleiben...
liebe Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Isegrims

Hab lieben Dank für deinen Kommentar.

Deine neue Geschichte wurde so sehr gelobt, dass ich sie mir für eine "besondere" Stunde aufgehoben habe. Gestern Nacht war es dann soweit. Ich mach das nie wieder so. Nach all dem Lob habe ich wohl einfach zu viel erwartet und bin enttäuscht worden.

Es tut mir leid, dass ich zu dieser Enttäuschung beigetragen habe. Auf der anderen Seite musst du dich auch selber an der Nase nehmen, denn bei den letzten beiden meiner Geschichten war das ja ähnlich, nicht? ;)

symbolüberfrachtet, sprachlich angenehm zu lesen, wenngleich ich schon luzidere Texte von dir gelesen habe (zB die ganzen als-Sätze, die irgendein anderer schon moniert hat ), Gespräche, die allzu karg sind... David, dessen Gedanken allzu oft gekennzeichnet werden (er dachte usw.)

Hab ich ein wenig experimentiert und will mich noch nicht auf einen Stil festlegen. Immer weiter gehen, hast du doch geschrieben. :) Okay, hat bei dir nicht funktioniert, ich werde versuchen, in nächsten Texten beides etwas dezenter einzusetzen. Aber ehrlich gesagt gefällt mir das grundsätzlich schon noch und einen übernüchternen So-ist-es-wirklich-und-poesie-ist-doof-Stil will ich dann auch nicht pflegen, das ist mir literarisch einfach zu trostlos. Aber ich nehm das auf alle Fälle mit.

Und dann noch das mit den Raben. Warst du schon mal im Hochsommer irgendwo im Süden auf dem Land? Da tragen die Leute auf dem Feld schwarze Kleider, weil die Farbe die Hitze abhält wie unter einer Glocke ... So ist das auch mit den Raben.

Das gilt für Vögel nur, wenn keine Windstille herrscht, soweit ich informiert bin. Bei wenig Wind ist Weiss besser. Vor allem scheint mir deine Begründung unpräzise zu sein. Schwarz absorbiert mehr Wärme als Weiss, strahlt aber auch mehr ab, hab ich gelesen.
Ganz abgesehen davon würde das ja bedeuten, dass sich Figuren in Geschichten über nichts mehr wundern dürfen, das man wissenschaftlich oder sonstwie erklären kann. Ich gäbe dir recht, wenn das eine völlig offensichtliche Tatsache betreffen würde. Aber es ist eben alles andere als offensichtlich.

du beginnst mit symbolik und erklärst darin das ganze stück... bisschen esoterisch

Ja, das kann schon etwas aufgesetzt wirken. Anderen hat gerade das besonders gefallen, aber ich geb deiner Meinung auf alle Fälle Gewicht.

klingt komisch, müsste es nicht heißen: nun war radiohead in irhem kopef?

Da habe ich lange dran rumüberlegt. Jetzt endlich gegoogelt. Wenn der Bandname im Singular steht (also Silbermond und nicht Die Ärzte) und nicht implizit die Bandmitglieder gemeint sind, dann gehört das in den Singular. Du hast also recht.

Auch das eine "sicher" werde ich streichen.

hier so ein beispiel für das "dachte er"... wenn die perpektive klar ist, brauchst du das nicht...

Andere dürfen, ich nicht? Scheint mir ziemlich gängig zu sein (ich meine bei den "Grossen"). Aber ich werde mich mal drauf achten. Und ich werde vielleicht das eine oder andere streichen.

EDIT: Ich habe es an der von der genannten Stelle gestrichen, da hast du wirklich recht, finde ich. Ansonsten kommt es im ganzen Text noch viermal vor.

Ich hab's gern gelesen, aber die Fragen (siehe oben) bleiben...

Und ich habe deinen Kommentar gerne gelesen, merci für die Auseinandersetzung und die ehrliche Meinung.

Lieber Gruss
Peeperkorn.

 

Lieber Peeperkorn

Deine neue Geschichte wurde so sehr gelobt, dass ich sie mir für eine "besondere" Stunde aufgehoben habe. Gestern Nacht war es dann soweit. Ich mach das nie wieder so. Nach all dem Lob habe ich wohl einfach zu viel erwartet und bin enttäuscht worden.
Es tut mir leid, dass ich zu dieser Enttäuschung beigetragen habe. Auf der anderen Seite musst du dich auch selber an der Nase nehmen, denn bei den letzten beiden meiner Geschichten war das ja ähnlich, nicht?
Ja: versprochen, deinen nächsten Text lese ich "jungfräulich" und kommentiere sofort :lol:


Hab ich ein wenig experimentiert und will mich noch nicht auf einen Stil festlegen. Immer weiter gehen, hast du doch geschrieben.
auf jeden Fall: nicht stehen bleiben, besser werden wollen, sich nicht zufrieden geben...
würde mir nichts an deinen Texten liegen, würden sie mir weniger gefallen, hätten sie nicht die Tendenz "groß" zu werden, wäre ich wohl weit weniger kritisch in den Anmerkungen... musste ich jetzt auch mal sagen :Pfeif::read::hmm:

viele Grüße
Isegrims

 
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Hallo Peeperkorn

(Habe deine Spuren seit längerem in meiner Leseliste und endlich komme ich dazu, ein paar Gedanken zurückzumelden.)

Du nimmst mich mit auf die Reise zweier Menschen deren Beziehung an einem dünnen gespannten Faden hängt und in der Hitze auf eine harte Probe gestellt wird, ohne Vorwarnung werden sie in einer Raumkapsel mit Lederinterieur ins Death Valley geworfen, Ziel Las Vegas - klar, Metapher für Hoffnung auf den Hauptgewinn - und müssen sich da in der Hitze bewähren.
Es gibt ja Leute die behaupten, es sei eine Illusion, dass die Natur menschliche Gefühle widerspiegelt, nichts weiter als ein billiger Trick zweitrangiger Schriftsteller zum Erzeugen von Stimmungen. Aber hei, wenn's funktioniert? :D


Was jetzt kommt, ist wirklich nur Mäkeln auf hohem Niveau:

Auf einem gelben Schild am Straßenrand stand, man solle die Klimaanlage ausschalten. Sie gehorchten.
Ja, ja, wir Schweizer sind gut erzogen und befolgen Vorschriften.:p
Aber trotzdem habe ich mir die ganze Zeit überlegt, warum? Warum soll man die Klimaanlage auschhalten? Das beschäftigte mich plötzlich mehr, als das Geschehen rund um David und Majlen. "Avoid Overheating" - steht ja auch noch auf den Schildern, dieser kleine Zaunpfahl hätte mir geholfen.

Er stützte sich an der Autotür ab und schloss die Augen.
„Scheiße, ist das heiß.“
„Findest du?“, sagte Majlen.
Im Innern [des Gebäudes] gab es einen Souvenirladen und ein winziges Restaurant.
Hier stolperte ich gleich mehrfach.
1. Würde er nicht eher die verbrannte Hand zurückreissen, als die Augen zu schliessen?
2. Sass Majlen noch im Wagen? Ich kann ihr "„Findest du?" nicht einordnen. Als Wink für ihr zeitweises Schmerzunempfinden wars mir dann auch zuwenig klar.
3. "Im Innern" assozierte ich mit dem Wagen.

Die Frau blickte zur Decke, ein weißer Schleier überzog die Iris ihrer Augen. Vielleicht ist sie blind, dachte David. Aber wie hätte sie dann Kaffee servieren können?
Erst beim zweiten Lesen erkannte ich, dass ihr Blick zur Decke nicht die Reaktion auf "Las Vegas" war, sondern dass sie immer so blickte. Das würde ich irgendwie vorher anbringen.

Daneben ein paar Stühle und weiter links, hinter dem Parkplatz, sah er eine Schaukel, die sich trotz Windstille hin und her bewegte, so als sei eben noch ein Kind darauf gesessen und mit dem letzten Schwung abgesprungen. Aber da war niemand.
Aha, jetzt geht die Reise in die Gruselecke - dachte ich, aber da kam nichts paranormales hinterher und deshalb frage ich mich im Nachhinein, weshalb lenkst du mich als Leser in diese Richtung? Gut, der Bezug zum Streitthema "Kinder" ist schon klar, aber weshalb diese Spielerei mit der wie von Geisterhand bewegten Schaukel?

Der Wagen besaß eine Trennscheibe, dachte David, so wie bei diesen Taxis. Nur dass sie links von rechts abtrennte, unsichtbar war und Majlen dabei half, ihr Programm durchzuziehen.
Ich weiss, was du damit ausdrücken willst und doch empfinde ich den Vergleich mit der Taxitrennscheibe zu schwerfällig und erzwungen. Dafür ist der Wink mit dem "Programm durchziehen" eine wichtige Information für den Leser. Hm, schwierig.

David hatte sich bemüht. „Die Golden Gate ist nebelfrei, schau mal.“ Keine Antwort. „Ich hätte nicht gedacht, dass Chinatown so groß ist.“ Keine Antwort. Er kam sich vor wie ein Vierjähriger,
WW
Was wäre, wenn du das geschwärzte mit einem "Nichts." ersetzen würdest?

Dann kam Furnace Creek, hohe Palmen umsäumten das Anwesen, eine Oase mitten im Staub. Majlen bremste ab.
Warum ist das wichtig, wenn darauf keine Reaktion erfolgt? Nur um David Zeit für seine Beobachtungen zu geben? Mir fehlt da was.

der Ort gehörte den Raben, die reglos im Schatten des Vordachs standen ...
'standen' klingt komisch. Ev. hockten, oder: der Hitze trotzten, irgendwie so halt.

Doch wenn man sie näher betrachtete, wenn man sie gegen das Licht hielt, sie ein paar Mal wiederholte, ganz schnell aussprach oder ganz langsam, wie ein Walkman, dessen Batterien zur Neige gehen, dann begannen sie auf einmal zu glitzern. Majlen war für die gedehnten Laute zuständig, er für die gezischten und gepressten.
Das ist jetzt wirklich pingelig, aber ich würde hier die Reihenfolge einhalten:
... ganz schnell aussprach oder ganz langsam ... => Er war er für die gezischten und gepressten Laute zuständig, Majlen für die gedehnten.
„Rhabarberkuchen“, sagte sie nach einigem Überlegen.

Von weitem sah die Oberfläche aus wie die spröde Haut eines menschlichen Ellenbogens.
What? Da gebe ich Holg und bernadette recht, das Bild will sich so gar nicht formen in meinem Kopf, stört mich sogar ein bisschen, darf also weg.

***

„Okay.“ Sie startete den Wagen und fuhr los. „Warum willst du keine Kinder?“
So, von jetzt an läufts wie geschmiert, da ist Fahrt drin, die Dialoge erhalten einen scharfen Klang und reissen mich als Leser so richtig mit. Und dann der Clou mit der Behauptung, sie sei unfähig, überhaupt Mutter zu sein.
„Ich weiß nicht, ob du eine gute Mutter sein kannst.“ Er atmete aus.
Da wolltest du ja noch mal darüber nachdenken, oder? :hmm:

Dann stieg sie auf die Kühlerhaube und setzte sich darauf.
Scheisse, die ist doch heiss, warum bleibt sie so ruhig ... ?

Sein Sperma würde verdampfen, bevor es rauskäme.
Scheisse, ist das heiss. :D

Sie beschlossen, nach Furnace Creek zurückzufahren und dort zu übernachten. David übernahm das Steuer. Sand war in den Camaro gedrungen, die Hitze hatte sich festgesetzt, das Leder stank.
Und Majlen sass seelenruhig auf ihrem wunden Arsch? Irgendwie löst sich mir hier die Situation zu schnell in Wohlgefallen auf.

„Du bist der faszinierendste Mensch, den ich kenne.“
„So eine verfluchte Floskel!“ Sie schlug mit der Hand aufs Wasser.
„Wenn du es so siehst.“ David ließ sich nicht beirren. „Ich denke, wir sollten warten.“
„Warten, worauf?“
„Bis es dir besser geht. Bis du stabiler bist“, sagte er.
Hier ist mir David komplett weggerutscht, dieser Typ hat doch keine Ahnung, was er selber will und klammert sich an die Illusion, bei Majlen den Schalter zu finden.

Und zum Schluss meine beiden Highlights:

„Baby.“
„Hattest du schon.“
„Ich weiß.“
Er schwieg, das Spiel war zu Ende.
Die erste Schlüsselszenen, kommt ohne Holzhammer und Zaunpfahl daher, sehr gut gemacht.

Es war ein gutes Lächeln, dachte er, sicher ein gutes Lächeln.
Ich muss es halt einfach noch mal betonen. Ganz starker Satz!

Einmal mehr ist dir eine recht unterhaltsame Geschichte gelungen, dennoch bleibt sie für mich trotz Überarbeitung teilweise erzwungen. Das liegt an den patetischen Einschüben, die sich nicht harmonisch ins Gesamtbild einfügen, sondern sich wie die Hauptstory unterbrechende Werbeeinblendungen anfühlen. Das klingt jetzt etwas hart, aber trifft es ganz gut.
Ich mach mal ein Beispiel:

„Las Vegas?“
„Okay.“ Der Mann rümpfte die Nase, als David seinen Koffer auf die Rückbank wuchtete. Er setzte sich nach vorne, der Mann spuckte aus dem Fenster und fuhr los. David blickte in den Rückspiegel. Sanftes Morgenlicht, weiche Sandhügel, nicht zu dieser Welt gehörend. Nur die Steine hinterließen Spuren, in diesem Tal, das Gott aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. David lehnte sich zurück und schloss die Augen. In ein paar Stunden würde er in Las Vegas sein. Und dort durfte der Teufel mit ihm tun, was er wollte.
Abgesehen, dass man als Beifahrer im Rückspiegel nur Blech sieht, verhält sich dieser phylosophische Einschub völlig diametral zu Davids Gefühlswelt. Aber das ist nur mein Empfinden, andere sehen das genau andersrum.

Ich finde es im Übrigen toll, wie du dich ausprobierst. Und dir dabei zuzusehen zu dürfen, das ist schon spannend. Betrachte mein Kekrittel deshlab wirklich nur als Anregung. Die Geschichte funktioniert, sie hat mich gut unterhalten und ich mag vor allem deinen direkten Schreibstil.

Gruss, dot

 
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Ciao dot

Es gibt ja Leute die behaupten, es sei eine Illusion, dass die Natur menschliche Gefühle widerspiegelt, nichts weiter als ein billiger Trick zweitrangiger Schriftsteller zum Erzeugen von Stimmungen.

Zweitrangiger Schriftsteller fände ich voll okay. :)

Im Ernst: Jetzt fällt doch auch noch der Begriff pathetisch, um zu bezeichnen, was ich da vorgelegt habe. Mit der grundsätzlichen Einschätzung stehst du aber nicht alleine da, und ich kann das auch gut nachvollziehen.

Ich weiss noch nicht, wie ich damit umgehen soll und schwanke zwischen: "Na gut, dann halt nicht, mach ich nie wieder." und "Man kann nicht allen gefallen." Beide Reaktionen sind naheliegend (und häufig anzutreffen), können mich aber in diesem Fall nicht zufriedenstellen. Einerseits finde ich es halt schon reizvoll, die Natur miteinzubeziehen und / oder die symbolische Ebene anzugehen. Andererseits denke ich, dass man solch gewichtige Einwände von Kommentatoren, deren Meinung ich sehr schätze, ernst nehmen muss. Auf alle Fälle werde ich solche Elemente in folgenden Geschichten reduzierter einsetzen. Es gilt wohl, die schmale Grenzen zwischen "eindrücklich" und "pathetisch" zu finden. Mir fällt da eine Passage ein, in der Joyce die Natur und dann ein Grab beschreibt und da gibt es Kreuze und Dornen und Speere (Christuspassion) und der Schnee fällt. Aber dennoch wirkt das alles sehr unaufdringlich.

Ich finde es im Übrigen toll, wie du dich ausprobierst. Und dir dabei zuzusehen zu dürfen, das ist schon spannend.

Das freut mich sehr. Will aber noch festhalten, dass ich mich jeweils nicht hinter einem "War ja nur ein Versuch" verstecken möchte. :)

Warum soll man die Klimaanlage auschhalten? Das beschäftigte mich plötzlich mehr, als das Geschehen rund um David und Majlen. "Avoid Overheating" - steht ja auch noch auf den Schildern, dieser kleine Zaunpfahl hätte mir geholfen.

Darauf hatte ich schon reagiert, die Stelle aber offenbar zu spät im Text angesetzt (Majlen sagt: "Der Motor wird nicht überhitzen") Ich habe das jetzt nach vorne genommen.

Hier stolperte ich gleich mehrfach.
1. Würde er nicht eher die verbrannte Hand zurückreissen, als die Augen zu schliessen?
2. Sass Majlen noch im Wagen? Ich kann ihr "„Findest du?" nicht einordnen. Als Wink für ihr zeitweises Schmerzunempfinden wars mir dann auch zuwenig klar.
3. "Im Innern" assozierte ich mit dem Wagen.

Habe ich geändert, jetzt steigen beide aus und David schliesst bloss die Augen. Im Innern des Gebäudes. Merci für den Hinweis.


Erst beim zweiten Lesen erkannte ich, dass ihr Blick zur Decke nicht die Reaktion auf "Las Vegas" war, sondern dass sie immer so blickte. Das würde ich irgendwie vorher anbringen.

Ich dachte das schon als Reaktion auf "Las Vegas". Die Szene ist ja auch nicht unumstritten. Die ist halt ein grosser Darling, da so ähnlich erlebt. Ich weiss, das ist kein Argument, aber ...

Aha, jetzt geht die Reise in die Gruselecke - dachte ich, aber da kam nichts paranormales hinterher und deshalb frage ich mich im Nachhinein, weshalb lenkst du mich als Leser in diese Richtung? Gut, der Bezug zum Streitthema "Kinder" ist schon klar, aber weshalb diese Spielerei mit der wie von Geisterhand bewegten Schaukel?

Tatsächlich ist das ein Überbleibsel aus Zeiten, da ich noch nicht genau wusste, wohin die Reise geht. Hatte noch so magischen Realismus geplant, dann aber fallen gelassen. Ich habe die Szene jetzt schweren Herzens gestrichen, er sieht bloss noch die Schaukel. Das muss genügen.

Ich weiss, was du damit ausdrücken willst und doch empfinde ich den Vergleich mit der Taxitrennscheibe zu schwerfällig und erzwungen. Dafür ist der Wink mit dem "Programm durchziehen" eine wichtige Information für den Leser. Hm, schwierig.

Hab ich gestrichen. Ich habe so lange daran gebastelt (weil ich den Vergleich witzig, aber auch schwerfällig fand), dass ich mich nicht überwinden konnte, ganz darauf zu verzichten. Jetzt habe ich es getan. Ich glaube, wenn man mit "so wie" und "nur dass" arbeiten muss, dann ist etwas nicht in Ordnung.


Was wäre, wenn du das geschwärzte mit einem "Nichts." ersetzen würdest?

Dann wäre das besser.

Warum ist das wichtig, wenn darauf keine Reaktion erfolgt? Nur um David Zeit für seine Beobachtungen zu geben? Mir fehlt da was.

Lass ich mal so. Wenn nach 40 Meilen Wüste endlich was kommt, das nicht gelb oder braun ist, dann bremst man automatisch ab und sieht sich das an.

'standen' klingt komisch. Ev. hockten, oder: der Hitze trotzten, irgendwie so halt.

Ja, die Vögel hocken jetzt. Auch die Reihenfolge beim Wortspiel ist geändert, sehr schöner Hinweis.

What? Da gebe ich Holg und bernadette recht, das Bild will sich so gar nicht formen in meinem Kopf, stört mich sogar ein bisschen, darf also weg.

Another Darling. Ist weg.

Und Majlen sass seelenruhig auf ihrem wunden Arsch? Irgendwie löst sich mir hier die Situation zu schnell in Wohlgefallen auf.

Majlen jammert jetzt.

Hier ist mir David komplett weggerutscht, dieser Typ hat doch keine Ahnung, was er selber will und klammert sich an die Illusion, bei Majlen den Schalter zu finden.

Genau!

Lieber dot, ganz herzlichen Dank für die genaue Lektüre und die ehrliche Rückmeldung, auch bzgl. Pathos. Ach ja, wegen der von dir zitierten Schlussszene: Da habe ich aus dem Rückspiegel einen Seitenspiegel gemacht, immerhin. Und genau, die "gute" Mutter, die habe ich noch vergessen. Ich hatte das mal geändert in "verlässliche" und dann in "Mutter, auf die man sich verlassen kann". Das ist sperriger, aber präziser. Doch dann dachte ich, dass David in dieser Situation gerade unpräzise reden soll. Das passt zu seinem Charakter und zu seinem Umgang mit Majlens Kinderwunsch. Jetzt steht halt wieder "gute" Mutter.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hey Peeperkorn,

unser Sandkorn-Gespräch hat mich zu deinem Text hier gebracht, den ich noch gar nicht gelesen habe. Und was soll ich sagen – jetzt weiß ich, was du meinst, also mit meinem kleinen Textversuch und deiner viel größeren Geschichte. So eine Fahrt durch das Tote Tal hinterlässt Spuren. Bei mir ist die Reise erst gute zwei Wochen her und das Gefühl, das ich bei dem Roadtrip hatte, noch ganz frisch. Deine Geschichte hat mir die Stimmung noch einmal näher rangeholt, das fand ich schön. Da sind so viele Sachen drin, die klein sind, fast nicht auffallen (das meine ich positiv, also eben, dass da nichts effekthascherisch ist), die Kalifornien/Nevada, also diesen Teil der USA sehr passend einfangen.

Dass die beiden zur großen Hitze durchs Valley fahren, ist in Anbetracht ihrer Situation, nicht weniger passend. Als ich dort war, war es angenehm warm, still und einfach nur befreiend. Es machte auch nicht einen völlig toten Eindruck, wie das vermutlich in der sengenden Sommerhitze der Fall ist. Deine Dialoge sind toll, am besten hat mir wohl der mit den Kristallwörtern gefallen. Allein schon wegen der Idee. In den Szenen, die dann folgen, hat mich die Beziehung der beiden an Djians Betty Blue erinnert. Ich habe David folgen können, habe seine Faszination verstanden, aber gleichzeitig habe ich mich unwohl gefühlt, weil Majlen auf mich toxisch wirkt. Ich habe selbst Erfahrungen gemacht mit einer Majlen, ob nun männlich oder weiblich ist ja total egal, und auch wenn von diesen Menschen eine Faszination ausgeht, sind sie doch dazu in der Lage, einen ganz schnell in ihre Dunkelheit mit reinzuziehen. Deshalb war ich am Schluss froh, für David, dass sie ihn im Motel zurückgelassen hat. Dann doch lieber der Teufel in Vegas ...

Sprachlich bin ich über nichts gestolpert, dass ich hier jetzt unbedingt verbessern will. Ich habe diese Geschichte einfach genossen.

Liebe Grüße
RinaWu

 
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Hey RinaWu

Welche Überraschung! Als ich den Text erwähnte, war ich mir ganz sicher, dass du ihn damals kommentiert hast. So herum ist's natürlich auch schön.

Da sind so viele Sachen drin, die klein sind, fast nicht auffallen (das meine ich positiv, also eben, dass da nichts effekthascherisch ist), die Kalifornien/Nevada, also diesen Teil der USA sehr passend einfangen.

Da haben die Wortkrieger aber auch geschüttelt und gerüttelt am Text, bis das Effekthascherische endlich raus war. (Einige finden, es habe noch immer genug drin) Ich hab glaub nie so viel gekürzt wie bei diesem Text. Viele viele tote Darlings, sag ich dir.

Dass die beiden zur großen Hitze durchs Valley fahren, ist in Anbetracht ihrer Situation, nicht weniger passend.

Ja, da habe ich damals dran gearbeitet. Setting. Inneres und Äusseres miteinander verknüpfen. Super, wenn's passt.

In den Szenen, die dann folgen, hat mich die Beziehung der beiden an Djians Betty Blue erinnert.

Witzig. Darauf hat mich auch ernst offshore aufmerksam gemacht und mir das Buch ans Herz gelegt. Ich habe es daraufhin gelesen und war begeistert.

Ich habe David folgen können, habe seine Faszination verstanden, aber gleichzeitig habe ich mich unwohl gefühlt, weil Majlen auf mich toxisch wirkt. Ich habe selbst Erfahrungen gemacht mit einer Majlen, ob nun männlich oder weiblich ist ja total egal, und auch wenn von diesen Menschen eine Faszination ausgeht, sind sie doch dazu in der Lage, einen ganz schnell in ihre Dunkelheit mit reinzuziehen.

Ja, da steckt auch ein Spur Autobiographie drin. David kam übrigens bei einigen Lesern ebenfalls nicht so gut an, was ich gut nachvollziehen kann.

Sprachlich bin ich über nichts gestolpert, dass ich hier jetzt unbedingt verbessern will.

Da bin ich froh drüber, der Text ist ja mittlerweile gedruckt (entwürfe 82/2016), da kann man nichts mehr ändern. Also höchstens so für mich, aber das wäre irgendwie schräg. :D

Ich habe diese Geschichte einfach genossen.

Das freut mich riesig!

Schön, dass du reingeschaut hast. In drei Wochen können wir uns in echt übers Death Valley unterhalten. Wie toll ist das denn?

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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