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Schwalbensommer

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07.09.2014
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Schwalbensommer

Zuerst schrie Nicole die Katze des Nachbarn an. Aber die fühlte sich gar nicht gemeint, so ungerührt, wie sie ihre Pfote leckte. Zu Recht. Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte. Überall verstreut lagen die Brocken des zerplatzten Nestes, dazwischen die kleinen Leiber. Hoch oben unter dem Dachüberstand klebten dunkle Ränder an der Fassade, dort wo wochenlang die Schwalbeneltern ein- und ausgeflogen waren. Auch jetzt umflatterten sie die Stelle, als gäbe es dort noch etwas zu tun. Sonst war es still im Garten.
Vielleicht war das Nest abgerissen, als sie ihren Mann beim Frühstücken beobachtet hatte. Oder eben erst, während sie gepackt hatte. Langsam setzte sie den Koffer ab.
Eines der Küken drehte den Kopf ein wenig, zuckte mit den Flügelansätzen. Und dann noch eins.
„Oh, nein“, murmelte Nicole. „Ihr habt doch gar keine Chance.“ Aber als die Katze aufstand, sich dehnte und auf den Weg machte, stürzte sie zu den beiden Überlebenden und nahm sie hoch. Ihr Gewicht war kaum spürbar, nur die winzigen Krallen kitzelten auf der Haut, als sie sich in ihre Handkuhle duckten, die Augen geschlossen, die grauweißen Federn wie Flusen. Nicole schien es, als könnte sie ihren Schock fühlen, die Betäubung nach dem Aufprall aus fünf Metern Höhe.

Mit dem Ellbogen drückte sie die Klinke der Hintertür auf und rief nach ihrem Mann. Aus seinem Büro kam keine Reaktion. Nachdem sie mehrfach gegen die Tür getreten hatte, riss er sie auf, Kopfhörer um den Hals geklemmt. Seine Augen lagen noch tiefer in den Höhlen als sonst.
„Was gibt’s? Bist du fertig mit Packen?“
Dann sah er, was sie in den Händen hielt.
„Aha. Die Katze.“
„Nein, das Nest ist abgestürzt. Da liegen noch drei tote Küken.“
„Ja und jetzt?“
Sie wollte wieder irgendwo gegentreten, schreien, aber das kleine Leben in ihren Händen vertrug keine weitere Erschütterung.
„Haben wir irgendeinen Karton? Die Eltern flattern da noch rum. Vielleicht füttern sie sie noch.“
„Jetzt hast du sie ja schon angefasst.“
„Ja, weil die Katze da rumläuft. Was hätte ich denn machen sollen?“
„Die Katze hätte das Problem gelöst.“
Jetzt schrie sie doch: „Dann geh halt wieder in deine Butze!“
„Gut.“ Er schloss die Tür.

In einen Erdbeerkarton legte sie Brocken des Nestes, damit es vertrauter wirkte. Dabei ekelte sie sich vor den Maden und kleinen, schwarzen Käfern, die sich im Lehm bewegten. Dann stellte sie den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze. Die Küken saßen eng aneinandergedrückt, vielleicht froren sie. Nicole stand zweifelnd davor, holte ein Handtuch, um sie abzudecken, nahm es wieder weg, damit die Vogeleltern ihre Küken finden könnten.
Wieder einmal dachte sie an Julian. Eigentlich war es nicht der heutige Julian, den sie vermisste, sondern der Schuljunge, für den das eine aufregende Sache gewesen wäre. Er wäre losgesaust, Fliegen fangen, hätte recherchiert und ihr ständig von seinen Ergebnissen berichtet. Aber Julian war jetzt schon ein halbes Jahr in Rostock. Sie machte ein Foto und schickte es ihm, mit der Unterschrift: “Rettungsaktion für abgestürzte Schwalbenbabys“.
Als sie den Küken nachmittags mit der Pinzette Fliegen hinhielt, sperrte das eine den gelben Schnabel auf und nahm die Fliege an. Das andere blieb verkrümmt sitzen, den Schnabel geschlossen, was ihm einen beleidigten Ausdruck gab. Der kleine Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Von Zeit zu Zeit zuckten beide, schüttelten sich und schlugen mit den Flügeln. Nicole ersetzte die Lehmbrocken im Karton durch Küchenkrepp und brachte ihn ins Badezimmer. Abends lag ein Küken regungslos da. Über seine Augen hatten sich dünne Häutchen gezogen. In ihre Traurigkeit schob sich ein Gedanke: Wären doch bloß beide gleich mit dem Aufprall gestorben. Doch dann legte das zweite Küken den Kopf in den Nacken, sperrte den Schnabel auf und piepste um sein Leben.

„Nur fürs Protokoll: Erst willst du abhauen, weil du es unerträglich findest, dass ich einen gebrauchten Zahnstocher auf dem Tisch liegenlasse. Und jetzt bleibst du doch, weil du mich brauchst, um ein Schwalbenbaby zu retten.“ Thomas stand mit verschränkten Armen an der Spüle gelehnt.
„Ich bleibe, weil ich das Schwalbenbaby retten will. Was du dazu tust, bleibt dir überlassen.“
„Nimm es doch mit zu deiner Schwester.“
„Wo soll ich denn da bitte Fliegen fangen?“
„Was ist mit Regenwürmern? Körnern?“
„Fressen Schwalben nicht. Das muss was sein, was gerade noch geflogen ist.“
„Aha, und wie stellst du dir das morgen vor, wenn du Dienst hast?“
„Ich frage Nina. Ich sage ihr, dass du zwar da bist, aber dass du mit dem Küken nichts zu tun haben willst.“
„Du willst mich als Arschloch hinstellen.“
„Was soll ich denn machen?“
Wie er sich zusammenriss, durchatmete.
„Ruf doch im Tierheim an.“
„Hab ich schon.“
„Und?"
„Ich soll das Küken unter einen Busch setzen. Andere Tiereltern hätten auch Kinder.“
Er lachte auf.
„Wusste ich, dass dir das gefällt“, sagte sie.

Die Welt war fliegenfrei, morgens um sechs. Zum Verzweifeln fliegenfrei. Mit der Klatsche in der einen und einem Glas in der anderen Hand lief Nicole durch den Garten, suchte den Fenchel ab, die Kiwi, die sich über der Pergola wölbte.
Im Badezimmer piepste das Küken, seit Nicole aufs Klo gegangen war. Obwohl sie sich leise herangeschlichen hatte, hatte es sofort seinen Kopf unter dem Flügel hervorgezogen und losgelegt. Sein Betteln hatte sie dazu gebracht, in Nachtshirt und Shorts nach draußen zu stürzen, wo sich heute ein heißer Tag ankündigte. Im Gewächshaus, in dem in diesem Jahr nur ein paar Tomatenpflanzen vertrockneten, fing sie eine einzige Fliege. Zugleich hofften dort viele Spinnen in ihren Netzen auf Beute, genau wie die Schwalben hoch oben am Himmel, alle schienen zu warten und Nicole wartete heute mit ihnen.
Eine halbe Stunde später lag die weiße Hauswand in der Sonne und jetzt saßen sie da, schwarze, fette Brummer, benommen von der Nacht und noch viel zu träge, um sich zu retten, wenn die Klatsche auf sie niederging. Und sie, die schon manche Fliege behutsam durch das Fenster nach draußen geleitet hatte, zählte triumphierend die Leichen in ihrem Glas.

Thomas putzte sich die Zähne, während sie fütterte. Sobald sich die Pinzette mit der Fliege näherte, erhöhte das Küken die Piepsfrequenz, reckte den halbnackten Hals, schluckte zweimal und riss den Schnabel wieder auf.
„Das wäre was für Julian gewesen“, sagte sie.
„Hat der sich noch mal gemeldet?“
„Ich habe ihm ein Foto von dem Küken geschickt.“
„Und?“
„Daumen hoch und Smiley.“
„Aha.“
„Willst du nochmal gucken, wie das mit der Pinzette geht?“
„Nee, das kriege ich gerade noch hin.“

Leichter wurde es mit den Heimchen aus der Zoohandlung. Sie lebten in einer Plastikdose, wurden zwei Stunden tiefgefroren, dann schnitt Nicole die Beine ab, wegen der Widerhaken. Mittags, wenn die Sonne richtig knallte, war es Zeit für die grün glänzenden Mistfliegen. Thomas ließ die Hintertür offenstehen, trank in der Küche Kaffee, während sie einflogen, und erlegte sie, wenn sie sich vorne an der Fensterscheibe gefangen hatten. Das Küken schluckte alles und riss nach jedem Bissen den Schnabel wieder auf. Irgendwann würde es mehr verlangen. Flugstunden. Unterricht im Jagen. Das, was nur Schwalbeneltern bieten konnten. Über Google fand Nicole Frau Witte.

Kilometerweit zogen sich neben der Autobahn die Flächen mit den Solarpanelen hin. Dazwischen vertrocknete Felder. Während sich das Küken auf ihrem Schoß in Dauerschleife eingepiepst hatte, dozierte Thomas über effektiven Altruismus. „Was wir hier machen, ist genau das Gegenteil. Vier Stunden Autofahrt für einen Vogel. Die Kosten, den CO2-Ausstoß und unsere Zeit musst du da mal gegenrechnen. Und morgen frisst du wieder dein Hühnchen. Das kommt auch noch dazu.“
„Die Stunde ist rum“, sagte sie. “Hältst du mal beim nächsten Parkplatz?“
Sie hatten das Kunstnest im Karton als Reisebox zweckentfremdet, nachdem es seinen eigentlichen Sinn nicht erfüllt hatte, den Rückführungsversuch zu den Eltern. Obwohl das Küken den ganzen Tag aus Leibeskräften gepiepst hatte, waren sie, vier Tage nach dem Absturz des Nestes, nicht mehr erschienen. Stattdessen war Nicole stündlich zum Füttern auf die Leiter geklettert. Also Plan B. Frau Witte betrieb ihre Wildvogelauffangstation ein Stück hinter Hamburg. Die Autobahn vor ihnen flirrte in der Hitze. Nicole bestand darauf, die Klimaanlage nur minimal zu nutzen, damit das Küken keinen Zug bekam. Thomas widersprach nicht, obwohl die Haare in seinem Nacken klatschnass waren. Vielleicht war er auch nur erschöpft von dem, worüber sie schwiegen. Sie war erschöpft. In den letzten Tagen hatte sie den Kulturbeutel und ein paar T-Shirts wieder ausgepackt.
An der Raststätte fotografierte sie Thomas, wie er dem Küken eine Fliege hinhielt, erwischte den Moment, wo es den Schnabel weit aufgerissen hatte und ihn anzusehen schien. Als er schief in die Kamera lächelte, drückte sie nochmal auf den Auslöser.
„Hier sind wir schon mal gewesen“, sagte er, während sie die Fotos an Julian schickte. Unterschrift: Raubtierfütterung.
„Hm?“
„Hier an der Tankstelle waren wir schon mal, damals, als wir zu Westernhagen gefahren sind.“
„Westernhagen, das ist ja ewig her. Da kannten wir uns doch noch kaum. Und da haben wir auch hier gehalten? Dass du dich an die Tankstelle erinnerst.“
„Da vorne beim Eingang hast du gestanden und mit deiner Freundin gequatscht, mit dieser … - na egal, wie die hieß. Du hast gesagt: Der Typ sieht aus wie ein Schwein, aber ich krieg' nen nassen Schlüpfer, wenn ich mich dahin setze, wo der gesessen hat.“
„Was?!“
„Ja, das hast du damals über mich gesagt. Zu der – wie hieß die noch?“
„Das muss Gabi gewesen sein. Hat die das gleich weitergeplappert, oder was?“
„Nö, ich stand auf der anderen Seite vom Regal. Ich hab's gehört.“
„Und da bist du heute noch gekränkt.“
„Na, wie man's nimmt, der zweite Teil von dem Satz war ja in Ordnung.“
Sie prustete los.
„Keine Ahnung, ob ich das echt gesagt habe. Bist du sicher? Hast du mir nie erzählt.“
„Nee?“
„Außerdem lag ich ja mit dem Schwein gar nicht so falsch. Wenn man bedenkt, wie du dich dann verhalten hast.“ Sie schob einen Lacher hinterher, aber zu spät.
„Nicht schon wieder.“ Er gab ihr den Karton mit dem Küken rüber und ließ den Motor an.
„Was soll das denn heißen, „nicht schon wieder“? Wann habe ich denn das letzte Mal davon geredet? Vor zehn Jahren vielleicht.“
„Ich bin zurückgekommen.“ Er setzte zurück.
„Ja, aber da konnte Julian schon ganze Sätze reden.“
„Ich bin wiedergekommen. Ich bin geblieben. Ich bin mit zu deinem Therapeuten gegangen.“
„Zweimal, dann nicht mehr.“
„Das war öfter.“
„Nein.“
„Doch, und es hat nichts gebracht.“ Er trat aufs Gaspedal.
„Dir hat es nichts gebracht.“
„Das ist verdammt lang her. Ich war damals einfach nicht so weit. “
„Ich auch nicht. Und ich konnte mich nicht verpissen. Jetzt ras doch nicht so.“
„Ich will heute nochmal irgendwann ankommen.“
„Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, deine tolle WG mit deinen Mädels, und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“
„Das hatten wir alles schon mal.“
„Oh, sorry, sorry, dass ich dich langweile!“
Sie biss die Zähne zusammen und sah aus dem Fenster. Das Küken piepste und sie dachte, dass sie zu wenig Fliegen mitgenommen hatten. Dann hörte sie ein zweites Geräusch. Von Thomas. Er pfiff ein leises, nervöses Lied.
„Alles klar?“, schnappte sie. „Soll ich dich ablösen mit dem Fahren?“
„Alles klar“, sagte er. Die Autobahn wurde voller und er wechselte mehrmals die Spur. Ihr Kleid klebte am Körper. Das Licht tat weh in den Augen, sodass sie die Sonnenbrille aufsetzte.
„Weißt du was?“, sagte er schließlich.
„Was?“
„Manche Dinge sind einfach kaputt. Da lässt sich nichts mehr machen. Da kann man sich abstrampeln, wie man will.“
„Du hast dich abgestrampelt?“
„Ja.“

Kurz nachdem sie die Autobahn verlassen hatten, machte das Navi schlapp. Zuerst funktionierte es noch sporadisch, aber irgendwann erschien nur noch die Anzeige „Suche GPS-Signal“. Das Kartenmaterial im Seitenfach war veraltet. Nicole fragte, was mit dem Navi los sei. Thomas erklärte was mit Linux, dass das mit dem Update nicht funktioniert hatte, aber sie hörte nicht richtig hin und er brach ab. „Wieso fragst du dann überhaupt?“ Das Küken bekam die letzte Fliege. Sie zog den Deckel des Kartons etwas tiefer, damit es schlief und seine Energien sparte, aber es piepste unter dem Deckel weiter. Julian schickte wieder einen Daumenhoch-Smiley. Sie fuhren umher, sie schwitzten, fragten an zwei Tankstellen, schienen sich in Spiralen dem Zielort zu nähern. Die Dörfer, durch die sie fuhren, wurden immer leerer, wirkten unecht in der grellen Sonne. Ein Junge, der an einer Bushaltestelle saß, aktivierte sein Smartphone und hielt es ihnen vor die Nase, aber sobald sie weiterfuhren, hatten sie schon wieder die Hälfte vergessen. Als Nicole sich gerade fragte, ob sie bis zum Ende ihres Lebens mit ihrem Mann und einem verhungernden Küken im Kreis herumfahren würde, fanden sie das Ortsschild, das sie suchten. Eine alte Frau erklärte umständlich den Weg aus dem Dorf hinaus zu dem Hof. Sie stritten sich von Kreuzung zu Kreuzung, zuletzt darüber, ob der schmale Weg rechts als Straße zählte. Schließlich bogen sie dort ein, doch der Weg verengte sich immer weiter und endete auf einem Acker, zwischen Korn und Knick. Thomas legte schwer atmend seinen Kopf auf die Nackenstütze.
„Das Küken klingt leiser“, sagte sie, „irgendwie entkräftet.“
Er stöhnte auf: „Ich hör das auch, ich bin nicht taub.“
Das Navi mischte sich ein: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“

Als sie ausstiegen, sahen sie es, ein Stück weiter, hinter Bäumen: ein rotes Hausdach.
„So“, sagte er, „wir nehmen jetzt den Vogel und gehen zu Fuß. Liefern ihn ab und kümmern uns dann um das Auto.“
„Sollten wir nicht lieber ...“
„Ich will das jetzt abliefern und gut. Schließ den Wagen ab.“
Er nahm den Karton und lief los.
„Warte.“ Sie riss ihre Tasche mit dem Portemonnaie vom Rücksitz. „Warte!“, rief sie ihm nach, aber er drehte sich nicht um, stapfte unbeirrt weiter in den Wald. Stolperte und fiel hin. Sie schrie auf.
„Bleib da!“, rief er. “Es ist hier irgendwo, nicht dass du drauftrittst. Es ist ein Stück weggeflattert.“
„Siehst du es denn?“
„Nein, im Moment noch nicht.“
„Toll, ganz toll!“, brüllte sie. „Aber du musstest ja losrennen!“
„Halt die Klappe!“
„Wo willst du das denn hier im Gestrüpp finden? Jetzt haben wir es versaut. Das war's. Jetzt kann es hier verhungern oder gefressen werden!“
„Sei still, verdammt nochmal, sei endlich still!“
Sie hielt inne, sah ihm zu, wie er sich mühsam aufrichtete, das Gesicht verzog. Seine Hose war dreckig am Knie.
„Bist du verletzt?“
„Nein. Psst.“ Er hob die Hand. Es knackte leise im Wald. Sie lauschten, versuchten auf dem Waldboden etwas zu erkennen. Übelkeit stieg in ihr auf. Dieses Küken hatte so um sein Überleben gekämpft. Thomas zog ein Taschentuch heraus und wischte den Schweiß von der Stirn.
„Okay“, sagte er, “wir suchen jetzt hier jeden Quadratzentimeter ab. Am besten durchkämmen wir die Stelle von dem Baum da aus. Weiter kann es nicht gekommen sein.“
„Durchkämmen“, sagte sie.
„Ja, durchkämmen.“
Vorsichtig setzten sie einen Schritt vor den anderen, schoben Farn und Blätter zur Seite. Sie fragte sich, ob sie es überhaupt spüren würde, das Küken unter ihrem Schuh, hockte sich hin, watschelte so weiter, bis ihre Oberschenkelmuskeln brannten. Thomas ging gebückt.
„Es ist bestimmt schon tot“, sagte sie.
„Da ist es doch!“ Er lachte.
Es saß, perfekt getarnt, in einem Blätterhaufen. Als Nicole es auf die Hand nahm, wickelte es seine Kralle um ihren Finger, guckte und piepste leise.
„Es lebt!“ Sie richtete sich lächelnd auf. Thomas machte eine Bewegung, als wolle er seine Hände um ihre legen. Dann hielt er inne und wandte sich ab.
„Ich hole den Karton.“

Sie näherten sich dem Gebäude von hinten, wie Diebe. Und genauso sahen es offenbar auch die beiden Hofhunde, die ihnen bellend entgegensprangen. Bis eine Stimme sie stoppte.
„Rico, Hermann! Aus! Hierher!“
Eine große Frau mit braunen Locken hielt ein Handy in der Hand und winkte mit der anderen.
„Kommen Sie ruhig, ich sperr die beiden ein. Einen Moment, ich telefoniere gerade noch.“
Sie schob die Hunde hinter den Zaun, schloss das Tor und zeigte auf eine Bank, neben einer großen Voliere, während sie ziemlich genau dasselbe Telefonat führte wie mit Nicole einige Tage vorher: „Nein, auf keinen Fall extra Wasser, die Fliegen reichen völlig aus ... Es läuft rückwärts, weil es versucht den Kot abzusetzen … Ja, sie hängen das Hinterteil normalerweise über die Nestkante ... Wie lange ist das her? … Dann würde sich ein Rückführungsversuch zu den Eltern lohnen … Doch, nach zwei Tagen klappt das meistens noch … Wo kommen Sie denn her?“
Sie saßen nebeneinander und warteten. Das Küken war still und Nicole hatte Angst, es würde doch noch sterben, nur weil diese Frau so lange telefonierte.

In der Mitte der Scheune stand, wie eine Insel, eine alte Couchgarnitur. Nester klebten unter den Balken und Schwalben flogen umher. In der Ecke eine schmale Tür. Frau Witte lief lachend und redend voraus.
„Wundern Sie sich nicht über das Chaos in meiner Küche. Das war heute der zwanzigste Anruf. Ich komme zu nichts anderem.“
Hinter der Küche, in einem weiteren Raum, standen lauter kleine gestrickte Höhlen auf einem Tisch. Als Nicole das Küken überreichte, fing es leise an zu piepsen und sie dachte an den Tag, als sie Julian zum ersten Mal in die Krippe gebracht hatte. Sie hoffte so sehr, dass die Frau lächelte, dass sie sah, wie besonders dieses Küken war.
Die Brille auf die Nasenspitze geschoben, sodass sie darüber hinwegschauen konnte, leuchtete Frau Witte mit einer kleinen Lampe unter die Flügel, betastete das Küken ausführlich, untersuchte den Hals und nickte.
„Da haben wir also eine kleine Mehlschwalbe. Das passt wunderbar. Ich werde sie zu meinem anderen Neuzugang setzen, der wird sich freuen. Eine Schwalbe zum Ankuscheln ist doch viel schöner als eine Wärmelampe.“
„Meinen Sie, sie hat eine Chance?“
„Aber sicher. Sie wirkt zwar etwas schlapp, ist aber unversehrt.“
Hinter ihr atmete Thomas aus.

In der Küche überbrühte Frau Witte tiefgefrorene Heimchenleiber mit kochendem Wasser und gab sie in ein Sieb zum Abtropfen. Thomas hatte sein Bein hochgelegt und trug wenig zum Gespräch bei, aber Nicole hatte das Bedürfnis, alles noch einmal genau zu erzählen.
„Das ist noch nie passiert. Wir haben da seit Jahren Schwalben an der Stelle. Aber es war wochenlang so heiß, wahrscheinlich ist der Lehm irgendwie ausgetrocknet und dann ist es abgerissen.“
Frau Witte schüttelte den Kopf.
„Es liegt meistens an Parasiten. Es gibt weniger Insekten, deshalb können die Eltern nicht mehr in der dichten Frequenz füttern wie früher. Eigentlich wäre das nicht so schlimm, nur brauchen die Jungen länger, um sich zu entwickeln. Die Sommer werden wärmer. Und wenn dann ein paar heiße Tage kommen, dann vermehren sich die Parasiten, die immer im Nest sind, explosionsartig und fressen die Küken bei lebendigem Leibe auf. Oft stürzen die sich sogar in Panik aus dem Nest. Und in Ihrem Fall haben sie wohl so herumgezappelt, dass das Nest abgerissen ist.“
Nicole erinnert sich an das Gewimmel in den Lehmbrocken. „Heißt das, das passiert jetzt öfter?“
Frau Witte nickte.
„Ich habe immer Bauwannen mit Stroh unter meinen Nestern stehen. Wenn das erste Küken rausstürzt, fällt es ins Stroh und ich kann sofort reagieren.“
Auf der Fensterbank regte sich etwas. Direkt neben der Spüle, auf der sich das Geschirr türmte, trippelte ein Vogel, dessen lange Beine im rechten Winkel zur Seite abgeknickt waren. Frau Witte lächelte.
„Eine Bachstelze. Eigentlich ist sie schon eine alte Oma, aber im vorigen Jahr ist sie gerne noch draußen ihre Runden geflogen.“
„Sie leben richtig mit den Vögeln zusammen.“
„Bis letzte Woche hatte ich hier in der Küche sogar eine Rabenkrähe, die musste vier Wochen lang eine Schiene am Bein tragen. Da musste ich mir echt was einfallen lassen, das sind so hochintelligente Vögel, die kriegen Depressionen, wenn sie sich langweilen. Am Ende habe ich ihr sogar Xylophonspielen beigebracht, mit dem Klöppel im Schnabel.“
„Nein, echt? Und jetzt?“
„Ist sie wieder ausgewildert.“
Thomas lachte. „Was für ein Aufriss. Ehrlich, wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Ganze dem Lauf der Natur überlassen.“ Er sah Nicoles Blick. „Ist so.“
Frau Witte füllte die Heimchenrümpfe in eine Schüssel um.
„Wenn man nicht die Zeit hat, das durchzuziehen, ist das auch die bessere Lösung. Das ist viel Aufwand das stündliche Füttern, sich informieren, das kann nicht jeder. Wenn man es falsch macht, verlängert man nur unnötig das Leiden. So, nun wollen wir den kleinen Kerl mal stärken.“
Nicole lief hinter ihr her.
„Im Grunde war es Zufall, dass wir uns kümmern konnten. Unser Sohn wollte für ein paar Tage kommen. Wir hatten uns die Zeit extra freigeschaufelt. Und dann hat er kurz vorher abgesagt, weil er für seine Klausuren lernen muss. “
„Oder was man auf Erstsemesterpartys so lernt“, rief Thomas aus der Küche, worauf Nicole gezwungen lachte.
Frau Witte griff die Heimchen mit der Pinzette, schaute über ihren Brillenrand und bediente abwechselnd die beiden aufgesperrten Schnäbel.
„Na, die zwei scheinen sich ja gut zu verstehen“, murmelte sie.
„Frisst es?“, rief Thomas.
„Kann man wohl sagen.“
„Na super, dann haben wir den heißesten Tag des Jahres wenigstens nicht umsonst auf der Autobahn verbracht.“
„Jetzt komm doch mal gucken. Das ist so süß“, sagte Nicole.
„Ich glaube es auch so.“ Er trank einen Schluck Wasser.
„Soll ich Sie gleich nochmal herumführen?“, fragte Frau Witte.
Nicole sah Thomas in der Küche abwehrend fuchteln.
„Ja, gerne“, sagte sie.

Der Geruch von fünf verschiedenen Fliegenzuchten vermischte sich mit dem Duft aufgeschnittener Apfelsinen im Vorzimmer des Überwinterungszimmers. Im Päppelraum war der Boden mit einem dichten Teppich von einer nichtfliegenden Fliegensorte bedeckt, für vorübergehend flugunfähige Vögel, die dort umherhüpften. Sie hörten Geschichten von neurologischen Störungen bei Meisenküken durch Insektizide, von abgerissenen Schwalbennestern bei Bauvorhaben und von Glasfronten an prämierter Architektur, die zur tödlichen Falle wurden.
Schließlich gelangten sie zu einer großen Voliere voller Ziervögel. „Eigentlich nehme ich nur Wildvögel auf, aber das war eine Notaufnahme. Die waren in einem erbärmlichen Zustand und wurden beschlagnahmt.“ Sobald sie die Voliere betraten, klebte ein Wellensittich auf Nicoles Fuß, ließ sich eine Weile mitnehmen, flog dann auf ihre Schulter und schmiegte sich an ihren Hals. „Auch aus einem Tierheim. Ich habe ihn Pepe genannt. Der arme Kerl ist fehlgeprägt auf Menschen, der ist so penetrant, in jedem normalen Haushalt würden sie ihn nach einem halben Tag an die Wand schmeißen.“ Pepe flatterte weiter und hängte sich vorne an das rechte Glas von Thomas Sonnenbrille. „Passen sie beim Rausgehen auf, dass er nicht durch die Schleuse mitkommt. So einen Leckerbissen würden sich die Krähen nicht entgehen lassen.“ Sie wandte sich dem Ausgang zu. Nicole sah ihren Mann an, der mit unbewegtem Gesicht dastand, während der Vogel zärtlich an seiner Augenbraue knabberte.

 
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Liebe @Chutney

die Geschichte habe ich gern gelesen. Der Konflikt zwischen dem Zyniker und der selbsterklärten Weltretterin ist aktuell. Wenn die Zeit nur noch fürs Anhäufen von Kapital (geistig oder wirtschaftlich) ‚investiert‘ wird, dann werden solche Gesten selten oder sind nur noch Ausdruck der Lust, sich zu zerstreuen, zu prokrastinieren. Sinngemäß: „Der Zyniker kennt von allem den Preis, aber nicht den Wert“ (englischer Autor, glaube Wilde).
Strukturell haben ja viele andere schon Hinweise gegeben. Ich mag den Ton, das eher Zurückhaltende deiner Erzählweise. Trotzdem finde ich diese Erzählweise auch noch etwas ungeschliffen. Natürlich trotzdem solide.. Kannst ja mal ein bisschen bei anderen Autoren schauen, wie die ähnliche erzählerische Situationen lösen.
Mal ein paar Stellen, die mir aufgefallen sind:

Nicole hörte das Blut in ihren Ohren rauschen.

Das würde ich streichen. Hat zwar einen gewissen Effekt, ist aber auch nicht ganz sauber. Ist es wirklich so leise, dass sie ihr Blut rauschen hört, oder will mir die Autorin damit etwas sagen? Du hast da auch einen Kontrast gesetzt, indem nicht ganz klar wird, wessen Blut, das von Nicole oder den Vögeln, da eigentlich rauscht. Das ist an sich handwerklich gut, hier aber für meine Begriffe grundsätzlich einfach nicht nötig und damit zu viel. Wenn du auf: es ist still im Garten endest - ist es doch gut.

Vielleicht war es geschehen,

Würde den ganzen Absatz mit Bestimmtheit schreiben. Bin mir ziemlich sicher, dass es dadurch stärker werden würde. Sie erinnert sich glasklar an diesen Moment, denn er hat sie ja auch aufgewühlt.

Eins von den Küken am Boden drehte den Kopf ein wenig, zuckte mit dem, was mal Flügel werden sollten. Und dann noch eins.
„Oh, nein“, murmelte Nicole. „Ihr habt doch wirklich überhaupt keine Chance.“ Aber als die Katze aufstand, sich dehnte und auf den Weg machte, stürzte sie zu den beiden Überlebenden und nahm sie hoch.

Nach „drehte den Kopf ein wenig, zuckte“ würde ich den Satz beenden und dann mit der Katze weitermachen. Das „zuckte mit dem, was Flügel werden sollte“ passt m. E. nicht zur übrigen Erzählperspektive, fühlt sich wie ein Eingeiff des Erzählers an, der erklärt, warum das jetzt tragisch ist. Auch der Monolog Nicoles wirkt etwas künstlich. Hast du da mal einen Personalen Erzähler versucht?

und rief nach ihrem Mann.

Das „ihr Mann“ empfinde ich sehr als Tell. Und zu ‚lazy‘ wie Jimmy neuerdings sagt hehe. Das könntest du auch in Dialog zeigen. Es zu erwähnen ist zu einfach.

Thomas hatte sich in seinem Büro vergraben

Das „sich im Büro vergraben“ ist so floskelhaft. Das könntest du aufbrechen.

Neuerdings setzte er Kopfhörer auf

Und das hier ist doch ein passendes Detail. Er könnte mit den Kopfhörern und den Papierstapeln ja fast etwas von einem Tiefseetaucher haben.

Aha. Die Katze?

Ohne Fragezeichen wäre cool, dann ist es mehr so eine Feststellung, die seine gleichmütige Haltung noch mehr zum Ausdruck bringt und dass er eh immer alles schon weiß

Ja und jetzt? Da kann man wohl nicht viel machen

Hier würde ich das „ja und jetzt?“ weglassen

Sie wollte wieder irgendwo gegentreten, ihn anschreien, irgendwas,

Das kam mir zu plötzlich, auch wenn es später mehr Sinn macht. Hier wirkt es fast etwas melodramatisch

Jetzt schrie sie doch: „Dann geh halt wieder in deine Butze!“
„Gut.“ Er schloss die Tür.

Kürzer?
Jetzt schrie sie doch und er schloss die Tür hinter sich.

Er schloss die Tür.

Sie nahm


Im nächsten Absatz dann vielleicht nicht wieder mit dem Personalpronomen beginnen.

Ungeziefer, das im Lehm umherkroch

Im Lehm? Wo ist denn da Lehm? :0
Im Nest etwa?

Rettungsaktion für abgestürzte Schwalbenbabys

Da könnte ich mir etwas Originelleres vorstellen. Z. B. Rettungsaktion für abgestürzte Nachwuchspiloten
Oder so ähnlich :p

was ihm einen beleidigten Ausdruck gab

Verlieh

Der kleine Brustkorb hob und senkte sich hektisch

Das Adjektiv ist hier schon ein bisschen ‚lazy‘, oder? :p
Hier kann ein Vergleich kommen oder du benutzt ein Verb, dass diese Nuance miteinfängt. Ansonsten würde ich hektisch einfach streichen.

Das erstmal soweit. Wie gesagt, gern gelesen.
Bis bald, Chutney :-)
Carlo

 

Liebe @Chutney,

die Komposition des Textes, die zweite Ebene, die du einfügst (Schwalben, Flüggewerden des Sohnes, der Stellvertreter-Kampf um einen Rest an Liebe zwischen den beiden), gelingt. Der Text bezaubert, ich lasse mich vom Herzenswärme der Kükenflüsterin mitziehen. Über weite Strecken trägt das den Text, lässt den Sog entstehen, den's schon braucht, um dem ganzen Fliegenschiss zu folgen.

Kritisch sehe ich zwei Punkte: Die Figurenzeichnung: den Scheißegaltypen, der so schwach wirkt, sich mitziehen lässt, keinerlei Rückgrat zu haben scheint, über weite Strecken blass bleibt, vielleicht blass bleiben soll, auch wenn da was durchschimmert, über das ich gern mehr erfahren hätte, das ihm auch mehr Würde verliehen hätte. Die Lichtgestalt der Vogelherbergsmutter, die so ehrlich guttierisch gezeigt wird, dass ich kaum glauben kann, dass sie mehr als eine erdachte Kunstfigur ist. Die Glaubwürdigkeit des Geschehens: fährt die wirklich nicht in den Urlaub wegen des Kükens? Na ja: und die Katze natürlich. Hey, die kommt doch auch auf ne Mauer drauf.
Vielleicht kannst du das eine oder andere Füllwort streichen, aber sonst passt Sprache und Inhalt gut und elegant zusammen, auch die Dialoge klingen natürlich.

Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.
warum sollte sie es auch gewesen sein?

hr Gewicht war kaum spürbar, nur die winzigen Krallen kitzelten auf der Haut, als sie sich in ihre Handkuhle duckten, die Augen geschlossen, die grauweißen Federn wie Flusen. Nicole schien es, als könne sie ihren Schock fühlen, die Betäubung nach dem Aufprall aus fünf Metern Höhe.
Bist du sicher, dass die den Sturz überleben? Ich hatte letztes Jahr Amselküken im Garten. Bei den ersten Flugversuchen knallte ein Küken gegen die Fensterscheibe und war sofort tot.

Jetzt schrie sie doch: „Dann geh halt wieder in deine Butze!“
„Gut.“ Er schloss die Tür.
Butze?

Doch dann legte das zweite Küken den Kopf in den Nacken, sperrte den Schnabel auf und piepste um sein Leben.
schönes Bild

„Ich frage Nina. Ich sage ihr, dass du zwar da bist, aber dass du mit dem Küken nichts zu tun haben willst.“
„Du willst mich als Arschloch hinstellen.“
„Was soll ich denn machen?“
hier ein Beispiel für eine Dialogstelle, die einiges zwischen die Zeilen legt

Im Gewächshaus, in dem in diesem Jahr nur wenige Tomatenpflanzen vertrockneten, fing sie eine einzige Fliege. Zugleich hofften dort viele Spinnen in ihren Netzen ebenfalls auf Beute, genau wie die Schwalben hoch oben am Himmel, alle schienen zu warten und Nicole wartete heute mit ihnen.
diesen Blick auf die Spienneperpektive finde ich sehr gelungen

Willst du nochmal gucken, wie das mit der Pinzette geht?“
„Nee, das kriege ich gerade noch hin.“
Beispiel für unnötige Füllewörter

Das Küken schluckte alles und riss nach jedem Bissen den Schnabel wieder auf. Irgendwann würde es mehr verlangen. Flugstunden. Unterricht im Jagen.
Denkt sie das oder denkt das die Autorin, um es unterzubringen.

Obwohl das Küken den ganzen Tag aus Leibeskräften gepiepst hatte, waren sie, vier Tage nach dem Absturz des Nestes, nicht mehr erschienen.
die Amseleltern bei mir im Garten haben sich vom Kükentod auch nicht beeindrucken lassen.

der Typ sieht aus wie ein Schwein, aber ich krieg' nen nassen Schlüpfer, wenn ich mich dahin setze, wo der gesessen hat.“
krass :D

„Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, deine WG, wo ihr euer dreckiges Geschirr einfach in die Badewanne gestellt habt, ha wie lustig. Und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“
willst du sagen, dass sie ihn mit dem Baby allein gelassen hat, echt?

„Manche Dinge sind einfach kaputt. Da lässt sich nichts mehr machen. Da kann man sich abstrampeln, wie man will.“
„Du hast dich abgestrampelt?“
„Ja.“
gute Stelle

Die Dörfer, durch die sie fuhren, wurden immer leerer, wirkten unecht in der grellen Sonne.
schreit nach einem Vergleich

„Warte.“ Sie riss ihre Tasche mit dem Portemonnaie vom Rücksitz. „Warte!“, rief sie ihm nach, aber er drehte sich nicht um, stapfte unbeirrt weiter in den Wald. Stolperte und fiel hin. Sie schrie auf.
„Bleib da!“, rief er. “Es ist hier irgendwo, nicht dass du drauftrittst. Es ist ein Stück weggeflattert.“
„Siehst du es denn?“
„Nein, im Moment noch nicht.“
„Toll, ganz toll!“, brüllte sie. „Aber du musstest ja losrennen!“
„Halt die Klappe!!!“
glaube, das mit Flattern wird nichts, rennt eher davon, das Küken

„Sie leben richtig mit den Vögeln zusammen.“
„Bis letzte Woche hatte ich hier in der Küche sogar eine Rabenkrähe, die musste vier Wochen lang eine Schiene am Bein tragen. Da musste ich mir echt was einfallen lassen, das sind so hochintelligente Vögel, die kriegen Depressionen, wenn sie sich langweilen. Am Ende habe ich ihr sogar Xylophonspielen beigebracht, mit dem Klöppel im Schnabel.“
„Nein, echt? Und jetzt?“
echt jetzt? Vogelschule?

„Soll ich Sie gleich nochmal herumführen?“, fragte Frau Witte.
Nicole sah Thomas in der Küche abwehrend fuchteln.
„Ja, gerne“, sagte sie.
n Bier in die Hand drücken, dann kommt er schon mit

und von Glasfronten an prämierter Architektur, die zur tödlichen Falle wurden.
reicht auch ein normales Fenster. Zumindest für meine Amselküken.

Nicole sah ihren Mann an, der mit unbewegtem Gesicht dastand, während der Vogel zärtlich an seiner Augenbraue knabberte.
und jetzt: Schweinsgesicht? Höschenreaktion?

viele Grüße aus dem Vogelparadies der Nachtgedanken
Isegrims

 

@Friedrichard

Aber ich sach ma', trau Dich, Traudel, wir Poeten müssen zusammenhalten,
Das ist sehr großzügig von dir, lieber Friedel! ;)
Danke fürs erneute Reinschauen und eine schöne Woche!
Liebe Grüße von Chutney


Lieber @Carlo Zwei ,

toll, dass dir der Text insgesamt gefallen hat. Du hast noch einmal ganz genau hingeschaut, gerade, was das Sprachliche betrifft. Da habe ich einiges umgesetzt. Danke dafür!

Der Konflikt zwischen dem Zyniker und der selbsterklärten Weltretterin ist aktuell.
Ja, ich wollte auch einen Konflikt aufgreifen, der durch die Ambivalenz in unserem Umgang mit Tieren entsteht.
Eigentlich hat sie ja nur die Schwalbe im Blick, während er das durchaus in größerem Zusammenhang sieht und damit argumentativ ja auch recht hat. Die Leute machen einen Hype um sowas wie den Eisbären Knuth und ansonsten so weiter wie bisher, egal was mit den Eisbären in der Arktis ist. Ich glaube, dass sie ihn da gar nicht widerlegen kann und will, sie will die Schwalbe retten.
Das er so zynisch rüberkommt und sie in ihrer Rettungsmission auch was Selbstgerechtes hat, hat auch was mit ihren Rollen, ihrer Geschichte zu tun. So hatte ich es jedenfalls beim Schreiben im Kopf.

Ich mag den Ton, das eher Zurückhaltende deiner Erzählweise. Trotzdem finde ich diese Erzählweise auch noch etwas ungeschliffen. Natürlich trotzdem solide.. Kannst ja mal ein bisschen bei anderen Autoren schauen, wie die ähnliche erzählerische Situationen lösen.
Da arbeite ich dran. Ich empfinde meine Sprache auch nicht als besonders brilliant. Gerade mit Vergleichen, mit originellen, sprachlichen Ideen tue ich mich schwer.

Nicole hörte das Blut in ihren Ohren rauschen.
Das würde ich streichen. Hat zwar einen gewissen Effekt, ist aber auch nicht ganz sauber. Ist es wirklich so leise, dass sie ihr Blut rauschen hört, oder will mir die Autorin damit etwas sagen? Du hast da auch einen Kontrast gesetzt, indem nicht ganz klar wird, wessen Blut, das von Nicole oder den Vögeln, da eigentlich rauscht. Das ist an sich handwerklich gut, hier aber für meine Begriffe grundsätzlich einfach nicht nötig und damit zu viel. Wenn du auf: es ist still im Garten endest - ist es doch gut.
Dass das Blut von den Vögeln rauschen soll, finde ich jetzt doch ein bisschen weit hergeholt. Wie sind ja nicht bei @Proof. :D Andererseits stimmt es, dass es schon echt heftig sein muss mit der Aufregung, damit man was hört. Also bin ich deinem Vorschlag gefolgt.:)

Vielleicht war es geschehen,
Würde den ganzen Absatz mit Bestimmtheit schreiben. Bin mir ziemlich sicher, dass es dadurch stärker werden würde. Sie erinnert sich glasklar an diesen Moment, denn er hat sie ja auch aufgewühlt.
Da verstehe ich nicht ganz, was du meinst. Mit "war es geschehen", meine ich ja den Abriss des Nestes. Und sie weiß da nicht sicher, wann das passiert ist.

Nach „drehte den Kopf ein wenig, zuckte“ würde ich den Satz beenden und dann mit der Katze weitermachen. Das „zuckte mit dem, was Flügel werden sollte“ passt m. E. nicht zur übrigen Erzählperspektive, fühlt sich wie ein Eingeiff des Erzählers an, der erklärt, warum das jetzt tragisch ist. Auch der Monolog Nicoles wirkt etwas künstlich. Hast du da mal einen Personalen Erzähler versucht?
Ich habe jetzt mal geschrieben "zuckte mit den Flügelansätzen". Irgendwie habe ich das Bedürfnis, dieses Küken relativ genau zu beschreiben. Es spielt ja eine wichtige Rolle.
Der Monolog würde vielleicht natürlicher wirken, wenn ich statt "murmelte Nicole", "dachte Nicole" schreiben würde, aber ich bin mir nicht sicher. Ich dachte übrigens irgendwie, das Ganze wäre "personaler Erzähler". :shy:

und rief nach ihrem Mann.
Das „ihr Mann“ empfinde ich sehr als Tell. Und zu ‚lazy‘ wie Jimmy neuerdings sagt hehe. Das könntest du auch in Dialog zeigen. Es zu erwähnen ist zu einfach.
Der Mann ist ja schon vorher eingeführt, ich finde, das muss ich jetzt nicht nochmal raffiniert in einen Dialog verpacken, dass der Mann im Haus ihr Ehemann ist. Außerdem sagt es auch ein bisschen was über Nicole, die gerade abhauen will, aber in dieser Situation als Erstes nach ihrem Mann ruft.

Thomas hatte sich in seinem Büro vergraben
Das „sich im Büro vergraben“ ist so floskelhaft. Das könntest du aufbrechen.
Das stimmt. Die Szene habe ich ein bisschen verändert:
Mit dem Ellbogen drückte sie die Klinke der Hintertür auf und rief nach ihrem Mann. Aus seinem Büro kam keine Reaktion. Neuerdings benutzte er Kopfhörer. Nachdem sie mehrfach gegen die Tür getreten hatte, riss er sie auf. Seine Augen lagen noch tiefer in den Höhlen als sonst.
Besser?

Aha. Die Katze?
Ohne Fragezeichen wäre cool, dann ist es mehr so eine Feststellung, die seine gleichmütige Haltung noch mehr zum Ausdruck bringt und dass er eh immer alles schon weiß
Gute Idee.

Ja und jetzt? Da kann man wohl nicht viel machen
Hier würde ich das „ja und jetzt?“ weglassen
Das wiederum wäre mir jetzt zu trocken, zu abgehackt.

Sie wollte wieder irgendwo gegentreten, ihn anschreien, irgendwas,
Das kam mir zu plötzlich, auch wenn es später mehr Sinn macht. Hier wirkt es fast etwas melodramatisch
Das habe ich jetzt dreimal gekürzt und wieder zurückverändert. Ja, sie ist da etwas hysterisch. Ich überlege nochmal.

Jetzt schrie sie doch: „Dann geh halt wieder in deine Butze!“
„Gut.“ Er schloss die Tür.
Kürzer?
Jetzt schrie sie doch und er schloss die Tür hinter sich.
Och, das finde ich eigentlich auch schon knapp genug. Und ich mag den Ausdruck Butze.

[/QUOTE]Im nächsten Absatz dann vielleicht nicht wieder mit dem Personalpronomen beginnen.
[/QUOTE]

Habe ich verändert. Danke.

Ungeziefer, das im Lehm umherkroch
Im Lehm? Wo ist denn da Lehm? :0
Im Nest etwa?
Ein Schwalbennest besteht aus Lehm.

Rettungsaktion für abgestürzte Schwalbenbabys
Da könnte ich mir etwas Originelleres vorstellen. Z. B. Rettungsaktion für abgestürzte Nachwuchspiloten
Oder so ähnlich :p
Ich überlege. Aber so wahnsinnig originell muss das ja nicht sein.

was ihm einen beleidigten Ausdruck gab
Verlieh
"gab" finde ich irgendwie knackiger, "verlieh" klingt sehr konventionell.

Der kleine Brustkorb hob und senkte sich hektisch
Das Adjektiv ist hier schon ein bisschen ‚lazy‘, oder? :p
Hier kann ein Vergleich kommen oder du benutzt ein Verb, dass diese Nuance miteinfängt. Ansonsten würde ich hektisch einfach streichen.
Mal so ein kleines Adjektiv darf schon sein, finde ich. Das Hektische zeigt halt, dass das Küken am sterben ist.

Das erstmal soweit. Wie gesagt, gern gelesen.

Vielen Dank, lieber Carlo Zwei, du hast mir nochmal gute Hinweise für den Feinschliff gegeben.

Liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Chutney,

schön, dass du etwas mit diesen Versatzstücken anfangen konntest.

Da verstehe ich nicht ganz, was du meinst. Mit "war es geschehen", meine ich ja den Abriss des Nestes. Und sie weiß da nicht sicher, wann das passiert ist.

es ging mir um das Wort "vielleicht" :p Dass sie einen langen Moment innehalten muss, um das zu rekonstruieren, und dass sie eben nicht mit Bestimmtheit sagt, wie es war.

Ich dachte übrigens irgendwie, das Ganze wäre "personaler Erzähler".

so ganz zu trennen ist das ja auch nicht. Was ich meine: wie wäre es, ganz auf diese Art von Monolog zu verzichten (also mit Gänsefüßchen und Markierung der wörtlichen Rede) und noch mehr Nicole das erzählen lassen. Beispiel:

Eins der Küken am Boden drehte den Kopf, zuckte mit den Flügelansätzen. Dann noch eins. Nicole starrte eine Zeitlang, bis sie wie aus einer Trance erwachte. Sie musste etwas unternehmen. Diese Babys hatten doch keine Chance. Der nächste Fahrradfahrer oder schlimmer noch ... ihr Blick wanderte zu Schnorrer, der sie von unten mit geneigtem Kopf taxierte, langsam setzte er sich in Bewegung.

Der Mann ist ja schon vorher eingeführt, ich finde, das muss ich jetzt nicht nochmal raffiniert in einen Dialog verpacken, dass der Mann im Haus ihr Ehemann ist.

Da hast du schon recht. Hatte ich auch überlegt. Naja, egal.

Mit dem Ellbogen drückte sie die Klinke der Hintertür auf und rief nach ihrem Mann. Aus seinem Büro kam keine Reaktion. Neuerdings benutzte er Kopfhörer. Nachdem sie mehrfach gegen die Tür getreten hatte, riss er sie auf. Seine Augen lagen noch tiefer in den Höhlen als sonst.

Besser?


Ja, finde ich schon. Das mehrfach gegen die Tür treten hört sich noch ein bisschen nach Karatekid 3 an :lol:, ansonsten find ichs gut.

Ein Schwalbennest besteht aus Lehm.

:idee:

Ich überlege. Aber so wahnsinnig originell muss das ja nicht sein.

nee, das musst du entscheiden.

Liebe Grüße und bis bald

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Chutney,

ich habe diese Geschichte gerne gelesen. Das Thema sagt mir zu, die Situation ist komisch im positiven Sinne. Da trennt sich ein Paar, und ein Schwalbennest macht der Trennung einen Strich durch die Rechnung - eine reizvolle Ausgangssituation. Der erwartete Kitsch am Ende ist dabei zum Glück ausgeblieben.

Ich finde, Du kannst gut schreiben, die Dialoge sind durch ihren Realismus stellenweise fantastisch. Rechtschreibfehler habe ich keine entdeckt, allerdings einige Unstimmigkeiten. Bitte habe Verständnis dafür, dass diese nicht immer sortiert sind, ich bin im Text gelegentlich hin- und hergesprungen:

Es war still im Garten.

Aber die Eltern flattern doch, hört man das nicht? Man sollte dieses Geräusch ausschließen.

Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.

Wer dann? Die Frage ergibt an dieser Stelle keinen Sinn, denn ich hatte jetzt die Erwartungshaltung, dass es nun um die Ermittlung des Täters geht, der das Nest heruntergerissen hat - oder so.

Vielleicht war es geschehen, als sie ihren Mann beim Frühstücken beobachtet hatte.

Was geschehen? Das ist unnötig allgemein, mach es konkret.

Oder eben erst, während sie packte.

Während sie den Koffer im Haus packte oder den Koffer in das Auto packte?

Nicole schien es, als könne sie ihren Schock fühlen, die Betäubung nach dem Aufprall aus fünf Metern Höhe.

Ich finde, es ist ein ziemlich konstruierter Gedanke, die Betäubung eines Vogels fühlen zu können.

Die Katze hätte das Problem gelöst.“

Woher weiß der Mann, dass noch Küken leben, hat er schon mal das Nest gesehen? Er weiß ja nur, dass drei Küken tot sind. Die Anzahl der Küken hätte vorher schon beschrieben werden müssen, ich kam hier ziemlich durcheinander.

Dabei ekelte sie sich vor dem Ungeziefer, das im Lehm umherkroch, stellte schließlich den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze.

Das hört sich an, als erledigt sie das im Anschluss an den Ekel.

Wieder einmal dachte sie an Julian.

Ist das ihr Mann? Der wurde uns namentlich noch nicht vorgestellt. Ein wenig später glaubte ich kurz, dass das ihr Schulfreund (Exfreund?) sei.

Abends lag ein Küken regungslos da. Über seine Augen hatten sich dünne Häutchen gezogen. In ihre Traurigkeit schob sich ein Gedanke: Wären doch bloß beide gleich mit dem Aufprall gestorben.

Habe hier übrigens nicht erkannt, dass hier der endgültige Tod beschrieben wird.

Als sie den Küken nachmittags mit der Pinzette Fliegen hinhielt,

Woher kommen die Fliegen denn? Das wird später ausführlich erklärt, verschiebe das hiervor.

Wo soll ich denn da bitte Fliegen fangen? Hier ist wenigstens direkt die Kuhwiese.“

Aha. :)

„Ich frage Nina. Ich sage ihr, dass du zwar da bist, aber dass du mit dem Küken nichts zu tun haben willst.“
„Du willst mich als Arschloch hinstellen.“

Extrem guter Dialog und meiner Meinung nach die stärkste Stelle in Deiner Geschichte. Der Konflikt ist hier gut ausgearbeitet.

Wie er sich zusammenriss, durchatmete.

Ist das eine Bewunderung? Ich kann mit dem Satz wenig anfangen. Hat sie erwartet, dass er sich nicht zusammenreißt?

Thomas putzte sich die Zähne, während sie fütterte.

Sie füttert die Vögel also auch im Badezimmer? Das muss man sich so zusammenreimen, mach es deutlicher. Ich käme glaube ich nicht auf die Idee, Vögel im Badezimmer zu füttern. Setzt die sich auf die Toilette oder steht sie? Wo stellt die den Karton ab, in die Badewanne? Ich stelle mir das etwas umständlich vor.

Über Google fand Nicole, was sie brauchte. Sie fand Frau Witte.

Dopplung "fand".

Sie hatten das Kunstnest im Karton als Reisebox zweckentfremdet, nachdem es seinen eigentlichen Sinn nicht erfüllt hatte, den Rückführungsversuch zu den Eltern. Obwohl das Küken den ganzen Tag aus Leibeskräften gepiepst hatte, waren sie, vier Tage nach dem Absturz des Nestes, nicht mehr erschienen. Stattdessen war Nicole stündlich zum Füttern auf die Leiter geklettert. Also Plan B. Frau Witte betrieb ihre Wildvogelauffangstation ein Stück hinter Hamburg.

Sie brauchte doch angeblich schon vorher Frau Witte, warum kommen erst jetzt die Erläuterungen für diesen Bedarf?

der Typ sieht aus wie ein Schwein,
aber ich krieg' nen nassen Schlüpfer, wenn ich mich dahin setze, wo der gesessen hat.

Ich glaube fast, es liegt an mir, aber ich verstehe den Satz nicht. Sie ist sexuell erregt, wenn sie sich da hinsetzt, wo ein Typ saß, der wie ein Schwein aussieht? Vielleicht stehe ich auch einfach auf dem Schlauch ...

„Nö, ich stand auf der anderen Seite vom Regal. Ich hab's gehört.

Bis dahin dachte ich, dass die draußen vor einem einfachen Toilettenhäuschen stehen. Dann taucht das Regal plötzlich auf, und ich musste mich komplett umorientieren.

Er gab ihr den Karton mit dem Küken rüber und ließ den Motor an.

Und jetzt sind die plötzlich wieder im Auto.

Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, deine WG, wo ihr euer dreckiges Geschirr einfach in die Badewanne gestellt habt, ha wie lustig. Und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“

Hier habe ich den Text erstmals überflogen, kürze das gegebenenfalls ab.

Ein Junge, der an einer Bushaltestelle saß, aktivierte sein Smartphone und hielt es ihnen vor die Nase, aber sobald sie weiterfuhren, hatten sie schon wieder die Hälfte vergessen.

Hat etwas gedauert, bis ich begriff, was der jetzt gemacht hat. Erst habe ich gedacht, dass er ein Foto machen will (ggf. mit der Schwalbe), das assoziiere ich jedenfalls mit "Smartphone vor die Nase halten".

Weg verengte sich immer weiter und endete auf einem Acker, zwischen Korn und Knick. Thomas legte schwer atmend seinen Kopf

Was heist "Korn und Knick"?

„Das Küken klingt leiser“

Bin mir nicht sicher, ob Küken klingen können.

Er stöhnte auf: „Ich hör das auch, ich bin nicht taub.“

Passt irgendwo nicht so ganz, bin mir aber unsicher.
"Hörst du, dass es leiser wird?
"Ja, ich bin nicht taub."
Falls Du damit kein Problem hast, lass es so stehen.

„Okay“, sagte er, “wir suchen jetzt hier jeden Quadratzentimeter ab.

Was? Woher der Sinneswandel? Und woher der Sinneswandel der Frau?

„Wundern Sie sich nicht über das Chaos in meiner Küche. Das war heute der zwanzigste Anruf.

Zählt sie etwa mit oder woher weiß sie das so genau?

Thomas lachte. „Was für ein Aufriss. Ehrlich, wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Ganze dem Lauf der Natur überlassen.

Noch ein Sinneswandel?!

Nicole sah ihren Mann an, der mit unbewegtem Gesicht dastand, während der Vogel zärtlich an seiner Augenbraue knabberte.

Das Ende war mir etwas zu gestreckt, dafür, dass gefühlt nichts hinsichtlich der Beziehung passiert ist. Aber wenigstens kein Kitsch! :)

Viele Grüße

Ephraim

 

Hallo @Chutney,

dein Challenge-Beitrag hat mir sehr gut gefallen. Große Dramen spielen sich ab, die du wunderbar miteinander verknüpfst und zu einem großen Ganzen machst. Man bekommt relativ schnell mit, dass nicht alles kaputt ist in dieser Beziehung und irgendwann wird aus der Kükenrettung auch eine Eherettung.

Du schreibst sehr sicher, ich hätte hier ewig weiterlesen können, und die Dialoge empfand ich wie aus dem Leben gegriffen. Auch die Figuren mochte ich: Nicole, die sich von ihrem Herzen leiten lässt vs. Thomas, der Nüchterne, der Kosten gegenrechnet und sich an ihr erstes Aufeinandertreffen erinnert. Dazwischen die Vogelretterin, mega, was man da alles erfährt. Du lässt die drei aufeinander treffen und die Dinge passieren einfach.

Ein großes Lob auch noch zu deinem Show don´t tell. Das machst du wirklich sehr gut!

Ich lasse dir jetzt meine Gedanken zu ein paar Textstellen da und beginne mit einer Frage zur Erzählperspektive. Ich bin nicht wirklich gut darin die zu unterscheiden, fühlte mich aber während des Lesens von einem personalen Erzähler geleitet. Wenn dem so ist, dann wäre aber diese Stelle nicht richtig, denn die scheint mir auktorial zu sein:

Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.


Auch jetzt umflatterten sie die Stelle, als gäbe es dort noch etwas zu tun. Es war still im Garten.

Für mein Empfinden beißen sich Stille und flatternde Vögel.

Wieder einmal sehnte sie sich nach Julian. Eigentlich war es nicht der heutige Julian, den sie vermisste, sondern der Schuljunge,

Gefällt mir gut, wie du den Sohnemann einführst und auch gleich eine Andeutung über das Mutter-Sohn-Verhältnis machst.

Das andere blieb verkrümmt sitzen, den Schnabel geschlossen, was ihm einen beleidigten Ausdruck gab.

Traurige Stelle zwar, aber sehr schön gezeigt.

Obwohl sie sich leise herangeschlichen hatte, hatte es sofort seinen Kopf unter dem Flügel hervorgezogen und losgelegt. Sein Betteln hatte sie dazu gebracht, in Nachtshirt und ...

Bisschen viel »hatte«. Vielleicht aus dem zweiten »hatte hervorgezogen« ein »zog hervor und legte los« machen?

Und sie, die schon manche Fliege behutsam durch das Fenster nach draußen geleitet hatte, zählte triumphierend die Leichen in ihrem Glas.

Schwalbenmama :thumbsup:


reckte den halbnackten Hals, schluckte zweimal und riss den Schnabel wieder auf.

halb nackten

„Willst du nochmal gucken, wie das mit der Pinzette geht?“
Als er schief in die Kamera lächelte, drückte sie nochmal auf den Auslöser.
„Ich will heute nochmal irgendwann ankommen.“
„Sei still, verdammt nochmal, sei endlich still!“
„Soll ich Sie gleich nochmal herumführen?“, fragte Frau Witte.

Duden empfiehlt: noch mal

... Heimchen aus der Zoohandlung. Sie lebten in einer Plastikdose, wurden zwei Stunden tiefgefroren, dann schnitt Nicole die Beine ab ...

Ich habe Heimchen mal gegoogelt. Sind auch Speiseinsekten, das ist ja so … Mich schüttelts immer noch, wenn ich dran denke. IIIIIgitt ;)

Du hast gesagt: der Typ sieht aus wie ein Schwein, aber ich krieg' nen nassen Schlüpfer, wenn ich mich dahin setze, wo der gesessen hat.“

Nach dem Doppelpunkt geht es groß weiter, da ein selbständiger Satz folgt. Und ich meine, der von Thomas zitierte Satz müsste irgendwie hervorgehoben werden (indirekte Rede). Kursiv oder halbe Anführungszeichen.

„Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, deine WG, wo ihr euer dreckiges Geschirr einfach in die Badewanne gestellt habt, ha wie lustig. Und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“

Mir gefällt diese Stelle ganz gut, weil man von Nicole kurz und knapp erfährt, was los war. Unpassend finde ich jedoch den Hinweis mit dem dreckigen Geschirr in der Badewanne. Die Stelle ließ mich aufhorchen. Sie ist mir fremd vorgekommen, also nicht wie von Nicole gesprochen. Außerdem finde ich, braucht es diesen Hinweis nicht um zu verstehen. Jugend nachgeholt, in Griechenland, mit Weiber in einer WG. Schuft!

Ihr Kleid klebte an ihrem Körper.

alternativ: am Körper?

Von

„Die Katze hätte das Problem gelöst.“
bis
„Okay“, sagte er, “wir suchen jetzt hier jeden Quadratzentimeter ab. Am besten durchkämmen wir die Stelle von dem Baum da aus. Weiter kann es nicht gekommen sein.“

ist auch bei Thomas viel passiert.

Die Brille auf die Nasenspitze geschoben, so dass sie

sodass


Liebe Grüße
Tintenfass

 

Lieber @Isegrims,

du hast mir ja schöne Worte zu meinem Text geschrieben, da habe ich mich echt gefreut.

die Komposition des Textes, die zweite Ebene, die du einfügst (Schwalben, Flüggewerden des Sohnes, der Stellvertreter-Kampf um einen Rest an Liebe zwischen den beiden), gelingt. Der Text bezaubert, ich lasse mich vom Herzenswärme der Kükenflüsterin mitziehen. Über weite Strecken trägt das den Text, lässt den Sog entstehen, den's schon braucht, um dem ganzen Fliegenschiss zu folgen.
Dankeschön!

Kritisch sehe ich zwei Punkte: Die Figurenzeichnung: den Scheißegaltypen, der so schwach wirkt, sich mitziehen lässt, keinerlei Rückgrat zu haben scheint, über weite Strecken blass bleibt, vielleicht blass bleiben soll, auch wenn da was durchschimmert, über das ich gern mehr erfahren hätte, das ihm auch mehr Würde verliehen hätte.
Hier hast du einen interessanten Aspekt hineingebracht. Und einen anderen, fast schon verächtlichen Blick auf Thomas. Die Reaktionen auf ihn gehen ja sehr auseinander. Wenn man die Beziehung als Machtkampf sieht, zieht er immer wieder den Kürzeren, gibt nach, hat eine blöde Rolle, das kann man so sehen. Wenn es darauf ankommt, erlebe ich ihn aber durchaus zupackend. Und möglicherweise hat er auch Gründe, aus denen er sich entscheidet, Nicole zu unterstützen.

Die Lichtgestalt der Vogelherbergsmutter, die so ehrlich guttierisch gezeigt wird, dass ich kaum glauben kann, dass sie mehr als eine erdachte Kunstfigur ist.
Tatsächlich ist sie von einer realen Person inspiriert. Ich kann es nicht anders sagen: Diese Frau brennt für das, was sie tut und ich habe hier noch untertrieben. Als ich sie fragte, ob es okay ist, die Schwalbe am Sonntag zu bringen, sagte sie, es sei völlig egal, ihr seien auch schon Vögel nachts um zwei gebracht worden. Es gibt so Menschen. (Eine Freundin von mir nimmt behinderte Ziervögel in Pflege. Sie ist beinahe gestorben, weil sie eine Vogelallergie hat. Jetzt nimmt sie jeden Tag Cortison, um das weiter machen zu können.) Mich beeindruckt sowas immer sehr. Darüber hinaus erfährt man ja nicht soviel von der Frau, vielleicht bräuchte sie noch irgendein Detail um komplexer zu erscheinen? Ich überlege noch.

Die Glaubwürdigkeit des Geschehens: fährt die wirklich nicht in den Urlaub wegen des Kükens?
Eigentlich will sie zu ihrer Schwester in derselben Stadt, weil sie sich über ihren Mann geärgert hat. Ursprünglich sollte ja der Sohn zu Besuch kommen.

Na ja: und die Katze natürlich. Hey, die kommt doch auch auf ne Mauer drauf.
Das habe ich jetzt in Fensterbrett geändert.

Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.
warum sollte sie es auch gewesen sein?
Naja, sie tritt vor die Tür. Sie sieht tote Küken. Sie denkt. "Scheiße, schon wieder die Katze." Dann realisiert sie erst, dass das ganze Nest runtergekommen ist.

Bist du sicher, dass die den Sturz überleben? Ich hatte letztes Jahr Amselküken im Garten. Bei den ersten Flugversuchen knallte ein Küken gegen die Fensterscheibe und war sofort tot.
Wie gesagt, die Vogelgeschichte ist real. Das Nest ist ca. fünfeinhalb Meter tief abgestürzt und eins hat letztlich überlebt. Hat mich auch überrascht.


Butze?
Sowas wie eine enge Kammer.

Doch dann legte das zweite Küken den Kopf in den Nacken, sperrte den Schnabel auf und piepste um sein Leben.
schönes Bild
Danke:)

„Ich frage Nina. Ich sage ihr, dass du zwar da bist, aber dass du mit dem Küken nichts zu tun haben willst.“
„Du willst mich als Arschloch hinstellen.“
„Was soll ich denn machen?“
hier ein Beispiel für eine Dialogstelle, die einiges zwischen die Zeilen legt
Ja, es hat was mit der Rolle zu tun, die er hat, durch die Art, wie es angefangen hat. Das ist es auch, was diese Beziehung blockiert, in meinen Augen. Sie lässt ihn da ja nicht wirklich raus.

Im Gewächshaus, in dem in diesem Jahr nur wenige Tomatenpflanzen vertrockneten, fing sie eine einzige Fliege. Zugleich hofften dort viele Spinnen in ihren Netzen ebenfalls auf Beute, genau wie die Schwalben hoch oben am Himmel, alle schienen zu warten und Nicole wartete heute mit ihnen.
diesen Blick auf die Spienneperpektive finde ich sehr gelungen
Freut mich! Es ist irgendwie auch bewusstseinserweiternd als Adoptivschwalbenmutter durch den Garten zu laufen.

Willst du nochmal gucken, wie das mit der Pinzette geht?“
„Nee, das kriege ich gerade noch hin.“
Beispiel für unnötige Füllewörter
Das finde ich aber nicht. "gerade noch" ist ironisch, das passt zu ihm. Ich finde auch, in wörtlicher Rede dürfen Füllwörter durchaus sein, wenn es natürlicher klingt.

Das Küken schluckte alles und riss nach jedem Bissen den Schnabel wieder auf. Irgendwann würde es mehr verlangen. Flugstunden. Unterricht im Jagen.
Denkt sie das oder denkt das die Autorin, um es unterzubringen.
Doch, natürlich macht sie sich Gedanken darum, wie es weitergehen soll, informiert sich und stellt fest, dass so ein Auswilderungsprozess auch nicht so leicht ist. (Uns hat auch die Katzendichte davon abgehalten, es überhaupt zu versuchen.)

Obwohl das Küken den ganzen Tag aus Leibeskräften gepiepst hatte, waren sie, vier Tage nach dem Absturz des Nestes, nicht mehr erschienen.
die Amseleltern bei mir im Garten haben sich vom Kükentod auch nicht beeindrucken lassen.
Schwalben gucken noch ca.48 Stunden nach überlebenden Küken. Die müssen allerdings piepsen. Die Toten geben sie auf. Deshalb kann man sie päppeln, bis sie wieder piepsen, dann in ein Kunstnest setzen und dann gibt es eine Chance. (Anfassen ist übrigens bei Vögeln kein Problem, der Geruchssinn ist nicht so toll) Bei uns waren es aber eben schon vier Tage, das klappt dann nur noch ganz selten.

der Typ sieht aus wie ein Schwein, aber ich krieg' nen nassen Schlüpfer, wenn ich mich dahin setze, wo der gesessen hat.“
krass :D
;)

„Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, deine WG, wo ihr euer dreckiges Geschirr einfach in die Badewanne gestellt habt, ha wie lustig. Und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“
willst du sagen, dass sie ihn mit dem Baby allein gelassen hat, echt?
Ja.

„Manche Dinge sind einfach kaputt. Da lässt sich nichts mehr machen. Da kann man sich abstrampeln, wie man will.“
„Du hast dich abgestrampelt?“
„Ja.“
gute Stelle
:)

Die Dörfer, durch die sie fuhren, wurden immer leerer, wirkten unecht in der grellen Sonne.
schreit nach einem Vergleich
Mir fällt da so gar nichts Dolles ein. Entweder so überkandidelt. "Wie auf einem Gemälde von Hopper" oder so abgegriffen wie "potemkinsche Dörfer". Du siehst, immerhin habe ich mir Mühe gegeben.

„Warte.“ Sie riss ihre Tasche mit dem Portemonnaie vom Rücksitz. „Warte!“, rief sie ihm nach, aber er drehte sich nicht um, stapfte unbeirrt weiter in den Wald. Stolperte und fiel hin. Sie schrie auf.
„Bleib da!“, rief er. “Es ist hier irgendwo, nicht dass du drauftrittst. Es ist ein Stück weggeflattert.“
„Siehst du es denn?“
„Nein, im Moment noch nicht.“
„Toll, ganz toll!“, brüllte sie. „Aber du musstest ja losrennen!“
„Halt die Klappe!!!“
glaube, das mit Flattern wird nichts, rennt eher davon, das Küken
Es rennt flatternd, es wuselt so durch die Gegend.

„Sie leben richtig mit den Vögeln zusammen.“
„Bis letzte Woche hatte ich hier in der Küche sogar eine Rabenkrähe, die musste vier Wochen lang eine Schiene am Bein tragen. Da musste ich mir echt was einfallen lassen, das sind so hochintelligente Vögel, die kriegen Depressionen, wenn sie sich langweilen. Am Ende habe ich ihr sogar Xylophonspielen beigebracht, mit dem Klöppel im Schnabel.“
„Nein, echt? Und jetzt?“
echt jetzt? Vogelschule?
Das war ziemlich O-Ton.

und von Glasfronten an prämierter Architektur, die zur tödlichen Falle wurden.
reicht auch ein normales Fenster. Zumindest für meine Amselküken.
Ja, seufz.

Nicole sah ihren Mann an, der mit unbewegtem Gesicht dastand, während der Vogel zärtlich an seiner Augenbraue knabberte.
und jetzt: Schweinsgesicht? Höschenreaktion?
Ich denke da eher an - Nähe?

Herzlichen Dank, Isegrims, auch dafür, dass du mir die Gelegenheit gegeben hast, nochmal ein paar Schwalbenerfahrungen auszubreiten. Hat mich sehr gefreut.

Herzliche Grüße von Chutney

 

Hallo @Ephraim Escher ,
herzlichen Dank dafür, dass du dich so intensiv mit dem Text auseinandergesetzt hast. Das hat ihn wieder ein Stück weiter gebracht.
Erstmal freue ich mich sehr, dass er für dich funktioniert.

ich habe diese Geschichte gerne gelesen. Das Thema sagt mir zu, die Situation ist komisch im positiven Sinne. Da trennt sich ein Paar, und ein Schwalbennest macht der Trennung einen Strich durch die Rechnung - eine reizvolle Ausgangssituation. Der erwartete Kitsch am Ende ist dabei zum Glück ausgeblieben.
Das mit dem Kitsch wäre tatsächlich meine Befürchtung gewesen, wenn sie sich deutlich angenähert hätten. Ich finde, so ein kleiner Hoffnungsschimmer geht.

Ich finde, Du kannst gut schreiben, die Dialoge sind durch ihren Realismus stellenweise fantastisch.
Oh, dankeschön!

Rechtschreibfehler habe ich keine entdeckt
Ich hatte auch schon einige Hilfe aus dem Forum.:Pfeif:

Es war still im Garten.
Aber die Eltern flattern doch, hört man das nicht? Man sollte dieses Geräusch ausschließen.
Ich habe jetzt geschrieben: "Sonst war es still im Garten." Danke!

Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.
Wer dann? Die Frage ergibt an dieser Stelle keinen Sinn, denn ich hatte jetzt die Erwartungshaltung, dass es nun um die Ermittlung des Täters geht, der das Nest heruntergerissen hat - oder so.
Na, eigentlich geht es ja darum dass Nicole sofort die Katze im Verdacht hat, etwas mit dem Tod der Küken zu tun zu haben. Auf den zweiten Blick sieht sie dann, dass die es nicht gewesen sein kann, dass das Nest unter dem Dachüberstand abgerissen ist. Ich finde den Einstieg eigentlich so ganz schön. Zumal es hinterher ja noch eine Erklärung für den Nestabsturz gibt.


Vielleicht war es geschehen, als sie ihren Mann beim Frühstücken beobachtet hatte.
Was geschehen? Das ist unnötig allgemein, mach es konkret.
Ich habe jetzt geschrieben:"Vielleicht war das Nest abgerissen ...


Oder eben erst, während sie packte.
Während sie den Koffer im Haus packte oder den Koffer in das Auto packte?
Da sie den Koffer ja abstellt, hat sie ihn ja noch in der Hand, also noch nicht im Auto.


Nicole schien es, als könne sie ihren Schock fühlen, die Betäubung nach dem Aufprall aus fünf Metern Höhe.
Ich finde, es ist ein ziemlich konstruierter Gedanke, die Betäubung eines Vogels fühlen zu können.
Das finde ich wiederum total naheliegend, nicht telepathisch oder so, sondern weil man sie sieht und fühlt, und sich vorstellt, was die gerade hinter sich haben.

Die Katze hätte das Problem gelöst.“
Woher weiß der Mann, dass noch Küken leben, hat er schon mal das Nest gesehen? Er weiß ja nur, dass drei Küken tot sind. Die Anzahl der Küken hätte vorher schon beschrieben werden müssen, ich kam hier ziemlich durcheinander.
Sie steht ja mit zwei lebendigen Küken in der Hand vor ihm.

Dabei ekelte sie sich vor dem Ungeziefer, das im Lehm umherkroch, stellte schließlich den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze.
Das hört sich an, als erledigt sie das im Anschluss an den Ekel.
Ja, diese Reihenfolge ist es ja auch.

Wieder einmal dachte sie an Julian.
Ist das ihr Mann? Der wurde uns namentlich noch nicht vorgestellt. Ein wenig später glaubte ich kurz, dass das ihr Schulfreund (Exfreund?) sei.
Aber aus den nächsten Sätzen geht schon hervor, dass er ihr Sohn ist, oder?

Abends lag ein Küken regungslos da. Über seine Augen hatten sich dünne Häutchen gezogen. In ihre Traurigkeit schob sich ein Gedanke: Wären doch bloß beide gleich mit dem Aufprall gestorben.
Habe hier übrigens nicht erkannt, dass hier der endgültige Tod beschrieben wird.
Eigentlich kommt mir das recht eindeutig vor, aber danke für die Rückmeldung, vielleicht geht das noch anderen so.

Als sie den Küken nachmittags mit der Pinzette Fliegen hinhielt,
Woher kommen die Fliegen denn? Das wird später ausführlich erklärt, verschiebe das hiervor.
Das ginge zeitlich nicht, da die Szene mit dem Fliegen am Morgen spielt. Ich gehe hier einfach davon aus, dass die Leser sich das ergänzen, dass sie die Fliege gefangen hat.

„Ich frage Nina. Ich sage ihr, dass du zwar da bist, aber dass du mit dem Küken nichts zu tun haben willst.“
„Du willst mich als Arschloch hinstellen.“
Extrem guter Dialog und meiner Meinung nach die stärkste Stelle in Deiner Geschichte. Der Konflikt ist hier gut ausgearbeitet.
Danke. :)

Wie er sich zusammenriss, durchatmete.
Ist das eine Bewunderung? Ich kann mit dem Satz wenig anfangen. Hat sie erwartet, dass er sich nicht zusammenreißt?
Interessanter Punkt. Vielleicht hat der Stillstand in der Beziehung auch was damit zu tun, dass er sich bremst, zurückzieht, während sie sich über Lappalien ereifert. Vielleicht sieht sie an der Stelle, wie sehr ihn das anstrengt. Mit gemischten Gefühlen, denke ich. Sie hat irgendwie die Oberhand, aber der Preis ist hoch.

Thomas putzte sich die Zähne, während sie fütterte.
Sie füttert die Vögel also auch im Badezimmer? Das muss man sich so zusammenreimen, mach es deutlicher. Ich käme glaube ich nicht auf die Idee, Vögel im Badezimmer zu füttern. Setzt die sich auf die Toilette oder steht sie? Wo stellt die den Karton ab, in die Badewanne? Ich stelle mir das etwas umständlich vor.
Hm, ich hatte ja beschrieben, dass sie sie ins Badezimmer stellt. Ich könnte natürlich schreiben, dass das der ruhigste Ort ist oder so. Also da überlege ich nochmal.

Über Google fand Nicole, was sie brauchte. Sie fand Frau Witte.
Dopplung "fand".
Das darf hier aber, finde ich. Hatte ich als Stilmittel gedacht.

Sie hatten das Kunstnest im Karton als Reisebox zweckentfremdet, nachdem es seinen eigentlichen Sinn nicht erfüllt hatte, den Rückführungsversuch zu den Eltern. Obwohl das Küken den ganzen Tag aus Leibeskräften gepiepst hatte, waren sie, vier Tage nach dem Absturz des Nestes, nicht mehr erschienen. Stattdessen war Nicole stündlich zum Füttern auf die Leiter geklettert. Also Plan B. Frau Witte betrieb ihre Wildvogelauffangstation ein Stück hinter Hamburg.
Sie brauchte doch angeblich schon vorher Frau Witte, warum kommen erst jetzt die Erläuterungen für diesen Bedarf?
Plan A war halt dieser Versuch einer Rückführung zu den Schwalbeneltern unter der telefonischen Anleitung von Frau Witte, wie es später ja noch einmal aufgegriffen wird. Da das nicht geklappt hat, bringen sie ihr das Küken. Vielleicht fällt mir ja noch was ein, wie ich das klarer machen kann.

der Typ sieht aus wie ein Schwein,
aber ich krieg' nen nassen Schlüpfer, wenn ich mich dahin setze, wo der gesessen hat.
Ich glaube fast, es liegt an mir, aber ich verstehe den Satz nicht. Sie ist sexuell erregt, wenn sie sich da hinsetzt, wo ein Typ saß, der wie ein Schwein aussieht? Vielleicht stehe ich auch einfach auf dem Schlauch ...
Ja, eigentlich genau das. Ich erlaube mir hier mal @Raindog zu zitieren.:shy::
Ich weiß zwar nicht, wie ich mir Thomas durch diesen Schweinsvergleich vorstellen soll, aber genau das finde ich hier sehr reizvoll. Weil es ja so ist, dass man sich manchmal zu Menschen hingezogen fühlt, die einem äußerlich gar nicht zusagen, wenn sie eben eine bestimmte Ausstrahlung haben

„Nö, ich stand auf der anderen Seite vom Regal. Ich hab's gehört.
Bis dahin dachte ich, dass die draußen vor einem einfachen Toilettenhäuschen stehen. Dann taucht das Regal plötzlich auf, und ich musste mich komplett umorientieren.
Raststätte ist für mich immer mit Tankstelle und Shop. Aber ich habe jetzt zweimal Raststätte durch Tankstelle ersetzt.

Er gab ihr den Karton mit dem Küken rüber und ließ den Motor an.
Und jetzt sind die plötzlich wieder im Auto.
Sie sitzen die ganze Zeit im Auto und füttern den Vogel. Hm. Mal sehen, ob noch andere irritiert sind.

Ein Junge, der an einer Bushaltestelle saß, aktivierte sein Smartphone und hielt es ihnen vor die Nase, aber sobald sie weiterfuhren, hatten sie schon wieder die Hälfte vergessen.
Hat etwas gedauert, bis ich begriff, was der jetzt gemacht hat. Erst habe ich gedacht, dass er ein Foto machen will (ggf. mit der Schwalbe), das assoziiere ich jedenfalls mit "Smartphone vor die Nase halten".
Eigentlich hat er ihnen die Wegbeschreibung gezeigt. Die sie sich so schnell nicht merken konnten. Hm.

Weg verengte sich immer weiter und endete auf einem Acker, zwischen Korn und Knick. Thomas legte schwer atmend seinen Kopf
Was heist "Korn und Knick"?
Ein Knick ist ja so eine Wallhecke. Sie sind sozusagen in einem landwirtschaftlich genutzten Weg gelandet, auf einem Acker. Ist vielleicht mehr in Norddeutschland gebräuchlich.

„Das Küken klingt leiser“
Bin mir nicht sicher, ob Küken klingen können.
für Nicole schon.

„Okay“, sagte er, “wir suchen jetzt hier jeden Quadratzentimeter ab.
Was? Woher der Sinneswandel? Und woher der Sinneswandel der Frau?
Warum? Er hat sich doch darauf eingelassen, das Küken zu retten, sonst wäre er gar nicht losgefahren.

„Wundern Sie sich nicht über das Chaos in meiner Küche. Das war heute der zwanzigste Anruf.
Zählt sie etwa mit oder woher weiß sie das so genau?
Ich finde, so sagt man das. Ich würde nicht sagen:"Das war heute ungefähr der zwanzigste Anruf."

Thomas lachte. „Was für ein Aufriss. Ehrlich, wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Ganze dem Lauf der Natur überlassen.
Noch ein Sinneswandel?!
Er hat sich darauf eingelassen, weil es ihr Wunsch war und weil er sich beim Füttern vielleicht auch ein bisschen in das Küken verguckt hat. Aber er muss betonen, dass das nicht seine Lösung gewesen wäre.

Nicole sah ihren Mann an, der mit unbewegtem Gesicht dastand, während der Vogel zärtlich an seiner Augenbraue knabberte.
Das Ende war mir etwas zu gestreckt, dafür, dass gefühlt nichts hinsichtlich der Beziehung passiert ist. Aber wenigstens kein Kitsch! :)
Puh, Glück gehabt! Ja, das etwas weitschweifige Ende. Ich hänge dran. Mal sehen, wie es in ein paar Wochen aussieht.

Lieber Ephraim, ich danke dir sehr du hast mir einiges zum Nachdenken gegeben.

Liebe Grüße von Chutney


Hallo @Tintenfass ,
dir auch ganz herzlichen Dank für deine lobenden Worte. Ich freu mich darüber.:)

Große Dramen spielen sich ab, die du wunderbar miteinander verknüpfst und zu einem großen Ganzen machst.
Ja, das wollte ich versuchen.

Nicole, die sich von ihrem Herzen leiten lässt vs. Thomas, der Nüchterne, der Kosten gegenrechnet und sich an ihr erstes Aufeinandertreffen erinnert. Dazwischen die Vogelretterin, mega, was man da alles erfährt. Du lässt die drei aufeinander treffen und die Dinge passieren einfach.
Ich freu mich, dass du die Vogelinfo auch schätzt.


Ich bin nicht wirklich gut darin die zu unterscheiden, fühlte mich aber während des Lesens von einem personalen Erzähler geleitet. Wenn dem so ist, dann wäre aber diese Stelle nicht richtig, denn die scheint mir auktorial zu sein:
"Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte."
Vielleicht ist es wirklich nicht ganz sauber, aber meine Gedanke war, dass das Nicole selber im nächsten Moment klar wird, dass es die Katze nicht gewesen sein kann.

Auch jetzt umflatterten sie die Stelle, als gäbe es dort noch etwas zu tun. Es war still im Garten.
Für mein Empfinden beißen sich Stille und flatternde Vögel.
Jetzt habe ich geschrieben: "Sonst war es still im Garten."

Wieder einmal sehnte sie sich nach Julian. Eigentlich war es nicht der heutige Julian, den sie vermisste, sondern der Schuljunge,
Gefällt mir gut, wie du den Sohnemann einführst und auch gleich eine Andeutung über das Mutter-Sohn-Verhältnis machst.
Dankeschön!

reckte den halbnackten Hals, schluckte zweimal und riss den Schnabel wieder auf.
halb nackten
Ich glaube zusammen geht auch.

Duden empfiehlt: noch mal
oder alternativ auch "nochmal"

Ich habe Heimchen mal gegoogelt. Sind auch Speiseinsekten, das ist ja so … Mich schüttelts immer noch, wenn ich dran denke. IIIIIgitt ;)
Ja, das ist unangenehm. Die Beine müssen ab, weil die Widerhaken haben. Oder ekelt es dich bei der Vorstellung, die zu essen? :D

Mir gefällt diese Stelle ganz gut, weil man von Nicole kurz und knapp erfährt, was los war. Unpassend finde ich jedoch den Hinweis mit dem dreckigen Geschirr in der Badewanne. Die Stelle ließ mich aufhorchen. Sie ist mir fremd vorgekommen, also nicht wie von Nicole gesprochen. Außerdem finde ich, braucht es diesen Hinweis nicht um zu verstehen. Jugend nachgeholt, in Griechenland, mit Weiber in einer WG. Schuft!
Hm, gerade die Stelle mit dem Geschirr fand ich so schön "show" statt "tell". Manchmal sind es ja so Kleinigkeiten, die einen verbittern.

Ihr Kleid klebte an ihrem Körper.
alternativ: am Körper?
Ja, danke, habe ich geändert.

Von
„Die Katze hätte das Problem gelöst.“
bis
„Okay“, sagte er, “wir suchen jetzt hier jeden Quadratzentimeter ab. Am besten durchkämmen wir die Stelle von dem Baum da aus. Weiter kann es nicht gekommen sein.“
ist auch bei Thomas viel passiert.
Ja, er hat sich drauf eingelassen und zeigt hier auch wirklich eine andere, zupackendere Seite.

Die Brille auf die Nasenspitze geschoben, so dass sie
sodass
ist geändert, danke:)

Tintenfass, das waren wertvolle Rückmeldungen für mich, dankeschön.

Liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Chutney,

es freut mich, dass Du so ausführlich geantwortet hast. Ein paar Anmerkungen habe ich noch, die Dir hoffentlich weiterhelfen.

Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.

Vorschlag: Denn sie war es gar nicht, die (...)
Das löst für mich das Problem. Wenn ich schreibe: "Nicht er hat ihn getötet", dann gehst Du doch automatisch davon aus, das jemand anders ihn getötet hat und dass das nun im Weiteren geklärt wird. Wenn ich aber schreibe: "Er hat ihn gar nicht getötet", vermutet man das nicht mehr.

Da sie den Koffer ja abstellt, hat sie ihn ja noch in der Hand, also noch nicht im Auto.

Wo sie ihn absetzt, hast Du nicht geschrieben. Außerdem weiß der Leser nicht, wie viele Koffer sie ins Auto packt. Ich empfehle, "als sie den Koffer packte" zu schreiben.

Dabei ekelte sie sich vor dem Ungeziefer, das im Lehm umherkroch, stellte schließlich den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze.

Die Zusammenstellung in einem Satz passt für mich nicht. Vielleicht merkst du es auch in diesem Beispielsatz:
Ich ekelte mich vor der Spinne, schließlich machte ich Hausaufgaben.
Mach besser zwei Sätze daraus und streich das "schließlich", das löst glaube ich das Problem.
... umherkroch. Ich stellte den ...

Aber aus den nächsten Sätzen geht schon hervor, dass er ihr Sohn ist, oder?

Ja, aber hier irritierte mich das, weil der Mann - warum auch immer - noch keinen Namen erhalten hat. Das wirkt auf mich nicht wie ein Stilmittel, sondern willkürlich.

Ich gehe hier einfach davon aus, dass die Leser sich das ergänzen, dass sie die Fliege gefangen hat.

Ja, ich habe mir das natürlich auch so ergänzt, die fehlende Beschreibung dieser Tat aber als merkwürdig empfunden. Fliegen fangen ist nichts Alltägliches und nicht mal so eben erledigt. Genau so klingt es aber in Deiner Geschichte. In der Serie Breaking Bad konnte man sogar eine ganze Folge damit füllen.

Raststätte ist für mich immer mit Tankstelle und Shop.

Stimmt, was ich meine, sind Autobahnparkplätze. Entschuldigung!

Viele Grüße

Ephraim

 

Liebe Chutney,
nur ein kurzes Feedback von mir. (Im Nachhinein frage ich mich, was dann ein langes Feedback ist) :cool:
Ich hab deine Geschichte wahnsinnig gerne gelesen. Ich bin nur so über die Zeilen geflogen (haha) und bin deiner Geschichte von Vogeljungem und kaputter Ehe gefolgt. Mich hat das einfach so sehr interessiert, übrigens auch die Erzählungen dieser Frau Witte, dass ich nicht mehr auf Fehler und Holperer geachtet habe und immer weiter lesen wollte. Manchmal habe ich sogar diagonal gelesen, aber das mache ich auch dann oft, wenn ich unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Also bei mir hat das einfach saugut funktioniert. Ich wollte unbedingt wissen, ob sie es schafft, das Junge zu retten. Ich interessiere mich allerdings auch für das ganze Gepiepse und Gefedere. Und natürlich war es auch sauspannend zu lesen, wie Thomas reagiert. Ich fand das toll, wie er trotz seiner persönlichen Sicht und seiner Abwehr sich doch hat reinziehen lassen. Ich glaube, ich bin eine der wenigen hier, die gehofft hat, dass die beiden wieder zusammen kommen. Okay, ich bin halt wohl manchmal eine Kitschmaus und die Lösung, dass das, was kaputt ist, eben auch kaputt bleibt und sich nicht durch so ein bisschen Vogelleim kitten lässt, die ist wohl realistischer.
Was den Aufbau betrifft, vermutlich haben die anderen recht, wenn sie sagen, man hätte gegen Ende abkürzen können, weil nichts Wichtiges mehr folgt.
Die Idee, Vogelhilfe und das Schicksal der Ehe miteinander zu verschränken, ist jedenfalls sehr naheliegend und du machst das sehr glaubhaft. Nicht symbolisch, sondern als Material, vor dem sich diese beiden sehr unterschiedlichen Personen und ihre Beziehung abzeichnen. Ich finde beide Charaktere glaubhaft. Ich muss fast sagen, ich bin sogar etwas mehr auf Seiten von Thomas, der fürchterliche Fehler gemacht hat, aber anscheinend auch nie mehr aus dieser Rolle rauskam, die er sich selbst durch seine und Unachtsamkeit und Sorglosigkeit zugelegt hat. Sie lässt ihn da auch nicht raus. Deine Dialoge sind allermeistens ganz klasse, weil die die Unterschiedlichkeit der beiden so schön nachzeichnen. Und sie sind oft auch auf unaufdringleiche Weise witzig, weil der Kontrast zwischen beiden so schön rauskommt.
Es gibt bei den Dialogen eigentlich nur eine Stelle, die ich für überdenkenswert halte. Das ist die, wenn sie ihm seine Verantwortungslosigkeit vorwirft. Weißt schon, die hier:

„Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, (...) Und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“

Zu deinem Stil wollte ich noch sagen, es mag sein, dass du keine superoriginellen, schönen und einfallsreichen Sprachbilder hast. Aber muss unbedingt jeder so schreiben? Offensichtlich kriegst du es hin, dass man durch den Text flutscht und wissen will, wie es weitergeht. Deine Sprache muss also etwas leisten, was sehr wichtig ist, nämlich Vehikel und Mittel für die Geschichte, ihre Entwicklung und Steigerung, zu sein. Sie ist unaufdringlich, benennt und fließt. Das ist etwas, das kriegt nicht jeder hin und es ist eine sehr wichtige Sache. Ich merke immer, dass sich ein bestimmter, unverkennbarer Stil beim Lesen rasch "abgreift" wenn er ein gewisses Maß übersteigt. Dann wirkt das, je nachdem, ob man den Stil nun persönlich mag oder nicht, schnell mal bemüht. Das kann dir nicht passieren. Weil die Geschichte im Vordergrund steht und nicht der Stil.
Das alles soll nicht heißen, dass du keine holprigen Stellen im Text mehr hättest oder dass du die Suche nach einem geeigneten schönen Sprachbild oder eine zusätzliche Feinschliffkontrolle aufgeben sollst, wozu dich andere Kommentatoren ja auch anregen. Ich hatte nur irgendwann mal kurz aus einer deiner Aussagen den Eindruck gewonnen, dass du unzufrieden bist mit deiner Sprache.
Ich habe anlässlich dieses Themas ein wenig darüber nachgedacht, was denn für mich wichtig ist. Ich liebe es, wenn jemand einen schönen und ungewöhnlichen Stil hat, wenn sich jemand was traut, genauso wichtig ist mir aber auch die gelungene Geschichte. Und manchmal kann ein Stil sich auch in den Vordergrund drängen.

So jetzt bin ich natürlich doch wieder ins Schwafeln geraten.
Hör ich gleich mit auf.

Wunderschöne Geschichte, Chutney. Ich habe sie sehr genossen. Ach ja ... und die gekochten Heimchen fand ich wunderbar. :baddevil:

Viele Grüße von Novak

 

Hallo @Chutney,

beim Lesen deiner Geschichte, da dachte ich mir sofort, dass du das selbst erleben haben musst. Da steckt soviel Mitgefühl für diesen kleinen Piepmatz drin. Hach, da hast du mein Herz ja schon erobert. :herz:

Schwalbensommer
Oh, ich vermisse den Sommer so sehr. Und ich weiß, das Trockene und Heiße verheißt nichts gutes … ich habe es trotzdem genossen. :sealed:

Den Einstieg finde ich nicht so optimal. Etwas kompliziert und verkopft das ganze.

Zuerst schrie Nicole die Katze vom Nachbarn an.
Denkt man wirklich es war die Katze, wenn ein Schwalbennest auf dem Boden liegt? Da kommt die doch gar nicht dran.
Ich würde den Blick direkt auf die toten Schwalben lenken und dann erst auf die Katze. Schließlich sind sie ja die Hauptdarsteller.

Überall verstreut lagen die Brocken des zerplatzten Nestes, dazwischen die kleinen Leiber und hoch oben unter dem Dachüberstand klebten dunkle Ränder an der Fassade, dort wo wochenlang die Schwalbeneltern ein- und ausgeflogen waren.
Anstelle eines verbindenen Unds würde ich diese beiden Sätze trennen. Macht den ersten Satz stärker, und der ist auch der wichtigere, oder?

Vielleicht war das Nest abgerissen, als sie ihren Mann beim Frühstücken beobachtet hatte.
Hier würde ich noch mal den Namen verwenden, anstelle von sie.

Ihr Gewicht war kaum spürbar, nur die winzigen Krallen kitzelten auf der Haut, als sie sich in ihre Handkuhle duckten, die Augen geschlossen, die grauweißen Federn wie Flusen.
Oh, so süß und hilflos.

Jetzt schrie sie doch: „Dann geh halt wieder in deine Butze!“
Mit Butze meinst du wahrscheinlich Kammer oder so? Ich kenn das ja nur als ausgebeulte Hose. Von daher wirkt der Satz ziemlich albern auf mich.

Ich habe grade mal gegoogelt, weil es mich interessiert hat. Butze scheint allerlei Bedeutungen zu haben: Butze

auch: Hose, Unterhose (in Anlehnung an Buxe)
"Zieh doch mal deine Butze hoch"

Butze = Frau, Mädchen
Peter sagt: "In Hamburg laufen geile Butzen rum!"

Mit Butze bezeichnet man, speziell im norddeutschen Raum, eine Wohnung oder ein Haus.
"Derbe Butze, Kollege. Was hat die denn gekostet?"

Butze ist ein zum Teil fest in das Haus eingebaute Schrankbett zwischen Wohnbereich und Küche,das man durch eine Tür betreten konnte

Da bekommt dein Satz direkt ganz verschiedene Bedeutungen. :D

Ich finde übrigens, dass du in diesem kleinen Dialog schon sehr schön die Beziehung skizziert hast. Nicole bittet sofort ihren Mann um Hilfe. Das ist ihre erste Reaktion, vermutlich auch aus Gewohnheit. Das heißt, dass sie sich sonst auf ihn verlassen konnte. Und sie hasst ihn auch nicht, sonst würde sie ihn nicht ansprechen. Auch gekränkter Stolz steht ihr nicht im Weg. Ich finde, das wirkt eher positiv auf mich. So lange ein Paar noch kommuniziert besteht doch noch Hoffnung, oder?

Dabei ekelte sie sich vor dem Ungeziefer,
Unpassend tellig. Zuckt sie zurück, als ihr eine Assel über die Hand krabbelt? Versucht sie die Brocken davon zu reinigen?

Nicole stand zweifelnd davor, holte ein Handtuch, um sie abzudecken, nahm es wieder weg, damit die Vogeleltern ihre Küken finden könnten.
Diese Unsicherheit finde ich so liebenswert. Ich sehe dadurch tausend Gedanken in Nicoles Kopf (und irgendwie sehe ich anstatt Nicole die ganze Zeit dich vor dem Küken stehen) umherkreisen. Man merkt, dass sie alles richtig machen will.

Wieder einmal dachte sie an Julian. Eigentlich war es nicht der heutige Julian, den sie vermisste, sondern der Schuljunge, für den das eine aufregende Sache gewesen wäre.
Ich finde du könntest generell mehr Absätze machen. Zum Beispiel vor diesem Abschnitt.

Wären doch bloß beide gleich mit dem Aufprall gestorben. Doch dann legte das zweite Küken den Kopf in den Nacken, sperrte den Schnabel auf und piepste um sein Leben.
Mir gefällt das total gut. Die menschlichen Gedanken, die Ohnmächtigkeit und das Bedürfnis das Leiden zu beenden. Und dann kommt die Natur und zeigt, dass sie nicht so leicht unterzukriegen ist.

„Nur fürs Protokoll: Erst willst du abhauen, weil du es unerträglich findest, dass ich einen gebrauchten Zahnstocher auf dem Tisch liegenlasse. Und jetzt bleibst du doch, weil du mich brauchst, um ein Schwalbenbaby zu retten.“ Thomas stand mit verschränkten Armen an der Spüle gelehnt.
Ich mag den Thomas. So wie er das sagt, finde ich das nicht gemein oder herausfordernd. Eher schmunzelnd.
Und dass er da steht und Fragen stellt, zeigt ja auch, dass er sich interessiert.

„Was soll ich denn machen?“
Wie er sich zusammenriss, durchatmete.
Find ich super, dass er sich nicht provozieren lässt.

Die Welt war fliegenfrei, morgens um sechs. Zum Verzweifeln fliegenfrei.
Sowas weiß man doch nur, wenn man selbst schon versucht hat um diese Uhrzeit fliegen zu fangen. Ich sehe dich schon wieder vor mir! :D

„Daumen hoch und Smiley.“
Die Begeisterung hält sich in Grenzen.

Was wir hier machen, ist genau das Gegenteil. Vier Stunden Autofahrt für einen Vogel. Die Kosten, den CO2-Ausstoß und unsere Zeit musst du da mal gegenrechnen. Und morgen frisst du wieder dein Hühnchen. Das kommt auch noch dazu.
Natürlich ist so was nicht logisch. Gerade deswegen ist es ja so schön.

Nicole bestand darauf, die Klimaanlage nur minimal zu nutzen, damit das Küken keinen Zug bekam. Thomas widersprach nicht, obwohl die Haare in seinem Nacken klatschnass waren.
:herz:

Der Typ sieht aus wie ein Schwein, aber ich krieg' nen nassen Schlüpfer, wenn ich mich dahin setze, wo der gesessen hat.
:D Super!

Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, deine WG, wo ihr euer dreckiges Geschirr einfach in die Badewanne gestellt habt, ha wie lustig. Und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.
Das glaube ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Gespräch wirklich zwischen den beiden stattfindet. Das passt für mich überhaupt nicht. Warum sollte Nicole auf einmal – wenn sie wohl zehn Jahre nicht mehr darüber gesprochen hat - auf einmal davon anfangen?
Nach so langer Zeit müsste der Frust längst weg sein oder hätte schon längst die Beziehung zerstört.

Nicole fragte, was mit dem Navi los sei. Thomas erklärte was mit Linux, dass das mit dem Update nicht funktioniert hatte, aber sie hörte nicht richtig hin und er brach ab.
Handy und Googlemaps? Wer benutzt denn noch ein Navi …? Nicole hat doch auch ein Handy, was ist denn damit?

„Das Küken klingt leiser“, sagte sie, „irgendwie entkräftet.“
Er stöhnte auf: „Ich hör das auch, ich bin nicht taub.“
Ohje, er macht sich auch Sorgen.

Das Küken war still und Nicole hatte Angst, es würde jetzt noch sterben, nur weil diese Frau so lange telefonierte.
Da erscheint einem plötzlich jede Minute als eine zuviel. Kann ich gut verstehen.

Ich habe auch die ganzen Infos von Frau Witte gerne gelesen. Aber ich finde das Thema auch interessant. Ich kann verstehen, wenn das einigen Lesern am Ende zu viel wird. Aber wegen mir musst du da nicht kürzen. :)
Und jetzt weiß ich auch, wen ich anrufe, wenn ich einen Babyvogel finde.

Ich mag die Geschichte sehr gerne, ich fühle mit und ich finde, du bringst die Sorgen von Nicole und Thomas gut rüber.
Was ich dir nicht abnehme ist dieser Streit. Der kommt mir total konstruiert vor. Wenn da wirklich so eine Frustration zwischen den beiden herrscht, Unverständnis und auch Unverzeihliches, dann müsste man das doch auch sonst merken. Ich finde aber dass die anderen Gespräche nicht so wirken. Klar, da steht etwas zwischen den beiden, das müsste aus dem Weg geräumt werden. Aber da ist eine Basis aus Vertrauen und Respekt für einander. Die ist doch nicht auf einmal weg.
Also entweder müsste das Streitgespräch anders verlaufen, nicht so holzhammermäßig, oder die anderen Szenen müssten schon schärfer sein. Aber das fände ich schade. Die beiden sollen doch jetzt ihre Zweisamkeit genießen!

Ich hoffe, wir sehen uns bald, hier im Norden.

Liebe Grüße,
NGK

 

Lieber @Carlo Zwei ,
entschuldige bitte, da habe ich deinen zweiten Kommentar doch glatt übersprungen. Jetzt aber! Danke, dass du dich nochmal gemeldet hast.

Da verstehe ich nicht ganz, was du meinst. Mit "war es geschehen", meine ich ja den Abriss des Nestes. Und sie weiß da nicht sicher, wann das passiert ist.
es ging mir um das Wort "vielleicht" :p Dass sie einen langen Moment innehalten muss, um das zu rekonstruieren, und dass sie eben nicht mit Bestimmtheit sagt, wie es war.
Irgendwie kapiere ich es immer noch nicht. Das "Vielleicht" bezieht sich ja ausschließlich auf den Aspekt, wann es wohl passiert ist. Ich lasse es erstmal so und gucke, ob hier noch jemand stolpert, okay?


Was ich meine: wie wäre es, ganz auf diese Art von Monolog zu verzichten (also mit Gänsefüßchen und Markierung der wörtlichen Rede) und noch mehr Nicole das erzählen lassen. Beispiel:

Eins der Küken am Boden drehte den Kopf, zuckte mit den Flügelansätzen. Dann noch eins. Nicole starrte eine Zeitlang, bis sie wie aus einer Trance erwachte. Sie musste etwas unternehmen. Diese Babys hatten doch keine Chance. Der nächste Fahrradfahrer oder schlimmer noch ... ihr Blick wanderte zu Schnorrer, der sie von unten mit geneigtem Kopf taxierte, langsam setzte er sich in Bewegung.

Das klingt auch gut, ist aber doch ein ganz anderer Stil. Ich überlege tatsächlich noch, ob ich "murmelte" durch "dachte" ersetze.

Vielen Dank, lieber Carlo und einen schönen dritten Advent!

Liebe Grüße von Chutney


Lieber @Ephraim Escher ,
auch dir vielen Dank für deinen erneuten Besuch.


Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.

Vorschlag: Denn sie war es gar nicht, die (...)
Das löst für mich das Problem. Wenn ich schreibe: "Nicht er hat ihn getötet", dann gehst Du doch automatisch davon aus, das jemand anders ihn getötet hat und dass das nun im Weiteren geklärt wird. Wenn ich aber schreibe: "Er hat ihn gar nicht getötet", vermutet man das nicht mehr.

Naja, irgendwie wird es ja schon später geklärt. Erstmal wird jetzt klar, dass nicht die Katze, sondern der Nestabriss für den Tod der Schwalben verantwortlich ist. Und im Verlauf der Geschichte wird deutlich, dass es Umweltfaktoren gibt, die wiederum Ursache für den Nestabriss sind. Für mich passt es so, aber danke für deine Überlegungen.


Wo sie ihn absetzt, hast Du nicht geschrieben. Außerdem weiß der Leser nicht, wie viele Koffer sie ins Auto packt. Ich empfehle, "als sie den Koffer packte" zu schreiben.
Oder eben erst, während sie packte. Langsam setzte sie den Koffer ab.
Ich soll schreiben "Oder eben erst, während sie den Koffer packte. Langsam setzte sie den Koffer ab."? Das wäre zweimal Koffer. Ich glaube, ich lasse das erstmal so. Vielleicht stört sich ja noch jemand daran. Mir selbst erscheint es völlig klar. Von Auto ist ja auch keine Rede.


... das im Lehm umherkroch, stellte schließlich den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze.

Die Zusammenstellung in einem Satz passt für mich nicht. Vielleicht merkst du es auch in diesem Beispielsatz:
Ich ekelte mich vor der Spinne, schließlich machte ich Hausaufgaben.
Mach besser zwei Sätze daraus und streich das "schließlich", das löst glaube ich das Problem.
... umherkroch. Ich stellte den ...

Ich habe die Stelle jetzt verändert und lasse das mal wirken. Ich glaube, es ist besser so:
In einen Erdbeerkarton legte sie Brocken des Nestes, damit es vertrauter wirkte. Dabei ekelte sie sich vor den Maden und kleinen, schwarzen Käfern, die sich im Lehm bewegten. Dann stellte sie den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze.


Aber aus den nächsten Sätzen geht schon hervor, dass er ihr Sohn ist, oder?
Ja, aber hier irritierte mich das, weil der Mann - warum auch immer - noch keinen Namen erhalten hat. Das wirkt auf mich nicht wie ein Stilmittel, sondern willkürlich.
Jetzt überlege ich, ob ich vorher schon mal Thomas benenne. Aber dann denkt man, wer ist Thomas. Ich überlege noch.

Ich gehe hier einfach davon aus, dass die Leser sich das ergänzen, dass sie die Fliege gefangen hat.
Ja, ich habe mir das natürlich auch so ergänzt, die fehlende Beschreibung dieser Tat aber als merkwürdig empfunden. Fliegen fangen ist nichts Alltägliches und nicht mal so eben erledigt. Genau so klingt es aber in Deiner Geschichte. In der Serie Breaking Bad konnte man sogar eine ganze Folge damit füllen.
Nee, also ich finde, eine Fliege zu fangen, bzw. zu erschlagen ist jetzt aber nicht so schrecklich ungewöhnlich.

Lieber @Ephraim, auch wenn ich jetzt nur einen Teil umgesetzt habe, danke ich dir für deine Anregungen und wünsche dir einen schönen dritten Advent.

Liebe Grüße von Chutney


Liebe @Novak,
wie schön, dass du ins "Schwafeln" geraten bist, ich mag das so gern, dir zu folgen, wie du über die Hintergründe eines Textes sinnierst und dabei noch auf dieses oder jenes Thema stößt. Besonders natürlich, wenn es meine Geschichte betrifft.:)

Mich hat das einfach so sehr interessiert, übrigens auch die Erzählungen dieser Frau Witte, dass ich nicht mehr auf Fehler und Holperer geachtet habe und immer weiter lesen wollte. Manchmal habe ich sogar diagonal gelesen, aber das mache ich auch dann oft, wenn ich unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Also bei mir hat das einfach saugut funktioniert. Ich wollte unbedingt wissen, ob sie es schafft, das Junge zu retten. Ich interessiere mich allerdings auch für das ganze Gepiepse und Gefedere.
Es scheint mir, als ob du die perfekte Zielgruppe für meine Geschichte bist. :herz: Und gerade, was den Aspekt "Spannung" betrifft, da hat man ja irgendwann gar kein Gefühl mehr für. Immerhin gab es tatsächlich eine Variante, wo das Küken gestorben ist.


Ich glaube, ich bin eine der wenigen hier, die gehofft hat, dass die beiden wieder zusammen kommen. Okay, ich bin halt wohl manchmal eine Kitschmaus und die Lösung, dass das, was kaputt ist, eben auch kaputt bleibt und sich nicht durch so ein bisschen Vogelleim kitten lässt, die ist wohl realistischer.
Also, ich halte es schon auch für möglich, dass sie zusammenbleiben. Das Ende enthält für mich auch was Hoffnungsvolles. Es ist ja manchmal schon viel, wenn man den anderen wirklich ansieht. Ich merke, ich gehe, was die Zukunft dieses Paares betrifft, selber mit den Kommentaren mit, obwohl ich die Geschichte geschrieben habe.

Die Idee, Vogelhilfe und das Schicksal der Ehe miteinander zu verschränken, ist jedenfalls sehr naheliegend und du machst das sehr glaubhaft. Nicht symbolisch, sondern als Material, vor dem sich diese beiden sehr unterschiedlichen Personen und ihre Beziehung abzeichnen. Ich finde beide Charaktere glaubhaft. Ich muss fast sagen, ich bin sogar etwas mehr auf Seiten von Thomas, der fürchterliche Fehler gemacht hat, aber anscheinend auch nie mehr aus dieser Rolle rauskam, die er sich selbst durch seine und Unachtsamkeit und Sorglosigkeit zugelegt hat. Sie lässt ihn da auch nicht raus.
Ich sehe das zwischen den beiden auch eher als was Tragisches, dass die aus ihren Schleifen nicht rauskommen. Interessant, dass du schreibst "Unachtsamkeit, Sorglosigkeit". Das ist ja ihr Vorwurf. Ich glaube, das heutige Problem ist, dass sie sich in der Ehe einsam fühlt und da kommt das Alte dann hoch. Ungeschickt von ihr, das gerade hochzuholen, wo er sie unterstützt.

Es gibt bei den Dialogen eigentlich nur eine Stelle, die ich für überdenkenswert halte. Das ist die, wenn sie ihm seine Verantwortungslosigkeit vorwirft. Weißt schon, die hier:
„Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, (...) Und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“
Zu deinem Stil wollte ich noch sagen, es mag sein, dass
Das ist die Stelle, die mehrere irritiert hat, auch @Proof , @Tintenfass und @Nichtgeburtstagskind. Dich verstehe ich (auch) so, dass ich das Geschirr in der Badewanne weglassen sollte. Das habe ich jetzt erstmal gemacht. Mir schwirren momentan noch zwei Varianten für diese Stelle im Kopf herum.
Die Erste wäre, das ganze Thema, dass er sie anfangs mit dem Kind sitzengelassen hat, komplett wegzulassen, bzw. nur anzudeuten, dass da was war:

„Außerdem lag ich ja wohl mit dem Schwein gar nicht so falsch. Wenn man bedenkt, wie du dich dann verhalten hast.“ Sie schob einen Lacher hinterher, aber zu spät.
„Nicht schon wieder.“ Er gab ihr den Karton mit dem Küken rüber und ließ den Motor an.
„Was soll das denn heißen, „nicht schon wieder“? Wann habe ich denn das letzte Mal davon geredet? Vor zehn Jahren vielleicht.“
„Das hatten wir alles schon mal.“
„Oh, sorry, sorry, dass ich dich langweile!“
Sie biss die Zähne zusammen und sah aus dem Fenster. Das Küken piepste und sie dachte, dass sie zu wenig Fliegen mitgenommen hatten. Dann hörte sie ein zweites Geräusch. Von Thomas. Er pfiff ein leises, nervöses Lied.

Aber das finde ich irgendwie unbefriedigend und mir gefällt an dem Ursprünglichen der Bogen zu heute, wo der Junge ausgezogen ist und die Probleme aufbrechen.

Zweite Variante:

„Außerdem lag ich ja wohl mit dem Schwein gar nicht so falsch. Wenn man bedenkt, wie du dich dann verhalten hast.“ Sie schob einen Lacher hinterher, aber zu spät.
„Nicht schon wieder.“ Er gab ihr den Karton mit dem Küken rüber und ließ den Motor an.
„Was soll das denn heißen, „nicht schon wieder“? Wann habe ich denn das letzte Mal davon geredet? Vor zehn Jahren vielleicht.“
„Ich bin wiedergekommen.“ Er setzte zurück.
„Ja, aber da konnte Julian schon ganze Sätze reden.“
„Ich bin zurückgekommen. Ich bin geblieben. Ich bin mit zu deinem Therapeuten gegangen.“
„Zweimal, dann nicht mehr.“
„Das war öfter.“
„Nein.“
„Doch, und es hat nichts gebracht.“ Er trat aufs Gaspedal.
„Dir hat es nichts gebracht.“
„Das ist verdammt lang her. Ich war damals einfach nicht so weit. “
„Ich auch nicht. Und ich konnte mich nicht verpissen. Jetzt ras' doch nicht so.“
„Ich will heute nochmal irgendwann ankommen.“
„Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir ja noch ne wilde Jugend gemacht ...“
„So wild war die auch nicht. Meinst du, mir ging das immer so toll?“
„Ach nein? Schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, deine WG, und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“
„Das hatten wir alles schon mal.“
„Oh, sorry, sorry, dass ich dich langweile!“

Sie biss die Zähne zusammen und sah aus dem Fenster. Das Küken piepste und sie dachte, dass sie zu wenig Fliegen mitgenommen hatten. Dann hörte sie ein zweites Geräusch. Von Thomas. Er pfiff ein leises, nervöses Lied.

Das heißt, da käme nur dieser Einschub hinzu:
„So wild war die auch nicht. Meinst du, mir ging das immer so toll?“
„Ach nein? Schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels,

Hier würde Thomas noch ein bisschen besser wegkommen, aber ich fände es noch etwas realistischer, dass er nicht einfach nur Luftikus war, sondern Angst vor der Verantwortung hatte. Vielleicht als Dialog auch natürlicher. Aber momentan sehe ich den Wald vor Bäumen nicht mehr und bleibe erstmal bei der leicht abgespeckten Variante.

Was den Aufbau betrifft, vermutlich haben die anderen recht, wenn sie sagen, man hätte gegen Ende abkürzen können, weil nichts Wichtiges mehr folgt.
Die überbrühten Heimchen kann ich jetzt jedenfalls auch nicht mehr wegkürzen.:D
Im Ernst, der zweite Teil ist mir (noch zu) wichtig. Das sind Dinge, die wollte ich einfach erzählen.

Und dann hast du mir noch sehr ermutigende Worte zu meiner Sprache geschrieben. Ja, ich bin da selber auch gemischt, merke ja, dass mein Stil durchaus bei einigen gut ankommt und mag auch selber einen klaren Stil, fühle mich schnell überreizt. Aber es gibt auch die Seite, wo es sich anfühlt, als hätten andere Leute Flügel beim Schreiben, während ich da Schritt für Schritt vorwärtskrauche und am liebsten jeden Satz mit "Als ..." anfangen und mit "und" verbinden würde. Bei dieser Schwalbengeschichte fühlte ich mich im Vergleich zum mündlichen Erzählen geradezu behindert.

Offensichtlich kriegst du es hin, dass man durch den Text flutscht und wissen will, wie es weitergeht. Deine Sprache muss also etwas leisten, was sehr wichtig ist, nämlich Vehikel und Mittel für die Geschichte, ihre Entwicklung und Steigerung, zu sein. Sie ist unaufdringlich, benennt und fließt.
Und das macht mich echt glücklich, dass du das so siehst!

Liebe @Novak, ganz herzlichen Dank, dein Kommentar hat mich riesig gefreut!


Liebe NGK @Nichtgeburtstagskind ,

auch dir ganz großen Dank, für dein Lob und deine Anmerkungen. Da waren wichtige Punkte dabei. Erstmal hast du natürlich vollkommen recht. Im Gegensatz zu dir habe ich meine Geschichte direkt vor der Hintertür gefunden. Ich merke immer mehr, dass ich beim Schreiben einen erlebten Anteil brauche, um da anzudocken.

beim Lesen deiner Geschichte, da dachte ich mir sofort, dass du das selbst erleben haben musst. Da steckt soviel Mitgefühl für diesen kleinen Piepmatz drin. Hach, da hast du mein Herz ja schon erobert. :herz:
Das freut mich, wenn da was von der Rührung, die ich für die kleine Schwalbe hatte, rübergeschwappt ist.

Den Einstieg finde ich nicht so optimal. Etwas kompliziert und verkopft das ganze.
Zuerst schrie Nicole die Katze vom Nachbarn an.
Denkt man wirklich es war die Katze, wenn ein Schwalbennest auf dem Boden liegt? Da kommt die doch gar nicht dran.
Ich würde den Blick direkt auf die toten Schwalben lenken und dann erst auf die Katze. Schließlich sind sie ja die Hauptdarsteller.
Momentan mag ich den Einstieg so ganz gerne, gerade, weil man sich wundert, wieso Nicole schreit. Ich weiß, das das als Argument nicht gilt, aber so war es. Ich dachte, die Katze war es (wieder mal). In echt übrigens unsere eigene. Und die guckte nur erstaunt.

Überall verstreut lagen die Brocken des zerplatzten Nestes, dazwischen die kleinen Leiber und hoch oben unter dem Dachüberstand klebten dunkle Ränder an der Fassade, dort wo wochenlang die Schwalbeneltern ein- und ausgeflogen waren.
Anstelle eines verbindenen Unds würde ich diese beiden Sätze trennen. Macht den ersten Satz stärker, und der ist auch der wichtigere, oder?
Das habe ich gemacht. Ja, ist besser. Vielen Dank!

Jetzt schrie sie doch: „Dann geh halt wieder in deine Butze!“
Mit Butze meinst du wahrscheinlich Kammer oder so? Ich kenn das ja nur als ausgebeulte Hose. Von daher wirkt der Satz ziemlich albern auf mich.
Jedenfalls kommt doch eindeutig rüber, dass er abwertend gemeint ist, oder? "Hose" kenne ich tatsächlich nur als "Buxe".

Ich finde übrigens, dass du in diesem kleinen Dialog schon sehr schön die Beziehung skizziert hast. Nicole bittet sofort ihren Mann um Hilfe. Das ist ihre erste Reaktion, vermutlich auch aus Gewohnheit. Das heißt, dass sie sich sonst auf ihn verlassen konnte. Und sie hasst ihn auch nicht, sonst würde sie ihn nicht ansprechen. Auch gekränkter Stolz steht ihr nicht im Weg. Ich finde, das wirkt eher positiv auf mich. So lange ein Paar noch kommuniziert besteht doch noch Hoffnung, oder?
Auf jeden Fall. Ich wollte eine Beziehung zeigen, die wirklich große Baustellen hat, aber eben auch Potential.

Dabei ekelte sie sich vor dem Ungeziefer,
Unpassend tellig. Zuckt sie zurück, als ihr eine Assel über die Hand krabbelt? Versucht sie die Brocken davon zu reinigen?
Danke. Das habe ich jetzt etwas verändert und lasse es erstmal wirken:
In einen Erdbeerkarton legte sie Brocken des Nestes, damit es vertrauter wirkte. Dabei ekelte sie sich vor den Maden und kleinen, schwarzen Käfern, die sich im Lehm bewegten. Dann stellte sie den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze.

Nicole stand zweifelnd davor, holte ein Handtuch, um sie abzudecken, nahm es wieder weg, damit die Vogeleltern ihre Küken finden könnten.
Diese Unsicherheit finde ich so liebenswert. Ich sehe dadurch tausend Gedanken in Nicoles Kopf (und irgendwie sehe ich anstatt Nicole die ganze Zeit dich vor dem Küken stehen) umherkreisen. Man merkt, dass sie alles richtig machen will.
Gut erkannt, so stand ich da und wollte alles richtig machen. Besser wäre es gewesen, wenn ich sie gleich rein ins Warme geholt hätte und natürlich ohne das Ungeziefer, weil sie eben nicht gepiepst haben. Aber, ob das Zweite dann überlebt hätte, ist fraglich.

Wieder einmal dachte sie an Julian. Eigentlich war es nicht der heutige Julian, den sie vermisste, sondern der Schuljunge, für den das eine aufregende Sache gewesen wäre.
Ich finde du könntest generell mehr Absätze machen. Zum Beispiel vor diesem Abschnitt.
Habe ich gemacht, ist aber nur ein kleiner Abschnitt geworden. Ich gucke den Text auch nochmal durch. Danke!

Mir gefällt das total gut. Die menschlichen Gedanken, die Ohnmächtigkeit und das Bedürfnis das Leiden zu beenden. Und dann kommt die Natur und zeigt, dass sie nicht so leicht unterzukriegen ist.
Ja.

„Was soll ich denn machen?“
Wie er sich zusammenriss, durchatmete.
Find ich super, dass er sich nicht provozieren lässt.
Ja, der Mann wird so unterschiedlich bewertet, ich habe das Gefühl, von Frauen wohlwollender als von Männern.

Die Welt war fliegenfrei, morgens um sechs. Zum Verzweifeln fliegenfrei.
Sowas weiß man doch nur, wenn man selbst schon versucht hat um diese Uhrzeit fliegen zu fangen. Ich sehe dich schon wieder vor mir!
:D

Dann hast du zwei Punkte, die so in dieselbe Richtung gehen:

Was ich dir nicht abnehme ist dieser Streit. Der kommt mir total konstruiert vor. Wenn da wirklich so eine Frustration zwischen den beiden herrscht, Unverständnis und auch Unverzeihliches, dann müsste man das doch auch sonst merken. Ich finde aber dass die anderen Gespräche nicht so wirken. Klar, da steht etwas zwischen den beiden, das müsste aus dem Weg geräumt werden. Aber da ist eine Basis aus Vertrauen und Respekt für einander. Die ist doch nicht auf einmal weg.
Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, deine WG, wo ihr euer dreckiges Geschirr einfach in die Badewanne gestellt habt, ha wie lustig. Und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.
Das glaube ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Gespräch wirklich zwischen den beiden stattfindet. Das passt für mich überhaupt nicht. Warum sollte Nicole auf einmal – wenn sie wohl zehn Jahre nicht mehr darüber gesprochen hat - auf einmal davon anfangen?
Nach so langer Zeit müsste der Frust längst weg sein oder hätte schon längst die Beziehung zerstört.
Ich habe oben bei Novak nochmal zwei Varianten eingestellt, vielleicht passt da etwas besser für dich? Allerdings glaube ich doch, dass es möglich ist, dass man im Alltag eigentlich ganz gut und vertraut miteinander funktioniert, dass in so einer Sondersituation aber ganz alte Sachen hochkommen. Im Grunde ist das ja eine Ehe in der Starre. Sie fühlt sich einsam mit ihm. Sie ist genervt und fordernd und er zieht sich zurück. Jetzt bringt der Auszug des Sohnes, ihre Drohung zu gehen und diese Schwalbenaktion Schwung da rein, es zeigt sich, was sie verbindet, aber sie fallen auch in ihre Muster. So ähnlich sehe ich das.

Nicole fragte, was mit dem Navi los sei. Thomas erklärte was mit Linux, dass das mit dem Update nicht funktioniert hatte, aber sie hörte nicht richtig hin und er brach ab.
Handy und Googlemaps? Wer benutzt denn noch ein Navi …? Nicole hat doch auch ein Handy, was ist denn damit?
Äh, sie kriegt das damit nicht so hin? Und ich kenne tatsächlich so einige Leute um die fünfzig, die sich einem Smartphone verweigern, meist Männer übrigens.

Ich habe auch die ganzen Infos von Frau Witte gerne gelesen. Aber ich finde das Thema auch interessant. Ich kann verstehen, wenn das einigen Lesern am Ende zu viel wird. Aber wegen mir musst du da nicht kürzen. :)
Und jetzt weiß ich auch, wen ich anrufe, wenn ich einen Babyvogel finde.
Das darfst du gerne. Bei dir ist die Vogelfrau übrigens auch viel näher.;)


Also entweder müsste das Streitgespräch anders verlaufen, nicht so holzhammermäßig, oder die anderen Szenen müssten schon schärfer sein. Aber das fände ich schade. Die beiden sollen doch jetzt ihre Zweisamkeit genießen!
Wer weiß, vielleicht kriegen sie es ja noch hin.:)

Ich hoffe, wir sehen uns bald, hier im Norden.

Ach, das wäre toll, wenn es nächstes Jahr klappt! Ganz herzlichen Dank, liebe NGK, du bist ja echt tapfer, was das Durchkommentieren der Challenge betrifft.

Noch einen schönen Restadvent wünscht Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Chutney

Das ist eine sorgfältig konstruierte Geschichte, die aber nicht konstruiert wirkt, sondern organisch daherkommt. Ich habe die anderen Kommentare nur kurz angelesen, sorry, falls sich im Folgenden etwas doppelt: Mir gefällt, dass das eine erzählt und das andere gezeigt wird, also diese Kükengeschichte trägt den Plot, aber gezeigt wird, wie die beiden Figuren zueinander stehen, das wird sehr schön entfaltet, da gibt es auch so Bewegungen, Abstossung, kleinere Wiederannäherungen, man fiebert mit. Ich finde das wirklich gut gemacht. Was mir auch gut gefällt, ist die Tatsache, dass du dir die Zeit nimmst, das im Detail zu erzählen. Ich denke, der Text muss ein wenig atmen, damit die Feinheiten sich denn auch entfalten können. Die detaillierten Beschreibungen zu Beginn müssen sogar, finde ich. Denn "Sie kümmerte sich intensiv" wäre ja so eine Art Widerspruch in sich, wenn das nur so dastehen würde, das muss schon gezeigt werden.
Gegen Ende des Textes erschöpft sich das Potential allerdings ein wenig. Da müsste entweder auf der Plotebene mehr Spannung rein, oder auf der Beziehungsebene noch eine deutlichere Wendung her, der Text verharrt in dieser Ambivalenz, in einem leichten Hin und Her, das empfand ich auf einmal als etwas zäh zu lesen. Ich würde da nicht unbedingt kürzen wollen (ausser vielleicht ein paar Ausführungen der Frau von der Vogelstation). Aber irgendein Zusatzmodul müsste da noch zünden.

Ich habe den Text dennoch sehr gern gelesen.

Details:

Zuerst schrie Nicole die Katze vom Nachbarn an. Aber die fühlte sich gar nicht gemeint, so ungerührt, wie sie ihre Pfote leckte. Zu Recht. Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.
Ich finde den Einstieg irgendwie kompliziert. Katze? Vielleicht doch nicht Katze? Ja, doch nicht Katze! Denn es war nicht die Katze. Ich würde glaub direkt mit dem Nest am Boden beginnen.
auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.
Das hat mich (später) verwirrt, weil zwei eben doch nicht tot sind.
Hoch oben unter dem Dachüberstand klebten dunkle Ränder an der Fassade, dort wo wochenlang die Schwalbeneltern ein- und ausgeflogen waren. Auch jetzt umflatterten sie die Stelle, als gäbe es dort noch etwas zu tun.
Das erste "dort" lässt sich streichen.
Oder eben erst, während sie packte.
Müsste doch ebenfalls ins PQP, oder? Sie steht ja nicht draussen und packt. Sie hat drinnen gepackt und steht jetzt draussen.
Eins von den Küken am Boden drehte
"Eines der Küken" würde mir besser gefallen. "Am Boden" lässt sich allenfalls streichen. Du hast bereits das Pflaster erwähnt.
Zuerst schrie Nicole die Katze vom Nachbarn an.
Wir Schweizer kennen ja keinen Genitiv und ich dachte immer, wir müssten uns schämen, wenn wir "Der Hut von dem Mann" schreiben. Ich wage nicht zu protestieren, aber, ehm, müsste da nicht doch Genitiv?
„Oh, nein“, murmelte Nicole. „Ihr habt doch wirklich überhaupt keine Chance.“
Das wirkt etwas schwerfällig.
Nicole schien es, als könne sie ihren Schock fühlen,
"als könnte" (irrealis)
Mit dem Ellbogen drückte sie die Klinke der Hintertür auf und rief nach ihrem Mann. Aus seinem Büro kam keine Reaktion. Neuerdings benutzte er Kopfhörer. Nachdem sie mehrfach gegen die Tür getreten hatte, riss er sie auf.
Ich unterstelle dir mal frech die Tendenz zu sauberem Schreiben. Du schliesst alle Lücken sehr sorgfältig. Das betrifft zum Teil auch die Dialoge, wo du selten ein Aneinandervorbeireden, ein Fallenlassen dessen, was der Gesprächspartner gesagt hat, erlaubst. Hier wirkt das etwas unorganisch. Vielleicht könntest du den Kopfhörer dem Mann einfach um den Hals hängen, wenn er die Tür öffnet, und der Leser reimt sich die Sache zusammen.
„Ja und jetzt? Da kann man wohl nicht viel machen.
Streichkandidat.
Dann stellte sie den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze. Nach Wochen der Hitze war es heute etwas kühler. Die Küken saßen eng aneinandergedrückt, vielleicht froren sie.
Ähnlich wie oben eine dazwischengeschobene Info, damit der Leser keine Fragezeichen kriegt.
Er wäre losgesaust, Fliegen fangen, hätte recherchiert und ihr ständig von seinen Ergebnissen berichtet.
Kann m.E. weg.
Als sie den Küken nachmittags mit der Pinzette Fliegen hinhielt, sperrte das eine den gelben Schnabel auf und nahm die Fliege an. Das andere blieb verkrümmt sitzen, den Schnabel geschlossen, was ihm einen beleidigten Ausdruck gab. Der kleine Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Von Zeit zu Zeit zuckten beide, schüttelten sich und schlugen mit den Flügeln. Nicole ersetzte die Lehmbrocken des Kartons durch Küchenkrepp und brachte ihn ins Badezimmer. Abends lag ein Küken regungslos da. Über seine Augen hatten sich dünne Häutchen gezogen.
Das finde ich eine sehr schöne Stelle!
Und jetzt bleibst du doch, weil du mich brauchst, um ein Schwalbenbaby zu retten.“ Thomas stand mit verschränkten Armen an der Spüle gelehnt.
„Ich bleibe, weil ich das Schwalbenbaby retten will.
Vielleicht genügt ein "es" in der Antwort.
„Wo soll ich denn da bitte Fliegen fangen? Hier ist wenigstens direkt die Kuhwiese.
Diese Begründung/Erklärung kann weg.
„Ruf doch im Tierheim an.“
„Hab ich schon.“
„Und?"
„Ich soll das Küken unter einen Busch setzen. Andere Tiereltern hätten auch Kinder.“
Er lachte auf.
„Wusste ich, dass dir das gefällt“, sagte sie.
Gefällt mir sehr gut! Das ist sehr knackig.
Im Gewächshaus, in dem in diesem Jahr nur wenige Tomatenpflanzen vertrockneten, fing sie eine einzige Fliege.
Das klingt ein wenig so, als würden in anderen Jahren viele Tomatenpflanzen vertrocknen.
Zugleich hofften dort viele Spinnen in ihren Netzen ebenfalls auf Beute, genau wie die Schwalben hoch oben am Himmel, alle schienen zu warten und Nicole wartete heute mit ihnen.
Doppelt. Vielleicht: "Auch die Spinnen in ihren Netzen hofften auf Beute, ..." Ansonsten gefällt mir die Stelle sehr.
„Hat der sich noch mal gemeldet?“
"der" statt "er" klingt in diesem Kontext in meinen Ohren grob und abwertend.
Vielleicht war er auch nur erschöpft von dem, worüber sie schwiegen.
Sehr schön!
„Echt? Da kannten wir uns doch noch kaum. Und da haben wir auch hier gehalten? Dass du dich an die Tankstelle erinnerst.“
In dieser Reihenfolge klingen die Sätze so, als wäre es unüblich hier zu halten, wenn man sich noch nicht so gut kennt. :D
„Keine Ahnung, ob ich das echt gesagt habe.
Kann weg.
Außerdem lag ich ja wohl mit dem Schwein gar nicht so falsch.
Zu viel relativierendes Beigemüse, für meinen Geschmack.
„Ich auch nicht. Und ich konnte mich nicht verpissen. Jetzt ras doch nicht so.“
„Ich will heute nochmal irgendwann ankommen.“
Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“
Hier ein sauberer Übergang, der Bezug nimmt auf das, was der andere gesagt hat. Dann der Übergang von lebendig zu leben und dann zur wilden Jugend. Ich glaube, ich würde hier direkt mit: "Du hast dir noch ..." antworten, ignorieren, was der andere gesagt hat.
Thomas erklärte was mit Linux, dass das mit dem Update nicht funktioniert hatte, aber sie hörte nicht richtig hin und er brach ab.
Sehr mündlich.
Sie fuhren umher, sie schwitzten, fragten an zwei Tankstellen, schienen sich in Spiralen dem Zielort zu nähern. Die Dörfer, durch die sie fuhren, wurden immer leerer, wirkten unecht in der grellen Sonne. Ein Junge, der an einer Bushaltestelle saß, aktivierte sein Smartphone und hielt es ihnen vor die Nase, aber sobald sie weiterfuhren, hatten sie schon wieder die Hälfte vergessen. Als Nicole sich gerade fragte, ob sie bis zum Ende ihres Lebens mit ihrem Mann und einem verhungernden Küken im Kreis herumfahren würde, fanden sie das Ortsschild, das sie suchten. Eine alte Frau erklärte umständlich den Weg aus dem Dorf hinaus zu dem Hof. Sie stritten sich von Kreuzung zu Kreuzung, zuletzt darüber, ob der schmale Weg rechts als Straße zählte. Schließlich bogen sie dort ein, doch der Weg verengte sich immer weiter und endete auf einem Acker, zwischen Korn und Knick. Thomas legte schwer atmend seinen Kopf auf die Nackenstütze.
Der Abschnitt hat mir nicht so viel gegeben, diese Irrfahrt empfand ich als retardierend im suboptimalen Sinn.
„Halt die Klappe!!!“
Ein Ausrufeezeichen genügt.
„Wo willst du das denn hier im Gestrüpp finden? Jetzt haben wir es versaut. Das war's. Jetzt kann es hier verhungern oder gefressen werden!
Das wäre mir knapper lieber. Das war's. Punkt.
Irgendwo weit weg bellte ein Hund.
Da musste ich lachen, weil mein Lektor kürzlich gemeint hat, in Texten werde viel häufiger gegrinst als im richtigen Leben (das war gegen mich gerichtet :D) und dann hat er noch weitere Unsitten aufgezählt, und gemeint, zuoberst auf seiner Liste stehe: "Irgendwo bellte ein Hund."
Das Küken war still und Nicole hatte Angst, es würde jetzt noch sterben, nur weil diese Frau so lange telefonierte.
Müsste da nicht doch ein "doch" zwischen jetzt und noch?
In der Mitte der Scheune stand, wie eine Insel, eine alte Couchgarnitur, Nester klebten unter den Balken und Schwalben flogen umher.
Ich würde hier einen Punkt statt Komma setzen. Ist doch ein Strecke von der Couch bis zu den Balken.

Hat Spass gemacht, liebe Chutney!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Da habe ich ja mal gar nichts auszusetzen, liebe @Chutney
Aber so gar nichts.
Gefällt von Anfang bis Ende. :thumbsup:

 

Liebe @Chutney ,

eigentlich hatte ich sozusagen schon den Bleistift gezückt, nein genauer gesagt, den Finger auf der Maus, um die Sätze zu kopieren, die ich für verbesserungswürdig halte, aber daraus ist nichts geworden. Weil ich habe nicht einen Satz in deiner Geschichte gefunden, den ich für nicht passend halte oder der verbessert werden müsste. Respekt, da ist dir eine perfekte formulierte interessante und zudem lehrreiche Geschichte gelungen.
Mir hat sie also sehr gefallen.
Ich könnte mir aber vorstellen, dass es nicht jedem so geht, denn das Thema, auch wenn du es in einen kräftigen Beziehungskonflikt eingebaut hast, interessiert vielleicht nicht jeden so sehr.
Das ist bei mir allerdings komplett anders, weil mit meiner Liebe zu Katzen auch im Laufe all der Jahre meine Liebe zu allen Tieren gewachsen ist.
Und von daher hat mich dein Thema gepackt und gefesselt gehabt.
Was ich gelungen finde ist, dass du all das Wissen, das du über diese Schwalbenrettung sicherlich lange und ausführlich recherchiert hast, so elegant in die Geschichte eingewoben hast, so dass man sich zu keinem Zeitpunkt belehrt oder rausgerissen fühlt. Großes Lob dafür, weiss ich doch, wie schwer das fällt, da die Sachbezogenheit so verschwinden zu lassen, dass sich kein Leser an einen reinen Informationsartikel erinnert fühlt. Ganz akut ist das gerade bei mir das Problem, aber das nur am Rande und als Erklärung dafür, dass mir hier bei dir das besonders hervorhebenswert erscheint.
Ich habe übrigens all diese Dinge nicht über Schwalben gewusst, also dass unser Klimawandel letztendlich kräftig daran mittut, dass es diesen Tieren schlechter geht und ganz einfach nicht nur der Nahrungsmangel, den sich jeder, der ein wenig mitdenkt, selbst denken kann, der Grund für ihre schwindende Zahl ist, sondern eben als Folge des Nahrungsmangels auch der intensivere Befall der Küken mit Parasiten. Auch wusste ich nicht, dass Schwalben nur das, was fliegt oder mal geflogen ist, zu sich nehmen. Ich hätte tatsächlich auch erstmal nach Würmern Ausschau gehalten.
Also wieder was dazu gelernt.

Was mir auch sehr gut gefallen hat, war die Beschreibung der Frau Witte, die mit einer Selbstverständlichkeit, als gäbe es nichts anderes zu tun auf dieser Welt sich um diese verletzten Vögel kümmert. Ich kenne so einen Typ Frau im Bereich des Igelschutzes und finde es immer wieder faszinierend, wie selbstlos diese Menschen handeln, quasi ihr ganze Leben auf die Rettung dieser Tiere ausrichten. Sie haben alle meine Hochachtung.
Ich gehe davon aus, dass es diese Schwalbenfrau auch wirklich gibt, oder anders gesagt, wenn es sie nicht gibt, dann ist dir ein Bravourstück gelungen, denn ich gehe wegen der absolut realistischen Schilderung davon aus, dass es sie live gibt.

Aber das ist noch nicht alles, was mir an deiner Geschichte gut gefallen hat. Dir gelingt auch noch, diesen Beziehungskonflikt mit einzuweben und zwar so, als führe der Kameramann rein in das Haus des Paares und filmte alles, was zwischen ihnen passiert.
Die Dialoge oder auch eher Schlagabtausche zwischen den beiden sind sehr realistisch wieder gegeben. Ein Paar, das schon eine Weile zusammen lebt und seine Routinen hat, die sich natürlich auch auf der Ebene der Vorwürfe erstrecken. Da passiert nichts Neues, da dreht man sich eigentlich nur im Kreis und wird es irgendwann müde.
Und vielleicht auch manchmal zu müde, um zu gehen, denn der Anlass, weswegen deine Protagonistin nun doch noch nicht das Weite sucht, also die Rettung der Schwalbe, ist ja eigentlich eher klein.
Dieses Gehen oder Bleiben hat nichts Dramatisches mehr, man weiß, was man aneinander hat und man weiß, was man nicht aneinander hat. Das hast du ziemlich gut dargestellt.
Auch, dass diese Schwalbe letztendlich beide wieder zusammen führt, wenn auch auf ihre spröde Art und Weise.
Man spürt, dass alles auf dünnem Boden ist, der jederzeit wieder einbrechen kann.
Also wie es dein Titel schon sagt, vielleicht nur einen Schwalbensommer lang anhält. Ich mag solche Doppeldeutigkeiten gern. Bei dir finde ich sie hier.

Und mir gefällt das Happy End. Nein, ich bin nicht süchtig nach einem guten Ende, eher im Gegenteil. Ich mag sehr gern selbst ein Antihappyendende, aber dein Geschichtenende gefällt mir gut. Man könnte sich vorstellen, dass er ganz eingefangen wird, von der Zuneigung dieses fehlgeleiteten Vogels und fasziniert sich nicht lösen kann. Fast als Ersatz für das,was ihm vielleicht in dieser Beziehung abhanden gekommen ist.
Oder man könnte sich auch gut vorstellen, dass er aus dieser Zutraulichkeit, die der Vogel zu ihm herstellt, wieder reinstapft in die Realität, die mit all ihren Sachzwängen dann zu der Erkenntnis führt, dass er sich zeitlich so einen bedürftigen Vogel nicht leisten kann und will.
Das lässt du gelungen offen und jeder kann sich seinen eigenen perfekten Schluss dazu denken. Gut gemacht.

Feine Geschichte!

Habe frohe Weihnachten!

Lieben Gruß
lakita

 

Lieber @joycec ,

dir ganz herzlichen Dank für deine lobenden Worte, das freut mich sehr, dass für dich alles gepasst hat.:)

Frohe Weihnachten wünscht Chutney


Lieber @Peeperkorn, liebe @lakita,

für eure wunderbaren Kommentare möchte ich mir gerne richtig Zeit nehmen und die werde ich leider erst wieder nach Weihnachten haben. Aber erstmal vielen, vielen Dank. :herz:
Euch auch ganz schöne Weihnachten! (Ich packe jetzt einen echten Koffer).
Und liebe Grüße von Chutney

 

Lieber @Peeperkorn ,
endlich habe ich die Ruhe, auf deinen Kommentar zu antworten. Vor Weihnachten habe ich mehrmals vergeblich angesetzt. Aber jetzt!
Schön, dass für dich die Verschlingung der beiden Handlungsstränge funktioniert.

Das ist eine sorgfältig konstruierte Geschichte, die aber nicht konstruiert wirkt, sondern organisch daherkommt.
Also nur für das Fachauge ein kleines bisschen konstruiert wirkt? ;) Nein, im Ernst, das freut mich und ich denke auch, dass sie organisch daherkommt. Ich finde diesen Aspekt aber total interessant. Wo konstruiere ich, wo schreibe ich "ordentlich", das hat natürlich auch viel damit zu tun, es richtig machen zu wollen, keine Angriffsfläche zu bieten, da hast du mir einen guten Denkanstoß gegeben.


Ich denke, der Text muss ein wenig atmen, damit die Feinheiten sich denn auch entfalten können. Die detaillierten Beschreibungen zu Beginn müssen sogar, finde ich.
Wunderschöne Formulierung, dass der Text ein wenig atmen muss, das merke ich mir.

Gegen Ende des Textes erschöpft sich das Potential allerdings ein wenig. Da müsste entweder auf der Plotebene mehr Spannung rein, oder auf der Beziehungsebene noch eine deutlichere Wendung her, der Text verharrt in dieser Ambivalenz, in einem leichten Hin und Her, das empfand ich auf einmal als etwas zäh zu lesen. Ich würde da nicht unbedingt kürzen wollen (ausser vielleicht ein paar Ausführungen der Frau von der Vogelstation). Aber irgendein Zusatzmodul müsste da noch zünden.
Ja, im zweiten Teil gibt es keine wirkliche Wendung mehr, das stimmt. Ich sehe diese Geschichte insgesamt so, dass die beiden sich weiterhin durch ihre Ehe kämpfen, dass sie sich am Ende einen kleinen Schritt näherkommen, dass aber jeder dieser Schritte immer gefährdet ist. Und ich sehe da dieses Hin und Her, das du als etwas zäh empfindest auch in so einem Sinne, dass wir in unserem Alltag mit unseren persönlichen Themen ringen, während sich um uns herum die Zeichen mehren, dass die Welt kaputt geht. Deshalb ist mir der zweite Teil sehr wichtig und auch die Ausführungen der Frau.

Zuerst schrie Nicole die Katze vom Nachbarn an. Aber die fühlte sich gar nicht gemeint, so ungerührt, wie sie ihre Pfote leckte. Zu Recht. Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.
Ich finde den Einstieg irgendwie kompliziert. Katze? Vielleicht doch nicht Katze? Ja, doch nicht Katze! Denn es war nicht die Katze. Ich würde glaub direkt mit dem Nest am Boden beginnen.
Das hat @Nichtgeburtstagskind auch vorgeschlagen. Das gucke ich mir mit etwas Abstand nochmal an. Mir gefällt der kleine Umweg eigentlich, aber vielleicht klebe ich auch nur daran, weil es die Originalsituation war. (mit unserer eigenen Katze) Also die Stelle bleibt erstmal mit Fragezeichen.

Hoch oben unter dem Dachüberstand klebten dunkle Ränder an der Fassade, dort wo wochenlang die Schwalbeneltern ein- und ausgeflogen waren. Auch jetzt umflatterten sie die Stelle, als gäbe es dort noch etwas zu tun.
Das erste "dort" lässt sich streichen.
Ich habe jetzt das zweite "dort" gestrichen und hinter dem ersten "dort" noch ein Komma angefügt, hoffe, das stimmt.

Oder eben erst, während sie packte.
Müsste doch ebenfalls ins PQP, oder? Sie steht ja nicht draussen und packt. Sie hat drinnen gepackt und steht jetzt draussen.
Habe ich geändert.

Eins von den Küken am Boden drehte
"Eines der Küken" würde mir besser gefallen. "Am Boden" lässt sich allenfalls streichen. Du hast bereits das Pflaster erwähnt.
auch geändert, ist besser.

Zuerst schrie Nicole die Katze vom Nachbarn an.
Wir Schweizer kennen ja keinen Genitiv und ich dachte immer, wir müssten uns schämen, wenn wir "Der Hut von dem Mann" schreiben. Ich wage nicht zu protestieren, aber, ehm, müsste da nicht doch Genitiv?
Ist geändert. Wobei sich mir die Frage stellte, inwieweit man bei einem personalen Erzähler auch dessen Sprachduktus aufgreift. Genitiv ist definitiv korrekter, aber "vom" klingt für mich ein bisschen schnoddriger, lakonischer, irgendwie. Also da habe ich geändert, bin aber nicht ganz sicher.

„Oh, nein“, murmelte Nicole. „Ihr habt doch wirklich überhaupt keine Chance.“
Das wirkt etwas schwerfällig.
"überhaupt keine" ist durch "gar" ersetzt.

Nicole schien es, als könne sie ihren Schock fühlen,
"als könnte" (irrealis)
Das hatte @Friedrichard auch schon moniert. Da ihr jetzt schon zwei seid, habe ich es geändert, finde es nach wie vor ohne das "t" irgendwie hübscher.

Mit dem Ellbogen drückte sie die Klinke der Hintertür auf und rief nach ihrem Mann. Aus seinem Büro kam keine Reaktion. Neuerdings benutzte er Kopfhörer. Nachdem sie mehrfach gegen die Tür getreten hatte, riss er sie auf.
Ich unterstelle dir mal frech die Tendenz zu sauberem Schreiben. Du schliesst alle Lücken sehr sorgfältig. Das betrifft zum Teil auch die Dialoge, wo du selten ein Aneinandervorbeireden, ein Fallenlassen dessen, was der Gesprächspartner gesagt hat, erlaubst. Hier wirkt das etwas unorganisch. Vielleicht könntest du den Kopfhörer dem Mann einfach um den Hals hängen, wenn er die Tür öffnet, und der Leser reimt sich die Sache zusammen.
Ha: "die Tendenz zum sauberen Schreiben". Das kannte ich eben bisher gar nicht als Kritikpunkt. Deine Kopfhöreridee habe ich aufgegriffen, danke!


„Ja und jetzt? Da kann man wohl nicht viel machen.
Streichkandidat.
Ist gestrichen.
Dann stellte sie den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze. Nach Wochen der Hitze war es heute etwas kühler. Die Küken saßen eng aneinandergedrückt, vielleicht froren sie.
Ähnlich wie oben eine dazwischengeschobene Info, damit der Leser keine Fragezeichen kriegt.
Ist auch gestrichen.

Er wäre losgesaust, Fliegen fangen, hätte recherchiert und ihr ständig von seinen Ergebnissen berichtet.
Kann m.E. weg.
Das habe ich gelassen, weil für das für mich der Kontrast ist zwischen damals, wo Julian ganz viel von seiner Mutter wollte, wo sie vielleicht manchmal sogar genervt war und heute, wo sie genau das vermisst.

Als sie den Küken nachmittags mit der Pinzette Fliegen hinhielt, sperrte das eine den gelben Schnabel auf und nahm die Fliege an. Das andere blieb verkrümmt sitzen, den Schnabel geschlossen, was ihm einen beleidigten Ausdruck gab. Der kleine Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Von Zeit zu Zeit zuckten beide, schüttelten sich und schlugen mit den Flügeln. Nicole ersetzte die Lehmbrocken des Kartons durch Küchenkrepp und brachte ihn ins Badezimmer. Abends lag ein Küken regungslos da. Über seine Augen hatten sich dünne Häutchen gezogen.
Das finde ich eine sehr schöne Stelle!
Danke. :)

Und jetzt bleibst du doch, weil du mich brauchst, um ein Schwalbenbaby zu retten.“ Thomas stand mit verschränkten Armen an der Spüle gelehnt.
„Ich bleibe, weil ich das Schwalbenbaby retten will.
Vielleicht genügt ein "es" in der Antwort.
Ich stelle mir vor, dass er das "Schwalbenbaby" so trocken/ironisch sagt und dass sie das dann aufgreift, mit Betonung auf "ich". Doch das gefällt mir so.


„Wo soll ich denn da bitte Fliegen fangen? Hier ist wenigstens direkt die Kuhwiese.
Diese Begründung/Erklärung kann weg.
Die Kuhwiese ist weg.

knackig.
Im Gewächshaus, in dem in diesem Jahr nur wenige Tomatenpflanzen vertrockneten, fing sie eine einzige Fliege.
Das klingt ein wenig so, als würden in anderen Jahren viele Tomatenpflanzen vertrocknen.
:lol: Hier habe ich jetzt "wenige" durch "ein paar" ersetzt. Vielleicht reicht das ja.

Zugleich hofften dort viele Spinnen in ihren Netzen ebenfalls auf Beute, genau wie die Schwalben hoch oben am Himmel, alle schienen zu warten und Nicole wartete heute mit ihnen.
Doppelt. Vielleicht: "Auch die Spinnen in ihren Netzen hofften auf Beute, ..." Ansonsten gefällt mir die Stelle sehr.
Hier habe ich das "Ebenfalls" gestrichen.

„Hat der sich noch mal gemeldet?“
"der" statt "er" klingt in diesem Kontext in meinen Ohren grob und abwertend.
Das finde ich jetzt sehr spannend, denn den gleichen Punkt hattest du schon einmal in meiner Geschichte "Cyclophosphamid" genannt und ich habe das damals auch gleich erschrocken geändert. Ich glaube aber, das empfinden wir unterschiedlich stark. "Er" gefällt mir auch nicht, das finde ich zu fein. Der Thomas sagt ja auch so Sachen wie:"Und morgen frisst du wieder dein Hühnchen." Ich selbst würde wahrscheinlich sagen: "Hatter sich nochmal gemeldet?" Vielleicht steckt da sogar bei dem Thomas eine kleine Enttäuschung über die Absage des Sohnes drin, die ihn da etwas ruppiger werden lässt. Normalerweise würde man den Namen sagen, aber der steht ja im Satz davor. Also das beobachte ich noch, bzw. ich beobachte daraufhin gerade meine Umgebung.

Vielleicht war er auch nur erschöpft von dem, worüber sie schwiegen.
Sehr schön!
:)

„Echt? Da kannten wir uns doch noch kaum. Und da haben wir auch hier gehalten? Dass du dich an die Tankstelle erinnerst.“
In dieser Reihenfolge klingen die Sätze so, als wäre es unüblich hier zu halten, wenn man sich noch nicht so gut kennt. :D
Stimmt, das habe ich jetzt ein bisschen umgestellt.

„Keine Ahnung, ob ich das echt gesagt habe.
Kann weg.
Mit finde ich es etwas natürlicher, man nutzt ja durchaus Füllwörter.

Außerdem lag ich ja wohl mit dem Schwein gar nicht so falsch.
Zu viel relativierendes Beigemüse, für meinen Geschmack.
Das "wohl" habe ich jetzt weggelassen.

„Ich auch nicht. Und ich konnte mich nicht verpissen. Jetzt ras doch nicht so.“
„Ich will heute nochmal irgendwann ankommen.“
Und ich will lebendig ankommen, verstehst du? Ich will leben. Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, mit deinen Mädels, und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“
Hier ein sauberer Übergang, der Bezug nimmt auf das, was der andere gesagt hat. Dann der Übergang von lebendig zu leben und dann zur wilden Jugend. Ich glaube, ich würde hier direkt mit: "Du hast dir noch ..." antworten, ignorieren, was der andere gesagt hat.
Das ist die Stelle, die Viele gestört hat und mir gefällt die Idee sehr gut, die ersten beiden Sätze einfach wegzulassen. Das wirkt viel natürlicher. Danke!


Thomas erklärte was mit Linux, dass das mit dem Update nicht funktioniert hatte, aber sie hörte nicht richtig hin und er brach ab.
Sehr mündlich.
Ja, da überlege ich noch, aber irgendwie gefällt es mir so, weil es ihre Gereiztheit mittransportiert.

Der Abschnitt hat mir nicht so viel gegeben, diese Irrfahrt empfand ich als retardierend im suboptimalen Sinn.
Ich finde aber, dass es hier auch etwas Strecke braucht, bis in die Sackgasse hinein. Behalte ich im Auge.

„Halt die Klappe!!!“
Ein Ausrufeezeichen genügt.
Erledigt.:)

„Wo willst du das denn hier im Gestrüpp finden? Jetzt haben wir es versaut. Das war's. Jetzt kann es hier verhungern oder gefressen werden!
Das wäre mir knapper lieber. Das war's. Punkt.
Ich wollte sie ja doch etwas hysterischer zeichnen, ihn trockener, auch wenn das vielleicht bisschen clichéhaft ist. Ich finde, das charakterisiert sie hier, dass sie sich da in ihre Phantasien reinsteigert und die auch mitteilt, sich eben nicht bremst.


Irgendwo weit weg bellte ein Hund.
Da musste ich lachen, weil mein Lektor kürzlich gemeint hat, in Texten werde viel häufiger gegrinst als im richtigen Leben (das war gegen mich gerichtet :D) und dann hat er noch weitere Unsitten aufgezählt, und gemeint, zuoberst auf seiner Liste stehe: "Irgendwo bellte ein Hund."
:lol: Sehr nett. Der Hund ist weg, wobei ich zu meiner Verteidigung anführen könnte, dass es natürlich einer von Frau Wittes Hunden ist und es somit einen Bezug gibt.

Das Küken war still und Nicole hatte Angst, es würde jetzt noch sterben, nur weil diese Frau so lange telefonierte.
Müsste da nicht doch ein "doch" zwischen jetzt und noch?
Das wäre für mich doppelt gemoppelt. Aber ich habe das "jetzt" durch "doch" ersetzt.

In der Mitte der Scheune stand, wie eine Insel, eine alte Couchgarnitur, Nester klebten unter den Balken und Schwalben flogen umher.
Ich würde hier einen Punkt statt Komma setzen. Ist doch ein Strecke von der Couch bis zu den Balken.
Stimmt, ist besser.

Hat Spass gemacht, liebe Chutney!
Und mir hat es sehr viel Spaß gemacht, mich mit deinen Anregungen auseinanderzusetzen. Da war auch einiges für kommende Texte dabei. Ganz herzlichen Dank für die viele Arbeit, die du dir gemacht hast. Ich wünsche dir einen guten Rutsch und einen tollen Urlaub, lieber Peeperkorn!

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe @lakita ,
erst einmal herzlichen Glückwunsch, dass du es tatsächlich geschafft hast, alle Geschichten zu kommentieren und zwar nicht nur oberflächlich, sondern engagiert und ausführlich. So auch meine Geschichte und ich bin dir wirklich sehr dankbar dafür, nicht nur, weil mich dein Lob gefreut hat, sondern auch, weil du ein paar Aspekte angesprochen hast, die bisher noch nicht so im Fokus standen.

Das ist bei mir allerdings komplett anders, weil mit meiner Liebe zu Katzen auch im Laufe all der Jahre meine Liebe zu allen Tieren gewachsen ist.
Und von daher hat mich dein Thema gepackt und gefesselt gehabt.
Das kann ich gut nachvollziehen. Bei mir waren es Katzen und Hühner. (Wir haben einen Kater, der so aussieht wie die Katze auf deinem Profilbild.:)) Ja, ich denke, Interesse an Tieren ist bestimmt eine gute Voraussetzung, um diesen Text zu mögen.

Was ich gelungen finde ist, dass du all das Wissen, das du über diese Schwalbenrettung sicherlich lange und ausführlich recherchiert hast, so elegant in die Geschichte eingewoben hast, so dass man sich zu keinem Zeitpunkt belehrt oder rausgerissen fühlt. Großes Lob dafür, weiss ich doch, wie schwer das fällt, da die Sachbezogenheit so verschwinden zu lassen, dass sich kein Leser an einen reinen Informationsartikel erinnert fühlt. Ganz akut ist das gerade bei mir das Problem, aber das nur am Rande und als Erklärung dafür, dass mir hier bei dir das besonders hervorhebenswert erscheint.
Dankeschön! Du hast dich da aber auch an ein umfassendes Thema herangewagt. Und ich lese Geschichten auch gerne unter dem Aspekt, etwas dazuzulernen. So auch deine.

Ich habe übrigens all diese Dinge nicht über Schwalben gewusst, also dass unser Klimawandel letztendlich kräftig daran mittut, dass es diesen Tieren schlechter geht und ganz einfach nicht nur der Nahrungsmangel, den sich jeder, der ein wenig mitdenkt, selbst denken kann, der Grund für ihre schwindende Zahl ist, sondern eben als Folge des Nahrungsmangels auch der intensivere Befall der Küken mit Parasiten. Auch wusste ich nicht, dass Schwalben nur das, was fliegt oder mal geflogen ist, zu sich nehmen. Ich hätte tatsächlich auch erstmal nach Würmern Ausschau gehalten.
Also wieder was dazu gelernt.
Wie du vielleicht schon vermutest, war die Schwalbenrettung von einer realen Begebenheit inspiriert. Eigentlich habe ich da nur kleine Details verändert und die Zuspitzung auf dem Feldweg bzw. im Wald hinzugefügt. Und natürlich das Ehedrama. :D
Insofern habe ich da all diese Dinge gelernt und diese Erfahrung hat mich sehr berührt. Der Impuls, eine Geschichte zu schreiben, speist sich ja meist aus mehreren Kanälen und einer davon war sicherlich auch das missionarische Gefühl, dass das doch unbedingt alle wissen müssen. Dass einem die Klimakatastrophe schon zu Hause vor die Füße fällt. Und dass man bloß keine Würmer füttern soll. Ich gebe zu, das wollte ich alles unterbringen. Du hast dich darüber gefreut, was mich wiederum freut.

Was mir auch sehr gut gefallen hat, war die Beschreibung der Frau Witte, die mit einer Selbstverständlichkeit, als gäbe es nichts anderes zu tun auf dieser Welt sich um diese verletzten Vögel kümmert. Ich kenne so einen Typ Frau im Bereich des Igelschutzes und finde es immer wieder faszinierend, wie selbstlos diese Menschen handeln, quasi ihr ganze Leben auf die Rettung dieser Tiere ausrichten. Sie haben alle meine Hochachtung.
Ich gehe davon aus, dass es diese Schwalbenfrau auch wirklich gibt,
Ja, sogar in der Nähe von Hamburg. Falls du also mal Bedarf hast, gebe ich gerne die Kontaktdaten weiter. ;)
Ich finde es beeindruckend, immer weiter zu machen, obwohl zu sehen ist, wohin die große Entwicklung geht. Und zu ertragen, dass man nicht jedes Tier retten kann, das Leid mit anzusehen.


Ein Paar, das schon eine Weile zusammen lebt und seine Routinen hat, die sich natürlich auch auf der Ebene der Vorwürfe erstrecken. Da passiert nichts Neues, da dreht man sich eigentlich nur im Kreis und wird es irgendwann müde.
Und vielleicht auch manchmal zu müde, um zu gehen, denn der Anlass, weswegen deine Protagonistin nun doch noch nicht das Weite sucht, also die Rettung der Schwalbe, ist ja eigentlich eher klein.
Ja und noch kleiner der Anlass, aus dem sie den Koffer gepackt hat.


Dieses Gehen oder Bleiben hat nichts Dramatisches mehr, man weiß, was man aneinander hat und man weiß, was man nicht aneinander hat. Das hast du ziemlich gut dargestellt.
Auch, dass diese Schwalbe letztendlich beide wieder zusammen führt, wenn auch auf ihre spröde Art und Weise.
Man spürt, dass alles auf dünnem Boden ist, der jederzeit wieder einbrechen kann.
Ja, so sehe ich die beiden auch. Du liest die Geschichte so, wie ich sie gemeint habe. Das Ende ist hoffnungsvoll, aber da ist eben auch immer eine Gefahr.

Man könnte sich vorstellen, dass er ganz eingefangen wird, von der Zuneigung dieses fehlgeleiteten Vogels und fasziniert sich nicht lösen kann. Fast als Ersatz für das,was ihm vielleicht in dieser Beziehung abhanden gekommen ist.
Im Grunde sehe ich die beiden auch hungrig voreinander sitzen, nicht wirklich imstande, sich gegenseitig zu nähren, weil da eben so fatale Muster sind. Ich denke die beiden fühlen sich einsam miteinander. Und doch gibt es eben immer wieder auch Hoffnung, weil darunter eine verschüttete Zuneigung liegt.

Oder man könnte sich auch gut vorstellen, dass er aus dieser Zutraulichkeit, die der Vogel zu ihm herstellt, wieder reinstapft in die Realität, die mit all ihren Sachzwängen dann zu der Erkenntnis führt, dass er sich zeitlich so einen bedürftigen Vogel nicht leisten kann und will.
Interessant. Ich glaube, ich würde hier den "bedürftigen Vogel" im übertragenen Sinne sehen. Wie umgehen mit der eigenen Bedürftigkeit und der des/der anderen? Das Schlussbild birgt eine Möglichkeit der Nähe.

Feine Geschichte!

Liebe Lakita, es hat mich sehr gefreut. Ganz herzlichen Dank und einen guten Rutsch
wünscht Chutney

 

Gude @Chutney,

nur ein kleiner Kommentar von mir; ich glaube, viel müsste oder könnte ich auch gar nicht sagen.

Deine Geschichte hat mich sehr angenehm reingesogen. Ich muss ja zugeben, dass ich öfter erstmal die Geschichte entlangscrolle, ehe ich zu lesen anfange. Da hab ich gesehen, dass das gar nicht sooo kurz ist - beim Lesen hat sich der Eindruck aber relativiert, ich bin in einem Guss hindurch und konnte die Geschichte und die Details rund um die verschiedensten Vögel genießen. Das hat einfach Spaß gemacht, wenn ich das mal so sagen darf :shy:
Am Ende hätte ich mir vielleicht auch etwas mehr Knall zwischen den beiden vorstellen können, hin zu einer Entscheidung für oder gegeneinander. Aber irgendwie ist diese Schlussszene auch super, so what. :lol:
Die eingepflegten Chats mit dem Sohn waren auch sehr amüsant, auch wenn er dadurch als Figur etwas schmal bleibt. Die Figur des Ehemanns ist auch sehr gegenspielerlastig, das wirkte auf mich manchmal nur aus Prinzip dagegen (was sicherlich auch zu einer verfahrenen Ehe passt). Es sind dann die kleinen Details und (halb-)ungesagten Dinge (er müsste ja nicht mitfahren), die ihn doch zu einem Menschen machen. Das hebt zwar die für mich etwas zu krasse Dichotomie nicht gänzlich auf, schafft aber Glaubwürdigkeit.

Kleinigkeiten:

„Aha, und wie stellst du dir das morgen vor, wenn du Dienst hast?“
-> Ich war zu dem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass sie frei hat, weil sie verreisen wollte. Das relativiert sich erst später, als der Eindruck entsteht, dass sie mehr oder weniger plötzlich aufbrechen wollte (auch wenn sich die Frage dann auch nicht "neu" stellen würde).

Und sie, die schon manche Fliege behutsam durch das Fenster nach draußen geleitet hatte, zählte triumphierend die Leichen in ihrem Glas.
-> Finde ich sehr toll gemacht, wie dieses Paradoxon des Lebens und Essens und des Altruismus aufgegriffen wird.

Über Google fand Nicole, was sie brauchte. Sie fand Frau Witte.
-> Beim Lesen kam mir dieser Satz sehr dramatisch vor. À la: Sie wusste zu wem sie gehen musste. Zu Sherlockes Holmes / Zu Bond. James Bond / Zu ...
Weiß nicht, ob ich das mit dem Beispiel vermitteln konnte, aber die Konstruktion mit der Pause in der Mitte (durch den Punkt) wirkt so schicksalstragend, da wäre für mich: "Über Google fand Nicole Frau Witte." weniger auftragend.

„So“, sagte er, “wir nehmen
Fluse bei dem Anführungszeichen vor wir, das muss ja runter

Danke für diesen beflügelten Text (Wortspiel musste). :lol:

Liebe Grüße
Vulkangestein

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Chutney!

Eine Geschichte, die ich sehr gerne gelesen habe. Ich bin mir nicht sicher, ob du nach der langen Zeit und den vielen Kommentaren überhaupt noch interessiert an Kritikpunkten bist, oder ob die Geschichte für dich und einer Zielgruppe einfach schon sehr gut funktioniert und du das stehen lassen möchtest - auch das wäre für mich verständlich.

Also kurzes Feedback: Wenn du mich persönlich als Leser fragen würdest, was ich von der Geschichte denke bzw. ob ich über gewisse Punkte noch mal evtl. überarbeiten würde, dann würde ich dir sagen, dass ich das sehr gerne gelesen habe und mir das sehr authentisch vorkommt, aber ich noch etwas ins Kürzen gehen würde. Das klingt jetzt so, als ob mir die Geschichte nicht gefallen hätte, was nicht der Fall ist, aber ich glaube, wenn du wollen würdest, könntest du die Geschichte gut eindampfen, und sie würde dadurch komprimierter und vielleicht noch intensiver wirken.
Beispielsweise der Block, wo sie der Vogeldame beim Telefonieren zuhören oder wie die Hunde der Vogeldame auf sie zugerannt kommen - das könnte man komplett eindampfen/stark kürzen, meiner Meinung nach. Wäre das mein Text - und das ist jetzt wie gesagt ein sehr subjektiver Texteindruck - würde ich mich noch mehr auf die (gescheiterte?) Beziehung des Ehepaares konzentrieren, das Ganze Drumherum, viele Sätze, die nicht um die beiden gehen, würde ich kürzen. Mir persönlich war das stellenweise zu ausschweifend beim Lesen, obwohl ich wie gesagt die Kernidee, den/die Vogel/Vögel als Symbol und die Figuren mit ihrem Streit wirklich super finde. Auch das Endbild, wo sie in den Raum voller Vögel gehen und die Frau sieht, wie ihr Mann ganz still dasteht und ihm ein Vogel an den Augenbrauen knabbert, das ist wirklich stark.
Ich glaube, wenn du dich noch stärker auf die beiden fokussieren würdest, würde der Text noch klarer und intensiver wirken.


Anmerkungen:

Zuerst schrie Nicole die Katze des Nachbarn an. Aber die fühlte sich gar nicht gemeint, so ungerührt, wie sie ihre Pfote leckte. Zu Recht. Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte.
(Der nächste Satz wäre doch ein perfekter Einstiegssatz: Überall verstreut [auf der Terrasse] lagen die Brocken des zerplatzten Nestes, dazwischen die kleinen Leiber. )

„Nur fürs Protokoll: Erst willst du abhauen, weil du es unerträglich findest, dass ich einen gebrauchten Zahnstocher auf dem Tisch liegenlasse.
Nee, der Mann weiß doch, weswegen sie eigentlich abhauen will. Es ist doch bei weitem nicht ihr erster Streit. Später sagt er ja, manchmal sei irgendwas einfach kaputt. Er weiß ganz genau, um was es geht, das zumindest sagt mir mein Bauchgefühl, wenn ich an einen Menschen wie ihn denke. Ich finde das zu slapstikhaft, dieser Satz. Ich würde ändern zu: „Erst packst du deinen Koffer. Und jetzt bleibst du doch, weil du auf dem Weg zum Auto im Garten ein Schwalbenbaby gefunden hast und mich brauchst, um es zu retten."
Ich finde, da liegt auch die eigentliche Komik. Dass sie schon mit dem Koffer rausläuft und wiederkommt, weil sie ein Vögelchen findet und den Mann jetzt doch dazu braucht. Ich finde, das würde auch noch eine andere Sicht auf die Frau werfen: Sie ist auch nicht ganz ohne. Irgendwie melodramatisch und absolut unschlüssig und so sensibel, dass sie von ihren Gefühlen hin und her geworfen wird.

„Ich bin wiedergekommen. Ich bin geblieben. Ich bin mit zu deinem Therapeuten gegangen.“
Irgendwie ist mir der Mann nicht wirklich unsympathisch. Das gefällt mir am Text. Er ist kein eindeutiges Arschloch, sondern wie in der Realität ist hier in jeder Figur schwarz und weiß.

Als sie ausstiegen, sahen sie es, ein Stück weiter, hinter Bäumen: ein rotes Hausdach.
„So“, sagte er, “wir nehmen jetzt den Vogel und gehen zu Fuß.[,] Liefern ihn ab und kümmern uns dann um das Auto. [Und dann bin ich weg.]“
Das ist jetzt ein sehr subjektives Gefühl und ich behandle den Text einmal, als sei es meiner. Es geht um diese Stelle. Ich würde hinzufügen: Und dann bin ich weg.
Ich finde, der Mann sollte an dieser Stelle auch mal genug haben. Auch von der Frau. Wieso ist er mit ihr noch zusammen? Ich fände es nur natürlich, wenn er hier auch den Impuls hätte und ihn auch kommunizieren würde, dass er aus der Situation raus will; dass in dem Satz vielleicht sogar drin liegt, dass er auch aus der Beziehung raus möchte. Vielleicht haben sie sich ja schon getrennt und für ihn ist die Ehe eigentlich vorbei? Das muss ja gar nicht erklärt werden. Aber ich fände es von meinem Gefühl her stimmig, wenn er das nach diesem Satz sagen würde. Vielleicht empfindest du ja genauso.

„Warte.“ Sie riss ihre Tasche mit dem Portemonnaie vom Rücksitz. „Warte!“, rief sie ihm nach, aber er drehte sich nicht um, stapfte unbeirrt weiter in den Wald. Stolperte und fiel hin. Sie schrie auf.
„Bleib da!“, rief er. “Es ist hier irgendwo, nicht dass du drauftrittst. Es ist ein Stück weggeflattert.“
ruft sie das nicht?

Wieder einmal dachte sie an Julian. Eigentlich war es nicht der heutige Julian, den sie vermisste, sondern der Schuljunge, für den das eine aufregende Sache gewesen wäre.
Ich dachte an dieser Stelle, Julian sei ihr Mann (und sie würde ihn eben schon seit Kindertagen kennen)! Ich fände eine kleiner Erklärung dazu besser: Wieder einmal dachte sie an Julian, ihren Sohn.


Okay, eigentlich wollte ich nur an einem Absatz mal ein paar Vorschlagsstreichungen vornehmen, aber es ist einfacher für mich, beim zweiten Lesen einfach im gesamten Text das zu markieren, was ich streichen würde, ich hoffe der Rotstift macht dir nichts aus:

Zuerst schrie Nicole die Katze des Nachbarn an. Aber die fühlte sich gar nicht gemeint, so ungerührt, wie sie ihre Pfote leckte. Zu Recht. Denn nicht sie war es, die den Schwalbenküken auf dem Pflaster den Tod gebracht hatte. Überall verstreut [auf der Terrasse] lagen die Brocken des zerplatzten Nestes, dazwischen die kleinen Leiber der [Schwalbenküken]. Hoch oben unter dem Dachüberstand klebten dunkle Ränder an der Fassade, dort wo wochenlang die Schwalbeneltern ein- und ausgeflogen waren. Auch jetzt umflatterten sie die Stelle, als gäbe es dort noch etwas zu tun. Sonst war es still im Garten.
Vielleicht war das Nest abgerissen, als sie ihren Mann beim Frühstücken beobachtet hatte. Oder eben erst, während sie gepackt hatte. Langsam setzte sie den Koffer [in ihrer Hand?] ab.
Eines der Küken drehte den Kopf ein wenig, zuckte mit den Flügelansätzen. Und dann noch eins.
„Oh, nein“, murmelte Nicole. „Ihr habt doch gar keine Chance.“ Aber als die Katze aufstand, sich dehnte und auf den Weg machte, stürzte sie [Nicole] zu den beiden Überlebenden und nahm sie hoch. Ihr Gewicht war kaum spürbar, nur die winzigen Krallen kitzelten auf der Haut, als sie sich in ihre Handkuhle duckten, die Augen geschlossen, die grauweißen Federn wie Flusen. Nicole schien es, als könnte sie ihren Schock [ihren Schock = den Schock der Küken] fühlen, die Betäubung nach dem Aufprall aus fünf Metern Höhe.

Mit dem Ellbogen drückte sie die Klinke der Hintertür auf und rief nach ihrem Mann. Aus seinem Büro kam keine Reaktion. Nachdem sie mehrfach gegen die Tür getreten hatte, riss er sie auf, Kopfhörer um den Hals geklemmt. Seine Augen lagen noch tiefer in den Höhlen als sonst.
„Was gibt’s? Bist du fertig mit Packen?“
Dann sah er, was sie in den Händen hielt.
„Aha. Die Katze.“
„Nein, das Nest ist abgestürzt. Da liegen noch drei tote Küken.“
„Ja und jetzt?“
Sie wollte wieder irgendwo gegentreten, schreien, aber das kleine Leben in ihren Händen vertrug keine weitere Erschütterung.
„Haben wir irgendeinen Karton? Die Eltern flattern da noch rum. Vielleicht füttern sie sie noch.“
„Jetzt hast du sie ja schon angefasst.“
„Ja, weil die Katze da rumläuft. Was hätte ich denn machen sollen?“
„Die Katze hätte das Problem gelöst.“
Jetzt schrie sie doch: „Dann geh halt wieder in deine Butze!“
„Gut.“ Er schloss die Tür.

In einen Erdbeerkarton legte sie Brocken des Nestes, damit es vertrauter wirkte. Dabei ekelte sie sich vor den Maden und kleinen, schwarzen Käfern, die sich im Lehm bewegten. Dann stellte sie den Karton nach draußen auf eine Fensterbank, unerreichbar für die Katze. Die Küken saßen eng aneinandergedrückt, vielleicht froren sie. Nicole stand zweifelnd davor, holte ein Handtuch, um sie abzudecken, nahm es wieder weg, damit die Vogeleltern ihre Küken finden könnten.
Wieder einmal dachte sie an Julian. Eigentlich war es nicht der heutige Julian, den sie vermisste, sondern der Schuljunge, für den das eine aufregende Sache gewesen wäre. Er wäre losgesaust, Fliegen fangen, hätte recherchiert und ihr ständig von seinen Ergebnissen berichtet. Aber Julian war jetzt schon ein halbes Jahr in Rostock. Sie machte ein Foto und schickte es ihm, mit der Unterschrift: “Rettungsaktion für abgestürzte Schwalbenbabys“.
Als sie den Küken nachmittags mit der Pinzette Fliegen hinhielt, sperrte das eine den gelben Schnabel auf und nahm die Fliege an. Das andere blieb verkrümmt sitzen, den Schnabel geschlossen, was ihm einen beleidigten Ausdruck gab. Der kleine Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Von Zeit zu Zeit zuckten beide, schüttelten sich und schlugen mit den Flügeln. Nicole ersetzte die Lehmbrocken im Karton durch Küchenkrepp und brachte ihn ins Badezimmer. Abends lag ein Küken regungslos da. Über seine Augen hatten sich dünne Häutchen gezogen. In ihre Traurigkeit schob sich ein Gedanke: Wären doch bloß beide gleich mit dem Aufprall gestorben. Doch dann legte das zweite Küken den Kopf in den Nacken, sperrte den Schnabel auf und piepste um sein Leben.

„Nur fürs Protokoll: Erst willst du abhauen, weil du es unerträglich findest, dass ich einen gebrauchten Zahnstocher auf dem Tisch liegenlasse. Und jetzt bleibst du doch, weil du mich brauchst, um ein Schwalbenbaby zu retten.“ Thomas stand mit verschränkten Armen an der Spüle gelehnt.
„Ich bleibe, weil ich das Schwalbenbaby retten will. Was du dazu tust, bleibt dir überlassen.“
„Nimm es doch mit zu deiner Schwester.“
„Wo soll ich denn da bitte Fliegen fangen?“
„Was ist mit Regenwürmern? Körnern?“
„Fressen Schwalben nicht. Das muss was sein, was gerade noch geflogen ist.“
„Aha, und wie stellst du dir das morgen vor, wenn du Dienst hast?“
„Ich frage Nina. Ich sage ihr, dass du zwar da bist, aber dass du mit dem Küken nichts zu tun haben willst.“
„Du willst mich als Arschloch hinstellen.“
„Was soll ich denn machen?“
Wie er sich zusammenriss, durchatmete.
„Ruf doch im Tierheim an.“
„Hab ich schon.“
„Und?"
„Ich soll das Küken unter einen Busch setzen. Andere Tiereltern hätten auch Kinder.“
Er lachte auf.
„Wusste ich, dass dir das gefällt“, sagte sie. (starker Dialog!)

Die Welt war fliegenfrei, morgens um sechs. Zum Verzweifeln fliegenfrei. Mit der Klatsche in der einen und einem Glas in der anderen Hand lief Nicole durch den Garten, suchte den Fenchel ab, die Kiwi, die sich über der Pergola wölbte.
Im Badezimmer piepste das Küken, seit Nicole aufs Klo gegangen war. Obwohl sie sich leise herangeschlichen hatte, hatte es sofort seinen Kopf unter dem Flügel hervorgezogen und losgelegt. Sein Betteln hatte sie dazu gebracht, in Nachtshirt und Shorts nach draußen zu stürzen, wo sich heute ein heißer Tag ankündigte. Im Gewächshaus, in dem in diesem Jahr nur ein paar Tomatenpflanzen vertrockneten, fing sie eine einzige Fliege. Zugleich hofften dort viele Spinnen in ihren Netzen auf Beute, genau wie die Schwalben hoch oben am Himmel, alle schienen zu warten und Nicole wartete heute mit ihnen.
Eine halbe Stunde später lag die weiße Hauswand in der Sonne und jetzt saßen sie da, schwarze, fette Brummer, benommen von der Nacht und noch viel zu träge, um sich zu retten, wenn die Klatsche auf sie niederging. Und sie, die schon manche Fliege behutsam durch das Fenster nach draußen geleitet hatte, zählte triumphierend die Leichen in ihrem Glas.

Thomas putzte sich die Zähne, während sie fütterte. Sobald sich die Pinzette mit der Fliege näherte, erhöhte das Küken die Piepsfrequenz, reckte den halbnackten Hals, schluckte zweimal und riss den Schnabel wieder auf.
„Das wäre was für Julian gewesen“, sagte sie.
„Hat der sich noch mal gemeldet?“
„Ich habe ihm ein Foto von dem Küken geschickt.“
„Und?“
„Daumen hoch und Smiley.“
„Aha.“
„Willst du nochmal gucken, wie das mit der Pinzette geht?“
„Nee, das kriege ich gerade noch hin.“

Leichter wurde es mit den Heimchen aus der Zoohandlung. Sie lebten in einer Plastikdose, wurden zwei Stunden tiefgefroren, dann schnitt Nicole die Beine ab, wegen der Widerhaken. Mittags, wenn die Sonne richtig knallte, war es Zeit für die grün glänzenden Mistfliegen. Thomas ließ [Thomas] die Hintertür offenstehen, trank in der Küche Kaffee, während sie [grün glänzenden Mistfliegen] einflogen,[.] [Er] und erlegte sie, wenn sie sich vorne an der Fensterscheibe gefangen hatten. Das Küken schluckte alles und riss nach jedem Bissen den Schnabel wieder auf. Irgendwann würde es mehr verlangen. Flugstunden. Unterricht im Jagen. Das, was nur Schwalbeneltern bieten konnten. Über Google fand Nicole, was sie brauchte. Sie fand Frau Witte.

Kilometerweit zogen sich neben der Autobahn die Flächen mit den Solarpanelen hin. [Oder: Neben der Autobahn zogen sich kilometerweit die Flächen mit den Solarpanelen hin.] Dazwischen vertrocknete Felder. Während sich das Küken auf ihrem Schoß in Dauerschleife eingepiepst hatte, dozierte Thomas über effektiven Altruismus. „Was wir hier machen, ist genau das Gegenteil. Vier Stunden Autofahrt für einen Vogel. Die Kosten, den CO2-Ausstoß und unsere Zeit musst du da mal gegenrechnen. Und morgen frisst du wieder dein Hühnchen. Das kommt auch noch dazu.“
„Die Stunde ist rum“, sagte sie. “Hältst du mal beim nächsten Parkplatz?“
Sie hatten das Kunstnest im Karton als Reisebox zweckentfremdet, nachdem es seinen eigentlichen Sinn nicht erfüllt hatte, den Rückführungsversuch zu den Eltern. Obwohl das Küken den ganzen Tag aus Leibeskräften gepiepst hatte, waren [seine Eltern] sie, vier Tage nach dem Absturz des Nestes, nicht mehr erschienen. Stattdessen war Nicole stündlich zum Füttern auf die Leiter geklettert. Also Plan B. Frau Witte betrieb ihre Wildvogelauffangstation ein Stück hinter Hamburg. Die Autobahn vor ihnen flirrte in der Hitze. Nicole bestand darauf, die Klimaanlage nur minimal zu nutzen, damit das Küken keinen Zug bekam. Thomas widersprach nicht, obwohl die Haare in seinem Nacken klatschnass waren. Vielleicht war er auch nur erschöpft von dem, worüber sie schwiegen. Sie war erschöpft. In den letzten Tagen hatte sie den Kulturbeutel und ein paar T-Shirts wieder ausgepackt.
An der Raststätte fotografierte sie Thomas, wie er dem Küken eine Fliege hinhielt, erwischte den Moment, wo es den Schnabel weit aufgerissen hatte und ihn anzusehen schien. Als er schief in die Kamera lächelte, drückte sie nochmal auf den Auslöser.
„Hier sind wir schon mal gewesen“, sagte er, während sie die Fotos an Julian schickte. Unterschrift: Raubtierfütterung.
„Hm?“
„Hier an der Tankstelle waren wir schon mal, damals, als wir zu Westernhagen gefahren sind.“
„Westernhagen, das ist ja ewig her. Da kannten wir uns doch noch kaum. Und da haben wir auch hier gehalten? Dass du dich an die Tankstelle erinnerst.
„Da vorne beim Eingang hast du gestanden und mit deiner Freundin gequatscht, mit dieser … - na egal, wie die hieß. Du hast gesagt: Der Typ sieht aus wie ein Schwein, aber ich krieg' nen nassen Schlüpfer, wenn ich mich dahin setze, wo der gesessen hat.“
„Was?!“
„Ja, das hast du damals über mich gesagt. Zu der – wie hieß die noch?“
„Das muss Gabi gewesen sein. Hat die das gleich weitergeplappert, oder was?“
„Nö, ich stand auf der anderen Seite vom Regal. Ich hab's gehört.“
„Und da bist du heute noch gekränkt.“
„Na, wie man's nimmt, der zweite Teil von dem Satz war ja in Ordnung.“
Sie prustete los.
„Keine Ahnung, ob ich das echt gesagt habe. Bist du sicher? Hast du mir nie erzählt.“
„Nee?“
„Außerdem lag ich ja mit dem Schwein gar nicht so falsch. Wenn man bedenkt, wie du dich dann verhalten hast.“ Sie schob einen Lacher hinterher, aber zu spät.
„Nicht schon wieder.“ Er gab ihr den Karton mit dem Küken rüber und ließ den Motor an.
„Was soll das denn heißen, „nicht schon wieder“? Wann habe ich denn das letzte Mal davon geredet? Vor zehn Jahren vielleicht.“
„Ich bin zurückgekommen.“ Er setzte zurück.
„Ja, aber da konnte Julian schon ganze Sätze reden.“
„Ich bin wiedergekommen. Ich bin geblieben. Ich bin mit zu deinem Therapeuten gegangen.“
„Zweimal, dann nicht mehr.“
„Das war öfter.“
„Nein.“
„Doch, und es hat nichts gebracht.“ Er trat aufs Gaspedal.
„Dir hat es nichts gebracht.“
„Das ist verdammt lang her. Ich war damals einfach nicht so weit. “
„Ich auch nicht. Und ich konnte mich nicht verpissen. Jetzt ras doch nicht so.“
„Ich will heute nochmal irgendwann ankommen.“
„Du hast dir noch ne wilde Jugend gemacht, schön Interrail in Griechenland, deine tolle WG mit deinen Mädels, und ich saß da und hatte Angst, dass Julian den Keuchhusten nicht überlebt.“
„Das hatten wir alles schon mal.“
„Oh, sorry, sorry, dass ich dich langweile!“
Sie biss die Zähne zusammen und sah aus dem Fenster. Das Küken piepste und sie dachte, dass sie zu wenig Fliegen mitgenommen hatten. Dann hörte sie ein zweites Geräusch. Von Thomas. Er pfiff ein leises, nervöses Lied.
„Alles klar?“, schnappte sie. „Soll ich dich ablösen mit dem Fahren?“
„Alles klar“, sagte er. Die Autobahn wurde voller und er wechselte mehrmals die Spur. Ihr Kleid klebte am Körper. Das Licht tat weh in den Augen, sodass sie die Sonnenbrille aufsetzte.
„Weißt du was?“, sagte er schließlich.
„Was?“
„Manche Dinge sind einfach kaputt. Da lässt sich nichts mehr machen. Da kann man sich abstrampeln, wie man will.“
„Du hast dich abgestrampelt?“
„Ja.“

Kurz nachdem sie die Autobahn verlassen hatten, machte das Navi schlapp. Zuerst funktionierte es noch sporadisch, aber irgendwann erschien nur noch die Anzeige „Suche GPS-Signal“. Das Kartenmaterial im Seitenfach war veraltet. Nicole fragte, was mit dem Navi los sei. Thomas erklärte was mit Linux, dass das mit dem Update nicht funktioniert hatte, aber sie hörte nicht richtig hin und er brach ab. „Wieso fragst du dann überhaupt?“ Das Küken bekam die letzte Fliege. [, bekam das Küken die letzte Fliege.] Sie zog den Deckel des Kartons etwas tiefer, damit es schlief und seine Energien sparte, aber es piepste unter dem Deckel weiter. Julian schickte wieder einen Daumenhoch-Smiley. Sie fuhren umher, sie schwitzten, fragten an zwei Tankstellen, schienen sich in Spiralen dem Zielort zu nähern. Die Dörfer, durch die sie fuhren, wurden immer leerer, wirkten unecht in der grellen Sonne. Ein Junge, der an einer Bushaltestelle saß, aktivierte sein Smartphone und hielt es ihnen vor die Nase, aber sobald sie weiterfuhren, hatten sie schon wieder die Hälfte vergessen. Als Nicole sich gerade fragte, ob sie bis zum Ende ihres Lebens mit ihrem Mann und einem verhungernden Küken im Kreis herumfahren würde, [Sie] fanden sie das Ortsschild, das sie suchten. Eine alte Frau erklärte umständlich den Weg aus dem Dorf hinaus zu dem Hof. Sie stritten sich von Kreuzung zu Kreuzung, zuletzt darüber, ob der schmale Weg rechts als Straße zählte. Schließlich bogen sie dort ein, doch der Weg verengte sich immer weiter und endete auf einem Acker, zwischen Korn und Knick. Thomas legte schwer atmend seinen Kopf auf die Nackenstütze.
„Das Küken klingt leiser“, sagte sie, „irgendwie entkräftet.“
Er stöhnte auf: „Ich hör das auch, ich bin nicht taub.“
Das Navi mischte sich ein: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“

Als sie ausstiegen, sahen sie es, ein Stück weiter, hinter Bäumen: ein rotes Hausdach.
„So“, sagte er, “wir nehmen jetzt den Vogel und gehen zu Fuß.[,] Liefern ihn ab und kümmern uns dann um das Auto.“
„Sollten wir nicht lieber ...“
„Ich will das jetzt abliefern und gut. Schließ den Wagen ab.“
Er nahm den Karton und lief los.
„Warte.“ Sie riss ihre Tasche mit dem Portemonnaie vom Rücksitz. „Warte!“, rief sie ihm nach, aber er drehte sich nicht um, stapfte unbeirrt weiter in den Wald. Stolperte und fiel hin. Sie schrie auf.
„Bleib da!“, rief er. “Es ist hier irgendwo, nicht dass du drauftrittst. Es ist ein Stück weggeflattert.“
„Siehst du es denn?“
„Nein, im Moment noch nicht.“
„Toll, ganz toll!“, brüllte sie. „Aber du musstest ja losrennen!“
„Halt die Klappe!“
„Wo willst du das denn hier im Gestrüpp finden? Jetzt haben wir es versaut. Das war's. Jetzt kann es hier verhungern oder gefressen werden!“
„Sei still, verdammt nochmal, sei endlich still!“
Sie hielt inne, sah ihm zu, wie er sich mühsam aufrichtete, das Gesicht verzog. Seine Hose war dreckig am Knie.
„Bist du verletzt?“
„Nein. Psst.“ Er hob die Hand. Es knackte leise im Wald. Sie lauschten, versuchten auf dem Waldboden etwas zu erkennen. Übelkeit stieg in ihr auf. Dieses Küken hatte so um sein Überleben gekämpft. Thomas zog ein Taschentuch heraus und wischte den Schweiß von der Stirn.
„Okay“, sagte er, “wir suchen jetzt hier jeden Quadratzentimeter ab. Am besten durchkämmen wir die Stelle von dem Baum da aus. Weiter kann es nicht gekommen sein.“
„Durchkämmen“, sagte sie.
„Ja, durchkämmen.“
Vorsichtig setzten sie einen Schritt vor den anderen, schoben Farn und Blätter zur Seite. Sie fragte sich, ob sie es überhaupt spüren würde, das Küken unter ihrem Schuh, hockte sich hin, watschelte so weiter, bis ihre Oberschenkelmuskeln brannten. Thomas ging gebückt.
„Es ist bestimmt schon tot“, sagte sie.
„Da ist es doch!“ Er lachte.
Es saß, perfekt getarnt, in einem Blätterhaufen. Als Nicole es auf die Hand nahm, wickelte es seine Kralle um ihren Finger, guckte und piepste leise.
„Es lebt!“ Sie richtete sich lächelnd auf. Thomas machte eine Bewegung, als wolle er seine Hände um ihre legen. Dann hielt er inne und wandte sich ab.
„Ich hole den Karton.“

Sie näherten sich dem Gebäude von hinten, wie Diebe. Und genauso sahen es offenbar auch die beiden Hofhunde, die ihnen bellend entgegensprangen. Bis eine Stimme sie stoppte.
„Rico, Hermann! Aus! Hierher!“

Eine große Frau mit braunen Locken hielt ein Handy in der Hand und winkte mit der anderen.
„Kommen Sie ruhig, ich sperr die beiden ein. Einen Moment, ich telefoniere gerade noch.“
Sie schob die Hunde hinter den Zaun, schloss das Tor und zeigte auf eine Bank, neben einer großen Voliere, während sie ziemlich genau dasselbe Telefonat führte wie mit Nicole einige Tage vorher: „Nein, auf keinen Fall extra Wasser, die Fliegen reichen völlig aus ... Es läuft rückwärts, weil es versucht den Kot abzusetzen … Ja, sie hängen das Hinterteil normalerweise über die Nestkante ... Wie lange ist das her? … Dann würde sich ein Rückführungsversuch zu den Eltern lohnen … Doch, nach zwei Tagen klappt das meistens noch … Wo kommen Sie denn her?“
Sie saßen nebeneinander und warteten. Das Küken war still und Nicole hatte Angst, es würde doch noch sterben, nur weil diese Frau so lange telefonierte.

In der Mitte der Scheune stand, wie eine Insel, eine alte Couchgarnitur. Nester klebten [Nester] unter den Balken und Schwalben flogen umher. In der Ecke eine schmale Tür. Frau Witte lief lachend und redend voraus.
„Wundern Sie sich nicht über das Chaos in meiner Küche. Das war heute der zwanzigste Anruf. Ich komme zu nichts anderem.“
Hinter der Küche, in einem weiteren Raum, standen lauter kleine gestrickte Höhlen auf einem Tisch. Als Nicole das Küken überreichte, fing es leise an zu piepsen und sie dachte an den Tag, als sie Julian zum ersten Mal in die Krippe gebracht hatte. Sie hoffte so sehr, dass die Frau lächelte, dass sie sah, wie besonders dieses Küken war.
Die Brille auf die Nasenspitze geschoben, sodass sie darüber hinwegschauen konnte, leuchtete Frau Witte mit einer kleinen Lampe unter die Flügel, betastete das Küken ausführlich, untersuchte den Hals und nickte.
„Da haben wir also eine kleine Mehlschwalbe. Das passt wunderbar. Ich werde sie zu meinem anderen Neuzugang setzen, der wird sich freuen. Eine Schwalbe zum Ankuscheln ist doch viel schöner als eine Wärmelampe.“
„Meinen Sie, sie hat eine Chance?“
„Aber sicher. Sie wirkt zwar etwas schlapp, ist aber unversehrt.“
Hinter ihr atmete Thomas aus.

In der Küche überbrühte Frau Witte tiefgefrorene Heimchenleiber mit kochendem Wasser und gab sie in ein Sieb zum Abtropfen. Thomas hatte sein Bein hochgelegt und trug wenig zum Gespräch bei, aber Nicole hatte das Bedürfnis, alles noch einmal genau zu erzählen.
„Das ist noch nie passiert. Wir haben da seit Jahren Schwalben an der Stelle. Aber es war wochenlang so heiß, wahrscheinlich ist der Lehm irgendwie ausgetrocknet und dann ist es abgerissen.“
Frau Witte schüttelte den Kopf.
„Es liegt meistens an Parasiten. Es gibt weniger Insekten, deshalb können die Eltern nicht mehr in der dichten Frequenz füttern wie früher. Eigentlich wäre das nicht so schlimm, nur brauchen die Jungen länger, um sich zu entwickeln. Die Sommer werden wärmer. Und wenn dann ein paar heiße Tage kommen, dann vermehren sich die Parasiten, die immer im Nest sind, explosionsartig und fressen die Küken bei lebendigem Leibe auf. Oft stürzen die sich sogar in Panik aus dem Nest. Und in Ihrem Fall haben sie wohl so herumgezappelt, dass das Nest abgerissen ist.“
Nicole erinnert sich an das Gewimmel in den Lehmbrocken. „Heißt das, das passiert jetzt öfter?“
Frau Witte nickte.
„Ich habe immer Bauwannen mit Stroh unter meinen Nestern stehen. Wenn das erste Küken rausstürzt, fällt es ins Stroh und ich kann sofort reagieren.“
Auf der Fensterbank regte sich etwas. Direkt neben der Spüle, auf der sich das Geschirr türmte, trippelte ein Vogel, dessen lange Beine im rechten Winkel zur Seite abgeknickt waren. Frau Witte lächelte.
„Eine Bachstelze. Eigentlich ist sie schon eine alte Oma, aber im vorigen Jahr ist sie gerne noch draußen ihre Runden geflogen.“
„Sie leben richtig mit den Vögeln zusammen.“
„Bis letzte Woche hatte ich hier in der Küche sogar eine Rabenkrähe, die musste vier Wochen lang eine Schiene am Bein tragen. Da musste ich mir echt was einfallen lassen, das sind so hochintelligente Vögel, die kriegen Depressionen, wenn sie sich langweilen. Am Ende habe ich ihr sogar Xylophonspielen beigebracht, mit dem Klöppel im Schnabel.“
„Nein, echt? Und jetzt?“
„Ist sie wieder ausgewildert.“
Thomas lachte. „Was für ein Aufriss. Ehrlich, wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Ganze dem Lauf der Natur überlassen.“ Er sah Nicoles Blick. „Ist so.“
Frau Witte füllte die Heimchenrümpfe in eine Schüssel um.
„Wenn man nicht die Zeit hat, das durchzuziehen, ist das auch die bessere Lösung. Das ist viel Aufwand das stündliche Füttern, sich informieren, das kann nicht jeder. Wenn man es falsch macht, verlängert man nur unnötig das Leiden. So, nun wollen wir den kleinen Kerl mal stärken.“
Nicole lief hinter ihr her.
„Im Grunde war es Zufall, dass wir uns kümmern konnten. Unser Sohn wollte für ein paar Tage kommen. Wir hatten uns die Zeit extra freigeschaufelt. Und dann hat er kurz vorher abgesagt, weil er für seine Klausuren lernen muss. “
„Oder was man auf Erstsemesterpartys so lernt“, rief Thomas aus der Küche, worauf Nicole gezwungen lachte.
Frau Witte griff die Heimchen mit der Pinzette, schaute über ihren Brillenrand und bediente abwechselnd die beiden aufgesperrten Schnäbel.
„Na, die zwei scheinen sich ja gut zu verstehen“, murmelte sie.
„Frisst es?“, rief Thomas.
„Kann man wohl sagen.“
„Na super, dann haben wir den heißesten Tag des Jahres wenigstens nicht umsonst auf der Autobahn verbracht.“
„Jetzt komm doch mal gucken. Das ist so süß“, sagte Nicole.
„Ich glaube es auch so.“ Er trank einen Schluck Wasser.
„Soll ich Sie gleich nochmal herumführen?“, fragte Frau Witte.
Nicole sah Thomas in der Küche abwehrend fuchteln.
„Ja, gerne“, sagte sie.

Der Geruch von fünf verschiedenen Fliegenzuchten vermischte sich mit dem Duft aufgeschnittener Apfelsinen im Vorzimmer des Überwinterungszimmers. Im Päppelraum war der Boden mit einem dichten Teppich von einer nichtfliegenden Fliegensorte bedeckt, für vorübergehend flugunfähige Vögel, die dort umherhüpften. Sie hörten Geschichten von neurologischen Störungen bei Meisenküken durch Insektizide, von abgerissenen Schwalbennestern bei Bauvorhaben und von Glasfronten an prämierter Architektur, die zur tödlichen Falle wurden.
Schließlich gelangten sie zu einer großen Voliere voller Ziervögel. „Eigentlich nehme ich nur Wildvögel auf, aber das war eine Notaufnahme. Die waren in einem erbärmlichen Zustand und wurden beschlagnahmt.“ Sobald sie die Voliere betraten, klebte ein Wellensittich auf Nicoles Fuß, ließ sich eine Weile mitnehmen, flog dann auf ihre Schulter und schmiegte sich an ihren Hals. „Auch aus einem Tierheim. Ich habe ihn Pepe genannt. Der arme Kerl ist fehlgeprägt auf Menschen, der ist so penetrant, in jedem normalen Haushalt würden sie ihn nach einem halben Tag an die Wand schmeißen.“ Pepe flatterte weiter und hängte sich vorne an das rechte Glas von Thomas Sonnenbrille. „Passen sie beim Rausgehen auf, dass er nicht durch die Schleuse mitkommt. So einen Leckerbissen würden sich die Krähen nicht entgehen lassen.“ Sie wandte sich dem Ausgang zu. Nicole sah ihren Mann an, der mit unbewegtem Gesicht dastand, während der Vogel zärtlich an seiner Augenbraue knabberte.


edit: Kurze Erklärung, warum ich viele Julian-Teile als Kürzungsvorschlag markiert habe: Ich finde, so viel Julian bräuchte es in der Geschichte gar nicht. Ich verstehe, dass er bzw. sein Fehlen durchaus eine Rolle spielt bei der Prot und auch ihrem Mann und dass das auch Auswirkungen auf die (schlechte) Beziehung des Ehepaares hat - aber ich finde auch, nach ein oder zwei Julian-Bemerkungen im Text hat man das verstanden und erst, als sie bei der Vogel-Frau sitzen und die Prot von Julian erzählt, war die Julian-Information wieder interessant für mich. Ich kann mir gut vorstellen, dass das ein Darling von dir ist, dass sie Julian immer schreibt usw. (eben die Teile, die ich gekürzt sehen möchte); vielleicht dient dir mein Kommentar als Ansporn, das zu überdenken, Kill Your Darlings und so weiter :D Für mich hätten die markierten Teile eben nicht im Text stehen müssen und wirken wie ein Nebenschauplatz, der vom Eigentlichen ablenkt. (Aber es sind ja nur ein paar Halbsätze.)

Also, gerne gelesen, aber komprimiert/gekürzt gefällt mir der Text wesentlich besser! Gerade, weil die tollen Figuren und der interessante und authentische Konflikt dann noch besser zutage treten. Die Dialoge sind klasse. Hoffe, du kannst was mit anfangen.

Viele Grüße,
zigga

 

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