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Schlagt das Schwein einfach tot!
Unser Dorf ist schön!
Natürlich ist es nicht der schönste Ort, den man sich vorstellen kann, aber wir alle arbeiten fieberhaft daran, es zu werden. Den Meisten hier geht es blendend, sie leben abgesichert und in Wohlstand. Einige sind noch auf dem Weg dorthin, finanziell unabhängig zu leben.
Am gestrigen Abend saßen wir zusammen am Stammtisch und ließen gemeinsam den Tag ausklingen.
Wir kauten, wie immer, so viele Themen durch, wie es ging. Und dann:
„Der Sanders hat schon wieder seine Kinder verprügelt.“
Stahlberg hatte gesprochen. Er ist sicher der wohlhabendste und einflussreichste Bewohner unseres Ortes. Seine exklusive Fabrik für Gullydeckel in der Region gibt unmittelbar mindestens fünfundzwanzig Personen Lohn und Brot. Viele Handwerker aus der Gegend, darunter auch ich, sind mittelbar von ihm abhängig, weil sie immer wieder mit Aufträgen von ihm bedacht werden.
„So kann das nicht weiter gehen!“
Es ist seit langem bekannt, dass Sanders seine Familie terrorisiert. Er schlägt seine Frau und die Kinder, sie leben in Angst vor ihm und selbst viele Dorfbewohner fürchten seine Wutausbrüche.
„Man muss langsam etwas unternehmen!“, sagte Briese, der fast ebenso vermögend ist wie Stahlberg. Er ist der Besitzer eines kleinen Taxiunternehmens. „Es muss unbedingt etwas unternommen werden.“
„Vielleicht sollten wir das Jugendamt benachrichtigen“, schlug ich vor und mir war nicht wohl bei der ganzen Sache.
„Pah“, spie Stahlberg aus. „Das Jugendamt! Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen. Wir müssen zeigen, dass das so nicht weitergehen kann.“
„Genau!“, stimmte Briese zu und ich sah, wie seine Augen funkelten.
Kaum jemand weiß, dass Stahlberg sich schon lange bemüht, eine Weide zu Kaufen, die direkt an das Werksgelände anschließt und die er dringend benötigt zur Expansion seiner Firma. Doch der Besitzer des Grundstücks will nicht verkaufen, er ist störrisch. Es ist Sanders, der Schläger.
„Aber wir können nichts machen, ohne die Behörden“, wandte Parske ein, der seines Zeichens ein ebenso kleiner Handwerker ist wie ich.
„Ach was“, wischte Stahlberg die Bedenken hinweg. „Das regeln wir intern. Sanders ist ein Sadist, er unterdrückt seine Familie und...“ – hier machte er eine Pause und sah herausfordernd jeden Einzelnen in der Runde an – „... er ist gefährlich für das ganze Dorf.“
Damit hatte er die Meisten überzeugt. Sanders – das stimmt – ist nicht nur zu Hause gewalttätig. Schon des Öfteren kam es zu Prügeleien mit ihm, die meist ziemlich blutig endeten. Wie gesagt, kaum jemand, der keine Angst vor ihm hat.
Und so erhob sich ein Großteil der Männer, die hier saßen, zogen los unter aggressivem Gemurmel und ließen nur wenige, bedrückt dreinschauende Personen in der Kneipe zurück.
Ich konnte noch hören, wie einer rief: „Schlagt das Schwein einfach tot!“
Und wir, die Hier gebliebenen, saßen da und fühlten uns nur unbehaglich.
Heute morgen nun habe ich erfahren, wie die Angelegenheit geendet ist.
Sanders konnte fliehen, als die Meute in sein Haus eindrang. In letzter Sekunde sprang er aus dem Fenster und lief durch seinen Garten in die Nacht. Ich kann nur hoffen, dass er, sollte er aufgegriffen werden, sofort den Behörden übergeben wird.
Seine Familie lebt weiterhin in Angst, aber auch in Hoffnung. Den Kindern geht es gut und die Frau habe ich schon lächeln sehen. Es scheint, als ob dieser Fall einen glimpflichen Ausgang genommen hat.
Einzig eine Bemerkung, die Stahlberg vorhin fallen ließ, macht mir Sorgen. Er sagte, dass das Verhalten von Boddin, einem bekannten Alkoholiker im Dorf, ihm gar nicht gefalle.
Anmerkung: Diese Geschichte beruht, in gewissem Sinne, auf einem wahren, allseits bekannten Fall.
ENDE