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Schlagt das Schwein einfach tot!

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04.08.2001
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Schlagt das Schwein einfach tot!

Unser Dorf ist schön!
Natürlich ist es nicht der schönste Ort, den man sich vorstellen kann, aber wir alle arbeiten fieberhaft daran, es zu werden. Den Meisten hier geht es blendend, sie leben abgesichert und in Wohlstand. Einige sind noch auf dem Weg dorthin, finanziell unabhängig zu leben.
Am gestrigen Abend saßen wir zusammen am Stammtisch und ließen gemeinsam den Tag ausklingen.
Wir kauten, wie immer, so viele Themen durch, wie es ging. Und dann:
„Der Sanders hat schon wieder seine Kinder verprügelt.“
Stahlberg hatte gesprochen. Er ist sicher der wohlhabendste und einflussreichste Bewohner unseres Ortes. Seine exklusive Fabrik für Gullydeckel in der Region gibt unmittelbar mindestens fünfundzwanzig Personen Lohn und Brot. Viele Handwerker aus der Gegend, darunter auch ich, sind mittelbar von ihm abhängig, weil sie immer wieder mit Aufträgen von ihm bedacht werden.
„So kann das nicht weiter gehen!“
Es ist seit langem bekannt, dass Sanders seine Familie terrorisiert. Er schlägt seine Frau und die Kinder, sie leben in Angst vor ihm und selbst viele Dorfbewohner fürchten seine Wutausbrüche.
„Man muss langsam etwas unternehmen!“, sagte Briese, der fast ebenso vermögend ist wie Stahlberg. Er ist der Besitzer eines kleinen Taxiunternehmens. „Es muss unbedingt etwas unternommen werden.“
„Vielleicht sollten wir das Jugendamt benachrichtigen“, schlug ich vor und mir war nicht wohl bei der ganzen Sache.
„Pah“, spie Stahlberg aus. „Das Jugendamt! Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen. Wir müssen zeigen, dass das so nicht weitergehen kann.“
„Genau!“, stimmte Briese zu und ich sah, wie seine Augen funkelten.
Kaum jemand weiß, dass Stahlberg sich schon lange bemüht, eine Weide zu Kaufen, die direkt an das Werksgelände anschließt und die er dringend benötigt zur Expansion seiner Firma. Doch der Besitzer des Grundstücks will nicht verkaufen, er ist störrisch. Es ist Sanders, der Schläger.
„Aber wir können nichts machen, ohne die Behörden“, wandte Parske ein, der seines Zeichens ein ebenso kleiner Handwerker ist wie ich.
„Ach was“, wischte Stahlberg die Bedenken hinweg. „Das regeln wir intern. Sanders ist ein Sadist, er unterdrückt seine Familie und...“ – hier machte er eine Pause und sah herausfordernd jeden Einzelnen in der Runde an – „... er ist gefährlich für das ganze Dorf.“
Damit hatte er die Meisten überzeugt. Sanders – das stimmt – ist nicht nur zu Hause gewalttätig. Schon des Öfteren kam es zu Prügeleien mit ihm, die meist ziemlich blutig endeten. Wie gesagt, kaum jemand, der keine Angst vor ihm hat.
Und so erhob sich ein Großteil der Männer, die hier saßen, zogen los unter aggressivem Gemurmel und ließen nur wenige, bedrückt dreinschauende Personen in der Kneipe zurück.
Ich konnte noch hören, wie einer rief: „Schlagt das Schwein einfach tot!“
Und wir, die Hier gebliebenen, saßen da und fühlten uns nur unbehaglich.

Heute morgen nun habe ich erfahren, wie die Angelegenheit geendet ist.
Sanders konnte fliehen, als die Meute in sein Haus eindrang. In letzter Sekunde sprang er aus dem Fenster und lief durch seinen Garten in die Nacht. Ich kann nur hoffen, dass er, sollte er aufgegriffen werden, sofort den Behörden übergeben wird.
Seine Familie lebt weiterhin in Angst, aber auch in Hoffnung. Den Kindern geht es gut und die Frau habe ich schon lächeln sehen. Es scheint, als ob dieser Fall einen glimpflichen Ausgang genommen hat.
Einzig eine Bemerkung, die Stahlberg vorhin fallen ließ, macht mir Sorgen. Er sagte, dass das Verhalten von Boddin, einem bekannten Alkoholiker im Dorf, ihm gar nicht gefalle.

Anmerkung: Diese Geschichte beruht, in gewissem Sinne, auf einem wahren, allseits bekannten Fall.

ENDE

 

Moin, Hannibal.
Guter Ansatz, aber meiner Meinung nach ist da noch mehr drin.
Mir fehlt noch das Hochköcheln der Gefühle bei denen, die ihn Jagen gehen helfen, das Anstacheln des " Wortführers" der die "schlagenden", geschickt platzierten Halbwahrheiten vor einen dankbaren (von ihm und seiner Macht abhängigen) beduselten Pöbel streut.
Gut ist, dass die Geschichte aus der Warte eines zwar abhängigen, aber dennoch eines Gewaltskeptikers geschrieben ist.
Schade ist, dass ausgeklammert bleibt, was sich da vor, bzw. in diesem Haus abgespielt hat.
Klasse wäre, wenn die Geschichte am Ende noch weitergeht, bis zu dem Punkt nämlich, wo Stahlmann selber zum Opfer eines " Haberfeldtreibens" auserkoren wird.
meint:
Lord

 

schön und durchaus lesenwert und kritisch, wie du mit dem Thema Selbstjustiz umgehst: einerseits kann sie durchaus helfen, aber nur dann, wenn sie so verläuft, wie sie es eigentlich nicht sollte ;) zum anderen, wie Menschen unter dem Mantel der Selbstjustiz, die ja an sich schon der falsche Weg ist, auch noch ihre eigenen Ziele erreichen wollen, dabei ihre Macht ausnutzen, aber dann nicht einmal um der Gerechtigkeit willen! Langer Rede, kurzer Sinn: es gibt meistens zwei Seiten, wenn nicht sogar mehr, einer Medaille ... und das kommt durchaus durch deine Geschichte rüber! An der Botschaft gibts nicht viel zu meckern, aber ich kann Arion schon zustimmen: du kannst gewissen Situationen und Charaktere (z.B. den Erzähler oder Stahlberg) ruhig etwas differenzierter zeichnen ... besoders die Stimmung in der Kneipe wäre vielleicht nochmal etwas genauer zu umschreiben! Aber alles nur kleine Tips von nem Newbie :D

 

Hallo, ihr Leser und Kritiker!

Ich freue mich, dass diese Geschichte doch ein wenig Beachtung gefunden hat, obscon sie ja unscheinbar und gar nicht spektakulär ist.
@ Tagträumer: Danke für das Lob und deine Ausführungen zum Thema Selbstjustiz! Wenn du weiter unten liest, wirst du sehen, warum m.M. nach die Geschichte mehr damit zu tun hast, als es den Anschein hat.

@Lord Arion: Schön, dass du dich sosehr mit dem Text auseinander gesetzt hast, und nett von dir, wie du deine Kritik verpackt hast. Ich müsste dir zustimmen, wenn ich bei dieser Story Wert gelegt hätte auf einen Spannungsbogen.

@bekay: Dank auch an dich für deine Anregungen. Stimmt natürlich, wenn du sagst, dass die Charaktere nicht ausgefeilt sind.
was mich wundert, ist, dass niemand bemerkt hat, dass ich das kleine Wörtchen ENDE unter die Anmerkungen geschrieben habe, dieser Satz gehört also zur Geschichte.

Der wahre, allseits bekannte Fall ist ... der Irakkrieg. Hört sich dämlich an, ich weiß. Aber ich habe es mir zu einer Angewohnheit gemacht, große politische Begebenheiten, um sie besser verstehen, sie einordnen und mir eine Meinung dazu bilden zu können, ins Kleine, Private zu übertragen und dann nach richtig und falsch zu entscheiden.
Im vorliegenden Fall habe ich das Gehabe eines Präsidenten Bush auf das Verhalten von Stahlberg übertragen. Klappt natürlich nicht hundertprozentig, hilft aber ein wenig.
Wenn man den Text unter diesem Gesichtspunkt liest, stellt er sich vielleicht etwas anders da.

Also, nochmals vielen Dank und

Viele Grüße von hier!

 

hei hannibal, lord arion schrieb es, bzw. deutete es an. "Guter Ansatz" Ich denke auch, dass hier noch viel ausgebaut werden könnte, um es wirklich zu einer interessanten story zu machen.

Ich habe noch deine Geschichte der "alte mann" im kopf, las sie aber nicht zuende, war am computer überfordert (kein drucker). Jedenfalls benutzt du den gleichen stil, und dann werden geschichten automatisch länger. Hiefür, also für diese story müsstest du mehr verdichten, reduzieren, oder sie eben länger gestalten.

Trotzdem:stammtischatmosphäre, der dazugehörige Gruppenzwang, das kommt recht gut rüber. Zudem gefällt mir der letzte Satz, der vieles sagt, sehr gut.

Liebe grüsse stefan

 

Hi Hannibal.
Die Allegorie wäre ohne dein Zutun nicht zu finden gewesen, um so "wahrer" bleiben dennoch meine Anmerkungen, findest du nicht?
Dann würde noch deutlicher gezeigt, wie wenig sich löst, und wie viel noch vor- bzw. nachher passiert, was der ursprünglichen Intention, nämlich schlimmeres zu verhüten( präventiv zu handeln) leider meist völlig zuwiederläuft.
Wenn du es schaffst, DAS noch mit hineinzupacken, dann ist die Story nicht nur gut, sondern auch von bleibendem Gehalt.
Mut !!! Versuch es einfach.
Lord

 

Hallo Hanniball!

Alles Gute zum Geburtstag! :)

Also, ich finde die Geschichte auch eine sehr gute Idee, besonders im Hinblick auf Deine Intention, großes Weltgeschehen im Kleinen darzustellen, allerdings in der Darstellung etwas zu mager, wie auch schon gesagt wurde. :)

Ich denke auch, daß Du unbedingt durch mehr Details den Vergleich besser herausbringen solltest. Teilweise könnten sie auch treffender sein. Als Beispiel: Ich hätte Sanders nicht das Nachbargrundstück bewohnen lassen, sondern ein anderes, auf dem vielleicht eine Wasserquelle oder der fruchtbarste Boden oder so ist. – Auch die Gullydeckelfabrik finde ich etwas unpassend, mehr müßte er meiner Ansicht nach eine vielfältiger produzierende Firma haben und an weiteren beteiligt sein. ;)
Um ganz böse zu sein, würde ich auch die Frau Sanders vom Schlägertrupp vergewaltigen lassen, aber das wäre dann natürlich sehr gewagt…
Wenn Du Dir richtig Zeit nimmst, kommst Du sicher noch auf viele Ideen, die man vom Großen ins Kleine übertragen kann, und dann wird Deine Intention auch ohne Erklärung deutlich. :)

Ein paar Kleinigkeiten hab ich noch:

»Natürlich ist es nicht der schönste Ort, den man sich vorstellen kann, aber wir alle arbeiten fieberhaft daran, es zu werden.«
– „dass er es wird“ (oder ähnlich formuliert) müßte es heißen, denn die Menschen, die daran arbeiten, wollen kein schönster Ort werden, sondern ihr Dorf soll das werden. ;)

»Den Meisten hier geht es blendend, sie leben abgesichert und in Wohlstand.«
– Den meisten hier

»„Vielleicht sollten wir das Jugendamt benachrichtigen“, schlug ich vor und mir war nicht wohl bei der ganzen Sache.«
– Würde nach „vor“ einen Punkt machen und „Mir war nicht wohl bei der ganzen Sache.“ als eigenen Satz stehen lassen, so wirkt er mehr.

»eine Weide zu Kaufen«
kaufen

»er unterdrückt seine Familie und...“ – hier machte er eine Pause …«
– Leertaste nach „und“
– ich würde auch den Gedankenstrich weggeben, da eh schon die drei Punkte die Pause ausdrücken, also so: seine Familie und …“ Hier machte er eine Pause und …

»Und wir, die Hier gebliebenen«
– die Hiergebliebenen (zusammen)

»Heute morgen nun habe ich erfahren, wie die Angelegenheit geendet ist.«
– geendet hat, meiner Meinung nach


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Herzlichen Glückwunsch auch von mir zu deinem Geburtstag Hanniball.


eigentlich kann ich mich nur noch meinen Vorrednern: Häferl, Lord Arion, Archetyp und bekay nur zustimmen. Deine Geschichte ist eine gute Idee, verpackt als Dorfgescheheniss wie es überall vorkommen kann und als Wahrheitstrip im grossen gesehen auf unsere Welt, bzw. Irakkrieg (Busch).
Vielleicht wäre noch ein wenig mehr Ausschmückung empfohlen, um das Ganze noch mehr zu belichten.


Hab sie gern gelesen

Morpheus

 

Hallo Häferl, Moin Morpheus!

Habt Dank für die lieben Glückwünsche, habe mich gefreut, ehrlich! War ‚ne schöne Überraschung, tatsächlich.

Zum Stück: Natürlich habt Ihr Recht, wenn Ihr sagt, dass der Text mager ist, lohnt es sich tatsächlich, daran zu arbeiten? Ich bin, ich merke das immer mehr, immer noch ein Autoren-Autor:D. Ich schreibe noch zu wenig fürs Publikum, zuviel schreibe ich, um zu eigenen Einsichten zu gelangen. Ich bessere mich, versprochen, bin schon seit ich hier bin, auf dieser Seite, dabei.
Dieser Text ist, wie kein zweiter von mir, erkenntnisorientiert geschrieben. Das heißt, mir ging es vor allem darum, selbst herauszufinden, wo ich in diesem Konflikt stehe und welchen Argumenten ich zustimme. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man durch diese Methode sehr gut zu einem Schluss kommen kann, für mich habe ich hier auch die Lehren gezogen. Ich habe meine Position gefunden. Du hast Recht, Häferl, wenn du sagst, dass man bei einigem Nachdenken immer mehr Parallelen findet zum Alltagsleben, aber aufgepasst, manche sind auch schief. Deinen Fehlerhinweisen kann ich in den meisten Fällen zustimmen (wird Meisten wirklich klein geschrieben, wenn ich ein Artikel davorsetzen kann?), und sicher stimmt es, dass der Leser selbst auf die Allegorie kommen muss (danke auch an die Lordschaft!).

Ich denke, dass ich mich noch mal hinsetzen werde und diese Story überarbeiten werde(ich hoffe, dass dieses Versprechen nicht allzu leer klingt)

Dann danke noch mal und
Viele Grüße von hier!

 

Moin Haniball.
es freut mich, zu lesen, dass du unsere Anmerkungen bereit bist anzunehmen, und dich zum Wohle der Geschichte, und deines eigenen (gedanklichen) Fortkommens weiterhin mit dieser Geschichte und der Stringenz der Gedankengänge bereit bist auseinanderzusetzen.
Anfangs erschienst du mir nämlich wenig bereit, auf unsere Anmerkungen einzugehen.
Ich weiß, lernen ist oft schmerzhaft, dennoch ist der zu erringende Preis um so süsser, wenn man ihn endlich geniessen kann.
Freundlicher Gruß
Lord

 

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