Reh vs. Auto
Eine breite Allee, die scheinbar bis zum Horizont geradeaus verläuft. Ein Motorgeräusch und eine fast greifbare Anwesenheit von Neubeginn. Die Bäume rauschen in hoher Geschwindigkeit an mir vorbei, doch fokussiere ich den Raum dahinter. Die Felder und Wiesen. Plötzlich bemerke ich eine Bewegung am Waldrand, der gerade in mein Blickfeld rauscht. Ein Reh steht dort in der Morgensonne. Ein leichter Nebel liegt noch auf der Wiese und das Reh scheint mir in die Augen zu schauen. Das bilde ich mir natürlich nur ein, aber der Gedanke hält mich fest und ich schweife ab, versetze mich in das Reh, stelle mir vor was das Reh wohl als nächsten machen wird. Ein Schaudern überkommt mich und ich laufe auf Gras durch den Frühnebel. Ich fühle mich seltsam leicht und renne immer schneller auf der Wiese auf die Strasse zu. Ich schaue an mir herunter und stelle erschrocken fest, dass ich das Reh bin und dass ich nicht stoppen kann. Das erste Erschrecken weicht einer Woge von Euphorie und ich laufe immer schneller in Richtung der Strasse. Der Nebel weicht vor mir zurück. Ich merke langsam, dass die Strasse immer näher kommt. Ich fühle eine unbändige Kraft und laufe noch schneller. Meine Unfähigkeit zu stoppen und die Tatsache, dass die Strasse wenige Meter entfernt ist, macht mich langsam unruhig und doch spüre ich einen Sog genau dorthin. Als ich das Ziel erreiche sehe ich aus dem Augenwinkel etwas Schwarzes auf mich zurasen und merke zu spät, dass es zu spät ist.
Der Moment ist sehr still und er passiert wie eine kleine Ewigkeit.
Ich merke, wie mein Körper einfach weggerissen wird und wie mein Schädel auf etwas aufschlägt und bricht. Das Krachen meiner Knochen ist so laut, dass die anderen Geräusche in den Hintergrund und die damit verbundene Unwichtigkeit wandern. Die Wucht. Die Gewalt. Das Ende.
Erschrocken reiße ich die Augen auf und stelle erleichtert fest, dass ich noch in der Spur fahre und sehe im letzten Augenblick in die Augen des Rehs, das mitten auf der Strasse steht.