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Parkbank

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06.11.2016
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Parkbank

Gerlinde Kubalek versteckt sich hinter einer dicken Eiche und betrachtet den Mann, der wie jeden Nachmittag auf der Parkbank sitzt, einen viel zu großen schwarzen Hut schief auf seinem Kopf. Schwielige Hände halten eine Papiertüte umklammert. Ab und an nimmt er einen kräftigen Schluck aus der darin verborgenen Flasche.
Wenn Gerlinde Kubalek mit ihrem kleinen Yorkshire Filou eine Runde dreht, nimmt sie jedes Mal den Weg durch den Park. Seit einigen Wochen schon ist ihr dort der Mann auf der Bank aufgefallen. Er fasziniert sie, er macht sie neugierig. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen. Es ist, als ob sie ihn schon seit Langem kennt, wie einen alten Freund. Dabei weiß sie nichts über ihn, hat noch kein Wort mit ihm gewechselt. In den letzten Tagen hat sie ihm im Vorbeigehen lediglich verstohlene Blicke zugeworfen. Doch heute konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben und ihn zu beobachten. Die dicke Eiche bietet ihr gerade so viel Schutz, dass sie sich nicht wie eine Voyeurin vorkommt.
Gerade steckt der Mann die Tüte umständlich in seine Sakkotasche und zupft sich die Hosenbeine zurecht. Eine Geste, die sie an Otto erinnert, der seine Bügelfalten richtet. Dann rutscht er auf der Sitzfläche nach vorne, als wolle er aufstehen. Ihr stockt der Atem. Sie will nicht, dass er geht. Doch der Mann bleibt sitzen. Gerlinde Kubalek atmet auf. Diese Gelegenheit will sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wild entschlossen nimmt sie all ihren Mut zusammen und steuert auf die Parkbank zu.

„Ist neben Ihnen noch frei?“
Ihr Gegenüber starrt sie aus leicht geröteten Augen fragend an.
Gerlinde bleibt einfach stehen. Als ihm klar wird, dass sie ihre Frage ernst meint, nickt er leicht und fummelt ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche. Mit zitternden Händen wischt er mit dem zerknitterten Fetzen über den Platz neben sich, um Schmutz und Staub zu entfernen. Gerlinde wagt nicht, darüber nachzudenken, was sich alles an dem Taschentuch und nun eben auf der Parkbank befinden könnte. Sie lächelt ihn freundlich an und merkt verwundert, dass das Lächeln ihre Augen erreicht.
„Gerlinde Kubalek“, sagt sie mit fester Stimme und hält ihm ihre Hand hin.
„Gustav Kling.“ Seine Stimme zittert, doch sein Händedruck ist fest und warm.
Sie lacht: „Da haben wir doch tatsächlich dieselben Initialen!“
Verwundert sieht er sie an. Für einen Moment glaubt sie, dass er keine Ahnung hat, wovon sie spricht.
Dann grinst auch er: „Ein schöner Zufall.“
„An Zufälle glaube ich nicht!“
Er schweigt.
„Kennen Sie Albert Schweitzer?“, hakt sie nach.
„Nicht persönlich“, antwortet er.
Wieder lacht sie. Ein seltsames Gefühl, so viel zu lachen.
„Er hat gesagt, der Zufall sei ein Pseudonym, das der liebe Gott wähle, wenn er inkognito bleiben wolle.“
Er scheint darüber nachzudenken. „Ich glaube schon lange nicht mehr an Gott“, antwortet er schließlich.
Gerlinde beißt sich auf die Unterlippe. Natürlich nicht. Sie faselt mal wieder dummes Zeug.
„Aber“, fügt Gustav plötzlich hinzu, „der Gedanke gefällt mir trotzdem.“
Eine Weile sitzen sie schweigend nebeneinander und genießen die neue und doch seltsam vertraute Nähe des anderen.
„Darf ich fragen, warum Sie jeden Tag hier sitzen?“, durchbricht Gerlinde nach einiger Zeit die Stille.
„Es macht mir Freude, die Menschen bei ihren Alltäglichkeiten zu beobachten“, antwortet Gustav.
„Haben Sie keine Wohnung?“
Er sieht sie lange an. Gerlinde schämt sich für ihre Aufdringlichkeit. So etwas fragt man doch nicht! Gleich wird er aufstehen und gehen.
Er bleibt sitzen. Er lächelt sogar ein kleines bisschen. „Doch“, sagt er leise, „aber was soll ich da?“
„Haben Sie niemand, der dort auf Sie wartet?“ Wieder so eine intime Frage. Gerlinde könnte sich ohrfeigen für ihr loses Mundwerk.
„Meine Frau hat mich verlassen, als der Job weg war. Jede Frau hätte das getan. Irgendwann war ich mehr mit dem Alkohol verheiratet als mit ihr. Ein paar alte Freunde sind mir noch geblieben. Aber die haben auch ihr eigenes Leben.“
Gerlinde starrt peinlich berührt auf ihre Schuhspitzen und nickt vor sich hin.
„Und Sie?“, fragt er. Dann deutet er mit dem Kopf auf den neben ihren Füßen schlafenden Filou: „Gibt’s auch ein Herrchen zu dem Hund?“
„Mein Otto ist vor fünfzehn Jahren gestorben.“
Gustav murmelt irgendetwas vor sich hin. Wahrscheinlich eine Beileidsbekundung. Gerlinde lächelt ihn dankbar an.
„Meine Tochter hat mir dann den Hund geschenkt“, fügt sie hinzu, „damit ich nicht so allein bin.“
„Warum kümmert sie sich nicht selbst um Sie?“
„Sie hat nach München geheiratet. Sie wollte, dass ich auch dort hinziehe. Aber einen alten Baum sollte man nicht mehr verpflanzen.“
Gustav scheint nicht überzeugt zu sein.
„Sie haben wohl keine Kinder?“, fragt Gerlinde, doch eigentlich ist es mehr eine Feststellung. Tatsächlich schüttelt er den Kopf. Wieder ertappt sie sich dabei, dass sie lächelt.
„Ich habe drei Enkelkinder“, erklärt sie ihm schließlich, „aber natürlich sehe ich sie kaum. Die Entfernung. Sie wissen schon.“
Nun nickt er. Sie hat das Gefühl, dass er ihr gern widersprechen würde. Doch er ist taktvoll genug, es nicht zu tun.
„Heute trinke ich nur noch selten“, sagt er plötzlich und zieht die braune Papiertüte ein Stück aus seiner Sakkotasche. Es scheint ihm wichtig zu sein, dass sie das weiß.
„Wollen Sie einen Schluck?“
Gerlinde hebt abwehrend eine Hand: „Nein, danke! Das Zeug bekommt mir nicht so gut.“
Er verzieht den Mund zu einem traurigen Lächeln: „Mir auch nicht.“
In diesem Augenblick kann Gerlinde seinen Schmerz fühlen. Einen Schmerz, den sie selbst nur zu gut kennt. Der sich ihr immer wieder wie ein Messer ins Herz bohrt, ihr alle Energie nimmt und ihr sogar das Atmen zur Last werden lässt.
Sie sehen sich lange in die Augen und wieder ist da diese Vertrautheit, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Sie kennen sich seit wenigen Minuten, doch Gerlinde scheint es wie ein ganzes Leben.
Dann ist der besondere Moment vorbei. Filou fängt an zu kläffen. Wahrscheinlich hat er Hunger. Gerlinde wirft einen Blick auf ihre Uhr. Schon halb fünf. Zeit, nach Hause zu gehen.
„Sehen wir uns morgen wieder?“, fragt sie.
„So Gott will“, antwortet er mit einem Augenzwinkern.
„Das wäre ein schöner Zufall“, erwidert Gerlinde lächelnd, ehe sie nach Filous Leine greift und nach Hause geht.

In den nächsten Wochen treffen sich Gerlinde Kubalek und Gustav Kling täglich auf ihrer Parkbank. Sie unterhalten sich stundenlang über die Welt. Und sogar über Gott. Sie lachen viel miteinander und wenn ihre Lebensgeschichten keinen Platz für das Lachen lassen, schweigen sie gemeinsam.
Gustav erzählt, dass er schon seit vielen Jahren von der Stütze lebt. Genaugenommen, seitdem er arbeitslos geworden ist. Natürlich habe er nichts Neues mehr gefunden. Wer stellt schon einen alten Trottel ein? Noch dazu, wenn es sich um einen Säufer handelt. Dass er mit dem Trinken nur angefangen habe, um zuhause nicht durchzudrehen, das habe natürlich keinen interessiert.
Gerlinde hört aufmerksam zu. Schließlich erzählt sie von ihrem Otto, der sich so auf seinen Ruhestand gefreut hatte. Gemeinsam wollten sie die ganze Welt bereisen, ins Theater gehen, ihre Tochter und die Enkelkinder in München besuchen, einfach viel Zeit miteinander verbringen. Große Pläne hätten sie gehabt. Dann habe Otto eines schönen Sommerabends plötzlich der Schlag getroffen. Von einer Sekunde auf die andere sei er tot gewesen. Mit dreiundfünfzig.
Wenn sie davon erzählt, laufen ihr noch immer die Tränen übers Gesicht. Gustav bietet ihr sein zerknittertes Taschentuch an.
Sie greift nach seiner Hand und drückt sie ganz leicht.
„Zusammen sind wir nicht mehr so allein“, sagt sie leise.
Er sieht sie lange an. Seine Hand erwidert den Druck. Einige Zeit sitzen sie so da und keiner von beiden sagt etwas.
"Wissen Sie, was das Schlimmste ist?", fragt sie ihn schließlich. Erwartungsvoll hebt er die Augenbrauen.
"Seit Ottos Tod fühle ich mich wertlos. Ich wusste immer, dass er mich bedingungslos liebt, und jetzt, da er nicht mehr ist, versinke ich in Bedeutungslosigkeit."
Gustav schweigt. Zu gerne würde sie wissen, was er gerade denkt.
"Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht mehr die Jüngste bin", fährt sie fort. "Ich schaue manchmal in den Spiegel und sehe eine in die Jahre gekommene, wenig attraktive Frau ohne jeden Esprit. Niemand braucht mich mehr. Noch nicht einmal meine eigene Tochter."
Gustav hat den Blick in die Ferne gerichtet. Noch immer sagt er nichts, doch seine Mundwinkel verziehen sich zu einem schwachen Lächeln.
Gerlinde weiß nicht, wie sie es deuten soll. Findet er ihr Gejammer lächerlich? Grinst er, weil er ihr im Grunde genommen zustimmt und es nicht zugeben will? Sie traut sich nicht, ihn danach zu fragen, und der Moment verstreicht.

Einmal in der Woche bringt Gerlinde zwei dampfende Becher von Starbucks mit zur Parkbank. Eigentlich kann sie sich die sündhaft teure Milch mit dem Schuss Kaffee von ihrer spärlichen Witwenrente nicht leisten. Schon gar nicht im Doppelpack. Aber das gemeinsame Kaffeetrinken macht beiden Freude und sorgt für eine besondere Atmosphäre. Außerdem will sie nicht, dass Gustav sich immer nur mit seinem billigen Fusel von innen wärmen muss.
Ihr Abschiedsritual ist immer dasselbe.
„Sehen wir uns morgen wieder?“
„So Gott will.“
„Das wäre ein schöner Zufall."
Bevor sie geht, lächeln sie sich jedes Mal an. Mit einem Lächeln, das die Augen erreicht. Gerlinde kann sich gar nicht vorstellen, dass es jemals anders war.

Es ist ein Mittwoch, an dem Gerlinde schon von Weitem sieht, dass die Parkbank verwaist ist. Verwundert wirft sie einen Blick auf ihre Uhr. Sie ist weder zu früh noch hat sie sich verspätet. Sie bleibt neben der Bank stehen und schaut sich in alle Richtungen um. Von Gustav keine Spur. Sie setzt sich und wartet. Unerträglich langsam ziehen die Minuten dahin. Nach zwei Stunden gibt Gerlinde auf. Es ist jetzt halb fünf und Gustav weiß, dass sie um diese Zeit nach Hause muss, um Filou zu füttern. Heute ist mit ihm wohl nicht mehr zu rechnen.
Oder kann es sein, dass er absichtlich nicht gekommen ist? Hat sie gestern irgendetwas Falsches gesagt? Nein, eigentlich war alles wie immer.
Gerlinde spürt einen seltsamen Druck in der Magengegend, der sich langsam Richtung Brust ausdehnt. Sie kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sie hat Angst! Angst, wieder allein zu sein. Ohne ihn. Auf dem Heimweg kämpft sie mit den Tränen.
Auch an den nächsten fünf Tagen taucht Gustav nicht an ihrem Treffpunkt auf. Jedes Mal wartet Gerlinde zwei Stunden lang auf der Parkbank. Vergebens. Langsam beginnt sie, sich Sorgen zu machen. Sie weiß noch nicht einmal, wo Gustav wohnt. Zuhause sucht sie seinen Namen im Telefonbuch. Klings gibt es viele, aber einen Gustav kann sie nicht finden. Vielleicht hat er gar kein Telefon.

Nach einer Woche ohne ein Lebenszeichen von Gustav, nimmt Gerlinde sich fest vor, zum letzten Mal den Weg durch den Park zu nehmen. Wenn die Bank heute wieder leer ist, wird sie nicht mehr herkommen.
Als sie sich der alten Eiche nähert, macht ihr Herz einen Sprung. Ein Mann sitzt auf ihrer Bank. Der schwarze Hut ist unverkennbar. Gustav ist wieder da!
Vor Freude wäre sie am liebsten zu ihm gelaufen. Doch dann fällt ihr ein, wie besorgt sie in den letzten Tagen war. Dafür ist er ihr erst einmal eine Erklärung schuldig. Sie verlangsamt ihren Schritt, möchte betont lässig wirken. Er soll nicht merken, wie aufgewühlt sie ist. Um sich zu beruhigen, hält sie den Blick beim Gehen auf ihre Schuhspitzen gesenkt. Erst als sie direkt vor ihm steht, sieht sie auf. Und erstarrt.
Der Mann, der vor ihr auf der Bank sitzt, ist nicht Gustav, sondern ein Wildfremder. Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie ihn an.
„Wo ist Gustav?“, fragt sie. Ihre Stimme klingt ungewohnt schrill.
Der Mann streckt beschwichtigend die Hand nach ihr aus, doch sie weicht zurück. Filou beginnt zu knurren.
„Sie müssen Gerlinde Kubalek sein“, sagt der Mann sanft.
„Wer will das wissen?“
„Ich bin Curt. Ein Freund. Ich soll Ihnen den von Gustav geben“, antwortet er und hält ihr einen Briefumschlag hin.
„Warum kommt er nicht selbst?“ Gerlinde hat Mühe, den Mann nicht anzuschreien.
„Es tut mir leid“, beginnt er traurig lächelnd.
„Was tut Ihnen leid?", schneidet sie ihm das Wort ab. „Dass er nicht einmal den Mut hat, mir selbst zu sagen, dass er nicht mehr herkommen will?“
Der Mann greift nach ihrer Hand, um ihr Einhalt zu gebieten. Gerlinde will sie ihm entwinden, doch er lässt nicht los. Er möchte, dass sie ihm in die Augen sieht.
„Gustav ist tot“, sagt er schließlich leise.
Gerlinde schnappt nach Luft.
„Wir haben ihn gestern in seiner Wohnung gefunden. Wahrscheinlich ist er schon Mittwochvormittag gestorben.“
Er hält einen Moment inne, damit Gerlinde die Information verarbeiten kann.
„Er hatte eine Schachtel in seinem Nachttisch, die ich im Falle seines Todes öffnen sollte. Darin war auch dieser Umschlag für Sie. Und eine genaue Beschreibung, wo ich Sie finden kann.“
Gerlinde lässt zu, dass er ihr das Kuvert zwischen die klammen Finger schiebt. Ihr Kopf fühlt sich an wie in Watte gepackt. Nur sehr dumpf, als wäre sie unter Wasser, nimmt sie die Stimme des Mannes wahr.
„Warum tragen Sie seinen Hut?“, fragt sie.
„Das war sein Abschiedsgeschenk an mich“, antwortet er gequält. Dann steht er auf. Er legt ihr eine Hand auf die Schulter, ehe er sich abwendet und davongeht.

Ohne es zu merken, lässt Gerlinde sich auf die Parkbank sinken. Filou legt mitfühlend seinen Kopf auf ihren Fuß. Erst jetzt nimmt sie den Umschlag richtig wahr. Mit zitternden Händen reißt sie ihn auf und entnimmt ihm einen ordentlich gefalteten Bogen Büttenpapier. Gustav hat in anmutig geschwungener Schrift mit Tinte etwas darauf geschrieben.
„Für mich waren Sie ein Anker in der Not. Bewahren Sie sich Ihr Lächeln. Wenn Ihre Augen beim Lachen strahlen, sind Sie noch tausendmal schöner!“, steht da.
Tränen steigen in ihr auf, ihre Kehle zieht sich zusammen, das Atmen fällt ihr mit einem Mal schwer, so schwer. Langsam steht sie auf. Die Hand, die den Brief hält, sinkt wie in Zeitlupe nach unten, bis sie an ihr herabbaumelt, als wäre sie kein Teil ihres Körpers mehr. Wie in Trance setzt sie einen Fuß vor den anderen. Filou sieht ihr einige Sekunden verwundert nach, ehe auch er sich erhebt und hinter ihr hertrottet.
Die alte Eiche wiegt ihre Zweige sacht im Wind. Als würde sie Gustav zum Abschied winken, denkt Gerlinde. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Bewahren Sie sich Ihr Lächeln. Sie sieht Gustav vor sich, wie er die Nachricht schreibt und dabei an ihre strahlenden Augen denkt. Gerlinde Kubalek dreht sich nicht noch einmal um. Doch als sie den Park verlässt, kann sie nicht verhindern, dass sie sanft lächelt.

 
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Hallo janehumphries

Das ist kein Text, der sich in mein Gedächtnis einbrennen wird. Aber eine leise und feine Geschichte, die ich gerne gelesen habe. Ich war nah bei den Figuren. Stark fand ich den Schluss. Ich denke, da ist die Versuchung gross, abzubrechen, aber du bleibst dran und zeigst ihre Reaktion. Gut. An einigen Stellen ist der Text für meinen Geschmack etwas auserklärt, da wird ab und zu noch was nachgeschoben, was nicht nötig wäre, ich werde in der Detailkritik darauf eingehen.

Die ältere Dame steht an die dicke Eiche gelehnt da.

Ich denke, ich würde hier schon den Namen nennen. Ist man sofort näher dran und weiss, dass das die Protagonistin ist. Der Satz gefällt mir nicht, ist schwierig zu sagen, warum, vielleicht wegen den vielen „d“? Mein Vorschlag: „Gerlinde Kubalek steht an eine Eiche gelehnt und betrachtet den Mann, der jeden Nachmittag auf der Parkbank sitzt.“

großen schwarzen Hut schief auf seinem Kopf. Schwielige Hände halten eine braune Papiertüte fest umklammert.

Im Forum wird viel über Adjektive und Adverbien gestritten. Kann man so oder so sehen. Aber hier ist jedes Substantiv und jedes Verb präzisiert.

Seit einigen Wochen schon ist ihr dort der Mann auf der Bank aufgefallen. Er fasziniert sie, er macht sie neugierig. Obwohl sie sicher ist, dass er zu den Ausgestoßenen der Gesellschaft gehört, fühlt sie sich magisch zu ihm hingezogen. Es ist, als ob sie ihn schon seit Langem kennt, wie einen alten Freund.

Diesen Satz brauchst du m.E. nicht, das ist beides auch für den Leser offensichtlich. Das „magisch“ würde ich auf alle Fälle weglassen, das ist so eine Standardfloskel.

Gerade steckt der Mann die braune Tüte umständlich in seine Sakkotasche und zupft sich die Hosenbeine zurecht.

Wenn du das Adjektiv oben nicht streichen möchtest, dann solltest du es aber hier weglassen.

Gerlinde Kubalek atmet erleichtert auf.

Redundant. Das Aufatmen zeigt die Erleichterung. Diese muss nicht mehr benannt werden.

Mit zitternden Händen wischt er mit dem zerknitterten Fetzen über den freien Platz neben sich, um Schmutz und Staub zu entfernen.

Eben, wenn jedes Substantiv ein Adjektiv bekommt, in einem Satz, dann wirkt das halt etwas auffällig.

Sie lacht: „Da haben wir doch tatsächlich dieselben Initialen!“
Verwundert sieht er sie an. Für einen Moment glaubt sie, dass er keine Ahnung hat, wovon sie spricht.
Dann grinst auch er: „Ein schöner Zufall.“
„An Zufälle glaube ich nicht!“
Er schweigt.
„Kennen Sie Albert Schweitzer?“, hakt sie nach.
„Nicht persönlich“, antwortet er.
Wieder lacht sie. Ein seltsames Gefühl, so viel zu lachen.

Ein wunderschöner Dialog, für mich das Highlight der Geschichte!

Gerlinde beißt sich auf die Unterlippe. Natürlich nicht. An seiner Stelle hätte sie den Glauben an Gott wohl auch aufgegeben. Sie faselt mal wieder dummes Zeug.

Würde ich streichen und dem Leser überlassen. Bekommt dann auch etwas Offenes.

Gerlinde schämt sich für ihre Aufdringlichkeit. So etwas fragt man doch nicht! // Wieder so eine intime Frage. Gerlinde könnte sich ohrfeigen für ihr loses Mundwerk.

Ich würde Gerlinde ihre Neugier nur einmal kommentieren lassen.

Nun nickt er. Sie hat das Gefühl, dass er ihr gern widersprechen würde. Doch er ist taktvoll genug, es nicht zu tun. Wahrscheinlich hat er erkannt, dass es in ihrem Leben genügend zerstörte Illusionen gegeben hat.

Auch hier würde ich das in der Schwebe lassen, nicht auserklären.

Gerlinde spürt einen seltsamen Druck in der Magengegend, der sich langsam Richtung Brust ausdehnt. Sie kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sie hat Angst! Angst, wieder allein zu sein. Ohne ihn. Auf dem Heimweg kämpft sie mit den Tränen.

Würde ich wiederum dem Leser überlassen.

„Das war sein Abschiedsgeschenk an mich“, antwortet er gequält. Dann steht er auf. Tröstend legt er ihr eine Hand auf die Schulter, ehe er sich abwendet und davongeht.

Ohne es zu merken, lässt Gerlinde sich auf die Parkbank sinken. Filou legt mitfühlend seinen Kopf auf ihren Fuß.

Weiss nicht. Du hast die Gesten und gleichzeitig erklärst du jeweils, was diese Gesten meinen. Ich wäre da jeweils vorsichtig, der Leser kann das schon deuten, wenn der Hund den Kopf auf die Füsse legt, und der Leser weiss, was eine auf die Schulter gelegte Hand bedeutet.


Tränen steigen in ihr auf, ihre Kehle zieht sich zusammen, das Atmen fällt ihr mit einem Mal schwer, so schwer. Langsam steht sie auf. Die Hand, die den Brief hält, sinkt wie in Zeitlupe nach unten, bis sie an ihr herabbaumelt, als wäre sie kein Teil ihres Körpers mehr.

Wie gesagt finde ich es gut, dass du hier bei Gerlinde bleibst, ich denke, das ist sehr wichtig für den Leser, hier einen Ausstieg aus der Geschichte zu finden.

Ein schöner Text!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hallo Peeperkorn!

Vielen Dank auch für deinen Kommentar!

Ja, das Auserklären... Fluch und Segen zugleich. Eine Fähigkeit, die mir in meinem Beruf sehr zugutekommt, beim Schreiben aber oftmals etwas mit mir durchgeht. Ich werde den Text nochmals durchsehen und die meisten deiner Anmerkungen umsetzen. Nicht alle, da einige davon explizit von anderen Lesern gewünscht worden sind.

Ich würde Gerlinde ihre Neugier nur einmal kommentieren lassen.
Dass sie es zweimal macht, ist beabsichtigt, um ihre Verunsicherung, ihr geringes Selbstwertgefühl zu unterstreichen. Sie will so gern mehr über den Mann erfahren, plaudert mutig drauf los und sofort schießen ihr Selbstzweifel durch den Kopf, sie fühlt sich dumm und schämt sich.

Dass dir die Geschichte im Großen und Ganzen gefällt, freut mich!

Liebe Grüße
Jane

 
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Mein J, da muss man ja die Quelle unserer nun zu besprechenden Beiträge zu finden,

liebe jane,

richtig blättern!, wenn Du schreibst

Bei einer Sache muss ich dir aber widersprechen. Ungern zwar, weil ich bei deinen Kommentaren hier im Forum schon mehrmals Zeuge werden durfte, wie fundiert du an solche Dinge herangehst, aber als Deutschlehrerin traue ich mich trotzdem ;-)
Zitat aus meinem Beitrag:
solide erzählt und ist doch mit einem klassischen Fehlstart behaftet: Das Unglück (ich zitier mal nicht den Zufall) will es, dass im ersten Satz bereits die Fälle-Falle zuschnappt, wenn es heißt
aus dem Muttertext:
Die ältere Dame steht an die dicke Eiche gelehnt da
der Akkusativ, den Du verwendest, behauptet eine Bewegung, aber die Dame steht und lehnt an „der“ Eiche – Dativ (anders wär‘s, wenn z. B. die Dame „an die Eiche“ ginge, um sich anzulehnen.
Ich wage zu behaupten, dass ich (fast) nie in die Fälle-Falle tappe :-) Und auch hier ist es mir nicht passiert - korrigier mich, wenn du gleich immer noch anderer Meinung bist.
'Sie lehnt an DER Eiche' wäre natürlich richtig! ABER bei mir heißt es: Sie steht AN DIE EICHE GELEHNT da. Und in diesem Fall brauche ich den Akkusativ. Zum Vergleich: http://www.duden.de/rechtschreibung/anlehnen

Ufftatta – zum Glück nicht gegoogelt – aber was zeigt der duden.de rechtschreibung (womit er schon gegen sein eigenes Regelwerk verstößt, und eigentlich wie seinerzeit das kleine Dante Friedchen in Korrekturzentrum gehörte, als er eine kleine Passage in gemäßigter Kleinschreibung verfasste) – über das Verb „anlehnen“ korrekt den Akkusativ anzeigt (hier ein paar Beispiele):

"an jemanden, etwas lehnen
Beispiele
eine Leiter an die Mauer anlehnen
sich [mit dem Rücken] an die Wand anlehnen
nicht anlehnen!
<in übertragener Bedeutung>: sich eng an ein Vorbild anlehnen (einem Vorbild folgen)"
„anlehnen“ als dynamischen Fall (dass da noch der Rücken ins spiel gebracht wird, hat ein kleines Grinsen unter meiner Gesichtsmatratze erzeugt9.

Und in der Tat, schon die Präposition „an“ lässt Dativ und Akkusativ zu (was mir schon vorher klar war, Schulgrammatik halt; vgl. Duden Bd. 4, RZ 912*). Eine Randziffer weiter heißt es dann: „In manchen Fällen sind auch beide Sichtweisen und damit beide Kasus möglich.“ Aber immer noch impliziere „der Akkusativ meist noch eine gewisse Dynamik und Direktionalität, während der Dativ eher statisch wirkt und den Endzustand betont ...“ (Es folgt die Quellenangabe, der nicht auch noch nachgegangen werden muss für unser beider Fall). Als Beispiel folgt

„Er lehnte sich an ihr/an sie an.“

Was dabei auffällt – es geht nie um „anlehnen“ als adjektivistisches (sagt der Fachmensch das so, ich bin keiner, sondern nur mittlerer Reife, Chemielaborant, Industriekaufmann, Dipl.Kfm. als Opfer des zwoten Bildungsweges) Partizip, wie in der Ursache unseres interessanten Gespräches. Die Dame, ich betreib mal ein bisschen Möbelrücken, „steht gelehnt an die Eiche“, das klingt mir nicht nur befremdlich, das dynamischste ist da noch das Verb „stehen“: Die Dame steht an der Eiche – Dativ.

Und dann die Erlösung; Wenn Du schreibst

Bei der Eiche kam dann auch gleich das zweite Problem auf: Du hast die Vorstellung, dass sie mit dem Rücken an der Eiche [Dativ] lehnt, was ich nachvollziehen kann. In meiner Vorstellung steht Gerlinde hinter der Eiche[Dativ], stützt sich mit einer Hand und dem Bauch/einem Beckenknochen am Stamm [Dativ] ab und lugt dahinter vor, um den Mann zu beobachten. Ich hoffe, du weißt, wie ich das meine. Für mich ist das auch ein Anlehnen. Oder fällt dir hier ein passenderer Ausdruck ein? Den würde ich dann durchaus dankbar annehmen!

Wie wär‘s mit „Die ältere Dame steht/lehnt – gestützt durch Hand und Bauch – hinter der dicken Eiche.“ Nun schaut sie auch in die richtige Richtung zur Bank und nicht in die entgegengesetzte ... Den drei Betroffenen - jane, Friedel und Gerlinde - sei dank!

Schönes Wochenende wünscht der

Friedel

der noch mal zurückkehrt über Bearbeiten, weil er nach Ansicht des fertigen Menüse den ersten Zitatenblock wie eine Grafik empfindet. Glatt zum an die Wand hängen geeignet ...

* Duden Bd. 4. Die Grammatik, 8., überarbeitete Auflage, Mannheim, Zürich 2009, S. 608 f.

 

Friedrichard

Lieber Friedel,

besten Dank für deine ausführliche Antwort. Ich erkläre die nach beiden Seiten interpretierbaren Aussagen des Duden jetzt einfach mal zum Patt! Auch wenn es sich in meinen Ohren nach wie vor besser anhört, wenn da steht "An DIE Eiche gelehnt" und ich es eigentlich nicht geändert hätte.
Andererseits finde ich deine Anstrengungen, Licht ins Dunkel zu bringen, so reizend, dass ich dem Rechnung tragen wollte. Deswegen habe ich mir für den ersten Satz eine ganz andere Formulierung einfallen lassen, die - zwei Fliegen mit einer Klappe - deine beiden Probleme mit diesem Satz lösen dürfte. Ich hoffe, er findet in seiner neuen Form deine Zustimmung und freue mich auf deine Meinung dazu (darf dieses Mal auch gern in aller Kürze sein, damit du nicht noch mehr Arbeit mit mir hast).

Viele Grüße
Jane

 

Hallo janehumphries,
Dein Nick erinnert mich an die Les Humphries Singers. ;)
Ich lese von einer feinfühligen älteren Dame, die sich in einen älteren feinsinnigen Herren verliebt.
In der Essenz lese ich: Alt und einsam und finanziell nicht gut aufgestellt. Die Weisheit des Alters wird kurz angeritzt, mir wird ein kurzer melancholischer Blick in die Vergangenheit gestattet.
Insgesamt berührt mich diese Geschichte nicht, die heutigen Alten sind in meiner Wahrnehmung weniger einsam, als ich hier in der Geschichte beobachten soll. Allerdings denke ich auch, dass Armut zur Isolation führt.
Ein Bekannter von mir ist kürzlich auch allein in seiner Wohnung gestorben. Da er auch nicht zu einer Verabredung erschien, ist er letztlich gefunden worden. Das dabei nur am Rande.
Dass Gustav noch andere Freunde hat, bzw. ein Vermächtnis hinterlegt, nehme ich dieser Figur nicht ab. Der Vergleich mit dem weisen Clochard, gespielt von Jean Gabin keimt auch bei mir tatsächlich auf. Aber funktioniert dieses Bild? Ich denke nicht. Und dieser Hut, warum sollte der Freund ihn aufsetzen wollen?
Und wenn die Rente so schmal ist, warum muss es Starbucks Coffee sein. Eine authentische, sparsame Gerlinde hätte eine Thermoskanne mitgenommen und Butterstullen geschmiert.

Sorry, mich überzeugen die Figuren nicht. Das Thema finde ich gut.
Liebe Grüße
Goldene Dame

 

Hallo janehumphries,
es ist nicht nötig, deine Geschichte zu verteidigen. Ich finde sie eben schlecht und habe meine Gründe genannt. Du findest sie gut und über jede Kritik meinerseits erhaben. Da Du davon ausgehst, mit einem oberflächlichen Kind zu reden, meinst Du, mir erklären zu müssen, was die Dichterin uns sagen will. Aber was die Autorin sagen will, ist vollkommen nebensächlich, wenn der Text es mir nicht sagt.
Mich erstaunen immer wieder, solche angefressenen Reaktionen auf eine einzige negative Kritik. Nimm es doch einfach hin, dass Du niemals 100% Zustimmung ernten wirst. Meine Geschichten erhalten nicht einmal 10%. Bisschen Lockerheit erhöht den Spaß an der Kunst.

Hallo Kellerkind!

Vielen Dank für deinen Kommentar!


Das ist schade. Gerade, dass mein Text dir nichts zum Nachdenken gibt, ist bei der gewählten Thematik natürlich nicht in meinem Sinne. Aufmöbeln werde ich dennoch nichts wie du es dir wünschst. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil das bei dieser speziellen Geschichte meiner Meinung nach die Holzhammermethode wäre. Auf Teufel komm raus dem Leser eine drüberziehen wollen. Das würde den Protagonisten nicht gerecht werden. Ich schlage in meiner Geschichte ganz bewusst "die leiseren Töne" an, um die Zartheit der Beziehung zu unterstreichen.

Gerade Gustavs Tod ist bereits Tragik auf Teufel komm raus. Für mich stimmt die Dramaturgie nicht, dadurch wirkt das Ende aufgesetzt, um der banalen Geschichte eine Tiefe zu verleihen. Oder kurz gesagt: Holzhammer.

Du findest, dass das Leben keine lesenswerten Geschichten schreibt, und in vielen Fällen hast du sicherlich recht. Aber es gibt sie aus meiner Sicht eben doch und für mich ist die Geschichte von Gerlinde und Gerhard - die im Übrigen rein fiktiv ist - zumindest absolut erzählenswert, auch ohne dabei die Actionkeule rauszuholen.

Selbstverständlich liefert das Leben lesenswerte Plots. Ein Autor sollte daraus eine mitreißende Geschichte konstruieren. Das hier ist die uninspirierte Darstellung eines Vorkommnisses. Mir fehlt kein brennendes Auto, sondern das Feuer in der Sprache


Mit diesem Teil deiner Kritik kann ich gar nichts anfangen. Ich finde sie ehrlichgesagt sogar etwas anmaßend. Du reihst hier Allgemeinplätze aneinander, sprichst mit moralisch erhobenem Zeigefinger von Arroganz und Rassismus, was weder mir als Autorin noch meinem Text gerecht wird. Du hast die Geschichte zwar gelesen - anscheinend noch die alte Version - aber hinter die Kulissen geblickt hast du nicht. Ist ja auch okay. Nachdem sie dich gelangweilt hat, wolltest du dich vielleicht nicht mehr genauer damit auseinandersetzen. Kein Problem!

Ich muss einräumen, dass einige problematische Stellen inzwischen verschwunden sind. In Zukunft muss ich daran denken, dass die Texte hier ständig verändert werden und ich vor der Kritik noch Mal gründlich lese. Wenn ich mich aber prinzipiell mit einer Geschichte nicht auseinandersetzen wollte, wäre es hirnrissig von mir, dazu etwas zu schreiben.
ABER:
Gustav ist eben kein Clochard, weder als Abziehbild noch in sonst einer Form. Er ist arbeitslos, nicht aber obdachlos, sondern hat eine Wohnung, in der er sich aber einsam fühlt. Alle Abschnite, die auf eine mögliche Ungepflegtheit oder Abgerissenheit hingedeutet haben könnten, habe ich gestrichen. Was verbindet ihn jetzt also noch mit einem Clochard?
Nichts! Dass er trinkt, reicht nicht aus. Ja, Gustav hat ein Alkoholproblem, das aber nicht mehr so schlimm ist, wie es bereits war. Er schämt sich für seine Trinkerei, deswegen versteckt er das Offensichtliche unbeholfen in einer Tüte. Er hätte auch etwas anderes benutzen können. Wenn du in deinem Umfeld schon einmal mit alkoholkranken Menschen zu tun hattest, weißt du, dass das heimliche Trinken ein wichtiger Teil dieser Krankheit ist. Der verzweifelte Versuch zu verbergen, was ohnehin jeder weiß. Natürlich könnte Gustav sich auch auf die Bank setzen und ohne jede Scheu einen Flachmann oder eine Flasche Bier nach der anderen in sich hineinkippen. Scheiß drauf, was die Leute denken! Das entspricht aber nicht seinem Charakter.

Du wirfst mir vor, mit meinem Text Vorurteile zu bestätigen, verkennst aber anscheinend, dass gerade Gerlinde sich entschieden gegen alle Vorbehalte oder mögliche Warnungen anderer stellt, indem sie sich überhaupt zu Gustav setzt. Es interessiert sie nicht, dass da ein Wildfremder auf der Bank sitzt, der noch dazu ein Alkoholproblem zu haben scheint. Sie fühlt sich durch irgendetwas zu ihm hingezogen, irgendwie erinnert er sie an ihren verstorbenen Mann, und schon wirft sie alle gesellschaftlichen Konventionen über Bord und spricht ihn an. Ohne Gerlinde und ihre Offenheit, ohne ihren Kampf gegen ebendiese Vorurteile, wäre diese Freundschaft nie entstanden.


Obwohl du Gustavs Darstellung entschärft hast, bleibt grundsätzlich eine Frage bei mir übrig: Wenn hier die Einsamkeit und Suche nach Partnern thematisiert wird, wozu muss der Protagonist als Alki und Loser dargestellt werden? Und welche Frau, egal wie einsam, fühlt sich von einem saufenden, heruntergekommenen, alten Sack auf einer Parkbank angezogen?

Die ganze Geschichte dreht sich doch um das individuelle Schicksal der beiden, das sie zu dem gemacht hat, was sie sind: eine Frau ohne jedes Selbstwertgefühl, die sich nutzlos fühlt und auch nach fünfzehn Jahren den Tod ihres Mannes noch nicht verwunden hat, und ein einsamer Mann mit Alkoholproblem, der fast alles verloren und dennoch die Kraft hat, seiner neuen Bekannten ein bisschen Lebensmut zu geben, ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, das aus ihrem Leben verschwunden war. Wie kannst du mir da vorwerfen, ich würde die Individualität der einzelnen Schicksale und Personen ignorieren? Entschuldige bitte, aber das passt für mich hinten und vorne nicht zusammen.

Zum besseren Verständnis: Ein Typ sitzt auf einer Bank. Der sieht auf den ersten Blick aus wie ein arbeitsloser Alkoholiker. Dann erfährt der Leser: Das ist ein arbeitsloser Alkoholiker. Danach erfährt man, dass die Gründe für sein Scheitern am Leben, die gleichen sind, wie man sie tausend Male zuvor über arbeitslose Alkoholiker gelesen hat. Das bezeichne ich als das Bedienen von Klischees. Wenn sich ein äußerlich abgeranzter Typ als heimlicher Millionär entpuppt, oder ein angesehener, gepflegter Manager innerlich total runter ist und kokst und Prostituierte killt, um seinem leeres Leben einen Sinn zu verleihen, ließe mich das zumindest aufhorchen. Wenn Stereotype gebrochen werden, kann das zum Nachdenken bringen. Figuren aus der Typenschublade sind langweilig und das schadet letztendlich der ganzen Geschichte.

Andererseits forderst du den großen Knall. Die beiden sollen ihr Glück finden, damit es dann mit großem Kawumm! wieder zerstört wird. Mit Verlaub, das wäre nun wiederum mir zu klischeehaft.
Jetzt komme ich wirklich ins Schlingern: Du lässt den armen Gustav verrecken und sagst es wäre dir zu klischeehaft, wenn das Glück mit Kawumm zerstört wird. Aber genau das findet doch hier statt. Ich bemängele nur, dass ich nicht zum Mitfühlen gebracht werde. Aus den oben genannten Gründen.
Am Ende stünde dann wahrscheinlich der Selbstmord der psychisch ohnehin schon labilen Gerlinde oder Ähnliches. Sorry, aber das würde meinen Figuren, so wie ich sie mir erdacht und mir vorgestellt habe, nicht gerecht. Ich mag Stories, in denen viel passiert, die unerwartete Wendungen haben und den Leser atemlos zurücklassen, weil er nicht fassen kann, was da gerade geschehen ist. Bei meinem Text und der darin verarbeiteten Thematik erschien es mir persönlich aber unangebracht, so auf die Kacke zu hauen.

Liebe Grüße
Jane


Noch ein weiterer Punkt, den ich bisher nicht angesprochen habe: Ich habe unter anderem Probleme damit, eine interessante Aussage zu entdecken, weil mir gar nicht richtig klar wird, was für eine Art Beziehung sich hier entwickelt. Vordergründig mag es sich um Verliebtheit handeln. Aber gerade von Gerlindes Seite aus sehe ich eher ein egozentrisches Einfordern von Aufmerksamkeit. Gustav erinnert sie an ihren Ex und steht ihr bequemer Weise täglich zur Verfügung. Als er nicht mehr erscheint, überkommt sie nicht Sorge um ihn, sondern Frust. Eine äußerst unsympathische Zicke, die es dem Leser schwer macht, ihren Verlust nachzuempfinden.

Beste Grüße
Kellerkind

 

Hallo Goldene Dame!

Vielen Dank für deinen Kommentar!

Insgesamt berührt mich diese Geschichte nicht, die heutigen Alten sind in meiner Wahrnehmung weniger einsam, als ich hier in der Geschichte beobachten soll. Allerdings denke ich auch, dass Armut zur Isolation führt.
Das ist natürlich schade. Allerdings habe ich das Thema gar nicht gewählt, weil ich auf eine Vielzahl vereinsamter älterer Menschen aufmerksam machen wollte. Aber es gibt sie eben doch, die Einsamen, egal welchen Alters. Gerlinde und Gustav sind zwei davon und deren Geschichte wollte ich erzählen. Eine Gesellschafts- oder Sozialkritik stand dabei für mich nicht im Vordergrund.

Dass Gustav noch andere Freunde hat, bzw. ein Vermächtnis hinterlegt, nehme ich dieser Figur nicht ab
Um Gottes Willen, warum nicht? Ich denke, dass du ihm da unrecht tust. Warum sollte er keine Freunde haben? Weil er ein arbeitsloser Trinker ist, der von seiner Frau verlassen wurde?
Und sein Vermächtnis besteht ja nun nicht aus Gold und Juwelen, sondern eher aus kleinen Gesten: sein Lieblingshut für einen Freund, eine Nachricht für Gerlinde, die ihr Mut machen und Kraft schenken soll. Dinge dieser Art eben.
Und warum der Freund den Hut tragen sollte? Um Gustav auch nach seinem Tod nah zu sein. Vielleicht sogar näher, als sie es sich durch ihre Lebensumstände in den letzten Wochen waren. Ob da nun Schuldgefühle eine Rolle spielen oder nicht, kann jeder für sich interpretieren wie er möchte.

Und wenn die Rente so schmal ist, warum muss es Starbucks Coffee sein. Eine authentische, sparsame Gerlinde hätte eine Thermoskanne mitgenommen und Butterstullen geschmiert.
Die alte Gerlinde hätte das mit Sicherheit auch so gemacht. Aber nicht nur aus Sparsamkeit! Sondern zum Großteil, weil sie sich selbst nichts mehr gönnen konnte oder wollte. Der Kaffee von Starbucks (es hätte natürlich auch eine andere Kette dieser Art sein können) steht dafür, wie sich ihr Denken durch die Begegnung mit Gustav verändert hat. Seit Ottos Tod vor fünfzehn Jahren hat sie sich nichts mehr gegönnt. Jetzt will sie sich nicht mehr einschränken und immer nur das tun, was vielleicht vernünftig wäre. Der Kaffee steht für einen, wenn auch nur kleinen, Ausbruch aus ihrem selbst auferlegten Gefängnis.

Liebe Grüße
Jane (die noch nie mit Jürgen Drews gesungen hat ;) )

Hallo Kellerkind!

Anscheinend reden wir aneinander vorbei! Meine Reaktion auf deine Kritik an der Geschichte war überhaupt nicht angefressen.
Nur der zweite Teil deines ursprünglichen Kommentars hat mich sehr gestört, aus den genannten Gründen. Gegen den Vorwurf des (versteckten) Rassismus werde ich mich ja wohl noch wehren dürfen! Das hat nichts damit zu tun, wie viel Zustimmung in % ich für meinen Text "erwarte" oder dass ich unlocker wäre, sondern damit, dass ich deine Unterstellung einfach als unangebracht empfinde.
Wie es scheint, erwartest du aber von einem Autor, dass er deine Kritik und Anmerkungen kommentarlos aufnimmt, weil man "angefressen" ist, wenn man sich äußert. Schreib das doch einfach dazu! Dann muss man sich ja auch nicht die Zeit nehmen, um eine Antwort zu schreiben.

Selbstverständlich habe ich auch jetzt all deine Anmerkungen gelesen und mir Gedanken dazu gemacht.

Gruß Jane

 

Liebe janehumphries,

ich finde, du hast eine wirklich, schöne und berührende Geschichte geschrieben. So viel schon mal zu Beginn. Ich habe auch die Kommentare verfolgt und die Diskussion, die dort geführt wird, und mich beim zweiten Lesen schon dabei ertappt, mich zu fragen, ist das vielleicht doch einen Tick zu süßlich. Ist gerade die Figur des Gustavs, die der Trinkers, nicht zu positiv, zu freundlich, zu blauäugig angelegt? Ganz ehrlich: Es ist mir egal. Ich mag den Erzählton total gern und auch diese Heile-Welt-Gefühl im gar nicht so heilen Leben (ich hoffe, du weißt, wie ich das meine) finde ich total legitim. Vielleicht nicht zu 100 Prozent realistisch (die Welt ist wahrscheinlich rauer), aber ich mag gerade auch diesen ganz leicht märchenhaften Ton (und es wäre doch schön, wenn die Welt öfter so wäre). Ich habe mich nach beiden Lektüren dieser Geschichte gut gefühlt - und das ist eine Menge wert.

Wie bereits gesagt, ich mag die Art wie du schreibst, das ist seht souverän und gefühlvoll, so (und das kannst du als Kompliment) ansehen, dass ich schon bald gar keine Lust mehr hatte, nach Fehlern zu suchen, sondern einfach gelesen.

Stellvertretend für viele gute Stellen, die mich angesprochen haben, möchte ich diese hier zitieren:

Mit zitternden Händen wischt er mit dem zerknitterten Fetzen über den Platz neben sich, um Schmutz und Staub zu entfernen. Gerlinde wagt nicht, darüber nachzudenken, was sich alles an dem Taschentuch und nun eben auf der Parkbank befinden könnte. Sie lächelt ihn freundlich an und merkt verwundert, dass das Lächeln ihre Augen erreicht.
„Gerlinde Kubalek“, sagt sie mit fester Stimme und hält ihm ihre Hand hin.
„Gustav Kling.“ Seine Stimme zittert, doch sein Händedruck ist fest und warm.
Sie lacht: „Da haben wir doch tatsächlich dieselben Initialen!“
Verwundert sieht er sie an. Für einen Moment glaubt sie, dass er keine Ahnung hat, wovon sie spricht.
In diesen wenigen Zeilen erfahre ich total viel von den beiden Protagonisten, ohne, dass es mit dem Holzhammer wäre, sondern ganz leicht nebenbei. Super.

Schön finde ich auch das Ritual.

Ihr Abschiedsritual ist immer dasselbe.
„Sehen wir uns morgen wieder?“
„So Gott will.“
„Das wäre ein schöner Zufall."
Bevor sie geht, lächeln sie sich jedes Mal an. Mit einem Lächeln, das die Augen erreicht. Gerlinde kann sich gar nicht vorstellen, dass es jemals anders war.
Meinetwegen an der Grenze zum Kitsch, aber eben nur an der Grenze und damit in meinen Augen sehr gut und wirkungsvoll gesetzt.

Und am Ende gibt es ganz leichte Kritik ;)... diese Stelle hier, war die einzige, die mich rausgehauen hat aus der Geschichte - und zwar beides Mal. Ich spreche von dem gefetteten Satz!

Wenn sie davon erzählt, laufen ihr noch immer die Tränen übers Gesicht. Gustav bietet ihr sein zerknittertes Taschentuch an.
Sie greift nach seiner Hand und drückt sie ganz leicht.
„Zusammen sind wir nicht mehr so allein“, sagt sie leise.
Er sieht sie lange an. Seine Hand erwidert den Druck. Einige Zeit sitzen sie so da und keiner von beiden sagt etwas.
Ich weiß nicht, ob du das bewusst gemacht hast, aber ich bin da gedanklich direkt bei Anna Gavalda und ihrem Bestseller "Zusammen ist man weniger allein". Das wirkt auf mich ein bisschen gewollt. Das Gute für mein Empfinden ist: Den Satz braucht es nicht, wenn du ihn streichst, ist die Stelle genauso plausibel. Und dass die Protagonistin einsam ist, bringst du sowieso schon den ganzen Text über auf den Punkt. Meine Empfehlung wäre: Streichen! ;)

Sehr gern gelesen,
LG svg

 

Hallo svg!

Ich habe mich nach beiden Lektüren dieser Geschichte gut gefühlt - und das ist eine Menge wert.
Wie bereits gesagt, ich mag die Art wie du schreibst, das ist seht souverän und gefühlvoll, so (und das kannst du als Kompliment) ansehen, dass ich schon bald gar keine Lust mehr hatte, nach Fehlern zu suchen, sondern einfach gelesen.
Vielen Dank für deinen Kommentar und für das wundervolle Kompliment, denn genau als solches hätte ich es auch ohne deinen Einschub aufgefasst.

Du sprichst zu Beginn deines Kommentars das Heile-Welt-Gefühl an und ich weiß genau, was du damit meinst. Tatsächlich würde ich mir in unserer Gesellschaft so einen freundlichen, aufgeschlossenen Umgang über alle Vorbehalte und Vorverurteilungen hinweg auch öfter wünschen. Aber natürlich hast du recht, leider entspricht das nur sehr selten der Realität. Insofern schicke ich Gerlinde und Gustav jetzt einfach mal als glühende Vorbilder voraus :)

diese Stelle hier, war die einzige, die mich rausgehauen hat aus der Geschichte - und zwar beides Mal. Ich spreche von dem gefetteten Satz! [...]
"Zusammen sind wir nicht mehr so allein", sagt sie leise.
Hach ja, dieser Satz... hier bei den Wortkriegern habe ich gelernt, dass der wohl mein Darling ist :)
Ursprünglich stand er viel weiter vorne in der Geschichte, woraufhin einige zu recht beanstandet hatten, dort käme er ihnen zu früh. Nun bist du über ihn gestolpert und langsam beginne ich, mich damit zu beschäftigen, dass ich ihn vielleicht doch loslassen muss. Ich denke auf jeden Fall drüber nach! Eine Ähnlichkeit zu dem Titel von Gavalda war übrigens nicht beabsichtigt, aber ich sehe natürlich, was du meinst.

Nochmals vielen Dank fürs Lesen und besonders für den (wenn auch etwas schmerzhaften) Denkanstoß zum Darling!

Liebe Grüße
Jane

 

Ich hoffe, er findet in seiner neuen Form deine Zustimmung und freue mich auf deine Meinung dazu (darf dieses Mal auch gern in aller Kürze sein, damit du nicht noch mehr Arbeit mit mir hast).
Klar, okey dokey,

liebe jane!

Schönen Restsonntag

Friedel

 

Hallo Janehumphries,

Gegen den Vorwurf des (versteckten) Rassismus werde ich mich ja wohl noch wehren dürfen!
Natürlich.
Aber das wiederum möchte ich nicht so im virtuellen Raum stehen lassen. Deshalb habe ich mich auf selbstkritische Spurensuche begeben.

Kellerkind schrieb:

Das hat den Beigeschmack des Onkel Tom Rassismus. Der soziale Verlierer wird zwar nicht unbedingt negativ dargestellt, aber alle existierenden Vorurteile werden bestätigt.
Stimmt! Das habe ich nicht sauber formuliert.
Ich möchte das, nur der Verständlichkeit wegen, in überarbeiteter Form nachreichen:

Das hat einen ähnliche Wirkung auf mich, wie die häufige Darstellung fremder Ethnien in Film und Literatur. Angehörige einer außenstehenden Gruppe werden durch die Akkumulation sämtlicher Klischees deutlich gekennzeichnet, um entweder eine komödiantische Wirkung zu erzielen oder eine Art Mitleid beim Publikum zu erwecken. Damit ist in der Regel eine Abgrenzung und moralische oder intellektuelle Erhöhung der ethnischen Gruppe des Verfassers und Publikums gegen die Gruppe des Helden verbunden. Dieses Phänomen ist bekannt als Onkel-Tom-Rassismus, benannt nach dem Roman Onkel Toms Hütte. Karl May war übrigens auch so ein Spezi.
Diese Herangehensweise der Überspitzung durch Klischees wird oft auch in der Sozialromantik verwendet. Dort handelt es sich selbstverständlich nicht um rassistische Klischees, der Effekt betrifft hier vermeintlich minderwertige soziale oder kulturelle Schichten. Sehr schön kann man das an der Einbürgerung von Begriffen wie "bildungsfern" und "white trash" beobachten.
In Bezug auf die klischeebeladene Verkitschung der Angehörigen der sozialen Unterschicht in der Literatur hat Dickens einiges geleistet. Im Hinblick auf seine Wirkungszeit und die gesellschaftlichen Umstände ist ihm das heute natürlich nicht vorzuwerfen.

Fazit: Selbstverständlich werfe ich Deinem Text weder offenen noch versteckten Rassismus vor. Das wäre, schon streng logisch betrachtet, unsinnig, da Rassen gar nicht thematisiert werden - weder direkt noch metaphorisch. Mein Kommentar war als Vergleich gedacht, um die Verbindung zwischen den verwendeten Stilmitteln und meine negativer Wahrnehmung zu verdeutlichen.

Entschuldigung für die Missverständlichkeit!

Kellerkind

 

Friedrichard
Juhu! :thumbsup:

Kellerkind
Danke, dass du dich noch einmal zu Wort gemeldet und deine Aussage in ein deutlicheres Licht gestellt hast. Damit kann ich wesentlich mehr anfangen!

Bea Milana
Vielen Dank für deinen Kommentar!

Ich mag so gar nicht glauben, dass zwei einander wildfremde und höchst unterschiedliche ältere Menschen sich sofort ihre Lebensgeschichte erzählen. Das klingt ein bißchen nach TV-Soap, sorry, und ich stehe nicht auf schmalzige süßliche Geschichten.
Kein Problem! Das ist natürlich auch immer Geschmackssache. Ein ähnlicher Einwand kam zu Beginn auch schon von Tintenfass. Meine Beweggründe: Ich habe selbst schon die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gibt, denen man zum ersten Mal begegnet und bei denen man ab dem ersten gesprochenen Satz eine unerklärliche Vertrautheit empfindet, denen man sofort sein ganzes Leben und Fühlen darlegen möchte. So eine tiefe Verbindung wollte ich auch zwischen Gustav und Gerlinde zum Leben erwecken.
(Passt ja auch ganz gut zu deinem zweiten Einwand wegen der starken Vertrautheit weiter unten. Ich verstehe aber natürlich auch, wenn man das nicht nachempfinden kann.)

Dein Eindruck, dass Gerlinde Gustav schon länger beobachtet ist halb richtig. Er ist ihr schon länger aufgefallen und hat sie neugierig gemacht, beobachtet hat sie ihn am Tag ihres Kennenlernens zum ersten Mal: "In den letzten Tagen hat sie ihm im Vorbeigehen lediglich verstohlene Blicke zugeworfen. Doch heute konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben und ihn zu beobachten."
Dass sie sich dabei versteckt, hat weniger mit Schüchternheit zu tun, als mit gesellschaftlichen Zwängen: "Die dicke Eiche bietet ihr gerade so viel Schutz, dass sie sich nicht wie eine Voyeurin vorkommt."

"Gerlinde bleibt einfach stehen." Natürlich ist sie schon neben Gustav stehen geblieben, bevor sie gefragt hat, ob sie sich setzen darf. Da er sie verwirrt ansieht, bleibt sie stehen, ohne etwas zu sagen oder eine ermutigende Geste zu machen. Sie wartet einfach nur ab, was er antworten oder tun wird.

Du meinst seine Augen, nicht ihre, oder?
Nein, tatsächlich meine ich ihre eigenen Augen. Kennst du das, wenn du beim Lächeln oder Lachen selber merkst, dass deine Augen vor Freude etc. strahlen? So ist das bei Gerlinde in diesem Moment. Oft lächelt man ja auch zum Schein oder ohne etwas Besonderes dabei zu empfinden. Das sieht einem das Gegenüber dann aber oft an den Augen an.

Besonders der Mann auf der Bank ist für mich gesichtslos geblieben.
Vielleicht fällt mir noch etwas ein, wie ich daran arbeiten könnte.

ich sehe mir die Männer, die die HINZ & KUNZ Zeitschrift der Obdachlosen vor den Supermärkten verkaufen und die Straßenmusikanten und Bettler sehr genau an und manchmal unterhalte mich auch mit ihnen.
Das finde ich super! Da ich in einem Dorf wohne, sind solche Gelegenheiten bei mir leider eher selten. Wenn ich allerdings ab und an in München bin, kaufe ich jedes Mal die BISS und wechsle ein paar Worte mit dem/der Verkaufenden. In Bezug auf meinen Text möchte ich aber noch einmal darauf hinweisen, dass Gustavs Lebensumstände nicht so dramatisch ist wie bei den meisten Verkäufern der BISS etc. In der ursprünglichen Version hatte ich ihn unglücklicherweise etwas zu drastisch dargestellt, so dass beim Leser wahrscheinlich dieser Eindruck entstehen musste. Bin also selber schuld an dieser Fehlinterpretation meiner Figur :)

Finde gut, dass du kein Happyend gewählt hast.

Du kannst gut schreiben und ich wünsche dir weiter viel Freude daran!

Beides freut mich sehr. Vielen Dank!

Liebe Grüße
Jane

 

Hallo jane,
Da bin ich jetzt aber sauer! Warum musste diese schöne Geschichte so enden?
Du beschreibst sehr einfühlsam zwei Menschen, denen das Leben seine nicht so schöne Seite gezeigt hat. Und ich muss sagen, die beiden waren mir von Anfang an einfach nur sympathisch, ich konnte sie lieb gewinnen und habe mich für sie gefreut, dass sie noch einmal so etwas wie Glück gefunden haben. Die Figuren sind gut gezeichnet, das passiert alles in den ersten Zeilen und ich habe ein klares Bild vor meinen Augen. Sehr gut. Auch die Dialoge sind schön, dieses leicht Verschmitzte, Lebensweise, einfach Freundliche. Da war so eine positive, lebensbejahende Grundstimmung, die mir sehr gefallen hat. Und ja, sogar so etwas wie ein leiser Flirt war zu erahnen.
Gerlinde und Gustav erfreuen sich an den Kleinigkeiten des Lebens, sind ehrlich zueinander, warum auch nicht, wem sollen sie noch etwas vormachen? Ich habe mich sehr für die beiden gefreut.
Also, Jane, eine wirklich schöne Geschichte, gekonnt erzählt. Fehler sind mir auch keine aufgefallen. Nun, bis auf den einen, den großen Fehler natürlich: das Ende. ;)
Aber sei es drum, ich habe die Geschichte trotzdem gern gelesen.

Beste Grüße,
Fraser

 

Hallo janehumphries

Du hast ein ziemlich anrührendes Stück vorgelegt, eine Geschichte über zwei verlorene Seelen, ängstlich und am Ende ihres Weges, hast uns Menschen gezeigt, die leicht übersehen werden und sie ins verständlich gemacht. Das hat mit gefallen, mich nachdenklich gemacht und beim Lesen habe ich mir gewünscht, dass den beiden noch mehr von dem bisschen Glück bleibt. Aber ist es nicht schon viel, was sie bekommen. Eine zarte Liebe ohne echte Erfüllung. Dafür taugt auch die Parkbank, die regelmäßigen Treffen und die ganz kleinen Zärtlichkeiten. Gustav hätte nicht streben müssen, der Tod ist so unversöhnlich und ich hätte mir einen romantischeren Schluss gewünscht. Aber gefallen hat mir, was du erzählst.

Ein wenig gestört haben mich die Dialoge. Die sind recht hölzern und unnatürlich, auch wenn ich das Alter der Protagonisten berücksichtige. Insgesamt wäre auch mehr show besser gewesen und gerade weil es eine romantische Geschichte ist, mehr Sinneseindrücke, Jahreszeit, Blumen, Geruch, was auch immer.

Ein paar Stellen aus dem Text:

Mit zitternden Händen wischt er mit dem zerknitterten Fetzen über den Platz neben sich, um Schmutz und Staub zu entfernen.
ein schönes Bild, müsste jeder so machen, wirklich :thumbsup:

Dann grinst auch er: „Ein schöner Zufall.“
„An Zufälle glaube ich nicht!“
Er schweigt.
„Kennen Sie Albert Schweitzer?“, hakt sie nach.
mm, das ist so ein Dialog, der sich mir nicht erschließt und nicht recht natürlich ist.

Eine Weile sitzen sie schweigend nebeneinander und genießen die neue und doch seltsam vertraute Nähe des anderen.
das sagst du hier und wiederholst es später, dabei braucht es das gar nicht.

„Es macht mir Freude, die Menschen bei ihren Alltäglichkeiten zu beobachten“,
wer sagt denn so was? Alltäglichkeiten :confused:

Es scheint ihm wichtig zu sein, dass sie das weiß.
ist sich der Erzähler nicht sicher oder warum schreibst du das? scheinen ist ein schwieriges Wort.

„So Gott will“, antwortet er mit einem Augenzwinkern.
„Das wäre ein schöner Zufall“,
okay, aber der glaubt doch gar nicht an Gott, oder?

"Seit Ottos Tod fühle ich mich wertlos. Ich wusste immer, dass er mich bedingungslos liebt, und jetzt, da er nicht mehr ist, versinke ich in Bedeutungslosigkeit."
der erste Satz reicht, der Rest ist redundand

sehe eine in die Jahre gekommene, wenig attraktive Frau ohne jeden Esprit.
eine Frau ohne Esprit, komisches Wort.

Mit einem Lächeln, das die Augen erreicht.
wie macht das Lächeln denn das?

Nur sehr dumpf, als wäre sie unter Wasser, nimmt sie die Stimme des Mannes wahr.
sehr schön :Pfeif:

Hoffe du kannst was mit anfangen :hmm:

viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Jane,

ich steig mal sofort ein:

Wenn Gerlinde Kubalek mit ihrem kleinen Yorkshire Filou eine Runde dreht, nimmt sie jedes Mal die Abkürzung durch den Park.
Das mit der Abkürzung verstehe ich nicht. Das klingt, als würde sie nur durch den Park gehen, weil der Weg kürzer ist. :confused:
Aber gerade für den Hund bzw. das Gassigehen ist es doch wichtig, durch den Park zu gehen anstatt an der Straße entlang o.ä.

Mit zitternden Händen wischt er mit dem zerknitterten Fetzen über den Platz neben sich, um Schmutz und Staub zu entfernen. Gerlinde wagt nicht, darüber nachzudenken, was sich alles an dem Taschentuch und nun eben auf der Parkbank befinden könnte.
Sehr schön beschrieben.

Sie lächelt ihn freundlich an und merkt verwundert, dass das Lächeln ihre Augen erreicht.
Wie merkt sie das denn?

Gerlinde beißt sich auf die Unterlippe. Natürlich nicht. Sie faselt mal wieder dummes Zeug.
Sehr schön.

Er verzieht den Mund zu einem traurigen Lächeln: „Mir auch nicht.“
Stark.

„Sehen wir uns morgen wieder?“, fragt sie.
„So Gott will“, antwortet er mit einem Augenzwinkern.
„Das wäre ein schöner Zufall“, erwidert Gerlinde lächelnd, ehe sie nach Filous Leine greift und nach Hause geht.
Aber das wäre doch kein Zufall, sondern geplant/verabredet.

Eigentlich kann sie sich die sündhaft teure Milch mit dem Schuss Kaffee von ihrer spärlichen Witwenrente nicht leisten.
Und warum kauft sie das sündhaft teure Zeug dann überhaupt? Passender und persönlicher wäre eine Kaffeekanne mit selbstgekochtem Kaffee, so wie ihn Otto gerne trank z.B.

Nach einer Woche ohne ein Lebenszeichen von Gustav, nimmt Gerlinde sich fest vor, zum letzten Mal den Weg durch den Park zu nehmen.
Das heißt, der Hund muss in Zukunft ohne Park auskommen und sein Geschäft auf dem Bürgersteig verrichten? (Siehe oben)

„Für mich waren Sie ein Anker in der Not. Bewahren Sie sich Ihr Lächeln. Wenn Ihre Augen beim Lachen strahlen, sind Sie noch tausendmal schöner!“, steht da.
Sehr herzzerreißend.

Eine schöne Geschichte über zwei einsame Menschen. Flüssig geschrieben, einige sehr schöne Formulierungen/Sätze.
Habe ich gerne gelesen.

Schönen Tag und liebe Grüße,
GoMusic

 

Fraser
Vielen Dank für deinen Kommentar!

Du beschreibst sehr einfühlsam zwei Menschen, denen das Leben seine nicht so schöne Seite gezeigt hat. Und ich muss sagen, die beiden waren mir von Anfang an einfach nur sympathisch, ich konnte sie lieb gewinnen und habe mich für sie gefreut, dass sie noch einmal so etwas wie Glück gefunden haben. Die Figuren sind gut gezeichnet, das passiert alles in den ersten Zeilen und ich habe ein klares Bild vor meinen Augen. Sehr gut. Auch die Dialoge sind schön, dieses leicht Verschmitzte, Lebensweise, einfach Freundliche. Da war so eine positive, lebensbejahende Grundstimmung, die mir sehr gefallen hat. Und ja, sogar so etwas wie ein leiser Flirt war zu erahnen.
Was für ein Kompliment! Vielen Dank!

Da bin ich jetzt aber sauer! Warum musste diese schöne Geschichte so enden?
Das tut mir natürlich leid ;) Ich werde mich beim nächsten Text bemühen, ein versöhnlicheres Ende zu finden.

Isegrims
Vielen Dank auch für deinen Kommentar und die netten Worte!

Insgesamt wäre auch mehr show besser gewesen und gerade weil es eine romantische Geschichte ist, mehr Sinneseindrücke, Jahreszeit, Blumen, Geruch, was auch immer.
Das mache ich normalerweise sehr gerne - und oft vielleicht sogar zu ausufernd. Hier habe ich bewusst darauf verzichtet. Ich wollte den Fokus auf die beiden Figuren legen, auf das Besondere in ihrer Beziehung, auf Gerlindes "Verwandlung".

Es scheint ihm wichtig zu sein, dass sie das weiß.
ist sich der Erzähler nicht sicher oder warum schreibst du das? scheinen ist ein schwieriges Wort.
Ich habe keinen auktorialen Erzähler gewählt, sondern einen, der rein aus Gerlindes Perspektive erzählt. Deswegen das "scheint", weil sie nicht sicher wissen kann, dass Gustav das wichtig ist. Sie hat nur den Eindruck, dass es so ist.

„So Gott will“, antwortet er mit einem Augenzwinkern.
„Das wäre ein schöner Zufall“,

okay, aber der glaubt doch gar nicht an Gott, oder?
Da die Frage von GoMusic in eine ähnliche Richtung geht, hier die Antwort für euch beide :)
Sie glaubt nicht an den Zufall, dafür aber an Gott. Bei ihm ist es genau andersrum. In ihrem Abschiedsritual greifen sie augenzwinkernd die Worte/den Glauben des anderen auf, um ihre Wertschätzung für einander und den Respekt für die andere Sichtweise auszudrücken.

Auf das Lächeln, das die Augen erreicht, habe ich oben ebi Bea Milana schon geantwortet. Ich kopier das hier noch einmal rein, wenns recht ist: Kennst du das, wenn du beim Lächeln oder Lachen selber merkst, dass deine Augen vor Freude etc. strahlen? So ist das bei Gerlinde in diesem Moment. Oft lächelt man ja auch zum Schein oder ohne etwas Besonderes dabei zu empfinden. Das sieht einem das Gegenüber dann aber oft an den Augen an.

GoMusic

Danke für deine Anmerkungen zu meinem Text! Es freut mich, dass er dir im Großen und Ganzen gefallen hat.

Zwei deiner Fragen habe ich oben bei Isegrims schon mitbeantwortet und hoffe, das gilt so :)

Das mit der Abkürzung verstehe ich nicht. Das klingt, als würde sie nur durch den Park gehen, weil der Weg kürzer ist. Das heißt, der Hund muss in Zukunft ohne Park auskommen und sein Geschäft auf dem Bürgersteig verrichten?
Schön, dass du dir solche Gedanken um Filou machst :)
Das ist mir noch nie so aufgefallen, aber irgendwie hast du recht, Abkürzung ist in dem Zusammenhang komisch. Ich werde das ändern. Filous Problem am Ende der Geschichte bleibt jedoch, dass Frauchen den Weg durch den Park wahrscheinlich nicht mehr nehmen wird, um die schmerzenden Erinnerungen zu umgehen. Aber Gerlinde findet bestimmt eine andere schöne Strecke, damit Filou nicht in "Bedrängnis" gerät.

Und warum kauft sie das sündhaft teure Zeug dann überhaupt? Passender und persönlicher wäre eine Kaffeekanne mit selbstgekochtem Kaffee, so wie ihn Otto gerne trank
Die alte Gerlinde hätte das mit Sicherheit auch so gemacht. Nicht nur aus Sparsamkeit. Sondern zum Großteil, weil sie sich selbst nichts mehr gönnen konnte oder wollte. Der Kaffee von Starbucks (es hätte natürlich auch eine andere Kette dieser Art sein können) steht dafür, wie sich ihr Denken durch die Begegnung mit Gustav verändert hat. Seit Ottos Tod vor fünfzehn Jahren hat sie sich nichts mehr gegönnt. Jetzt will sie sich nicht mehr einschränken und immer nur das tun, was vielleicht vernünftig wäre. Der Kaffee steht für einen, wenn auch nur kleinen, Ausbruch aus ihrem selbst auferlegten Gefängnis. Wobei die Idee mit der erneuten Verknüpfung zu Otto auch schön ist!

FrancesT

Ich glaube fast du hast einen "Fan" in mir gefunden.
Vielen Dank für dieses wundervolle Kompliment! Da wird mir gleich ganz warm ums Herz.

Du hast mich als Leser wirklich abgeholt und gepackt. Eine wirklich schön geschriebene Geschichte.
Auch das freut mich natürlich sehr!

Liebe Grüße an euch alle!
Jane

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo janehumphries,
thematisch finde ich die Szenerie auf der Parkbank schön. Das sind so Orte, die irgendwie aus der Welt sind, so Enklaven, in denen Begegnungen besonders intensiv wirken. Zweckfreie Räume, wo sich Vertrautheit schnell ergeben kann, wie wenn man lange in einem Zugabteil sitzt. Diese Stimmung kann ich aus dem Text gut nachempfinden. Und ich muss sagen, ich kann sie fast zu gut nachempfinden. Mir ist persönlich im Lauf des Textes die Empfindsamkeit zu stark geworden. Ich möchte nicht sagen, rührselig. Dafür ist die Beschreibung zu ehrlich und aufrichtig. Aber mir wurde im Verlauf zu viel gelächelt in unterschiedlichen Varianten und zu viel getränt. Da war das Maß der Beseelung für mich überschritten. Das ist eine sehr persönliche, womöglich zu kühle und abgeklärte Perspektive. Aber so habe ich es empfunden. Aber klar: Das Thema ist herzzerreißend, wie kann man es anders darstellen? Für meinen Geschmack vielleicht weniger selig. Aber es hat natürlich seine Berechtigung, weil es ein emotionales Feld ist und auch so rezipiert wird.
Herzlich
rieger

 

Hallo rieger!

Vielen Dank für deinen Kommentar und die netten Worte! Es freut mich, dass du die Stimmung, die ich erreichen wollte, genau nachempfinden konntest. Auch wenn es dir letztendlich etwas zu viel geworden ist. So geht es uns wahrscheinlich oft mit Gefühlen und deswegen kann ich auch deine "kühle und abgeklärte Perspektive" nachvollziehen.

Liebe Grüße
Jane

 

Huhu janehumphries!

Also mir hat die Geschichte (überraschend) gut gefallen und ich konnte sie ohne Gähnattacken und zufallende Augenlider in einem Rutsch durchlesen. Das liegt daran, dass du die beiden Protagonisten so schön lebendig und nachvollziehbar beschrieben hast und ich die Beschreibungen von Filou mochte, wie er seinen Kopf auf ihren Fuß legt, beschützend knurrt oder Randale macht, weil er Hunger kriegt. Ein nettes Tier:)!
Die Geschichte ist sehr solide geschrieben worden und ich konnte in deinen Sätzen und Formulierungen tatsächlich die vorsichtige, zurückhaltende Emotionalität, die Furcht vor der Einsamkeit und Unsicherheit gut herauslesen - wirklich exzellenter Schreibstil, der die Gefühlswelt glaubwürdig und einfühlsam beschrieben hat.
Das Ende fand ich ganz ok - es passte irgendwie und ich hätte es auch zu verkitscht gefunden, wenn die beiden am Ende ein Paar geworden wären. Das wäre zuviel Hollywood-Happy-End gewesen. Filou hätte sich vielleicht in einen Zombie-Werwolf verwandeln und dann im Park Amok laufen können - das hätte mir noch ein Quentchen besser gefallen:D. Aber so war das Ende auch ganz passabel!

Insgesamt habe ich deine Geschichte gerne gelesen, was weniger der Handlung, sondern mehr deiner Erzählweise geschuldet war. Hier überwog also weniger das "was", sondern eher das "wie".
Wenn du jetzt in diesem Stil noch anfangen würdest, Horror-Splatter-Stories zu schreiben, möchte ich ein Foto von dir haben, dass ich mir dann über's Bett hängen werde!!!;)

Grüße vom EISENMANN, der mal ein Konter-Statement zu maria.meerhabas Vernichtungs-Kommentar abgeben wollte

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jane,


schöne Idee, wie eine Zufallsbegegnung tiefere Wurzeln schlagen kann. Ich sehe die Einsamkeit in deinen Figuren; den Wunsch, verloren Geglaubtes, wiedererlangen zu können. Du erfüllst diesen Wunsch (beinahe), dann brichst du mit der Erwartungshaltung und erstickst, was hätte passieren können. Trotzdem hinterlässt die Begegnung etwas; ein hoffnungsfrohes Lächeln, ein besseres Selbstwertgefühl von Gerlinde.
Das ist dir gut gelungen, finde ich.

Mit der Umsetzung habe ich allerdings meine Probleme. Mir ist das zu rührselig erzählt, teilweise zu klischeehaft und ausschweifend.
Sicherlich hat das was mit Vorlieben zu tun, klar.

Exemplarisch, warum du mich nicht erreicht hast:

Gerlinde Kubalek versteckt sich hinter einer dicken Eiche und betrachtet den Mann, der wie jeden Nachmittag auf der Parkbank sitzt, einen viel zu großen schwarzen Hut schief auf seinem Kopf. Schwielige Hände halten eine Papiertüte umklammert. Ab und an nimmt er einen kräftigen Schluck aus der darin verborgenen Flasche. Wenn Gerlinde Kubalek mit ihrem kleinen Yorkshire Filou eine Runde dreht, nimmt sie jedes Mal den Weg durch den Park. Seit einigen Wochen schon ist ihr dort der Mann auf der Bank aufgefallen. Er fasziniert sie, er macht sie neugierig. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen. Es ist, als ob sie ihn schon seit Langem kennt, wie einen alten Freund. Dabei weiß sie nichts über ihn, hat noch kein Wort mit ihm gewechselt. In den letzten Tagen hat sie ihm im Vorbeigehen lediglich verstohlene Blicke zugeworfen. Doch heute konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben und ihn zu beobachten. Die dicke Eiche bietet ihr gerade so viel Schutz, dass sie sich nicht wie eine Voyeurin vorkommt.
Gerade steckt der Mann die Tüte umständlich in seine Sakkotasche und zupft sich die Hosenbeine zurecht. Eine Geste, die sie an Otto erinnert, der seine Bügelfalten richtet. Dann rutscht er auf der Sitzfläche nach vorne, als wolle er aufstehen. Ihr stockt der Atem. Sie will nicht, dass er geht. Doch der Mann bleibt sitzen. Gerlinde Kubalek atmet auf. Diese Gelegenheit will sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wild entschlossen nimmt sie all ihren Mut zusammen und steuert auf die Parkbank zu.
246 Wörter.
Der schief aufgesetzte Hut, die Wiederholungen, die Papiertüte (ist mir zu amerikanisch, zu sehr Klischee) ... Das dürfte alles weg. Du rührst irgendwie zu sehr um den Brei herum. Ich würde es besser finden, wenn du prägnanter werden würdest. Auf den Punkt kommst und deutlich verdichtest. Ist aber natürlich nur meine Meinung und mag auf meine Lesevorlieben zurückzuführen sein.
Trotzdem - zum Verdeutlichen -, spontaner Vorschlag:
Gerlinde Kubalek versteckt sich hinter einer Eiche und beobachtet den Mann auf der Parkbank. Seine schwieligen Hände halten eine (Bier-/Schaps-)Flasche umklammert. Ab und an nimmt er einen kräftigen Schluck. Sie kommt sich wie eine Voyeurin vor.
Immer wenn Gerlinde mit ihrem Yorkshire eine Runde durch den Park dreht, sieht sie ihn dort sitzen. Der Mann macht sie neugierig, sie weiß auch nicht warum. Er steckt die Flasche umständlich in den Sakko und so, wie er die Hosenbeine zurechtzupft, muss sie an Otto, ihren verstorbenen Mann denken. Gerlinde Kubalek nimmt all ihren Mut zusammen und steuert die Bank an.
98 Wörter (und die Info, wer Otto ist, ist mit drin).
Du kannst das sicher besser schreiben, als ich jetzt! Ich möchte nur verdeutlichen, dass all deine Informationen auch in einem kürzeren Abschnitt einzubringen wären.

Anschließend geht es derart weiter.
Mir wird zudem ebenfalls zu viel gelächelt, mir fließen ebenfalls zu viele Tränen, aber gut, ist jetzt wirklich Geschmackssache.

Ich würde dir empfehlen, den Text auf Redundantes, Wiederholungen und Füllwörter abzuklopfen. Schneller, präziser auf den Punkt kommen und emotionale Ausbrüche reduzieren - sonst bekommen sie schnell was Inflationäres und verfehlen ihre Wirkung; zumindest bei mir.
Eine Überarbeitung in diese Richtung würde sich m.E. lohnen und den Text knackiger machen.


So viel mal von mir. Ich wiederhole es: Letztendlich ist das nur eine Lesermeinung; andere sehen das ja ganz anders.
Nimm dir einfach, was dir sinnvoll und von Nutzen scheint. Oder pfeife ganz einfach auf meinen Komm :).


Danke fürs Hochladen!


hell


Nachtrag (eine/zwei Klitzekleinigkeit(en) noch):

Eine Weile sitzen sie schweigend nebeneinander und genießen die neue und doch seltsam vertraute Nähe des anderen.
Aber das gemeinsame Kaffeetrinken macht beiden Freude und sorgt für eine besondere Atmosphäre.
Das scheint mir perspektivisch nicht ganz sauber. Hast ja personal geschrieben.
Im unteren Besispiel könntest du auf beiden verzichten, dann würde es dort passen.

 

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