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Parkbank

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06.11.2016
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Parkbank

Gerlinde Kubalek versteckt sich hinter einer dicken Eiche und betrachtet den Mann, der wie jeden Nachmittag auf der Parkbank sitzt, einen viel zu großen schwarzen Hut schief auf seinem Kopf. Schwielige Hände halten eine Papiertüte umklammert. Ab und an nimmt er einen kräftigen Schluck aus der darin verborgenen Flasche.
Wenn Gerlinde Kubalek mit ihrem kleinen Yorkshire Filou eine Runde dreht, nimmt sie jedes Mal den Weg durch den Park. Seit einigen Wochen schon ist ihr dort der Mann auf der Bank aufgefallen. Er fasziniert sie, er macht sie neugierig. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen. Es ist, als ob sie ihn schon seit Langem kennt, wie einen alten Freund. Dabei weiß sie nichts über ihn, hat noch kein Wort mit ihm gewechselt. In den letzten Tagen hat sie ihm im Vorbeigehen lediglich verstohlene Blicke zugeworfen. Doch heute konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben und ihn zu beobachten. Die dicke Eiche bietet ihr gerade so viel Schutz, dass sie sich nicht wie eine Voyeurin vorkommt.
Gerade steckt der Mann die Tüte umständlich in seine Sakkotasche und zupft sich die Hosenbeine zurecht. Eine Geste, die sie an Otto erinnert, der seine Bügelfalten richtet. Dann rutscht er auf der Sitzfläche nach vorne, als wolle er aufstehen. Ihr stockt der Atem. Sie will nicht, dass er geht. Doch der Mann bleibt sitzen. Gerlinde Kubalek atmet auf. Diese Gelegenheit will sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wild entschlossen nimmt sie all ihren Mut zusammen und steuert auf die Parkbank zu.

„Ist neben Ihnen noch frei?“
Ihr Gegenüber starrt sie aus leicht geröteten Augen fragend an.
Gerlinde bleibt einfach stehen. Als ihm klar wird, dass sie ihre Frage ernst meint, nickt er leicht und fummelt ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche. Mit zitternden Händen wischt er mit dem zerknitterten Fetzen über den Platz neben sich, um Schmutz und Staub zu entfernen. Gerlinde wagt nicht, darüber nachzudenken, was sich alles an dem Taschentuch und nun eben auf der Parkbank befinden könnte. Sie lächelt ihn freundlich an und merkt verwundert, dass das Lächeln ihre Augen erreicht.
„Gerlinde Kubalek“, sagt sie mit fester Stimme und hält ihm ihre Hand hin.
„Gustav Kling.“ Seine Stimme zittert, doch sein Händedruck ist fest und warm.
Sie lacht: „Da haben wir doch tatsächlich dieselben Initialen!“
Verwundert sieht er sie an. Für einen Moment glaubt sie, dass er keine Ahnung hat, wovon sie spricht.
Dann grinst auch er: „Ein schöner Zufall.“
„An Zufälle glaube ich nicht!“
Er schweigt.
„Kennen Sie Albert Schweitzer?“, hakt sie nach.
„Nicht persönlich“, antwortet er.
Wieder lacht sie. Ein seltsames Gefühl, so viel zu lachen.
„Er hat gesagt, der Zufall sei ein Pseudonym, das der liebe Gott wähle, wenn er inkognito bleiben wolle.“
Er scheint darüber nachzudenken. „Ich glaube schon lange nicht mehr an Gott“, antwortet er schließlich.
Gerlinde beißt sich auf die Unterlippe. Natürlich nicht. Sie faselt mal wieder dummes Zeug.
„Aber“, fügt Gustav plötzlich hinzu, „der Gedanke gefällt mir trotzdem.“
Eine Weile sitzen sie schweigend nebeneinander und genießen die neue und doch seltsam vertraute Nähe des anderen.
„Darf ich fragen, warum Sie jeden Tag hier sitzen?“, durchbricht Gerlinde nach einiger Zeit die Stille.
„Es macht mir Freude, die Menschen bei ihren Alltäglichkeiten zu beobachten“, antwortet Gustav.
„Haben Sie keine Wohnung?“
Er sieht sie lange an. Gerlinde schämt sich für ihre Aufdringlichkeit. So etwas fragt man doch nicht! Gleich wird er aufstehen und gehen.
Er bleibt sitzen. Er lächelt sogar ein kleines bisschen. „Doch“, sagt er leise, „aber was soll ich da?“
„Haben Sie niemand, der dort auf Sie wartet?“ Wieder so eine intime Frage. Gerlinde könnte sich ohrfeigen für ihr loses Mundwerk.
„Meine Frau hat mich verlassen, als der Job weg war. Jede Frau hätte das getan. Irgendwann war ich mehr mit dem Alkohol verheiratet als mit ihr. Ein paar alte Freunde sind mir noch geblieben. Aber die haben auch ihr eigenes Leben.“
Gerlinde starrt peinlich berührt auf ihre Schuhspitzen und nickt vor sich hin.
„Und Sie?“, fragt er. Dann deutet er mit dem Kopf auf den neben ihren Füßen schlafenden Filou: „Gibt’s auch ein Herrchen zu dem Hund?“
„Mein Otto ist vor fünfzehn Jahren gestorben.“
Gustav murmelt irgendetwas vor sich hin. Wahrscheinlich eine Beileidsbekundung. Gerlinde lächelt ihn dankbar an.
„Meine Tochter hat mir dann den Hund geschenkt“, fügt sie hinzu, „damit ich nicht so allein bin.“
„Warum kümmert sie sich nicht selbst um Sie?“
„Sie hat nach München geheiratet. Sie wollte, dass ich auch dort hinziehe. Aber einen alten Baum sollte man nicht mehr verpflanzen.“
Gustav scheint nicht überzeugt zu sein.
„Sie haben wohl keine Kinder?“, fragt Gerlinde, doch eigentlich ist es mehr eine Feststellung. Tatsächlich schüttelt er den Kopf. Wieder ertappt sie sich dabei, dass sie lächelt.
„Ich habe drei Enkelkinder“, erklärt sie ihm schließlich, „aber natürlich sehe ich sie kaum. Die Entfernung. Sie wissen schon.“
Nun nickt er. Sie hat das Gefühl, dass er ihr gern widersprechen würde. Doch er ist taktvoll genug, es nicht zu tun.
„Heute trinke ich nur noch selten“, sagt er plötzlich und zieht die braune Papiertüte ein Stück aus seiner Sakkotasche. Es scheint ihm wichtig zu sein, dass sie das weiß.
„Wollen Sie einen Schluck?“
Gerlinde hebt abwehrend eine Hand: „Nein, danke! Das Zeug bekommt mir nicht so gut.“
Er verzieht den Mund zu einem traurigen Lächeln: „Mir auch nicht.“
In diesem Augenblick kann Gerlinde seinen Schmerz fühlen. Einen Schmerz, den sie selbst nur zu gut kennt. Der sich ihr immer wieder wie ein Messer ins Herz bohrt, ihr alle Energie nimmt und ihr sogar das Atmen zur Last werden lässt.
Sie sehen sich lange in die Augen und wieder ist da diese Vertrautheit, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Sie kennen sich seit wenigen Minuten, doch Gerlinde scheint es wie ein ganzes Leben.
Dann ist der besondere Moment vorbei. Filou fängt an zu kläffen. Wahrscheinlich hat er Hunger. Gerlinde wirft einen Blick auf ihre Uhr. Schon halb fünf. Zeit, nach Hause zu gehen.
„Sehen wir uns morgen wieder?“, fragt sie.
„So Gott will“, antwortet er mit einem Augenzwinkern.
„Das wäre ein schöner Zufall“, erwidert Gerlinde lächelnd, ehe sie nach Filous Leine greift und nach Hause geht.

In den nächsten Wochen treffen sich Gerlinde Kubalek und Gustav Kling täglich auf ihrer Parkbank. Sie unterhalten sich stundenlang über die Welt. Und sogar über Gott. Sie lachen viel miteinander und wenn ihre Lebensgeschichten keinen Platz für das Lachen lassen, schweigen sie gemeinsam.
Gustav erzählt, dass er schon seit vielen Jahren von der Stütze lebt. Genaugenommen, seitdem er arbeitslos geworden ist. Natürlich habe er nichts Neues mehr gefunden. Wer stellt schon einen alten Trottel ein? Noch dazu, wenn es sich um einen Säufer handelt. Dass er mit dem Trinken nur angefangen habe, um zuhause nicht durchzudrehen, das habe natürlich keinen interessiert.
Gerlinde hört aufmerksam zu. Schließlich erzählt sie von ihrem Otto, der sich so auf seinen Ruhestand gefreut hatte. Gemeinsam wollten sie die ganze Welt bereisen, ins Theater gehen, ihre Tochter und die Enkelkinder in München besuchen, einfach viel Zeit miteinander verbringen. Große Pläne hätten sie gehabt. Dann habe Otto eines schönen Sommerabends plötzlich der Schlag getroffen. Von einer Sekunde auf die andere sei er tot gewesen. Mit dreiundfünfzig.
Wenn sie davon erzählt, laufen ihr noch immer die Tränen übers Gesicht. Gustav bietet ihr sein zerknittertes Taschentuch an.
Sie greift nach seiner Hand und drückt sie ganz leicht.
„Zusammen sind wir nicht mehr so allein“, sagt sie leise.
Er sieht sie lange an. Seine Hand erwidert den Druck. Einige Zeit sitzen sie so da und keiner von beiden sagt etwas.
"Wissen Sie, was das Schlimmste ist?", fragt sie ihn schließlich. Erwartungsvoll hebt er die Augenbrauen.
"Seit Ottos Tod fühle ich mich wertlos. Ich wusste immer, dass er mich bedingungslos liebt, und jetzt, da er nicht mehr ist, versinke ich in Bedeutungslosigkeit."
Gustav schweigt. Zu gerne würde sie wissen, was er gerade denkt.
"Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht mehr die Jüngste bin", fährt sie fort. "Ich schaue manchmal in den Spiegel und sehe eine in die Jahre gekommene, wenig attraktive Frau ohne jeden Esprit. Niemand braucht mich mehr. Noch nicht einmal meine eigene Tochter."
Gustav hat den Blick in die Ferne gerichtet. Noch immer sagt er nichts, doch seine Mundwinkel verziehen sich zu einem schwachen Lächeln.
Gerlinde weiß nicht, wie sie es deuten soll. Findet er ihr Gejammer lächerlich? Grinst er, weil er ihr im Grunde genommen zustimmt und es nicht zugeben will? Sie traut sich nicht, ihn danach zu fragen, und der Moment verstreicht.

Einmal in der Woche bringt Gerlinde zwei dampfende Becher von Starbucks mit zur Parkbank. Eigentlich kann sie sich die sündhaft teure Milch mit dem Schuss Kaffee von ihrer spärlichen Witwenrente nicht leisten. Schon gar nicht im Doppelpack. Aber das gemeinsame Kaffeetrinken macht beiden Freude und sorgt für eine besondere Atmosphäre. Außerdem will sie nicht, dass Gustav sich immer nur mit seinem billigen Fusel von innen wärmen muss.
Ihr Abschiedsritual ist immer dasselbe.
„Sehen wir uns morgen wieder?“
„So Gott will.“
„Das wäre ein schöner Zufall."
Bevor sie geht, lächeln sie sich jedes Mal an. Mit einem Lächeln, das die Augen erreicht. Gerlinde kann sich gar nicht vorstellen, dass es jemals anders war.

Es ist ein Mittwoch, an dem Gerlinde schon von Weitem sieht, dass die Parkbank verwaist ist. Verwundert wirft sie einen Blick auf ihre Uhr. Sie ist weder zu früh noch hat sie sich verspätet. Sie bleibt neben der Bank stehen und schaut sich in alle Richtungen um. Von Gustav keine Spur. Sie setzt sich und wartet. Unerträglich langsam ziehen die Minuten dahin. Nach zwei Stunden gibt Gerlinde auf. Es ist jetzt halb fünf und Gustav weiß, dass sie um diese Zeit nach Hause muss, um Filou zu füttern. Heute ist mit ihm wohl nicht mehr zu rechnen.
Oder kann es sein, dass er absichtlich nicht gekommen ist? Hat sie gestern irgendetwas Falsches gesagt? Nein, eigentlich war alles wie immer.
Gerlinde spürt einen seltsamen Druck in der Magengegend, der sich langsam Richtung Brust ausdehnt. Sie kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sie hat Angst! Angst, wieder allein zu sein. Ohne ihn. Auf dem Heimweg kämpft sie mit den Tränen.
Auch an den nächsten fünf Tagen taucht Gustav nicht an ihrem Treffpunkt auf. Jedes Mal wartet Gerlinde zwei Stunden lang auf der Parkbank. Vergebens. Langsam beginnt sie, sich Sorgen zu machen. Sie weiß noch nicht einmal, wo Gustav wohnt. Zuhause sucht sie seinen Namen im Telefonbuch. Klings gibt es viele, aber einen Gustav kann sie nicht finden. Vielleicht hat er gar kein Telefon.

Nach einer Woche ohne ein Lebenszeichen von Gustav, nimmt Gerlinde sich fest vor, zum letzten Mal den Weg durch den Park zu nehmen. Wenn die Bank heute wieder leer ist, wird sie nicht mehr herkommen.
Als sie sich der alten Eiche nähert, macht ihr Herz einen Sprung. Ein Mann sitzt auf ihrer Bank. Der schwarze Hut ist unverkennbar. Gustav ist wieder da!
Vor Freude wäre sie am liebsten zu ihm gelaufen. Doch dann fällt ihr ein, wie besorgt sie in den letzten Tagen war. Dafür ist er ihr erst einmal eine Erklärung schuldig. Sie verlangsamt ihren Schritt, möchte betont lässig wirken. Er soll nicht merken, wie aufgewühlt sie ist. Um sich zu beruhigen, hält sie den Blick beim Gehen auf ihre Schuhspitzen gesenkt. Erst als sie direkt vor ihm steht, sieht sie auf. Und erstarrt.
Der Mann, der vor ihr auf der Bank sitzt, ist nicht Gustav, sondern ein Wildfremder. Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie ihn an.
„Wo ist Gustav?“, fragt sie. Ihre Stimme klingt ungewohnt schrill.
Der Mann streckt beschwichtigend die Hand nach ihr aus, doch sie weicht zurück. Filou beginnt zu knurren.
„Sie müssen Gerlinde Kubalek sein“, sagt der Mann sanft.
„Wer will das wissen?“
„Ich bin Curt. Ein Freund. Ich soll Ihnen den von Gustav geben“, antwortet er und hält ihr einen Briefumschlag hin.
„Warum kommt er nicht selbst?“ Gerlinde hat Mühe, den Mann nicht anzuschreien.
„Es tut mir leid“, beginnt er traurig lächelnd.
„Was tut Ihnen leid?", schneidet sie ihm das Wort ab. „Dass er nicht einmal den Mut hat, mir selbst zu sagen, dass er nicht mehr herkommen will?“
Der Mann greift nach ihrer Hand, um ihr Einhalt zu gebieten. Gerlinde will sie ihm entwinden, doch er lässt nicht los. Er möchte, dass sie ihm in die Augen sieht.
„Gustav ist tot“, sagt er schließlich leise.
Gerlinde schnappt nach Luft.
„Wir haben ihn gestern in seiner Wohnung gefunden. Wahrscheinlich ist er schon Mittwochvormittag gestorben.“
Er hält einen Moment inne, damit Gerlinde die Information verarbeiten kann.
„Er hatte eine Schachtel in seinem Nachttisch, die ich im Falle seines Todes öffnen sollte. Darin war auch dieser Umschlag für Sie. Und eine genaue Beschreibung, wo ich Sie finden kann.“
Gerlinde lässt zu, dass er ihr das Kuvert zwischen die klammen Finger schiebt. Ihr Kopf fühlt sich an wie in Watte gepackt. Nur sehr dumpf, als wäre sie unter Wasser, nimmt sie die Stimme des Mannes wahr.
„Warum tragen Sie seinen Hut?“, fragt sie.
„Das war sein Abschiedsgeschenk an mich“, antwortet er gequält. Dann steht er auf. Er legt ihr eine Hand auf die Schulter, ehe er sich abwendet und davongeht.

Ohne es zu merken, lässt Gerlinde sich auf die Parkbank sinken. Filou legt mitfühlend seinen Kopf auf ihren Fuß. Erst jetzt nimmt sie den Umschlag richtig wahr. Mit zitternden Händen reißt sie ihn auf und entnimmt ihm einen ordentlich gefalteten Bogen Büttenpapier. Gustav hat in anmutig geschwungener Schrift mit Tinte etwas darauf geschrieben.
„Für mich waren Sie ein Anker in der Not. Bewahren Sie sich Ihr Lächeln. Wenn Ihre Augen beim Lachen strahlen, sind Sie noch tausendmal schöner!“, steht da.
Tränen steigen in ihr auf, ihre Kehle zieht sich zusammen, das Atmen fällt ihr mit einem Mal schwer, so schwer. Langsam steht sie auf. Die Hand, die den Brief hält, sinkt wie in Zeitlupe nach unten, bis sie an ihr herabbaumelt, als wäre sie kein Teil ihres Körpers mehr. Wie in Trance setzt sie einen Fuß vor den anderen. Filou sieht ihr einige Sekunden verwundert nach, ehe auch er sich erhebt und hinter ihr hertrottet.
Die alte Eiche wiegt ihre Zweige sacht im Wind. Als würde sie Gustav zum Abschied winken, denkt Gerlinde. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Bewahren Sie sich Ihr Lächeln. Sie sieht Gustav vor sich, wie er die Nachricht schreibt und dabei an ihre strahlenden Augen denkt. Gerlinde Kubalek dreht sich nicht noch einmal um. Doch als sie den Park verlässt, kann sie nicht verhindern, dass sie sanft lächelt.

 
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Liebe janehumphries,

deine Geschichte hat mir gefallen. Wie sich da zwei einsame Menschen finden, plötzlich einfach wieder lachen können, sich an ihrer neu gewonnenen Zweisamkeit erfreuen. Das beschreibst du sehr schön und anschaulich. Und auch sprachlich hast du das gut umgesetzt.

Ein paar Sachen sind mir beim Lesen aufgefallen, die ich anmerken möchte:

Die vom Holz abgeplatzte Farbe passt hervorragend zu seinen verschlissenen Hosen …
Wenn etwas abgeplatzt ist, ist es nicht mehr vorhanden. Das müsstest du ein wenig anders formulieren. ‚Die nur noch an wenigen Stellen vorhandene Farbe …’ oder etwas Ähnliches.

und fährt sich nervös über das vom Leben zerfurchte Gesicht.

Hier wie auch an ein paar anderen Stellen fügst du Erklärungen ein, die überflüssig sind. Dazu wirkt ‚vom Leben zerfurcht’ auch etwas abgegriffen. Lass es doch einfach weg.

Immerhin könnte sie so einfach eine x-beliebige Hundebesitzerin sein, deren Liebling in aller Ruhe einen Baum beschnuppert.

Finde ich auch wieder recht erklärend.

Doch der Mann bleibt sitzen, zupft sich die Hosenbeine zurecht, als wolle er Bügelfalten richten, die nur in seiner Vorstellung existieren.
Das ist ein schönes Bild, was du aber mit der Erklärung mMn schwächst. ‚als wolle er richten’ beinhaltet ja schon, dass es diese Bügelfalten nicht gibt. Da braucht es den Nachsatz nicht.

Ihr Gegenüber starrt sie aus leicht geröteten Augen fragend an. Vermutlich möchte sich normalerweise niemand zu ihm setzen. Und selbst wenn, würde derjenige ihn wohl kaum höflich um seine Erlaubnis bitten.

Auch hier finde ich die Erklärung überflüssig. Das erschließt sich doch aus dem Zusammenhang und aus ‚fragend’.

Sie lächelt ihn freundlich an und merkt, dass das Lächeln ihre Augen erreicht. Das ist schon lange nicht mehr passiert.

Hier fände ich schöner: Sie lächelt ihn freundlich an und merkt verwundert, dass das Lächeln ihre Augen erreicht.
„Zusammen sind wir nicht mehr so allein“, sagt sie leise.
Dieser Satz kommt mir hier zu früh. Sie haben sich gerade erst kennen gelernt.

Gustav erzählt, dass er schon seit vielen Jahren von der Stütze lebt. Genaugenommen, seitdem er arbeitslos geworden ist. Vierzig Jahre habe er sich für seine Firma den Buckel krumm geackert. Bis zum Vorarbeiter habe er es sogar geschafft. Dann habe in seiner Schicht ein junger Kollege eine Maschine falsch bedient. Den Mann habe das zwei Finger gekostet, Gustav selbst mit sechsundfünfzig den Job. Natürlich habe er nichts Neues mehr gefunden. Wer stellt schon einen alten Trottel ein? Noch dazu, wenn es sich um einen Säufer handelt. Dass er mit dem Trinken nur angefangen habe, um zuhause nicht durchzudrehen, das habe natürlich keinen interessiert.
Gerlinde hört aufmerksam zu. Schließlich erzählt sie von ihrem Otto, der sich so auf seinen Ruhestand gefreut hatte. Gemeinsam wollten sie die ganze Welt bereisen, ins Theater gehen, ihre Tochter und die Enkelkinder in München besuchen, einfach viel Zeit miteinander verbringen. Große Pläne hätten sie gehabt. Dann habe Otto eines schönen Sommerabends plötzlich der Schlag getroffen. Von einer Sekunde auf die andere sei er tot gewesen. Mit dreiundfünfzig.

Diese Stelle finde ich zu ausführlich. Ich würde sie auf das Wesentliche runterkürzen, die unwichtigen Einzelheiten (Vorarbeiter, Schicht, junger Kollege, zwei Finger, usw.) rausnehmen.
Im Mittelpunkt deiner Geschichte steht die Begegnung der beiden, die ist mir als Leser inzwischen auch wichtig geworden. Deshalb würde ich den Fokus darauf lassen und nur kurz die Vorgeschichte der beiden streifen.

Ich habe mich immer an seiner vorbehaltlosen Liebe genährt …
So spricht niemand.

Die Traurigkeit ist einer tiefen Enttäuchung gewichen

„Dass der Mistkerl nicht einmal den Mut hat, mir selbst zu sagen, dass er nicht mehr herkommen will?“
So eine Ausdrucksweise nehme ich deiner Protagonistin nicht ab. Sie ist ja nicht nach einer kurzen Liebesbeziehung verlassen worden, er war einfach nicht mehr da. Böswilligkeit kann sie ihm doch nicht unterstellen.
Nur sehr dumpf, als hätte sie einen Hörsturz, nimmt sie die Stimme des Mannes wahr.
Ich verstehe, was du vermitteln willst. Und doch erscheint mir der Begriff ‚Hörsturz’ hier deplatziert.

Zum Ende deiner Geschichte:

Hier würde ich die Beschreibung der Zeit, als Gustav nicht mehr da ist, kürzer fassen und nur ihre Traurigkeit darüber, dass sie nun wieder allein ist, beschreiben.

Die Traurigkeit ist einer tiefen Enttäuchung gewichen und wenn Gerlinde ehrlich ist, mischt sich auch immer wieder rasende Wut darunter.
Warum sie wütend ist, kann ich nicht recht nachvollziehen. Wütend ist man normalerweise nur, wenn man etwas Konkretes erfahren hat, aber sie weiß ja noch nichts.

Fazit: Mir gefällt die Grundidee deiner Geschichte und mit den genannten Einschränkungen auch ihre Ausführung. Ich würde an einigen Stellen recht radikal kürzen und die erste Begegnung der beiden, die Freude darüber, einander gefunden zu haben, das kurze Miteinander, die Enttäuschung, dass Gustav nicht mehr kommt, und die Auflösung stärker in den Vordergrund rücken und überflüssige Erklärungen streichen. Ich glaube, das würde deiner Geschichte gut tun. Lesenswert finde ich sie schon jetzt.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Liebe janehumphries,

eine schöne Geschichte, die man sich in ihrer Alltäglichkeit gut vorstellen kann - Einsamkeit und Altersarmut sind ja durchaus reale Probleme in der Gesellschaft.
Auch deiner "Gerlinde Kubalek mit ihrem kleinen Yorkshire Filou" bin ich sicher schon eintausendmal in den Parks meiner Stadt begegnet - ich kann sie regelrecht vor mir sehen.
Ob meine Gerlindes verzweifelt einsam genug wären, einen fremden, offenbar ungepflegten Mann anzusprechen, kann ich nicht sagen. Würde aber eher denken, dass sie einen großen Bogen um ihn machen, den Kopf schüttelnd und mit der Zunge schnalzend.

Sie ist nicht bereit, ihn gehen zu lassen.

Das Warum ist mir ist nicht ganz klar geworden - ja, sie ist einsam, hat sich an den Mann gewöhnt - aber was genau signalisiert ihr, dass es ungefährlich ist, sich diesem Mann zu nähern? Was lässt die Waage zur anderen Seite sinken? Die Bügelfalten als Relikt aus einer anderen, besseren Zeit?
Mir würde es leichter fallen, diese Annäherung zu glauben, wenn Gustav eine Geste zeigen würde, die ihn verletzlicher wirken lässt.

Schön geschildert finde ich wiederum Gerlindes inneren Konflikt beim Gespräch mit Gustav - der Wunsch, etwas von ihm zu erfahren und die Furcht, dabei gesellschaftliche Konventionen zu missachten. Hierin lese ich für mich die stärkste Botschaft deines Textes - was nützen soziale Regeln, wenn sie die Menschen einsam machen?

Auch den Aufbau ihrer Beziehung finde ich nachvollziehbar, wenn auch etwas in die Länge gezogen. Trotzdem - Offenheit und Vertrautheit wachsen und auch die Bereitschaft, in diese Beziehung zu investieren - ich konnte mich für die beiden mitfreuen.

Sie kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sie hat Angst! Angst, wieder allein zu sein.

Ist es dann wirklich nur die Angst, wieder allein zu sein, die Gerlinde den Magen verknotet? Da ist doch viel mehr entstanden, oder nicht?

Die Traurigkeit ist einer tiefen Enttäuchung gewichen und wenn Gerlinde ehrlich ist, mischt sich auch immer wieder rasende Wut darunter.

(Enttäuschung)

Warum eigentlich? Ich hätte gedacht, dass Gerlindes Sorge wächst - war diese Freundschaft nicht tief genug oder nur zu kurz, um schlechte Erfahrungen und Enttäuschungen zu vergessen? Welche Erfahrungen? Interpretiert Gerlinde den Tod ihres Ehemannes als ein (schuldhaftes) Verlassen-werden?

„Dass der Mistkerl nicht einmal den Mut hat, mir selbst zu sagen, dass er nicht mehr herkommen will?“

Würde Gerlinde wirklich derartig starke Worte gebrauchen, selbst wenn sie sehr gekränkt ist? Steht für mich in seltsamen Gegensatz zu

jetzt, da er nicht mehr ist, versinke ich in Bedeutungslosigkeit.

Oder hat die Freundschaft mit Gustav sie so verändert? Wann? Wie?

Das war wohl sein Abschiedsgeschenk an mich.

Wieso wohl? Hat der Freund den Hut einfach so mitgenommen, in der Annahme, es sein ein Abschiedsgeschenk? Wo kommt der überhaupt plötzlich her? Ein alter Freund, der sich abgewandt hatte? Gustav hatte nicht von ihm erzählt, oder?

Filou legt mitfühlend seinen Kopf auf ihren Fuß.

Den Satz finde ich unglaublich gut - Gerlinde ist wieder allein, ihr bleibt nur der Hund.

Gustav hat in anmutig geschwungener Schrift mit Tinte etwas darauf geschrieben.
„Für mich waren Sie ein Anker in der Not. Bewahren Sie sich ihr Lächeln. Wenn Ihre Augen beim Lachen strahlen, sind Sie noch tausendmal schöner!“, steht da.

Schön, wirft ein helles Licht auf Gustav und auf die Beziehung der beiden!

Gerlinde Kubalek dreht sich nicht noch einmal um.

Wie schade! Ich würde mir wünschen, dass Gerlinde etwas mitnimmt aus dieser Beziehung, etwas Selbstvertrauen, neuen Lebensmut. Das zeigt, wie sehr du mir deine Prot ans Herz legen und mich emotional mitnehmen konntest.

Viele Grüße

Willi

 

Barnhelm und Willi haben schon einiges zu dieser Geschichte gesagt, dem ich mich anschließen kann,

liebe janehumphries -

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts!

Es ist bis auf zwei Flüchtigkeiten - willi hat schon auf eine hingewiesen -

Die Traurigkeit ist einer tiefen Enttäuchung gewichen …

„Was tut Ihnen leid?[“], schneidet sie ihm das Wort ab.

solide erzählt und ist doch mit einem klassischen Fehlstart behaftet: Das Unglück (ich zitier mal nicht den Zufall) will es, dass im ersten Satz bereits die Fälle-Falle zuschnappt, wenn es heißt
Die ältere Dame steht an die dicke Eiche gelehnt da
der Akkusativ, den Du verwendest, behauptet eine Bewegung, aber die Dame steht und lehnt an „der“ Eiche – Dativ (anders wär‘s, wenn z. B. die Dame „an die Eiche“ ginge, um sich anzulehnen.

Der zweite Satz zeigt zudem an, dass das Attribut der Eiche („dick“) entbehrlich ist, wenn die Dame sich dahinter verbirgt. Aber ach, sie lehnt nun an dem Baum, mit dem Rücken, nehm ich an, verbirgt sich und beobachtet den Mannn, der eigentlich nur vor ihr sitzen kann … Klassischer Fehlstart

Halb dahinter verborgen betrachtet sie den Mann, der wie jeden Nachmittag auf der verwitterten Parkbank sitzt.
Kein Beinbruch, weil reparabel.

Und letztlich wird einmal die Höflichkeitsform nicht konsequent beibehalten

Bewahren Sie sich hr Lächeln. Wenn Ihre Augen beim Lachen strahlen, sind Sie noch tausendmal schöner!“, steht da.

Gleichwoh:Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo @janehumphries,

eine traurige Geschichte servierst du uns da. Zwei vom Leben gebeutelte Menschen treffen aufeinander, mögen sich, um am Ende dann doch wieder auseinander zu kommen. Ich mag ja solche zwischenmenschlichen Sachen, Alltägliches eben und habe deinen Text in einem Rutsch gelesen. Als ich merkte, wohin es führen wird dachte ich: "Bitte bitte, lass ihn nicht sterben."
Und dennoch hat es mich nicht so gepackt, wie es dem Thema angemessen wäre. Ich habe gelesen, alles aufgenommen was passiert aber ich war nicht mit in der Geschichte, war nicht im Park, bin nicht auf der Bank gesessen. Dazu hat mir etwas gefehlt. Ich konnte die beiden Menschen nicht richtig greifen, habe keine Dynamik zwischen denen gespürt. Empfand ihre Gespräche nicht berührend, ihr Handeln nicht immer nachvollziehbar.
Die Geste mit dem Bank abwischen fand ich aber richtig nett und kann mir auch vorstellen, dass das jemand macht.

Ich versuch mal aufzuschreiben, was mich gestört hat.

Die ältere Dame steht an die dicke Eiche gelehnt da. Halb dahinter verborgen betrachtet sie den Mann, der wie jeden Nachmittag auf der verwitterten Parkbank sitzt. Die vom Holz abgeplatzte Farbe passt hervorragend zu seinen verschlissenen Hosen und dem mehrmals geflickten Sakko. Die dünnen, fettigen Haare hängen strähnig unter einem viel zu großen schwarzen Hut hervor. Die Bartstoppeln an seinem Kinn sind ebenso ergraut wie die Schläfen. Schwielige Hände halten eine braune Papiertüte fest umklammert. Ab und an nimmt er einen kräftigen Schluck aus der darin verborgenen Flasche und fährt sich nervös über das vom Leben zerfurchte Gesicht.

Für den Anfang sind mir das viel zu viele Informationen. Teilweise auch doppelt genannt bzw. ergibt es sich im nächsten Satz. Ich finde sogar, dass du auf diesen Absatz ganz verzichten kannst um mit dem nächsten gleich ins Geschehen einzusteigen Die umfangreiche Beschreibung von Gustav braucht es für meinen Geschmack nicht, da er später ja als der Ausgestoßene der Gesellschaft, wie ihn Gerlinde einschätzt, beschrieben wird. Wichtig ist hier nur der schwarze Hut, weil der am Ende nochmal auftaucht. Auch im Verlauf des Textes, finden sich Stellen, die man streichen könnte, da schließe ich mich @barnhelm an.
Ich fühle mich total mies dabei, Jane, das zu schreibe. Gerade ich, die ich mich selbst so schwer damit tue, Kürzungen an meinen Texten vorzunehmen sage zu dir: "Weg mit dem ersten Absatz. Streich das." Bitte verstehe das nicht als Respektlosigkeit gegenüber deiner Arbeit. Ich versuche zu erklären, was mich gestört hat und wovon ich denke, dass es deiner Geschichte gut täte - aber was schreib ich, das weißt du ja.

Die Dialoge fand ich meistens gut. Was mich störte wurde oben schon geschrieben. Ich habe mich auch gefragt, ob man einem Fremden gleich soviel anvertraut. Nicht an Gott zu glauben zum Beispiel oder erwähnen, dass man verwitwet ist. Auch seine Hand drücken und sagen: "Zusammen sind wir nicht so alleine." Ich weiß nicht recht, bisschen draufgängerisch die Gerlinde.
Sie kommen schon sympathisch rüber, deine Zwei, aber trotzdem, für mich nicht so greifbar, wie ich es gerne gehabt hätte. Ich denke mein größtes Problem dabei ist, dass mir die Annäherung zu schnell geht. Die reden über sehr privates, halten Händchen, streicheln über den Rücken obwohl sie sich eben erst kennenlernen. Ich mag die Geschichte und deine Ideen darin, aber damit komme ich nicht klar.

Von mir auch ein herzliches Willkommen.

Lieber Gruß
Tintenfass

 

barnhelm Willi Friedrichard Tintenfass
Vielen lieben Dank für eure umfangreichen Anmerkungen. Ich werde mich morgen ausführlicher melden und dann auch gleich mit euren Anregungen arbeiten.

Liebe Grüße
Jane

 
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Hallo barnhelm!

So, noch einmal von Herzen vielen Dank für deine Anmerkungen! Ich habe all deine Vorschläge für Streichungen und Ausdrucksänderungen umgesetzt, und das mit Überzeugung!

„Zusammen sind wir nicht mehr so allein“, sagt sie leise.
Dieser Satz kommt mir hier zu früh. Sie haben sich gerade erst kennen gelernt.
Ich habe den Satz in den nächsten Absatz verschoben. Hier kennen sie sich schon seit ein paar Wochen und ich hoffe, hier findet er bei dir mehr Zustimmung. Du hattest ja recht, ein wenig draufgängerisch war sie in der Ursprungsversion schon, die Gerlinde :-)

Den Teil mit der Wut habe ich ganz gestrichen. Nach euren Kommentaren wollte ich irgendwie selber nicht mehr, dass sie wirklich sauer auf Gustav ist. Auch wenn ich als sehr impulsiver Mensch ihre Wut an dieser Stelle sehr gut nachempfinden konnte. Ich werde schnell wütend, wenn ich mich in meinen Gefühlen verletzt fühle. Aber zu Gerlinde hat das vielleicht doch nicht so gut gepasst und die neue Version gefällt mir nun auch besser.

Liebe Grüße
Jane


Hallo Willi!

Deine Anmerkungen haben mich sehr zum Nachdenken gebracht, vor allem weil ich gespürt habe, dass du gefühlsmäßig sehr mit Gerlinde und Gustav mitgegangen bist.

Mir würde es leichter fallen, diese Annäherung zu glauben, wenn Gustav eine Geste zeigen würde, die ihn verletzlicher wirken lässt.
Der Anregung von Tintenfass folgend, habe ich bei der Anfangsbeschreibung Gustavs den Rotstift angelegt. Dadurch kommt er nicht mehr so abgerissen und schmuddelig rüber. Zudem erkennt Gerlinde nun in der Hosenzupferei eine Ähnlichkeit mit Otto.

Ist es dann wirklich nur die Angst, wieder allein zu sein, die Gerlinde den Magen verknotet? Da ist doch viel mehr entstanden, oder nicht?
Es hat mich sehr gefreut, dass du das zwischen den Zeilen erkannt hast. Natürlich ist da mehr, viel mehr! Ich wollte das dem Leser aber auch nicht so mit dem Holzhammer mitgeben. Ich habe hier einen kleinen Einschub gemacht, der Gerlindes Gefühle hoffentlich subtil klarer macht. Lass mich bitte wissen, was du davon hältst!

Wie ich schon barnhelm schrieb: Den Teil mit der Wut habe ich ganz gestrichen. Nach euren Kommentaren wollte ich irgendwie selber nicht mehr, dass sie wirklich sauer auf Gustav ist. Auch wenn ich als sehr impulsiver Mensch ihre Wut an dieser Stelle sehr gut nachempfinden konnte. Ich werde schnell wütend, wenn ich mich in meinen Gefühlen verletzt fühle. Aber zu Gerlinde hat das vielleicht doch nicht so gut gepasst und die neue Version gefällt mir nun auch besser.

Wieso wohl? Hat der Freund den Hut einfach so mitgenommen, in der Annahme, es sein ein Abschiedsgeschenk? Wo kommt der überhaupt plötzlich her? Ein alter Freund, der sich abgewandt hatte? Gustav hatte nicht von ihm erzählt, oder?
Recht hast du! Das "wohl" habe ich gestrichen und "ein paar Freunde" im Gespräch mit Gerlinde kurz einfließen lassen.

Ich würde mir wünschen, dass Gerlinde etwas mitnimmt aus dieser Beziehung, etwas Selbstvertrauen, neuen Lebensmut. Das zeigt, wie sehr du mir deine Prot ans Herz legen und mich emotional mitnehmen konntest.
Das hat mich sehr berührt! Ich habe versucht, ein Ende zu gestalten, wie du es dir gewünscht hast, ohne dabei ins Kitschige abzudriften. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist. Es war sehr schwer, dass mit dem Lächeln am Schluss zu formulieren. Ich kenne das selbst sehr gut, dass ich weine und trotzdem plötzlich beim Gedanken an eine besondere Situation etc. lächeln oder gar lachen muss. Ist das so im Text verständlich?

Schön geschildert finde ich wiederum Gerlindes inneren Konflikt beim Gespräch mit Gustav - der Wunsch, etwas von ihm zu erfahren und die Furcht, dabei gesellschaftliche Konventionen zu missachten. Hierin lese ich für mich die stärkste Botschaft deines Textes - was nützen soziale Regeln, wenn sie die Menschen einsam machen?
Vielen Dank dafür!

Filou legt mitfühlend seinen Kopf auf ihren Fuß.
Den Satz finde ich unglaublich gut - Gerlinde ist wieder allein, ihr bleibt nur der Hund.
Ja, diesen Satz mag ich auch sehr!

Lieber Willi, danke für all diese tollen Anregungen!
Gruß Jane

Hallo Friedrichard!

Vielen Dank für deinen Kommentar und für den Hinweis auf die vier kleinen Fehler! Da liest man einen Text gefühlte dreitausendmal durch und übersieht trotzdem noch etwas. Wurde natürlich sofort bereinigt.

Bei einer Sache muss ich dir aber widersprechen. Ungern zwar, weil ich bei deinen Kommentaren hier im Forum schon mehrmals Zeuge werden durfte, wie fundiert du an solche Dinge herangehst, aber als Deutschlehrerin traue ich mich trotzdem ;-)

solide erzählt und ist doch mit einem klassischen Fehlstart behaftet: Das Unglück (ich zitier mal nicht den Zufall) will es, dass im ersten Satz bereits die Fälle-Falle zuschnappt, wenn es heißt

Die ältere Dame steht an die dicke Eiche gelehnt da

der Akkusativ, den Du verwendest, behauptet eine Bewegung, aber die Dame steht und lehnt an „der“ Eiche – Dativ (anders wär‘s, wenn z. B. die Dame „an die Eiche“ ginge, um sich anzulehnen.

Ich wage zu behaupten, dass ich (fast) nie in die Fälle-Falle tappe :-) Und auch hier ist es mir nicht passiert - korrigier mich, wenn du gleich immer noch anderer Meinung bist.
'Sie lehnt an DER Eiche' wäre natürlich richtig! ABER bei mir heißt es: Sie steht AN DIE EICHE GELEHNT da. Und in diesem Fall brauche ich den Akkusativ. Zum Vergleich: http://www.duden.de/rechtschreibung/anlehnen

Bei der Eiche kam dann auch gleich das zweite Problem auf: Du hast die Vorstellung, dass sie mit dem Rücken an der Eiche lehnt, was ich nachvollziehen kann. In meiner Vorstellung steht Gerlinde hinter der Eiche, stützt sich mit einer Hand und dem Bauch/einem Beckenknochen am Stamm ab und lugt dahinter vor, um den Mann zu beobachten. Ich hoffe, du weißt, wie ich das meine. Für mich ist das auch ein Anlehnen. Oder fällt dir hier ein passenderer Ausdruck ein? Den würde ich dann durchaus dankbar annehmen!

Gleichwoh:Gern gelesen
Das freut mich sehr! Wie gesagt, du gehst immer sehr fundiert an alle Beiträge heran, die du liest. Und es ehrt mich sehr, dass du mit meinem Text - wie es scheint - einigermaßen zufrieden warst.

Liebe Grüße
Jane


Hallo Tintenfass!

Vielen lieben Dank auch für deinen Kommentar!

Ich fühle mich total mies dabei, Jane, das zu schreibe. Gerade ich, die ich mich selbst so schwer damit tue, Kürzungen an meinen Texten vorzunehmen sage zu dir: "Weg mit dem ersten Absatz. Streich das." Bitte verstehe das nicht als Respektlosigkeit gegenüber deiner Arbeit
Um Gottes Willen, das habe ich absolut nicht als respektlos empfunden! Ich habe mich intensiv mit dieser Stelle beschäftigt und tatsächlich den Rotstift angesetzt. Die ausführliche Beschreibung Gustavs zu Beginn habe ich stark gekürzt. Vielleicht hättest du hier gern noch mehr gestrichen, aber ich hatte das Gefühl, dass dann nur noch ein seltsames Gerippe gleich am Anfang der Geschichte steht, und mich deswegen für diesen Weg entschieden, wie es jetzt ist.

Auch die anderen von barnhelm gemachten Kürzungsvorschläge habe ich vorgenommen.

Ich habe mich auch gefragt, ob man einem Fremden gleich soviel anvertraut. Nicht an Gott zu glauben zum Beispiel oder erwähnen, dass man verwitwet ist. Auch seine Hand drücken und sagen: "Zusammen sind wir nicht so alleine." Ich weiß nicht recht, bisschen draufgängerisch die Gerlinde.
Den Satz habe ich tatsächlich weiter nach hinten geschoben, wenn sie sich schon ein paar Wochen kennen. So gefällt es mir nun auch besser und ich hoffe, auch für dich gewinnt die Geschichte dadurch. Zu deinem ersten Einwand, wie viel man einem Fremden beim ersten Gespräch von sich preisgibt: Ich habe selbst schon die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gibt, denen man zum ersten Mal begegnet und bei denen man ab dem ersten gesprochenen Satz eine unerklärliche Vertrautheit empfindet, denen man sofort sein ganzes Leben und Fühlen darlegen möchte. So eine tiefe Verbindung wollte ich auch zwischen Gustav und Gerlinde zum Leben erwecken.

Ich denke mein größtes Problem dabei ist, dass mir die Annäherung zu schnell geht. Die reden über sehr privates, halten Händchen, streicheln über den Rücken obwohl sie sich eben erst kennenlernen. Ich mag die Geschichte und deine Ideen darin, aber damit komme ich nicht klar.
Einige dieser Stellen habe ich entschärft oder gestrichen. Ich würde mich freuen, wenn du mir vielleicht nochmals Rückmeldung geben könntest, ob das Ganze nun für dich besser funktioniert.

Und dennoch hat es mich nicht so gepackt, wie es dem Thema angemessen wäre.
Das ist schade. Vielleicht hat sich das durch die Änderungen, die ich vorgenommen habe, bereits (ein wenig) geändert. Lass es mich wissen, wie es dir nun damit geht, wenn du magst.

Liebe Grüße
Jane

 

Liebe janehumphries,

kurze Rückmeldung:
Jetzt ist deine Geschichte rund und sie gefällt mir sehr. Die Art, wie du hier das Thema ‚Alleinsein’ und ‚Einsamkeit’ angehst, ist bedrückend und anrührend zugleich. Ein schöner Text.

Noch zwei Korinthen:

Gerlinde schnappt hörbar nach Luft.
Der ganze Ausdruck gefällt mir hier nicht so sehr. Auf jeden Fall würde ich das ‚hörbar’ weglassen. Es ist ein wenig abgegriffen.

„Wir haben ihn gestern in seiner Wohnung gefunden. Wahrscheinlich ist er schon Mittwoch Vormittag gestorben.“

Ich bin mir auch nicht ganz sicher, würde es aber zusammenschreiben.

Liebe Grüße
barnhelm

 

barnhelm

Jetzt ist deine Geschichte rund und sie gefällt mir sehr. Die Art, wie du hier das Thema ‚Alleinsein’ und ‚Einsamkeit’ angehst, ist bedrückend und anrührend zugleich. Ein schöner Text.
Vielen Dank! Das freut mich riesig. Und um die beiden Korinthen werde ich mich noch kümmern :-)

Gruß Jane

 

Hallo Jane,

ich glaube, das ist die erste Geschichte, die ich von dir lese, die andere ist irgendwie an mir vorbeigerauscht. Was sehr schade ist, denn du schreibst toll. Ohne Schmarn, das gefällt mir total. Ich bin nicht einmal an deiner Sprache hängengeblieben oder über irgendeine Formulierung gestolpert, das liest sich alles sehr weich und flüssig.

Du hast das wirklich gut komponiert. Von der ersten Szene an. Ich hab mich ja gleich in Filou verliebt, eins meiner Lieblingswörter im Französischen ;) Nein, aber im Ernst. Als Gustav ihr mit seinem Taschentuch den Platz auf der Bank sauber wischt, da musste ich schmunzeln. So was bezauberndes. Was mir besonders aufgefallen ist, ist die Stimmigkeit der Dialoge. Ich selbst arbeite da gerade hart dran in meinem Manuskript, Dialoge sind unheimlich schwer, finde ich. Du beherrscht das hier sehr gut. Die beiden klingen authentisch, das Gespräch fließt logisch voran und beide haben einen gewissen Charme beim Sprechen. Hut ab.

Der Satz, der bei mir am meisten ausgelöst hat, ist wohl der hier: Ich wusste immer, dass er mich bedingungslos liebt und jetzt, da er nicht mehr ist, versinke ich in Bedeutungslosigkeit. Das ist unfassbar schön und traurig zugleich.

Vielen Dank für diese rührende Geschichte!
RinaWu

 

Hallo RinaWu!

Vielen Dank für diese rührende Geschichte!
Ich habe zu danken! Es freut mich sehr, dass dir mein Text gefällt und er vor allem das geschafft hat, was ich damit erreichen wollte: Emotionen hervorzurufen.

Liebe Grüße
Jane

 

Hallo jane,

ich werd auf das Problem Dativ/Akkusativ zu anlehnen die Dudengrammatik fleddern. Aber so viel oder wenig vorweg, wie's in meinem Schädel herumwandert: sich oder etwas anlehnen (etwa an) einen Baum, ist etwas anderes, als an einem Baum "angelehnt" sein, das Tun verwandelt sich durchs Partizp zum Adjektiv des etwas oder er/sie/es.

Aber wie gesagt: Ich schau da noch mal in die Grammatik,

bis dahin tschüss und bis bald

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @janehumphries,

deine Überarbeitungen haben aus der Geschichte etwas Besonderes gemacht. Ich bin begeistert. Jetzt konnte ich sie spüren, dieses Seelenverwandtschaft zwischen den beiden Menschen. Ja, das ist etwas Seltenes und dafür umso wertvoller, wenn man auf jemanden trifft, den man ein Leben lang zu kennen glaubt.
Finde ich gut, dass du ihnen etwas mehr Zeit gegeben hast, sich kennenzulernen.

Gerlinde spürt einen seltsamen Druck in der Magengegend, der sich langsam Richtung Brust ausdehnt. Sie kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sie hat Angst! Angst, wieder allein zu sein. Ohne ihn. Auf dem Heimweg kämpft sie mit den Tränen.

Ich nehme ihr das jetzt nicht nur ab, sondern fühle mit ihr.

Ich bin mir nicht ganz sicher, habe das nur vage im Kopf. Doch ich meine, dass in der alten Version bei Gerlinde Wut hochkam, als Gustav nicht mehr erschienen ist. Falls das so war, dann finde ich das jetzt besser und auch glaubwürdiger. Kann mir nicht vorstellen, dass andere Gefühle bei der Frau entstehen, als Angst oder Sorge.

Doch als sie den Park verlässt, kann sie nicht verhindern, dass sie sanft lächelt.

Schön, dass du Willis Vorschlag aufgenommen hast. Gefällt mir gut, dieses Lächeln von Gerlinde. Das zieht sich ja durch die Geschichte. Ihre Freude, ihr Lachen und steht auch in Gustavs Brief: Bewahren Sie sich Ihr Lächeln.

Eine Winzigkeit hat mich gestört - weißt ja, irgendwas ist immer. Nur eine Wortwiederholung, die du, falls du es möchtest, leicht beheben kannst.

Gerade steckt der Mann die braune Tüte umständlich in seine Sakkotasche und zupft sich die Hosenbeine zurecht, als würde er Bügelfalten richten. Eine Geste, die sie an Otto erinnert. Dann rutscht er auf der Sitzfläche nach vorne, als wolle er aufstehen.

Mein Vorschlag:
Gerade steckt der Mann die braune Tüte umständlich in seine Sakkotasche und zupft sich die Hosenbeine zurecht. Eine Geste, die sie an Otto erinnert, der sich Bügelfalten richtet. (...)

Kannst dir auf die Schulter klopfen, Jane. Super Arbeit, hab mich gefreut.

Lieber Gruß
Tintenfass

 

Liebe janehumphries,

schööön! Es war eine gute Geschichte, aber jetzt finde ich sie großartig!

Viele Grüße

Willi

 

Liebe janehumphries,

Einsamkeit im Alter, das ist ein starkes Thema, über das sich wohl jeder so seine Gedanken macht. Was passiert mit mir, wenn die Freunde wegziehen, die Kinder aus meinem Leben zunehmend verschwinden? Was, wenn mein Partner stirbt? Wir werden alle immer älter, leben länger, Einsamkeit im Alter betrifft viele Leute, auch Gerlinde und Gustav.

Ich finde deine Geschichte sehr schön. Dein Stil passt zu der Thematik, es wirkt authentisch, wie aus einem Guss. Bei solchen Geschichten besteht ja auch immer die Gefahr, zu kitschig zu werden, aber du überschreitest diese Grenze meiner Meinung nach nie.

„Zusammen sind wir nicht mehr so allein“, sagt sie leise.
Er sieht sie lange an. Seine Hand erwidert den Druck. Einige Zeit sitzen sie so da und keiner von beiden sagt etwas.
"Wissen Sie, was das Schlimmste ist?", fragt sie ihn schließlich. Erwartungsvoll hebt er die Augenbrauen.
"Seit Ottos Tod fühle ich mich wertlos. Ich wusste immer, dass er mich bedingungslos liebt, und jetzt, da er nicht mehr ist, versinke ich in Bedeutungslosigkeit."

Hier bist du knapp am Kitsch vorbeigeschrammt, und kurz dachte ich: "Na, jetzt kommt das Happy End, Liebe und Zweisamkeit bis zum Ende in der Seniorenresidenz." Aber dann die bittersüße Wende, die Nachricht von Gustav. Das hast du schon gut gelöst. Und in gewisser Weise gibt es doch ein Happy End, ein Lächeln nach dem erneuten Verlust. Das ist manchmal schon viel wert.

Noch ein paar Anmerkungen zum Text:

Halb dahinter verborgen betrachtet sie den Mann, der wie jeden Nachmittag auf der Parkbank sitzt, einen viel zu großen schwarzen Hut sitzt schief auf seinem Kopf.

Ich glaube, hier ist dir ein bisschen was durcheinandergeraten.

Sie lächelt ihn freundlich an und merkt verwundert, dass das Lächeln ihre Augen erreicht.

Kann man sowas selbst an sich beobachten? Du meinst sicher, dass das Lächeln wirklich von Herzen kommt, aufrichtig ist, aber das wird dem Leser vorher schon deutlich. Würde ich einfach rausnehmen.

Sie lacht: „Da haben wir doch tatsächlich dieselben Initialen!“

Das ist herrlich verschroben, gefällt mir. Das zeichnet den Charakter wirklich gut. ;)

„Er hat gesagt, der Zufall sei ein Pseudonym, dass der liebe Gott wähle, wenn er inkognito bleiben wolle.“

das

Sie hat nach München geheiratet.

Sagt man das so? Habe ich noch nie gelesen.

Von Gustav keine Spur. Komisch! Wo mag er nur sein? Sie setzt sich und wartet.

Das ist so Spannungsmache. Das hast du nicht nötig. ;)

Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie ihn an. Wer ist der Kerl? Und warum trägt er Gustavs Hut?

Hier dasselbe.

Eine schöne Geschichte. Hat mir sehr gefallen, Jane.

Liebe Grüße
gibberish

 

Hallo janehumphries,

an mir ist die Geschichte vorbeigerauscht. Schreibtechnisch ist nichts auszusetzen. Aber inhaltlich finde ich es ziemlich langweilig. Da erleben zwei Leute ihren dritten Frühling und dann ist einer tot. Dieser Plot wurde konstruiert und erzählt, wie aus dem Leben gegriffen und das Leben ist in der Regel nicht literarisch ansprechend. Mir fehlt etwas in der Geschichte, das mich mitreißt, überrascht oder mir zumindest etwas zum Nachdenken gibt.
Der Stil ist gut lesbar, was einerseits für handwerkliches Können spricht, andererseits gegen eine deutlich individuelle Handschrift.
Mein erstes Fazit: Entweder inhaltlich aufmöbeln, oder besser konstruieren; in die Richtung, dass beim Leser das Gefühl entsteht, er möchte, dass die beiden ihr Glück finden, bevor die Wende rein knallt. Und dann richtig!

Ein Punkt, der mich sehr gestört hat: Die Figur Gustav ist ein beinahe parodistisches Abziehbild des Clochards. Die Kleidung, sein Verhalten, sein Schicksal - selbst die Papiertüte, mit dieser Klischee Sammlung sinkt der Text auf das Niveau von Trivialliteratur.
Was den Autoren solcher Figurenbilder wahrscheinlich nicht bewusst ist: Sie spiegeln die Arroganz der sich überlegen fühlenden Klasse wider, wenn einfach in den Fundus bekannter Rollenbilder gegriffen wird, und damit die Individualität der einzelnen Schicksale und Personen ignoriert wird. Das hat den Beigeschmack des Onkel Tom Rassismus. Der soziale Verlierer wird zwar nicht unnedingt negativ dargestellt, aber alle existierenden Vorurteile werden bestätigt.

Schönen Gruß
das Kellerkind

 

Tintenfass
Danke für den Hinweis mit dem "als". Auch das habe ich deinem Vorschlag entsprechend noch geändert. Schön, dass ich dich nun erreichen kann :-)
Willi
Dass du mit dem Text und vor allem dem Schluss in seiner jetzigen Form zufrieden bist, freut mich ganz besonders!
gibberish

Ich finde deine Geschichte sehr schön. Dein Stil passt zu der Thematik, es wirkt authentisch, wie aus einem Guss. Bei solchen Geschichten besteht ja auch immer die Gefahr, zu kitschig zu werden, aber du überschreitest diese Grenze meiner Meinung nach nie.
Vielen Dank für diese lieben Worte! Es war mir auch tatsächlich sehr wichtig, den Kitsch zu vermeiden und dabei trotzdem das Besondere, Magische der Beziehung herauszuarbeiten. Eine Liebe, die sich über die Zeit aufbaut, aus der jeder der beiden viel für sich herauszieht, die sie aber nicht zusammen ausleben. Sie verbleiben auf der Ebene des Platonischen, ob man das nun als vertane Chance empfinden mag oder nicht.

Deine Änderungsvorschläge habe ich (fast) alle umgesetzt. Nur bei dem Lächeln, das die Augen erreicht, konnte ich mich (noch) nicht durchringen. Das ist für mich so eine Art Leitmotiv und ich weiß nicht, ob ich es an dieser ersten Stelle, an der es auftaucht, opfern möchte. Auch wenn ich durchaus verstehe, was du meinst.

Sie hat nach München geheiratet... Ob das in allen Landstrichen ein gängiger Satz ist, kann ich schwer beurteilen. Bei uns in Bayern ist das sozusagen Standard und das nicht nur bei Großstädten, sondern auch bei richtig kleinen Käffern :-)
"Was ist eigentlich aus XY geworden?" - "Die hat nach Hinteroberdupfing geheiratet."
Immerhin wusstest du, was Gerlinde damit meint. Das ist ja schon mal was!

Liebe Grüße
Jane

 

Hallo Kellerkind!

Vielen Dank für deinen Kommentar!

Mir fehlt etwas in der Geschichte, das mich mitreißt, überrascht oder mir zumindest etwas zum Nachdenken gibt. [...] Entweder inhaltlich aufmöbeln, oder besser konstruieren; in die Richtung, dass beim Leser das Gefühl entsteht, er möchte, dass die beiden ihr Glück finden, bevor die Wende rein knallt. Und dann richtig!
Das ist schade. Gerade, dass mein Text dir nichts zum Nachdenken gibt, ist bei der gewählten Thematik natürlich nicht in meinem Sinne. Aufmöbeln werde ich dennoch nichts wie du es dir wünschst. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil das bei dieser speziellen Geschichte meiner Meinung nach die Holzhammermethode wäre. Auf Teufel komm raus dem Leser eine drüberziehen wollen. Das würde den Protagonisten nicht gerecht werden. Ich schlage in meiner Geschichte ganz bewusst "die leiseren Töne" an, um die Zartheit der Beziehung zu unterstreichen.
Du findest, dass das Leben keine lesenswerten Geschichten schreibt, und in vielen Fällen hast du sicherlich recht. Aber es gibt sie aus meiner Sicht eben doch und für mich ist die Geschichte von Gerlinde und Gerhard - die im Übrigen rein fiktiv ist - zumindest absolut erzählenswert, auch ohne dabei die Actionkeule rauszuholen.

Ein Punkt, der mich sehr gestört hat: Die Figur Gustav ist ein beinahe parodistisches Abziehbild des Clochards. Die Kleidung, sein Verhalten, sein Schicksal - selbst die Papiertüte, mit dieser Klischee Sammlung sinkt der Text auf das Niveau von Trivialliteratur.
Was den Autoren solcher Figurenbilder wahrscheinlich nicht bewusst ist: Sie spiegeln die Arroganz der sich überlegen fühlenden Klasse wider, wenn einfach in den Fundus bekannter Rollenbilder gegriffen wird, und damit die Individualität der einzelnen Schicksale und Personen ignoriert wird. Das hat den Beigeschmack des Onkel Tom Rassismus. Der soziale Verlierer wird zwar nicht unnedingt negativ dargestellt, aber alle existierenden Vorurteile werden bestätigt.
Mit diesem Teil deiner Kritik kann ich gar nichts anfangen. Ich finde sie ehrlichgesagt sogar etwas anmaßend. Du reihst hier Allgemeinplätze aneinander, sprichst mit moralisch erhobenem Zeigefinger von Arroganz und Rassismus, was weder mir als Autorin noch meinem Text gerecht wird. Du hast die Geschichte zwar gelesen - anscheinend noch die alte Version - aber hinter die Kulissen geblickt hast du nicht. Ist ja auch okay. Nachdem sie dich gelangweilt hat, wolltest du dich vielleicht nicht mehr genauer damit auseinandersetzen. Kein Problem!

ABER:
Gustav ist eben kein Clochard, weder als Abziehbild noch in sonst einer Form. Er ist arbeitslos, nicht aber obdachlos, sondern hat eine Wohnung, in der er sich aber einsam fühlt. Alle Abschnite, die auf eine mögliche Ungepflegtheit oder Abgerissenheit hingedeutet haben könnten, habe ich gestrichen. Was verbindet ihn jetzt also noch mit einem Clochard?
Nichts! Dass er trinkt, reicht nicht aus. Ja, Gustav hat ein Alkoholproblem, das aber nicht mehr so schlimm ist, wie es bereits war. Er schämt sich für seine Trinkerei, deswegen versteckt er das Offensichtliche unbeholfen in einer Tüte. Er hätte auch etwas anderes benutzen können. Wenn du in deinem Umfeld schon einmal mit alkoholkranken Menschen zu tun hattest, weißt du, dass das heimliche Trinken ein wichtiger Teil dieser Krankheit ist. Der verzweifelte Versuch zu verbergen, was ohnehin jeder weiß. Natürlich könnte Gustav sich auch auf die Bank setzen und ohne jede Scheu einen Flachmann oder eine Flasche Bier nach der anderen in sich hineinkippen. Scheiß drauf, was die Leute denken! Das entspricht aber nicht seinem Charakter.

Du wirfst mir vor, mit meinem Text Vorurteile zu bestätigen, verkennst aber anscheinend, dass gerade Gerlinde sich entschieden gegen alle Vorbehalte oder mögliche Warnungen anderer stellt, indem sie sich überhaupt zu Gustav setzt. Es interessiert sie nicht, dass da ein Wildfremder auf der Bank sitzt, der noch dazu ein Alkoholproblem zu haben scheint. Sie fühlt sich durch irgendetwas zu ihm hingezogen, irgendwie erinnert er sie an ihren verstorbenen Mann, und schon wirft sie alle gesellschaftlichen Konventionen über Bord und spricht ihn an. Ohne Gerlinde und ihre Offenheit, ohne ihren Kampf gegen ebendiese Vorurteile, wäre diese Freundschaft nie entstanden.

Die ganze Geschichte dreht sich doch um das individuelle Schicksal der beiden, das sie zu dem gemacht hat, was sie sind: eine Frau ohne jedes Selbstwertgefühl, die sich nutzlos fühlt und auch nach fünfzehn Jahren den Tod ihres Mannes noch nicht verwunden hat, und ein einsamer Mann mit Alkoholproblem, der fast alles verloren und dennoch die Kraft hat, seiner neuen Bekannten ein bisschen Lebensmut zu geben, ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, das aus ihrem Leben verschwunden war. Wie kannst du mir da vorwerfen, ich würde die Individualität der einzelnen Schicksale und Personen ignorieren? Entschuldige bitte, aber das passt für mich hinten und vorne nicht zusammen.

Andererseits forderst du den großen Knall. Die beiden sollen ihr Glück finden, damit es dann mit großem Kawumm! wieder zerstört wird. Mit Verlaub, das wäre nun wiederum mir zu klischeehaft. Am Ende stünde dann wahrscheinlich der Selbstmord der psychisch ohnehin schon labilen Gerlinde oder Ähnliches. Sorry, aber das würde meinen Figuren, so wie ich sie mir erdacht und mir vorgestellt habe, nicht gerecht. Ich mag Stories, in denen viel passiert, die unerwartete Wendungen haben und den Leser atemlos zurücklassen, weil er nicht fassen kann, was da gerade geschehen ist. Bei meinem Text und der darin verarbeiteten Thematik erschien es mir persönlich aber unangebracht, so auf die Kacke zu hauen.

Liebe Grüße
Jane

 

Hallo janehumphries,

ich bin leider Gottseidank nicht gleich zum Kommentieren gekommen. Und siehe da, jetzt steht hier eine schöne, ergreifende und richtig stimmige Geschichte. Ja, hier kriegt man gute Unterstützung und kann dazulernen.

Ich nehme an, du schreibt schon eine ganze Weile. Und du hast dabei oft das Bedürfnis gehabt, etwas zu erklären, zu verdeutlichen, genau wie ich (Berufskrankheit?;) Meist kommt es daher, dass man sich selber noch nicht zutraut, dem Leser die Deutungshoheit zu überlassen. Man will ja doch "richtig" verstanden werden.

Und dann die Darlings. Loslassen ist schwere Arbeit, beim Schreiben wie im Leben. Zum Glück gilt hier im Forum die Devise:

MAN MUSS NUR NEHMEN ODER LOSLASSEN; WENN MAN DAVON ÜBERZEUGT IST:

He, ich wollte das gar nicht in Großbuchstaben schreiben, aber jetzt, wo es so dasteht, gefällt es mir irgendwie.

Einen kleinen Stolperer habe ich ich noch gefunden (aber denk an die Devise!):

"Ist neben Ihnen noch frei?, fragt sie.
Ihr Gegenüber starrt sie aus leicht geröteten Augen fragend an.

Wie wär's mit unsicher oder abwartend?

Sehr gute Geschichte.

Herzliche Grüße und viel Glück bei der Abstimmung.
wieselmaus

 

Hallo wieselmaus!

Vielen Dank für deine lieben Worte! Auch die Devise gefällt mir sehr und in Großbuchstaben finde ich sie genau richtig. Das ist so ein Satz, den ich mir vielleicht über den Schreibtisch hängen sollte, um mich immer gleich von vornherein daran zu erinnern, dass ich dem Leser die Deutungshoheit überlassen darf und soll.
Und ja, bei mir ist dieses Erklärende definitiv eine Berufskrankheit! :-)

Den Stolperstein habe ich beseitigt. Das "fragt sie" habe ich einfach gestrichen. Ergibt sich ohnehin aus dem Text, wer da spricht. Man muss auch mal loslassen können ;-) Danke für den Hinweis!

Liebe Grüße
Jane

 

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