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online-hilfe.com
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"Heutzutage ist doch jeder im Netz." Das hab ich gewusst. Aber völlig ernst genommen hatte ich es bis jetzt noch nicht. Jedenfalls nicht in dieser Konsequenz.
Neugierig starte ich meinen Rechner. Das könnte die Lösung meiner Probleme sein. Und dann muss ich damit niemandem gegenübertreten. Die Seite ist erstaunlich leicht zu finden. Wenn man erst weiß, dass es sie gibt.
Ich klicke mich durch die Seitenstruktur und bleibe am Menüpunkt 'Soforthilfe' hängen. Das Eingabeformular öffnet sich und ich starre eine Weile unschlüssig darauf.
‚Name' Es widerstrebt mir immer, meinen Namen im Internet anzugeben. Aber das Wort wird von einer kleinen Eins über dem 'E' geziert. Ich scrole nach unten und finde die ultrakleingedruckte Erklärung: ‚Für die Bearbeitung Ihrer Anfrage und zur Bereitstellung unseres Services ist es erforderlich, einen Namen anzugeben. Es muss sich dabei nicht um ihren Taufnamen handeln. Erlauben Sie uns aber, Sie mit einem Namen anzusprechen, zu dem Sie eine persönliche Beziehung haben.' Ein Schmunzeln kann ich mir kaum verkneifen. Mit so viel Umsicht und Höflichkeit habe ich nicht gerechnet. Bei gewöhnlichen Seiten steht da nur: ‚Pflichteingabe'. Aber dieser Service ist ja auch alles andere als gewöhnlich.
Ich rolle mich mit meiner Maus wieder rauf zu dem Feld und halte noch einen Moment inne. ‚Thomas' schreibe ich dann und habe das unbestimmte Gefühl, dass das etwas über mich aussagt. Und immerhin ist es nicht mein richtiger Name, also brauche ich mir keine Sorgen zu machen. So richtig kann ich ja ohnehin nicht daran glauben, dass das hier funktioniert. Aber was versucht man nicht alles, um sich aus der Bredouille zu ziehen.
‚Anschrift' Schon wieder ein Zögern und die Suche nach der Erklärung der kleinen Zwei. ‚Eine Angabe ist nur erforderlich, wenn Sie einen Hausbesuch wünschen.' Auf gar keinen Fall! Ich überspringe das Feld und rutsche weiter nach unten.
'Konfession', na damit musste ich wohl rechnen. Die Auswahl verblüfft mich aber dann doch. ‚Ja / Nein / Vielleicht', so wie in der Schule. Ich kann mich nicht mal zwischen den drei Alternativen entscheiden. Also setze ich den Punkt bei ‚Vielleicht', denn ich denke, dass das meiner Geisteshaltung am ehesten entspricht. Der Grund eigentlich, aus dem ich hier bin.
‚Weiter' Ja, ich klicke spontan auf die Schaltfläche, denn ich kann mir in dem Moment nicht vorstellen, dass ich das nicht will. Während die Seite sich aufbaut, frage ich mich dann doch noch schnell, ob ich das richtig gemacht habe. Wer weiß, was mich da erwartet und jetzt haben die schon meine Daten. Ich mache mir keine Sorgen, als ich mir ins Gedächtnis zurückrufe, was ich in das Formular geschrieben habe. ‚Thomas' und ‚Vielleicht' ist alles, woran ich mich noch erinnern kann. Also macht das nichts.
Die neue Seite wird von einer leicht schillernden Überschrift geziert: ‚Herzlich willkommen, Thomas' auf einem hellblau-weißen leicht wolkigen Hintergrund, der mich entfernt an die Standardoberfläche von Windows erinnert. Einen gewissen Verdacht hatte ich ja immer schon, was Bill Gates betrifft. Aber dass das so öffentlich ist, war mir nicht bewusst.
Darunter ein großes weißes Feld, das auf meine Eingabe wartet. Jetzt also kommen wir zum schwierigen Teil. Und schon wieder überkommt mich diese Unsicherheit. Noch unentschlossener kann man ja kaum sein. Ich verfluche mich mit leiser Stimme und das bringt mich in direkter Konsequenz dazu, meine Augen vom Bildschirm abzuwenden. Manchmal habe ich auch so gar kein Benehmen, ich muss es zugeben.
Aber die Pause hat das Problem nicht im Entferntesten verschwinden lassen. Der Cursor lauert weiterhin auffordernd in der oberen Ecke des weißen Feldes. Ich lese jedes einzelne Wort auf der Seite noch einmal, um auch ganz sicher zu sein, dass ich nichts Wichtiges übersehen habe. Außerdem hoffe ich, dass ich irgendwo noch eine Hilfestellung bekomme.
Das Internet ist manchmal geradezu erstaunlich. Ich stoße tatsächlich auf ein kleines blau leuchtendes Fragezeichen. Ich öffne das Fenster. ‚Sie benötigen Hilfe? Klicken Sie auf das Alpha und generieren Sie zufällig ausgewählte Satzanfänge, die ihnen den Beginn erleichtern sollen.' Ja, aller Anfang ist schwer. Das wird helfen. Frohen Mutes klicke ich und lande wieder im Eingabefenster. Aber Gott sei Dank ist dies nun nicht mehr leer und einschüchternd, sondern von einem angemessenen Satzanfang geziert.
‚Ich muss zugeben, dass...' Ich finde eigentlich gar nicht wirklich, dass ich etwas zugeben muss. Aber irgendwas muss ich jetzt auch dahinschreiben.
‚Ich muss zugeben, dass ich sehr unsicher bin.' Und schon wieder stecke ich fest. Es ist zwar die Wahrheit, aber Weiterbringen tut es mich nicht. Also generiere ich noch einen Satzanfang. Dann noch einen und noch einen.
Beim vierten Mal kann ich nicht mehr drum herum. ‚Ich muss gestehen, dass...' Das klingt so endgültig und irgendwie, als müsste ich jetzt Farbe bekennen. Nach ein paar weiteren, sehr holprigen Sätzen, komme ich endlich in Fluss und als ich nach fast einer halben Stunde wieder aufsehe, habe ich das Gefühl echter Erleichterung. Nicht, weil mir jemand etwas abgenommen hätte, denke ich, es ist ja nur eine Website, aber darüber, dass ich es hinter mir habe. Ich klicke auf ‚abschicken' und beobachte gespannt, wie sich langsam eine neue Seite aufbaut, wieder mit denselben Wolken. Ich muss ja zugeben, irgendwie hat das wohl schon einen Zusammenhang. Ein kursives ‚Bitte haben Sie einen Augenblick Geduld. Schließen Sie dieses Fenster nicht, bevor Sie dazu aufgefordert werden.' bewegt sich langsam über den Hintergrund. Ich sitze also still und warte.
Warten ist wie Folter. Ich muss an all die Dinge denken, die ich in das Formular geschrieben habe. Daran, wie ich sie Jahre zuvor auch getan habe. Und schließlich und endlich daran, dass jetzt ein neuer Abschnitt anfangen soll. Ist es nicht dafür gedacht? Habe ich das dafür nicht getan? Um neu anzufangen?
Bevor ich eine allgemeingültige Antwort gefunden habe, die wahrscheinlich das Universum, zumindest aber mich verändert hätte, piept mein Rechner Aufmerksamkeit heischend. Eine Antwort formt sich aus dem Wolkenhintergrund heraus, wie ein Schatten, der sich materialisiert. Als hätte ich jemals einen Schatten gesehen, der sich materialisiert. Na ja, zu viel Fernsehen. Zu wenig echtes Leben. Das hätte ich wohl auch noch hinschreiben sollen. Egal.
‚Lieber Thomas, Ihre Anfrage wurde bearbeitet. Unser Service erfordert zum vollständigen und erfolgreichen Abschluss noch einen weiteren Akt Ihrer eigenen Mitwirkung. Bitte lesen Sie den unten folgenden Text so oft laut vor, wie er erscheint. Danach ist die Prozedur vervollständigt.
Wir hoffen, Sie besuchen uns bald wieder. Wir stehen Ihnen mit unserem Service gern jederzeit zur Verfügung und hoffen, dass es sich bei Ihren zukünftigen Problemen nicht um schwerwiegende Angelegenheiten handelt.'
Während ich die letzten Zeilen lese, mit ein wenig Verwunderung zugegebenermaßen, formen sich darunter mit ein wenig Abstand neue Zeilen.
‚Vater unser im Himmel...'