Hallo dot,
Ich habe dein Stück Schnur schon zig mal gelesen und immer wieder gedacht, jetzt schreib ich was dazu, und dann, pfff.
Freut mich, dass du es dann doch gemacht hast. Ich finde immer noch, dass es schön ist, wenn man eine Rückmeldung gibt, nachdem man eine Geschichte gelesen hat.
Was mir an ihr so gefällt, ist eindeutig der Erzählstil, dieses Charakterskizzieren durch die indirekte Rede.
"Es sei, so sagte er, ..."
Auch die versteckten Details, wie die Plastikblumen oder "schaue aber nur den Wohnungsmarkt durch." sind Wegbereiter für die eigene Vervollständigung des Gesamtbildes.
Das freut mich, ich denke darum geht es bei den sehr kurzen Geschichten ja auch, dass sie im Leser irgendwie „aufgehen“.
Hier kommen natürlich mehrere Interpretationsvarianten in Frage: Hat er selber Schuld auf sich geladen oder trägt nur das Wissen über eine durch seine Absolution getilgte Sünde mit sich rum. Tja, wer frei von Schuld, der möge ... hrhr.
Das freut mich, wenn das klappt. Der „Pfarrer“ ist eine der Figuren, bei denen ich hoffte, dass sie dann – durch diese Anspielung – größer werden als sie im Text eigentlich sind. Dass der Leser eben was zu tun hat.
Klar, wenn man den Tod personifiziert, kann er nicht überall gleichzeitig sein, aber warum wird Gevatter Tod hier so ortsgebunden dargestellt? Wer holt denn an seiner Stelle die alten Leute aus dem Sanatorium raus? Obwohl das ein witziger Hieb auf unsere moderne Zeit ist, in der wir mit Medikamenten und immer neuen Behandlungsmethoden dem Tod seinen Futternapf hinausschieben, ging dieser Teil für mich nicht ganz auf.
Das ist ja ohnehin eine bestimmte Setzung „Der Tod als Sensenmann“, der personifizierte Tod. Da könnte man – und das haben sicher auch viele schon - in verschiedene Richtungen gehen. Ob man sagt: Jeder Berufsstand hat einen persönlichen Tod oder wie hier „jedes Dorf“ eben.
Für mich als Idee war hier auch da: Der Tod gehört eben mit an den Tisch, mit zu der Gemeinschaft dort. Wirt, Pfarrer, Lehrer, Tod.
Ich hatte schon mal eine ähnliche Geschichte, da war es statt dem „Tod“ eine Art Naturgeist, der so ein Dorf hatte. Es ist natürlich heute schon eine eher abwegige Idee, Dörfer und Orte als so eine Art Insel-System zu betrachten mit einem eigenen Tod. Natürlich ist es absurd zu sagen: Der allmächtige Tod ist nicht in der Lage, weiter als bis zur Dorfgrenze zu schlendern.
Aber wenn man es anders betrachtet: Wir sind im Jahr 2012, unterhalten uns über eine komplexe Maschinerie, von der wir keine Ahnung haben, wie sie funktioniert, und reden über eine mit Bedeutung aufgeladene halb-religiöse/halb-kulturelle Figur wie den „Sensenmann“, der aus einer ganz anderen Zeit und Geisteshaltung entspringt. Allein die Figur eines „Sensenmanns“ ist ja schon absurd, aber so schön stark und bildlich. Da dann halt einen ortsgebunden Tod daraus zu machen – ich brauchte es für die Geschichte.
Gruß
Quinn
Hallo Anakreon,
Das beinah Utopische an dieser Definition amüsierte mich, es liegt Besänftigendes darin, als könnte es dem Sprecher den Schrecken nehmen, den er anscheinend empfindet.
Ja, das finde ich sehr gut. Jo schreibt später auch noch was zum Lehrer. Wenn man so will: Stehen wir nicht ratlos davor und versuchen uns mit dem Intellekt zu beruhigen? Also schützt das Wissen um das Schicksal der Ophelia denn vor so einer Tragik. Ich denke schon, dass der Lehrer das hier auch zu sich selbst sagt, um sich zu beruhigen.
Ich kann das erklären, es ist nicht so schlimm, denkt an Ophelia.
Da kam ich partout nicht dahinter, wie bei einem Menschen verwaschen schwarze Haare aussehen. Vielleicht ist es dieser stumpfe Farbton, der kraftlos und matt wirkt? Und gleich ein paar Muttermale, zentral platziert. Das Bild, das ich mir als Leser da mache, korrespondiert da nicht so recht mit ihrer Fröhlichkeit – aber dies ist natürlich mein Vorurteil zu ihren Äusserlichkeiten. Ihre Wesensart kann ja ganz anders sein.
Ja, stumpf – verwaschen schwarz/stumpf. Das ist ja mit solchen Bildern häufig so, dass es in den Geschmacksbereich reingeht. Ich könnte mich mit „stumpfem Schwarz“ auch anfreunden. Ich glaube „Verwaschen“ gefiel mir durch die Nähe zu der Fotografie und dem Wassertod und dass es so etwas hat, als würde man ein Foto betrachten. Die Muttermale – das muss ja nicht einen Menschen gleich entstellen. Es sollte deutlich werden hier: Sie ist keine Bilderbuch-Schönheit.
Eine merkwürdige Geschichte. Das Widerwillige zeigt sich eigentlich nur als die Vorstellungen in den Köpfen der Beteiligten, die es dem Leser suggerieren. Desungeachtet nahm ich es vergnüglich war, irgendwie unvollendet, aber dennoch lesenswert.
Das klingt sehr gut. Es ist schon eine ungewöhnliche Geschichte, denke ich auch, durch diesen Mockumentary-Stil.
Danke dir für deinen Kommentar
Quinn
Hallo Juju,
Ist halt auch so eine Kurzgeschichte … das hab ich dir glaub schon mal gesagt, die wirkt sehr abgerundet hier. Wie beim Weinverkäufer auch. Ich muss immer wieder an deine Metapher denken, Punkte und Bilder und Strecken und Striptease und so. Das ist so ein Bild mit einem schönen Striptease, denk ich mir.
Ich hab mir mal eine Weile vorgenommen, solche Geschichten zu schreiben. Kurz, Erzählstil, rund.
Ist auch schon wieder her, bin davon bisschen ab.
Auch wie das aufgeabut ist … da fängt man mit einer Leiche an, und dann ist es auch noch ein totes Mädchen, und man fragt sich natürlich, warum sie gestorben ist. Klassischer gehts nicht mehr, oder? Und dann kommen hier nach und nach die verschiedenen Stimmen zu Wort. Der Pfarrer meint dies, und ihr Leherer das …
Und sehr schön: was die Leute sagen. Hätte alles werden können, sagt man. So die Dorfleute halt. Das ist wie im Kirimi. Wer war's?
Und dann die Wendung: Hier spricht der Tod höchstpersönlich.
Jo. Ich hab mich in den ersten Satz verliebt und von da ging es dann weiter. Aber so ist die aufgebaut, klar.
Danke dir für den Kommentar
Quinn
Hallo herrlollek,
ich traue mich meistens gar nicht, deine geschichten so zu loben, wie sie es verdient hätten, gelobt zu werden. Irgendwie ist das schon eine andere Liga, was du so veröffentlichst. Da steckt so viel Liebe drin, dass man fast verrückt davon wird. Wie bekommt der das hin, denkt man. Mensch, wenn ich dann schreibe, was ich denke, sieht es aus, als würde ich mir erhoffen, gute Kritiken zu erschleimen.
Man muss da auch bisschen aufpassen. Ich kommentiere viel und beeinflusse dann andere Leute mit meinen Vorstellungen, welche Geschichten ich lesen möchte, und dann geht das so zurück auch.
Aber ist natürlich sehr schön, solche Kommentare zu lesen, klar.
Vielen Dank
Quinn
Hey Jo,
Voll traurig. Das war wahrscheinlich das Highlight in seinem Leben, nicht nur seinem Anglerleben. Ihr Tod wird seine Anekdote
Ja. Ist Wahnsinn, oder? Wenn man Leuten zuhört, was sie erzählen, und was da eigentlich dranhängt –wenn man versucht das in Relation zu setzen, wird man ja bekloppt. Novak sagte zu der Geschichte auch schon, dieses „Schad um sie!“ – was da dran hängt. Und hier setzt sich einer hin und erzählt jedem diese Geschichte.
Es gibt bei „From Hell“ mit Johnny Depp und Robbie Coltrane (dem Dicken, der großartig als Cracker war, den aber jeder nun als Hagrid kennt) eine Szene, da sagt der Dicke sinngemäß: Sie wissen doch, was aus Ihnen wird? Sie werden zu so einem Verlierer, der jedem das Ohr vollweint, dass er nicht das Mädchen bekommen hat, das er wollte. Die Leute im Pub werden anfangen, sich von ihnen wegzusetzen.
Daran hab ich gedacht, glaub ich. Das halt das Intellektuelle und das Abstrakte (also die Figur, die Depp spielt, hat da moralische Konflikte und ist sensibel) in einer anderen Sicht darauf zusammenschrumpft, was man sich abends in der Kneipe erzählt, wenn das wirkliche Leben anfängt.
Das sind halt so Ideen, die irgendwie bleiben und immer wieder auftauchen.
Letzlich schrumpft es darauf zusammen, was man erzählt, wenn man in einer Kneipe sitzt oder was man jemandem erzählt, den man frisch kennenlernt.
Wobei ich hier dachte, ob der Dorflehrer zu dem Rest passt, seine Aussagen klingen wenig dorflehrer-artig. Klingt mehr nach Sekundaerliteratur. :P Er scheint schon fast zu intellektuell fuer die Geschichte oder das Dorf (oder es ist ein Vorurteil meinerseits). Man ist sonst nicht gewoehnt von Literatur in einer Geschichte zu lesen, es hat ne gewisse Metaebene, die dann mich als Leser aus der Geschichte wirft. Aber wie gesagt, hat mich jetyt auch nicht so sehr gestoert.
Ja, ist mir klar geworden,a ls du das geschrieben hast. Das Spannende ist ja: Auch wenn er es weiß, es ändert nichts. Die Analyse ändert nichts an der Situation.
Ich hab neulich mrogens einen Vortrag auf 3sat gesehen: Professor Burke oder so, Soziologe, brillanter Vortrag über das Bildungssystem in Deutschland im Vergleich zu den USA, Migration, Aufstiegsmöglichkeiten, desaströse öffentliche Schule, Privatkindergärten in Berlin – war wirklich brillant, hab da zugehört und genickt, gedacht: Das ist einer dieser Leute, von denen ich da bei Focks geschrieben hab, die Elite, die alle Probleme schon klären wird, während ich Schweinsbraten mit Kroketten esse und darauf warte, dass die Eintracht implodiert.
. Dann kam er zum Ende und meinte so: Um das zu ändern, wäre eine gesellschaftliche Debatten nötig. Und ging ab.
Ich will damit sagen: Der Intellekt, der hier durch den Lehrer dargestellt wird, kann ein Problem vielleicht analysieren, dadurch wird es aber nicht geringer. Der Lehrer ist reflektiert, aber ohnmächtig wie die anderen Figuren.
Das ist so ein Typ, bei dem Frauen ihre Jaeckchen zusammenziehen oder die Arme verschraenken, so um den Busen zu schuetzen, weil er einen komisch anschaut.
Ja. Schönes Bild. Ich mein: Kellnerinnen werden doch so gesehen, oder? Das ist schon arg, wenn man das mal beobachtet, wie da getätschelt wird und was da für Sprüche kommen. Eine meine ersten Freundinnen hat, während der Abizeit, in einem Restaurant da ausgeholfen, um sich was dazu zu verdienen. Ich hab zu der Zeit für die Zeitung geschrieben, um bisschen Geld zu verdienen.
Einem von uns beiden wurde halt nicht der Hintern getätschelt.
Ja, das mein ich. Der passt irgendwie nicht zum Dorf und auch nicht zu Geschichte, der ist fast schon ne Meta-figur, er interpretiert die Geschichte, leitet jedenfalls den Leser zu einer bestimmten Interpretation der Geschichte.
Ja. Ich hab da auch an Lehrer aus meiner eigenen Schulzeit gedacht, bei denen man als Kind denkt: Wow, ist der klug. Und später, kriegt man halt so einen anderen Blick, dann denkt man: Der ist so gebildet und gibt Deutschuntericht für 15jährige auf dem Dorf. Jedes Jahr das gleiche. Das war hier so eine Idee bei der Figur „Hätte alles werden können, sagt man.“
Das ist doch bei Lehrern auch spannend. Es gibt sicher viele, die aus der Pädagogik kommen und wirklich Kinder heranwachsen sehen und fördern wollen. Es gibt aber auch – so Lehrer hab ich kennengelernt, grade Geisteswissenschaftler – dann ganz andere, die „nur“ Lehrer geworden sind.
Wir waren mal in der Schulzeit an so einem Uni-Schnuppertag und meine Gemeinschaftskundelehrerin hat sich mit einem Soziologe-Professor dort angelegt nach einem Vortrag und eine Abfuhr von dem bekommen (vor ihrer Klasse), dass mir heute noch schwindelig davon wird.
Gott, heute bin ich aber am rumlabern.
Ich will sagen: Lehrer ist eine echt spannende Berufsgruppe! Der hier ist sicher auch eine Meta-Figur, aber, ich denke, auch so eine spannende Figur in der Geschichte. Ist mein Liebling.
Der Pfarrer ... hatte der ne Affaere mit der Mutter? Ist das seine Tochter? Also, ich habs so fuer mich interpretiert.
Ich hatte beim Schreiben diese Idee, ja. Zumindest dass er die Mutter begehrt hat und hier noch mal über sein Leben nachdenkt. Vielleicht hat er als „Seelsorger“ versagt. Vielleicht war die Tochter bei ihm, vielleicht hat er ja gesehen, dass sie Schwierigkeiten hatte, hat aber nichts gemacht. Ich hab’s dann aus der Geschichte rausgelassen. Es sollte nur klar werden: Es geht ihm sehr nahe. Irgendwas ist da.
Da hab ich mich schon gefragt, wer wir ist, also wer ist der Erzaehler, ist das einfach so eine Stimme aus dem Off, so eine Dorfstimme, keine richtige Figur, aber so ein moderner, omnipraesenter Erzaehler.
Ja. Eine Dorfstimme. Eine höhere Entität, wenn man so will. Der einzige, der seine Hand in den Fluss steckt, in der Geschichte, oder der ihm zuwinkt, ist der Tod und das „man“, der Erzähler.
Wenn es einen ortsgebundenen Tod gibt, vielleicht gibt es dann auch einen ortsgebundenen Geist? Ein personifizierter Genius loci.
Da denkt man, ja, der kann sich ja die von dort holen, aber es geht ja gar nicht so sehr um den Tod generell, sondern um den Verfall dieses Dorfes, da passiert nichts, es ist alles ziemlich leblos, es leben irgendwie gar keine jungen Menschen dort, der einzige war das junge Maedchen, das nun tot ist. Alle anderen waren schon vor ihrem Tod todungluecklich.
Der Professor hat das in dem Vortrag auch so gesagt z.b. Dass es Gegenden in Deutschland gibt, aus denen die jungen, „bildungsmotivierten“ Frauen wegziehen, und zurück bleibe eine „schwierige, überwiegend männliche Restpopulation“. Das ist – im Prinzip – der Hintergrund zu „Bauer sucht Frau“ und dieser faszinierenden Nummer, in der ein Bus mit unverheirateten Stadtfrauen durch die Gegend gefahren wird, und an jeder Station lernen sie „fesche Landburschen“ kennen und müssen sich entscheiden, ob sie aussteigen. „Ein Bus voller Bräute“ .
Hab gehört in China entführen sie Frauen aus Nachbarländern und verschachern sie an Single-Männer, weil durch die Ein-Kind-Politik verstärkt Mädchen abgetrieben wurden und es in China als Schande gilt ein unverheirateter Mann zu sein – „kahler Ast“, nennt man das dort.
Da sehnt man sich doch nach einem Sensenmann zurück, oder?
Danke dir für den Kommentar!
Quinn