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Nur ein Stück Schnur

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10.10.2006
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Nur ein Stück Schnur

Letzten September hat ein Angler sie unten am Fluss gefunden. Noch Wochen später hat er über nichts anderes reden können. Die Leute fingen schon an, sich in der Wirtschaft von ihm wegzusetzen.
Als der Dorfschullehrer davon hörte, sagte er: Sie sei ins Wasser gegangen. Ein sehr symbolträchtiges Bild, das sich in der Weltliteratur ständig wiederfände. Aus dem Wasser kommen wir, ins Wasser gehen wir zurück. Es sei, so sagte er, der Versuch, ein Leben rückgängig zu machen. Sich zu entleben.
Der Wirt sagte: Die Arme. Dabei war sie immer so fröhlich. Hat ja hier bedient, montags und mittwochs, oft gelacht. Und lachen konnte sie. So eine Zahnlücke und die Haare. Wirklich ein fesches Mädchen. Konnte nie still stehen. Schad um sie.
Auf Bildern sieht man die Zahnlücke, sie wächst mit den Jahren, verleiht ihr als Kind etwas Unschuldiges und Tapsiges, zur Zeit der Konfirmation sieht sie ein wenig verdorben damit aus und auf ihrem letzten Foto, mit siebzehn, hat sie ihren Mund geschlossen. Ansonsten ein dürres Ding mit wenig Busen und kaum Hüften. Wie mit der Schnur gezogen von der Sohle bis zum Scheitel. Die Haare von verwaschenem Schwarz, ein paar Muttermale unter der Nase und im Bereich des Kinns. Macht keinen sehr hellen Eindruck, aber der kann täuschen.
Der Vater sagt gar nichts. Schwarz trug er für zwölf Wochen. Aber auch dann sah man ihn nicht mehr in der Wirtschaft, nicht auf dem Fußballplatz und auch in der Kirche keine Spur von ihm. Er hat die Arbeitsstelle gewechselt, sagt man, fahre nun jeden Tag bis in die Stadt, kaufe sich jeden Morgen am Bahnhof die Zeitung, schaue aber nur den Wohnungsmarkt durch. Niemand macht ihm einen Vorwurf. Die jungen Dinger, denkt man. Da wisse keiner, was in ihnen vorgeht. Die Leute sagen: Das Internet. Das versteht ja heute keiner mehr. Der Dorfschullehrer aber sagt: Keiner kennt jemanden richtig. Das war schon immer so. Wir tragen Masken, sagt er. Ein kluger Mann. Hätte alles werden können, sagt man.
Der Pfarrer hat sich dafür eingesetzt, dass sie beerdigt werden durfte. Weil Selbstmörder eigentlich … da sind die Zeiten ja gottseidank anders, sagt man. Die Mutter kennt er noch von früher. Er darf nichts sagen, aber als er davon gehört hat, ist er in ein dumpfes Grübeln gefallen, hat mit seinen Händen immer wieder über die Tischplatte gestrichen und sich an die Brust gefasst, als hätte man ihm einen Strick ums Herz geschlungen.
Die Mutter spürte ihre Blicke, als sie den Blumenstrauß so fest hielt, dass sich der Plastikstängel in ihre Handfläche bohrte. Anrüchig, dachte sie. Als hätten wir jetzt einen Makel. Bestimmt sagen sie, mein Mann hätte sie missbraucht. Er wird es nicht schaffen, er hat sie ja so vergöttert. Ich hab immer gewusst, dass etwas nicht stimmt mit ihr. Ich hab’s immer gewusst. Da fing sie an zu weinen, und suchte die Schulter ihres Mannes, der hart und kalt war wie eine Statue. Nicht genug Trost, einen Fingerhut zu füllen.
Der Fluss schweigt. Ruhig plätschert er braun dahin. Wenn man die Hand in ihn hält, ist es ihm egal. Man kann ihm zunicken wie einem alten Freund. Seine Geheimnisse gibt er nicht preis.
In der Ecke der Wirtschaft aber sitzt zahnlos der Tod. War schon da, als wir kamen. Ist noch da, wenn wir gehen. Der Dorfschullehrer sieht ihn nicht. Der Wirt schenkt ihm nie nach. Verhungert ist er fast, seit keiner mehr im Bette stirbt. In die Stadt gehen sie. Sterben in Altersheimen und Sanatorien und lassen ihn darbend zurück. Vor ein paar Jahren mal ein Autounfall, da hat er eine Katze auf die Straße gescheucht. Mit letzter Kraft hat er sich von seinem Stuhl gehoben, sich auf die Straße geschleppt und ein Schusch-Schusch herausgebracht. Und als er dann, mit Messer und Gabel, möchte man meinen, zum Wrack des Autos geschlurft war: Nichts. Ein leerer Teller und schon bald das blaue Lärmen des Rettungswagens.
Und dann das Mädchen. Konnte nie still stehen, tippelte an ihm vorbei und ließ sich, wenn’s spät schon war, von kräftigen Händen den dürren Hintern betatschen. Es braucht nicht viel, um einen Gram zu weben, nur ein Stück Schnur ums Herz gewickelt. Und ein Seufzen, wenn die Träume fortfahren in eine andere Stadt. Bis in die Waschräume ist er ihr nachgegangen. Wenn sie vorm Spiegel stand und sich durch die Haare fuhr, ihr Spiegelbild verfluchte und den Mund zusammenkniff, dass man ihre Zähne nicht sehen konnte.
„Ach“, seufzte er dann. „Ach“, „Ach“ und nochmals „Ach“. Er hat jetzt eine andere, du warst ihm immer viel zu dumm. In der Stadt ist er, in der Stadt bleibt er und du bist hier.
Das Wasser lief ihm schon im Mund zusammen.
Und jetzt sitzt er da. Den Mund noch voll. In all seiner Pracht. Der Dorfschullehrer sieht ihn nicht, der Wirt schenkt ihm nie nach. Und wenn ihm danach ist, steht er auf, geht festen Schritts ein paar Straßen entlang und schleicht ins Schlafzimmer der Eltern, wispert Worte, seufzt einmal und schleicht weiter. Den Dorfschullehrer besucht er noch, auch den Pfarrer, den Wirt, mit den kräftigen Händen.
Und bevor er an seinen Platz zurückgeht, besucht er den Fluss. Hält eine Hand ins Wasser und nickt ihm zu, wie einem alten Freund.

 

Ach, ach, Quinn,

was für ein hübscher Schicksalsquader. Schlurft so richtig fatalistisch dahin, ein einziges Abgewinke, graugraugrau, aber viele feine Details und Nebengassen drin; das hat mir sehr gefallen.
Es sind zu viele Kommata drin, aber das ist besser als zu wenige, und richtig geschmerzt hat es nirgends; sind ja auch viele Wiederholungen drin, die prima passen.

Das hier

Als der Dorfschullehrer davon hörte, sagte er: Sie sei ins Wasser gegangen.
würde ich entweder mit Komma statt Doppelpunkt oder im Indikativ schreiben.

Darüber

Und vielleicht sagt einer von den Jüngeren etwas von Goth.
bin ich heftig gestolpert. Das klang mir völlig dämlich mit dem Goth, ruinierte kurz die Stimmung, würd ich streichen.

Hier könnt auch das Unterstrichene gut weg:

„Ach“, seufzte er dann. „Ach“, „Ach“ und nochmals „Ach“.

Ach, ach und Makita.

 

Hey Quinn!

Der Ton an der Geschichte gefällt mir sehr. Ich hatte das Gefühl, etwas Dunkles würde hinter den Worten lauern und nur auf eine Gelegenheit warten, einem eine Schnur ums Herz zu legen.

Das Mädchen gefällt mir sehr. Schön charakterisiert, mit der Zahnlücke, mit dem Mund, der offen ist, und mit siebzehn dann nicht mehr. Dürr sieht sie aus, fast wie der Tod. Natürlich gefällt sie ihm.

Auch der Tod kam wundervoll rüber. Seine Enttäuschung, seine Qual, seine Gier und am Ende die Befriedigung. Er wird ja nie gern gesehen, aber er ist doch da.

Und der Fluss ... wunderbar, wie man ihm zunickt. Wie einem Frend. Ein schönes Bild.

Ein paar Dinge haben mich irritiert. Das Internet, zum Beispiel, und "Goth". Das müsste nicht sein, finde ich, die Geschichte wäre dann freier einordenbar, so zeitlich. Dass es auf dem Land spielt, ist durch die Wirtschaft recht schnell klar. Aber es muss ja nicht heute sein, in die Stadt ist man auch früher schon gern gegangen. Oder gezogen.

Dann die Zweiteilung: Mädchen - Tod. Protagonist - Antagonist (mehr oder weniger) Mir fällt das aus dem Rahmen. Der Tod kommt ja recht spät ins Bild, verdrängt dann aber buchstäblich das Mädchen. Mag sein, dass das deine Absicht war, ich hätte einen einheitlicheren Rahmen schön gefunden.

Insgesamt eine schöne Geschichte, ich habe sie sehr gern gelesen. Mal eine andere Art von Horror. :)

Den Dorfschullehrer besucht er noch, auch den Pfarrer, den Wirt(kein Komma) mit den kräftigen Händen.

Schöne Grüße,

yours

 

Hi Quinn,
von mir gibt's nichts Konstruktives. Habe deine Geschiche gelesen, weil ich kurz Zeit hatte und sie nicht allzu lang war. Dachte ich ...
Faszinierend, was du an interessanten Informationen in einen so kurzen Text gepackt hast. Ich hatte am Ende der Geschichte das Gefühl, einen Roman gelesen zu haben. Naja, fast zumindest.

Fazit: Toll, was du mit der Wahrnehmung des Lesers anstellst ;)

Gruß! Salem

 

Hallo Quinn,

Es ist schon seltsam. Am Ende hat mich die Geschichte ein wenig enttäuscht, nur weil ich den Einstieg so über die Maßen gelungen fand. In der ersten Hälfte baust du tatsächlich eine wunderbar düstere Stimmung auf, gleich der erste Absatz mit dem Angler saß so richtig. Da hat sich bei mir einfach eine zu hohe Erwartung aufgebaut.
Denn der Tod als "Bösewicht" konnte mich nicht überzeugen. Die Figur des Mädchens, die ganze Dorfatmosphäre, das ist alles so authentisch, so echt, dass der personifizierte Tod hier wie ein Abziehbild daherkommt. Alles andere wirkt eben so ... ich sage mal: "inspiriert", nur der Tod wirkt übernommen. Wie der Teufel als roter Kerl mit Pferdefuß und komischem Schwanz eben. Das hat die Stimmung etwas verhagelt.
Vielleicht hättest du dich hier mit subtilen Andeutungen auf irgendeine "Schicksalsmacht" begnügen sollen, um dafür länger bei dem Mädchen zu verweilen und den Fokus mehr darauf zu legen, warum sie sich umgebracht hat. Das hätte ruhig etwas schärfer heraustreten können.

Unterm Strich hat sich das Lesen natürlich schon wegen des ersten Teils gelohnt.

Eine Kleinigkeit:

Er darf nichts sagen, aber als er davon gehört hat, ist er in ein dumpfes Grübeln gefallen,
Lieber "verfallen"?


Gruß,
Abdul

 

Hallo Quinn,

ich muss sagen, mir hat die Geschichte im Großen und Ganzen ziemlich gut gefallen :) Wie schon gesagt wurde, baust eine schöne düstere Atmospähre auf, die einen sofort in ihren Bann zieht. Schon der erste Satz hat mich gefesselt, weil ich natürlich wissen wollte, was da eigentlich passiert ist. Meine Vorschreiber haben eigentlich schon alles gesagt, was mir so aufgefallen ist, ein paar Kleinigkeiten hätte ich hier trotzdem anzumerken:

Macht keinen sehr hellen Eindruck, aber der kann täuschen.
Müsste mMn "das kann täuschen" heißen.

Schwarz trug er für zwölf Wochen. Aber auch dann...
Mhm, weiß nicht. Ist wahrscheinlich sehr subjektiv, aber der erste Satz fällt für mich irgendwie aus dem Erzählstil raus. "Hat für 12 Wochen nur Schwarz getragen" vielleicht? Und den zweiten Satz versteh ich nicht ganz, fürchte ich. Meinst du nach den 12 Wochen? Sonst passt das "aber" nicht.

Niemand macht ihm einen Vorwurf. Die jungen Dinger, denkt man.
Bin ich beim Lesen drüber gestolpert. Habe zuerst gedacht, die "jungen Dinger" beziehen sich auf den Vater, aber danach scheint es, als meintest du das Mädchen. Vielleicht einfach einen Absatz setzen? Oder vielleicht die Verbindung zwischen dem Vater und "niemand kennt niemanden" stärker hervorbringen? "Niemand macht ihm einen Vorwurf. Es war einfach zu plötzlich gekommen. Dabei hatte er immer geglaubt, zu wissen, was in seiner Tochter vorgeht. Der Dorfschullehrer aber sagt..." Sowas vielleicht? Musst du ja wissen :)

Nicht genug Trost, einen Fingerhut zu füllen.
Super Formulierung :thumbsup:

Ruhig plätschert er braun dahin.
Fände "Ruhig und braun plätschert er dahin" irgendwie schöner.

Insgesamt eine tolle Geschichte, obwohl ich auch gerne wüsste, warum das Mädchen ich umgebracht hat. Vielleicht hast du ja noch Lust, uns etwas mehr darüber zu verraten? ;)

Viele Grüße

nice freak

 

Hey Quinn,

ich empfinde diese Geschichte als kleinen Geniestreich. Ehrlich, du erzäugst so eine großartige Atmosphäre, die von der ersten Zeile an in den Bann schlägt und einen noch weit über die letzte Zeile hinweg festhält.
Großartig, wie du das Mädchen charakterisierst, aus diesen vielen unterschiedlichen Blickwinkeln. Da wirkst du tatsächlich eine ganze Geschichte nur aus Andeutungen und Mutmaßungen. Eigentlich zeigst du mehr vom Umfeld des Mädchens, zeigst aber auch gleichzeitig sie selbst.
Großartig, wie du dann den Tod einflechtest. So irgendwie gar nicht klassisch und dann wieder doch. In jedem Fall -wie der gesamte Text- sehr plastisch.
Horror ... nun ja. Eher wie der süßliche Duft von Blumen, der einem das Atmen schwer macht, ein schummriges Gefühl heraufbeschwört.

Die Idee, die Umsetzung - Einfach nur genossen. Respekt.

grüßlichst
weltenläufer

edit: einzig der Titel ist mir zu lahm, wird der kg nicht gerecht

 

Hallo Makita,

ich benutze Kommata manchmal auch als Betonungsstriche, die sind dann oft falsch, aber beim lauten Lesen könnte ich schwören, da müsste eins hin.
Freut mich, dass es dir gefallen hat. Schicksalsquader klang ziemlich gut. 

Hallo yours,

ich fand den Bruch mit Goth und Internet, der ja wirklich nur eine Zeile einnimmt, notwendig. Diese ganz monolithischen Geschichten mag ich nicht so, gut, es kommt später noch ein deutlicherer Bruch, wenn der Tod auftritt, aber ich mag diese kleinen Brüche, die den Leser ja, im englischen sagt man „on the toes“, wahrscheinlich würde man auf Deutsch „In Habacht“-Stellung sagen, wenn das nicht so martialisch klingen würde; ich mag diese Haltung auf jeden Fall, auch wenn ich mich dann oft um Leser bringe, die sich total in eine Geschichte fallen lassen.
Was du mit „einheitlicherem Erzählrahmen“ meinst, puh. Also der Tod ist ja der Erzähler der Geschichte, wenn man so will. Oder zumindest ein Teil des Erzählers. Ach, das man das Mädchen später noch öfter erwähnen sollte? Er hat doch noch die Szene mit dem Spiegel mit ihr?
Also jo, wüsste da jetzt keinen Ansatz.

Danke dir für deine Kritik
Quinn

Hallo Salem,
dass ist doch mal ein schönes Kompliment.

Danke dir dafür
Quinn

Hallo Abdul,


Vielleicht hättest du dich hier mit subtilen Andeutungen auf irgendeine "Schicksalsmacht" begnügen sollen, um dafür länger bei dem Mädchen zu verweilen und den Fokus mehr darauf zu legen, warum sie sich umgebracht hat. Das hätte ruhig etwas schärfer heraustreten können.
Ja, aber wo hätte das denn hingeführt? Also zu welcher Geschichte? Hätte ich mir irgendwelchen abstrusen Theorien zu dem Selbstmord ausdenken müssen, die doch dann auch mit der Eingangsszene kollidiert wären.
Es ist natürlich auch eine Sache, warum sie sich umgebracht hat. Sie hat ja überhaupt, oder in der Geschichte zumindest, überhaupt keinen, mit dem sie sprechen könnte, was man da mitbekommt. Es ist für jeden der Figuren dort, ein Rätsel, was in ihr vorgegangen ist.
Ja, und vor dem Spiegel wird es dann angerissen; so wie auch der Pfarrer und der Lehrer in ihren Konflikten, in ihren „Schwachstellen“ nur angerissen werden.

Ich seh deinen Einwand schon, aber für mich passt diese Art von Tod eben stark in das Setting; ich bin auch ein Freund von den ganz konventionellen Dingen. Sensenmann mit Sanduhr und Sense, der für die Pest steht, das ist ein ganz großartiges, starkes Bild.

Also du hast mit deiner Kritik wirklich vollkommen recht, und das wäre eine Geschichte, die ich auch lesen würde, aber schreiben könnte ich die wahrscheinlich nicht. In den Bahnen denke ich einfach nicht. Also so ein Gedanke wie „Ist das nicht zu konventionell?“ – der kommt mir immer nie, wahrscheinlich müsste ich mir das ausdrucken und übers Bett hängen, oder so. Ich finde immer nichts tolleres, als Abstrakta zu personalisieren. Keine Ahnung, das ist irgendwie mein Ding. :)

Vielen Dank für die Kritik
Quinn

Hallo nice freak,

mit dem der/das täuschen, geht glaub ich beides. Das kann täuschen ist eine Redewendung; und der kann täuschen bezieht sich auf den konkreten Fall.
Ja, ansonsten, ist das mit dem Stil schon so eine Sache. Die Sprache ist hier bewusst … behutsam, zumindest hab ich das versucht, behutsam verfremdet. Deshalb plätschert der Fluß dann braun dahin.

Vielen Dank für deine Kritik
Quinn

Hallo Twistus,

Ja, woher weiß der Erzähler das alles. Woher weiß er, was jeder sagt oder denkt? Wer versteckt sich hinter dem „man“. Das ist ja eine Frage des Textes, die ich über den Fluss beantworten wollte.
Deine Überlegungen zu der Statue – ja. Wie aus Stein gemeißelt, ich hab den künstlerischen Aspekt da gar nicht so beachtet. Verhärtet, erstarrt. Ja. Ich guck da noch mal drüber, vielleicht fällt mir noch was Besseres ein.

Danke dir für den Kommentar, schön, dass dir der Text gut gefallen konnte
Quinn

Hallo weltenläufer,

also Geniestreich … na ja. Es lief ganz gut beim Schreiben, sagen wir mal so. Es ist bei so einer übersichtlichen Textmenge auch leichter, die Dichte der guten Sätze oben zu halten.

Ehm, ja, das mit den verschiedenen Perspektiven, auch um zu zeigen, dass diese Art der Gemeinschaft etwas fast schon bedrohlich Nahes hat, wobei sich eben auch keiner wieder so nahe steht, dass da jeder sein Päckchen zu tragen hat, war schon ein Teil der Idee des Textes. Natürlich; dass das richtig wirkt und den Text dichter erscheinen lässt, ist natürlich sehr schön, wobei ich – hoffentlich ändert sich das irgendwann – das auch immer schwer vorhersehen oder gar planen kann.

Danke auch dir für deinen Kommentar
Quinn

 

Hallo Quinn!

Das Spannendste an der Geschichte ist die Erzählstimme. Dieses "sagt man", auf den ersten Blick scheint es ja die allgemeine Meinung zu sein, also die Meinung der Dorfgemeinschaft, es wird viel geredet über diesen Selbstmord und seine Folgen, aber die Erzählstimme geht natürlich darüber hinaus, sie weiß mehr als die Dorfgemeinschaft, trotzdem ist es einer von ihnen, einmal steht da ein "wir", als er über den Tod spricht. Der Erzähler stellt den ruhigen Fluß, der kein Geheimnis preisgibt, diesem Tratsch gegenüber. Das find ich sehr schön, als Abbild des Ablaufs der wirklich großen und wichtigen Dinge, die niemand weiß und über die nicht geredet wird.

Das andere Reizvolle der Geschichte ist, dass sie ein wenig mit dem Ton volkstümlicher Geschichten spielt, oder dem Ton von Heimatromanen, da sind ein paar Stellen drinnen, die diesen wuchtigen Kitsch nachmachen, was aber durchaus nicht stört:

an die Brust gefasst, als hätte man ihm einen Strick ums Herz geschlungen
suchte die Schulter ihres Mannes, der hart und kalt war wie eine Statue. Nicht genug Trost, einen Fingerhut zu füllen
Es braucht nicht viel, um einen Gram zu weben, nur ein Stück Schnur ums Herz gewickelt. Und ein Seufzen, wenn die Träume fortfahren in eine andere Stadt

Und es ist natürlich noch ein anderes Motiv drinnen: Das Ausspielen des Dorf- gegen das Stadtleben: Die Stadt nimmt gleichermaßen das Leben wie den Tod. Die Stadt macht alles kalt, während sich am Land noch die Dramen und die Liebe und der Tod abspielen.

Gibt auch noch andere Dinge, die toll sind: Dieser Dorfschullehrer mit seinen halbgebildeten und arroganten Altklugheiten, der Tod, der als Säufer auftritt, als ein Typ, dem man in jedem Dorfgasthaus findet: Jemand, der still in seiner Ecke vor sich hinsäuft und den niemand mehr beachtet.

Hat mir sehr gut gefallen, weil alles drinsteckt in der Geschichte, alles, was eine gute Geschichte braucht und alles, was das Leben ausmacht. Obwohl so kurz, ist dir da wirklich etwas Episches gelungen. :)

Sie sei ins Wasser gegangen. Ein sehr symbolträchtiges Bild, das sich in der Weltliteratur ständig wiederfände
bleib doch beim Konjunktiv I: wiederfinde
Hat ja hier bedient, Montags und Mittwochs
klein: montags und mittwochs
Auf Bildern sieht man die Zahnlücke, sie wächst mit den Jahren, verleiht ihr als Kind etwas Unschuldiges und Tapsiges, dann zur Zeit der Konfirmation sieht sie ein wenig verdorben damit aus und auf ihrem letzten Foto, mit siebzehn, hat sie ihren Mund geschlossen.
sehr gut, diese Raffung eines ganzen, wenn auch kurzen Lebens anhand von Fotos.
Schwarz trug er für zwölf Wochen. Aber auch dann sah man ihn nicht mehr in der Wirtschaft, nicht mehr beim Kartenspielen,
würde hier "danach" nehmen statt "dann"
Wenn sie vorm Spiegel stand und sich durch die Haare fuhr, ihr Spiegelbild verfluchte und den Mund zusammenkniff, dass man ihre Zähne nicht sehen konnte.
„Ach“, seufzte er dann. „Ach“, „Ach“ und nochmals „Ach“. Er hat jetzt eine andere, du warst ihm immer viel zu dumm. In der Stadt ist er, in der Stadt bleibt er und du bist hier.
Das Wasser lief ihm schon im Mund zusammen.
du elender Plagiator! :D

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea,

Das Spannendste an der Geschichte ist die Erzählstimme. Dieses "sagt man", auf den ersten Blick scheint es ja die allgemeine Meinung zu sein, also die Meinung der Dorfgemeinschaft, es wird viel geredet über diesen Selbstmord und seine Folgen, aber die Erzählstimme geht natürlich darüber hinaus, sie weiß mehr als die Dorfgemeinschaft, trotzdem ist es einer von ihnen, einmal steht da ein "wir", als er über den Tod spricht.
Die Geschichte besteht ja fast nur aus der Erzählstimme. Steht klar im Zentrum der Geschichte, ja.

Der Erzähler stellt den ruhigen Fluß, der kein Geheimnis preisgibt, diesem Tratsch gegenüber. Das find ich sehr schön, als Abbild des Ablaufs der wirklich großen und wichtigen Dinge, die niemand weiß und über die nicht geredet wird.
Tjo, so kann man das wahrscheinlich auch sehen.

Das andere Reizvolle der Geschichte ist, dass sie ein wenig mit dem Ton volkstümlicher Geschichten spielt, oder dem Ton von Heimatromanen, da sind ein paar Stellen drinnen, die diesen wuchtigen Kitsch nachmachen, was aber durchaus nicht stört:
Das war gar nicht unbedingt ironisch oder spielerisch gemeint, sondern es ist ja wirklich so, dass die Leute in diesen Situationen auch anders sprechen, da fallen sie schon ins Klerikale, glaube ich.
Also ein Bild wie "Nicht genug Trost, einen Fingerhut zu füllen" - ob das schon kitschig ist, also meiner Ansicht nach nicht. Man kann ja auch nicht die Sprache so gängeln, dass sie immer entweder nüchtern oder kunstvoll ist, sonst nimmt man sich ja ein riesiges Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten.

Und es ist natürlich noch ein anderes Motiv drinnen: Das Ausspielen des Dorf- gegen das Stadtleben: Die Stadt nimmt gleichermaßen das Leben wie den Tod. Die Stadt macht alles kalt, während sich am Land noch die Dramen und die Liebe und der Tod abspielen.
Ja, das stimmt, andererseits ist das Dorf in diesem Fall natürlich auch ein Hort für Zurückgelassene, dieses Dreigestirn der Dorfbewohner, Wirt, Pfarrer und Lehrer,sind ja auch fast Relikte. Also einen Dorfschullehrer in dieser Form gibt es wahrscheinlich seit 40 Jahren nicht mehr, die Kirche ist seit 200 Jahren im Rückzugsgefecht und selbst den Dorfwirtschaften geht es lange nicht mehr so gut wie früher, seit "Zu Hause Kochen" so in ist und jeder Verein oder Club ein eigenes Vereinsheim oder Clubhaus hat.

Gibt auch noch andere Dinge, die toll sind: Dieser Dorfschullehrer mit seinen halbgebildeten und arroganten Altklugheiten, der Tod, der als Säufer auftritt, als ein Typ, dem man in jedem Dorfgasthaus findet: Jemand, der still in seiner Ecke vor sich hinsäuft und den niemand mehr beachtet.
Der Dorfschullehrer hat ja keinen Platz um dort Neuklugheiten zu verbreiten. :) Er ist schon eine reflektive Stimme in dem kurzen Text, so negativ wie du würde ich ihn nicht sehen.
An die Interpretation des Todes so als Säufer hab ich gar nicht gedacht. Hab den anders gesehen.

Hat mir sehr gut gefallen, weil alles drinsteckt in der Geschichte, alles, was eine gute Geschichte braucht und alles, was das Leben ausmacht. Obwohl so kurz, ist dir da wirklich etwas Episches gelungen. :)
Danke, das freut mich.

du elender Plagiator! :D
Borchert, "Draußen von der Tür", nicht H., "Schöne Monster"; wenn überhaupt. :)

Danke dir für die Kritik und die Feinarbeit
Quinn

 

Hallo Maria,

ich muss gleich im Vorweg etwas loswerden: Ich finde deine älteren Horrorgeschichten weit aus besser, und auch gleichzeitig schade, dass du dich in der Horrorabteilung in der letzten Zeit so wenig meldest. Vor allem hat es mir immer gut gefallen, wie du die Menschen beschreibst, ihnen wundervolle Züge und Merkmale gibst und jeden einzelnen Einzigartig machst. Da war mehr Gefühl drinnen, mehr Gedanken und mehr Wärme, auch wenn man in der Horrorabteilung nur selten von Wärme spricht.
Jo, also sowas könnte ich schon mal wieder schreiben, warum auch nicht, ich denke verlernt ,werd ich das nicht haben; ich versuch halt schon verschiedene Sachen, damit man nicht immer die selbe Soße fabriziert.

Diese KG wiederum ist ziemlich passiv, kalt und altmodisch. Man kommt sich vor wie ein Zuschauer, der alles beobachtet, Mitleid fühlt und den Leuten eine Charaktereigenschaft zuordnet. Doch eigentlich will man doch dabei sein, sich in die KG vertiefen, alles deutlich am eigenen Leib spüren und an nichts weiteres denken können. Mir gefallen nun mal Geschichten, in denen ich Richtig etwas fühle, die direkt sind und nicht passiv.
Ich widerspreche gerne den anderen, aber ich finde diese Erzählstimme grauenhaft. Mir gefällt sie nicht, was natürlich auch eine Geschmacksache ist.
Ich kann das alles nachvollziehen, das ist schon eine andere Art des Erzählens als ein typischer "Ich"-Erzähler zum Beispiel.

Vielen Dank für deine Rückmeldung, ich werd's im Hinterkopf behalten und demnächst mal was schreiben, was mehr wie früher ist :)
Quinn

 

Hi Quinn,
das Dumme ist: Immer, wenn ich eine deiner Geschichten lese, fühle ich mich wie ein kleines Schulmädchen, das noch viel zu lernen hat. Stilistisch gesehen habe ich hier noch keinen gelesen, der so gut wie du oder gar besser wäre.
Das Dumme ist auch, dass ich, wenn ich mich nicht über den wirklich schrecklichen Titel hinaus gewagt hätte, eine tolle Geschichte verpasst hätte.

Soll heißen, der Titel wird der Geschichte nicht gerecht, und letzteres hat mir unfassbar gut gefallen. Kurzer Kommentar, aber du wirst es mir sicherlich verzeihen. ;)

Liebe Grüße
Tamira

 

Hallo Tamira,

das Dumme ist: Immer, wenn ich eine deiner Geschichten lese, fühle ich mich wie ein kleines Schulmädchen, das noch viel zu lernen hat.
Mit Zöpfchen und in einer Schuluniform? Hmmm!

Stilistisch gesehen habe ich hier noch keinen gelesen, der so gut wie du oder gar besser wäre.
Na ja, das Kompliment kann ich nicht annehmen. Es gibt einige Geschichten, die laufen, und andere nicht. Und es kommt dann auch immer auf den Stoff an; also so General-Komplimente sind immer schwierig; wobei sie nichtsdestotrotz natürlich gut tun.

Das Dumme ist auch, dass ich, wenn ich mich nicht über den wirklich schrecklichen Titel hinaus gewagt hätte, eine tolle Geschichte verpasst hätte.
Der Titel ist nicht so toll, ja.

Soll heißen, der Titel wird der Geschichte nicht gerecht, und letzteres hat mir unfassbar gut gefallen. Kurzer Kommentar, aber du wirst es mir sicherlich verzeihen.
Das ist doch schön. So hat mir damals dein "Groupies" gefallen, bei dem du meinen Kommentar nur mißtrauisch angelinst hast. :)

Schreib doch mal wieder!

Danke für den Kommentar und die Empfehlung
Quinn

 

Hallo Quinn!

Deine Geschichte atmet eine morbide Erotik. Könnte Der Tod und das Mädchen heißen - schade dass dieser Titel schon vergeben ist :) Besonders gut finde ich, dass der Tod wie ein Gast in der Wirtschaft sitzt. Als Gast unter Gästen. Wie die anderen Gäste auch hat er ein Auge auf das Mädchen geworfen, was ihn mit diesen vergleichbar macht und umgekehrt: Die männlichen Gäste ähneln auch dem Tod. Sie begehren das Mädchen sexuell, was heißt: sie wollen sie töten. Das muss ich natürlich erklären: Sie wollen sie zur Frau machen, wozu gehört: Das Mädchen, das Kind, das sie bis dahin war, töten. Beliebtes Symbol für Entjungfern "de-flor-are" ist: die Blume pflücken. Das entjungferte Mächen wird mit einer gepflückten Blume verglichen. Der Mann, der es zur Frau macht, tötet das Mädchen, das Kind, das sie bis dahin gewesen ist. Tötet die Blüte. Wer erwachsen werden will, muss das Kind in sich töten. Oder töten lassen.

Grüße gerthans

 

Hallo gerthans,

Deine Geschichte atmet eine morbide Erotik. Könnte Der Tod und das Mädchen heißen - schade dass dieser Titel schon vergeben ist :)
Ja, das spielt auf jeden Fall eine Rolle, wenn ich's mir auch nicht so durchgängig gedacht habe, wie du vermutest.

Sie begehren das Mädchen sexuell, was heißt: sie wollen sie töten.
Ich hatte nur den Wirt eindeutig damit in Verbindung bringen wollen, wobei auch davon auszugehen ist, dass andere Gäste solche Absichten haben. Eine Bedienung in einer Wirtschaft ist ja oft "Freiwild".
Den Priester hatte ich noch - in meinem Kopf - mit in der Rechnung, allerdings eher der Mutter verbunden als der Tochter.

Danke dir für deine, wie immer, interessante und ungewöhnliche Interpretation; es freut mich jedesmal, zu lesen, welche Gedanken du dir zu meinen Geschichten machst
Quinn

 

Hallo Konrad,

Das ist nicht die richtige Metapher.
„Mit der Schnur gezogen“, also gerade, ist gemeint und nicht „An der Schnur gezogen“, also von ihr gezogen, egal, wie sie aussieht, ist gesagt.
Ja, da hab ich an einen Fußballfreistoß gedacht wahrscheinlich.

Da vorher nur die Äußerlichkeiten beschrieben wurden, drängt dieser Satz eine analoge Richtung auf, gemeint ist aber das Innere.
Das versteh ich nicht.

Die Protagonisten wechseln auch ständig unmotiviert.
Angler, Dorfschullehrer, Wirt, Opfer, Vater, unbestimmte Person, Leute, Jüngere, kluger Mann, Pfarrer, Er?, Mutter, Fluss, Tod, Sterbende.
Natürlich kann man ständig den Protagonisten und damit die Perspektive wechseln, aber diese Geschichte zeigt kein Motiv. Die Aussage ist simpel und bedarf dieses Kunstgriffes nicht, es sei denn, dem Autor ging es um den Kunstgriff und nicht um eine Geschichte und damit wenigstens um einen Protagonisten. Da viele zu Wort kommen, kommt keiner zu Wort!
Hm, das kann man so sehen. Das ist halt immer die Sache. Wenn die Geschichte einem nicht gefällt, stört einen das dann. Wenn sie einem gefällt, findet man das grade gut.
Allerdings ist die Terminologie nicht so richtig. Mit Protagonisten hat das nichts zu tun, sondern mit Perspektivträgern.
"Die Aussage ist simpel" - Welche Aussage denn? Und warum bedarf es keines Kunstgriffes?
Ich versteh deine Kritik nicht so ganz, fürchte ich.
Du hättest gerne, dass die Geschichte schlichter erzählt wird und klarer. Am besten mit einem einzigen Perspektivträger? Aber dann eigentlich auch lieber was anderes, weil die Sache an sich simpel ist?
Was meinst du mit "Die Geschichte zeigt kein Motiv"? Ich verstehe den Satz nicht.

Da viele zu Wort kommen, kommt keiner zu Wort!
Ja, das kann man so sehen. Es ist ein Antippen der einzelnen Figuren hier. Da bekommt keiner mehr als einzelne Sätze und Szenenfetzen. Ich finde durchaus, sie kommen zu Wort dabei.

Ich versteh leider nicht so ganz, was du mir sagen möchtest: Die Geschichte ist dir zu konstruiert? Zu viele Figuren? Und die Sache ist zu simpel?


Danke für deinen Kommentar
Quinn

 

Moin,

ein dürres Ding mit wenig Busen und keinen Hüften.

Ich will ja hier nicht mit Banalitäten lästig fallen, aber irgendwie fände ich "ohne Hüften" eleganter. Der Gedanke, der mir hier sofort durch den Kopf schoss, war "Oh, das Mädchen war mit keine Hüften". Nun klingt "mit ohne Hüften" nicht so unendlich viel besser, aber ich finde, mit dem "ohne" wirkt der Satzteil unabhängiger von dem "mit", so dass der Gedanke an diesen holprigen Satz gar nicht erst entsteht.

Ansonsten stilistisch und inhaltlich stark, eine Geschichte, die einige Fragen offen lässt, wie Geschichten aus dem Bereich der Phantastik das meiner Meinung nach tun sollten.

Die Idee vom gelangweilten, mehr oder weniger arbeitslosen Tod fand ich schon originell (vorsichtiger formuliert: Ich jedenfalls kenne die Quelle der Inspiration nicht). So wirklich abgeschmackt wäre das ja nur, wenn er sich da unter seiner Kapuze verstecken und die Sense geschultert hätte mit der Hand, die nicht den Bierkrug hält. Hätte dann wohl schon eher was Satirisches. Natürlich fragt man sich, warum der Tod gelangweilt ist, denn gestorben wird ja noch immer, nur halt in der Stadt. Hat der Tod Angestellte, und dieser unglückliche Vertreter wurde in eben jenes Dorf geschickt, in dem der Selbstmord eines jungen Mädchens die Leute daran erinnert, dass das Leben überhaupt irgendwie mal endet ... enden muss?

Versteh' mich nicht falsch: das Niveau der Geschichte würde um gefühlte zehn Grad fallen, wenn du als Autor Rücksicht auf solche Fragen nehmen würdest. Es spricht unwahrscheinlich für deine Geschichte, dass man sich kaum Gedanken darüber macht, ob man sie nun gut oder schlecht findet, weil man viel zu sehr mit den Fragen beschäftigt ist, die man sich nach dem Lesen stellt (ist bei mir so). Ein faszinierender Gedanke: Wenn wir den Tod personifizieren, was wird dann aus dieser Person, wenn zum Beispiel ein medizinischer Jahrhundert-Coup das Sterben abschafft? Vielleicht wird er zum Mörder, wie der Feuerwehrmann, der selbst Brände legt, weil er seinen Job so sehr liebt.

Unterm Strich schlicht ein tolles Ding.


Grüße
JC

 

Hallo Konrad,

Wenn Du willst, eine kleine Hürde, die vielleicht nicht sein muss, wenn man es anders ausdrückt.
Ja, das stimmt. Es ist tatsächlich eine kleine Hürde, aber so was macht ja auch den Reiz eines Textes aus. Sie macht keinen hellen Eindruck – sie sieht nicht sehr klug aus; aber er (der Eindruck) kann täuschen. Also es ist ja schon das drin: Man schließt von ihrem Aussehen auf ihren Charakter, auf ihre Intelligenz, stellt das aber gleich wieder in Frage.

Ich würde Dich bitten, Perspektive und Perspektivträger zu definieren.
Ich sehe das nicht wie du, dass man da verschiedene Definitionen haben kann. Das würde jede Kommunikation unmöglich machen, wenn der eine bei „Hund“ an Katze denkt und der nächste an Vogel denkt.
Perspektive ist der Erzählblickwinkel.
Perspektivträger die Person, aus deren Sicht erzählt wird.
Und Protagonist, davon kann es nur einen geben, ist der Haupthandlungsträger einer Geschichte. Der hat aber nichts mit dem Erzähler oder der Perspektive zu tun.
Hier in dem Text ist es so, dass sich die Aufmerksamkeit des Erzählers zwar auf verschiedene Figuren richtet, nicht aber deren Perspektive eingenommen wird. Um es anders zu sagen: Es werden zwar verschiedene Leute interviewt, aber der Kameramann bleibt gleich.
Es ist hier ein etwas ungewohnter Erzähler und kein personaler, ja.

Von den einzelnen Protagonisten wird sowenig berichtet, dass man auch bei Null anfangen könnte, um die Geschichte weiter zu spinnen. Es gibt keine zwingende Vorgabe! Willst Du den Leser nicht zwingen?
Na ja, es ist ein Text erstmal, der eine surreale Begebenheit darstellt. Und was der Leser daraus mitnehmen kann, bleibt ihm selbst überlassen, da möchte ich hier keine Lesart aufzwingen. Und wie der Text weitergeht, steht ja da. Der Tod hat wieder Geschmack gefunden. Und er wird nun an den wunden Punkten der vorgestellten Figuren ansetzen. Beim Lehrer an diesem „Er hat zu wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht“, beim Wirt an diesem „Vielleicht hat er sie in den Selbstmord getrieben, weil er sie angefasst hat“, beim Priester an dieser Sache, dass das fleischliche Leben an ihm vorbeizieht und bei den Eltern natürlich auch an dem Gefühl, versagt zu haben, einen Makel zu haben.
Ich glaube der Text hat schon genug „Material“, um den Leser auch nach dem Ende des Textes zu beschäftigen, das ist natürlich etwas, das man als Autor anstrebt. Aber es ist natürlich auch etwas fast Unmögliches, einen Text so zu schreiben, dass all die potentiellen Leser, die ja verschieden sind, da irgendwas rausnehmen können. Das zu garantieren, halte ich für unmöglich.
Es ist natürlich ein erzählerischer Kniff, um die Geschichte darzustellen, allerdings glaube ich, dass allein die Idee der Geschichte auch ohne diesen Kniff tragen würde. Dann hätten wir den „Schnitter“ in einem Dorf, ein sehr altes Bild. Und den Tod einer jungen Frau aus Liebeskummer, auch ein sehr altes Bild. Es wäre durchaus möglich gewesen, aus diesen beiden Elementen etwas ganz anderes zu machen, ohne die Dorfgemeinschaft und die Reaktionen auf den Tod so in den Mittelpunkt des Textes zu stellen.

Danke für deine erneute Rückmeldung, ich denke ich hab nun deutlich klarer verstanden, was deine Kritikpunkte an dem Text sind
Quinn

Hallo Proof,

also hier zu dem „ohne“ und „keine“ – das ist für mich Jacke wie Hose. :) Also man kann es doch auf beide Arten als „mit ohne/ mit keine“ lesen. Das leuchtet mir nicht so ganz ein, ich hab ehrlich gesagt, nicht mal in Erwägung gezogen, dass es da ein Problem geben kann, weil das „und“ da schon eine Zäsur ist. Ich denk da noch mal drüber nach.

Die Idee vom gelangweilten, mehr oder weniger arbeitslosen Tod fand ich schon originell (vorsichtiger formuliert: Ich jedenfalls kenne die Quelle der Inspiration nicht).
Ich hab an Borchert „Draußen vor der Tür“ gedacht, dort ist nach dem 2. Weltkrieg der Tod fett und rülpst andauernd.

Hat der Tod Angestellte, und dieser unglückliche Vertreter wurde in eben jenes Dorf geschickt, in dem der Selbstmord eines jungen Mädchens die Leute daran erinnert, dass das Leben überhaupt irgendwie mal endet ... enden muss?
In der Logik der Geschichte ja, da ist der Tod auf das Dorf beschränkt. Jo … das ist halt so, das muss als gegeben genommen werden, damit die Geschichte funktionieren kann. Wenn die Leute woanders als in diesem Dorf sterben, hat er nichts davon.

Wenn wir den Tod personifizieren, was wird dann aus dieser Person, wenn zum Beispiel ein medizinischer Jahrhundert-Coup das Sterben abschafft? Vielleicht wird er zum Mörder, wie der Feuerwehrmann, der selbst Brände legt, weil er seinen Job so sehr liebt.…
Ja, genau. Das ist ja in der Geschichte auch schon ein wenig drin, er ist nach dem Tod des Mädchens wieder auf den Geschmack gekommen und, so legt der letzte Teil der Geschichte nahe, er hat schon wieder Appetit.

Unterm Strich schlicht ein tolles Ding.
Danke sehr! Das freut mich
Quinn

 

Hallo Konrad,

Ich verstehe unter Perspektive die Art, in der etwas gesehen wird.
Ja, das ist die natürliche Verwendung des Wortes, der Blickwinkel. In der Textarbeit bedeutet Perspektive dasselbe, es ist der Erzählblickwinkel.

Im Unterschied zu Deiner Definition kann bei mir nicht nur eine Person „sehen“. Jedes Ding oder Unding auf der Welt und jedes Ding, was Du Dir nicht vorstellen kannst, kann sehen.
Das bleibt dir unbenommen und das taucht in der Literatur ja auch auf. Es gibt Geschichten, die von Katzen oder Bibern erzählt werden. Die müssen sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, dass zwar aus der Sicht einer Katze oder eines Bibers erzählt wird, aber mit der Sprache - und meist auch dem Bewusstsein - eines Menschen.
Wenn du aus der Perspektive eines Brotkorbs erzählen möchtest, ergeben sich ganz praktische Unannehmlichkeiten. Ein Brotkorb hat kein Bewußtsein. Ein Brotkorb hat auch keine Augen. Also wird man, als Autor, dann schlicht ein irgendwie abgewandeltes menschliches Bewußtsein dem armen Brotkorb aufbürden und ihn so erzählen lassen.
Es ändert aber nichts am Prinzip - ein Perspektivträger ist der Träger des Erzählblickwinkels. Und das sind in aller Regel Personen.

Ich könnte also einen Text schreiben, der aus einer Perspektive geschrieben wird, bei der Du Dich bis an Dein Lebensende fragen würdest, wer da erzählt hat.
Worauf willst du hinaus? Dass ich beschränkt in meinen Ansichten bin, weil ich das Erzählen aus der Sicht eines Brotkorbs im Normalfall nicht in Betracht ziehen würde?

Du behauptest weiter, dass Du nur einen Protagonisten hast.
Nein, ich behaupte: Ein Protagonist kann immer nur einer sein. Der Haupthandlungsträger. Es gibt keine Protagonisten (Plural) in einem Text. Das ist Definitionssache. Protagonist kommt aus der Theatersprache, aus der griechischen Tragödie. Da gibt es den Protagonisten (die Hauptfigur) und den Antagonisten (seinen Gegenspieler).
Wenn man nun alle Figuren in einer Geschichte als Protagonisten bezeichnet, weil sie eben Handlungsträger sind, verstößt man gegen die Konvention. Es ist falsch. Man begeht einen Fehler. So wie man eine Katze nicht Hund nennen darf. Auf diese Grundlagen der Kommunikation muss man sich einigen, wenn man miteinander reden möchte.
Es ist keinesfalls so, dass jede Kommunikation unmöglich ist, man muss sich nur darauf einigen, mit welchen Worten man was benennt. Dafür gibt es zum Beispiel den Duden. Man kann darüber streiten, dass die Vermittlung von Nuancen schwierig ist oder dass es Kommunikationsprobleme gibt, Missverständnisse, das sollte aber nicht darin resultieren, dass man die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und sagt: Wir verstehen einander nicht. Wir leben nicht im Turm zu Babel.
Kommunikation ist etwas wunderbares, wir können über Dinge mit einem Fremden sprechen, die wir in diesem Moment nicht sehen. Wir können über etwas Undenkbares reden, über abstrakte Begriffe. Ich kann einem Fremden einen Gegenstand beschreiben, den er noch nie gesehen hat, und ich habe die Möglichkeit ihn so zu beschreiben, dass er ihn sich vorstellen kann, als hätte er ihn gesehen.
Kommunikation ist also ein "wirklicher Vorgang" und nicht nur ein "Eindruck". Das ist esoterischer Kram, der die Einzigartigkeit eines jeden Menschen betonen möchte.

Wer ist denn dieser Protagonist, der im Gegensatz zu den anderen Personen so handelt, dass er herausragt? Ich habe keine Person identifizieren können.
Darüber hab ich überhaupt nicht gesprochen. Es ist - wenn - dann der Tod.


Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn,

ein ganz feines Häppchen, was du uns da serviert hast. Eigentlich wollte ich die Geschichte empfehlen, da ist mir aber jemand zuvor gekommen.:)

Die Story bietet wirklich eine ganz andere Qualität Horror. Schwierig, dass jetzt in einen festen Begriff zu fassen, da ich dergleichen vorher noch nie gelesen habe.
Die Atmosphäre ist hier zum greifen nahe. Zwar hab ich mich nicht "gegruselt", aber wie dein Text beweist, muss man das auch bei einer Horrorgeschichte nicht zwangsläufig, um einen guten Text abzuliefern.

Eine Frage: Bei dem Abschnitt mit dem Priester und der Mutter hats bei mir erst "geklingelt", ich dachte, irgendwas läuft da. Letztendlich wurde ich enttäuscht. In einem deiner Kommentare habe ich gelesen, dass du das auch erst vorhattest. Hast du das dann ganz aus dem Text gestrichen oder bei dem von mir angesprochenen Abschnitt nur leicht verändert? Wenn letzteres der Fall ist, dann kann man es noch rauslesen (oder ich hab bei mir 'n neuen Sinn entdeckt:D).

Abschließend eine der besten Horrorgeschichten, die ich bisher hier gelesen habe.

Grüße, der DÄIF

 

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