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Notfallplan

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28.12.2009
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Notfallplan

Er sieht in den Seitenspiegel. Die Geschäfte liegen dunkel und verschlossen am Straßenrand. Mülltonnen stehen abholbereit auf dem Bürgersteig. Die Ampel springt auf Grün.
„Hast du ihm das Sedaplus gegeben?“
„Ja“, sagt sie leise und lehnt sich in den Beifahrersitz.
Landschaft zieht vorüber. Wiesen. Zuckerrübenfelder. Auf dem Fluss hellgelbe Schaumflocken. Saatkrähen sitzen in der Krone einer Pappel. Zwei Lastwagen auf der rechten Spur. Er schaltet und überholt.
„‘s dauert nicht lang, ja? Hast du mir versprochen.“
Er schüttelt den Kopf. „Ist `ne Raststätte vor Köln.“
Sie sieht aus dem Fenster. Die Leitplanke ein langer weißer Strich. „Hab ihm noch `ne extra Decke eingepackt.“
Er legt beide Hände auf das Lenkrad. „Lass das mit der Decke. Finden se nachher raus, wo du die gekauft hast.“
„Aber ich will nicht, dass er friert.“
„Das reicht so."
Sie senkt den Blick und öffnet das Seitenfenster einen Spalt. Kalte Luft strömt über ihr Gesicht. „Max“, sagt sie nach einer Weile und sieht in den Rückspiegel. Ihr Gesicht entspannt und wird ganz weich. „Wie mein Opa.“
Er streicht mit dem Daumen über ihre Wange. Sie dreht den Kopf zur Seite. Der Motor läuft fast lautlos. Neonlichter flirren am grauen Horizont.

 

Isegrims,

danke dir für deinen Komm. Ist natürlich hier richtig krass, so rauszugehen, aus dem Text. Das ist mir klar. Ich habe mich hier sklavisch an die Vorgabe gehalten, vor dem Ende rauszugehen. Diese den Text ergänzende Idee des Lesers sorgt ja für die Wirkung (wenn sie denn da ist.) Sonst würde es nur altbacken und abgeschmackt klingen. Ist jetzt mal meine These. Ging ja auch darum, was Neues auszuprobieren. Kleidung lässt sich sicher nachverfolgen. Ist eine technische Frage. Ich denke aber, neue Kleidung lässt sich eventuell wesentlich einfacher nachverfolgen, da bestünde ja auch die Möglichkeit, dass sie beim Kauf gefilmt worden sind. Oder aber: Er will ihr gegenüber nur seine Position betonen.
Asterix,

danke dir, dass du reingeschaut hast. Ja, ist jetzt runder, der Text, da muss man echt auf jedes Wort achten, und es fühlt sich immer noch nicht fertig an. So ist das! Die Geste am Ende, die finde ich auch sehr wichtig, die deutest du auch richtig, so soll sie wahrgenommen werden.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt!

 
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Lieber jimmysalaryman,

selten habe ich so fasziniert verfolgt, was mit einem Text geschieht, welche Diskussion er bewegt und welche Gedanken er in meinem eigenen Kopf auslösen kann. Ich habe schon dreimal angesetzt, etwas zu ihm zu schreiben, habe es aber immer wieder verworfen, weil ich in meiner Meinung überhaupt nicht sicher war. Und das bin ich immer noch nicht. Deshalb nimm das alles hier als Gedankensplitter zu deinem Text-Experiment.

Ich gehe mal aus von dem, was du selber sagst:

Was mir beim Lesen solcher flash fiction aufgefallen ist - oft geht es nur um ein bestimmtes, vages Gefühl, mit dem der Text dich dann entlässt, da steckt einfach etwas drin, in den Zeilen.
Ja, das finde ich auch: Es geht um dieses ‚vage Gefühl’, das der Text auslösen muss. Und das sollte mMn unmittelbar geschehen und nicht als Ergebnis eines gedanklichen Prozesses. Und da hatte ich am Anfang das Gefühl, dass dein Text noch zu komplex war, zu viele Einzelheiten in ihm Fragen auslösten, die nach einer Antwort suchten. Und wenn das Gehirn einmal aktiviert ist, dann geht das auf Kosten des spontanen Gefühls. Da war die Frage nach der Babyklappe, der Tageszeit, der zweiten Decke usw., alles Fragestellungen, die sich vordrängten vor mein Gefühl des Mitleids. Erst nachdem ich die Fragen beantwortet bzw. als unwichtig verworfen hatte, konnte die Grundsituation ‚Mutter ist gezwungen, ihr Baby weggeben’ wirken. Und da fand ich, dass diese Einzelheiten der Geschichte einen Teil ihrer Kraft nahmen.

Und natürlich fiel mir noch einmal Hemingways Beispiel ein. Und ich habe mich gefragt, warum das mit dem ‚vagen Gefühl’ dort unmittelbar funktioniert. Ich glaube, der Punkt ist der: Man weiß absolut (bei H.) nichts Genaues und gleichzeitig alles, um tief ergriffen zu sein. Das Gefühl, das entsteht, ist Mitgefühl – und zwar auf sehr direkte, ganz unmittelbare Weise. Das Wieso ist unwichtig, ebenso die Einzelheiten der Handlung und der Personen und das logische Gerüst. Die Tragik des Geschehens ist so reduziert und vereinfacht und wird somit intersubjektiv erfahrbar. Es handelt sich um eine menschliche Grundsituation, die sich jedem sofort mitteilt, die jeden das Drama sofort erfassen lässt.

Ich finde, dein Text hat jetzt gewonnen dadurch, dass du Ambivalenzen rausgenommen hast: Das Verhältnis der beiden ist nicht mehr so unklar und schillernd, die ‚Decke’ hat ihre klare Funktion gefunden.

Und nebenbei: Vielleicht könntest du auch noch dieses furchtbare ‚Sedaplus’ rausnehmen. Eventuell reichte es doch, wenn dort stehen würde:

„Hast du ihm was zum Schlafen gegeben?“

Lieber Jimmy, ich bin gespannt, was noch mit deinem Text passieren wird. Egal, wie man zu diesen Texten steht, sie disziplinieren den Schreiber auf jeden Fall, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und herauszufinden, wie sich die optimale Wirkung erreichen lässt.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, inwieweit es solchen Texten gelingen kann, dem Leser ein echtes Leseerlebnis zu bereiten. Aber das ist ein ganz anderes Thema.

Dir auch von mir liebe Weihnachtsgrüße und schöne Tage mit angenehmen Menschen


barnhelm

 
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Hallo jimmysalaryman,

als ich den Text zuerst gelesen habe, dachte ich, er gehöre eher in "Experimente" als in die "Challenge", wobei die beiden Begriffe durchaus miteinander verwandt sind.

Du beziehst dich darin, was die Aufgabe des Lesers ist, auf Hemingways Eisbergmodell, auch in sprachlicher Hinsicht. Der Leser, und zwar jeder für sich, soll anhand des vom Autor komponierten Rasters die Lücken füllen, in die vermutete Tiefe gehen und somit das Bauwerk stabilisieren. Vom Leser her soll dies unbeeinflusst, ganz intuitiv geleistet werden.

Ich glaube, hier im Forum hatten nur die allerersten Leser diese Chance. Im Grunde müssten die eingetroffenen Kommentare nur für den Autor zugänglich sein. Ebenso die Antworten des Autors nur für den jeweiligen Leser.

Du kannst natürlich einwenden, man müsse ja nicht verfolgen, was die anderen schreiben. Aber das ist halt mMn nicht der Sinn des Forum, wo es ja gerade um den Austausch geht. Und gerade für Leute wie mich, die an der Erzählkunst des poetischen Realismus geschult sind und an Autoren wie Kleist, Thomas Mann oder Musil die Kunst der elaborierten Sätze schätzen, möchten ausgearbeitete Texte lesen und dahinter den Autor erkennen.

Old School und europazentriertes Literaturverständnis, ja, das stimmt. In der lakonischen, verknappten Erzählweise, die heute stilprägend für die Kurzgeschichte ist, finden sich viele Elemente der Neuen Welt. Das Staccato der Artillerie zweier Weltkriege hat Spuren hinterlassen. Ebenso die Individualisierung literarischer Rezeption ohne verbindliche Interpretation. Ich denke, dass du dich in dieser Tradition verorten möchtest und dich schon sehr zuhause fühlst.

Das soll keine Neuauflage eines Streites sein. Ich wollte nur meine Gedanken zu deinem Challenge-Beitrag mitteilen, ganz im Sinn von Novak, dass zur Challenge fleißiges Kommentieren gehört.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

GoMusic,

Klamotten sind nachvollziehbar wegen Etiketten oder anderem. Deswegen habe ich das an so prominenter Stelle gesetzt. Es kann ja auch sein, dass es gar nicht stimmt und der Charakter das einfach annimmt. Du denkst an einen Hund. Viele denken das ja, und ich will auch gar nicht abstreiten, dass man das denken könnte.
Ewunia,

in so kurzen Texten liegt ja eben der Sinn darin, sich auf das Handeln, auf eine sehr kurzen Moment, eine Bewegung fast, zu konzentrieren. Da stecken dann eben nicht so viele Details drin, also nicht das, was sonst eine Geschichte ausmacht. Auch, wie du ja sagst, die Gründe, warum sind sie jetzt in diese Situation gekommen, das kann einfach nicht beantwortet werden, sondern höchstens angedeutet. Aber du hast auch Recht, der Text ist noch nicht fertig, damit passiert noch etwas, es fehlt noch ein Schlenk, eine kleine Änderung, ich spüre sie schon in den Fingern, kann sie aber noch nicht deutlich genug sehen. Dafür brauche ich noch etwas Zeit und ein paar Biere. :D

Danke für eure Zeit. Wird fortgesetzt.

Gruss Jimmy

 

Was mir sehr gefällt: Das Harte, das im Grunde Unverständliche, das Ausweglose. Das hat eine große Kraft.
Was mir nicht gefällt: die Neonlichter (flirrend"), die Mülltonnen auf dem Bürgersteig etc. Das sind die Requisiten/Bilder, die man kennt - und einfach schon zu oft gelesen hat.
Aber, ganz klar: beeindruckender Text!

 

Hey Jimmy,

ich mag die Geschichte sehr. Ich denke, Dir gelingen da zwei Dinge, die ich persönlich irre schwierig finde. Erstens zeigst Du Menschen die etwas ethisch Verwerfliches tun, ohne beim Leser Abscheu auszulösen. Jedenfalls erging es mir so. Da gibt es so etwas wie die Ahnung, dass wir Menschen eben mitunter schlimme Dinge tun, ohne deshalb durch und durch verdorben sein zu müssen.

Zweitens läuft das alles ohne Rührseligkeit ab. Es ist authentisch und grausam und gleichzeitig beinahe poetisch. Ich sehe da nichts Aufgesetztes, nichts Falsches. Das gefällt mir sehr.

Ich verstehe, wenn sich manch einer der Kommentatoren mehr Background wünscht, denn das kann man auch als Kompliment auffassen: Ein Leser will mehr wissen, will erfahren, wie es zu dieser Situation kommen konnte. Er will tiefer in die Geschichte eindringen. Das wäre mir als Autor alle mal lieber, als würde ein Leser meinen, es gäbe zu der Sache nichts weiter zu sagen.

Natürlich ist das eine Miniatur. Sie kann kaum leisten, eine Figur in einer Veränderung, in einer persönlichen Entwicklung zu zeigen. Aber ich finde, das ist okay, denn das kann man bei so einer kurzen Geschichte auch einfach nicht erwarten. Mir hat es jedenfalls gut gefallen.

Wünsche Dir schöne Festtage!

Gruß aus Berlin
Achillus

 

Hallo jimmysalaryman,
ein ganz eingedampfter Text, der Notfallplan, der sich einer Ausdrucksäthetik im herkömmlichen Sinn verweigert, eher eine Aura vermittelt, eine Aura der Verlassenheit, der Verlorenheit, des Verstummens, wenn die Sätze immer kürzer werden und am Ende gar kein Satz mehr steht, nur noch "Wie Opa" mit dem Blick in den Rückspiegel, ein Blick in die Zeit zurück sozusagen, der Spiegel, der am Anfang auch schon eine Rolle spielt. Also geht es dann doch um mehr, als um eine Aura. Es menschelt dann doch gehörig zwischen den Zeilen und letztlich geht es wohl darum, ob einen das in der kargen Form anspricht oder nicht. Mich erreicht die Schwingung der Verlorenheit, fast möchte ich sagen, wie kann man diese Situation zwischen Hadern und wohl so empfundener Notwendigkeit anders darstellen. Der Text spiegelt ja geradezu sprachlich die Szene mit seinen Mitteln. Das betrifft jetzt die Szenerie, ohne dass ich mir die Frage stelle, wie plausibel sie ist. Wenn ich voraussetze, dass eine derartige Entscheidung, die fundamentale Sorgeinstinkte unterdrücken muss, eine starke Distanzierung zum Selbst erfordert, ist mir diese Charakterisierung selbst in der Reduktion zu viel:

entspannt und wird ganz weich
Vor allem das "ganz" stört mich da. Es ist klar, dass dadurch was Menschliches reinkommen soll. Klar auch, dass man Menschen, die so etwas in Betracht ziehen, eindeutig gezeichnet haben will. Im Mileu, in der Persönlichkeit. Das fehlt hier und das ist auch das Spannende daran. Dass es in keinster Weise ein moralischer Text ist, in dem, möchte ich mal sagen, die Poesie mit leeren Händen dasteht und dadurch umso trostloser und einsamer wirkt. Dramaturgisch also nachvollziehbar. Ob plausibel, wie gesagt, weiß ich nicht.
Herzliche Grüße
rieger

 

Ich würde euch gerne ausführlich antworten, leider habe ich hier große Schwierigkeiten mit der Internetverbindung. Wird erst im neuen Jahr wieder was. Also sorry! Feiert schön.

 

bernadette,

ist ein schmaler Pfad mit diesen Texten, da hast du Recht. Ich glaube mittlerweile auch, dass diese Texte eher im Sinne des Autoren funktionieren - der Autor hat immer eine Art Einsicht in diesen Text, den die Leser vielleicht so gar nicht entwickeln können. Klar, man ist dann immer in einer Situation, wo sich die Meinungen aneinander reiben. Für mich ist klar, eine Raststätte vor Köln, da ist immer viel Betrieb, ich sehe das ja, wenn ich vorbeifahre. Das ist natürlich jetzt genau die Sache: ein anderer Erfahrungshintergrund führt zu anderen Ergebnissen in der Lesart. Du hast ein paar Punkte angeführt, die ich bedenken werde, was Sedaplus und vor allem den Titel, da hast du mich echt erwischt. Vielen Dank also für dein Input und deine Zeit.
barnhelm,

das ist ein guter Punkt: das vage Gefühl. Klar, du hast das berühmte Hemingway-Ding gebracht, dagegen kann man halt nicht an, es ist perfekt. Aber du hast da etwas in deinem Kommentar gesagt, was ich sehr toll finde: dass es weniger um ein logisch Gerüst, also eigentlich einen Plot geht, sondern eher um ein hintergründiges emotionales Geflecht. So sollte es sein, nicht hinterfragen, sondern mitnehmen, ein Gefühl entwickeln, spontan und direkt. Daran arbeite ich noch. Es wäre vermessen, direkt so eine Wirkung zu erwarten, deswegen ist es halt ein Experiment. Das ist ein sehr guter Kommentar, liebe barnhelm, über den ich mehrfach nachgedacht habe. Da steckt viel drin, viel Bedenkenswertes. Dafür danke ich dir.
wieselmaus,

Das Staccato der Artillerie zweier Weltkriege hat Spuren hinterlassen.

ehrlich gesagt, weiß nicht, was du mir mit deinem Kommentar sagen möchtest. Du sagst nichts über den Text, sondern fällst pauschalisierende Geschmacksurteile. Wenn du nichts zu einem Text zu sagen hast, warum schweigst du dann nicht einfach? Scheint mir manchmal die bessere Wahl zu sein.

wird fortgesetzt

 
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Hallo jimmysalaryman,

deinen Rat zu schweigen, hätte ich gerne befolgt. Ich habe jedoch mir vorgenommen, in einer Challenge möglichst zu jedem Text etwas zu schreiben.

Gerne noch etwas zu deinem Text hier. Als Experiment finde ich ihn sehr spannend, daher hätte ich ihn halt eher in der Rubrik „Experimente“ vermutet. Hier war ich beeinflusst von den anderen Kommentaren. Ich dachte, das kann dir nichts bringen, wenn ich wiederhole, was andere schon herausgelesen habe. Das Staccato ist eine positiv gemeinte Bezeichnung. Es reflektiert den Sprachwandel, die Verknappung, Bruchstückhaftigkeit. Gute Schriftsteller sind sensibel für zeitliche Strömungen, ich sehe da bei dir enormes Potential, wie du dich auf gegenwärtige Entwicklungen einlässt. Das ist doch keine Kritik, schon gar nicht pauschalisierendes Geschmacksurteil.

Den Bezug zum Challenge-Thema konnte ich in etwa am Fahrtwind festmachen. Irgendwann fiel mir ein, dass der Mann und die Frau im Auto ja gar kein Paar sein müssen. Vielleicht ein Freund, der bei der Frau eigene Interessen verfolgt. Da wäre ein Kind schon im Weg. Vielleicht ist er ein Zuhälter. Die Geste, mit der er der Frau über die Wange fährt, erinnert mich an einen Daumendruck, einen Stempel mit dem Abdruck: Vergiss nicht, wem du gehörst ...

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

JPHoffmann,

ja, das stimmt, es sind abgelutschte Bilder und Zeichen innerhalb des Textes. Es gibt aber auch keine neuen, die kann ich mir ja nicht aus den Rippen schneiden, verdammt! Aber ich finde das gut, diese direkte Art des Kommentierens, weil mich das auch anspornt, mich auf den Arsch zu setzen. Danke dafür.
Achillus,

hat mich sehr gefreut. Lese gerade dein neues Monster. Also, unsentimental zu schreiben, das ist für mich auch immer noch sehr schwierig. Ich muss das immer kürzen. Die erste Fassung, wenn ich die nach drei, vier Wochen nochmal lesen, denke ich, die hat ein Kind geschrieben. Das ist immer sehr krass. Ich nehme das als Kompliment wahr, dass du sagst, mir gelingt diese Ambivalenz, also ohne dem Leser einen moralischen Kompass an die Hand zu geben. Aber eben auch nicht ganz distanziert, sondern schon durch eine empathische Betrachtung das Handeln irgendwie erklärbar machen zu wollen. Für mich ist das auch ein Wesen der Kunst, so etwas zu zeigen, das Menschsein, und eben ohne zu verurteilen. Danke dir für deinen tollen Kommentar, Achillus.
rieger,

ganz starker Kommentar. Aura ist ein tolles Wort. Gegen Ende menschelt es, das stimmt. Ich hatte mir schon überlegt, das rauszunehmen, aber dann steht da nix mehr. Wobei Amy Hempel mal einen Text so weit gekürzt hatte, bis da nur noch ein Satz stand! Wow! Also das ist krass. Ich weiß auch nicht, ob das plausibel ist, um ehrlich zu sein. Man muss das schon auch glauben wollen, sonst gibt einem der Text nichts, das sehe ich auch ein. Ich denke noch mal über deine Worte nach, das steckt viel drin, was ich mir näher überlegen und durchgehen muss.
wieselmaus,

du hast es jedenfalls wieder hervorragend geschafft, die Thread-Stimmung unter einer meiner Geschichten zu zerstören. Ganz egal wie du das jetzt im Nachhinein nennen willst.

Und noch was: Gute Schriftsteller sind sensibel für zeitliche Strömungen, ich sehe da bei dir enormes Potential, wie du dich auf gegenwärtige Entwicklungen einlässt.

Ich lasse mich nicht auf gegenwärtige Entwicklungen ein. Eine absolute Unverschämtheit, wie ich finde, mir das so in einem Kommentar vorzuhalten: Dass ich irgendwelchen Trends nachlaufe. Ganz im Gegenteil. Der Großteil der Autoren, die mich inspirieren, hatten ihren sehr, sehr kurzen Auftritt Anfang der 80er, und sind heute wieder in der Mottenkiste verschwunden. Was du da erzählst, ist einfach Unsinn, es tut mir leid, das so sagen zu müssen.

Gruss, Jimmy

 

Lieber Jimmy,

Das Staccato ist eine positiv gemeinte Bezeichnung. Es reflektiert den Sprachwandel, die Verknappung, Bruchstückhaftigkeit. Gute Schriftsteller sind sensibel für zeitliche Strömungen, ich sehe da bei dir enormes Potential, wie du dich auf gegenwärtige Entwicklungen einlässt. Das ist doch keine Kritik, schon gar nicht pauschalisierendes Geschmacksurteil.
Ich schalte mich da mal ein, weil Missverständnisse einfach schade sind.
Wenn man deine Texte schon so lange kennt, wie ich, weiß man, dass du von Anfang an diese Art von Geschichten schreiben wolltest. Geschichten von losern, die in deiner Gegend spielen. Diese knappen Carver- und sonstwas Texte. Ich weiß das noch wie heute. Du hast das gemacht gegen tausend Widerstände und gute Ratschläge und gegen viele viele böse Kommentare, die dir was anderes geraten haben. Bist dir immer treu geblieben. Von daher kann man wirklich nicht sagen, dass deine Geschichten etwas mit einem Trend zu tun haben.
Von daher, also von deiner Geschichte und deinem Schreiben her, kann ich es total nachvollziehen, dass du empfindsam reagierst, wenn dir irgendeine Art von Opportunismus angekreidet wird.
Nut hat wieselmaus das doch hier gar nicht gemacht. Sie hat dein Schreiben versucht, für sich einzuordnen. In einen Literaturkanon, in zeitgenössische Schriftstellerei. Sie hat ehrlich gesagt versucht, sich mit deinem Stil, mit den Texten, die ihr fremd sind, zu versöhnen. So lese ich ihren Kommentar.
Ich meine jedenfalls, du schießt da weit über das Ziel hinaus.
Manchmal klingt was einfach bisschen anders, als es gemeint und gedacht war - weil beide so grundsätzlich andere Erfahrungen haben.

Liebe Grüße von Novak

 

Hej,

ich hatte die Geschichte schon gelesen, als sie noch relativ neu war.
Obwohl Du einiges rausgenommen hast, ist die Wirkung auf mich ziemlich unverändert geblieben.
Ich kann allerdings nicht mit Sicherheit sagen, ob ich in der Form noch ohne weiteres gewusst hätte, worum es geht.

Der Anfang hat mir bis auf Kleinigkeiten gefallen und ich mochte das Drumherum, ich hab gerne mit denen im Auto gesessen, ich mochte die Blicke aus dem Auto und wie die beiden auf dem Weg nach irgendwo sind.
Was sie reden und glauben, was sie fürchten und hoffen, lässt mich dagegen ziemlich unberührt.
Sie könnten sich ebensogut über einen Todesfall oder über ihre bevorstehende Trennung unterhalten.

Mülltonnen stehen abholbereit auf dem Bürgersteig.
Ein kurzer Wortwechsel und dann
Wiesen. Zuckerrübenfelder.
War das von Anfang an so?
Mir zu schnell, als würde das Auto von einer Kreuzung mitten in der Stadt auf eine Landstraße gebeamt.

Auf dem Fluss hellgelbe Schaumflocken
So nah sind sie dem Fluss, dass "Flocken" sichtbar sind? Oder ist die Konsistenz des Schaums so ungewöhnlich, weil ... keine Ahnung, warum Schaum flockt, außer es ist windig.

„Das reicht so."
Vorher war das anders, jetzt stört mich diese Stelle regelrecht.
In einer ersten Version hat er ihr hier versichert, dass es reicht, dabei wirkte er dem Kind gegenüber beinahe gleichgültig, es war egal, ob es tatsächlich reichen würde, wichtig war, ihr das zu vermitteln.

In dieser Version kann ich dem Satz keine Funktion geben, er wirkt nicht unbedingt gereizt, aber auch nicht überzeugt, er wirkt nicht abwesend oder wie einer, der nicht hört, was er selber gerade sagt ...

Der Motor läuft fast lautlos.
Ich glaube Dir das nicht, aber ich mag, wie die Lautlosigkeit alles in der Schwebe hält, als gäbe es Möglichkeiten, als wäre der Motor noch etwas anderes als eine Maschine.

Neonlichter flirren
Das hier ist mir zu viel fabuliert.
Neonlichter flirren nur, wenn man nah genug dran ist.
Wenn überhaupt noch, heutzutage.

Tja, vielleicht kannst Du noch was mit meinem Kram anfangen, vielleicht ist die Geschichte nach so vielen Kommentaren auch schon abgeschlossen, für Dich, dann nichts für ungut.

Ane

 

Hallo Jimmyalaryman,

Eine konstruktive Sicht auf diesen Text kriege ich noch nicht hin und wahrscheinlich ist wohl auch schon alles gesagt, aber Dankeschön fürs Lesevergnügen möchte ich sagen. Wobei auch das nicht stimmt. Das Vergnügen passiert ja wie durch Zauberhand in meinem Kopf, denn allzu viel zu Lesen hast Du mir ja nicht gegeben (und es wird immer weniger).

Umso mehr begeistert mich, wie aus dem halben Blatt voll Wörtern ein „Davor, Dabei und Danach und vieles zwischen den Zeilen in meinem Kopf entsteht. Wie machst Du das? Ist es die Situation, die jeder kennt (ich meine, das im Auto sitzen, nicht das Baby aussetzen) oder/und der Dialog, der alles sagt.

Ich bin hier zum Lernen, aber das ist schon sehr hohe Kunst.
Dankeschön
Witch

 

Hallo jimmysalaryman,

Ich wollte auch noch meinen Leseeindruck schildern. Leider funktioniert die Geschichte in der Art für mich nicht so richtig. Nach meinem Empfinden hat sie vor allem ein Problem: die fehlende Glaubwürdigkeit. Der springende Punkt für mich ist hierbei, dass ich das Motiv vermisse. Den Grund, der das Elternpaar zu so einer Tat veranlasst. Ich meine, wir reden nicht von einer Fahrt zur Adoptionsstelle oder wenigstens zur Babyklappe (beides schon schlimm genug), sondern davon, dass die beiden vorhaben, ihr Neugeborenes an einer Raststätte abzulegen. Aufgrund der Ungeheuerlichkeit dieser Tat würde ich zwingend einen Konflikt erwarten, so groß wie ein Wolkenkratzer. Allerdings kommt der für mich nicht rüber. Ich lese aus deinen Kommentaren heraus, dass du der Meinung bist, der Leser solle sich solche Dinge selbst erarbeiten. Hier stößt dieser Ansatz, den ich im Übrigen nur bedingt teile, meiner Meinung nach an seine Grenzen. Diese Tat braucht, wie ich finde, zwingend eine Unterfütterung, und die muss vom Autor kommen. Du beschreibst die trostlose Landschaft und versuchst vielleicht dadurch, dem Leser den Konflikt der Eltern nahezubringen. Sozusagen über das Äußere das Innere erklären? Im Prinzip ein probates Mittel, aber dagegen spricht die kaum vorhandene Trostlosigkeit im Auto. Im Gegenteil, da schwingt schon fast Liebe mit, sowohl zwischen den beiden als auch gegenüber dem Kind. Das macht es für mich noch unglaubwürdiger. Warum zum Teufel machen die das? Ich denke, wenn ich mehr über den „Gegenwind“ im Leben der Eltern wüsste, könnte ich die Geschichte akzeptieren, aber so geht mir das Ganze nicht so richtig runter.

Beste Grüße,
Fraser

 

Hallo jimmysalaryman,

lange, lange habe ich überlegt, ob ich einen Kommentar zu deinem "Notfallplan" schreiben soll. Viele haben sich ja schon auf deine Geschichte gestürzt. Es ist eigentlich auch nix anzumerken. Aber nachdem diese Zeilen doch noch irgendwie immer in meinem Kopf "weiterarbeiteten", will ich auch meinen Senf dazugeben…

Also, erst einmal finde ich es bewundernswert, dass du es schaffst in so wenigen Worten eine solch traurige Stimmung zu erzeugen und auch noch eine (wirklich kleine) Geschichte zu erzählen.
Ich spüre Angst (vor Entdeckung), Trauer (ums Kind) und Liebe (zwischen den beiden Eltern).
Wie schon von anderen angemerkt, kann ich die Verzweiflung, die die beiden zu dieser Tat zwingt, jetzt nicht direkt finden in deinem Text, aber ist das überhaupt nötig? Wer so etwas tut, muss schon sehr verzweifelt sein. Davon gehe ich mal aus.

In der jetzigen Version habe ich nicht mehr das Gefühl, es könne sich eventuell vielleicht doch um einen Welpen handeln, es ist klar ersichtlich, dass es um ein Baby geht, dass ausgesetzt werden soll. Wie hast du das eigentlich gemacht? Ich habe nicht das Gefühl, dass du viel verändert hast? Aber es klappt.

So, warum nun mein Kommentar?
Was mich aber immer irritiert hat, war der Anfang der Geschichte.

Er sieht in den Seitenspiegel. Die Geschäfte liegen dunkel und verschlossen am Straßenrand.
Kann man durch den Seitenspiegel wirklich die Geschäfte in der Dunkelheit sehen?
Und diese Mülltonnen… Ich weiß, dass du damit einen Wink auf den kommenden Teil der Geschichte geben willst, eine andere (noch grausigere Option, die die beiden gehabt hätten) aufführen. Oh Gott, ich mag gar nicht weiter darüber nachdenken, mir wird grad schlecht… Aber dieser Anfang, der noch in der Stadt spielt, passt für mich nicht zum restlichen Teil, lenkt mich irgendwie ab. Warum steigst du nicht direkt bei der Autobahnfahrt ein. Ist doch egal, wo sie herkommen, ob vom Lande oder aus der Stadt. Die Mülltonnen könnten ja auch auf dem Rastplatz auftauchen. Weil ich finde, diese "wichtigen" Tonnen sollten unbedingt drin sein in der Geschichte..
(Und wegen der flirrenden Neonlichter… vielleicht spiegeln die sich ja auch im Asphalt, dann brauchen sie nicht flirren)

Naja, das ist nur meine Meinung. Muss dich nicht weiter kümmern.

Ansonsten hat mich diese Geschichte wirklich sehr betroffen gemacht und ich staune, wie viel man mit so wenig sagen kann.

Liebe Grüße
Lind

 

Ane,

ja, irgendwie ist das diesmal sehr schwer auch für mich mit der Statik des Textes, weil viele vieles sagen, und auch immer wieder unterschiedlich. Da ist keine Tendenz erkennbar. Was ich aus deinem Kommentar mitnehme: Die Strecke, die sie zurücklegen, da muss mehr Atmosphäre rein, sie muss erkennbarer werden, sie ist jetzt zu schnell. Dann Flirren raus. Ich überlege mir was. Vielen Dank für deine Zeit, Ane.
greenwitch, danke dir sehr für das Lob. Na ja, hohe Kunst, vielleicht eher ein Wagnis. Kann auch immer voll nach hinten losgehen, dann stehst du da. Ich sage ja auch ganz klar: Man muss so was schon auch lesen wollen, man muss sich darauf einlassen. Danke dir dafür!
Fraser, die Frage nach dem Motiv, finde ich, stellt sich für mich nicht. Dass es so etwas gibt, das ist Fakt, auch trotz Babyklappe, ich hatte da entsprechende Links gepostet. So etwas passiert. Warum, das soll dieser Text nicht klären. Hier geht es ja nur um diesen einen Moment. Auch nicht um einen riesigen Konflikt, der ist ja immanent, den hat es schon gegeben, darum soll es hier auch gar nicht gehen. Muss ich wohl mit leben, dass du den Text so nicht akzeptierst. So long.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt!

 

Hallo jimmysalaryman ,

Ich hab deine Geschichte schon vor ein paar Wochen mehrmals gelesen und bin mir weiterhin nicht sicher, was ich darüber denke. Letztendlich ist das mir zu wenig. Eine gewisse Stimmung kommt bei deinen Beschreibungen auf und man merkt auch, dass du den Spaß schon länger machst, aber es ist wie gesagt zu wenig für mich. Wie lange hast du an der Geschichte gemeißelt? Ich kann mir den Text sehr gut als abschließendes Kapitel einer größeren Geschichte vorstellen, so fehlt mir aber leider etwas der Bums. Denke mal, dass du das nicht zum ersten Mal liest :D

Liebe Grüße
Grayson

 

Lind,

danke für deinen Kommentar. Du hast Recht, die Strecke wird zu schnell erzählt am Anfang, da muss ich nochmal nachbessern. Das ist schwierig, ich lasse den Text erstmal so stehen, bis zum Ende der Challenge, das sind vier Wochen, dann habe ich den Kopf frei.
Manlio, danke auch dir. Verortung, das ist auch ein gutes Thema. Ich versuche, Texte immer irgendwie zentral und zeitlos zu gestalten, klappt dann nur nie. Ich weiß aber genau, was du meinst, es haut einen dann aus der Lesewelt heraus, weil man über irgendetwas stolpert. Ist ein guter Tip mit der Raststätte. Ich gebe mich alsbald dran.
Grayson, eine gewisse Stimmung kommt beim Lesen deines Kommentars auch auf. Welchen "Spaß" meinst du genau? Das Schreiben von Geschichten, oder wie? Dass da der "Bums" fehlt, was auch immer das nun sein mag, habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht so oft diesbezüglich gehört. Ist halt ein Experiment, ich möchte mich gerne weiterentwickeln, bzw Dinge anders angehen. Da kann ich nicht jeden Leser mitnehmen, ist auch vollkommen in Ordnung.

Gruss, Jimmy

 

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