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Notfallplan

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28.12.2009
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Notfallplan

Er sieht in den Seitenspiegel. Die Geschäfte liegen dunkel und verschlossen am Straßenrand. Mülltonnen stehen abholbereit auf dem Bürgersteig. Die Ampel springt auf Grün.
„Hast du ihm das Sedaplus gegeben?“
„Ja“, sagt sie leise und lehnt sich in den Beifahrersitz.
Landschaft zieht vorüber. Wiesen. Zuckerrübenfelder. Auf dem Fluss hellgelbe Schaumflocken. Saatkrähen sitzen in der Krone einer Pappel. Zwei Lastwagen auf der rechten Spur. Er schaltet und überholt.
„‘s dauert nicht lang, ja? Hast du mir versprochen.“
Er schüttelt den Kopf. „Ist `ne Raststätte vor Köln.“
Sie sieht aus dem Fenster. Die Leitplanke ein langer weißer Strich. „Hab ihm noch `ne extra Decke eingepackt.“
Er legt beide Hände auf das Lenkrad. „Lass das mit der Decke. Finden se nachher raus, wo du die gekauft hast.“
„Aber ich will nicht, dass er friert.“
„Das reicht so."
Sie senkt den Blick und öffnet das Seitenfenster einen Spalt. Kalte Luft strömt über ihr Gesicht. „Max“, sagt sie nach einer Weile und sieht in den Rückspiegel. Ihr Gesicht entspannt und wird ganz weich. „Wie mein Opa.“
Er streicht mit dem Daumen über ihre Wange. Sie dreht den Kopf zur Seite. Der Motor läuft fast lautlos. Neonlichter flirren am grauen Horizont.

 

Hej jimmysalaryman,

dein Text behandelt auf die Schnelle ein sensibles Thema. Allerorts entscheiden sich Mütter auf seltsame Weise und unterschiedlichen Gründen ihre Kinder 'freizugeben'.

Es wäre schön, wenn mich etwas davon in dieser Szene erreicht hätte und mit Beweggründen, gerne auch verschlüsselt, auch nur im Ansatz erreicht hätte. Aber ich konnte weder die Szenerie zuordnen, noch das offenbar sich liebende Paar verstehen. Ich verstehe die Zuckerrüben, die gelben Schaumflocken nicht einzusetzen.
Und in einem so kurzen Text auch noch einen Fachbegriff googeln zu müssen, behagte mir auch nicht sonderlich.

Für meine Empathie hätte es weniger Außen, mehr Innen benötigt.
Ich nehme es dem Paar einfach nicht ab, dass es dieser 'Hürde', das Kind zu behalten, nicht gewachsen wäre, bei all den liebevollen Gesten und Worten.
Ich hatte ganz zu Beginn erwartet, einen aggressiven, dominanten, überforderten Fahrer-Vater anzutreffen, stattdessen ist er liebe- und verständnisvoll.

Und deswegen komme ich so gar nicht zurecht.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 

RinaWu,

es ist toll, wie du deine Empfindungen beim Lesen beschreibst. Wie du sie da in dem Auto sitzen siehst, das ist schon echt irgendwie total nah dran, das läuft auch bei mir dann noch mal wie ein Film vor Augen ab. Auch mit deiner Lesart, die die Symbole im Text erschließt - das finde ich natürlich super. Im Grunde braucht es das auch, sonst geht so ein Text eventuell auch schnell unter.

Die Wortdopplung, die du angemerkt hast, die stört mich auch. Ich lasse den Text erstmal etwas ruhen, danach überarbeite ich den auf jeden Fall, sicher noch mehrmals. Ich finde deine Ansicht, dass sich dieser Text eher wie ein Gedicht lesen lässt, gar nicht verkehrt, da wäre ich nicht drauf gekommen, ist eine gute Ansicht, wie ich finde.

Ich bin gerade etwas leer, was den Text betrifft, sorry, dass ich nicht mehr schreiben kann gerade, ich melde mich alsbald mit mehr!

Gruss, Jimmy

 
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So jimmisalaryman ,
Ich schreibe dem Lesen direkt das mit, was ich gerade denke. Da dein Text so kurz ist, habe ich vor, ausführlich meine Gefühle zu beschreiben.

Er sieht in den Seitenspiegel.
Okay, sie sind im Auto und er fährt vermutlich. Der Ort ist da. Ich frag mich aber, wie du es hingekriegt hast, dass ich weiß, dass das Auto fährt. Immerhin hast du das ja nicht direkt ausgeschrieben.

Die Geschäfte liegen dunkel und verschlossen am Straßenrand.
Düstere Atmosphäre wurde vermittelt. Er kann nicht draußen sein, weil er einkaufen will. Was will er aber sonst?? Da baust du Spannung auf. Ich hab das Gefühl, dass du aus der Sicht des Typen schreibst und dass der Typ angespannt ist. Dann frage ich mich aber, warum der Mann jetzt auf die Geschäfte achtet. "am Straßenrand" kann raus. Wieso? Ich weiß doch auch ohne Anmerkung, wo Geschäfte sind. Und hey, du wolltest doch Reduktion. :D

Spätestens ab dieser Stelle spiele ich mit dem Gedanken, selber so ne Geschichte zu schreiben.

Mülltonnen stehen abholbereit auf dem Bürgersteig.
Der Sinn dieses Satzes erschließt sich mir nicht. Das mit der grünen Ampel funktioniert doch viel besser als Überleitung zwischen Einleitung und Hauptteil (Ich würd mir an deiner Stelle überlegen, ob du so ne Überleitung überhaupt brauchst.)

„Hast du ihm das Sedaplus gegeben?“
Das mit dem Fremdwort hast du wohl absichtlich gemacht. Dadurch, dass man das jetzt googelt, braucht man insgesamt länger, um den Text zu lesen. Somit wirkt deine Geschichte ausdrucksvoller, obwohl sie recht kurz ist. War das deine Absicht? Wenn ja, dann ist die Idee genial.

lehnt sich in den Beifahrersitz.
lehnt man sich nicht eher "an" etwas? Wenn sie "in" den Beifahrersitz will, dann bedeutet es, dass ihr etwas sehr unangenehm ist.

Zuckerrübenfelder. Auf dem Fluss hellgelbe Schaumflocken.
Dafür, dass es dunkel ist, erkennen die ziemlich viel.

„Hab ihm noch `ne extra Decke eingepackt.“
Aww, das ist schön. Vorallem weil du da jetzt auf Kälte anspielst. Kalt und dunkel. Schöne Atmosphäre. Aber da passen Zuckerrüben nicht rein, finde ich.

Kalte Luft strömt über ihr Gesicht.
Ich weiß schon, dass es kalt ist.

Ihr Gesicht entspannt und wird ganz weich
entspannt kann raus, finde ich.

Er streicht mit dem Daumen über ihre Wange. "Wie du willst."
Darauf angespielt, dass sie weint, wenn ich jetzt nicht zu viel interpretiere.

Neonlichter
Können für Grausamkeit stehen, so aggressiv, wie die rausstechen. Kann aber auch für Hedonismus stehen. Aka "Rotlicht"

Jaa, die Geschichte fand ich ganz okay. Aber ich muss gestehen, ich hab den Text nicht bis zum Schluss gelesen, weil ich deine Figuren besonders tief fand oder die Handlung spannend oder den Stil so schön, sondern einfach, weil der Text so kurz war.

oh, und noch was.
Ich liebe die superkurzen Geschichten von Saadi. Guck mal zum Beispiel das von ihm:

Man erzählt von einem Herrn, der einen Sklaven von seltener Schönheit besaß, dass er diesem in reiner Liebe und aufrichtiger Zuneigung zugetan war.
Einst äußerte er einem seiner Freunde: "Ach, wenn dieser eine Sklave, bei der Schönheit und den Vorzügen, die er besitzt, nur nicht so geschwätzig wäre."
"Oh mein Bruder", sagte der Freund, "wenn du Freundschaft bekundest, darfst du keine Dienstbeflissenheit erwarten, denn wo Liebender und Geliebter erscheinen, verschwinden Herr und Diener!"
http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-rosengarten-3022/7

Ich glaube,für eine Flash Fiction hast du einfach zu viel Handlung reingepackt.

LG,
alexei

 

Kanji,

danke dir für deinen Kommentar. Wie bereits erwähnt, kann ich nachvollziehen, wenn einem da etwas fehlt. Den Text jetzt mit einer Innenansicht zu füttern, wäre meiner Meinung nach der falsche Ansatz, weil das zu viel Raum einnimmt und auch ein ganz anderer Text werden würde. Hier geht es ja um eine Reduktion aus gewissen Gründen - dann muss man das Format annehmen, oder eben nicht. Ich denke, die nüchterne Draufsicht ist hier die passende, weil sie mehr Luft lässt, mehr Schwingung ermöglicht, Ich sehe den Mann auch nicht so sehr als verständnisvoll, wie du, da steckt glaube ich schon mehr drin, aber wie gesagt: Ich kann verstehen, wenn man damit nicht zurecht kommt und überfordert damit ist, den Text als Ganzes wahrzunehmen. Es wird auch nichts "auf die Schnelle" erzählt, sondern der Text ist einfach nur kurz. Es ist eine kurze Geschichte, die natürlich woanders beginnt und auch woanders aufhört. Aber das kann und will der Text nicht leisten. Und ob man den Protagonisten jetzt ihr Handeln abnimmt, ist eine andere Frage. Inwieweit man hier von Authentizität sprechen kann, steht auf einem anderen Blatt. Wie gesagt, ich glaube 99% der Texte auch nicht, aber das ist eben auch ein Totschlagargument, um sich nicht weiter damit beschäftigen zu müssen. Andere Leser haben da jetzt keine Probleme. Und, wie gesagt, ich lese da jetzt nichts sonderlich Liebevolles heraus, von der Mutter vielleicht, aber sicher nicht von ihm. Außerdem heißt das noch nichts, weil der Titel "Notfallplan" ja auch bei aller Liebe diesem neugeborenen Kind gegenüber immer noch sinngebend ist. Vielleicht müssen sie sich trotz aller Liebe davon trennen? Das gibt die Geschichte eben einfach nicht her.

Gruss, Jimmy

 

alexei,

danke für deinen Kommentar.

Die Perspektive ist für mich überhaupt nicht personal. Nirgendwo wird das verankert. Nirgends steht: er denkt, er sieht, er macht dies und das. Es ist für mich ein erzählerloses Erzählen. Nichts wird bewertet, alles wird nur beschrieben. Nicht mal eine Gefühlsregung.

Geschäfte können auch in weiter Entfernung liegen. Oder ich sehe sie nur, ich erahne sie. Das ist hier wichtig, den Text klar zu verorten - sie sind in Bewegung, aber noch nicht am Ziel. Klare Verortung macht viel mit einem Text und dem Leser. Du sagst ja selbst, du spürst die Bewegung.

Mülltonnen - sind sie geleert, ist es früher Nachmittag. So ist es wahrscheinlich sehr früher Morgen. Zeitangabe.

Ich wusste nicht, dass Sedaplus so unbekannt ist. Aber ja, es soll ein früher Hint sein.

Zuckerrübenfelder und der Fluss, das soll natürlich verdeutlichen, dass sie sich vom Land her in eine eher städtische Umgebung bewegen. Raststätte, Autobahn, da muss auch vorher was passieren. Das ist erzählte Zeit. Und im frühen Morgengrauen kann man das erkennen.

Woher weißt du, dass es kalt ist? Das steht da nirgends. Da steht nur, dass für ein Baby, was Temperaturen anders empfindet, noch eine extra Decke eingepackt wurde. Man kann spekulieren, ob die Mutter nicht so gar überreagiert und der Typ Recht hat; eine Decke reicht. Darüber macht der Text gar keine Angabe. Dass es kalt sein muss, das hast du beschlossen. Ob das wahr im Kontext ist, darüber macht der Text bis explizit zu diesem Wort eben keine Angabe.

Die letzte Szene mit dem Daumen, das kann man natürlich so deuten. Mir ist die erst nach Flieges Insistieren eingefallen, weil da einfach etwas fehlte. Deine Deutung liest sich sehr gut, das wäre mir nicht zuerst eingefallen, aber ja, klar.

Hier ist mal ein kleiner Guide zur sogenannten Flash Fiction. Ich finde das ungemein spannend, weil es auch sehr große Anforderungen mit sich bringt. Es wird eben nicht nur reduziert, sondern die Stories sollen alle relevanten Teile behalten. Ist das hier gelungen? Ich bin mir da ehrlich gesagt sehr unsicher. Es war ein Versuch. Aber man kann als Autor hingehen und sich Gedanken machen, wie ein Text tatsächlich funktioniert, und wenn ich dann beginne, dass Offensichtliche herauszunehmen, ihn zu einer Art Skelett werden lasse, auf welche Basis, auf welchen Elementen der Text fundiert.

https://www.theguardian.com/books/2012/may/14/how-to-write-flash-fiction

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

Ganz am Anfang dachte ich, die müssen ein Kind ruhig stellen (warum auch immer). DANN, dass die zwei einen Hund aussetzen (das Medi hilft ja sicher auch bei Hunden). Nur bei dem Namen "Max" wurde ich stutzig und dachte, boah, die werden doch nicht... Doch, sie haben! Da war ich dann ein bisschen fassungslos. Und sauer auf die zwei! Wie kann man nur? Und warum? Andererseits, für so ein Verhalten gibt es da Entschuldigungen? Aber wir alle wissen, schreckliche Dinge passieren, manchmal auch ganz ohne Grund. Mir hat dein Text super gefallen! Ich fand in der Kürze letztendlich doch alle Informationen, die ich benötigte. Die Frau hätte das alleine vielleicht gar nicht durchgezogen? Ihr Partner war da unter Umständen die treibende Kraft? Ich kann/darf mir über deinen Text Gedanken machen und meine Fantasie spielen lassen, über die vielen "w's". Das ist gut so.

Liebe Grüße Sabine

 

Hallo jimmy,

ich musste wegen deinem Text an eine Geschichte denken, die absolut gar nichts damit zu tun hat. Und zwar über Diogenes, diesen antiken Philosophen, der angeblich in einer Tonne gehaust hat. Es heißt, der hätte praktisch nichts besessen außer einer Tasse, und eines Tages hat er ein Kind gesehen, das mit seinen Händen Wasser schöpfte, um zu trinken. Danach hat er auch die Tasse weg geworfen.

Moral von der Geschichte? Ich habe Respekt dafür, wenn jemand alles Überflüssige weglassen möchte. Wirklich. Auch wenn ich selbst das für mich nicht anstrebe - ich mag Tassen und sogar den einen oder anderen Dekogegenstand. :) Aber ich bewundere das schon, wenn jemand das so rigoros durchzieht. Aber es kommt dann irgendwann ein Punkt, wo ich denke: Man kann's auch übertreiben.

Und den Punkt haben deine Texte jetzt für mich erreicht.

Beim Lesen der Kommentare war es für mich der Kontrast sehr auffallend, dass du sagst, du hast das wegen einer realen Geschichte geschrieben, die dich nicht losgelassen hat. Und viele Leser sagen: Mich hat das nicht berührt, das löst nichts bei mir aus.

Das finde ich irgendwie schade. Ich frage mich: Wenn einen selbst eine Geschichte nicht los lässt, und man schreibt eine fiktive Version davon, möchte man dann nicht, dass es die Leser auch nicht los lässt?

Ich persönlich werde schon noch eine Weile an die Geschichte denken, glaube ich. Aber auch nicht wegen dem, was darin passiert. Sondern weil die für mich illustriert, dass es - nach meinem Empfinden, natürlich - bei dem Streben, alles Überflüssige wegzulassen, einen Punkt gibt, an dem das Weniger nicht mehr mehr ist, sondern einfach zu wenig.

Natürlich kann man viel hineinlesen in die wenigenZeilen. Viele Kommentare sind mehr als doppelt so lang wie die Geschichte und es gibt viele fundierte Überlegungen zu der Beziehung der beiden Figuren, und was sich hinter den einzelnen Sätzen des Dialogs verbergen könnte.

Aber für mich ist das so ein bisschen so, als ob mir jemand sagt: Wenn du diese Felsformation aus einem bestimmten Winkel in einem bestimmten Licht betrachtest, dann sieht es aus wie ein Gesicht. Da sage ich dann: ja, interessant. Aber das ist für mich nicht dasselbe, als wenn jemand tatsächlich ein Gesicht aus dem Felsen gehauen hätte.

Der Vergleich hinkt ein bisschen, denn natürlich steckt auch in so einem kurzen Text Arbeit und natürlich ist der künstlerisch gestaltet. Aber ... wie soll ich sagen - ich hab das Gefühl, du hast hier ein paar Linien angedeutet, und dann drückst du deinen Lesern das Werkzeug in die Hand und sagst: Hier, mach selber fertig. Und es gibt einige, die mögen diese Herausforderung.

Aber ich persönlich, ich will mir ehrlich gesagt diese Arbeit nicht machen. Wenn ich eine Geschichte lese, dann geh ich davon aus, der Autor hat diese Arbeit schon geleistet, zumindest zum großen Teil. Das ist jetzt vielleicht mehr eine Selbstkritik an meinem Leseverhalten und meinen Erwartungen an Literatur als an deinem Text. :)

Letzten Endes muss ich einfach feststellen, dass es nicht meine Tasse Tee ist, wenn überhaupt keine Tasse da ist. Das bedeutet natürlich nicht, dass du dir unbedingt eine zulegen musst, wenn du nicht willst. :kaffee:

Grüße von Perdita

 

Hey Jimmy,


wäre interessant, wenn das ein Maskenball-Text wäre, oder wenn ein 'Neuling' solch eine Geschichte hochgeladen hätte. Ich vermute mal, das Feedback würde nicht sonderlich positiv ausfallen. Oder der Text würde einfach ins Nirvana versinken. Ist natürlich nur 'ne sehr subjektive These jetzt.
Ich vermute aber mal, dass viele einfach nicht gewillt wären, diesen Aufwand zu betreiben, den du forderst.

Folgendes hast du Novak geschrieben:

Also ich glaube, der Leser muss den Text so nehmen, wie er ist, und dann auch in Kauf nehmen, nur ein wirklich kurz beleuchtetes Schlaglicht zu bekommen, zu dem er sich die backstory selber konstruieren kann, aber nicht muss.
Warum muss der Leser das in Kauf nehmen, warum sollte er einen Text nehmen müssen, wie er ist? Denke ich das weiter, bedeutete das, so ein Text bliebe gänzlich unangreifbar. Funktioniert der nicht, dann ist halt der Leser nicht "einfühlsam" genug oder so. Mja, das ist schon auch eine arrogante Sichtweise des Autoren dann, finde ich, ohne dir das jetzt unterstellen zu wollen.
Was das Konstruieren angeht: Ich sehe das halt so, dass ein Autor Leser einlädt, seine Geschichte zu lesen, und die erwarte ich dann halt auch. Ist das falsch? Wenn ich zum Essen eingeladen werde und ich gehe dahin und der Gastgeber lehnt sich in seinen Sessel zurück, zeigt auf einen Topf voll Wasser, ne Menge Zutaten und sagt dann: Hier das kochende Wasser, da die Nudeln und alles andere, dann leg mal los, wenn du Pasta essen möchtest.
Ich weiß nicht, und wenn ich dann sagen würde: Alter! Das ist mir zu wenig, das habe ich mir anders vorgestellt! Und bekäme die Rückmeldung, meine Erwartungshaltung sei halt das Problem. Hm ...
Es braucht also, wie du ja auch selbst klar sagst, einen einfühlsamen Leser, um sich so einen Text zu nähern.
Für mich klingt das, als wäre jeder Leser, der weniger mit derart Texten anfangen kann, nicht einfühlsam genug.
Ich kann das selbst oft nicht und setze immer direkt meine eigenen Maßstäbe an den Text an, was manchmal oft einfach nicht richtig ist, weil ein Text immer auch ein Solitär ist, den man für sich genommen nehmen muss, und für den die eigenen Maßstäbe vielleicht überhaupt nicht zutreffen.
Was ist daran falsch? Ich meine, hier geht's um Texte, fiktive Geschichten, nicht mehr.
Ich verstehe schon, ist irgendwie beinahe ein philosophischer Ansatz - Dinge einfach mal so stehen zu lassen und so. Irgendwie ist das halt aber auch eine realitätsferne Sichtweise.
Ist doch klar, dass ich eigene Maßstäbe anlege - that's life, oder? Ich meine, um mich orientieren zu können in der Welt, ist das quasi Voraussetzung. Das heißt ja nicht, dass ich ablehnen muss, was meinen Maßstäben nicht entspricht, der Abgleich als solcher ist aber doch ganz normal. Gut, in der Regel lehnen wir tatsächlich meist ab, was den Maßstäben nicht entspricht - darüber kann man durchaus debattieren, ja, in der Kunstwelt läuft es aber doch einfach so ab, dass ich einen Roman, der angelesen wird, und nicht gefällt, eben zurück ins Regal gestellt wird. Dass man einen Film, der nicht gefällt, halt ausschaltet. Hat ja keine Konsequenz. Und konsumiere ich zu Ende, ist es doch legitim, wenn ich ein Urteil fälle, weil von mir aus, meine Erwartungshaltung nicht erfüllt wurde. Daran ist nichts falsch, finde ich.
Okay - ist ja beinahe offtopic jetzt.

Ich mag deine Texte, Jimmy, ich finde auch prima, dass du dich immer wieder neu auszuprobieren versuchst. Das hat dich auf den Weg gebracht. Reduktion ist, denke ich, ein wichtiger Punkt (und Antrieb) für die Gestaltung deiner Geschichten, und dir ist da unheimlich viel gelungen auch - nicht umsonst fährst du auch Riesenerfolge ein :).
Hier gehst du halt einen Weg, dem ich nicht folgen möchte, mir ist das auch zu wenig.
Die Kunst - die du auch beherrschst - liegt für mich darin, die Balance zwischen Gesagtem und Nicht-Gesagtem zu halten. Lücken zu lassen, die Leser selbst füllen können (das wäre dann die "geforderte" Transferleistung, die ich nachvollziehen kann), nicht aber, vom Leser zu fordern, er solle die ganze Geschichte selbst konstruieren - das bleibt Aufgabe des Autors, finde ich. Und das ist eben einer der Maßstäbe, den ich an Texte anlege, ja.


Weiß nicht, ob dir der Komm was bringt, aber ich denke, gerade weil du - wie du sagst - Neuland betrittst, mag das Feedback vielleicht statistisch eine kleine Rolle für dich spielen.


Danke fürs Hochladen


hell

 

Sabine P,

danke für deinen Kommentar. Für dich sind die Informationen alle da, die du brauchst, das höre ich natürlich gerne. Danke für dein Lob.
Perdita,

Ich drücke niemandem irgendetwas in die Hände. Du kannst auch sagen, mir gibt dieser Text nichts, was du ja auch tust. Alles okay.
hell,

Mja, das ist schon auch eine arrogante Sichtweise des Autoren dann, finde ich, ohne dir das jetzt unterstellen zu wollen.

Mjo, und schreibst dann drei belehrende Absätze, wo du mir erklären willst, dass ich eigentlich genau diese arrogante Sichtweise besitze.

Wenn ich einen epischen Roman kaufe und lesen will, dann muss ich in Kauf nehmen, dass dort lange Strecken sind, in denen vielleicht nicht viel passiert, was die Handlung vorantreibt.

Wenn ich einen Actionfilm ansehe, muss ich in Kauf nehmen, dass ich gewalttätige Szenen sehen werde.

Ich sehe mir einen Text an und spekuliere, was dieser Text sein soll. Dann kann ich ihn rubrizieren, ihn an einer Art Meta-System vergleichen - welche Funktionen hat er, und erfüllt er diese? Jeder Text hat eigene Spielregeln. Ich erwarte nicht, dass der Leser sich den Text selbst konstruiert. Das habe ich nirgends gesagt. Für mich gehört eine gewisse Transferleistung aber immer dazu, sonst würde die Literatur nur noch eine bessere Bedienungsanleitung sein. Ich glaube, dass man sich als Leser auf einen solchen Text einlassen muss. Das tut jeder Autor bei jedem seiner Texte. Für mich war das ein Experiment. Man kann jetzt hingehen und draufhauen, oder man kann den Text nehmen, wie er ist - eine sehr, sehr kurze Geschichte.

In deinem Kommentar geht es eigentlich auch nur in einigen Zeilen um den Text, und ansonsten um eine Sichtweise der Rezeptionshaltung, oder was du glaubst, was meine Sichtweise ist. Was möchtest du mir überhaupt sagen? Ich fordere nichts von einem Leser. Ich sage, dass dieser Text eben nicht mit den gleichen Kriterien bewertet werden kann wie andere. Mehr nicht. Ich werde mich jetzt hier nicht rechtfertigen. Diese Diskussion habe ich gefühlte tausend Mal hier geführt, ich bin es echt leid.

Gruss, Jimmy

 

Tach jimmy,

hat Gretchen den verknappten Stil hervorgerufen?

Warscheinlich übertreib ma' wieder zu dieser knappst gehaltenen Geschichte, die schon allein deshalb gut ist, weil sie Deutungen unterschiedlichster Art zulässt und bei mir gehn vielleicht gerade die Gäule durch. Aber hat ja was weniger modernes als modisches an sich. Also:

"Er", mutmaßlich der Vater, ist die treibende Kraft in diesem modern-mobilen Kammerspiel

Er sieht in den Seitenspiegel. ... „Hast du ihm das Sedaplus gegeben?“ ... „Lass das mit der Decke. Finden se nachher raus, wo du die gekauft hast.“ ... „Das reicht so." ... Wie du willst."...

Sein letzter Satz ist in dem Ganzen ein winziges Zugeständnis an die trotz allem besorgte Mutter. Jacke wie Hose, ob der Junge nach dem Opa "Max" (blanker Zynismus, maximus = der Größte) genannt wird oder "Infant".

Und schon - wie gesagt, Literatur darf und muss sogar übertreiben, also darf's auch ein Komm!
Denn was gibt's in den USA, was nicht im AT noch verknappter ginge (Beispiel, wo unsere Moderne 500 Seiten für braucht: Und er erkannte sein Weib ..." ohne Voyeurismus oder dass einer sich aufgeilen könnte. Also weiter in Deiner Kalendergeschichte, denn

sogleich tauchen mit dem übertrieben Namen Mythen auf, wo Kleinkinder - i. d. R. Söhne - ausgesetzt werden, weil der Vater um seinen Thron fürchtet. Die Reihe der Namen ist gar nicht mal so kurz, weil der wichtigste zumeist gar nicht erst auftaucht zwischen Ödipus (wahrscheinlich die älteste und bekannteste Sage, weil er auch noch sein eigene Mutter hernach heiratet, also auch ein mögliches Motiv für den Vater der Geschichte, der als Gatte und Ernährer Konkurrenz fürchtet) und Romulus (+ Remus), die wie nebenbei ein Städtchen gründen, dass hernach ihre etruskische Heimat fressen wird.

Am wichtigsten, weil länger andauernd als selbst das Imperium ist die Geschichte des Moses ...

"Erstes Interesse an der Person Mose weckt der Name und ein Bruch zur biblischen Darstellung: warum sollte eine ägyptische Prinzessin einen im Nil ausgesetzten Jungen einen hebräischen Namen geben? Steht nicht schon das Kästchen für den Mutterleib und die Wasser des Nil fürs Fruchtwasser?"

Und muss der Verkehr nicht fließen wie der Lesefluss ... "Der Name Mose ist Bestandteil ägyptischer Namen wie etwa dem des Tuthmosis / Thutmose und bedeutet nichts weiter als 'Kind' [in dem genannten Namen also 'Kind des Thoth', dem ibisköpfigen Gott der Schreibkunst und Wissenschaft]. Warum sollte jemand, der einen ägyptischen Namen trägt, zu einer Zeit, da Namen noch nicht Schall und Rauch sind, nicht auch Ägypter sein? [Freilich muss hier darauf hingewiesen werden, dass der Begriff des Pharao für den altägyptischen Königstitel Pir-o ('Großes Haus') ein hebräisches Lehnwort ist.]"(http://www.wortkrieger.de/showthread.php?46935-Der-Moses-Roman-des-Sigmund-Freud). So haben wir neben dem Kasten und/oder Klappenkind noch das in der Krippe - auch eine ägyptische Mär, wenn Isis mit dem Horuskind (da ist zur Abwechselung mal der Vater, Osiris, abhanden gekommen). Und dann käme, sollte jemand die Geschichte weiterspinnen wollen, der Name des großen Herodes (+ 4 v. Chr.) ins Spiel und wieder eine Flucht nach Ägypten.

Schöne Tage, diese Tage vom

Friedel

 

Nur kurz, Jimmy,


Mjo, und schreibst dann drei belehrende Absätze, wo du mir erklären willst, dass ich eigentlich genau diese arrogante Sichtweise besitze.
Also, es liegt und lag mir fern, dich belehren oder was erklären zu wollen - wie kommst du darauf?
Ich bin nur auf das eingegangen, was du selbst geschrieben hast - habe halt meine Gedanken dazu geäußert. So what.

Für mich gehört eine gewisse Transferleistung aber immer dazu, sonst würde die Literatur nur noch eine bessere Bedienungsanleitung sein.
Der Text funktioniert nur, wenn dies und jenes gemacht wird, ist auch eine Art Bedienungsanleitung, nicht?

In deinem Kommentar geht es eigentlich auch nur in einigen Zeilen um den Text, und ansonsten um eine Sichtweise der Rezeptionshaltung, oder was du glaubst, was meine Sichtweise ist. Was möchtest du mir überhaupt sagen?
Erstens: Ich hab' dich nur zitiert, Jimmy, und bin darauf eingegangen - mehr nicht.

Zweitens: Du schreibst selbst davon, dass du Neuland betreten hast, dass der Text eine Art Experiment darstellt (ohne jetzt groß aufs Inhaltliche eingegangen zu sein), und dazu habe ich mich insofern äußern wollen, dass ich als Leser mit solcherart "Gerippe", "Skelett" - wie du das nennst - eben wenig anfangen kann. Ein bisschen Fleisch braucht es halt für mich. Das wollte ich dir sagen, und ja, ich dachte, das könnte eine nützliche Info für dich sein: Das Experiment scheitert halt auch an dem einen oder anderen. Was brächte es dir, wenn alle nur Lobeshymnen singen würden und der Rest die Klappe hielte?
Aber nur, weil diese Art von Text bei mir nicht funktioniert, lasse ich mir nicht absprechen, ein einfühlsamer Leser zu sein.
Schade, dass du eine Lesermeinung so abtust - ist aber natürlich okay, kannst du machen, wie du willst.

Ich werde mich jetzt hier nicht rechtfertigen. Diese Diskussion habe ich gefühlte tausend Mal hier geführt, ich bin es echt leid.
Weder möchte ich, dass du dich rechtfertigst, noch eine Diskussion anzetteln.
Mehr als Feedback auf deine eigenen Worte - und zu deinem "Experiment" als solches - sollte es nicht sein. Diese Diskussion existiert nicht zwischen uns, Jimmy, die magst du mit anderen geführt haben. Das hat nichts mit mir zu tun.


Gruß


hell

 

Hey Jimmy,

ging mir ähnlich wie Peeperkorn: Der Text hat trotz seiner Kürze in mir nachgewirkt, war nicht bloß eine lose Szene, sondern da war etwas, und deshalb kann ich sagen, dass das Teil für mich funktioniert. Das, was zwischen den Zeilen mitschwingt ist hier wirklich gut, finde ich.

Nur kurz, ist schon viel gesagt worden, und ich weiß nicht, ob das schon vorgeschlagen wurde, habe nicht alle Kommentare durch, aber ich sage mal, eine Problematik des Textes ist ja (das war auch die einzige Stelle, über die ich wirklich gestolpert bin), dass es ja die Einrichtung der Babyklappe gibt, klar, ist jetzt schon oft gesagt worden. Die Leute wissen das auch, auch in unteren Schichten, jeder hat irgendwie im Fernsehen mal davon gehört, sage ich mal bauchgefühlmäßig. Du brauchst also irgendeine Plausibilität, weswegen die beiden das Baby an einer Tankstelle ablegen. Dieses Unklare wirkt noch etwas verzerrt, unklar und nimmt dem Text etwas, finde ich. Wäre das mein Text, würde ich noch ein wenig herum experimentieren, und zwar mit der Idee, ob ich das nicht so hinbiegen könnte, dass der Leser zwischen den Zeilen mitbekommt, dass das nicht der Sohn der beiden ist, sondern z.B. die Frau das Baby entführt hat, und sie das Kind jetzt irgendwie wieder losbekommen wollen/müssen - Babyklappe hat (bekanntermaßen) Kameras, da wäre Tankstelle und danach einen Anruf absetzen gar nicht so unlogisch. Nur eine Idee, vielleicht bringt sie dich zu etwas.

Gern gelesen!

Gruß
zigga

 

Hi jimmysalaryman,

nur ganz kurz: bei mir funktioniert die Geschichte. Ich hatte gleich herausgelesen, dass es um das Aussetzen eines Babys geht (auch schon in der ersten Variante).

Ja, klar, das ist ein Experiment, extrem verknappt, reduziert auf Fakten, die aber so gewählt sind, dass sich beim Leser eine eigene Geschichte im Kopf bildet und der Erzähler ist relativ unsichtbar (wobei er natürlich durch die Auswahl der erzählten Eindrücke doch ein wenig sichtbar ist).

Zwei Stellen, an denen ich ein wenig hängen bliebt:

„Ja“, sagt sie leise und lehnt sich in den Beifahrersitz.

Bei diesem "in den Sitz lehnen" habe ich ein unklares Bild, weil man sich normalerweise an etwas anlehnt. Für mich drückt dieser Satz ein "Gehenlassen" aus, ein Nachlassen einer Anspannung. Etwas verstärken könnte man das mit dem Wort "zurück": "... lehnt sich in den Beifahrersitz zurück." Ist natürlich reine Geschmackssache und man fragt sich sofort, ob man dieses Wort braucht. Wahrscheinlich nicht, um das Bild zu erzeugen, welches Du möchtest, aber vielleicht schon, um dieses ungewohnte "in den Sitz lehnen" abzumildern.

Hier bin ich auch gestolpert:

Die Leitplanke ein langer weißer Strich.

Frag mich nicht warum, aber ich würde nach "Die Leitplanke" entweder ein Komma oder einen Gedankenstrich setzen. Aber, ob das die deutsche Grammatik zwingend erfordert, kann ich auf die Schnelle nicht beantworten.

Dann stört mich das Adjektiv "weiß", denn weiße Leitplanken kenne ich nicht, nur graue oder silberne. Man könnte noch hineinlesen, dass die weiße Farbe durch das von der Leitplanke reflektierte Licht entsteht, aber das finde ich zu weit hergeholt und außerdem stimmt es auch nicht wirklich.

Eine nette Doppeldeutigkeit am Ende:

„Max“, sagt sie nach einer Weile und sieht in den Rückspiegel. Ihr Gesicht entspannt und wird ganz weich. „Wie mein Opa.“

Hier habe ich beim ersten Lesen nicht gelesen, dass das Baby "Max" heißen soll, wie der Opa, sondern dass sie den Mann mit "Max" anspricht und mit "Wie mein Opa" meint, dass das Baby wie der Opa aussieht.

Wie auch immer, ein gelungenes Experiment, über das ich aber wahrscheinlich nicht nachgedacht hätte, wenn es nicht von Dir wäre, was mir wiederum zu denken gibt.

Interessant finde ich übrigens auch immer, welche Diskussionen sich bei Deinen Geschichten ergeben.

Schneller Gruß
Geschichtenwerker

 

Friedhelm,

danke dir, Freetle, für deine Zeit. Ich mag auch Texte, die ich deuten kann, aber ich erkenne ja auch an, dass es nicht jedermanns Bier ist. Deswegen freut es mich, dass du so denkst.
hell,

Ach sorry, sollte gar nicht so ankommen. Manchmal gehen mir die Gäule durch, ist ja ein emotionales Thema, man versucht was, ist sich unsicher. Ich erwarte auch keinen Schulterklopfer, das auf keinen Fall, es wirkte im Moment des ersten Lesens nur so, als ob die anderen Kommentatoren diesen Text nur deshalb gelesen hätten, weil er von mir ist, also in diesem Sinne nicht objektiv. Also, hey, ich wollte hier keinem vor den Karren fahren, auch wenn das vielleicht so angekommen sein sollte. Peace. Und danke dir für deine nochmalige Rückmeldung.
zigga,

ich denke, du hast Recht. Diesen Punkt, den muss ich da noch unterbringen - warum sie ihn so aussetzen, und nicht an der Babyklappe oder woanders. Da muss eine Art Figurenzwang rein. Mit den Kameras, die du erwähnst, das ist ein guter Punkt. Nur so eine vage Idee, eine Erwähnung, er will nicht gesehen werden, oder sie war die einzige Frau im Dorf, die schwanger war oder anderes. Sehr gut! Vielen Dank für deinen Input! Und schön, wenn der Text für dich funktioniert.
Geschichtenwerker,

auch dir danke ich für deinen Kommentar. Deine beiden Einwürfe werde ich bedenken. Da steckt vieles drin. Zurücklehnen ist besser, und auch die graue Leitplanke. Erweitere ich, brauche ich ein wenig Zeit für. Ja, ach, ich weiß nicht, ich finde es ja gut, wenn Texte polarisieren, und vielleicht tue ich mit meiner manchmal emotionalen Rammbockart auch viel dafür, dass dann die Kommentare auch polarisieren, aber das ist nicht böse gemeint, ich bin der Letzte, der nicht selbst mit sich hart ins Gericht geht. Ansonsten verteidige ich wie jeder andere seinen Text, bestimmt, aber nicht stur. Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar.

Gruss, Jimmy

 

Hallo jimmysalaryman,

dazu

Ja, ach, ich weiß nicht, ich finde es ja gut, wenn Texte polarisieren, und vielleicht tue ich mit meiner manchmal emotionalen Rammbockart auch viel dafür, dass dann die Kommentare auch polarisieren, aber das ist nicht böse gemeint, ich bin der Letzte, der nicht selbst mit sich hart ins Gericht geht. Ansonsten verteidige ich wie jeder andere seinen Text, bestimmt, aber nicht stur.

noch eine kleine Anmerkung. Es ist einfach so, dass hier einige aus ihrer eigenen Sicht kommentieren, so wie sie als Autor ein Thema angepackt hätten und dann stülpen sie dem Text (bewusst oder unbewusst) ihren eigenen Stil über. Und damit haben wir den Konflikt, denn Du hast Deine ganz eigene Vorstellung und Deinen eigenen Weg/Stil. Es gibt hier meiner Meinung nach nur wenige, die tatsächlich den Text/Stil so nehmen wie er ist und dann versuchen, auf dieser Grundlage zu kommentieren. Tja, und dann reden Autor und Kommentator aneinander vorbei und geraten aneinander. Das ganze normale Leben also (und dies liegt nach meinem Empfinden nicht an Deiner Art zu kommentieren).

Ich habe noch einmal darüber nachgedacht, ob ich Deinen Text auch zu Ende gelesen hätte und mich mit ihm auseinandergesetzt hätte, wenn nicht Dein Name dort gestanden hätte.

Meine Antwort ist "ja".

Der Grund sind schon die ersten Sätze, die eine bestimmte Stimmung und Spannung erzeugen:

Er sieht in den Seitenspiegel. Die Geschäfte liegen dunkel und verschlossen am Straßenrand. Mülltonnen stehen abholbereit auf dem Bürgersteig. Die Ampel springt auf Grün.

Man spürt förmlich eine gewisse Nervosität bei dem Mann. Das liegt an seiner Wahrnehmung, dass die Geschäfte noch geschlossen sind. Warum ist das wichtig? Weil man nicht gesehen werden möchte. Sonst würde einem vielleicht die aufgehende Sonne auffallen, Licht das irgendwo hinfällt, aber hier geht es um Anonymität. Das gleiche gilt für die Mülltonnen. Wer nimmt schon Mülltonnen war, wenn er sie nicht gerade selbst vor die Tür stellen muss? Man achtet auf abholbereite Mülltonnen, wenn man nicht gesehen werden möchte, genauso wie auf geschlossene Geschäfte. Und dann springt die Ampel auf Grün. Es geht los. Das erzeugt Spannung.

Das ist einfach gut gemacht und das gelingt nur, wenn man lange über jedes Wort nachgedacht hat und diese Qualität merkt man den ersten Sätze unmittelbar an. Deswegen hätte für mich der Text auch funktioniert, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er von Dir ist.

Soviel noch als Mini-Feedback.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Geschichtenwerker,

ist schön, dass du dich nochmal meldest. Na ja, schon so, dass ich manchmal harsch reagiere, obwohl ich es eigentlich besser weiß. Aber sind dann ja meistens auch neuralgische Punkte, die andere Kommentatoren feststellen, und dann ärgere ich mich über mich selbst und fremde Menschen müssen herhalten. Korrekt ist das nicht, ich weiß das auch.

Grundsätzlich finde ich, was du sagst, sehr richtig. Jeder Mensch liest mit seinem Filter und macht aus einem Text immer etwas, was er so schreiben würde. Damit muss man aber arbeiten können, und auch fragen: Was macht diesen fremdem Text aus und was will der Autor damit? Ungemein spannend, was für Beziehungen Lektor und Autor oft haben. Ich habe in Carvers Bio gelesen, dass Lish ja etwas völlig anderes in den Texten gelesen hat als Carver selbst. Lish hasst Sentimentalität, und Carvers Werk war voll davon. Er hat teilweise 70% (!) der Texte gekürzt. Das ist natürlich krass, aber ich denke, ohne Lish wäre Carver niemals der geworden, den wir heute kennen. Das ist halt auch echt eine Frage der Autonomie. Ich kenne das selbst, wenn ich mit einem Lektor arbeite, und der ist hart und unnachgiebig, dann ist es eine permanente Selbstüberprüfung. Und im kleinen Rahmen lernen wir das ja auch hier im Forum, Kritik annehmen, überdenken, eigene Schlüsse ziehen.

Zum Text: Ja, ich versuche, in den ersten Zeilen eine gewisse Räumlichkeit entstehen zu lassen. Ich finde das wichtig, weil der menschliche Geist oft nur einen kurzen Anriß braucht, um eigene Bilder entstehen zu lassen. Das ist natürlich auch wieder nur eine Ansichtssache, aber für mich funktioniert das. Ich lese im Moment viel Amy Hempel, die ja auch superkrass reduziert schreibt, und das sind oft nur Fragmente, die man aber nach und nach selbst zusammensetzt. Wichtig finde ich, solche Texte nicht direkt hintereinander zu lesen, da gleichen sie sich an, vermischen sich, verlieren ihre Eindeutigkeit, die sich ja erst postwendend einstellt, beim darüber Nachdenken.

Ja, danke dir nochmals für dein Feedback!

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

der Text öffnet Gedankenhorizonte, Möglichkeiten, die man sich selbst zurechtstricken kann, könnte ein Kind sein, ein Hund, eine pure Traumgestalt, darin besteht die Stärke, schafft es mit völlig reduzierter Sprache die Spannung zwischen den beiden herzustellen. Dann endet der Sog, versandet im Neonlicht, im Nichts, als Leser frage ich mich, ob ich etwas übersehen habe, irgendwo ein zweiter Teil folgt, den ich nicht finde. Aber nein, nix, Ende. Darin sehe ich die Schwierigkeit eines Textes, in dem sprachlich, vom Tonfall her, vom Fluss, alles gelingt.

Eine einzige Stelle, zu der ich eine Anmerkung habe:

Er legt beide Hände auf das Lenkrad. „Lass das mit der Decke. Finden se nachher raus, wo du die gekauft hast.“
mal angenommen, es ist ein Baby, das da abgelegt werden soll, auch Kleidungsstücke ließen sich mit derselben Logik wie die Decke nachverfolgen, oder?

Viele Grüße und einen guten Start ins Wochenende
Isegrims

 

Hallo jimmysalaryman!

Ich hatte die Geschichte ganz am Anfang schon mal gelesen und jetzt wieder. Da hat sich einiges getan, zum Vorteil. Der Eindruck, etwas Unfertiges zu lesen, ist nun nicht mehr bei mir aufgekommen. Der Titel fügt sich als Teil der Erzählung nun sehr gut ein.
Es gibt Hinweise, dass zumindest aus Sicht des Fahrers eine bessere Zukunft vor ihnen liegt:

Er sieht in den Seitenspiegel. Die Geschäfte liegen dunkel und verschlossen am Straßenrand. Mülltonnen stehen abholbereit auf dem Bürgersteig.
Neonlichter flirren am grauen Horizont.

Der Eindruck, dass beide Protagonisten nicht an einem Strang ziehen, ist fast verflogen. Fast, weil am Ende diese herabsetzende Geste auftaucht:
Er streicht mit dem Daumen über ihre Wange.

Nach meiner Lesart ist das nun rund.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Jimmy,

ich habe deinen Text direkt schon nach dem Einstellen gelesen, mitbekommen, dass du einiges geändert hast (das war doch vorher noch länger?) und nun möchte ich auch noch meinen Senf dazu geben.

„Hast du ihm das Sedaplus gegeben?“
Hier hatte ich keine Ahnung, was das ist, was sie „ihm“ gegeben haben.
Auch wusste ich nicht, wer gemeint war (Mensch/Tier), noch, dass „er“ mit im Auto ist.

„Max“, sagt sie nach einer Weile und sieht in den Rückspiegel.
Habe dann an einen Hund gedacht. Decke - Hundedecke. Hund aussetzen. Aber warum sollte dann jemand prüfen, wo die gekauft wurde?
Und warum dann Raststätte, wo es zu viele Zeugen gäbe?

So meine eigene Lesart. Ich stand doch ziemlich auf dem Schlauch.

Auch wenn mein Kommentar jetzt nichts Weltbewegendes bringen mag, so doch zumindest einen weiteren Leseeindruck für die Statistik. ;)

Liebe Grüße,
GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

So ein kurzer, spartanischerText lebt von Reizworten, die in jedem Leser anderes auslösen, ja, auslösen müssen, weil du ja keine Informationsbrücken baust.
Von daher verwundert es nicht, wie verschieden, und auch teilweise tiefgründig, die Interpretationen über dieses kurze Werk ausfallen.

Auch nach dreimaligem Durchlesen wäre ich nicht auf all' die Gedanken gekommen, die da so bei den geübten Lesern ablaufen.
Meine waren folgende, immer mit dem Gedanken: Das muss ja was zu bedeuten haben, wenn das da steht, wenn es schon so kurz gehalten ist ...

Er sieht in den Seitenspiegel. Die Geschäfte liegen dunkel und verschlossen am Straßenrand. Mülltonnen stehen abholbereit auf dem Bürgersteig. Die Ampel springt auf Grün.
Für mich sind diese drei Sätze eine Einheit. Er guckt durch den Spiegel ein Szenario an.
Wie aber soll er dann die Ampel sehen, dass sie auf grün springt, wenn er doch nach hinten sieht?

Das Setting lässt übrigens bei mir eine Nachtsituation aufkommen.

„Hast du ihm das Sedaplus gegeben?“
Ich muss googlen. Hmm, das ist für die Kürze des Textes nicht besonders toll.
„Ja“, sagt sie leise und lehnt sich in den Beifahrersitz.
Landschaft zieht vorüber. Wiesen. Zuckerrübenfelder. Auf dem Fluss hellgelbe Schaumflocken.

Nachtsituation - auf dem Fluss Schaumflocken? Wie sieht man die dann? (Peeperkorn hat das auch schon angemerkt)

„‘s dauert nicht lang, ja? Hast du mir versprochen.“
Er schüttelt den Kopf. „Ist `ne Raststätte vor Köln.“

Das ist ein Punkt, wo du meiner Meinung nach dem Leser zuviel abforderst. Diese Transferleistung, da herauszulesen, dass es nicht lange dauert, bis das Kind gefunden wird (nachts! mit Schlafmittel, also es schreit nicht) ist aus dem gesamten Text nicht herauszulesen. Wieso soll man gerade einer Raststätte kurz vor Köln zutrauen, dass da furchtbar viel los ist? Also wenn ich diese Info nicht aus den Kommentaren gelesen hätte, wäre ich da nie draufgekommen.
Zudem ist das eine Illusion, die er da in den Raum stellt. Also kurzer Dialog, inhaltlich schwer zu fassen und dann noch auf einer Lüge aufgebaut. Das ist ein Punkt, wo man mit zwei, drei Wörter soviel Klarheit reinbekommen könnte.

„Hab ihm noch `ne extra Decke eingepackt.“
Diese Aussage irritiert und ist meiner Meinung nach falsch. Das heißt für mich: Ich habe in sein Gepäck noch eine Decke eingepackt -> also die Person ist in der Lage, die auszupacken und um sich zu legen.
Es müsste heißen: Hab für ihn noch 'ne extra Decke mitgenommen.

„Aber ich will nicht, dass er friert.“
„Das reicht so."
Sie senkt den Blick und öffnet das Seitenfenster einen Spalt.
Hier zeigt sich der Gegenwind doppelt. Von draußen und drinnen. Sehr gut.

Also mir haben einfach noch zwei, drei Reizworte gefehlt, um den Text besser zu greifen. Das erste zB, um bald zu verstehen, dass es ein Baby ist, das ausgesetzt werden soll. Dieses Sedaplus könnte man doch durch Baldrian ersetzen? So wie du das Sedaplus einsetzt, gehst du ja davon aus, dass die Leute erstmal googlen. Trotz zweier Kinder kenne ich das Produkt nicht.

Mit so kurzen Texten bewegt man sich auf schmalem Pfad. Mir wäre er zu spartanisch, ohne Beihilfe der Kommentare wäre ich nie nur durch das Lesen auf die Intention z.B der Dialoge gekommen.

Der Titel erschließt sich mir auch nicht. Ich hätte wohl sowas wie: "Nichts wird sich ändern" genommen. Das Paar hat ein Problem, dass es das Kind nicht behalten kann. Wenn es weg ist, haben sie lebenslang das Problem, dass sie es weggegeben haben (oder zumindest die Frau). Also gibt es nur eine Problemverschiebung. Jo, "Problemverschiebung" wäre in dem Fall auch einer.

Gruß vom See
bernadette

 

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