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Noch lebst du

Seniors
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14.08.2012
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Noch lebst du

Noch lebst du, Vinc, noch ist’s nicht vorbei mit dir - das waren die ersten Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, als ich erwachte. Die üblichen morgendlichen Gedanken. Mein Mund war trocken und mir war, als steckten Stahlnägel in meinem Schädel. Eine kratzige Zunge leckte über spröde Lippen, Herrgott, ich bekam die Augen einfach nicht auf, Herrgott, ging's mir elend. Herrgott, ich war noch keine fünfzig und ich pfiff aus dem letzten Loch.
Es gelang mir nicht, den Kopf zu heben. Ich spürte ein Ziehen an der linken Wange, als klebte sie irgendwo fest. Es fühlte sich an, als läge sie auf ... verdammt, ich hatte keine Ahnung, worauf ich da lag. Mein Kissen war das jedenfalls nicht.
Ich blinzelte, schaffte es endlich, ein Auge zu öffnen, und starrte geradewegs auf eine rosige Spalte, keine zehn Zentimeter vor meinem Gesicht. Ein Mund? Herr im Himmel, das träumte ich doch. Schließlich bekam ich auch das zweite Auge auf und ließ meine Blicke wandern. Langsam dämmerte mir der ganze Schlamassel, in dem ich da steckte. Mein Kopf lag auf einem … ja, auf einem Schenkel, einem wunderbar glatten Frauenschenkel. Glitzernde Schlieren zogen sich darüber, wie Silberadern, wie Spuren von Schnecken. Endlose Augenblicke verweilte ich in Betrachtung dieses Bildes, vollkommen reglos lag ich da und der Geruch, der mich umfing, ließ mich stumme Schreie in den Himmel schicken. Vorsichtig löste ich meine Wange von ihrem Lager, ich ging dabei so behutsam ans Werk, als wäre dieses Bein ein schlafendes Kind, und das zauberhafte rosige Ding schien mir dabei zuzuzwinkern. Vielleicht grinste es mich auch schelmisch an, keine Ahnung. Ich setzte mich auf und betrachtete minutenlang das Wunder, ich bemühte mich redlich, dieses Wunder in seinem ganzen Ausmaß zu begreifen … Elsie lag da in meinem Bett, schlafend, leise atmend, gänzlich nackt und zum Heulen schön. Die Haut rings um ihre Scham funkelte wie von Morgentau benetzt und mir stellten sich sämtliche Härchen auf, vermutlich schnitt ich sogar Fratzen.
Draußen brach der Tag an. Die Sonne warf ihre ersten Strahlen über die Welt und mein Verstand stand in Flammen. Leise erhob ich mich, deckte Elsie mit dem Laken zu und taumelte in die Küche. Ich stellte Kaffee auf, ließ kaltes Wasser in die Spüle laufen und steckte gut eine Minute den Kopf rein. Allmächtiger, womit hatte ich dieses Wunder verdient?

Als ich mit dem Kaffee in der Hand in den Garten trat, empfing mich ein Morgen, der mir beinahe den Atem verschlug. Das nächtliche Unwetter hatte der Hitzewelle endgültig den Garaus gemacht und die Luft war von kristallener Reinheit. Ich atmete tief durch, lehnte mich an den Apfelbaum, steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen und schnupperte bei der Gelegenheit an meinen Fingern.
Ich blickte um mich. Die Pflanzen wirkten nach dem Regen wie ausgewechselt. Ringsum glitzerten die nassen Bäume und Sträucher in der Sonne und darüber dehnte sich ein endloser Himmel. Ich war knapp dran, auf die Knie zu sinken. Aber ist es eine Schande, bisweilen schwach zu werden und die Augen zusammenzukneifen, wenn einen das Wunder der Welt blendet? In der letzten Zeit waren die Freuden in meinem Leben nicht eben dicht gesät, die standen nicht gerade Schlange vor meiner Tür. Die Momente solchen Glücks warteten nicht mehr an jeder Ecke auf einen wie mich, mittlerweile konnte ich die an den Fingern abzählen. Ich hatte genug hinter mir, um mir jeden Zipfel davon zu schnappen, wenn ich einen erwischte. Hochmut war ein Vorrecht der Glücklichen, für uns anderen war das Leben vor allem ein Glücksspiel, man verlor stets mehr, als man gewann, soviel hatte ich längst kapiert. Spätestens damals, als Lauras Wagen unter diesen LKW geraten war.
Ich fühlte mich leicht wackelig auf den Beinen, das schon, aber gegen so einen Morgen war mein Brummschädel ein Klacks, so einem Morgen stand es wahrhaftig zu, ihm ein kleines Opfer zu bringen.

Zugegeben, gestern Abend hatte ich mehr getrunken als sonst, ach zum Teufel, in Wahrheit war ich bereits besoffen, als Elsie auftauchte.
Da stand die doch tatsächlich plötzlich vor meiner Tür und blickte mich mit großen Augen an, während ich mich an den Türrahmen klammerte wie ein Schiffbrüchiger an eine Planke, meine Fingernägel rissen Splitter aus dem Holz, kein Witz, gleich haut’s mich um, dachte ich, gleich legt’s mich auf die Fresse, was machte denn die hier?
„Du?“
Ob ich mich noch an sie erinnere, fragte sie mich, und ich, ich versuchte sie anzulächeln und ich musste dabei wohl dreingeblickt haben wie der letzte Schwachkopf, aber … ja, wie soll man denn lächeln, wenn man gleichzeitig mit den Zähnen knirschen muss, machte die Witze, meinte die das ernst?
„Ob ich mich an dich erinnere? Machst du Witze? Meinst du das ernst?“
„Na ja, äh, … war ja nicht gerade gestern … willst du mich nicht reinlassen?“
Und genau in diesem Augenblick, eben als ich ihr sagen wollte, das passe mir momentan leider überhaupt nicht in den Kram, wirklich jammerschade, so ein blödes Pech, eben als ich fieberhaft darüber nachdachte, welch haarsträubenden Zinnober ich ihr auftischen könnte - du wirst es nicht glauben, Elsie, ich hab die Windpocken ... nein, einen Stromausfall, nein, einen verdammten Wasserrohrbruch, das Wasser steht mir bis zum Hals, buchstäblich - was ja nicht einmal gelogen wäre, ja, genau in diesem Augenblick blies mir der Abendwind eine Handvoll ihres Duftes in die Nase. Die volle Ladung, als machte er sich ein Späßchen mit mir, der Wind. Äolus, dieser heimtückische Arsch.
„Äh, natürlich, klar, komm rein.“
War das tatsächlich ich, der das eben gesagt hatte? War ich vollkommen irre?
„Aber nicht erschrecken, Elsie, sollte ich kurz ohnmächtig werden. Oder tot umfallen.“
Und sie war reingekommen, scheu lächelnd und mit diesem versonnenen Blick, der mich schon vor acht Monaten schier um den Verstand gebracht hatte. Ob ich mich an sie erinnere … heilige Scheiße, hatte die eine Ahnung!
Ich lotste Elsie zum Sofa und machte uns zwei Bier auf. Dabei zitterten meine Hände, dass ich Angst hatte, die Flaschen zu zerdeppern.
„Weißt du, ich wollte dir nur das Buch zurückgeben.“
„Ach was, das hatte doch keine Eile.“
„Und weil doch deine Adresse drinsteht. Da dachte ich mir, ich bring’s dir einfach vorbei … Geht’s dir gut, Vinc?“
„Ja, ja … Magst du was essen, Elsie?“
„Was? Nein, danke. Wirklich nicht.“
„Wunderbar, ich mach dir schnell ’n Sandwich.“
Und schon war ich in der Küche verschwunden. Ich riss den Kühlschrank auf und kratzte eine Handvoll Eis aus dem Gefrierfach. Ich rieb mir das Eis ins Gesicht und in den Nacken, und die Grimasse, die ich dabei zog, hätte wohl dem hartgesottensten Mistkerl die Haare zu Berge stehen lassen. Mit klammen Fingern angelte ich mir den Gin aus dem Eisfach und genehmigte mir einen Schluck. Dann schnappte ich mir aufs Geratewohl ein paar Dinger aus dem Kühlschrank und schmiss alles auf einen Teller. Oliven, ein Stück Käse, eine verschrumpelte Grapefruit, ein Gläschen Dijonsenf, ein paar Schokokekse, ein Salatblatt, noch ein Salatblatt, ein Büschel Petersilie - ich war wie von Sinnen, ich war auf dem besten Wege, vollkommen überzuschnappen. Reiß dich zusammen, Vinc, reiß dich um Himmels Willen zusammen. Das ist nur eine Frau. Ich fuhr mir mit den Fingern durch die Haare, ich rubbelte mir mit den Händen übers Gesicht, ich fletschte die Zähne, ich kippte den ganzen Krempel in den Mülleimer. Ich nahm noch einen Schluck vom Gin.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, bemerkte ich, dass die Luft im Raum schon begonnen hatte, sich zu verändern. Ich stellte mich ans Fenster, wandte Elsie den Rücken zu und starrte in den Garten. Ich biss die Zähne zusammen.
Seit der Sache mit Laura war mir ja keine Frau mehr ins Haus gekommen, nicht eine, also nicht, dass sich in den zwei Jahren nichts ergeben hätte, meine Güte, ich war ein Mann und kein Mönch, aber in meine Bude hatte ich keine gelassen. Allein der Gedanke, dass Lauras Geruch verschwinden, gar vom Duft einer anderen Frau getilgt werden könnte, machte mich halb verrückt. Deshalb hatte ich ja auch nie ihre Sachen weggegeben, nach wie vor hingen ihre Klamotten im Schrank und das Badezimmer platzte aus allen Nähten. All ihre Shampoos und Cremes lagen da noch herum, all die Tiegelchen und Flakons, die Lotionen und Öle, ihre Lippenstifte und Parfumfläschchen und Haarbürsten, an denen zu riechen ich mir nicht versagen konnte, wenn die Nächte besonders schlimm waren. Mein Gott, ihr Morgenmantel. In dem vergrub ich bisweilen das Gesicht und raufte mir dabei die Haare.
„Du hast mich nie angerufen, Vinc.“
Wie hätte ich auch sollen? Sie telefoniere nicht besonders gerne, hatte sie gesagt, damals vor acht Monaten, als wir uns frühmorgens vor dem Raymonds verabschiedeten. Deshalb hatte ich gleich nach dem Nachhausekommen den Zettel mit ihrer Telefonnummer verbrannt, besoffen wie ich war. Auf der Stelle nämlich hätte ich sie sonst angerufen, oder spätestens zu Mittag. Ob ich sie treffen könne, hätte ich sie gefragt, ja, heute schon, gleich, sofort, nicht erst irgendwann. Ich hatte das Zettelchen angezündet und zugesehen, wie es in der Spüle vor sich hin gloste, während ich darauf wartete, dass der Kaffee fertig wurde. Dann trank ich schwarzen, bitteren Espresso, rauchte Zigaretten und ging die Wände hoch. Lieber Himmel, ich war mir vorgekommen wie ein bescheuerter Siebzehnjähriger, ich dachte, ich müsste durchdrehen.
Immerhin glaubte ich, mir ihre Adresse gemerkt zu haben. Und wenn es etwas gab, das ich gut konnte, dann war das Briefeschreiben. Das bildete ich mir zumindest ein, und ich versuchte mir auszumalen, dass ich mir das Wunder vielleicht herbeischreiben könnte. Ja, wie ein Wunder war Elsie mir erschienen an jenem Abend im Raymonds.
„Hast du mir zugehört, Vinc? Du hast mich nie angerufen. Warum?“
„Ich hab dir geschrieben, Elsie.“
„Was hast du?“
„Briefe geschrieben.“
„Was für Briefe? Was redest du da?“
„So zwanzig, dreißig werden es wohl gewesen sein, schätze ich mal.“
„Du hast mir Briefe geschickt?“
„Das hab ich nicht gesagt. Aber geschrieben habe ich sie … nicht der Rede wert eigentlich.“
„Was ist nur los mit dir, Vinc?“
Ich merkte, wie mir die Lage entglitt, wie das Eis, auf dem ich mich bewegte, immer brüchiger wurde. Sollte Elsie verschwunden sein, wenn ich mich jetzt umdrehte, sich klammheimlich aus dem Staub gemacht haben, wäre ich nicht wirklich überrascht, ich könnte es ihr nicht verübeln. Wer sucht schon freiwillig die Gesellschaft eines Mannes, der am Boden liegt, der schon längst ausgezählt ist. Ich drehte mich nicht um, unverdrossen starrte ich in den Garten, noch ließ ich ihr die Chance, einfach abzuhauen.
Mittlerweile war es beinahe Nacht draußen. Der Wind war kräftiger geworden und rüttelte an meinem Apfelbaum und die Wolken im Westen wurden immer wieder von Wetterleuchten erhellt. Das leise Donnergrollen bildete ich mir nicht ein.
„Setz dich zu mir, Vinc. Bitte.“
Ich riss meinen Blick vom Garten los und drehte mich endlich um. Elsie war noch da.

„Das hast du alles für mich geschrieben, Vinc?“
Nahezu eine Stunde hatte Elsie gelesen, und ich tigerte währenddessen durch den Garten oder lag in einem Liegestuhl auf der Terrasse, ich hatte ein Bier getrunken, den Himmel betrachtet und das Gewitter beschworen. Ich war hin und her geflitzt wie ein Bekloppter, ich hatte mich dabei ertappt, mit der Stirn am Stamm des Apfelbaumes zu lehnen und mir auf die Lippe zu beißen. Und ich hatte nachgedacht. Ich hatte darüber nachgedacht, ob es etwas Lächerlicheres gibt als einen Mann, der auf dem Boden liegt, ich hatte darüber nachgedacht, ob ich in meinem Leben da noch jemals dahinterkäme, ich hatte darüber nachgedacht, wie lange mir das Leben noch auf die Eier gehen wollte. Über lauter so Scheiß hatte ich nachgedacht. Aber im Ernst jetzt, die meiste Zeit lag ich lediglich im Gras und starrte in den Himmel.
Und jetzt stand Elsie über mir, den Packen Papier in der Hand, und selbst die Dunkelheit konnte mir nicht verbergen, dass sie geweint hatte. Sie kniete sich neben mich.
„Vinc. Ich wusste das nicht …“
Ein Blitz zerriss den Himmel. Und ein Donnerschlag. Und in dieser winzigen Sekunde gleißender Helligkeit sah ich die Tränen in ihren Augen und ich konnte erkennen, dass ihre Wangen gerötet waren, ich sah den Schimmer auf ihrem Haar und den Diamantsplitter in ihrem Ohrläppchen und den Glanz auf ihren Lippen und das kleine Muttermal neben ihrem linken Mundwinkel und die Gänsehaut auf ihren Schultern, ich sah das tatsächlich alles, ich sah das alles gleichzeitig, das bildete ich mir nicht ein, nein, ich meinte sogar, den Duft an ihrem Hals zu sehen und den Duft ihrer Haare und den Duft unter ihren Achseln und den Duft zwischen ihren Beinen. Als schleuderte ihr Körper Funkengarben. Es war ein Augenblick reinster Klarheit, ich sah das alles wirklich und plötzlich überfiel mich die Gewissheit, doch noch einmal aufstehen zu können.
Und ich streckte die Arme nach Elsie aus.
Und in diesem Moment brach das Gewitter los.
Und Windstöße wirbelten die Briefe durch die Luft.
Und Elsie stürzte sich auf mich.

 

Hey offshore

Unglaublich guter Text. Hat sehr viel Spaß gemacht. Ich finde, dass du damit die perfekt Mischung aus zu wenigen und zu vielen Informationen erwischt hast. Während des Lesens wollte ich ständig mehr über Vinc erfahren, aber im Nachhinein hätte das diesem herrlich kaputtem Bild, das ich von ihm habe, geschadet.

Ich mag deine Sprache und deinen Stil. Wirkt nicht so "rohlingshaft", sondern ist prägnant und hat Wiedererkennungswert. Die Anapher zum Schluss hat der ganzen Sache noch die Krone aufgesetzt.

Eine Winzigkeit, an der ich evtl. was auszusetzen hätte...

Da stand die doch tatsächlich plötzlich vor meiner Türe und blickte mich mit großen Augen an
Keine Ahnung, obs da nur mir so geht, aber ich musste den Satz zwei mal lesen, bevor ich gemerkt habe, dass das schon so passt. Das hat dann meinen Lesefluss etwas gestört, und deswegen hätte mir da ein sie gefallen. (Gegen das zweite die in dem Satz hätte ich aber nichts auszusetzen, weil dieser Teil deutlicher wie ein direkter Abruf der Gedanken wirkt und in "gesprochener" Sprache klingt das für mich passend.)

Ansonsten... gerne gelesen und wird definitiv auch nochmal gelesen.

zash

 

Hallo offshore

Noch lebst du, Vinc, noch ist’s nicht vorbei mit dir, - ...
Die üblichen morgendlichen Gedanken.

Dieser Einstieg liess mich Düsteres ahnen, wenn dies seine gewohnten Gedanken zu jedem neuen Tag sind. Sein erwachendes Empfinden doppelt noch nach, da musste ein böser, alkoholischer Absturz dem Zustand vorangegangen sein.
Krasser konnte der kommende Übergang sich dann nicht in Szene setzen, in bestem Wiener Schmäh – ich meine es wenigstens, diesen Worten einen solchen Sprachausdruck zu entnehmen -, kippt seine deprimierte Weltsicht in eine paradiesische Stimmung.

In meinem Alter waren die Freuden nicht mehr so dicht gesät, die standen nicht gerade Schlange vor meiner Türe.

Da führtest Du mich erneut in eine falsche Erwartung, dieser alte Knacker, der wie einst der alternde Goethe, noch junge Mädchen umwarb.

... meine Güte, ich war ein gesunder Mann und noch keine fünfzig,.

Schamhaft gestand ich mir ein, der Gedanke von mir war wohl doch etwas zu dreist und voreingenommen, als Leser deutet man gern etwas als Identifizierend. Wenngleich auch Goethe musste, eine analoge Gefühlswallung wie Vince ergriffen haben, als er sich mit 72 Lenzen in den Lenden, in die 17jährige Ulrike von Levetzow verliebte.

Die morgendlichen Betrachtungen über den vergangenen Abend, welche Vince einbringt, entpuppen sich zu einer romantischen Liebesgeschichte. In ihrer besonderen Art, wie Dir es gelungen ist sie vorzutragen, las ich sie ergreifend. Ohne sie jetzt klassischen Gleichnissen gegenüberzustellen, es war mir als Leser ein gefühltes Eintauchen in jene Sinnenwelt, die ich bei solchen ähnlich schon fand.

Nur dem Titel hätte ich einen etwas mehr animierenden Touch gegönnt, na ja, halt mit Wiener Schmäh. ;)

Für mein Empfinden ist Dir hier ein guter Wurf gelungen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Hallo Ernst.
Mit Freude habe ich Dein neues Baby gelesen. Sprachlich gibt es natürlich nichts auszusetzen. Es ließt sich sehr professionell und überlegt.

Alles andere ist dann Geschmackssache. Und da trifft mich die Geschichte an einem anderen Ende, wie das von Dir beabsichtigt war. Du hast mir den persönlichen Antimann beschrieben. Solche Männer lösen bei mir spontanen Fluchtinstinkt aus. Dafür kannst Du aber nichts. Für mich war die Geschichte deshalb ein kleines bisschen quälend. Nicht weil sie schlecht geschrieben wäre, sondern weil ich auf solche Schwächlinge überhaupt nicht klarkomme.

Mal das beiseite, mir waren die Beschreibungen ein bisschen zu überfrachtet. Wenn jeder Satz ein Kleinod darstellt, hebt sich das für mich ein bisschen auf. Ich bin eine Leserin, die besonders schöne Sätze aus einem Bucht gerne raus schreibt, sich in sie verliebt. Aber hier wurde bei jedem Satz so viel hinein gepackt, so viele superlative Beschreibungen der Frau geliefert, dass es mir zu viel war.
Ein kleines bisschen leiser hätte mir besser gefallen und besonders schöne Sätze wirken mit mehr Ruhe drumherum eindrücklicher.

Was ich sehr gelungen fand, war die Anspielung auf die andere Frau. Das hat Zash gut beschrieben, genug um zu verstehen und nicht mit einem großen Fragezeichen zurück zu bleiben, aber man fühlt sich als Leser nicht infantil herabgesetzt an die Hand genommen. Eine Kunst, die ich noch lernen muss.

Insgesamt nicht meine Baustelle, aber das handwerkliche Geschick erkenne ich natürlich uneingeschränkt an.
Liebe Grüße von
Gretha

 

Hallo ernst offshore,

ich bin nicht so überwältigt von deiner Geschichte, wenn auch sie unbestreitbar ihre sprachlichen Höhepunkte aufweist.

Ich komme zunächst nicht damit klar, dass der erste Absatz in völligem Gegensatz zum Rest der Geschichte steht. Ich finde, du hast da zu dick aufgetragen. Ich las von einem Schwerstkranken, der kurz vor dem Tode steht und in irgendeiner hilflosen Situation steckt. Ich las von Höllenschmerzen und unwiederbringlicher Erkrankung.
Dann folgt eine erotische Beziehungsgeschichte. Dein Protagonist kann sich normal bewegen, essen und trinken.
Ich bezeichne diese Beziehung deswegen so, weil mir ausser der Schilderung, dass dein Protagonist Elsie erotisch und sehr anziehend findet, nicht klar wird, welche Gründe er noch hat.
Die Dame bleibt zudem so blass, dass ich nur die erotische Anziehungskraft, die dein Protagonist vermutlich ausstrahlt, als Grund für ihr über Nacht bleiben vermute.
Mir fehlen die Zwischentöne bei ihm und bei ihr. Ich kann nicht nachvollziehen, was ihn veranlasst hat, ihr jede Menge Briefe zu schreiben und ich verstehe nicht, was er ihr in den Briefen sagt. Du lässt auch diesen Punkt aus, was mir noch mehr Fragezeichen verschafft, wenn es um die Beziehung der beiden geht.
Zusammen genommen wirft der Plot bei mir mehr Fragen und Ungereimtheiten auf als er sollte.

Aber trotzdem ist es ein schöner Text geworden, denn er ist durchsetzt von gelungenen Formulierungen und von daher war er für mich eine Lesefreude. Dies soll ja schließlich kein Verriss sein.

Lieben Gruß

lakita

 
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Hey ernst,

mir gefällt das echt gut. Den Titel finde ich zwar ... na ja, wäre der Text nicht von dir, hätte ich wahrscheinlich nicht sofort draufgeklickt.
Sprachlich kann ich dich gar nicht belehren, das ist richtig gut, das fließt, da sind jede Menge wunderschöner Bilder, Vergleiche, Gedankengänge drin, die mir als Leser große Freude bereiten, die mir das Geschehen unmittelbar vor Augen zeichnen. Was mir an deinen Vergleichen besonders gefällt, ist, dass die Bilder, die du wählst, oft eine Bedeutung haben, und nicht nur einfach Vergleiche sind.

Dein Prot trinkt viel, ist zerrissen, verloren - ich habe mal gelesen, Mitleid mit einer Figur zu haben, erzeugt Sympathie, und ich finde, das stimmt, auch hier im Text. Ja, taugt gut als Kurzgeschichte, happy end, ich fühlte mich beim Lesen des Endes auch nicht verarscht oder so, dass mir etwas fehlen würde, aber ich finde, das liest sich auch wie ein Anfang, wie ein Anfang für eine längere Geschichte, da werden Konflikte angerissen, die sich weiter aufziehen könnten, bspw. das Klammern an der verstorbenen Partnerin, das wird sicher in einer neuen Beziehung zu Konflikten führen, ja, das könnte der Hauptkonflikt einer längeren Geschichte sein, das Loslassen einer alten Liebe, die nicht geendet hat, weil es nicht mehr funktioniert hat auf zwischenmenschlicher Ebene, sondern weil der Tod dazwischen kommt ... das fände ich richtig interessant zu lesen. Dein Prot würde die Messlatte bei Elsie bestimmt immer bei seiner Expartnerin anlegen, sie vergleichen, über Umwegen zurück ins Leben finden, lernen loszulassen - du siehst, ich bin wirklich interessiert an der Geschichte und hätte gerade richtig Lust, einfach weiterzulesen. Aber ist deine Story, wenn sie für dich hier endet, okay - aber du könntest das weiterspinnen, das würde klappen. Soviel von meiner Seite.

Grüße

 

Hallo Ernst

Hihi, da sind ein paar sehr lustige Wendungen drin. Wie er den Teller vollräumt und dann alles in den Müll haut, ist großartig.

Dein Stil ist dein Stil, und das ist deine Sache. Aber ich tu mir schwer mit dem bundesdeutschen "Möse", "Fresse", "Blödmann", "sternhagelvoll" , "Klacks" etc. in dem ansonsten doch österreichischen Text, da hätte ich wenigstens "Muschi", "Maul", "Trottel" , "besoffen" und "nichts" genommen, das harmoniert besser finde ich.
"Pappn" und "blunznfett" wären wohl schon zu mundartig und für unsere deutschen Freunde schwer zu verstehen. Aber das Thema hatten wir ja schon. Ich persönlich würde entweder nur "pifkinesisch" oder nur "ösisch" schreiben.

Dass die Sonne "Strahlen über die Welt schickt", finde ich etwas zu laut, aber vielleicht ist ja dein Prot so leidenschaftlich.

Zum Inhalt: Am Anfang dachte ich, der Prot wird gerade (wieder)geboren, aber nachdem klar wird, dass er die Rose von außen und nicht von innen betrachtet (übrigens sehr witzig und liebevoll beschrieben, diese "Betrachtung dieses Bildes"), rennt man mit ihm quasi manisch durch die Erzählung. Das Tempo ist sehr rasant, und die Handlung schlägt ein paar spannende Haken. Naja, dein Prot ist halt auch nicht wirklich ein gechillter Typ. Die Leidenschaft kommt gut rüber, und schön langsam etablierst du dich als Romantiker, ob dus willst oder nicht.

 

Hallo ernst offshore,

ich muss erstmal sagen, deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Liest sich wunderbar und ich mochte die düstere Aura, die entstanden ist. Ein sehr dynamischer schneller Text, alles passiert sehr zackig, das gefällt mir.

Irgendwann kommt eine Stelle, in der du schreibst "In meinem Alter waren die Freuden nicht mehr so dicht gesät, die standen nicht gerade Schlange vor meiner Türe. Die Momente solchen Glücks warteten nicht mehr an jeder Ecke auf einen wie mich, mittlerweile konnte ich die an den Fingern abzählen."
Da bekam ich irgendwie den Eindruck, als wäre Vinc schon 80 Jahre alt, das war etwas verwirrend, weil gegen Ende hin wirkt er eher wie ein desillusionierter versoffener Mittdreißiger oder so.

Vinc wirkt trotz oder gerade wegen seiner Art sehr sympathisch, seine Kommentare finde ich gut, dadurch wurde er mir sehr leicht, mich in ihn hineinzuversetzen.

Außerdem finde, der Zeitsprung ist dir sehr gelungen. Ein toller Abschluss, hat mich auch ein wenig an einen Film erinnert.

Liebe Grüße, Apfel van Cooper

 
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Hallo Misterrrrrrr offshore, jetzt gibts Gänsefutter.

Mir hat die gefallen, die Geschichte. Sehr sogar. Warum? Sprache, Bilder, das Happy end, die sprachliche Gestaltung des Happy ends, der Vince, das Thema. Verdammt viel also.
Ein Manko gibts für mich, aber dazu später mehr.
Die Charakterzeichnung von Vince finde ich irre gut. Der geht so ab, dieser Kerl, einfach super, hab zum Teil total über den gelacht, über diesen überschwänglichen, hochemotionalen und hyperromantischen Mann, der sich selbst wegen dieser "Entgleisungen" schilt, und seine Übertreibungen selbstironisch kommentiert.
Und das ist das Schöne an der Charakterisierung, diese selbstironischen Kommentare, wenn er sich selbst von außen als Obertrottel sieht, weil er schon wieder liebespeiend durch die Gegend furzt wie so ein Luftballon, den man ganz dick aufgeblasen hat und der dann durch alle Räume zischt und dabei unanständige Geräusche macht, nur dass deinem Vinc eben die Luft nie ausgeht.
Dieses Buffettellerchen, das er ihr zum Beispiel zusammenstellt und es dann in den Müllereimer geworfen hat. Oder wenn er am Appelbaum steht, den Kopf anlehnt, und gleichzeig denkt, dass, naja, und hier hatte ich zuerst weiterlesen wollen, "dass es nichts Lächerlicheres gibt, als einen Mann, der mit der Stirn am Apfelbaum lehnt". Du hasts anders weitergemacht, da wurde es schneller wieder ein bisschen ernsthafter, was auch gut war. Ich find meine Idee trotzdem immer noch gut. Aber ich bin ja auch ein alberner Mensch.
Gut finde ich auch, dass das Überschwängliche erklärt und gezeigt ist, an ihm selbst, aber auch an der Art, wie er Natur wahrnimmt oder die Schönheit der Frau. Dieser Mann ist eben kein Jungspund, der sich das erste Mal in seinem Leben verliebt, sondern er hat viel verloren, nicht nur seine Laura, sondern auch seine Unbeschwertheit. So lese ich das Aufwachen am Morgen (verkatert, alles ist mies, jemand hat ihm tüchtig in den Tag gespuckt) jedenfalls.
Wenn man einen Verlust erleidet und nicht über die grandiose Fähigkeit, schnell zu vergessen und zu verdrängen verfügt, dann kann der Verlust einen sehr lange begleiten und Teil des eigenen Lebens werden. Ich kenne das auch, von mir, von anderen, dass Schönheit dann intensiver wahrgenommen wird. Vielleicht ist es ja gerade auch so, oahh, was sind das für Gedanken am frühen Morgen, dass die Anwesenheit von Leid die Schönheit der Dinge noch mehr strahlen, sie vielleicht in ihrer Eigentlichkeit erleben lässt. Das ist eine Erfahrung, die man macht, wenn man älter wird und/oder von vielem Abschied nehmen muss. Und es ist auch eine Fähigkeit, die man gewinnt, und die leider nicht jeder erhält oder nicht oft oder nicht ausreichend genug, um glücklich zu sein, die man sich vielleicht auch erarbeiten muss, die Fähigkeit nämlich Schönheit intensiver zu erleben, sie nicht selbstverständlich zu nehmen. Und unser Vince hier, der hatte geglaubt, nicht mehr lieben zu können, er hatte sich (so lässt mich deine Beschreibung das lesen) geradezu entschlossen, nicht mehr lieben zu können. Und jetzt trifft er auf eine Elsi und Bammm, das Leben hat den Vince doch noch nicht abgeschossen.
Deine Geschichte erzählt mir, wie das passiert, wie er in diesen Moment reinspringt. Klar, man kann was Längeres draus machen, die Problematik einer neuen Beziehung (Elsie im Ring gegen Laura) reinbringen, aber das wäre ein neues Thema. Und hier, so habe ich deine Intention verstanden, ging es dir um den kurzen Ausschnitt, wie der Vince wieder wie ein vertrottelter Komet in die Stiefel der Liebe hoppelt. Das war dein Thema.

Aber - er braucht einen Widerpart. Da hatte lakita, (war es glaube ich) schon Recht. An Elsie muss mehr dran sein als nur eine wunderschöne Frau zu sein mit einer hohen Anziehungskraft auf ihn. Da finde ich, erzählst du ein bisschen wenig. ich weiß als Leserin, dass er sie hocherotisch findet, dass sie für ihn die Möglichkeit der Liebe verkörpert, aber (vielleicht ist das jetzt eine zu weibliche Sicht) das geht für mich nur auf, wenn da noch eine andere Komponente reinkommt, als nur der saftige Weiberschenkel, fand ich übrigens hinreißend, die ganze Szene und witzig. Also dass er sich an der Prallheit und Saftigkeit der Frau freut, das kommt absolut zum Ausdruck. Und das ist eine Menge! Den Rest aber, dass sie ihn eben auch noch oberhalb der Lenden trifft, hast du ja auch. Nämlich als die Erinnerung an die erste Begegnung, die ihn ja auch schon sehr erwischt hatte. Oder die Briefe. Das sind alles gute Beschreibungen, supergerne gelesen. Aber es wird eben durch Vince Augen gesehen und ich frage mich halt, was genau trifft sie da an ihm und wie trifft sie ihn. Da hätte ich mir ein bisschen mehr gewünscht. Gar nicht viel, eben einfach eine Kleinigkeit. Also zum Beispiel Tashemetums Idee, dass sie den wirren Buffetteller sieht und lacht oder gar darin rumpickt, als wäre es ganz selbstverständlich. Keine Ahnung, du hast ja mehr als genug Ideen zu so einem Zeug.

Noch eine kleine Bemerkung zu dem Alter des Prot. Du schreibst irgendwo, er sei fünfzig. Manche haben ihn anfangs als deutlich älter eingeschätzt, (das sind wahrscheinlich die Grünlinge unter den Lesern :p) (lieben Gruß anbei an Anakreon) oder gar als todkrank. Ich hatte diese Probleme jetzt nicht, aber vielleicht kriegst du es ja hin, dass du sein Alter schon wesentlich früher deutlich machst. Haben ja doch mehr Leser angemerkt, als jetzt nur einer oder zwei, und die muss man ja nicht an solchen Details sich aufhängen lassen.

Also, haste gut gemacht, offshore, ein schöner Einstieg in den Morgen war das für mich. Knie vergessen und stattdessen einem liebespeisenden Vince hinterhergezischt. So muss das sein. Was zum Nachdenken und sich Klarmachen, was Bewegendes und Rührendes und was zum Kichern.

Bis die Tage
Novak

 
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Und Elsie stürzte sich auf mich.

Gestern,

lieber ernst -

oder doch Vinc(ent)?,

hab ich halbtaube Nuss mit einge- oder überhaupt beschränktem Geischtsfeld den ollen Jöhte verballhornt, indem ich behauptete, in seinem Prometheus eben den genannten sagen lasse, „und du, Pandora, heiliges Gefäß der Gallenblase …“, statt „gaben alle“ gelesen zu haben – und da gerät mir doch Elsie zur Elise und Mr. Beathoven spielte es persönlich.

In meinem Alter waren die Freuden nicht mehr so dicht gesät, die standen nicht gerade Schlange vor meiner Türe.
Aber Du hast doch schon ein Apfelbäumchen gepflanzt (wo sonst hätte denn der Kopf ...?) Also: Irrtum, ol’ man, man wird halt wählerischer, alles verlangsamt sich - ich brauch auch keine elf Sekunden mehr für 100 m …, denn
Noch lebst du, Vinc, noch ist’s nicht vorbei mit dir …

Aber dann doch noch was (das Gerede übers Scheinen und Erscheinen lass ich mal)
…, das Wasser steht mir bis zum Hals, buchstäblich - was ja nicht einmal gelogen gewesen wäre, ja, …
Ge- klingt ziemlich nach verwesen und würde die ersten Zitate eher bestätigen. Nun gut, alles, was besteht, ist wert, dass es zugrunde geht – aber doch nicht hier ..! Das gedoppelte „sein“ muss halt nicht sein,
was ja nicht einmal gelogen […] wäre, …
genügt doch.

Auf der Stelle nämlich hätte ich sie sonst angerufen, oder spätestens zu Mittag. …
Besser Gedankenstrich statt eines entbehrlichen Kommas …

Hastu das extra für mich erfunden? Oder hat sich in einem bairischen Dialekt da was entwickelt?

… wie es in der Spüle vor sich hin gloste …
Glimmen – glomm/glimmte – glömmte/glimmte …
Ich glomm/glimmte, du glommst/glimmtest, er, sie, es gloste? … Ich find’s gut! Ein Zwitter zwischen glimmen und glotzen – whei nott – wie der Lateiner so sacht.

Langsam dämmerte mir der ganze Schlamassel, in dem ich da steckte.
Da sag ich ma’,

e schéine schlamassel!

Aber massel (jidd.)/mazzal (hebr.) ist doch das Wichtigste darinnen: Glück!

Gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Erstmal vielen Dank euch allen für eure Kommentare. Vor dem Wochenende werde ich allerdings kaum dazukommen, sie zu beantworten.

Nur eines vorweg:

Novak schrieb:
Noch eine kleine Bemerkung zu dem Alter des Prot. Du schreibst irgendwo, er sei fünfzig. Manche haben ihn anfangs als deutlich älter eingeschätzt, (das sind wahrscheinlich die Grünlinge unter den Lesern ) (lieben Gruß anbei an Anakreon) oder gar als todkrank. Ich hatte diese Probleme jetzt nicht, aber vielleicht kriegst du es ja hin, dass du sein Alter schon wesentlich früher deutlich machst. Haben ja doch mehr Leser angemerkt, als jetzt nur einer oder zwei, und die muss man ja nicht an solchen Details sich aufhängen lassen.

Ja, das ist ein berechtigter Einwand, ich wollte Vinc ja nicht als alten Zausel erscheinen lassen. Jetzt wird sein Alter schon im ersten Absatz erwähnt, sodass sich der Leser gleich mal ein Bild von ihm machen kann.
Und Elsie will ich auch etwas mehr Konturen geben. Konkret denke da an eine zusätzliche Szene im Raymonds. Das wird allerdings noch ein wenig dauern. Aber ihr seid die ersten, die's erfahren werden, wenn's soweit ist.

Tschüss und bis bald.

offshore

 

Hallo Ernst,

ich hab jetzt keine Zeit, mich lange inhaltlich zu deinem Text zu äußern, daher kurz gefasst:
Ich habe ihn gerne gelesen und er hat mir insgesamt wirklich gut gefallen. Schöne Sprache, stilistisch sauber, nette Details, die Figur des Erzählers kommt plastisch rüber, ich fand den Stil nicht überladen. Die Figur der Angebeteten wirkt auf mich jedoch vergleichsweise flach, die könnte tiefer profiliert, lebendiger sein. Immerhin lebt nahezu die gesamte Story von ihrer erotischen Ausstrahlung und Anziehungskraft.

Zwei Kleinigkeiten sind mir aufgefallen:

"Möse" finde ich unschön, das passt nicht zu deinem ansonsten feinfühligen Stil. Da würde ich das zärtlichere "Muschi" verwenden, (wenn schon).

Und dann noch:

Nahezu eine Stunde hatte Elsie gelesen, und ich war währenddessen durch den Garten getigert oder in einem Liegestuhl auf der Terrasse gelegen, ich hatte ein Bier getrunken, den Himmel betrachtet und das Gewitter beschworen.

Der Satz stimmt so nicht, da fehlt mir ein "hatte" an der richtigen Stelle, dafür kann man dann ein anderes "hatte" nebst einem entbehrlichen "oder" streichen, denn entweder hat er dies getan oder jenes. Beides zugleich wohl nicht.
Vorschlag:
Nahezu eine Stunde hatte Elsie gelesen, und ich war währenddessen durch den Garten getigert, hatte in einem Liegetuhl gelegen, ein Bier getrunken, den Himmel betrachtet und das Gewitter beschworen.

Lieben Gruß,
Manuela :)

 
Zuletzt bearbeitet:

zash schrieb:
Unglaublich guter Text. Hat sehr viel Spaß gemacht … Ich mag deine Sprache und deinen Stil.

Tja, zash, was soll ich da groß dazu sagen? Außer, es freut mich, dass es dir so gefallen hat.
Vielen Dank fürs Lob.


Anakreon schrieb:
Für mein Empfinden ist Dir hier ein guter Wurf gelungen.

Servus Anakreon,
neuerlich hast du dich auf eine romantische Geschichte von mir eingelassen, und wieder hat sie dir gefallen. Finde ich toll, freut mich wirklich.

Da führtest Du mich erneut in eine falsche Erwartung, dieser alte Knacker, der wie einst der alternde Goethe, noch junge Mädchen umwarb.

Dass Vinc‘ Alter erst relativ spät klar wird, haben ja auch andere beanstandet, mir ist das beim Schreiben echt nicht aufgefallen. Aber das habe ich eh schon geändert, jetzt ist von Beginn an klar, wie alt Vinc ist.

Nur dem Titel hätte ich einen etwas mehr animierenden Touch gegönnt,
Normalerweise zerbreche ich mir gerade über die Titel meiner Geschichten ziemlich den Kopf.
Diesmal allerdings entstand er quasi ohne mein Zutun. Die Word-Datei nannte sich beim ersten Abspeichern entsprechend den ersten Wörtern des Textes einfach selbst so. Zuerst war’s nur der Arbeitstitel, aber je öfter ich ihn las, umso passender erschien er mir.

Vielen Dank, Anakreon


Servus Gretha

Gretha schrieb:
Du hast mir den persönlichen Antimann beschrieben. Solche Männer lösen bei mir spontanen Fluchtinstinkt aus. Dafür kannst Du aber nichts. Für mich war die Geschichte deshalb ein kleines bisschen quälend. Nicht weil sie schlecht geschrieben wäre, sondern weil ich auf solche Schwächlinge überhaupt nicht klarkomme.
Da möchte ich jetzt einfach z.B. ziggas und Novaks Kommentare dagegenhalten. Als Beleg quasi dafür, dass man Vinc Charakter durchaus anders sehen kann als du.
Die beiden scheinen nämlich eher meiner Intention bei der Darstellung von Vinc gefolgt zu sein. Nicht als Schwächling sollte Vinc erscheinen, sondern einfach als ein von einem gnadenlosen Schicksal arg gebeutelter armer Hund. Dem es trotzdem gelingt, sich halbwegs auf den Beinen zu halten.

mir waren die Beschreibungen ein bisschen zu überfrachtet. Wenn jeder Satz ein Kleinod darstellt, hebt sich das für mich ein bisschen auf. Ich bin eine Leserin, die besonders schöne Sätze aus einem Bucht gerne raus schreibt, sich in sie verliebt. Aber hier wurde bei jedem Satz so viel hinein gepackt, so viele superlative Beschreibungen der Frau geliefert, dass es mir zu viel war.
Ein kleines bisschen leiser hätte mir besser gefallen und besonders schöne Sätze wirken mit mehr Ruhe drumherum eindrücklicher.

Ja, ich weiß was du meinst, Gretha. Ich selbst sehe das als eine Stärke und gleichzeitig als eine Schwäche von mir, dieses stilverliebte Fabulieren. Du magst schon recht haben, dass ich da bisweilen das Augenmaß verliere. Da muss ich echt noch dran arbeiten. Vielleicht sollte ich mal wieder was von Cormac McCarthy lesen, oder von Raymond Carver.

Vielen Dank, Gretha


lakita schrieb:
Aber trotzdem ist es ein schöner Text geworden, denn er ist durchsetzt von gelungenen Formulierungen und von daher war er für mich eine Lesefreude.
Wäre ich ein eitler Hund, lakita, würde ich es jetzt einfach bei diesem Zitat von dir bewenden lassen, mich artig für das Lob bedanken und mich zigga widmen. Bin ich aber nicht. Deshalb will ich natürlich auch auf deine (für mich nicht zur Gänze nachvollziehbare) Kritik eingehen.

Ich komme zunächst nicht damit klar, dass der erste Absatz in völligem Gegensatz zum Rest der Geschichte steht. Ich finde, du hast da zu dick aufgetragen. Ich las von einem Schwerstkranken, der kurz vor dem Tode steht und in irgendeiner hilflosen Situation steckt. Ich las von Höllenschmerzen und unwiederbringlicher Erkrankung.

Meinst du damit die paar Sätze, wo Vinc sein Aufwachen schildert? Kommt da für dich wirklich nicht raus, dass der Typ einfach nur furchtbar verkatert ist? ich wüsste nicht recht, wie ich das verständlicher machen könnte, ohne dass ich mich da als Autor zu sehr in Vinc‘ Gedanken einmische. Und spätestens als er den Kopf ins kalte Wasser steckt, ist dann ohnehin alles klar, oder? Wie du auf einen Schwerkranken kommst, ist mir ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehbar.

… weil mir ausser der Schilderung, dass dein Protagonist Elsie erotisch und sehr anziehend findet, nicht klar wird, welche Gründe er noch hat.
Die Dame bleibt zudem so blass, dass ich nur die erotische Anziehungskraft, die dein Protagonist vermutlich ausstrahlt, als Grund für ihr über Nacht bleiben vermute.
Mir fehlen die Zwischentöne bei ihm und bei ihr. Ich kann nicht nachvollziehen, was ihn veranlasst hat, ihr jede Menge Briefe zu schreiben und ich verstehe nicht, was er ihr in den Briefen sagt. Du lässt auch diesen Punkt aus, was mir noch mehr Fragezeichen verschafft, wenn es um die Beziehung der beiden geht.

Diese deine Bedenken wiegen schwerer für mich, ähnlich hat es ja auch Novak gesagt. Und mittlerweile ist mir selbst klar geworden, dass die Geschichte nur gewinnen könnte, wenn auch Elsie eine stärkere Charakterisierung erfährt. Also da werde ich mich sicher noch einmal dransetzen. Wie gesagt denke ich an eine zusätzliche Szene im Raymonds, an dem Abend, an dem sich die beiden kennenlernen.

Mal sehen, lakita, ob ich da noch was zuwege bringe. Auf dass du nicht nur mit meinem Stil, sondern auch mit der Story an sich zufrieden bist.

Ich danke dir.


zigga schrieb:
das liest sich auch wie ein Anfang, wie ein Anfang für eine längere Geschichte, da werden Konflikte angerissen, die sich weiter aufziehen könnten,…
das könnte der Hauptkonflikt einer längeren Geschichte sein,

Verdammt, zigga, du machst mich noch wahnsinnig! Immer willst du mehr von mir. Ich schwör’s dir, irgendwann hast du mich soweit, dass ich eine 700 Seiten-Schwarte raushau, dir zu Fleiß, und die werde ich dann obendrein dir widmen.
Andererseits, …

Sprachlich kann ich dich gar nicht belehren, das ist richtig gut, das fließt, da sind jede Menge wunderschöner Bilder, Vergleiche, Gedankengänge drin, die mir als Leser große Freude bereiten, die mir das Geschehen unmittelbar vor Augen zeichnen. Was mir an deinen Vergleichen besonders gefällt, ist, dass die Bilder, die du wählst, oft eine Bedeutung haben, und nicht nur einfach Vergleiche sind.

…vielleicht bist du ja nur deshalb so unbescheiden, weil dir einfach meine Sprache so gefällt, und das kann ich allemal als Ansporn auffassen.
Gedulde dich noch ein wenig, zigga, es kann sich höchstens so um fünfzehn, zwanzig Jahre handeln, dass mich meine Frau endgültig aus der Werkstatt zerrt, absperrt und den Schlüssel wegschmeißt („Genug geschuftet, offshore!“), und dann habe ich mehr Muße zum Schreiben.

Vielen Dank, zigga


Die anderen bitte ich noch um etwas Geduld.

 

Lass uns ein Autorenkollektiv bilden, Tashmetum, deine Ideen sind ja noch herzzerfetzender als meine.
(trotzdem: vergiss das mit dem Herzchen-Smiley.)

 

Ein Blitz zerriss den Himmel. Und ein Donnerschlag. Und in dieser winzigen Sekunde gleißender Helligkeit sah ich die Tränen in ihren Augen und ich konnte erkennen, dass ihre Wangen gerötet waren, ich sah den Schimmer auf ihrem Haar und den Flaum auf ihrem Ohrläppchen und den Glanz auf ihren Lippen und das kleine Muttermal neben ihrem linken Mundwinkel und die Gänsehaut auf ihren Schultern, ich sah das tatsächlich alles, ich sah das alles gleichzeitig, das bildete ich mir nicht ein, nein, ich meinte sogar, den Duft an ihrem Hals zu sehen und den Duft ihrer Haare und den Duft unter ihren Achseln und den Duft zwischen ihren Beinen. Als schleuderte ihr Körper Funkengarben. Es war ein Augenblick reinster Klarheit, ich sah das alles wirklich und plötzlich überfiel mich die Gewissheit, doch einiges kapiert zu haben.
Und ich streckte die Arme nach Elsie aus.
Und in diesem Moment brach das Gewitter los.
Und Windstöße wirbelten die Briefe durch die Luft.
Und Elsie stürzte sich auf mich.
Dazu soll ich wirklich etwas sagen, ernst? Was hast du erwartet? Dass ich klatsche, gegen den Bildschirm trommel, ihn einschlage, um in diese Welt zu greifen, irgendetwas mitzunehmen, nur einen Moment darin zu sein? Nicht, oder? Aber verdammt: Da zerreißen Blitz und Donner den Himmel, in apokalyptischer Kulisse platzt Vinc das Herz, es explodiert unter Gepolter, er ertrinkt fast in seinem eignen Blut, wird verrückt, dreht durch, brüllt Herr Gott! und Um Himmels Willen! in die Luft, und dabei ist es kein Zustand des Wahnsinns, keine Ekstase, sondern schlicht: Leben. Diese Begeisterungsfähigkeit, diese geballte Aufmerksamkeit, die ihn selbst umwuchtet, das Nicht-glauben-können von BOAH, IST DAS LEBEN GEIL – das im Anblick des Todes. Am Ende sieht er sogar Duft, die olfaktorischen Sinneszellen ziehen sich zurück, brechen durch die Augenhöhle und verscheuchen den am stärksten ausgeprägten Sinn: die Sicht, weil die Gerüche mehr wollen, als nur gerochen zu werden – sie wollen sichtbar sein! Was soll ich dazu sagen … Freilich raste ich da aus.

Novak erkennt das auch:

Novak schrieb:
Die Charakterzeichnung von Vince finde ich irre gut. Der geht so ab, dieser Kerl, einfach super, hab zum Teil total über den gelacht, über diesen überschwänglichen, hochemotionalen und hyperromantischen Mann, der sich selbst wegen dieser "Entgleisungen" schilt, und seine Übertreibungen selbstironisch kommentiert.
Und das ist das Schöne an der Charakterisierung, diese selbstironischen Kommentare, wenn er sich selbst von außen als Obertrottel sieht, weil er schon wieder liebespeiend durch die Gegend furzt wie so ein Luftballon, den man ganz dick aufgeblasen hat und der dann durch alle Räume zischt und dabei unanständige Geräusche macht, nur dass deinem Vinc eben die Luft nie ausgeht.

Dem geht die Luft echt nicht aus, das liest sich wie in einem Atemzug geschrieben, als hättest du dir nach einem sehr tiefen Atemzug verboten, weiterzuatmen, bevor die Geschichte fertig ist. Das einzige, was am Anfang die Begeisterung drosselt, ist, dass Vinc seine Scheißaugen nicht aufkriegt, es fühlt sich alles zerknautscht an, aber schon ziemlich gut: Kuchen! Kuchen? Ja, Kuchen. (Übrigens die beste Beschreibung, wie jemand im Angesicht eines weiblichen Genitals erwacht!) Trotzdem zweifelt er, dass das alles so geil sein kann. Für mich ist der Text ja eine Nahtoderfahrung, eine Träumerei fast.

Absolute Lieblingsstelle:

Allein der Gedanke, dass Lauras Geruch verschwinden, gar vom Duft einer anderen Frau getilgt werden könnte, machte mich schier verrückt. Deshalb hatte ich ja auch nie ihre Sachen weggegeben, nach wie vor hingen ihre Klamotten im Schrank und das Badezimmer platzte aus allen Nähten. All ihre Shampoos und Cremes lagen da noch herum, all die Tiegelchen und Flakons, die Lotionen und Öle, ihre Lippenstifte und Parfumfläschchen und Haarbürsten, an denen zu riechen ich mir nicht versagen konnte, wenn die Nächte besonders schlimm waren. Mein Gott, ihr Morgenmantel. In dem vergrub ich bisweilen das Gesicht und raufte mir dabei die Haare.

Mich hat die Rage des Erzählers mitreißen können, ich lese die Geschichten ja immer laut, zum Schreien komme ich selten, dieses Mal konnte ich es kaum unterdrücken. Du hast das schon geschickt gemacht. So viel Emotionen in so wenigen Zeilen und obwohl das durchweg positiv ist, schwingt etwas Dunkles mit, ich weiß nicht genau, was das ist. Vielleicht der Abgang von Laura, oder gerade die Überschwänglichkeit, die nicht echt sein kann, die er selbstironisch kommentiert und – ja – kritisiert.

Klar hätte man mehr verraten können: über Elsie, über das, was in den Briefen steht, über Laura. Ich sage mir dann immer den Satz von Antoine De Saint-Exupéry auf: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern nichts mehr weglassen kann.“ Und wenn man deine Erzählung unter diesem Aspekt betrachtet, darf man sie als ziemlich perfekt bezeichnen. Vielleicht wäre Elsie mehr ein Farbklecks als ein Farbtupfer, wenn du einen Tick mehr von ihr preisgeben würdest. So bleibt sie ein Mysterium und gerade weil wir nicht wirklich nachvollziehen können, warum Vinc so abgeht, ist es so berauschend. Macht ja auch neugierig.

Für mich ist das auch eine Geschichte über die Macht des Schreibens. Über die Macht von Wörtern und formulierten Gedanken. War es am Ende nicht der Brief, der Elsie in sein Bett gezogen hat? Jemandem etwas sagen und jemandem etwas schreiben, das sind zwei ganz unterschiedliche Stiefel, mit denen man ganz anders geht oder ganz andere Ziele erreicht. Die Szene, als sie die Briefe liest und er draußen umher“tigert“ haben mir sehr gefallen. Auch, wie er sich an den Apfelbaum lehnt. Wenn im gleichen Absatz vom Paradies die Rede ist, kann man sich leicht dazu verführen lassen, dass vom Sündenfall in der Bibel die Rede ist, auch wenn es dort kein Apfel, sondern irgendeine Frucht ist. Er beißt nicht ab. Oder beißt er doch ab? Und warum ist es eine Sünde diesen Scheißapfel zu essen? Er beißt sich auf die Lippe. Er verkneift sich das Glück? Zum Glück schnappt er sich Elsie am Ende.

Es ist jammerschade, dass man einem überglücklichen, krankhaft romantischen, krass begeisterten Menschen vorschnell Wahnsinn attestiert, ist es doch das, was man durchaus als erstrebenswert bezeichnen könnte. Man denke an die vielen kreischenden Teenies auf Popkonzerten, die Faszination, mit der Jugendliche in virtuellen Welten anderen Leuten die Köpfe zerfetzen, die Rotweingläser voll Tränen bei Liebesfilmen, das hysterische Gebrüll von Fußballfans – warum ist es so verwerflich, etwas von dieser Begeisterung für sein eigenes Leben zu empfinden, die Sinne hin und her zu schieben, um mehr von den Dingen zu sehen, die vor unserer Nase geschehen?

Für mich eine gewaltig gute Geschichte und die Loslösung der Poesie aus ihren zärtlichen Zügeln.

Immer wieder schön, einen Poeten beim Ausrasten zuzuschauen!

Beste Grüße
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Kurze Frage:

Sowohl lakita als auch Novak (edit: und auch Manuela K., tschuldige, fast vergessen) meinten, Elsie wäre in der in der Geschichte etwas zu blass geblieben.
Nun gut, hab ich mich heute Nacht noch mal drangesetzt und eine zusätzliche Szene geschrieben. Darin wird Elsie zwar auch nicht weiß Gott wie detailliert geschildert, aber zumindest soll sie zeigen, dass zwischen Vinc und Elsie offenbar so was wie eine Seelenverwandtschaft besteht.

Das wäre die neue Szene:


„Äh, natürlich, klar, komm rein.“
War das tatsächlich ich, der das eben gesagt hatte? War ich vollkommen irre?
„Aber nicht erschrecken, Elsie, sollte ich kurz bewusstlos werden. Oder sterben.“
Und sie war reingekommen, scheu lächelnd und mit diesem versonnenen Blick, der mich schon vor acht Monaten schier um den Verstand gebracht hatte. Ob ich mich an sie erinnere … heilige Scheiße, hatte die eine Ahnung!
Als hätte ich sie vergessen können nach dieser Nacht im Raymonds, jener Nacht, als - kein Witz - plötzlich Borodins Requiem durchs Lokal dröhnte, in voller Lautstärke. Ein Typ war am Musikautomaten zugange und rang die Hände, das war eins von diesen modernen Dingern, die ein paar zehntausend Titel drauf haben, die gesamte Musikgeschichte rauf und runter, womöglich wollte er Boney M. drücken und hatte sich schlicht vertan, der Schlaumeier, oder das Ding war einfach hin, Softwarefehler oder so, keine Ahnung. Die anderen Gäste fanden das gar nicht witzig, die wollten chillen, die wollten verdammt noch mal Barmusik hören, keinen schwermütigen russischen Kram, fehlte gerade noch, dass die ersten Gläser durch die Luft flogen. Der Typ drückte wie blöde auf den Knöpfen herum, aber das änderte nichts, die Kiste war eindeutig im Eimer. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen, auch wenn sich gleichzeitig die Härchen auf meinen Unterarmen aufstellten. Der Spuk wäre ohnehin nach sechs Minuten vorbei. Die hatten doch keine Ahnung, diese Banausen.
Jedenfalls war das der Augenblick, in dem ich sie erblickte. Mit geschlossenen Augen stand sie am anderen Ende der Bar, klammerte sich an ein Fläschchen Heineken und war so blass um die Nasenspitze, dass ich fürchtete, sie legte sich jeden Moment der Länge nach hin. Ich ging kurzerhand zu ihr rüber und sprach sie an. Mich musste der Teufel geritten haben.
„Verzeihen Sie, ist Ihnen nicht gut? Ist Ihnen die Musik unangenehm?“
Als triebe sie am Rande des Universums, als holte ich sie aus der Umlaufbahn um einen fernen Planeten, als weckte ich sie aus einem Traum, so langsam drehte sie sich zu mir um, und ich hatte währenddessen alle Zeit der Welt, Ihren Nacken zu betrachten. Ihr Haar war hochgesteckt, und das war schon immer eine Sache gewesen, die mir naheging, die ich an Frauen einfach liebte, den Haaransatz hinter dem Ohr, diese zarte Stelle, die man nur sehen konnte, wenn sie das Haar hoch trugen. Es konnte kein Zufall sein, dass die Frauen sich genau dorthin das Parfum tupften, als wüssten sie um den Zauber dieses magischen Stückchens Haut.
„Was soll ich sagen? Kann man Musik angenehm nennen, wenn sie einem das Herz aus der Brust reißt?“
Als sie das sagte, lächelte sie kein bisschen, sie meinte das offenbar vollkommen ernst, ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mich auf den Arm nahm. Na gut, sie lächelte zwar nicht, aber ihre Augen … also ich hab ja schon genug gesehen, aber Augen, die gleichzeitig zu weinen und zu grinsen scheinen? Also ich war mir nicht ganz sicher, vielleicht verarschte sie mich ja doch.
„Und was ist mit Ihnen? Mögen Sie Klassik?“
„Sehen Sie nicht, dass ich mich gerade anschicke, bewusstlos zu werden?“ Ganz ernst sagte ich das.
Jetzt lächelte sie mich an. Und wie.
„Wollen wir uns nicht wo hinsetzen?“
Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern nahm einfach meine Hand und steuerte ein Tischchen an, ganz hinten, in der letzten Ecke, und das war mir nur recht, auf diese Witzbolde an der Bar konnte ich gerne verzichten.
Bis zum Ende des Stücks sprachen wir kein Wort, wir sahen uns nur an, und meine Hand ließ sie auch nicht los. Was die da vorne dann mit dem Musikautomaten anstellten, bekam ich nicht mehr mit, es war mir auch herzlich egal, ob sie den nun zertrümmerten oder einfach den Stecker zogen.
„Wie heißt du?“
„Vinc.“
„Elsie.“
Da war es kurz nach zwölf und als wir das Raymonds als letzte verließen, war es halb vier. Wir hatten geredet und geredet und sie hatte es sich nicht nehmen lassen, sich von mir gut und gerne zwanzig Seiten aus dem Brautigan vorlesen zu lassen.

Ob ich mich an sie erinnere, die machte mir Spaß.
Ich lotste Elsie zum Sofa und holte uns zwei Bier. Dabei zitterten meine Hände, dass ich Angst hatte, die Flaschen zu zerdeppern.
„Weißt du, ich wollte dir nur das Buch zurückgeben.“
usw.


Tja, und jetzt hat markus das geschrieben:

M. Glass schrieb:
Klar hätte man mehr verraten können: über Elsie, über das, was in den Briefen steht, über Laura. Ich sage mir dann immer den Satz von Antoine De Saint-Exupéry auf: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern nichts mehr weglassen kann.“ Und wenn man deine Erzählung unter diesem Aspekt betrachtet, darf man sie als ziemlich perfekt bezeichnen.

Jetzt weiß ich ehrlich gesagt nicht, was ich tun soll. Die neue Szene einfügen, auf die Gefahr hin, dadurch die Essenz des Textes quasi zu verwässern? Oder die Geschichte in ihrer ursprünglichen Form belassen?
Ich weiß es echt nicht …

 

Hallo offshore,
schon lange möchte ich eine Kritik im Bewußtseinstrom schreiben. Diese Geschichte bietet Gelegenheit dazu: Also, Vinc ist ein armes Schwein, weil er seine Frau verloren hat. Jetzt muss er saufen und rauchen und hängen. Die Adresse einer anderen Frau, an der er interessiert wäre, verbrennt er, obwohl er sich gut vorstellen könnte, diese Frau zu lieben. Es bleibt ihm, nur noch Briefe ohne Adressaten zu schreiben. Die liegen dann bei ihm rum. So kommt er irgendwie als Versager und weiches Männlein rüber, wenn da nicht die Tote wäre. Auf eine Art kommt da schon Mitleid auf. Das relativiert sich wieder, als er den belegten Wecken einfach in den Müll wirft, kein Gedanke daran, dass 30 % der Nahrungsmittel auf diese Weise verschwinden, und so. Er hätte ihn doch wenigstens in den Hühnerhof des Nachbarn werfen sollen. Aber solche Hühnergehege sind ja heute vielerorts auch verboten. Dann bliebe noch ein Bach, in dem Enten und Fische schwimmen. Aber der Vinc denkt ja nur noch an sich. Die Erotik ist dabei so unheimlich gut dargestellt, da kommen irgendwie so ziemlich keine Pornoassoziationen auf. Wahrlich eine supergelungene Beschreibung und so. Und der Vinc hat wahnsinniges Glück, dass ihn die Elsie besucht. Sonst erfährt man ja nicht gerade viel über Elsie. Aber sie hat Beine, auf denen es sich gut ausruhen lässt. Der Vinc ist schon komisch. Da kommt er über den Tod seiner Freundin nicht drüber weg, will sich umbringen und dann kommt Elsie doch. Und er glaubt gar nicht daran, arbeitet dagegen. Er besäuft sich, raucht, sauft... .... eine Art von neuer Liebe. Und Saufromantik. Am Schluss könnte ihm Elsie noch einen Tritt geben. Das würde offshore sicher mit gewaltigen Worten beschreiben können.
Irgendwie habe ich das schon gerne gelesen.
Viele Grüße, Fugu

 

Kurze Antwort: Die Szene ist sehr gut. Aber glaub ja nicht, dass wir dir diese Entscheidung abnehmen! Wenn du die Szene mit reinnimmst, zerstörst du die Geschichte nicht, du wertest sie aber auch nicht mordsmäßig auf, so viel kann ich sagen. Du verschiebst etwas, und ich kann mir vorstellen, dass Laura komplett untergeht, zur alten Frau wird, die gegen den Baum geknallt ist und nichts weiter zurückließ außer ihren Duft - was mir irgendwie paradox erscheint, sind Gerüche doch flüchtiger als alles andere. Konsequenz wäre, du müsstest mehr von Laura erzählen, um sie nicht untergehen zu lassen neben Elsie, usw. - Das ist nur meine Sicht der Dinge.

 
Zuletzt bearbeitet:

M. Glass schrieb:
Aber glaub ja nicht, dass wir dir diese Entscheidung abnehmen!
Verdammt, warum nicht? Ihr seid doch die Leser, ihr müsst das Zeug doch lesen ...

... sind Gerüche doch flüchtiger als alles andere.
Ja, das sind sie in der Tat, doch gleichzeitig gibt es nichts, das sich hartnäckiger in der Erinnerung hält. (Ich war knapp dran, die Geschichte "Der Duft der Frauen" zu nennen.)

Ich werde über all das noch einmal nachdenken. Danke für deine Gedanken, markus.

 

Tashmetum schrieb:
Ich fand die Geschichte toll!
Na bitte. Auch wenn du sie ein wenig anders gelesen hast, Tashmetum, als es in meiner Absicht lag:

aber ich habe mir so gedacht - und in diesem Fall würde ich nicht sagen, dass etwas fehlt; obwohl du es nicht explizit schreibst oder beschreibst-, dass der Protagonist wirklich todkrank ist und deswegen so überwältigt reagiert.
Also "in meiner Welt" steht darin, dass er sie ganz toll findet, dass er sich vielleicht auf den ersten Blick in sie verliebt hat, dass sie eigentlich zusammen gehören, ABER
... aber, dass sie nicht zusammensein können, weil er todkrank ist und sie nicht mit seiner Krankheit belasten kann und will ...

Dass Vinc todkrank ist, wird eigentlich an keiner Stelle des Textes angedeutet. (An einem Kater, auch wenn er noch so schlimm ist, ist noch keiner gestorben.)
Aber wenn du mit dieser melodramatischen Lesart glücklich bist, sei sie dir gegönnt.

Sie ist nicht wirklich überraschend, weil wir ja seit dem Anfang wissen, dass zwischen Protagonist und Frau etwas laufen wird.
Ich frage mich, warum Du den Anfang nicht ans Ende stellst.
Ganz einfach, weil (wieder einmal) diese Geschichte ganz ungeplant entstanden ist. Ich begann mit der morgendlichen Aufwachszene und die erscheint mir noch immer als ein perfekter Einstieg, na ja, und der Rest hat sich dann halt einfach ergeben. Also ich mag die Dramaturgie der Geschichte schon sehr gerne.
Deine Änderungsvorschläge habe ich einer wohlwollenden Prüfung unterzogen und sie dann allesamt verworfen. Ich bin ein sturer Hund. Nein, Moment, fächelte habe ich durch blies ersetzt. (Warum du an der Stelle das Präsens einforderst, blieb mir allerdings ein Rätsel.)

Vielen Dank für dein Lob, Tash


Lady Morphia schrieb:
Dein Stil ist dein Stil, und das ist deine Sache. Aber ich tu mir schwer mit dem bundesdeutschen "Möse", "Fresse", "Blödmann", "sternhagelvoll" , "Klacks" etc. in dem ansonsten doch österreichischen Text, da hätte ich wenigstens "Muschi", "Maul", "Trottel" , "besoffen" und "nichts" genommen, das harmoniert besser finde ich.

Du weißt, wie sehr ich die genuine österreichische Alltagssprache liebe und verwende, Lady Morphia, selbst meinen Söhnen konnte ich vermitteln, dass z.B. Erdäpfel, Paradeiser oder blunznfett einfach coole Wörter sind.
Aber wenn ich schreibe, denke ich quasi auf einem anderen Niveau. Möglicherweise spielt da auch das Hochdeutsch, Mit dem ich in meinem Elternhaus aufgewachsen bin, eine Rolle. (Mein Vater war gebürtiger Sudetendeutscher) Und sicherlich bin ich in meinem Stil einfach auch geprägt durch meine Lektüre, und klar, ich hab auch Lieblingsautoren, an deren Sprache ich mich bewusst oder unbewusst orientiere, einfach weil sie mir gefällt. Also pures Österreichisch kann und will ich gar nicht schreiben, auch wenn ich z.B. Wolf Haas wahnsinnig gern mag, aber der macht sprachlich irgendwie sowieso sein ganz eigenes Ding.
Oder ich will’s mal so sagen: ich bemühe mich in meinem Stil halt neben Literarizität auch um eine gewissermaßen offshorsche Sprache.

Und noch was zu Muschi vs Möse (Manuela hat‘s ja auch erwähnt):
Ist echt schwierig, da ein gutes Wort zu finden. Ich hab bei der (ohnehin nur einmaligen) Verwendung des Begriffes Möse echt lange herumüberlegt und bin nach wie vor nicht hundertprozentig sicher, ob er an der Stelle passt. Aber Möse war halt einfach das vertretbarste Wort für mich. Muschi z.B. geht gar nicht, das ist ein absolut unerotisches Wort für mich, das klingt für mich einfach nur nach Kindergartensprache.
Rosige Spalte zu schreiben war absolut passend und naheliegend, weil es genau der visuellen Wahrnehmung von Vinc in dieser Situation entspricht. Er sieht genau das: eine rosige Spalte. Bei der nächsten Erwähnung allerdings wurde es schon schwierig, weil ich ja in Vinc‘ Sprachduktus bleiben musste. Wie bezeichnet er das Ding für sich? In welchen Begriffen denkt er daran?
Sicher nicht Muschi, dafür ist er zu erwachsen, außerdem ist er doch auch schrecklich poetisch. Fotze ist eindeutig zu vulgär, das urwienerische Fut erst recht. Was bleibt dann noch? Die Vagina, das Geschlecht, die Vulva, die Scheide? Das klingt halt alles so furchtbar nach medizinischen Lehrbüchern.
Und über so peinlich absurde Wortschöpfungen aus der einschlägigen Erotkliteratur wie z.B. Lustgrotte, Honigtöpfchen usw., brauchen wir sowieso nicht reden.

Die Leidenschaft kommt gut rüber, und schön langsam etablierst du dich als Romantiker, ob dus willst oder nicht.
Na ja, eigentlich hab ich kein Problem damit.

Vielen Dank, Lady Morphia.


Servus Apfel van Cooper

Apfel van Cooper schrieb:
Da bekam ich irgendwie den Eindruck, als wäre Vinc schon 80 Jahre alt, das war etwas verwirrend, weil gegen Ende hin wirkt er eher wie ein desillusionierter versoffener Mittdreißiger oder so.
Das mit Vinc‘ Alter hab ich mittlerweile geändert, das wird jetzt schon gleich zu Beginn erwähnt.
willkommen hier, Apfel, und vielen Dank für deine lobenden Worte.
(Cooler Nick übrigens)


Morphin schrieb:
Wenn Poesie sich verdichtet, entstehen Textsonnen und wärmen mich.
Das will ich jetzt einfach mal unkommentiert so stehen lassen. (In Fettdruck)
Danke, Heiko


Fortsetzung folgt.

offshore

 

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