Was ist neu

Neue Fenster

Challenge 1. Platz
Challenge 1. Platz
Wortkrieger-Team
Seniors
Beitritt
07.09.2014
Beiträge
1.637
Zuletzt bearbeitet:

Neue Fenster

Der Sessel meines Vaters ist mit braunem Leder bezogen. Da, wo sein Kopf liegt, während er vor dem Fernseher schläft, hat es sich dunkel verfärbt. Meine Mutter ärgert sich über die speckige Stelle, überhaupt ist die Garnitur, die mal edel und teuer war, ziemlich schäbig inzwischen. Aber mein Vater hat sich allen Versuchen widersetzt, etwas Neues anzuschaffen, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt. Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Mein Vater ist grau im Gesicht, was nicht verwunderlich ist, da er in den letzten sechs Wochen höchstens anderthalb Stunden am Stück geschlafen hat, genau wie meine Mutter, deren Stimme am Telefon in dieser Zeit trocken und alt geworden ist. Vor einem Vierteljahr noch sagte sie: „Na ja, wenn es so bleibt, bin ich ganz zufrieden.“ Es ist nicht so geblieben. Auf seiner Stirn die Kruste einer Wunde. Vor ein paar Tagen ist er über eine Teppichkante gestolpert, er fängt sich schon lange nicht mehr ab. Das Haus meiner Eltern hat steile Treppen.
Mein Vater vertraut mir, als wir aus der Tür gehen. Er vertraut mir auch, als ich ihn zum Auto führe, in das er nach einem kurzen Moment der Konzentration in einem Schwung einsteigt. Er nestelt am Gurt, und ich greife um ihn herum, um ihn anzuschnallen.
Meine Mutter quält sich auf den Rücksitz. Die Verzweiflung der letzten Wochen ist ihr in den Rücken gefahren. Eine falsche Bewegung, und es sticht „wie ein Messer“. Eine falsche Bewegung ist schnell gemacht, wenn man versucht, einem alten Mann den Schlafanzug anzuziehen.
„Uwe, nur den Fuß hoch, versuch doch mal, einmal den Fuß hoch, guck mal, das geht ganz schnell, gestern hat das doch ganz toll geklappt, du kannst das doch, eins – zwei - drei und hoch den Fuß! - Uwe, die Hose muss doch … , ach Uwe, nun streng dich doch mal ein bisschen an, au, Moment, ich muss mich mal strecken, wir probieren es gleich noch mal – ach, da ist er ja, der Fuß, prima, warte, ich komm mit der Hose, bleib so, nein ... Warte! Willst du hier die ganze Nacht … komm, wir wollen doch ins Bett … Wenn du jetzt nicht den Fuß hoch nimmst, rufe ich die POLIZEI! … ach Blödsinn, nein, ich habe nur einen Witz gemacht, das war nur ein Witz! Uwe, nun mach doch ein bisschen mit!“
Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie geschimpft hat. Dann hilft sie ihm ins Bett. Wenn sie nicht aufpasst, liegt er zu tief und weiß nicht mehr, welche Bewegungen er machen muss, um sich hoch zu schieben. Aber zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen, steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
Ich weiß das alles, weil ich drei Nächte im Zimmer meiner Eltern geschlafen habe. Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht. Jedenfalls habe ich gestern nach der zweiten Nacht mit meiner Mutter die Heime abgeklappert.

In unserem Wunsch-Heim haben wir bei der Leiterin im Büro gehockt. Frau Schmidt, die Stationspflegerin wurde hinzugezogen, blieb in der Tür stehen, die Arme verschränkt.
„Ja, ist schlecht, Sie wissen das doch, wir sind mitten am Umziehen, die ganze Station geht übernächste Woche rüber, da können wir doch jetzt keinen mehr aufnehmen, was meinen Sie, was mir meine Leute erzählen? Wir sind jetzt schon absolut am Limit! ... Was ist denn mit Ihrem Mann, beschreibense den mal. Dement? Bei uns sind alle dement. Inkontinent. Aha. Isser aggressiv? Bestimmt nicht? Läuft er weg? Also, machen Sie sich mal keine übertriebenen Vorstellungen. Wir haben hier nicht die Kapazität, den ganzen Tag Händchen zu halten. Momentan schon mal gar nicht. Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Später, auf der Straße, gluckste meine Mutter neben mir. „Meine Güte, was hast du auf die Tränendrüse gedrückt, sogar meinen Krebs hast du ins Feld geworfen, das ist doch Jahre her.“
„Fünf“, sagte ich. Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören? Und ich dachte, dass das wahrscheinlich meine Kernkompetenz bei dem Ganzen ist, im rechten Moment herumzuheulen. Jedenfalls dürfen wir ihn heute schon bringen.

Vor einem halben Jahr lief mein Vater gerne am Arm meiner Mutter durch die Stadt, wandelte auf seinen eigenen Spuren, wies auf Wohnungen, Häuser, in denen seine Gesellen Fenster eingesetzt hatten, Treppenhäuser gestrichen, Fassaden verputzt. Noch früher hätte er gesagt: „Da haben wir auch mal was gemacht.“ Wenn er jemanden sah, den er kannte, blieb er stehen und lächelte liebenswürdig. Die Leute riefen: „Ach, der Herr Nilges!“ oder „Uwe!“ oder „Chef!“ Sobald er jedoch zu sprechen begann, schauten sie hilfesuchend zu meiner Mutter. Bis auf das eine Mal, als er klar und deutlich zu einem früheren Kunden sagte: „Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“

Als wir mit meinem Vater vor dem Heim stehen, zupft meine Mutter noch einmal seine Jacke gerade, richtet den Kragen. Wir nehmen ihn in die Mitte und gehen durch die Schiebetür. Zuhause haben wir versucht, meinem Vater zu erklären, dass wir jetzt in ein Heim fahren, weil es so nicht weitergeht und dass damit allen geholfen wird. Er hat etwas gemurmelt. Er war nie ein großer Redner, aber jetzt ist er fast nicht mehr zu verstehen. Er beginnt Sätze, stockt, und schaut hilfesuchend.
Vor den Aufzügen kommt uns Frau Schmidt entgegen. Ich denke nur: Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm! Meine Mutter lächelt genauso angestrengt wie ich.
Frau Schmidts Stimme ist ganz sanft, als sie ihn begrüßt.
Mein Vater fasst sie lange ins Auge, sehr lange.
Sie wartet.
Dann grüßt er zurück.

Ich ziehe meinem Vater die Hausschuhe an. Er schüttelt den Kopf, zieht den Fuß zurück und ich bemühe mich um einen aufmunternden Krankenschwesterton. Er versucht mir etwas zu sagen, schaut mich eindringlich an, und ich nicke. Ob er vielleicht jetzt gerade verstanden hat, dass er hier bleiben muss? Plötzlich schießen mir die Tränen in die Augen. Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.

Sein Zimmergenosse liegt im Bett. Die Pflegerin hat uns zugeflüstert, dass ihm nur noch wenige Wochen bleiben. Als wir die Sachen meines Vaters in die Schränke räumen, verfolgt der Mann jede unserer Bewegungen mit den Augen. Ein Lächeln ist ihm nicht zu entlocken. Mein Vater ist nicht unbedingt ein Gewinn für ihn, denn er läuft herum, steht unten bei ihm am Fußende, hebt die Bettdecke hoch und beguckt sich interessiert seine Füße, öffnet alle Schränke, steht dann wieder vor seinem Bett und schaut ihn an, zutiefst verwundert darüber, dass dieser fremde Mann ihn so anschreit. Meine Mutter macht sich daran, das Herz des Sterbenden mit Lindt-Schokolade und liebevoller Zuwendung zu gewinnen.
In ihrer Handtasche trägt sie ein altes Teekännchen aus Glas mit sich herum. Sie hat den Trick zu Hause selber erfunden. Wenn mein Vater an seinem Gürtel nestelt, schiebt sie ihn ins Bad, zieht schnell seine Hose herunter und hält das Teekännchen unter, denn bis meinem Vater wieder eingefallen ist, wie man sich hinsetzt, ist es meist zu spät. Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Während mein Vater beim Abendessen sitzt, schleichen wir uns weg. Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er durch die Flure irrt.

Am nächsten Tag kann mein Vater nicht mehr selbstständig essen. Er stochert mit der Gabel neben dem Teller, und wenn er zufällig auf das Kartoffelpüree trifft, schiebt er es über den Rand auf den Tisch. Die leere Gabel führt er zum Mund und kaut. Frau Schmidt guckt sich das eine Weile an, dann sagt sie, dass seine Pflegestufe zu niedrig sei, so wie er esse, und wir schwören, dass es zu Hause noch ging, na ja, besser jedenfalls oder ein bisschen besser.
Später, als wir am Stationszimmer vorbeigehen, hören wir Streit, die Pflegerinnen vorwurfsvoll, „der arme Mann“, Frau Schmidt immer lauter werdend. Bis sie uns sehen und verstummen.
An diesem Tag bleiben wir noch länger als gestern, bis nach dem Abendbrot. Mein Vater geht tief gebeugt, seine Schulter hängt zu einer Seite. Er läuft und läuft durch die dunklen Flure der alten Station, in denen sich Möbel stapeln, die mit Plastik überzogen sind. Hinter einer Tür hört man lautes Klagen, mein Vater ändert sofort die Richtung. Beim Dienstzimmer begegnen wir Tanja, der jungen Pflegerin mit den Dreads. Sie flüstert uns zu: „Gehen Sie ruhig. Dafür sind wir doch da.“ Dann strahlt sie ihn an, hakt sich bei ihm ein: „Nicht Herr Nilges? Wir beide machen das schon! Kommen Sie, wir gehen mal dem Patrick helfen, der sucht die Klamotten von der Frau Danjes.“ Zum ersten Mal an diesem Tag lächelt er.
Tanja ist es auch, die meinen Vater am nächsten Tag rettet, als er Verstopfung hat. Unnütz und mitleidend sitzen wir auf dem Sofa im Aufenthaltsraum, bis Tanja endlich aus der Tür geschossen kommt und beide Daumen in die Luft reckt. Im Zimmer liegt mein Vater erschöpft auf dem Bett, die Augen halb geschlossen. Wir sitzen eine Weile stumm davor. Dann sagt meine Mutter: „Uwe, du bist immer noch ein schöner Mann.“

Morgens und nachmittags gehen wir ins Heim und in der restlichen Zeit redet meine Mutter über meinen Vater. Sie erzählt wieder vom letzten, verunglückten Urlaub, wo er die Hotelzimmertür nicht gefunden hat, Fieber bekam und sie ihm vor dem Einschlafen „Lalelu“ vorgesungen hat. „Und dann hat er auf einmal ganz leise mitgesungen“, sagt sie. Sie springt noch weiter zurück, wie sie ihn nachts gerüttelt hat, wenn er im Schlaf schrie und stöhnte. Nie hat er verraten, was er geträumt hat. Sie wiederholt, dass er genau der richtige Mann für sie war. Und dann redet sie von der grenzenlosen Erleichterung, wenn sie jetzt nachts aufwacht und merkt, dass sie alleine ist.

Schließlich sitze ich wieder im Zug mit wehem Gefühl und entschlossen, bald wiederzukommen.
Täglich rufe ich meine Mutter an und hoffe, dass sie sagt, dass er ganz zufrieden ist und dass er sich immer wohler fühlt. Stattdessen baut mein Vater weiter ab. Er läuft immer schlechter, ein Rollstuhl wird ins Auge gefasst.
Einmal aber erzählt sie, dass sie unten im Flur Musik gehört haben. „Das kam direkt aus der Kapelle, 'Großer Gott, wir loben dich', da hat einer in die Tasten gehauen, aber so richtig mit Schmackes! Als wir um die Ecke geguckt haben, waren da nur ein Mann und eine Frau, er an so einer Tischorgel und sie im Rollstuhl davor. Da haben wir uns ganz leise hingesetzt und ein bisschen zugehört. Und als er fertig war, hat dein Vater auf einmal geklatscht. Also, ich war ganz begeistert. Der Mann hat gesagt, er kommt jeden Tag dahin und spielt seiner Frau etwas vor. Aber die Frau ist wirklich schlecht dran, sie hängt nur im Stuhl und guckt immer geradeaus. Ich hab ihm geholfen, sie wieder ordentlich hinzusetzen, und dann hat er gemeint, sie haben da so eine kleine Clique am Eingang, wo die Tische stehen, ob wir nicht mal dazukommen wollen. Mal gucken, ob ich deinen Vater dazu kriege, der ist ja immer so unruhig. “

Als ich nach einigen Wochen wiederkomme, trägt mein Vater einen Helm, der unter dem Kinn mit einem Klickverschluss befestigt wird. Er reißt die Arme hoch, stolpert mir entgegen. Wie zerbrechlich er sich anfühlt. Wir haken uns bei ihm ein.
Die neue Station riecht schwach nach Kindheit, nach unserer Werkstatt, nach Wandfarbe und Lösungsmittel. Damals trug mein Vater einen weißen Kittel, in dem ein Kugelschreiber steckte, und saß an einem Schreibtisch übersät mit Zetteln, deren System nur er verstand, und er hatte eine Süßigkeitenschublade, aus der sich die Verkäuferinnen heimlich bedienten. Jetzt liegt ein großer Zettel auf seinem Nachttisch, auf dem die Zeiten stehen, wann meine Mutter kommt.
Im Gemeinschaftsraum ein Küchenblock. Meine Mutter erklärt, die Bewohner sollen das Klappern der Töpfe hören und angebratene Würstchen riechen, jedenfalls die, die noch riechen können.
Hinter dem Tresen bereitet eine Frau das Abendessen vor. Sie zwinkert meinem Vater zu, der sofort zu ihr abbiegt und von ihr eine zusammengerollte Scheibe Fleischwurst zugesteckt bekommt. „Und Sie sind die Tochter!“, ruft sie. „Wie schön, da freut Ihr Vater sich!“ Dann erzählt sie, wie sie vor Rührung geweint hat, als die Grundschulkinder neulich gesungen haben und mein Vater hätte auch geweint, „nicht, Herr Nilges, wir haben beide geweint“, und sie schauen sich an und haben beide sofort wieder Tränen in den Augen. Später erzählt meine Mutter, dass Ilanas Eltern auch alt sind und in Bulgarien leben. Sie wollen Ilana nicht fortlassen, wenn ihr Urlaub vorbei ist.
Der Aufenthaltsraum ist gut besucht, an den Tischen sitzen Bewohner und Angehörige. Mein Vater grüßt höflich, nimmt aber wenig Notiz von ihnen, im Gegensatz zu meiner Mutter, die bereits jede einzelne Lebensgeschichte kennt.
Meinen Vater hingegen zieht es in den Flur. Dort bleibt er am ersten Fenster stehen. Fährt mit den Fingern die Dichtung entlang und schaut meine Mutter an. Sie wirft mir einen Blick zu, greift in ihre Handtasche und reicht ihm einen Zollstock. Er fasst erneut das Fenster ins Auge, schnalzt mit der Zunge, klappt den Zollstock auf und zu, fährt wieder die Dichtung entlang, die Finger zittern ein bisschen. Er nimmt sich ein Fenster nach dem anderen vor. Meine Mutter lehnt neben ihm, schaut hinaus, zeigt mir unten den neu gebauten „Sinnesgarten“. Vorher war hier ein kleiner Park, dort ist der Neubau hingekommen, in dem wir jetzt stehen. In dem übrig gebliebenen Grün hat man eine Spirale mit Handlauf gebaut, die Pflanzen sind noch klein. Mein Vater ächzt leise.
Ein Pfleger kommt vorbei: „Na, Chef, bei der Arbeit?“
Bis mein Vater sich umgedreht hat, ist er schon drei Zimmer weiter, verschwindet gerade hinter einer Kurve. Egal wo man entlang läuft, man landet immer im großen Aufenthaltsraum. Nur beim Fußboden haben sie nicht nachgedacht, sagt meine Mutter. Vinyl in schicker Holzoptik, leider mit Streifen. Es hat Tage gedauert, bis mein Vater gelernt hat, dass er da nicht drübersteigen muss, dass es nur Farbe ist. Jetzt klappt er den Zollstock zu, fährt sorgfältig mit dem Finger an der Dichtung entlang, kehrt zu dem Fenster davor zurück, misst, murmelt.
Meine Mutter zupft an seinem Ärmel. „Guck mal, die Hanna ist zu Besuch und wir stehen uns hier langsam die Beine in den Bauch. Du hast das Fenster doch jetzt schon dreimal überprüft, meinst du nicht, dass es mal reicht?“
Er mustert sie. „Du bist 'ne Fehlinvestition.“
Damit wird meine Mutter zur Heldin des Tages. Die Pflegerinnen lachen sich kaputt, dass mein Vater gesagt hat, sie ist ne Fehlinvestition.
„Wissen Sie, was Ihr Vater neulich gebracht hat? Ich komm in das Zimmer, ich denk, ich seh nicht recht: da hat der die Tür zum Badezimmer ausgebaut, fragen Sie mich nicht wie, der Mann ist doch hochgradig sturzgefährdet. Der hat die Tür fachgerecht auf dem Boden abgelegt und saß so auf dem Bett, wissen Sie, ja, so mit übergeschlagenen Beinen, so ein bisschen erschöpft vielleicht. Ich hab gesagt: ‚Um Gottes willen, Herr Nilges, wie haben Sie das denn gemacht? Geht’s Ihnen gut?‘ Der hatte tatsächlich nur so eine kleine rote Stelle oben auf dem Fuß. Meine Güte, das sind ja keine nullachtfuffzehn Türen, die sind extra breit für die Rollstühle. Ich und die Smilla, wir haben zu zweit eine halbe Stunde rumgefummelt, um die Tür da wieder reinzukriegen! Wissen Sie das noch, Herr Nilges? Wo Sie die Tür ausgehängt haben?“
Er schmunzelt, vielleicht weil alle ihn ansehen und lachen, aber er hat schon wieder mit einem Auge die Fußleisten im Blick.

Früher habe ich meinen Vater abends manchmal auf seiner Fahrradtour begleitet. Ich war in der Grundschule und hätte einiges zu erzählen gehabt, aber er musste sich den ganzen Tag schon genug von den Kunden anhören, also träumte ich vor mich hin und trat in die Pedale. Oft landeten wir bei einem Rohbau, noch ohne Fenster und Türen, liefen außen um das Haus herum und drinnen über nackten Beton und natürlich stand hier auch der Kunde herum, hocherfreut, dass mein Vater sich nach Feierabend ein Bild von dem Projekt machte. Sie quatschten sich fest und ich stand gepestet daneben und beschloss, nie mehr diese blöden Fahrradtouren mitzumachen.

Als ich dieses Mal nach Hause fahre, behalte ich ein Bild im Kopf: Das Radio auf der Station ist aufgedreht. Tanja winkt mir von nebenan zu. Mein Vater hält meine Mutter fest, wiegt sich in den Hüften. Sie summt leise mit: „Tanze mit mir in den Morgen ...“

 

Moin @Chutney, Ja, um von Dir etwas zu lesen zu bekommen, braucht es auf alle Fälle eine Challenge - ich freue mich sehr! Aber ich sollte nicht mit Kieseln werfen, so fleißig bin ich wiederum auch nicht.

Eine traurige Geschichte, die mit Leichtigkeit geschrieben ist, viele zauberhafte Erinnerungen und kleine Lichtblicke enthält, die uns den bösen Spagat zwischen für ihn da sein wollen und den eigenen Grenzen aufzeigt, unser aller Endlichkeit in Erinnerung ruft.
Ich bin sehr gerne gefolgt, wenn ich mich auch mit der gewählten Erzählperspektive etwas schwer tat. Aber das liegt sicherlich an meinem Lesegeschmack.

Meine Mutter ärgert sich über die speckige Stelle, überhaupt ist die Garnitur, die mal edel und teuer war, ziemlich schäbig inzwischen.
Ein etwas behäbiger Einstieg, gut beobachtet, aber noch hast Du mich nicht.

so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt.
clevere Mutter!

Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Ja! Hier hast Du mich fest am Haken! Was für eine Dramatik in so einfachen Worten und Situationsbeschreibung.

Vor einem Vierteljahr noch sagte sie: „Na ja, wenn es so bleibt, bin ich ganz zufrieden.“ Es ist nicht so geblieben.
Auch diese Situation kommt mir sehr bekannt vor, die Sprünge liegen leider nicht nur im Großwerden unserer Kinder, auch im alt werden unserer Eltern. Schön gezeigt.

Auf seiner Stirn die Kruste einer Wunde. Vor ein paar Tagen ist er über eine Teppichkante gestolpert, er fängt sich schon lange nicht mehr ab. Das Haus meiner Eltern ist voller Treppen.
Auch hier mag ich diese unaufgeregte Beschreibung. Und die realistische Gefahr. Klar, könnte man jetzt auch argumentieren, es sie unnötig dramatisch. Ich finde nicht, es ist einfach so real!

Eine falsche Bewegung ist schnell gemacht, wenn man versucht, einem alten Mann den Schlafanzug anzuziehen, auch wenn er sich bemüht mitzuhelfen.
„Uwe, nur den Fuß hoch, versuch doch mal, einmal den Fuß hoch, guck mal, das geht ganz schnell, gestern hat das doch ganz toll geklappt, du kannst das doch, eins – zwei - drei und hoch den Fuß! - Uwe, die Hose muss doch … , ach Uwe, nun streng dich doch mal ein bisschen an, au, Moment, ich muss mich mal strecken, wir probieren es gleich nochmal – ach, da ist er ja der Fuß, prima, warte, ich komm mit der Hose, bleib so, nein ... Warte! Willst du hier die ganze Nacht … komm, wir wollen doch ins Bett … Wenn du jetzt nicht den Fuß hoch nimmst, rufe ich die POLIZEI! … ach Blödsinn, nein, ich habe nur einen Witz gemacht, das war nur ein Witz! Uwe, nun mach doch ein bisschen mit!“
Hier bin ich ein bisschen am hin und her überlegen. Genaugenommen erklärst Du ja mit dem zweiten Block konkret und sehr eingängig den ersten. Also wäre ich wohl für Streichung des allgemeinen aus dem ersten Zitat. Ich bin aber unsicher, ob ich nicht etwas überlese, also einen Zwischenton.

Aber zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen, steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
Es ist so erschreckend, man ist so hilflos und er tut einem einfach nur leid.

Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht.
Diese Gefühle auszuhalten ist echt hart. Es ist einfach zu hart für die meisten Familien, irgendwann geht es leider nicht mehr.

Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Später, auf der Straße, gluckste meine Mutter neben mir. „Meine Güte, was hast du auf die Tränendrüse gedrückt, sogar meinen Krebs hast du ins Feld geworfen, das ist doch Jahre her.“
„Fünf“, sagte ich und lauschte. Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören? Und ich dachte, dass das wahrscheinlich meine Kernkompetenz bei dem Ganzen ist, im rechten Moment herumzuheulen. Jedenfalls dürfen wir ihn heute schon bringen.
Hier hakelt es für mich. Okay, das heim zieht um und lehnt daher die Aufnahme ab. Mutter und Tochter sehen es ein und schwubs sagst du, mit ein bisschen jammern bringen sie ihn heute. Klar, die Ergänzung ist die Erinnerung der Mutter, aber mir ist die Ablehnung zu umfangreich für die Wende. Aber manchmal liegt das auch nur an meinem langsamen Kopf.

Bis auf das eine Mal, als er klar und deutlich zu einem früheren Kunden sagte: „Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“
Eine wundervolle Erinnerung. Glaube ich aus meinem Erleben von Demenz sofort.

Zuhause haben wir versucht, meinem Vater zu erklären, dass wir jetzt in ein Heim fahren, weil es so nicht weitergeht und dass da allen geholfen wird. Er hat etwas gemurmelt.
Sie versuchen es zu erklären, finde ich wichtig, das es hier nochmal steht, auch wenn das Familienverhältnis auch so als liebevoll rüberkommt.

Mein Vater fasst sie lange ins Auge, sehr lange.
Sie wartet.
Dann grüßt er zurück.
Ich sehe ihn vor mir! Du hast für meinen Lesegeschmack ganz viel richtig gemacht.

zutiefst verwundert darüber, dass dieser fremde Mann ihn so anschreit. Meine Mutter macht sich daran, das Herz des Sterbenden mit Lindt-Schokolade und liebevoller Zuwendung zu gewinnen.
Auch eine sehr gute Szene. Wobei mir das anschreien etwas aus dem nichts kommt, nachdem er ja nur mit den Augen verfolgt hat und nicht gelächelt. Aber man kapiert den Zusammenhang schon.

Wenn mein Vater an seinem Gürtel nestelt, schiebt sie ihn ins Bad, zieht schnell seine Hose herunter und hält das Teekännchen unter, denn bis meinem Vater wieder eingefallen ist, wie man sich hinsetzt, ist es meist zu spät. Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Ups! Jetzt habe ich das Bild einer müffelnden Handtasche vor Augen (ja, ich weiß, die spülen die Kanne aus) Auf alle Fälle eine gute Idee, ich überlege nur, ob die Schwestern die Variante auch beibehalten. Aber das ist im Rahmen der Geschichte nicht wirklich interessant.

Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Wir schleichen uns weg, als mein Vater beim Abendessen sitzt.
Mich hat die Geschichte gut durchgezogen, so das ich den inneren Kritiker z.T. ausgeschaltet hatte, aber hier würde ich noch mal nach den Satzkonstruktionen schauen.

Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er jetzt gerade durch die Flure irrt.
Auch das gehört zu dieser unheimlich schweren Entscheidung dazu, gut es hier zu lesen.
Ob es wirklich diese genaue Angabe, die sich irgendwie doppelt braucht?

„Nicht Herr Nilges? Wir beide machen das schon! Kommen Sie, wir gehen mal dem Patrick helfen, der sucht die Klamotten von der Frau Danjes.“ Zum ersten Mal an diesem Tag lächelt er.
Klasse, dass es eine nette Kraft gibt, die weiß, wie man ihm helfen kann.
Hier wäre für mich gefühlt ein guter Schlusspunkt für die Geschichte gewesen.

Im Zimmer liegt mein Vater erschöpft auf dem Bett, die Augen halb geschlossen. Wir sitzen eine Weile stumm davor. Dann sagt meine Mutter: „Uwe, du bist immer noch ein schöner Mann.“
In dem Verstopfungsproblem sehe ich für die Geschichte nicht wirklich einen Mehrwert, oder ich verstehe etwas noch nicht ganz. Die Liebe der Mutter zu ihrem Mann habe ich auch vorher gut gespürt. Gefühlt sagt sie es ja eh zu sich selbst, denn sie sitzt vor der Tür, oder?

Sie wiederholt, dass er genau der richtige Mann für sie war. Und dann redet sie von der grenzenlosen Erleichterung, wenn sie jetzt nachts aufwacht und merkt, dass sie alleine ist.
Ich fürchte, diese Gewissensbisse bleiben, aber sie hat aus meiner Sicht alles richtig gemacht.

Später erzählt meine Mutter, dass Ilanas Eltern auch alt sind und in Bulgarien leben. Sie wollen Ilana nicht fortlassen, wenn ihr Urlaub vorbei ist.
gut beobachtet

fährt sorgfältig mit dem Finger an der Dichtung entlang, kehrt zu dem Fenster davor zurück, misst, murmelt.
Klar, Du zeigst hier diese Zwangshandlungen, die ewigen Wiederholungen. Vielleicht einmal überlegen, ob es für die Lesefreundlichkeit nicht zweimal reichen würde oder er einen kleine Abwechslung beim Fenster untersuchen hat. Hier hängt die Geschichte für mich dann doch, es zieht sich.

Sie quatschten sich fest und ich stand gepestet daneben und beschloss, nie mehr diese blöden Fahrradtouren mitzumachen. Als ich dieses Mal nach Hause fahre, behalte ich ein Bild im Kopf: Das Radio auf der Station ist aufgedreht. Tanja winkt mir von nebenan zu. Mein Vater hält meine Mutter fest, wiegt sich in den Hüften. Sie summt leise mit: „Tanze mit mir in den Morgen ...“
Und so sehr ich Dich für ein versöhnliches Happyend, ohne Tot mag, wäre auch der Absatz für mich ein Streichkanditat bzw. ich würde überlegen, diese Erinnerung weiter vorne einzubauen. Hier wirkt sie für mich etwas drangehängt.
Die kleinen Meckereien zum Ende hin sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich die Geschichte routiniert geschrieben und sehr dicht am Leben fand.
Du "schmeißt" den Opa mit sehr viel Einfühlungsvermögen und zeigen von vielen Seiten vom sprichwörtlichen Balkon.
Wünsche Dir viel Spaß mit all den Challengegeschichten
Herzliche Grüße in den hohen Norden
greenwitch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Chutney,

noch bevor ich auf deinen Kommentar unter meiner Story antworte, über den ich mich sehr gefreut habe, bin ich auf einen kurzen Gegenbesuch vorbeigekommen. Ich habe zuletzt das Feedback bekommen, dass ich möglichst viel am Text lang kommentieren soll. Dennoch möchte ich lieber wieder meinen allgemeinen Eindruck schildern.

Mir hat die Geschichte insgesamt sehr gut gefallen. Sie erschafft eine realistische, aber auch reflektierende Situation, die ins Tragik-Komische geht. Das und den Ton der Erzählerin (?) mag ich sehr. Ich finde ja generell, dass hier im Forum Storys mit gewitztem Erzähler etwas unterrepräsentiert sind, und deine Story ist hier eine Ausnahme, über dich mich geradezu freue. Ich finde, du schaffst es an vielen Stellen sehr gut, mit wenigen Worten eine authentische und eigene Farbe in die Erzählung zu bringen.

Folgende Stellen habe ich mir rausgesucht, wo das für mich sehr deutlich ist (also ja doch auch am Text lang kommentiert ;-)

Vor einem Vierteljahr noch sagte sie: „Na ja, wenn es so bleibt, bin ich ganz zufrieden.“ Es ist nicht so geblieben.

Zeigt für mich sehr schön die Essenz der ganzen Story – dieses Hin und Her zwischen Zuständen und dieses ständige Neuanpassenmüssen. Und dazu natürlich die schon erwähnte Komik im Tragischen. Für mich ist die an solchen Stellen voll da – ich weiß gar nicht, ob das das Gefühl von allen Lesern ist. Jetzt, wo ich es ausformulieren will, kann ich auch nicht so richtig den Finger drauf legen. Ich glaube, ich lese das als Galgenhumor, der ansteckt.

Die Verzweiflung der letzten Wochen ist ihr in den Rücken gefahren. Eine falsche Bewegung, und es sticht „wie ein Messer“.

Auch hier gefällt mir das direkte Zitat. Ich bin absoluter Fan von solchen pointierten und richtig gesetzten Zitaten, bei denen der Erzähler einer Figur ihren originalen Wortlaut anhängt, um so eine Charakterisierung zu erzeugen. Denke hier sofort an Heinz Strunk, dessen Komik ja zu einem riesigen Teil nur daraus besteht, dass er Worte aufsammelt und richtig wieder ausspielt – bei den Hörbüchern dann noch stark mit verbalen Betonungen. Da wird mitunter die reine Aussprache eines Namens zu einem Stück vielschichtiger Komik.

Das hier geht für mich genau in diese Richtung. Sehr gut!

Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht. Jedenfalls habe ich gestern, nach der zweiten Nacht mit meiner Mutter die Heime abgeklappert, weil ich das Gefühl hatte, dass ich jeden Moment zusammenbreche.

Hand in Hand mit Tragik-Komik geht für mich Selbstironie bis hin zu Selbstverspottung, vor allem, wenn der Erzähler von sich erzählt. Anders kann er ja kaum selbst an Flughöhe verlieren und komisch werden. Ergibt das Sinn? Keine Ahnung, behaupte ich einfach mal. Denke hier auch wieder an Heinz Strunk oder die Helden von Sven Regener (wobei die nicht selbst erzählen, oder? Weiß ich gar nicht mehr).

Jedenfalls kommt ja hier die tragische Komik dadurch zustande, dass die Erzählerin von ihrem Scheitern erzählt, dieses aber selbst halb-ironisch bewertet: Denn irgendwo hat sie ja vielleicht recht mit ihrem Urteil, aber dann ist es auch wieder völlig übertrieben. Damit changiert das, man erkennt ihren Anspruch, ihre Reue, ihre Schuldgefühle, aber auch ihre Reflektion und den Versuch ihrer eigenen Objektivierung der Situation – alles nur durch die Art, wie es erzählt wird. Genau an solchen Stellen können gute Erzählstimmen glänzen und das tut deine hier, finde ich.

Und ich dachte, dass das wahrscheinlich meine Kernkompetenz bei dem Ganzen ist, im rechten Moment herumzuheulen.

Auf diese Stelle trifft das genau so zu, finde ich.

Ich ziehe meinem Vater die Hausschuhe an. Er schüttelt den Kopf, zieht den Fuß zurück und ich bemühe mich um einen aufmunternden Krankenschwesterton. Er versucht, mir etwas zu sagen, schaut mich eindringlich an, und ich nicke. Ob er vielleicht jetzt gerade verstanden hat, dass er hier bleiben muss? Plötzlich schießen mir die Tränen in die Augen.

Finde ich auch gut geschrieben. Du schreibst hier ja ohne Dialog, insofern ist es eher "Tell". Aber durch die Wortschöpfung, wenn man das so nennen will – ansonsten: durch diese sehr spezifische Klassifizierung wird das "Tell" aufgewertet und trifft den Nagel auch ganz ohne große Demonstration der Szene humoristisch auf den Kopf. Obwohl du streng genommen hier nur etwas behauptest, weiß jeder sofort ganz genau, was erzählt wird.

Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.

Finde ich auch einen super Satz. Da liegt für mich wieder viel Selbstironie drin, weiß gar nicht genau, warum. Irgendwie ist hier subtil sehr viel gesagt: Dass Mutter und Frau improvisieren müssen, dass sie nie sicher sein können, ob das wirklich reicht, ob es weiter reichen wird. Aber muss halt manchmal einfach.

Dann die Wortwahl – das formale Wort "Methode" gepaart mit dem arglosen und irgendwie nach Amateurveranstaltung klingenden "wir behalten sie erst mal bei", das erzeugt genau den Widerspruch, der in der Problematik und dem notwendigen Umgang damit angelegt ist.

Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche?

Auch sehr schön mit einem Satz viel ausgedrückt. Wieder kommt hier genau die Ambivalenz zum Ausdruck, die die Erzählerin erleben muss.

Frau Schmidt guckt sich das eine Weile an, dann sagt sie, dass seine Pflegestufe zu niedrig sei, so wie er esse, und wir schwören, dass es zu Hause noch ging, na ja, besser jedenfalls oder ein bisschen besser.

Gefällt mir auch gut.

Unnütz und mitleidend sitzen wir auf dem Sofa im Aufenthaltsraum, bis Tanja endlich aus der Tür geschossen kommt und beide Daumen in die Luft reckt.

Schön mit Komik eine sensible Situation veranschaulicht. Auch deshalb gut gelöst, weil die Erzählerin ja genau in dem Konflikt ist, irgendwo Außenstehende und doch ganz nah dabei zu sein. Das kommt hier hervorragend durch, finde ich.

Täglich rufe ich meine Mutter an und hoffe, dass sie sagt, dass er ganz zufrieden ist und dass er sich immer wohler fühlt. Stattdessen baut mein Vater weiter ab. Er läuft immer schlechter, ein Rollstuhl wird ins Auge gefasst.

Das Passiv trägt hier viel Bedeutung und schafft für mich auch Komik. Es wird kurz formeller, darin spiegelt sich die Mischung aus sehr persönlicher Situation und völlig bürokratisch-methodischer Situation. Das ist absurd – ergo (auch) komisch. Ein perfekter Satz an dieser Stelle in meinen Augen.

Sie quatschten sich fest und ich stand gepestet daneben und beschloss, nie mehr diese blöden Fahrradtouren mitzumachen.

Hier natürlich inhaltlich ganz anders unterwegs als bei den Stellen oben, aber auch hier kommt für mich trotz eigentlich reinem "Tell" direkt durch, wie sich das Mädchen gefühlt hat.

Nun noch ein Schwenk auf die Dinge, wo ich noch Potenzial sehe bei der Story. Jetzt wird es nämlich etwas allgemein. Mir scheint, weil du so gut mit wenigen Worten viel erzählen kannst, verführt dich das zu einer gewissen Disziplinlosigkeit in Sachen Umfang, Tempo und einer nicht ganz durchdachten Gewichtung von wichtigen und weniger wichtigen Stellen.

Obwohl wir mir der Ton deiner Story so viel Spaß bereitet hat, wie wenige in letzter Zeit – ich hoffe, das ist rübergekommen – wurde sie mir nämlich spätestens im letzten Drittel, eventuell schon ab der Hälfte etwas zäh zu lesen.

Es hat sich das Gefühl eingestellt, dass es teilweise zu sehr ins Detail geht, dass sich Aspekte wiederholen, dass so mancher eigentlich durchaus gewitzte Mono- oder Dialog zu lange weitergeführt wird.

Im Grunde ist das gar keine besonders bemerkenswerte Kritik, finde ich, es fehlt halt ein sauberes Lektorat, in dem der Rotstift vielleicht nicht nur einzelne Worte killt, sondern stellenweise auch etwas mehr. Dann kann das ein noch etwas unterhaltsamerer Text werden, der bestimmt im Endeffekt nicht weniger sagt als aktuell, glaube ich.

Freundliche Grüße

 

Liebe @greenwitch ,
vielen Dank, es hat mich sehr gefreut, dass du meine Geschichte kommentiert hast und mit deinen Anmerkungen konnte ich viel anfangen.

Moin @Chutney, Ja, um von Dir etwas zu lesen zu bekommen, braucht es auf alle Fälle eine Challenge - ich freue mich sehr! Aber ich sollte nicht mit Kieseln werfen, so fleißig bin ich wiederum auch nicht.
Ohne Challenge kriege ich irgendwie gar nichts fertig, das sind sonst alles so Fragmente. Du schreibst nebenbei einen Roman, wenn ich nicht irre. :hmm:
Eine traurige Geschichte, die mit Leichtigkeit geschrieben ist, viele zauberhafte Erinnerungen und kleine Lichtblicke enthält, die uns den bösen Spagat zwischen für ihn da sein wollen und den eigenen Grenzen aufzeigt, unser aller Endlichkeit in Erinnerung ruft.
Ja, das trifft es auf den Punkt, das ist genau das Thema denke ich.
Ich bin sehr gerne gefolgt, wenn ich mich auch mit der gewählten Erzählperspektive etwas schwer tat. Aber das liegt sicherlich an meinem Lesegeschmack.
Also die Ich-Perspektive, Präsenz? Da rutsche ich schnell rein, denke immer, notfalls schreibe ich das noch um, aber das klappt natürlich nicht.
Meine Mutter ärgert sich über die speckige Stelle, überhaupt ist die Garnitur, die mal edel und teuer war, ziemlich schäbig inzwischen.
Ein etwas behäbiger Einstieg, gut beobachtet, aber noch hast Du mich nicht.
Ja, ich weiß, könnte knackiger sein. Einer der Punkte, den ich mir in ein paar Wochen nochmal angucke.
Vor einem Vierteljahr noch sagte sie: „Na ja, wenn es so bleibt, bin ich ganz zufrieden.“ Es ist nicht so geblieben.
Auch diese Situation kommt mir sehr bekannt vor, die Sprünge liegen leider nicht nur im Großwerden unserer Kinder, auch im alt werden unserer Eltern. Schön gezeigt.
Ja, das geht lange so schleichend gut, und dann gibt es ein Ereignis oder einen Schub und es wird schlagartig schlechter. Und bei der kindlichen Entwicklung ist es umgekehrt, interessanter Gedanke.
Auf seiner Stirn die Kruste einer Wunde. Vor ein paar Tagen ist er über eine Teppichkante gestolpert, er fängt sich schon lange nicht mehr ab. Das Haus meiner Eltern ist voller Treppen.
Auch hier mag ich diese unaufgeregte Beschreibung. Und die realistische Gefahr. Klar, könnte man jetzt auch argumentieren, es sie unnötig dramatisch. Ich finde nicht, es ist einfach so real!
Ja, es fühlt sich schon sehr dramatisch an, wenn man sich vorstellt, was alles passieren kann und wie man sich hinterher fühlen würde, wenn man nicht rechtzeitig usw. das ist echt Kopfkino
Hier bin ich ein bisschen am hin und her überlegen. Genaugenommen erklärst Du ja mit dem zweiten Block konkret und sehr eingängig den ersten. Also wäre ich wohl für Streichung des allgemeinen aus dem ersten Zitat. Ich bin aber unsicher, ob ich nicht etwas überlese, also einen Zwischenton.
Ich glaube, ich finde es schon gut, wenn man weiß, dass es um den Schlafanzug geht, aber ich habe den letzten Teilsatz "auch, wenn er versucht mitzuhelfen" weggenommen, finde ich besser, danke.
Aber zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen, steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
Es ist so erschreckend, man ist so hilflos und er tut einem einfach nur leid.
Ja.
ch nur leid.
Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht.
Diese Gefühle auszuhalten ist echt hart. Es ist einfach zu hart für die meisten Familien, irgendwann geht es leider nicht mehr.
Ich glaube ja, unbeschadet kommt man aus so einer Situation als Angehörige nicht wirklich raus. Man stößt immer an eigene Grenzen, wie du oben schreibst, die sind bei jedem anders, aber wenn man genauer nachfragt, dann können viele sofort die Szenen aufzählen, die sie sich später noch vorwerfen.
Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Später, auf der Straße, gluckste meine Mutter neben mir. „Meine Güte, was hast du auf die Tränendrüse gedrückt, sogar meinen Krebs hast du ins Feld geworfen, das ist doch Jahre her.“
„Fünf“, sagte ich und lauschte. Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören? Und ich dachte, dass das wahrscheinlich meine Kernkompetenz bei dem Ganzen ist, im rechten Moment herumzuheulen. Jedenfalls dürfen wir ihn heute schon bringen.
Hier hakelt es für mich. Okay, das heim zieht um und lehnt daher die Aufnahme ab. Mutter und Tochter sehen es ein und schwubs sagst du, mit ein bisschen jammern bringen sie ihn heute. Klar, die Ergänzung ist die Erinnerung der Mutter, aber mir ist die Ablehnung zu umfangreich für die Wende. Aber manchmal liegt das auch nur an meinem langsamen Kopf.
Ja, wichtige Rückmeldung, ob das plausibel ist. Sie wehrt sich ja heftig, aber sie zeigt dann auch Interesse. Ich habe die Reaktion von Mutter und Tochter ja nicht drin, ich hoffe, dass durch das Ergebnis irgendwie deutlich wird, dass sie da schon ziemlich verzweifelt gewirkt haben und dass die Stationsleiterin nicht ganz so abgegrenzt ist, wie sie erstmal auftritt. Aber das behalte ich mal im Auge.
Bis auf das eine Mal, als er klar und deutlich zu einem früheren Kunden sagte: „Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“
Eine wundervolle Erinnerung. Glaube ich aus meinem Erleben von Demenz sofort.
:)
meinem Erleben von Demenz sofort.
Zuhause haben wir versucht, meinem Vater zu erklären, dass wir jetzt in ein Heim fahren, weil es so nicht weitergeht und dass da allen geholfen wird. Er hat etwas gemurmelt.
Sie versuchen es zu erklären, finde ich wichtig, das es hier nochmal steht, auch wenn das Familienverhältnis auch so als liebevoll rüberkommt.
Okay, ja das wäre sonst so ein Gedanke gewesen, ob sie ihn einfach überrumpelt haben. Es ist auch sicher so ein Überrumpeln, aber es gibt so eine kleine Hoffnung, dass er versteht.
Mein Vater fasst sie lange ins Auge, sehr lange.
Sie wartet.
Dann grüßt er zurück.
Ich sehe ihn vor mir! Du hast für meinen Lesegeschmack ganz viel richtig gemacht.
Oh, das freut mich, danke.
zutiefst verwundert darüber, dass dieser fremde Mann ihn so anschreit. Meine Mutter macht sich daran, das Herz des Sterbenden mit Lindt-Schokolade und liebevoller Zuwendung zu gewinnen.
Auch eine sehr gute Szene. Wobei mir das anschreien etwas aus dem nichts kommt, nachdem er ja nur mit den Augen verfolgt hat und nicht gelächelt. Aber man kapiert den Zusammenhang schon.
Auch etwas, was ich im Auge behalte. Ich dachte das Schreien wird aus den Handlungen des Vaters überzeugend motiviert, aber es stimmt, es kommt schon unvermittelt.
Wenn mein Vater an seinem Gürtel nestelt, schiebt sie ihn ins Bad, zieht schnell seine Hose herunter und hält das Teekännchen unter, denn bis meinem Vater wieder eingefallen ist, wie man sich hinsetzt, ist es meist zu spät. Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Ups! Jetzt habe ich das Bild einer müffelnden Handtasche vor Augen (ja, ich weiß, die spülen die Kanne aus) Auf alle Fälle eine gute Idee, ich überlege nur, ob die Schwestern die Variante auch beibehalten. Aber das ist im Rahmen der Geschichte nicht wirklich interessant.
Die Schwestern nehmen dann auf Dauer die Inkontinenzeinlagen. Man muss ihn ja sonst im Grunde permanent im Blick behalten. Für mich ist das ein Teil dieser Übergangssituation.
pelt braucht?
„Nicht Herr Nilges? Wir beide machen das schon! Kommen Sie, wir gehen mal dem Patrick helfen, der sucht die Klamotten von der Frau Danjes.“ Zum ersten Mal an diesem Tag lächelt er.
Klasse, dass es eine nette Kraft gibt, die weiß, wie man ihm helfen kann.
Hier wäre für mich gefühlt ein guter Schlusspunkt für die Geschichte gewesen.
Also du hättest es tatsächlich besser gefunden, wenn die Geschichte hier geendet hätte? Für mich war es dann schon noch wichtig auch ein Ankommen in der neuen Umgebung zu zeigen.
die Geschichte gewesen.
Im Zimmer liegt mein Vater erschöpft auf dem Bett, die Augen halb geschlossen. Wir sitzen eine Weile stumm davor. Dann sagt meine Mutter: „Uwe, du bist immer noch ein schöner Mann.“
In dem Verstopfungsproblem sehe ich für die Geschichte nicht wirklich einen Mehrwert, oder ich verstehe etwas noch nicht ganz. Die Liebe der Mutter zu ihrem Mann habe ich auch vorher gut gespürt. Gefühlt sagt sie es ja eh zu sich selbst, denn sie sitzt vor der Tür, oder?
Ich finde einfach, dass so ein Thema dahin passt, weil es so einen großen Raum im Alter einnimmt und die Tatsache, dann auf andere, sogar fremde Menschen angewiesen zu sein, ist schon etwas womit man auch noch fertig werden muss. Das ist im Grunde ein Tiefpunkt in der Geschichte. Und eigentlich sitzen Mutter und Tochter dann vor dem Bett, also sie sagt es zu ihm. Ich gucke da nochmal hin, vielleicht ist es ja für andere auch missverständlich.
cht.
Später erzählt meine Mutter, dass Ilanas Eltern auch alt sind und in Bulgarien leben. Sie wollen Ilana nicht fortlassen, wenn ihr Urlaub vorbei ist.
gut beobachtet
ja, auch ein Thema ...
fährt sorgfältig mit dem Finger an der Dichtung entlang, kehrt zu dem Fenster davor zurück, misst, murmelt.
Klar, Du zeigst hier diese Zwangshandlungen, die ewigen Wiederholungen. Vielleicht einmal überlegen, ob es für die Lesefreundlichkeit nicht zweimal reichen würde oder er einen kleine Abwechslung beim Fenster untersuchen hat. Hier hängt die Geschichte für mich dann doch, es zieht sich.
okay, behalte ich auch im Auge. Die Geschichte ist gerade erst fertig, ich glaube, ich gucke in ein paar Wochen nochmal auch mit den Punkten, die du hattest drauf.
Und so sehr ich Dich für ein versöhnliches Happyend, ohne Tot mag, wäre auch der Absatz für mich ein Streichkanditat bzw. ich würde überlegen, diese Erinnerung weiter vorne einzubauen. Hier wirkt sie für mich etwas drangehängt.
Auch das gucke ich mit später noch einmal an.
Die kleinen Meckereien zum Ende hin sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich die Geschichte routiniert geschrieben und sehr dicht am Leben fand.
Du "schmeißt" den Opa mit sehr viel Einfühlungsvermögen und zeigen von vielen Seiten vom sprichwörtlichen Balkon.
Vielen Dank, liebe witch, das waren wichtige Rückmeldungen für mich.
Wünsche Dir viel Spaß mit all den Challengegeschichten
Das wünsche ich dir auch. :herz:

Liebe Grüße von Chutney


Hallo @H. Kopper ,

es ist interessant auf deinen Kommentar zu antworten, direkt nach dem Kommentar von @greenwitch, weil du einen ganz anderen Aspekt in den Blick nimmst. Während ich diese Geschichte geschrieben habe, habe ich mir geschworen, dass es beim nächsten Mal wieder etwas Lustiges wird. Obwohl die Ereignisse, die dem Text zugrunde liegen, jetzt schon eine Weile zurückliegen, war es doch ziemlich herzzerrreißend und anstrengend mich damit zu befassen. Aber ich gehe da schon mit, dass ich so eine lakonische Ader habe, "Galgenhumor" schreibst du u.a., ja, passt auch. Du hast in deinem Kommentar ja sehr genau da reingespürt, wo da die Komik bei aller Tragik liegt und Worte dafür gefunden, wie sie funktioniert, die ich so nicht gehabt hätte. Insofern war das sehr erhellend für mich, vielen Dank. Also nicke ich die ganze Zeit bei deinen Bemerkungen und denke, da ist was dran und schön dass es funktioniert.

Mir hat die Geschichte insgesamt sehr gut gefallen. Sie erschafft eine realistische, aber auch reflektierende Situation, die ins Tragik-Komische geht. Das und den Ton der Erzählerin (?) mag ich sehr.
Und ich freu mich natürlich sehr, dass das gut bei dir ankommt. ;) (Ja, Erzählerin)

Jedenfalls kommt ja hier die tragische Komik dadurch zustande, dass die Erzählerin von ihrem Scheitern erzählt, dieses aber selbst halb-ironisch bewertet: Denn irgendwo hat sie ja vielleicht recht mit ihrem Urteil, aber dann ist es auch wieder völlig übertrieben. Damit changiert das, man erkennt ihren Anspruch, ihre Reue, ihre Schuldgefühle, aber auch ihre Reflektion und den Versuch ihrer eigenen Objektivierung der Situation – alles nur durch die Art, wie es erzählt wird.
Ja, ich glaube, das trifft es.

Denke hier auch wieder an Heinz Strunk oder die Helden von Sven Regener (wobei die nicht selbst erzählen, oder? Weiß ich gar nicht mehr).
Heinz Strunk kenne ich gar nicht, das werde ich mal nachholen, Sven Regener schon, ist aber auch schon länger her. (Herrn Lehmann habe ich gern gelesen)
Nun noch ein Schwenk auf die Dinge, wo ich noch Potenzial sehe bei der Story. Jetzt wird es nämlich etwas allgemein. Mir scheint, weil du so gut mit wenigen Worten viel erzählen kannst, verführt dich das zu einer gewissen Disziplinlosigkeit in Sachen Umfang, Tempo und einer nicht ganz durchdachten Gewichtung von wichtigen und weniger wichtigen Stellen.
Ha, und jetzt wäre ich natürlich neugierig, was für dich entbehrlich/wiederholend/zu detailreich war.
Es hat sich das Gefühl eingestellt, dass es teilweise zu sehr ins Detail geht, dass sich Aspekte wiederholen, dass so mancher eigentlich durchaus gewitzte Mono- oder Dialog zu lange weitergeführt wird.
Aber ich schau da auch selber in einigen Wochen nochmal drauf, im Moment stecke ich zu tief drin.

Vielen Dank, H. Kopper, das hat mich natürlich sehr gefreut und war echt aufschlussreich.

Liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Chutney ,
long time no read.

Am Text habe ich gar nicht so viel, mein Kommentar ist eher überschaubar. Ich habe lange nicht mehr kommentiert, also ist mein Blick ein wenig getrübt. Kleinkram:

Vor einem Vierteljahr noch sagte sie: „

Ist drei Monate eleganter? Vierteljahr klingt ein wenig sperrig.

Jedenfalls habe ich gestern, nach der zweiten Nacht mit meiner Mutter die Heime abgeklappert, weil ich das Gefühl hatte, dass ich jeden Moment zusammenbreche.

Den Satz könntest du für mich streichen. Die Andeutung, dass er nicht mehr im Sessel schlafen wird, das Einsteigen in den Wagen und das Gespräch im Absatz danach reicht mir persönlich, da bräuchte es den Rückblick nicht.

Ich denke nur: „Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm.“

Anführungszeichen könnten weg, es sind ja Gedanken.


Mir gefällt der Stil. Das liest sich locker, es gibt viele Details, wenn die Mutter dem Vater noch einen Kuss gibt oder der Vater in seiner Demenz dem Zimmernachbarn auf die Zehen guckt.
Ich hadere mit der Geschichte. Ich denke, es liegt daran, dass sich der Text eher nach einem Bericht anfühlt. Die Prota ist zwar involviert, aber auch gleichzeitig unheimlich distanziert. Sie bleibt überwiegend an der Seite ihres Vaters oder ihrer Mutter und berichtet. Stilistisch passt das zum Thema: Das schleichende Dahinscheiden von Bezugspersonen. Man kann es nicht aufhalten, lediglich polstern, und die Begleitung ist potentiell massiv belastend für alle Beteiligten. Du baust immer wieder Passagen ein, wo zwischen Vergangenheit und Gegenwart die Entwicklung des Vaters geschildert wird. Ich glaube, was mich ein wenig befremdet, ist, dass der Vater die eigentliche Figur der Geschichte ist und deine Prota primär als Sprachrohr dient. Vielleicht muss das auch so, eine Geschichte aus der Sicht des dementen Vaters wäre auch unmöglich. Ich meine, für witch hat das ganze funktioniert. Ich denke, es steht und fällt damit, was du präferierst: Als Bericht über das Dahinschleichen und das sanfte Fallen vom Balkon funktioniert das, aber für eine richtige Geschichte dürfte deine Prota gerne ein wenig mehr im Rampenlicht stehen. Du schneidest es ja stellenweise auch an, wenn sie Angst hat oder sich fragt, ob sie genug tut. Aber davon abgesehen weiß ich nicht, wer sie ist.

Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie geschimpft hat

Habe den Text noch ein zweites Mal überflogen, der ist mir noch aufgefallen. Der Erzähler sitzt im Kopf der Tochter, daher kann sie das schlechte Gewissen der Mutter nicht wissen.

Hoffe, du kannst mit dem Kommentar trotzdem was anfangen
Liebe Grüße
Meuvind

 

Hallo @Meuvind,

vielen Dank für Deinen Besuch unter meiner Geschichte! Da waren ein paar sehr interessante HInweise für mich dabei. Im Moment bin ich noch zu dicht dran, ich werde da in ein paar Wochen nochmal mit Abstand und deinen Anmerkungen im Kopf draufgucken.

long time no read.
Genau! Schön, dass du hier wieder mitmischst! Vielleicht gibt es ja demnächst auch mal wieder einen Text von dir. Würde mich freuen!
Ist drei Monate eleganter? Vierteljahr klingt ein wenig sperrig.
Hm, lass ich mal sacken, bin nicht sicher.
Jedenfalls habe ich gestern, nach der zweiten Nacht mit meiner Mutter die Heime abgeklappert, weil ich das Gefühl hatte, dass ich jeden Moment zusammenbreche.
Den Satz könntest du für mich streichen. Die Andeutung, dass er nicht mehr im Sessel schlafen wird, das Einsteigen in den Wagen und das Gespräch im Absatz danach reicht mir persönlich, da bräuchte es den Rückblick nicht.
Die Idee finde ich ganz gut, der Satz ist vielleicht echt überflüssig, ich glaube, ich wollte da auch den zeitlichen Ablauf verorten. Also, das kommt mit auf die Liste.
e es den Rückblick nicht.
Ich denke nur: „Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm.“
Anführungszeichen könnten weg, es sind ja Gedanken.
Dann müsste ich danach aber einen Absatz machen, sonst weiß man ja nicht, wo die Gedanken aufhören. Jedenfalls will ich das nicht kursiv setzen, das wäre die einzige Stelle. Und soweit ich weiß, sind Anführungszeichen schon erlaubt, bei Gedanken? Ich finde dazu verschiedenes.
Mir gefällt der Stil. Das liest sich locker, es gibt viele Details, wenn die Mutter dem Vater noch einen Kuss gibt oder der Vater in seiner Demenz dem Zimmernachbarn auf die Zehen guckt.
Schön!
Ich hadere mit der Geschichte. Ich denke, es liegt daran, dass sich der Text eher nach einem Bericht anfühlt.
Ja, ich denke, ich weiß, was du meinst. Anfangs dachte ich auch, das wird ja eher ein Bericht, als eine Geschichte und hab mir mal die Definitionen angesehen. Ich glaube, es geht schon als Geschichte durch, weil es ja nicht nur informativ ist, auch Zeitsprünge und Rückblenden hat.
Du baust immer wieder Passagen ein, wo zwischen Vergangenheit und Gegenwart die Entwicklung des Vaters geschildert wird. Ich glaube, was mich ein wenig befremdet, ist, dass der Vater die eigentliche Figur der Geschichte ist und deine Prota primär als Sprachrohr dient. Vielleicht muss das auch so, eine Geschichte aus der Sicht des dementen Vaters wäre auch unmöglich. Ich meine, für witch hat das ganze funktioniert.
Als Sprachrohr ja eigentlich nicht, oder? Sie spricht ja nicht für ihn, sondern zeigt, was sie bei ihm wahrnimmt. Wobei es doch schon Stellen gibt, wo sie sein Verhalten interpretiert, das stimmt. Da gucke ich auch nochmal drauf.
Ich bin sehr gerne gefolgt, wenn ich mich auch mit der gewählten Erzählperspektive etwas schwer tat. Aber das liegt sicherlich an meinem Lesegeschmack.
Tatsächlich war @greenwitch mit der Erzählperspektive ja auch nicht so glücklich. Vielleicht meinte sie das Gleiche.
Als Bericht über das Dahinschleichen und das sanfte Fallen vom Balkon funktioniert das, aber für eine richtige Geschichte dürfte deine Prota gerne ein wenig mehr im Rampenlicht stehen. Du schneidest es ja stellenweise auch an, wenn sie Angst hat oder sich fragt, ob sie genug tut. Aber davon abgesehen weiß ich nicht, wer sie ist.
Ja, das stimmt. Für mich war es echt schwierig, weil es noch so viel gegeben hätte, was man hätte erzählen können, da auszusuchen und zu gewichten. Ob ich noch mehr über die Erzählerin einfüge, weiß ich gar nicht genau, aber ich gucke da in ein Paar Wochen nochmal drauf, auch unter diesem Aspekt, danke für die Rückmeldung.
Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie geschimpft hat
Habe den Text noch ein zweites Mal überflogen, der ist mir noch aufgefallen. Der Erzähler sitzt im Kopf der Tochter, daher kann sie das schlechte Gewissen der Mutter nicht wissen.
Ich finde einfach, dass an diesem Punkt Mutter und Tochter so eng sind, das weiß die Tochter. Ob das trotzdem perspektivisch irgendwie unsauber ist? Vielleicht.

Hoffe, du kannst mit dem Kommentar trotzdem was anfangen
Auf jeden Fall, da waren wichtige Punkte dabei.

Vielen Dank, Meuvind

und liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe @Chutney,

wie immer habe ich die vorherigen Kommentare nicht gelesen, ich hoffe, es gibt keine Überschneidungen.

Dieses etwas sperrige ..., widersetzt, ... ist leicht vermeidbar:

Aber mein Vater hat sich allen Versuchen, etwas Neues anzuschaffen, widersetzt, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt.
Aber mein Vater hat sich allen Versuchen widersetzt, etwas Neues anzuschaffen, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt.

Die Wiederholung der "Stelle" lässt sich vermeiden: ... Spitzendeckchen besorgte und es über das fettige Leder legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt.

widersetzt, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt. Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Ich weiß nicht, ob die Wiederholung von "sitzt" gewollt ist?


drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
Hier fehlt mir ein Hinweis, wie die Silhouette Ratlosigkeit ausdrückt (an sich ein gelungenes Bild!).

Einmal aber erzählt sie, dass sie unten im Flur Musik gehört haben
Bei diesem Absatz bin ich für einen Moment aus der Geschichte rausgerutscht: Er unterbricht für mein Empfinden den Erzählstrang, der die Veränderungen des Vaters und die Reaktionen der Umwelt darauf darstellt.

So, der Meckerteil ist vorbei!:cool:

Jetzt die von mir bemerkten bemerkenswerten Stellen (keine Garantie für Vollständigkeit).

Mein Vater vertraut mir, als wir aus der Tür gehen. Er vertraut mir auch, als ich ihn zum Auto führe, in das er nach einem kurzen Moment der Konzentration in einem Schwung einsteigt.
Das ist sehr tiefgründig: Die Frage, ob man Vertrauen missbraucht stellt sich, ein wenig schlechtes Gewissen ist spürbar.


Die Verzweiflung der letzten Wochen ist ihr in den Rücken gefahren.
... wie ein hinterhältiger Überfall ... genau so muss es ihr vorgekommen sein.

Warte! Willst du hier die ganze Nacht … komm, wir wollen doch ins Bett … Wenn du jetzt nicht den Fuß hoch nimmst, rufe ich die POLIZEI! … ach Blödsinn,
Leider auch so eine erschreckende Realität, dieser Rückschritt ins Infantile. Erstaunlich, wie behutsam und humorvoll damit umgegangen wird.

Und ich dachte, dass das wahrscheinlich meine Kernkompetenz bei dem Ganzen ist, im rechten Moment herumzuheulen. Jedenfalls dürfen wir ihn heute schon bringen.
Auch hier wieder, der überlebenswichtige Humor.

Ob er vielleicht jetzt gerade verstanden hat, dass er hier bleiben muss? Plötzlich schießen mir die Tränen in die Augen. Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.
Sehr subtil, der gegensatz von tröstender Zärtlichkeit und Hilflosigkeit.

denn bis meinem Vater wieder eingefallen ist, wie man sich hinsetzt, ist es meist zu spät. Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Pragmatismus fragt nicht nach Etikette ... gut beobachtet.

Im Zimmer liegt mein Vater erschöpft auf dem Bett, die Augen halb geschlossen. Wir sitzen eine Weile stumm davor. Dann sagt meine Mutter: „Uwe, du bist immer noch ein schöner Mann.“
Diese Aussage ist ein toller Einfall! Kommt aus dem Nichts, nimmt für einen Moment die Anspannung aus dem Kontext.

Die neue Station riecht schwach nach Kindheit, nach unserer Werkstatt,

Hier der Kreisschluss: Der Neuanfang des letzten Lebensabschnitts steht in Beziehung zur Kindheit, zur aktiven Zeit. (Gut vorbereitet durch die Erwähnung der Renovierung weiter oben).

Nun, das Thema Demenz und die damit verbundenen persönlichen und familiären Auswirkungen, die Einschränkungen sind schon oft beschrieben worden. Dein Text ist trotzdem interessant, weil du Leid und pragmatischen Umgang damit gekonnt gegenüberstellst.

Außerdem ist das 'Fenstermotiv' ungewöhnlich und aussagekräftig. Dieser Rückzug in eine vergangene, vertraute Welt ist realistisch und zeigt den Gegensatz von dem 'was war' und dem 'was ist' deutlich auf.

Er schmunzelt, vielleicht weil alle ihn ansehen und lachen, aber er hat schon wieder mit einem Auge die Fußleisten im Blick.

So, dann verabschiede ich mich aus dieser Welt und behalte ihn in Erinnerung, wie er schmunzelnd die Fußleisten taxiert ...

L G,

Wolto


Woltochinon

 

Liebe @Chutney,

deine Geschichte beschreibt den Punkt, an dem sich das Eltern-Kind-Verhältnis dreht und der u.U. geliebte Mensch der Fürsorge bedarf. Entweder zunehmend oder mit einem Mal. Das kann hart sein, zu sehen, wie ein Mensch, den du Zeit deines Lebens als stark und zuverlässig kennst, schwach wird und abhängig. Demenz frisst halt langsam die Persönlichkeit auf. Das fängst du gut ein mit den sechs Wochen ohne Schlaf, dem nächtlichen Ausziehen, dem Fallen, ohne sich zu fangen, den Dingen, die der Vater zunehmend nicht mehr weiß oder kann.
Da bricht so einiges weg, auch weil du mit einem Mal in der ersten Reihe stehst, weil das backup weg ist, es ist keiner mehr da im Hintergrund, zu dem du immer gehen kannst, wenn es hart auf hart kommt und der dir den Rücken freihält. Und wenn wie in deinem Text die Partnerin ebenfalls an der Grenze ist, wechselt mit einem Mal der Großteil der Verantwortung zum Kind. Und diese Verantwortung, über das Wohl des Elternteils oder gar beider Eltern zu entscheiden, ist mitunter schwer zu tragen, was ist der richtige Weg, welche die richtige Entscheidung? Jeder lebt sein eigenes Leben, das Kümmern kostet viel Energie, ein Ende der Kräfte ist da schnell erreicht. Du beschreibst die Schuldgefühle, sich wegzuschleichen, und die Zweifel, ob es dem Vater gut ergehen wird, ob es keinen besseren Weg gegeben hätte und ob er nachts unbemerkt durch die Gänge irrt.
Dann der Kampf um einen neuen Alltag für den Vater, mit Lichtblicken beim Personal, die sich über die "Fehlinvestition" Mutter kaputtlachen und einen anderen Ton anschlagen. Überhaupt ist es sicher eine gute Strategie, mit Humor da durchzugehen, sofern das geht.
Das Fenster- und Türenthema leitet wie ein roter Faden durch den Text, an dem der Vater sich immer wieder festhält. Er muss seinen Beruf geliebt und gelebt haben, das war noch vor Zeiten der Life-Work-Balance, und das jahrzehntelang ausgeübte Verhalten als Selbständiger Handwerksmeister verliert sich wohl auch in einer Demenz nicht vollständig.
Mich hat der Text berührt und ich finde es mutig, so offen darüber zu schreiben.

Peace, l2f

 

Hallo @Chutney,
eine berührende Geschichte, sanft und zärtlich irgendwie und ich finde den Text insgesamt gut komponiert.

Der Einstieg gefällt mir gut, der Sessel, die speckige Stelle, dass die Tochter ihm aus diesem Sessel aufhilft. Es gibt immer mal so einzelne Sätze, die mir nahegehen, so wie sie im Text ausgelegt sind, ZB:

Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Ich bin dem Ich hier nahe, ich spüre die Schuld und Hilflosigkeit ...
Das Haus meiner Eltern ist voller Treppen.
Alles ist verhängnisvoll, wenn man die Welt nicht mehr versteht ...
Eine falsche Bewegung ist schnell gemacht, wenn man versucht, einem alten Mann den Schlafanzug anzuziehen.
Ich bin nicht sicher, ob es die Sätze der Mutter im Anschluss an diesen Satz braucht, obwohl die natürlich sehr schön die Schwierigkeiten zeigen ... also ja, vielleicht braucht es die ...
Aber zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen, steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
traurig ... ich kann ihn auch da stehen sehen ...

Ich weiß das alles, weil ich drei Nächte im Zimmer meiner Eltern geschlafen habe. Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht. Jedenfalls habe ich gestern, nach der zweiten Nacht[KOMMA?] mit meiner Mutter die Heime abgeklappert, weil ich das Gefühl hatte, dass ich jeden Moment zusammenbreche.
die Rolle der Mutter übernehmen, klingt fast ein wenig technisch und ach mensch, als wären das die einzigen Alternativen: ein Weichei sein oder nicht genug zu lieben. Ich würde das Gefühl zusammenzubrechen nicht erwähnen ... es klingt wie eine Entschuldigung, eine Rechtfertigung des Ichs, aber ich fände es stärker, die dem Leser zu überlassen ...

In unserem Wunsch-Heim haben wir bei der Leiterin im Büro gehockt. Frau Schmidt die Stationspflegerin wurde hinzugezogen, blieb in der Tür stehen, die Arme verschränkt.
„Ja, ist schlecht, Sie wissen das doch, wir sind mitten am Umziehen, die ganze Station geht übernächste Woche rüber, da können wir doch jetzt keinen mehr aufnehmen, was meinen Sie, was mir meine Leute erzählen? Wir sind jetzt schon absolut am Limit! ... Was ist denn mit Ihrem Mann, beschreibense den mal. Dement? Bei uns sind alle dement. Inkontinent. Aha. Isser aggressiv? Bestimmt nicht? Läuft er weg? Also, machen Sie sich mal keine übertriebenen Vorstellungen. Wir haben hier nicht die Kapazität den ganzen Tag Händchen zu halten. Momentan schon mal gar nicht. Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Später, auf der Straße, gluckste meine Mutter neben mir. „Meine Güte, was hast du auf die Tränendrüse gedrückt, sogar meinen Krebs hast du ins Feld geworfen, das ist doch Jahre her.“
„Fünf“, sagte ich und lauschte. Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören? Und ich dachte, dass das wahrscheinlich meine Kernkompetenz bei dem Ganzen ist, im rechten Moment herumzuheulen. Jedenfalls dürfen wir ihn heute schon bringen.
Bin nicht sicher, ob es das alles braucht. Ich finde gut, dass du den Text hier wieder auf den Boden holst. Ist es wirklich so einfach, einen Heimplatz zu finden? Also die sagen ja, drei Wochen warten, wegen des Umzugs, nicht wegen: Is nich! Hatte gedacht, es gibt Wartelisten ... heute gibts doch überall Wartelisten. Das mit der Kernkomptenz hab ich nur halb verstanden ... die Mutter lacht und sie denkt: herumzuheulen ist wahrscsheinlich meine Kernkomptenz? Ist das vielleicht eine Art Rückbezug auf das Weichei?
Er beginnt Sätze, stockt, und schaut hilfesuchend: „Ne?“
Das "ne?" kann ich gar nicht einordnen. Vielleicht einfach löschen, wenns noch anderen so ergangen ist?
Ich denke nur: "Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm." Meine Mutter lächelt genauso angestrengt wie ich.
Frau Schmidts Stimme ist ganz sanft, als sie ihn begrüßt.
Anspannung ... Entspannung, zum Glück ist sie nett und nicht wie im Büro von wegen wie können hier auch nicht Händchenhalten ...
Ich ziehe meinem Vater die Hausschuhe an. Er schüttelt den Kopf, zieht den Fuß zurück und ich bemühe mich um einen aufmunternden Krankenschwesterton. Er versucht, mir etwas zu sagen, schaut mich eindringlich an, und ich nicke. Ob er vielleicht jetzt gerade verstanden hat, dass er hier bleiben muss? Plötzlich schießen mir die Tränen in die Augen. Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.
Ich finde, das ist so traurig, so wahr, das kommt ganz direkt bei mir an ...
Mein Vater ist nicht unbedingt ein Gewinn für ihn, denn er läuft herum, steht unten bei ihm am Fußende, hebt die Bettdecke hoch und beguckt sich interessiert seine Füße, öffnet alle Schränke, steht dann wieder vor seinem Bett und schaut ihn an, zutiefst verwundert darüber, dass dieser fremde Mann ihn so anschreit. Meine Mutter macht sich daran, das Herz des Sterbenden mit Lindt-Schokolade und liebevoller Zuwendung zu gewinnen.
Auch schön, die Perspektive des Zimmergenossens, es gibt ja oft Demenzstationen, weil die Menschen besonderen Schutz brauchen ... die Mutter, die mit Schokolade und Aufmerksamkeit für einen anderen für ihren Mann sorgt ...
Während mein Vater beim Abendessen sitzt, schleichen wir uns weg. Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er durch die Flure irrt.
wahrscheinlich stellt sie sich das nicht nur Nachts vor ...
Mein Vater geht tief gebeugt, seine Schulter hängt zu einer Seite. Er läuft und läuft durch die dunklen Flure der alten Station, in denen sich Möbel stapeln, die mit Plastik überzogen sind
Hab mich erst gefragt, warum die Möbel sich stapeln ... wegen des Umzugs, oder?
Täglich rufe ich meine Mutter an und hoffe, dass sie sagt, dass er ganz zufrieden ist und dass er sich immer wohler fühlt. Stattdessen baut mein Vater weiter ab.
Ja, schwierig, wenn man nicht bei den Eltern wohnt ... man hofft, dass alles gut ist, denn was soll man tun, wenn nicht? Was soll man tun, wenn der Vater weiter abbaut? Was soll man tun, wenn die Mutter irgendwann alleine ist?
Die neue Station riecht schwach nach Kindheit, nach unserer Werkstatt, nach Wandfarbe und Lösungsmittel. Damals trug mein Vater einen weißen Kittel, in dem ein Kugelschreiber steckte und saß an einem Schreibtisch übersät mit Zetteln,
Schön, diese Erinnerung, ausgelöst von der neuen Station, die - obwohl wir es wissen - den Vater auch noch mal zeigt, als er kräftig war und selbstständig ...

So, liebe @Chutney, es gibt wirklich viele tolle Stellen im Text, Stellen die gut beobachtet sind, Stellen, die mir nahegehen, ich habe nicht alle aufgelistet. Ich mag die Erzählerin, ich mag die Perspektive, dieses mäandernde und wie du (bzw die Erzählerin) die verschiedene Ebenen miteinander verflichst (oder verflechtest?). Bei aller Schwere ist das alles leicht erzählt, umfasst viel mehr als das, was da steht, der Text ist niemals rührselig und kommt mir trotzdem nah. Für mich ist er allerdings noch nicht ganz fertig "lektoriert", aber ich finde es schwer, den Finger darauf zu legen, wo es noch ein wenig hakelt (was Kritik auf hohem Niveau ist), auch aufgrund der mäandernden Struktur bzw der Erzählperspektive und denke, mit ein bisschen Abstand wirst du das am besten einschätzen können. So oder so, ich habe den gerne gelesen.

Viele Grüße
Katta

 

Hallo @Chutney!

Warum dein Text zu den am wenigsten kommentierten gehört ist mir ein Rätsel?
Vielleicht liegt es ja daran, dass es manchem geht, wie mir: Er ist verdammt gut!
Was soll ich groß dazu schreiben? Ich habe nichts auszusetzen, keinen Verbesserungsvorschlag – das passt für mich alles wunderbar zusammen!
Daher scheute ich mich so lange zu kommentieren. Denn wem nütz ein Prima, gut gemacht Komm?
Ich hoffe dir! Denn das ist alles, was ich dazu sagen möchte: Hut ab – sehr gut gemacht!
Für mich klar ein Top3-Text!

Gruß,
Sammis

 

Lieber @Woltochinon ,

und herzlichen Dank für deine Anmerkungen und Ideen.

Dieses etwas sperrige ..., widersetzt, ... ist leicht vermeidbar:
Aber mein Vater hat sich allen Versuchen, etwas Neues anzuschaffen, widersetzt, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt.
Aber mein Vater hat sich allen Versuchen widersetzt, etwas Neues anzuschaffen, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt.
Das habe ich gekauft, stimmt, das ist schöner, vielen Dank!
Die Wiederholung der "Stelle" lässt sich vermeiden: ... Spitzendeckchen besorgte und es über das fettige Leder legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt.
Jaaa, aber ich finde den Ausdruck "Speckige Stelle" irgendwie schöner, als "fettiges Leder". Mal schauen. Sie folgen ja nicht so unmittelbar aufeinander.
widersetzt, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt. Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Ich weiß nicht, ob die Wiederholung von "sitzt" gewollt ist?
Das ist schon gewollt. Ich frage mich aber auch, ob ich vielleicht, gerade im ersten Teil, das Stilmittel der Wiederholung etwas überstrapaziere. Das behalte ich mal im Auge.
drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
Hier fehlt mir ein Hinweis, wie die Silhouette Ratlosigkeit ausdrückt (an sich ein gelungenes Bild!).
Es ist ja, wie an manchen anderen Stellen, die Interpretation der Tochter, hier ausgelöst dadurch, dass er immer wieder die Klinke drückt und wartet, also immer wieder dasselbe versucht, obwohl es nicht funktioniert.
Einmal aber erzählt sie, dass sie unten im Flur Musik gehört haben
Bei diesem Absatz bin ich für einen Moment aus der Geschichte rausgerutscht: Er unterbricht für mein Empfinden den Erzählstrang, der die Veränderungen des Vaters und die Reaktionen der Umwelt darauf darstellt.
Ja, obwohl die Mutter ja auch vorher und nachher Dinge erzählt. Es ist halt die Situation, wo die Tochter nicht unmittelbar dabei ist.
So, der Meckerteil ist vorbei!:cool:
Vielen Dank fürs Meckern! Hat mich ja auch herausgefordert.
Mein Vater vertraut mir, als wir aus der Tür gehen. Er vertraut mir auch, als ich ihn zum Auto führe, in das er nach einem kurzen Moment der Konzentration in einem Schwung einsteigt.
Das ist sehr tiefgründig: Die Frage, ob man Vertrauen missbraucht stellt sich, ein wenig schlechtes Gewissen ist spürbar.
Ja, das ist für mich schon ein Kernpunkt, etwas für jemanden entscheiden müssen, dem man es nicht wirklich erklären kann.
Die Verzweiflung der letzten Wochen ist ihr in den Rücken gefahren.
... wie ein hinterhältiger Überfall ... genau so muss es ihr vorgekommen sein.
"wie ein hinterhältiger Überfall" , gefällt mir, das behalte ich mal im Kopf, vielleicht baue ich den noch ein. Danke!
o muss es ihr vorgekommen sein.
Warte! Willst du hier die ganze Nacht … komm, wir wollen doch ins Bett … Wenn du jetzt nicht den Fuß hoch nimmst, rufe ich die POLIZEI! … ach Blödsinn,
Leider auch so eine erschreckende Realität, dieser Rückschritt ins Infantile. Erstaunlich, wie behutsam und humorvoll damit umgegangen wird.
Ich glaube auch, dass ist so ein Moment, wo es der Mutter selber bewusst wird, dass da eine Grenze erreicht ist, wenn sie sich selber hört, dass sie mit der Polizei droht. Ich kenne verschiedene Menschen, die pflegen und bei aller Liebe, da rutschen einem Sachen raus, die man nie gedacht hätte. Und noch schwerer ist es natürlich, wenn das Verhältnis sowieso schon belastet war.
pannung aus dem Kontext.
Die neue Station riecht schwach nach Kindheit, nach unserer Werkstatt,
Hier der Kreisschluss: Der Neuanfang des letzten Lebensabschnitts steht in Beziehung zur Kindheit, zur aktiven Zeit. (Gut vorbereitet durch die Erwähnung der Renovierung weiter oben).
Oh, schön, dass das funktioniert!
Nun, das Thema Demenz und die damit verbundenen persönlichen und familiären Auswirkungen, die Einschränkungen sind schon oft beschrieben worden. Dein Text ist trotzdem interessant, weil du Leid und pragmatischen Umgang damit gekonnt gegenüberstellst.
Ja, irgendwie denke ich, das ist es schon, was sehr hilft. Humor und Pragmatismus.
Außerdem ist das 'Fenstermotiv' ungewöhnlich und aussagekräftig. Dieser Rückzug in eine vergangene, vertraute Welt ist realistisch und zeigt den Gegensatz von dem 'was war' und dem 'was ist' deutlich auf.
Ja, diese ganz tiefen Interessen, das was ein Leben sehr bestimmt hat, das bleibt ja irgendwie erhalten und kann eine Brücke sein in dieses neue Leben. Gerade wenn ein Demenzkranker sich in eine neue Umgebung einfinden muss, das ist ja eine enorme Leistung.
So, dann verabschiede ich mich aus dieser Welt und behalte ihn in Erinnerung, wie er schmunzelnd die Fußleisten taxiert ...
Wenn ich das so lese, denke ich, auch das wäre schon ein schöner Abschlusssatz gewesen. Naja, wie gesagt, den Text muss ich mir in ein paar Wochen nochmal vornehmen. Du stehst da jetzt auch mit einigen Punkten auf der Liste.

Vielen Dank, Woltochinon, ich komm bei dir auch noch vorbei und wünsche dir einen schönen zweiten Advent.

Liebe Grüße von Chutney


Lieber @linktofink ,

vielen Dank auch dir für deinen Beitrag, du hast das, was ich mit meinem Text sagen wollte, gut auf den Punkt gebracht. Schön, dass das funktioniert.

Und wenn wie in deinem Text die Partnerin ebenfalls an der Grenze ist, wechselt mit einem Mal der Großteil der Verantwortung zum Kind. Und diese Verantwortung, über das Wohl des Elternteils oder gar beider Eltern zu entscheiden, ist mitunter schwer zu tragen, was ist der richtige Weg, welche die richtige Entscheidung?
Ja, die Wenigsten sind ja fit bis zum Schluss und sterben dann im Schlaf. Ich merke, wie das Thema im Freundeskreis auch in den letzten Jahren immer mehr Raum einnimmt, die Frage, wie man mit Eltern umgeht, die "abbauen" und Demenz ist da auch ein spezieller Fall, weil man über den Kopf der Betroffenen hinweg entscheiden muss, das kann einem echt das Herz brechen. Und solche Gefühle muss man dann auch wieder im Griff haben, um das tun zu können, was nötig ist.
Dann der Kampf um einen neuen Alltag für den Vater, mit Lichtblicken beim Personal, die sich über die "Fehlinvestition" Mutter kaputtlachen und einen anderen Ton anschlagen. Überhaupt ist es sicher eine gute Strategie, mit Humor da durchzugehen, sofern das geht.
Das, denke ich auch. Und wenn man sich einmal damit abgefunden hat, dass es nicht mehr so ist wie früher, gibt es manchmal völlig neue Möglichkeiten miteinander zu lachen. Und man sollte vielleicht auch nicht unterschätzen, was für Fähigkeiten an Heiterkeit die Betroffenen selber mitbringen, wenn sie sich sicher und geborgen fühlen.
Das Fenster- und Türenthema leitet wie ein roter Faden durch den Text, an dem der Vater sich immer wieder festhält. Er muss seinen Beruf geliebt und gelebt haben, das war noch vor Zeiten der Life-Work-Balance, und das jahrzehntelang ausgeübte Verhalten als Selbständiger Handwerksmeister verliert sich wohl auch in einer Demenz nicht vollständig.
Ja, soweit ich weiß und auch erlebe, ist es in den allermeisten Fällen so, dass ganz entscheidende Charakterzüge und Leidenschaften bis fast zum Schluss erhalten bleiben.
Mich hat der Text berührt und ich finde es mutig, so offen darüber zu schreiben.
Danke, linktofink und dein Kommentar hat mich sehr gefreut. Oh, ich bin so im Verzug, ich will bei dir aber auch unbedingt noch vorbeikommen!

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo @Chutney

Das ist, glaube ich, die letzte Geschichte, die mir noch zum Kommentieren verblieben ist, die letzte aber nicht die schlechteste. Aber gibt es hier überhaupt schlechte? :)
Ich habe deine Geschichte wirklich gerne gelesen.

Was mir gefällt:

Du behandelst das Thema Demenz realistisch und ich habe mich beim Lesen mehrmals dabei ertappt, dass ich genickt habe. Genau. Ganz ähnlich habe ich das alles auch schon als Angehöriger durchgemacht. Zu sehen, wie die Persönlichkeit allmählich verlischt, mit aller Tragik, die damit verbunden ist. Die Verzweiflung, das schlechte Gewissen, wenn man merkt, dass man überfordert ist und das Schicksal des Kranken in fremde Hände geben muss. Du beschönigst nichts, dramatisierst auch nichts künstlich, beschreibst die lichten Momente und lässt auch Raum für die unfreiwillige Komik, die manchmal entsteht und die über die Verzweiflung hinweghelfen kann. Rührend, aber nicht rührselig hast du auch die Liebe zwischen Uwe und der Mutter dargestellt. Und das schön lebendig in Episodenform.

Was mir nicht so gefällt:

Die Geschichte bewegt sich für meinen Geschmack von Anfang bis zum Ende zu sehr auf ein und demselben emotionalen Level. Da gibt keine Steigerung, keinen Kulminationspunkt.
Stattdessen mäandert der Text munter zwischen den aktuellen Geschehnissen und kurzen Rückblicken in die Vergangenheit. Vielleicht ein Sturz im Heim, eine jähe Verschlechterung des Zustandes, vielleicht könnte auch das Ankommen im Heim mit mehr Verzweiflung von Uwe verbunden sein. Er ist aus seiner gewohnten Umgebung gerissen, fühlt sich abgeschoben ...

Hier noch Kleinigkeiten:

wir probieren es gleich nochmal – ach, da ist er ja[ ]der Fuß, prima, warte,
Komma
Der Mann hat gesagt, er kommt jeden Tag dahin
da hin

Einen schönen 2. Advent!
Sturek

 

Liebe @Chutney,

was für eine bittersüsse Geschichte! Ich bin gerührt. Du beschreibst wundervoll einfühlsam, ohne Kitschlastigkeit, den Verfall eines Menschen und was das mit ihm und seinen Mitmenschen macht. Das finde ich sehr gelungen!
Ich bin mir sicher, dass es genau so täglich mehrere Male in Deutschland passiert, dass jemand ins Seniorenheim gebracht wird und sich dort zurecht finden muss. Insoweit eine sehr zeitgeistige Geschichte.

Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Bei diesem Satz habe ich gestutzt, weil ich dachte: Das kann sie ja noch gar nicht wissen. Aber warte mal ab, was noch kommt. Und du löst diese Frage, die dieser Satz auslöst ja auch relativ rasch auf.
Mein Vater vertraut mir, als wir aus der Tür gehen.
Und man fühlt sich als Verräter, weil man dieses Vertrauen ausnutzt, nicht wahr. Das sind meine Gedanken, die deine Geschichte auslösen.
„Uwe, nur den Fuß hoch, versuch doch mal, ei
Diese Szene ist zwar unbedingt eine, die bleiben muss, weil sie anschaulich aufzeigt, welche praktischen Probleme existieren, aber der Übergang ist mir zu hart. Ich habe überlegt, ob du nicht den Text etwas umstellst. Also die Szene schilderst und erst am Ende die Rückenkrankheit der Mutter und wie sie entstehen kann. Dazu komme ich gleich, aber
steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
zuerst muss ich beschreiben, dass solche Sätze die gesamte Geschichte tragen, indem man einfach dargestellt bekommt, wie sehr sich die Wesensveränderung des Vaters und Ehemannes auswirkt auf ihn und alle Beteiligten. Das ist so ein Satz, bei dem ich schlucken musste.
Die Verzweiflung der letzten Wochen ist ihr in den Rücken gefahren. Eine falsche Bewegung, und es sticht „wie ein Messer“. Eine falsche Bewegung ist schnell gemacht, wenn man versucht, einem alten Mann den Schlafanzug anzuziehen.
Ich meine diesen Absatz mit dem Rücken könnte man ans Ende des lebendig geschilderten Beispiels bringen, wie dem Ehemann der Schlafanzug angezogen wird. Das würde den Übergang eleganter gestalten.
bin ich ein Weichei
Weichei ist irgendwie nicht der richtige Begriff. Weichei und Mut gehören zusammen. Aber die Tochter ist ja nicht feige, sondern sie sieht, dass sie das nicht stemmen kann und sie sieht, dass auch die Mutter das mit dem Vater nicht stemmen kann. Irgendwas in dem Sinne, dass sie nicht belastbar ist, wobei belastbar es auch nicht perfekt trifft. Vielleicht Widerstandskraft so eine Pflege auf Dauer auszuhalten? Ich hoffe, du kannst nachvollziehen, wieso mir Weichei nicht so gut gefällt.
Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören?
Rührender Moment.
im rechten Moment herumzuheulen.
Hier gefällt mir herumzuheulen nicht, sondern es wäre doch eher ein Jammern, nicht wahr?
„Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“
Klasse gemacht! Ein Satz, der viel über den Charakter des Vaters aussagt.
Er beginnt Sätze, stockt, und schaut hilfesuchend: „Ne?“
Ich empfinde das "Ne?" als zu wenig informativ. Es würde mir nicht fehlen, wenn es da nicht stünde. So frage ich mich, was es aussagen soll.
Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.
Auch so eine total rührende Szene. Du beschreibst das sehr anschaulich.
Während mein Vater beim Abendessen sitzt, schleichen wir uns weg. Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er durch die Flure irrt.
Gut beschrieben, dieses total schlechte Gewissen, das mitschwingt bei solchen Entscheidungen. Man weiß, es war richtig, weil sonst alle dabei draufgehen vor lauter Überbeanspruchung und trotzdem kann man sich das nicht verzeihen, weil da immer so ein Quäntchen im Stich lassen fiese mitschwingt.
Und dann redet sie von der grenzenlosen Erleichterung, wenn sie jetzt nachts aufwacht und merkt, dass sie alleine ist.
Ein sehr erlösender Satz.
Als ich nach einigen Wochen wiederkomme, trägt mein Vater einen Helm, der unter dem Kinn mit einem Klickverschluss befestigt wird.
Oh Gott, wie furchtbar. Du schaffst es in dieser Geschichte mit einem einzigen Satz eine ganze Geschichte zu erzählen.
da hat der die Tür zum Badezimmer ausgebaut,
Handwerker bleibt Handwerker. Und gut, dass im Dunkeln bleibt, was ihm an dieser Tür nicht korrekt erschien, dass sie nochmals rausmusste.
Er schmunzelt, vielleicht weil alle ihn ansehen und lachen, aber er hat schon wieder mit einem Auge die Fußleisten im Blick.
Dieser komische Moment wirkt befreiend, gut, dass du kurz bevor es noch bedrückender wird, es durch ein bisschen Heiterkeit auflöst. Das tut gut.
und ich stand gepestet daneben
Den Begriff "gepestet" kenne ich überhaupt nicht. Man weiß aber trotzdem, was damit irgendwie gemeint ist.
: „Tanze mit mir in den Morgen ...“
Feines Ende, versöhnliches Ende, ohne dass man sich der Illusion hingeben muss, dass es ein gutes Ende für den Vater und Ehemann ist. Aber für diesen Moment ist es ein gutes Ende. Passt.


Lieben Gruß

lakita

 

Liebe @Katta,
herzlichen Dank für den schönen Kommentar. Ich hab mich gefreut.
Katta:

eine berührende Geschichte, sanft und zärtlich irgendwie und ich finde den Text insgesamt gut komponiert.
Ach toll, dankeschön! Und vielen Dank für die Stellen, die du zitiert hast, wo du die Situation nachfühlen konntest.
Eine falsche Bewegung ist schnell gemacht, wenn man versucht, einem alten Mann den Schlafanzug anzuziehen.
Katta:
Ich bin nicht sicher, ob es die Sätze der Mutter im Anschluss an diesen Satz braucht, obwohl die natürlich sehr schön die Schwierigkeiten zeigen ... also ja, vielleicht braucht es die ...
Ich glaube, da hatten noch andere Zweifel, das lasse ich mal auf dem Schirm.

Aber zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen, steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
Katta:
traurig ... ich kann ihn auch da stehen sehen ...
Ja. :(

Katta:

ein wenig technisch und ach mensch, als wären das die einzigen Alternativen: ein Weichei sein oder nicht genug zu lieben. Ich würde das Gefühl zusammenzubrechen nicht erwähnen ... es klingt wie eine Entschuldigung, eine Rechtfertigung des Ichs, aber ich fände es stärker, die dem Leser zu überlassen ...
Den Satz habe ich gestrichen, ist besser so, danke.

Katta:

. Ich finde gut, dass du den Text hier wieder auf den Boden holst. Ist es wirklich so einfach, einen Heimplatz zu finden? Also die sagen ja, drei Wochen warten, wegen des Umzugs, nicht wegen: Is nich! Hatte gedacht, es gibt Wartelisten ... heute gibts doch überall Wartelisten. Das mit der Kernkomptenz hab ich nur halb verstanden ... die Mutter lacht und sie denkt: herumzuheulen ist wahrscsheinlich meine Kernkomptenz? Ist das vielleicht eine Art Rückbezug auf das Weichei?
Die Geschichte "spielt" 2010. Da sah es noch besser aus. Ich glaube, heute ist es wirklich sehr schwer. Eine Freundin von mir ist beim sozialen Dienst im Krankenhaus und hat oft große Mühe, selbst im entfernteren Umfeld einen Platz zu finden. Ich überlege gerade, ob ich das wohl zeitlich irgendwie verorten sollte. Aber ich habe ja auch keine Ortsbezeichnung, der Stadt, oder so. Hm.

Er beginnt Sätze, stockt, und schaut hilfesuchend: „Ne?“
Katta:
Das "ne?" kann ich gar nicht einordnen. Vielleicht einfach löschen, wenns noch anderen so ergangen ist?
Hab ich gelöscht, ist auch @lakita so gegangen. Danke!

Ich denke nur: "Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm." Meine Mutter lächelt genauso angestrengt wie ich.
Frau Schmidts Stimme ist ganz sanft, als sie ihn begrüßt.
Katta:
Anspannung ... Entspannung, zum Glück ist sie nett und nicht wie im Büro von wegen wie können hier auch nicht Händchenhalten ...
Ja, es ist ein Auf- und Ab, wirklich eine Ausnahmesituation.
Mein Vater ist nicht unbedingt ein Gewinn für ihn, denn er läuft herum, steht unten bei ihm am Fußende, hebt die Bettdecke hoch und beguckt sich interessiert seine Füße, öffnet alle Schränke, steht dann wieder vor seinem Bett und schaut ihn an, zutiefst verwundert darüber, dass dieser fremde Mann ihn so anschreit. Meine Mutter macht sich daran, das Herz des Sterbenden mit Lindt-Schokolade und liebevoller Zuwendung zu gewinnen.
Katta:
Auch schön, die Perspektive des Zimmergenossens, es gibt ja oft Demenzstationen, weil die Menschen besonderen Schutz brauchen ... die Mutter, die mit Schokolade und Aufmerksamkeit für einen anderen für ihren Mann sorgt ...
Das ist natürlich auch wirklich ein großer Vorteil, wenn jemand anderes die sozialen Kontakte mit gestaltet, etwas auffängt.
Während mein Vater beim Abendessen sitzt, schleichen wir uns weg. Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er durch die Flure irrt.
wahrscheinlich stellt sie sich das nicht nur Nachts vor ...
Das würde ich erstmal lassen. "Es war die beste Entscheidung, ein besseres Heim hätten wir auch nicht finden können. Und überhaupt es hätte ja gar keine andere Möglichkeit gegeben ... " Das ist schon beides so etwas, was kreist.
Mein Vater geht tief gebeugt, seine Schulter hängt zu einer Seite. Er läuft und läuft durch die dunklen Flure der alten Station, in denen sich Möbel stapeln, die mit Plastik überzogen sind
Katta:
Hab mich erst gefragt, warum die Möbel sich stapeln ... wegen des Umzugs, oder?
Ja, ich wollte die Umzugssituation ein bisschen zeigen.
Täglich rufe ich meine Mutter an und hoffe, dass sie sagt, dass er ganz zufrieden ist und dass er sich immer wohler fühlt. Stattdessen baut mein Vater weiter ab.
Katta:
Ja, schwierig, wenn man nicht bei den Eltern wohnt ... man hofft, dass alles gut ist, denn was soll man tun, wenn nicht? Was soll man tun, wenn der Vater weiter abbaut? Was soll man tun, wenn die Mutter irgendwann alleine ist?
Genau.

Katta:

So, liebe @Chutney, es gibt wirklich viele tolle Stellen im Text, Stellen die gut beobachtet sind, Stellen, die mir nahegehen, ich habe nicht alle aufgelistet.
Oh, du hast schon viele aufgelistet, vielen Dank!

Katta:

Für mich ist er allerdings noch nicht ganz fertig "lektoriert", aber ich finde es schwer, den Finger darauf zu legen, wo es noch ein wenig hakelt (was Kritik auf hohem Niveau ist), auch aufgrund der mäandernden Struktur bzw der Erzählperspektive und denke, mit ein bisschen Abstand wirst du das am besten einschätzen können.
Ja, das denke ich auch. Das ist für mich wirklich ein Text zum "erstmal Liegenlassen" und in ein paar Wochen nehme ich mir dann alle Kommentare auch nochmal vor.

Vielen Dank, liebe Katta, hat mich gefreut
und liebe Grüße von Chutney


Hallo @Sammis,
ui, da war ich auf eine lange Liste gefasst und dann : eine Lobdusche! Die nehme ich gerne an.

Warum dein Text zu den am wenigsten kommentierten gehört ist mir ein Rätsel?
Vermutlich weil ich ziemlich spät hinterhergekleckert kam. Da zeigten sich schon die ersten Ermüdungserscheinungen. Ihr wart ja alle so fleißig.
Daher scheute ich mich so lange zu kommentieren. Denn wem nütz ein Prima, gut gemacht Komm?
Ich hoffe dir! Denn das ist alles, was ich dazu sagen möchte: Hut ab – sehr gut gemacht!
Ja, das nützt mir und ich danke dir sehr!:)

Liebe Grüße und bis bald!
Chutney

 

Ich bin spät dran, aber selbst als „Unbeteiligter“ an jeglichem Wettbewerb diese Saison will ich meinen Senf noch hinzugeben, oder genauer: nachreichen,

dear @Chutney,

umso mehr, als ich vorm laufenden Fernseher auch schon mal wie Deine Vaterfigur ein Nickerchen halt,
aber sag mal im Ernst, muss man bei diesem Satz

Das Haus meiner Eltern ist voller Treppen.
nicht fürchten, dass „Treppen“ („aus Stufen bestehendes Bauteil …“ definiert das Wörterbuch der deutschen Sprache), also „vereinigte Stufen“ den Bewohnern den „Lebensraum“ streitig machen?
Ich geh mal von aus, dass die Zahl der Etagen die Zahl der Treppen bestimmt, was auch schon das einzige ist, was mir seltsam beim Lesen vorkam.

… , ach Uwe, nun streng dich doch mal ein bisschen an, au, Moment, ich muss mich mal strecken, wir probieren es gleich nochmal – ach, da ist er ja der Fuß, prima, warte, ich komm mit der Hose, bleib so, nein ...
„noch mal“, weil an sich ein verkürztes „noch einmal ...“

Hier

Jedenfalls habe ich gestern, nach der zweiten Nacht mit meiner Mutter die Heime abgeklappert.
kann m. E. das Komma eingespart werden (- sollte es eine Pause gleich welcher Art symbolisieren/anregen, bietet sich der Gedankenstrich an oder andere seiner Artgenossen)-

Das Komma findet hier *

Frau Schmidt* die Stationspflegerin wurde hinzugezogen, blieb in der Tür stehen, die Arme verschränkt.
Unterschlupf, dto. hier
Wir haben hier nicht die Kapazität* den ganzen Tag Händchen zu halten.

Ich denke nur: "Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm."
Sollten Bitten nicht ein würdiges Satzzeichen haben!

Er versucht, mir etwas zu sagen, schaut mich eindringlich an, und ich nicke.
Komma weg!, es zerschlägt das komplexe Prädikat „zu sagen versuchen“!

Sie erzählt wieder vom letzten verunglückten Urlaub, wo er die Hotelzimmertür nicht gefunden hat, ….
Hm, ohne Komma zwischen den beiden Adjektiven unterstellt der Satz eine Serie von verunglückten Urlauben ...

Schließlich sitze ich wieder im Zug, mit wehem Gefühl und entschlossen, bald wiederzukommen.
Komma weg!, und hier hin
Einmal aber erzählt sie, dass sie unten im Flur Musik gehört haben. „Das kam direkt aus der Kapelle: „Großer GottKOMMA wir loben dich“.

Damals trug mein Vater einen weißen Kittel, in dem ein Kugelschreiber steckteKOMMA und saß an einem Schreibtisch übersät mit Zetteln, …

Die Pflegerinnen lachen sich kaputt, dass mein Vater gesagt hat, sie ist ne Fehlinvestition.
besser die Schwreibweise „sie ist ’ne Fehl...“

Gern gelesen vom

Friedel

 

Liebe @Chutney, danke für diesem einfühlsamen Text über nicht nur Demenz, sondern auch den allgemeinen Abbau eines geliebten Menschen im Alter. Du hast mich sehr glatt und schnell in die Geschichte hineingetragen, einige Punkte, Z.B. die Frage, ob die Liebe reicht, treffen m.E. grad ins Herz dieser Angehörigenproblematik.
Mir gefällt, dass du das mit einer denkbar günstigen Ausgangskonstellation angehst: Der Patient hat eine Lebensgefährtin, die geistig und körperlich fit ist, eine Tochter, die sich eine Woche frei nehmen kann, belastbare Beziehungen zwischen den Dreien, und offensichtlich keine nennenswerten finanziellen Einschränkungen. Dazu ein Heim, in das ein Demenzkranker von einem Tag auf den anderen einziehen kann (ich verfüge über keine nennenswerte Statistik, aber in allen mir bekannten Fällen gab es Wartelisten). Und trotzdem, egal wie ideal die Gesamtlage, der Schmerz und die wunden Punkte sind immer dieselben. Das ist sehr feinfühlig beschrieben.
Vieles ist ja schon gesagt worden, detaillierte Verbesserungsvorschläge habe ich gar keine, nur eine Frage zur Dramaturgie:
Bis die Tochter zum zweiten Mal kommt, verschlechtert sich der Zustand des Vaters ständig. Von einem Rollstuhl ist die Rede.
Dann kommt sie wieder, und mir scheint sie nicht ganz in dieselbe Welt zurück zu kommen. Der Vater trägt einen Helm, das ist niedlich, von einem Rollstuhl ist nicht mehr die Rede, der Mann misst Fenster, hängt Türen aus und tanzt. Das Personal findet alles in erster Linie lustig, sogar das Türen wiedereinhängen, und ja, das ist ein sehr versöhnliches Ende. Aber so ganz will es mir zum größeren ersten Teil der Geschichte nicht passen. Oder es ist eben nicht das Ende...
In jedem Fall sehr gern gelesen!
Vielen Dank & lieben Gruß
Placidus

 

Hallo Sturek,

vielen Dank für deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut und da waren ein paar wichtige Aspekte dabei.

Du behandelst das Thema Demenz realistisch und ich habe mich beim Lesen mehrmals dabei ertappt, dass ich genickt habe. Genau. Ganz ähnlich habe ich das alles auch schon als Angehöriger durchgemacht.
Ach, das bedeutet natürlich noch einmal etwas ganz Besonderes für mich, dass du das nachvollziehen kannst, gerade, weil du auch Erfahrung mit dem Thema hast.
Die Verzweiflung, das schlechte Gewissen, wenn man merkt, dass man überfordert ist und das Schicksal des Kranken in fremde Hände geben muss.
Ja. Genau.
Du beschönigst nichts, dramatisierst auch nichts künstlich, beschreibst die lichten Momente und lässt auch Raum für die unfreiwillige Komik, die manchmal entsteht und die über die Verzweiflung hinweghelfen kann.
Ach danke!
Die Geschichte bewegt sich für meinen Geschmack von Anfang bis zum Ende zu sehr auf ein und demselben emotionalen Level. Da gibt keine Steigerung, keinen Kulminationspunkt.
Ja, ich verstehe, was du meinst. Für mich war der Moment, wo er nicht mehr essen kann und später erschöpft auf dem Bett liegt eigentlich so ein Tiefpunkt, wo auch Mutter und Tochter maximal mitleiden und fürchten, dass es nie wieder gut wird. Und am Ende in einer Situation der Heiterkeit, so etwas wie Entspannung. Das benenne ich ja nicht so explizit und man könnte das bestimmt noch steigern, den Kontrast. Das kommt mal mit auf die Liste, danke.
Stattdessen mäandert der Text munter zwischen den aktuellen Geschehnissen und kurzen Rückblicken in die Vergangenheit. Vielleicht ein Sturz im Heim, eine jähe Verschlechterung des Zustandes, vielleicht könnte auch das Ankommen im Heim mit mehr Verzweiflung von Uwe verbunden sein. Er ist aus seiner gewohnten Umgebung gerissen, fühlt sich abgeschoben ...
Man merkt deine Erfahrung. Ja, ich sag mal mehr "Material" hätte ich noch für traurige Situationen, aber auch für heitere Momente, aber vielleicht liegt es auch eher an der Umsetzung der Szenen, die schon da sind. Hm. Und ich will schon zeigen, dass es in der Übergangssituation schlechter wird und später aber auch wieder besser, dass er irgendwie doch da ankommt. Also ich überlege nochmal.
wir probieren es gleich nochmal – ach, da ist er ja[ ]der Fuß, prima, warte,
Komma
Hab ich gesetzt, danke.
Der Mann hat gesagt, er kommt jeden Tag dahin
da hin
Ich glaube, es müsste aber doch "dahin" heißen. Jedenfalls wenn ich das google ist das so.
Einen schönen 2. Advent!
Vielen Dank, Sturek, nun hat es so lange gedauert, dass ich dir schon bald einen schönen 3. Advent wünschen kann.

Liebe Grüße von Chutney

Liebe @lakita ,

was für eine bittersüsse Geschichte! Ich bin gerührt. Du beschreibst wundervoll einfühlsam, ohne Kitschlastigkeit, den Verfall eines Menschen und was das mit ihm und seinen Mitmenschen macht. Das finde ich sehr gelungen!
Vielen Dank, lakita und ich glaube "bittersüss" trifft es gut. Wie schön, dass du vorbeigekommen bist!
Ich bin mir sicher, dass es genau so täglich mehrere Male in Deutschland passiert, dass jemand ins Seniorenheim gebracht wird und sich dort zurecht finden muss. Insoweit eine sehr zeitgeistige Geschichte.
Ich hätte sogar gedacht ein paar hundert Mal.
"Aktuell gibt es in Deutschland rund 11.680 vollstationäre Alten- und Pflegeheime, in denen rund 918.000 Plätze zur Pflege angeboten werden." (pflegemarkt com.)
Jedenfalls bekomme ich das im Umkreis doch immer häufiger mit. Ich bin jetzt 56 und merke, wie das Thema im Freundeskreis doch immer mehr Raum einnimmt.
Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Bei diesem Satz habe ich gestutzt, weil ich dachte: Das kann sie ja noch gar nicht wissen. Aber warte mal ab, was noch kommt. Und du löst diese Frage, die dieser Satz auslöst ja auch relativ rasch auf.
Ich hoffe, das passt dann so. Es sollte ja auch durchaus eine kleine Spannung erzeugen.
Mein Vater vertraut mir, als wir aus der Tür gehen.
Und man fühlt sich als Verräter, weil man dieses Vertrauen ausnutzt, nicht wahr. Das sind meine Gedanken, die deine Geschichte auslösen.
Genau, das ist schon ein großer Schmerz. Man kann eben nicht wirklich ein Einverständnis einholen.
steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
zuerst muss ich beschreiben, dass solche Sätze die gesamte Geschichte tragen, indem man einfach dargestellt bekommt, wie sehr sich die Wesensveränderung des Vaters und Ehemannes auswirkt auf ihn und alle Beteiligten. Das ist so ein Satz, bei dem ich schlucken musste.
Ja, ich selber auch, immer noch.
ter gestalten.
bin ich ein Weichei
Weichei ist irgendwie nicht der richtige Begriff. Weichei und Mut gehören zusammen. Aber die Tochter ist ja nicht feige, sondern sie sieht, dass sie das nicht stemmen kann und sie sieht, dass auch die Mutter das mit dem Vater nicht stemmen kann. Irgendwas in dem Sinne, dass sie nicht belastbar ist, wobei belastbar es auch nicht perfekt trifft. Vielleicht Widerstandskraft so eine Pflege auf Dauer auszuhalten? Ich hoffe, du kannst nachvollziehen, wieso mir Weichei nicht so gut gefällt.
Ich verbinde "Weichei" auch mit Mut, aber vor allem mit Schwäche, deshalb passt es für mich eigentlich schon. Ich könnte natürlich schreiben "Entweder bin ich nicht widerstandsfähig genug ...", aber "Weichei" beinhaltet ja eine ganz klare emotionale (Selbst-) bewertung. Die finde ich hier schon passend und zeigt auch eher den inneren Konflikt.
im rechten Moment herumzuheulen.
Hier gefällt mir herumzuheulen nicht, sondern es wäre doch eher ein Jammern, nicht wahr?
Ja, ist vielleicht einen Tick übertrieben, Tja, wenn ich sage, das ist nun mal der Sprachduktus der Tochter, ob das überzeugt? Hm "herumzujammern" Das überlege ich nochmal. Danke für den Hinweis.
„Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“
Klasse gemacht! Ein Satz, der viel über den Charakter des Vaters aussagt.
:)
den Charakter des Vaters aussagt.
Er beginnt Sätze, stockt, und schaut hilfesuchend: „Ne?“
Ich empfinde das "Ne?" als zu wenig informativ. Es würde mir nicht fehlen, wenn es da nicht stünde. So frage ich mich, was es aussagen soll.
Ist weg, besser so, danke!
en soll.
Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.
Auch so eine total rührende Szene. Du beschreibst das sehr anschaulich.
Danke!
Gut beschrieben, dieses total schlechte Gewissen, das mitschwingt bei solchen Entscheidungen. Man weiß, es war richtig, weil sonst alle dabei draufgehen vor lauter Überbeanspruchung und trotzdem kann man sich das nicht verzeihen, weil da immer so ein Quäntchen im Stich lassen fiese mitschwingt.
Ja!
iese mitschwingt.
Und dann redet sie von der grenzenlosen Erleichterung, wenn sie jetzt nachts aufwacht und merkt, dass sie alleine ist.
Ein sehr erlösender Satz.
Ja, und eigentlich ist es ja auch ganz klar, dass das Schlafenkönnen und die Erholung, der Abstand überhaupt die Voraussetzung dafür ist, dass die guten Gefühle bleiben.
Als ich nach einigen Wochen wiederkomme, trägt mein Vater einen Helm, der unter dem Kinn mit einem Klickverschluss befestigt wird.
Oh Gott, wie furchtbar. Du schaffst es in dieser Geschichte mit einem einzigen Satz eine ganze Geschichte zu erzählen.
Ja, ein erschreckender Anblick beim eigenen Vater. Beinhaltet eben auch vorangegangene Stürze, die das nötig machen.
da hat der die Tür zum Badezimmer ausgebaut,
Handwerker bleibt Handwerker. Und gut, dass im Dunkeln bleibt, was ihm an dieser Tür nicht korrekt erschien, dass sie nochmals rausmusste.
:lol:
mals rausmusste.
Er schmunzelt, vielleicht weil alle ihn ansehen und lachen, aber er hat schon wieder mit einem Auge die Fußleisten im Blick.
Dieser komische Moment wirkt befreiend, gut, dass du kurz bevor es noch bedrückender wird, es durch ein bisschen Heiterkeit auflöst. Das tut gut.
Und das hängt eben auch viel damit zusammen, ob es Pflegepersonal gibt, dem noch nach Lachen zumute ist und die eine gute Atmosphäre schaffen können. Aber generell finde ich auch, dass es genau dieses Wechselbad ist, dass man da erleben kann.
eiterkeit auflöst. Das tut gut.
und ich stand gepestet daneben
Den Begriff "gepestet" kenne ich überhaupt nicht. Man weiß aber trotzdem, was damit irgendwie gemeint ist.
Okay, das behalte ich auch mal im Kopf. "genervt" und "gelangweilt" ginge ja auch.
: „Tanze mit mir in den Morgen ...“
Feines Ende, versöhnliches Ende, ohne dass man sich der Illusion hingeben muss, dass es ein gutes Ende für den Vater und Ehemann ist. Aber für diesen Moment ist es ein gutes Ende. Passt.
Ja, und manchmal ist ja das bestmögliche Ende auch, den richtigen Platz zu finden.
Vielen Dank, liebe lakita, dein Kommentar hat mich sehr gefreut,

liebe Grüße von Chutney

 

Hallo @Chutney,

ich finde deine Geschichte sehr berührend, authentisch und auf eine Weise humorvoll geschrieben, in der ich die ganze Liebe, Fürsorge und Melancholie – auch Trauer und Verzweiflung – der Tochter und Mutter spüre. Dein Schreibstil gefällt mir sehr, mit deiner Wortwahl lässt du dem Leser Freiraum, deine Intentionen nachzuvollziehen, und bringst Lebendigkeit in das Geschehen.

Nur beim Fußboden haben sie nicht nachgedacht, sagt meine Mutter. Vinyl in schicker Holzoptik, leider mit Streifen. Es hat Tage gedauert, bis mein Vater gelernt hat, dass er da nicht drübersteigen muss, dass es nur Farbe ist.
Meine Lieblingsstelle, für mich das Paradebeispiel für deinen Schreibstil.

Mehr gibt es für mich nicht zu kritisieren, sehr gerne gelesen!

Viele Grüße
Kerzenschein

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Chutney

Endlich komme ich dazu, auch deinen Text zu besprechen. Gelesen habe ich ihn bereits nach Erscheinen und wie ich sehe, hast du bereits mit feiner Klinge nachgebessert. Gefällt mir.

Wann wird der Aufwand, ja wann ist der Leidensdruck zu gross, einen dementen Familienangehörigen zu pflegen, ohne dass man selber daran zu Grunde geht. Diese Frage stellt sich immer wieder und es gibt zum Glück auch Angebote, Angehörige zu entlasten, damit diese ihre Batterien wieder aufladen können und der Patient so lange, wie möglich in vertrauter Umgebung leben darf. Aber irgendwann kommt der Moment, da braucht es eine externe Lösung und dieser Schritt ist für Angehörige, wenn man nicht gerade die Empathie eines Holzklotz ausstrahlt, nicht einfach.

Doch der Reihe nach
(ich hab keine Kommentare gelesen, verzeih mir desalb mögliche Doppelungen)

Der Sessel meines Vaters ist mit braunem Leder bezogen. Da, wo sein Kopf liegt, während er vor dem Fernseher schläft, hat es sich dunkel verfärbt. Meine Mutter ärgert sich über die speckige Stelle, überhaupt ist die Garnitur, die mal edel und teuer war, ziemlich schäbig inzwischen. Aber mein Vater hat sich allen Versuchen widersetzt, etwas Neues anzuschaffen, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt. Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Keine Ahnung, ob es an der Adventszeit liegt, aber damit hast du mich voll erwischt. Hier kommt die Tragik bereits zum Anklingen, schwingt das Schuldgefühl mit, eine geliebte Person fremd zu platzieren.

Vor ein paar Tagen ist er über eine Teppichkante gestolpert, er fängt sich schon lange nicht mehr ab. Das Haus meiner Eltern hat viele Treppen.
Könnte man ruhig zwei Sätze spendiern, da das Sich-Nicht-Abfangen keine Folge des Stolperns ist.

Er vertraut mir auch, als ich ihn zum Auto führe, in das er nach einem kurzen Moment der Konzentration in einem Schwung einsteigt. Er nestelt am Gurt, und ich greife um ihn herum, um ihn anzuschnallen.
Bis hierher hätte es sich auch "nur" um körperliches Gebrechen handeln können. Aber so wird nun devinitiv klar, es handelt sich leider (auch) um geistigen Zerfall.

Eine falsche Bewegung ist schnell gemacht, wenn man versucht, einem alten Mann den Schlafanzug anzuziehen.
Gut vermittelt, wie anstrengend eine Betreuung eben sein kann. Einfachste Handhabungen werden zur Turnübung, wenn der Patient nicht mithilft (– nicht mehr mithelfen kann).

„Uwe, nur den Fuß hoch, versuch doch mal, einmal den Fuß hoch, guck mal, das geht ganz schnell, gestern hat das doch ganz toll geklappt, du kannst das doch, eins – zwei - drei und hoch den Fuß! - Uwe, die Hose muss doch … , ach Uwe, nun streng dich doch mal ein bisschen an, au, Moment, ich muss mich mal strecken, wir probieren es gleich noch mal – ach, da ist er ja, der Fuß, prima, warte, ich komm mit der Hose, bleib so, nein ... Warte! Willst du hier die ganze Nacht … komm, wir wollen doch ins Bett …
Ja, der ist lang, der Dialog. Aber das muss so sein!
Denn hier springt einem die ganze Kraft und Mühe entgegen, die aufgewendet werden muss, um eine Person ausgehfertig zu machen. Und wenn dann noch ein Arzttermin ansteht, kann man den Wecker gleich mal eine Stunde früher stellen ...

Wenn du jetzt nicht den Fuß hoch nimmst, rufe ich die POLIZEI! … ach Blödsinn, nein, ich habe nur einen Witz gemacht, das war nur ein Witz! Uwe, nun mach doch ein bisschen mit!“
Verzweiflung zieht nicht böse gemeinte Polemik nach sich, die aber das Gegenüber nicht (mehr) als Ironie erkennen kann und schon schlägt das schlechte Gewissen zurück.

Wenn sie nicht aufpasst, liegt er zu tief und weiß nicht mehr, welche Bewegungen er machen muss, um sich hoch zu schieben. Aber Zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen,
Ohne aber verstärkt mMn den Sinneswandel, zumal ich das Aufstehen nicht als Folge des richtigen Liegens sehe.

aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht.
Starker Satz, geht ans Herz.

Frau Schmidt, die Stationspflegerin wurde hinzugezogen, blieb in der Tür stehen, die Arme verschränkt.
Genau, Personalmangel, keine Zeit zum Hinsetzen.

„Ja, ist schlecht, Sie wissen das doch, wir sind mitten am Umziehen, die ganze Station geht übernächste Woche rüber, da können wir doch jetzt keinen mehr aufnehmen, was meinen Sie, was mir meine Leute erzählen [würden]?
Bisschen feilen vielleicht.

„Fünf“, sagte ich und lauschte. Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören?
Sie lauscht ja, ob die Mutter lacht. Braucht es das? Wird doch sofort klar auch ohne lauschen. :D
Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Später, auf der Straße, gluckste meine Mutter neben mir.
Das weiss der Leser auch. Mir würde es gefallen, wenn du diesen Satz mit einer Leerzeile ersetzen würdest.

Bis auf das eine Mal, als er klar und deutlich zu einem früheren Kunden sagte: „Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“
Sehr schön gemacht.
Ich finde das die schlimmste Phase der Krankheit, diese kurzzeitigen Momente der Klarheit, nur um im nächsten Moment wieder in die Tiefen des Vergessens abzutauchen. Für Patient, wie Angehörige nervenzehrend.

dass wir jetzt in ein Heim fahren, weil es so nicht weitergeht und dass da allen geholfen wird.
meintest du nicht eher 'damit'?

Ich denke nur: "Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm!" Meine Mutter lächelt genauso angestrengt wie ich.
Geschmacksfrage. Ich würde Gedanken von direkter Rede unterscheiden (z.B. kursiv schreiben).
Klar, du hast ein einleitendes 'Ich denke nur', aber trotzdem haut mich die direkte Rede hier raus.

Frau Schmidts Stimme ist ganz sanft, als sie ihn begrüßt.
Mein Vater fasst sie lange ins Auge, sehr lange.
Sie wartet.
Dann grüßt er zurück.
Glückstreffer, diese Frau Schmidt.

Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.
Ich finde streichelt, dieses mit 10cm Abstand über dem Kopf herumwischen, schon fast zu bewusst ausgeführt für Uwe.
Vorschlag: ..., lässt sie in der Luft über meinen Haaren (schweben).

Ein Lächeln ist ihm nicht zu entlocken. Mein Vater ist nicht unbedingt ein Gewinn für ihn, denn er läuft herum, steht unten bei ihm am Fußende, hebt die Bettdecke hoch und beguckt sich interessiert seine Füße, öffnet alle Schränke, steht dann wieder vor seinem Bett und schaut ihn an, zutiefst verwundert darüber, dass dieser fremde Mann ihn so anschreit.
Ich finde, du bringst diese Tragikkomik gut rüber, da darf auch mal – ohne schlechtes Gewissen– geschmunzelt werden.

In ihrer Handtasche trägt sie ein altes Teekännchen aus Glas mit sich herum. Sie hat den Trick zu Hause selber erfunden. [...] Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Haben die im Heim auch Teekännchen für alle Fälle? :p

Während mein Vater beim Abendessen sitzt, schleichen wir uns weg. Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er durch die Flure irrt.
Und da ist es wieder, das schlechte Gewissen.
Meiner Meinung nach gibt es zwar mehrere Möglichkeiten, aber nur für eine entscheidet man sich, somit: die einzig richtige.

An diesem Tag bleiben wir noch länger als gestern, bis nach dem Abendbrot.
Oder blieben sie gestern auch schon länger, als normal?

Zum ersten Mal an diesem Tag lächelt er.
Tanja ist es auch, die meinen Vater am nächsten Tag rettet, als er Verstopfung hat. Unnütz und mitleidend sitzen wir auf dem Sofa im Aufenthaltsraum, bis Tanja endlich aus der Tür geschossen kommt und beide Daumen in die Luft reckt. Im Zimmer liegt mein Vater erschöpft auf dem Bett, die Augen halb geschlossen. Wir sitzen eine Weile stumm davor. Dann sagt meine Mutter: „Uwe, du bist immer noch ein schöner Mann.“
Tanja ist ein Schatz. Glücksfall Nummer zwei. Ich sag mal so, bei dir kommt der Wohlfühlfaktor nicht zu kurz.

Und dann redet sie von der grenzenlosen Erleichterung, wenn sie jetzt nachts aufwacht und merkt, dass sie alleine ist.
Gut getroffen. Da schwingt nichts verwerfliches mit, nur des Lesers Empathie entgegen.

„Das kam direkt aus der Kapelle: „Großer Gott, wir loben dich“. Da hat einer in die Tasten gehauen,
Hat mich kurz rausgehauen, weil ich danach zunächst nicht in direkter Rede weiterlas.
Geschmacksfrage, aber könnte man so lösen:
„Das kam direkt aus der Kapelle: 'Großer Gott, wir loben dich'. Da hat einer in die Tasten gehauen, ... “

Vinyl in schicker Holzoptik, leider mit Streifen. Es hat Tage gedauert, bis mein Vater gelernt hat, dass er da nicht drübersteigen muss, dass es nur Farbe ist.
:lol: Klasse!
Schreibtischtäter, ja, ja. Planung trift auf Praxis.

Er mustert sie. „Du bist 'ne Fehlinvestition.“
Damit wird meine Mutter zur Heldin des Tages. Die Pflegerinnen lachen sich kaputt, dass mein Vater gesagt hat, sie ist ne Fehlinvestition.
:D Eben, Lachen ist die beste Medizin. Ein Ventil um Strapazen erträglich werden zu lassen, ohne aber dabei den Respekt für die Bewohner zu verlieren.

Als ich dieses Mal nach Hause fahre, behalte ich ein Bild im Kopf: Das Radio auf der Station ist aufgedreht. Tanja winkt mir von nebenan zu. Mein Vater hält meine Mutter fest, wiegt sich in den Hüften. Sie summt leise mit: „Tanze mit mir in den Morgen ...“
Sehr schöner, wenn gleich auch wehmütiger Schlusspunkt.

Danke Chutney für deine schöne Geschichte, die du mit feiner Feder und lockerem Stil erzählst, obwohl – oder gerade weil das Thema des geistigen Zerfalls im Alter nur schwer zu ertragen ist.

Liebe Grüsse und viel Erfolg bei der Challenge,
dot

 

Hallo @Chutney,

sehr spät habe ich deine Geschichte endlich entdeckt. Gleich zuerst: Ich finde sie wundervoll. Toll erzählt, viele Bilder, mit Liebe beschrieben aber ohne 'Schmalz', feine Beobachtungen, Geschichten lässt du aufleben; alles größtenteils deskriptiv, beinahe keine Bewertungen, keine Erklärungen. Du machst die Personen, die Geschehnisse präsent.
Bin begeistert. Gibt nur wenige Stellen, wo ich dir sagen würde, mach noch was dran.
Das ist, wenn die Erzählerin sich selbst fokussiert oder doch mal bewertet, ich zitiere einige Stellen dazu.

Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie geschimpft hat.
Das ist eine Interpretation. Okay, vielleicht weiß sie das auch, weil die Mutter das dann später so beschrieben hat. Dennoch reicht es und passt auch gut, wenn du es wie vieles andere nur zeigst: Am Ende lobt sie ihn und gibt ihm einen Kuss.
Ich sehe da das 'Wiedergutmachende' drin.
Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht.
Da ist ein selbstfokussierter Kommentar, und zumindest der erste Teil mit dem Weichei -- gefällt mir nicht. Ton-Sache ... wenn, dann sollte das nicht pauschal-abwertend klingen, also 'bin ich nicht stark genug'. Auch, dass die Liebe nicht reicht, ist sehr hart fokussiert und bewertet.

Die Leute riefen: „Ach, der Herr Nilges!“ oder „Uwe!“ oder „Chef!“ Sobald er jedoch zu sprechen begann, schauten sie hilfesuchend zu meiner Mutter. Bis auf das eine Mal, als er klar und deutlich zu einem früheren Kunden sagte: „Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“
Wundervoll erzählt.
Am nächsten Tag kann mein Vater nicht mehr selbstständig essen. Er stochert mit der Gabel neben dem Teller, und wenn er zufällig auf das Kartoffelpüree trifft, schiebt er es über den Rand auf den Tisch. Die leere Gabel führt er zum Mund und kaut. Frau Schmidt guckt sich das eine Weile an, dann sagt sie, dass seine Pflegestufe zu niedrig sei, so wie er esse, und wir schwören, dass es zu Hause noch ging, na ja, besser jedenfalls oder ein bisschen besser.
Oben ein Beispiel, wie gut das erzählt ist. Ohne Kommentierung. Kein 'leider kann er nicht mehr selbstständig essen'; nichts davon, für wie schlimm es die Erzählerin hält, dass er den Teller nicht mehr trifft' oder was das bedeutet; nein, nur erzählt ist das. Und das ist stark.

„Ja, ist schlecht, Sie wissen das doch, wir sind mitten am Umziehen, die ganze Station geht übernächste Woche rüber, da können wir doch jetzt keinen mehr aufnehmen, was meinen Sie, was mir meine Leute erzählen? Wir sind jetzt schon absolut am Limit! ... Was ist denn mit Ihrem Mann, beschreibense den mal. Dement? Bei uns sind alle dement. Inkontinent. Aha. Isser aggressiv? Bestimmt nicht? Läuft er weg? Also, machen Sie sich mal keine übertriebenen Vorstellungen. Wir haben hier nicht die Kapazität, den ganzen Tag Händchen zu halten. Momentan schon mal gar nicht. Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Das Fette ist, nachdem einfach wiedergegeben wird, was die Stationsfrau da sagt, eine Bewertung. Passt nicht rein :)

Er mustert sie. „Du bist 'ne Fehlinvestition.“
Damit wird meine Mutter zur Heldin des Tages. Die Pflegerinnen lachen sich kaputt, dass mein Vater gesagt hat, sie ist ne Fehlinvestition.
Sehr humorvoll und liebevoll erzählt.
„Wissen Sie, was Ihr Vater neulich gebracht hat? Ich komm in das Zimmer, ich denk, ich seh nicht recht: da hat der die Tür zum Badezimmer ausgebaut, fragen Sie mich nicht wie, der Mann ist doch hochgradig sturzgefährdet. Der hat die Tür fachgerecht auf dem Boden abgelegt und saß so auf dem Bett, wissen Sie, ja, so mit übergeschlagenen Beinen, so ein bisschen erschöpft vielleicht. Ich hab gesagt: ‚Um Gottes willen, Herr Nilges, wie haben Sie das denn gemacht? Geht’s Ihnen gut?‘ Der hatte tatsächlich nur so eine kleine rote Stelle oben auf dem Fuß. Meine Güte, das sind ja keine nullachtfuffzehn Türen, die sind extra breit für die Rollstühle. Ich und die Smilla, wir haben zu zweit eine halbe Stunde rumgefummelt, um die Tür da wieder reinzukriegen! Wissen Sie das noch, Herr Nilges? Wo Sie die Tür ausgehängt haben?“
Er schmunzelt, vielleicht weil alle ihn ansehen und lachen, aber er hat schon wieder mit einem Auge die Fußleisten im Blick.
Einfach die ganze Szene lebendig geschildert, ohne irgendetwas Überflüssigen dranzuhängen.

Früher habe ich meinen Vater abends manchmal auf seiner Fahrradtour begleitet. Ich war in der Grundschule und hätte einiges zu erzählen gehabt, aber er musste sich den ganzen Tag schon genug von den Kunden anhören, also träumte ich vor mich hin und trat in die Pedale. Oft landeten wir bei einem Rohbau, noch ohne Fenster und Türen, liefen außen um das Haus herum und drinnen über nackten Beton und natürlich stand hier auch der Kunde herum, hocherfreut, dass mein Vater sich nach Feierabend ein Bild von dem Projekt machte. Sie quatschten sich fest und ich stand gepestet daneben und beschloss, nie mehr diese blöden Fahrradtouren mitzumachen. Als ich dieses Mal nach Hause fahre, behalte ich ein Bild im Kopf: Das Radio auf der Station ist aufgedreht. Tanja winkt mir von nebenan zu. Mein Vater hält meine Mutter fest, wiegt sich in den Hüften. Sie summt leise mit: „Tanze mit mir in den Morgen ...“
Ja. Schön. Vielleicht ist der letzte Satz bissl zu viel. Vielleicht wäre 'prosaischer' oder schlichter stärker, passt besser: Dass sie miteinander tanzen. Nur dieses Bild Das mit der gesummten Melodie trägt eine Spur zu viel auf mit dem 'Tanze in den Morgen'.

Insgesamt kann ich dir sagen: Chapeau! Toll!

Gruß von Flac

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom