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Neue Fenster
Der Sessel meines Vaters ist mit braunem Leder bezogen. Da, wo sein Kopf liegt, während er vor dem Fernseher schläft, hat es sich dunkel verfärbt. Meine Mutter ärgert sich über die speckige Stelle, überhaupt ist die Garnitur, die mal edel und teuer war, ziemlich schäbig inzwischen. Aber mein Vater hat sich allen Versuchen widersetzt, etwas Neues anzuschaffen, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt. Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Mein Vater ist grau im Gesicht, was nicht verwunderlich ist, da er in den letzten sechs Wochen höchstens anderthalb Stunden am Stück geschlafen hat, genau wie meine Mutter, deren Stimme am Telefon in dieser Zeit trocken und alt geworden ist. Vor einem Vierteljahr noch sagte sie: „Na ja, wenn es so bleibt, bin ich ganz zufrieden.“ Es ist nicht so geblieben. Auf seiner Stirn die Kruste einer Wunde. Vor ein paar Tagen ist er über eine Teppichkante gestolpert, er fängt sich schon lange nicht mehr ab. Das Haus meiner Eltern hat steile Treppen.
Mein Vater vertraut mir, als wir aus der Tür gehen. Er vertraut mir auch, als ich ihn zum Auto führe, in das er nach einem kurzen Moment der Konzentration in einem Schwung einsteigt. Er nestelt am Gurt, und ich greife um ihn herum, um ihn anzuschnallen.
Meine Mutter quält sich auf den Rücksitz. Die Verzweiflung der letzten Wochen ist ihr in den Rücken gefahren. Eine falsche Bewegung, und es sticht „wie ein Messer“. Eine falsche Bewegung ist schnell gemacht, wenn man versucht, einem alten Mann den Schlafanzug anzuziehen.
„Uwe, nur den Fuß hoch, versuch doch mal, einmal den Fuß hoch, guck mal, das geht ganz schnell, gestern hat das doch ganz toll geklappt, du kannst das doch, eins – zwei - drei und hoch den Fuß! - Uwe, die Hose muss doch … , ach Uwe, nun streng dich doch mal ein bisschen an, au, Moment, ich muss mich mal strecken, wir probieren es gleich noch mal – ach, da ist er ja, der Fuß, prima, warte, ich komm mit der Hose, bleib so, nein ... Warte! Willst du hier die ganze Nacht … komm, wir wollen doch ins Bett … Wenn du jetzt nicht den Fuß hoch nimmst, rufe ich die POLIZEI! … ach Blödsinn, nein, ich habe nur einen Witz gemacht, das war nur ein Witz! Uwe, nun mach doch ein bisschen mit!“
Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie geschimpft hat. Dann hilft sie ihm ins Bett. Wenn sie nicht aufpasst, liegt er zu tief und weiß nicht mehr, welche Bewegungen er machen muss, um sich hoch zu schieben. Aber zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen, steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
Ich weiß das alles, weil ich drei Nächte im Zimmer meiner Eltern geschlafen habe. Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht. Jedenfalls habe ich gestern nach der zweiten Nacht mit meiner Mutter die Heime abgeklappert.
In unserem Wunsch-Heim haben wir bei der Leiterin im Büro gehockt. Frau Schmidt, die Stationspflegerin wurde hinzugezogen, blieb in der Tür stehen, die Arme verschränkt.
„Ja, ist schlecht, Sie wissen das doch, wir sind mitten am Umziehen, die ganze Station geht übernächste Woche rüber, da können wir doch jetzt keinen mehr aufnehmen, was meinen Sie, was mir meine Leute erzählen? Wir sind jetzt schon absolut am Limit! ... Was ist denn mit Ihrem Mann, beschreibense den mal. Dement? Bei uns sind alle dement. Inkontinent. Aha. Isser aggressiv? Bestimmt nicht? Läuft er weg? Also, machen Sie sich mal keine übertriebenen Vorstellungen. Wir haben hier nicht die Kapazität, den ganzen Tag Händchen zu halten. Momentan schon mal gar nicht. Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Später, auf der Straße, gluckste meine Mutter neben mir. „Meine Güte, was hast du auf die Tränendrüse gedrückt, sogar meinen Krebs hast du ins Feld geworfen, das ist doch Jahre her.“
„Fünf“, sagte ich. Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören? Und ich dachte, dass das wahrscheinlich meine Kernkompetenz bei dem Ganzen ist, im rechten Moment herumzuheulen. Jedenfalls dürfen wir ihn heute schon bringen.
Vor einem halben Jahr lief mein Vater gerne am Arm meiner Mutter durch die Stadt, wandelte auf seinen eigenen Spuren, wies auf Wohnungen, Häuser, in denen seine Gesellen Fenster eingesetzt hatten, Treppenhäuser gestrichen, Fassaden verputzt. Noch früher hätte er gesagt: „Da haben wir auch mal was gemacht.“ Wenn er jemanden sah, den er kannte, blieb er stehen und lächelte liebenswürdig. Die Leute riefen: „Ach, der Herr Nilges!“ oder „Uwe!“ oder „Chef!“ Sobald er jedoch zu sprechen begann, schauten sie hilfesuchend zu meiner Mutter. Bis auf das eine Mal, als er klar und deutlich zu einem früheren Kunden sagte: „Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“
Als wir mit meinem Vater vor dem Heim stehen, zupft meine Mutter noch einmal seine Jacke gerade, richtet den Kragen. Wir nehmen ihn in die Mitte und gehen durch die Schiebetür. Zuhause haben wir versucht, meinem Vater zu erklären, dass wir jetzt in ein Heim fahren, weil es so nicht weitergeht und dass damit allen geholfen wird. Er hat etwas gemurmelt. Er war nie ein großer Redner, aber jetzt ist er fast nicht mehr zu verstehen. Er beginnt Sätze, stockt, und schaut hilfesuchend.
Vor den Aufzügen kommt uns Frau Schmidt entgegen. Ich denke nur: Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm! Meine Mutter lächelt genauso angestrengt wie ich.
Frau Schmidts Stimme ist ganz sanft, als sie ihn begrüßt.
Mein Vater fasst sie lange ins Auge, sehr lange.
Sie wartet.
Dann grüßt er zurück.
Ich ziehe meinem Vater die Hausschuhe an. Er schüttelt den Kopf, zieht den Fuß zurück und ich bemühe mich um einen aufmunternden Krankenschwesterton. Er versucht mir etwas zu sagen, schaut mich eindringlich an, und ich nicke. Ob er vielleicht jetzt gerade verstanden hat, dass er hier bleiben muss? Plötzlich schießen mir die Tränen in die Augen. Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.
Sein Zimmergenosse liegt im Bett. Die Pflegerin hat uns zugeflüstert, dass ihm nur noch wenige Wochen bleiben. Als wir die Sachen meines Vaters in die Schränke räumen, verfolgt der Mann jede unserer Bewegungen mit den Augen. Ein Lächeln ist ihm nicht zu entlocken. Mein Vater ist nicht unbedingt ein Gewinn für ihn, denn er läuft herum, steht unten bei ihm am Fußende, hebt die Bettdecke hoch und beguckt sich interessiert seine Füße, öffnet alle Schränke, steht dann wieder vor seinem Bett und schaut ihn an, zutiefst verwundert darüber, dass dieser fremde Mann ihn so anschreit. Meine Mutter macht sich daran, das Herz des Sterbenden mit Lindt-Schokolade und liebevoller Zuwendung zu gewinnen.
In ihrer Handtasche trägt sie ein altes Teekännchen aus Glas mit sich herum. Sie hat den Trick zu Hause selber erfunden. Wenn mein Vater an seinem Gürtel nestelt, schiebt sie ihn ins Bad, zieht schnell seine Hose herunter und hält das Teekännchen unter, denn bis meinem Vater wieder eingefallen ist, wie man sich hinsetzt, ist es meist zu spät. Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Während mein Vater beim Abendessen sitzt, schleichen wir uns weg. Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er durch die Flure irrt.
Am nächsten Tag kann mein Vater nicht mehr selbstständig essen. Er stochert mit der Gabel neben dem Teller, und wenn er zufällig auf das Kartoffelpüree trifft, schiebt er es über den Rand auf den Tisch. Die leere Gabel führt er zum Mund und kaut. Frau Schmidt guckt sich das eine Weile an, dann sagt sie, dass seine Pflegestufe zu niedrig sei, so wie er esse, und wir schwören, dass es zu Hause noch ging, na ja, besser jedenfalls oder ein bisschen besser.
Später, als wir am Stationszimmer vorbeigehen, hören wir Streit, die Pflegerinnen vorwurfsvoll, „der arme Mann“, Frau Schmidt immer lauter werdend. Bis sie uns sehen und verstummen.
An diesem Tag bleiben wir noch länger als gestern, bis nach dem Abendbrot. Mein Vater geht tief gebeugt, seine Schulter hängt zu einer Seite. Er läuft und läuft durch die dunklen Flure der alten Station, in denen sich Möbel stapeln, die mit Plastik überzogen sind. Hinter einer Tür hört man lautes Klagen, mein Vater ändert sofort die Richtung. Beim Dienstzimmer begegnen wir Tanja, der jungen Pflegerin mit den Dreads. Sie flüstert uns zu: „Gehen Sie ruhig. Dafür sind wir doch da.“ Dann strahlt sie ihn an, hakt sich bei ihm ein: „Nicht Herr Nilges? Wir beide machen das schon! Kommen Sie, wir gehen mal dem Patrick helfen, der sucht die Klamotten von der Frau Danjes.“ Zum ersten Mal an diesem Tag lächelt er.
Tanja ist es auch, die meinen Vater am nächsten Tag rettet, als er Verstopfung hat. Unnütz und mitleidend sitzen wir auf dem Sofa im Aufenthaltsraum, bis Tanja endlich aus der Tür geschossen kommt und beide Daumen in die Luft reckt. Im Zimmer liegt mein Vater erschöpft auf dem Bett, die Augen halb geschlossen. Wir sitzen eine Weile stumm davor. Dann sagt meine Mutter: „Uwe, du bist immer noch ein schöner Mann.“
Morgens und nachmittags gehen wir ins Heim und in der restlichen Zeit redet meine Mutter über meinen Vater. Sie erzählt wieder vom letzten, verunglückten Urlaub, wo er die Hotelzimmertür nicht gefunden hat, Fieber bekam und sie ihm vor dem Einschlafen „Lalelu“ vorgesungen hat. „Und dann hat er auf einmal ganz leise mitgesungen“, sagt sie. Sie springt noch weiter zurück, wie sie ihn nachts gerüttelt hat, wenn er im Schlaf schrie und stöhnte. Nie hat er verraten, was er geträumt hat. Sie wiederholt, dass er genau der richtige Mann für sie war. Und dann redet sie von der grenzenlosen Erleichterung, wenn sie jetzt nachts aufwacht und merkt, dass sie alleine ist.
Schließlich sitze ich wieder im Zug mit wehem Gefühl und entschlossen, bald wiederzukommen.
Täglich rufe ich meine Mutter an und hoffe, dass sie sagt, dass er ganz zufrieden ist und dass er sich immer wohler fühlt. Stattdessen baut mein Vater weiter ab. Er läuft immer schlechter, ein Rollstuhl wird ins Auge gefasst.
Einmal aber erzählt sie, dass sie unten im Flur Musik gehört haben. „Das kam direkt aus der Kapelle, 'Großer Gott, wir loben dich', da hat einer in die Tasten gehauen, aber so richtig mit Schmackes! Als wir um die Ecke geguckt haben, waren da nur ein Mann und eine Frau, er an so einer Tischorgel und sie im Rollstuhl davor. Da haben wir uns ganz leise hingesetzt und ein bisschen zugehört. Und als er fertig war, hat dein Vater auf einmal geklatscht. Also, ich war ganz begeistert. Der Mann hat gesagt, er kommt jeden Tag dahin und spielt seiner Frau etwas vor. Aber die Frau ist wirklich schlecht dran, sie hängt nur im Stuhl und guckt immer geradeaus. Ich hab ihm geholfen, sie wieder ordentlich hinzusetzen, und dann hat er gemeint, sie haben da so eine kleine Clique am Eingang, wo die Tische stehen, ob wir nicht mal dazukommen wollen. Mal gucken, ob ich deinen Vater dazu kriege, der ist ja immer so unruhig. “
Als ich nach einigen Wochen wiederkomme, trägt mein Vater einen Helm, der unter dem Kinn mit einem Klickverschluss befestigt wird. Er reißt die Arme hoch, stolpert mir entgegen. Wie zerbrechlich er sich anfühlt. Wir haken uns bei ihm ein.
Die neue Station riecht schwach nach Kindheit, nach unserer Werkstatt, nach Wandfarbe und Lösungsmittel. Damals trug mein Vater einen weißen Kittel, in dem ein Kugelschreiber steckte, und saß an einem Schreibtisch übersät mit Zetteln, deren System nur er verstand, und er hatte eine Süßigkeitenschublade, aus der sich die Verkäuferinnen heimlich bedienten. Jetzt liegt ein großer Zettel auf seinem Nachttisch, auf dem die Zeiten stehen, wann meine Mutter kommt.
Im Gemeinschaftsraum ein Küchenblock. Meine Mutter erklärt, die Bewohner sollen das Klappern der Töpfe hören und angebratene Würstchen riechen, jedenfalls die, die noch riechen können.
Hinter dem Tresen bereitet eine Frau das Abendessen vor. Sie zwinkert meinem Vater zu, der sofort zu ihr abbiegt und von ihr eine zusammengerollte Scheibe Fleischwurst zugesteckt bekommt. „Und Sie sind die Tochter!“, ruft sie. „Wie schön, da freut Ihr Vater sich!“ Dann erzählt sie, wie sie vor Rührung geweint hat, als die Grundschulkinder neulich gesungen haben und mein Vater hätte auch geweint, „nicht, Herr Nilges, wir haben beide geweint“, und sie schauen sich an und haben beide sofort wieder Tränen in den Augen. Später erzählt meine Mutter, dass Ilanas Eltern auch alt sind und in Bulgarien leben. Sie wollen Ilana nicht fortlassen, wenn ihr Urlaub vorbei ist.
Der Aufenthaltsraum ist gut besucht, an den Tischen sitzen Bewohner und Angehörige. Mein Vater grüßt höflich, nimmt aber wenig Notiz von ihnen, im Gegensatz zu meiner Mutter, die bereits jede einzelne Lebensgeschichte kennt.
Meinen Vater hingegen zieht es in den Flur. Dort bleibt er am ersten Fenster stehen. Fährt mit den Fingern die Dichtung entlang und schaut meine Mutter an. Sie wirft mir einen Blick zu, greift in ihre Handtasche und reicht ihm einen Zollstock. Er fasst erneut das Fenster ins Auge, schnalzt mit der Zunge, klappt den Zollstock auf und zu, fährt wieder die Dichtung entlang, die Finger zittern ein bisschen. Er nimmt sich ein Fenster nach dem anderen vor. Meine Mutter lehnt neben ihm, schaut hinaus, zeigt mir unten den neu gebauten „Sinnesgarten“. Vorher war hier ein kleiner Park, dort ist der Neubau hingekommen, in dem wir jetzt stehen. In dem übrig gebliebenen Grün hat man eine Spirale mit Handlauf gebaut, die Pflanzen sind noch klein. Mein Vater ächzt leise.
Ein Pfleger kommt vorbei: „Na, Chef, bei der Arbeit?“
Bis mein Vater sich umgedreht hat, ist er schon drei Zimmer weiter, verschwindet gerade hinter einer Kurve. Egal wo man entlang läuft, man landet immer im großen Aufenthaltsraum. Nur beim Fußboden haben sie nicht nachgedacht, sagt meine Mutter. Vinyl in schicker Holzoptik, leider mit Streifen. Es hat Tage gedauert, bis mein Vater gelernt hat, dass er da nicht drübersteigen muss, dass es nur Farbe ist. Jetzt klappt er den Zollstock zu, fährt sorgfältig mit dem Finger an der Dichtung entlang, kehrt zu dem Fenster davor zurück, misst, murmelt.
Meine Mutter zupft an seinem Ärmel. „Guck mal, die Hanna ist zu Besuch und wir stehen uns hier langsam die Beine in den Bauch. Du hast das Fenster doch jetzt schon dreimal überprüft, meinst du nicht, dass es mal reicht?“
Er mustert sie. „Du bist 'ne Fehlinvestition.“
Damit wird meine Mutter zur Heldin des Tages. Die Pflegerinnen lachen sich kaputt, dass mein Vater gesagt hat, sie ist ne Fehlinvestition.
„Wissen Sie, was Ihr Vater neulich gebracht hat? Ich komm in das Zimmer, ich denk, ich seh nicht recht: da hat der die Tür zum Badezimmer ausgebaut, fragen Sie mich nicht wie, der Mann ist doch hochgradig sturzgefährdet. Der hat die Tür fachgerecht auf dem Boden abgelegt und saß so auf dem Bett, wissen Sie, ja, so mit übergeschlagenen Beinen, so ein bisschen erschöpft vielleicht. Ich hab gesagt: ‚Um Gottes willen, Herr Nilges, wie haben Sie das denn gemacht? Geht’s Ihnen gut?‘ Der hatte tatsächlich nur so eine kleine rote Stelle oben auf dem Fuß. Meine Güte, das sind ja keine nullachtfuffzehn Türen, die sind extra breit für die Rollstühle. Ich und die Smilla, wir haben zu zweit eine halbe Stunde rumgefummelt, um die Tür da wieder reinzukriegen! Wissen Sie das noch, Herr Nilges? Wo Sie die Tür ausgehängt haben?“
Er schmunzelt, vielleicht weil alle ihn ansehen und lachen, aber er hat schon wieder mit einem Auge die Fußleisten im Blick.
Früher habe ich meinen Vater abends manchmal auf seiner Fahrradtour begleitet. Ich war in der Grundschule und hätte einiges zu erzählen gehabt, aber er musste sich den ganzen Tag schon genug von den Kunden anhören, also träumte ich vor mich hin und trat in die Pedale. Oft landeten wir bei einem Rohbau, noch ohne Fenster und Türen, liefen außen um das Haus herum und drinnen über nackten Beton und natürlich stand hier auch der Kunde herum, hocherfreut, dass mein Vater sich nach Feierabend ein Bild von dem Projekt machte. Sie quatschten sich fest und ich stand gepestet daneben und beschloss, nie mehr diese blöden Fahrradtouren mitzumachen.
Als ich dieses Mal nach Hause fahre, behalte ich ein Bild im Kopf: Das Radio auf der Station ist aufgedreht. Tanja winkt mir von nebenan zu. Mein Vater hält meine Mutter fest, wiegt sich in den Hüften. Sie summt leise mit: „Tanze mit mir in den Morgen ...“