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Challenge 1. Platz
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07.09.2014
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Neue Fenster

Der Sessel meines Vaters ist mit braunem Leder bezogen. Da, wo sein Kopf liegt, während er vor dem Fernseher schläft, hat es sich dunkel verfärbt. Meine Mutter ärgert sich über die speckige Stelle, überhaupt ist die Garnitur, die mal edel und teuer war, ziemlich schäbig inzwischen. Aber mein Vater hat sich allen Versuchen widersetzt, etwas Neues anzuschaffen, so dass meine Mutter ein Spitzendeckchen besorgte und es über die Stelle legt, wenn mein Vater nicht dort sitzt. Heute sitzt er dort. Er sitzt zum letzten Mal in diesem Sessel, und er weiß es nicht. Ich weiß es, denn ich werde diejenige sein, die ihm aus diesem Sessel hochhelfen wird.
Mein Vater ist grau im Gesicht, was nicht verwunderlich ist, da er in den letzten sechs Wochen höchstens anderthalb Stunden am Stück geschlafen hat, genau wie meine Mutter, deren Stimme am Telefon in dieser Zeit trocken und alt geworden ist. Vor einem Vierteljahr noch sagte sie: „Na ja, wenn es so bleibt, bin ich ganz zufrieden.“ Es ist nicht so geblieben. Auf seiner Stirn die Kruste einer Wunde. Vor ein paar Tagen ist er über eine Teppichkante gestolpert, er fängt sich schon lange nicht mehr ab. Das Haus meiner Eltern hat steile Treppen.
Mein Vater vertraut mir, als wir aus der Tür gehen. Er vertraut mir auch, als ich ihn zum Auto führe, in das er nach einem kurzen Moment der Konzentration in einem Schwung einsteigt. Er nestelt am Gurt, und ich greife um ihn herum, um ihn anzuschnallen.
Meine Mutter quält sich auf den Rücksitz. Die Verzweiflung der letzten Wochen ist ihr in den Rücken gefahren. Eine falsche Bewegung, und es sticht „wie ein Messer“. Eine falsche Bewegung ist schnell gemacht, wenn man versucht, einem alten Mann den Schlafanzug anzuziehen.
„Uwe, nur den Fuß hoch, versuch doch mal, einmal den Fuß hoch, guck mal, das geht ganz schnell, gestern hat das doch ganz toll geklappt, du kannst das doch, eins – zwei - drei und hoch den Fuß! - Uwe, die Hose muss doch … , ach Uwe, nun streng dich doch mal ein bisschen an, au, Moment, ich muss mich mal strecken, wir probieren es gleich noch mal – ach, da ist er ja, der Fuß, prima, warte, ich komm mit der Hose, bleib so, nein ... Warte! Willst du hier die ganze Nacht … komm, wir wollen doch ins Bett … Wenn du jetzt nicht den Fuß hoch nimmst, rufe ich die POLIZEI! … ach Blödsinn, nein, ich habe nur einen Witz gemacht, das war nur ein Witz! Uwe, nun mach doch ein bisschen mit!“
Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie geschimpft hat. Dann hilft sie ihm ins Bett. Wenn sie nicht aufpasst, liegt er zu tief und weiß nicht mehr, welche Bewegungen er machen muss, um sich hoch zu schieben. Aber zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen, steht vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür, drückt die Klinke, wartet, drückt wieder, seine Silhouette stille Ratlosigkeit.
Ich weiß das alles, weil ich drei Nächte im Zimmer meiner Eltern geschlafen habe. Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht. Jedenfalls habe ich gestern nach der zweiten Nacht mit meiner Mutter die Heime abgeklappert.

In unserem Wunsch-Heim haben wir bei der Leiterin im Büro gehockt. Frau Schmidt, die Stationspflegerin wurde hinzugezogen, blieb in der Tür stehen, die Arme verschränkt.
„Ja, ist schlecht, Sie wissen das doch, wir sind mitten am Umziehen, die ganze Station geht übernächste Woche rüber, da können wir doch jetzt keinen mehr aufnehmen, was meinen Sie, was mir meine Leute erzählen? Wir sind jetzt schon absolut am Limit! ... Was ist denn mit Ihrem Mann, beschreibense den mal. Dement? Bei uns sind alle dement. Inkontinent. Aha. Isser aggressiv? Bestimmt nicht? Läuft er weg? Also, machen Sie sich mal keine übertriebenen Vorstellungen. Wir haben hier nicht die Kapazität, den ganzen Tag Händchen zu halten. Momentan schon mal gar nicht. Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Später, auf der Straße, gluckste meine Mutter neben mir. „Meine Güte, was hast du auf die Tränendrüse gedrückt, sogar meinen Krebs hast du ins Feld geworfen, das ist doch Jahre her.“
„Fünf“, sagte ich. Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören? Und ich dachte, dass das wahrscheinlich meine Kernkompetenz bei dem Ganzen ist, im rechten Moment herumzuheulen. Jedenfalls dürfen wir ihn heute schon bringen.

Vor einem halben Jahr lief mein Vater gerne am Arm meiner Mutter durch die Stadt, wandelte auf seinen eigenen Spuren, wies auf Wohnungen, Häuser, in denen seine Gesellen Fenster eingesetzt hatten, Treppenhäuser gestrichen, Fassaden verputzt. Noch früher hätte er gesagt: „Da haben wir auch mal was gemacht.“ Wenn er jemanden sah, den er kannte, blieb er stehen und lächelte liebenswürdig. Die Leute riefen: „Ach, der Herr Nilges!“ oder „Uwe!“ oder „Chef!“ Sobald er jedoch zu sprechen begann, schauten sie hilfesuchend zu meiner Mutter. Bis auf das eine Mal, als er klar und deutlich zu einem früheren Kunden sagte: „Wegen Ihnen war ich mal sehr traurig. Sie haben die Rechnung nicht bezahlt.“

Als wir mit meinem Vater vor dem Heim stehen, zupft meine Mutter noch einmal seine Jacke gerade, richtet den Kragen. Wir nehmen ihn in die Mitte und gehen durch die Schiebetür. Zuhause haben wir versucht, meinem Vater zu erklären, dass wir jetzt in ein Heim fahren, weil es so nicht weitergeht und dass damit allen geholfen wird. Er hat etwas gemurmelt. Er war nie ein großer Redner, aber jetzt ist er fast nicht mehr zu verstehen. Er beginnt Sätze, stockt, und schaut hilfesuchend.
Vor den Aufzügen kommt uns Frau Schmidt entgegen. Ich denke nur: Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm! Meine Mutter lächelt genauso angestrengt wie ich.
Frau Schmidts Stimme ist ganz sanft, als sie ihn begrüßt.
Mein Vater fasst sie lange ins Auge, sehr lange.
Sie wartet.
Dann grüßt er zurück.

Ich ziehe meinem Vater die Hausschuhe an. Er schüttelt den Kopf, zieht den Fuß zurück und ich bemühe mich um einen aufmunternden Krankenschwesterton. Er versucht mir etwas zu sagen, schaut mich eindringlich an, und ich nicke. Ob er vielleicht jetzt gerade verstanden hat, dass er hier bleiben muss? Plötzlich schießen mir die Tränen in die Augen. Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.

Sein Zimmergenosse liegt im Bett. Die Pflegerin hat uns zugeflüstert, dass ihm nur noch wenige Wochen bleiben. Als wir die Sachen meines Vaters in die Schränke räumen, verfolgt der Mann jede unserer Bewegungen mit den Augen. Ein Lächeln ist ihm nicht zu entlocken. Mein Vater ist nicht unbedingt ein Gewinn für ihn, denn er läuft herum, steht unten bei ihm am Fußende, hebt die Bettdecke hoch und beguckt sich interessiert seine Füße, öffnet alle Schränke, steht dann wieder vor seinem Bett und schaut ihn an, zutiefst verwundert darüber, dass dieser fremde Mann ihn so anschreit. Meine Mutter macht sich daran, das Herz des Sterbenden mit Lindt-Schokolade und liebevoller Zuwendung zu gewinnen.
In ihrer Handtasche trägt sie ein altes Teekännchen aus Glas mit sich herum. Sie hat den Trick zu Hause selber erfunden. Wenn mein Vater an seinem Gürtel nestelt, schiebt sie ihn ins Bad, zieht schnell seine Hose herunter und hält das Teekännchen unter, denn bis meinem Vater wieder eingefallen ist, wie man sich hinsetzt, ist es meist zu spät. Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Während mein Vater beim Abendessen sitzt, schleichen wir uns weg. Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er durch die Flure irrt.

Am nächsten Tag kann mein Vater nicht mehr selbstständig essen. Er stochert mit der Gabel neben dem Teller, und wenn er zufällig auf das Kartoffelpüree trifft, schiebt er es über den Rand auf den Tisch. Die leere Gabel führt er zum Mund und kaut. Frau Schmidt guckt sich das eine Weile an, dann sagt sie, dass seine Pflegestufe zu niedrig sei, so wie er esse, und wir schwören, dass es zu Hause noch ging, na ja, besser jedenfalls oder ein bisschen besser.
Später, als wir am Stationszimmer vorbeigehen, hören wir Streit, die Pflegerinnen vorwurfsvoll, „der arme Mann“, Frau Schmidt immer lauter werdend. Bis sie uns sehen und verstummen.
An diesem Tag bleiben wir noch länger als gestern, bis nach dem Abendbrot. Mein Vater geht tief gebeugt, seine Schulter hängt zu einer Seite. Er läuft und läuft durch die dunklen Flure der alten Station, in denen sich Möbel stapeln, die mit Plastik überzogen sind. Hinter einer Tür hört man lautes Klagen, mein Vater ändert sofort die Richtung. Beim Dienstzimmer begegnen wir Tanja, der jungen Pflegerin mit den Dreads. Sie flüstert uns zu: „Gehen Sie ruhig. Dafür sind wir doch da.“ Dann strahlt sie ihn an, hakt sich bei ihm ein: „Nicht Herr Nilges? Wir beide machen das schon! Kommen Sie, wir gehen mal dem Patrick helfen, der sucht die Klamotten von der Frau Danjes.“ Zum ersten Mal an diesem Tag lächelt er.
Tanja ist es auch, die meinen Vater am nächsten Tag rettet, als er Verstopfung hat. Unnütz und mitleidend sitzen wir auf dem Sofa im Aufenthaltsraum, bis Tanja endlich aus der Tür geschossen kommt und beide Daumen in die Luft reckt. Im Zimmer liegt mein Vater erschöpft auf dem Bett, die Augen halb geschlossen. Wir sitzen eine Weile stumm davor. Dann sagt meine Mutter: „Uwe, du bist immer noch ein schöner Mann.“

Morgens und nachmittags gehen wir ins Heim und in der restlichen Zeit redet meine Mutter über meinen Vater. Sie erzählt wieder vom letzten, verunglückten Urlaub, wo er die Hotelzimmertür nicht gefunden hat, Fieber bekam und sie ihm vor dem Einschlafen „Lalelu“ vorgesungen hat. „Und dann hat er auf einmal ganz leise mitgesungen“, sagt sie. Sie springt noch weiter zurück, wie sie ihn nachts gerüttelt hat, wenn er im Schlaf schrie und stöhnte. Nie hat er verraten, was er geträumt hat. Sie wiederholt, dass er genau der richtige Mann für sie war. Und dann redet sie von der grenzenlosen Erleichterung, wenn sie jetzt nachts aufwacht und merkt, dass sie alleine ist.

Schließlich sitze ich wieder im Zug mit wehem Gefühl und entschlossen, bald wiederzukommen.
Täglich rufe ich meine Mutter an und hoffe, dass sie sagt, dass er ganz zufrieden ist und dass er sich immer wohler fühlt. Stattdessen baut mein Vater weiter ab. Er läuft immer schlechter, ein Rollstuhl wird ins Auge gefasst.
Einmal aber erzählt sie, dass sie unten im Flur Musik gehört haben. „Das kam direkt aus der Kapelle, 'Großer Gott, wir loben dich', da hat einer in die Tasten gehauen, aber so richtig mit Schmackes! Als wir um die Ecke geguckt haben, waren da nur ein Mann und eine Frau, er an so einer Tischorgel und sie im Rollstuhl davor. Da haben wir uns ganz leise hingesetzt und ein bisschen zugehört. Und als er fertig war, hat dein Vater auf einmal geklatscht. Also, ich war ganz begeistert. Der Mann hat gesagt, er kommt jeden Tag dahin und spielt seiner Frau etwas vor. Aber die Frau ist wirklich schlecht dran, sie hängt nur im Stuhl und guckt immer geradeaus. Ich hab ihm geholfen, sie wieder ordentlich hinzusetzen, und dann hat er gemeint, sie haben da so eine kleine Clique am Eingang, wo die Tische stehen, ob wir nicht mal dazukommen wollen. Mal gucken, ob ich deinen Vater dazu kriege, der ist ja immer so unruhig. “

Als ich nach einigen Wochen wiederkomme, trägt mein Vater einen Helm, der unter dem Kinn mit einem Klickverschluss befestigt wird. Er reißt die Arme hoch, stolpert mir entgegen. Wie zerbrechlich er sich anfühlt. Wir haken uns bei ihm ein.
Die neue Station riecht schwach nach Kindheit, nach unserer Werkstatt, nach Wandfarbe und Lösungsmittel. Damals trug mein Vater einen weißen Kittel, in dem ein Kugelschreiber steckte, und saß an einem Schreibtisch übersät mit Zetteln, deren System nur er verstand, und er hatte eine Süßigkeitenschublade, aus der sich die Verkäuferinnen heimlich bedienten. Jetzt liegt ein großer Zettel auf seinem Nachttisch, auf dem die Zeiten stehen, wann meine Mutter kommt.
Im Gemeinschaftsraum ein Küchenblock. Meine Mutter erklärt, die Bewohner sollen das Klappern der Töpfe hören und angebratene Würstchen riechen, jedenfalls die, die noch riechen können.
Hinter dem Tresen bereitet eine Frau das Abendessen vor. Sie zwinkert meinem Vater zu, der sofort zu ihr abbiegt und von ihr eine zusammengerollte Scheibe Fleischwurst zugesteckt bekommt. „Und Sie sind die Tochter!“, ruft sie. „Wie schön, da freut Ihr Vater sich!“ Dann erzählt sie, wie sie vor Rührung geweint hat, als die Grundschulkinder neulich gesungen haben und mein Vater hätte auch geweint, „nicht, Herr Nilges, wir haben beide geweint“, und sie schauen sich an und haben beide sofort wieder Tränen in den Augen. Später erzählt meine Mutter, dass Ilanas Eltern auch alt sind und in Bulgarien leben. Sie wollen Ilana nicht fortlassen, wenn ihr Urlaub vorbei ist.
Der Aufenthaltsraum ist gut besucht, an den Tischen sitzen Bewohner und Angehörige. Mein Vater grüßt höflich, nimmt aber wenig Notiz von ihnen, im Gegensatz zu meiner Mutter, die bereits jede einzelne Lebensgeschichte kennt.
Meinen Vater hingegen zieht es in den Flur. Dort bleibt er am ersten Fenster stehen. Fährt mit den Fingern die Dichtung entlang und schaut meine Mutter an. Sie wirft mir einen Blick zu, greift in ihre Handtasche und reicht ihm einen Zollstock. Er fasst erneut das Fenster ins Auge, schnalzt mit der Zunge, klappt den Zollstock auf und zu, fährt wieder die Dichtung entlang, die Finger zittern ein bisschen. Er nimmt sich ein Fenster nach dem anderen vor. Meine Mutter lehnt neben ihm, schaut hinaus, zeigt mir unten den neu gebauten „Sinnesgarten“. Vorher war hier ein kleiner Park, dort ist der Neubau hingekommen, in dem wir jetzt stehen. In dem übrig gebliebenen Grün hat man eine Spirale mit Handlauf gebaut, die Pflanzen sind noch klein. Mein Vater ächzt leise.
Ein Pfleger kommt vorbei: „Na, Chef, bei der Arbeit?“
Bis mein Vater sich umgedreht hat, ist er schon drei Zimmer weiter, verschwindet gerade hinter einer Kurve. Egal wo man entlang läuft, man landet immer im großen Aufenthaltsraum. Nur beim Fußboden haben sie nicht nachgedacht, sagt meine Mutter. Vinyl in schicker Holzoptik, leider mit Streifen. Es hat Tage gedauert, bis mein Vater gelernt hat, dass er da nicht drübersteigen muss, dass es nur Farbe ist. Jetzt klappt er den Zollstock zu, fährt sorgfältig mit dem Finger an der Dichtung entlang, kehrt zu dem Fenster davor zurück, misst, murmelt.
Meine Mutter zupft an seinem Ärmel. „Guck mal, die Hanna ist zu Besuch und wir stehen uns hier langsam die Beine in den Bauch. Du hast das Fenster doch jetzt schon dreimal überprüft, meinst du nicht, dass es mal reicht?“
Er mustert sie. „Du bist 'ne Fehlinvestition.“
Damit wird meine Mutter zur Heldin des Tages. Die Pflegerinnen lachen sich kaputt, dass mein Vater gesagt hat, sie ist ne Fehlinvestition.
„Wissen Sie, was Ihr Vater neulich gebracht hat? Ich komm in das Zimmer, ich denk, ich seh nicht recht: da hat der die Tür zum Badezimmer ausgebaut, fragen Sie mich nicht wie, der Mann ist doch hochgradig sturzgefährdet. Der hat die Tür fachgerecht auf dem Boden abgelegt und saß so auf dem Bett, wissen Sie, ja, so mit übergeschlagenen Beinen, so ein bisschen erschöpft vielleicht. Ich hab gesagt: ‚Um Gottes willen, Herr Nilges, wie haben Sie das denn gemacht? Geht’s Ihnen gut?‘ Der hatte tatsächlich nur so eine kleine rote Stelle oben auf dem Fuß. Meine Güte, das sind ja keine nullachtfuffzehn Türen, die sind extra breit für die Rollstühle. Ich und die Smilla, wir haben zu zweit eine halbe Stunde rumgefummelt, um die Tür da wieder reinzukriegen! Wissen Sie das noch, Herr Nilges? Wo Sie die Tür ausgehängt haben?“
Er schmunzelt, vielleicht weil alle ihn ansehen und lachen, aber er hat schon wieder mit einem Auge die Fußleisten im Blick.

Früher habe ich meinen Vater abends manchmal auf seiner Fahrradtour begleitet. Ich war in der Grundschule und hätte einiges zu erzählen gehabt, aber er musste sich den ganzen Tag schon genug von den Kunden anhören, also träumte ich vor mich hin und trat in die Pedale. Oft landeten wir bei einem Rohbau, noch ohne Fenster und Türen, liefen außen um das Haus herum und drinnen über nackten Beton und natürlich stand hier auch der Kunde herum, hocherfreut, dass mein Vater sich nach Feierabend ein Bild von dem Projekt machte. Sie quatschten sich fest und ich stand gepestet daneben und beschloss, nie mehr diese blöden Fahrradtouren mitzumachen.

Als ich dieses Mal nach Hause fahre, behalte ich ein Bild im Kopf: Das Radio auf der Station ist aufgedreht. Tanja winkt mir von nebenan zu. Mein Vater hält meine Mutter fest, wiegt sich in den Hüften. Sie summt leise mit: „Tanze mit mir in den Morgen ...“

 
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@Friedrichard

Lieber Friedel,

vielen lieben Dank, für deine Hilfe, ich habe alles übernommen und manches mal geschmunzelt.
Hier z.B.:

Das Haus meiner Eltern ist voller Treppen.
nicht fürchten, dass „Treppen“ („aus Stufen bestehendes Bauteil …“ definiert das Wörterbuch der deutschen Sprache), also „vereinigte Stufen“ den Bewohnern den „Lebensraum“ streitig machen?
Ich geh mal von aus, dass die Zahl der Etagen die Zahl der Treppen bestimmt, was auch schon das einzige ist, was mir seltsam beim Lesen vorkam.
Ein Reihenhaus mit Keller, Erdgeschoss, Obergeschoss - und bei dem Haus, das ich im Kopf hatte sind es tatsächlich zwei lange und drei kurze Treppen. Ganz schön viel. Und so habe ich jetzt auch "hat viele Treppen" draus gemacht. "Steile Treppen" ginge auch, muss ja nicht alles realitätsgetreu sein und würde auch die Gefahr spiegeln. Ja, doch , ich ändere noch mal in "Steile Treppen".
mir seltsam beim Lesen vorkam.
… , ach Uwe, nun streng dich doch mal ein bisschen an, au, Moment, ich muss mich mal strecken, wir probieren es gleich nochmal – ach, da ist er ja der Fuß, prima, warte, ich komm mit der Hose, bleib so, nein ...
„noch mal“, weil an sich ein verkürztes „noch einmal ...“
Stimmt ja. :shy:
Ich denke nur: "Bitte, bitte, bitte, seien Sie nett zu ihm."
Sollten Bitten nicht ein würdiges Satzzeichen haben!
Okay, na gut, überzeugt. :)
omplexe Prädikat „zu sagen versuchen“!
Sie erzählt wieder vom letzten verunglückten Urlaub, wo er die Hotelzimmertür nicht gefunden hat, ….
Hm, ohne Komma zwischen den beiden Adjektiven unterstellt der Satz eine Serie von verunglückten Urlauben ...
:lol: Oje, sehr schön, danke. Ja hab ich geändert!
Die Pflegerinnen lachen sich kaputt, dass mein Vater gesagt hat, sie ist ne Fehlinvestition.
besser die Schwreibweise „sie ist ’ne Fehl...“
Das auch.

Und die (zu) vielen Kommafehler hab ich auch verbessert. Danke für deine Geduld!

Ich wünsche dir einen schönen dritten Advent und gemütliche Schläfchen vorm Fernseher
liebe Grüße von Chutney

Liebe @Placidus,

vielen Dank für deinen Besuch, ich hab mich sehr gefreut. Das waren noch einmal ein paar neue Aspekte.

Mir gefällt, dass du das mit einer denkbar günstigen Ausgangskonstellation angehst: Der Patient hat eine Lebensgefährtin, die geistig und körperlich fit ist, eine Tochter, die sich eine Woche frei nehmen kann, belastbare Beziehungen zwischen den Dreien, und offensichtlich keine nennenswerten finanziellen Einschränkungen.
Ja, das stimmt und das ist mir auch beim Schreiben erst so richtig bewusst geworden und hat mir trotz des anstrengendes Stoffes noch einige unvermutete Gefühle von Dankbarkeit beschert.
Dazu ein Heim, in das ein Demenzkranker von einem Tag auf den anderen einziehen kann (ich verfüge über keine nennenswerte Statistik, aber in allen mir bekannten Fällen gab es Wartelisten).
Das Ganze findet 2010 statt, da war so etwas noch möglich. Und noch weit vor Corona, was ja auch so viel verändert hat. Vielleicht sollte ich wirklich noch irgendeinen zeitlichen Marker anbringen. Ich überlege mal.
Und trotzdem, egal wie ideal die Gesamtlage, der Schmerz und die wunden Punkte sind immer dieselben. Das ist sehr feinfühlig beschrieben.
Dankeschön!:)
Bis die Tochter zum zweiten Mal kommt, verschlechtert sich der Zustand des Vaters ständig. Von einem Rollstuhl ist die Rede.
Dann kommt sie wieder, und mir scheint sie nicht ganz in dieselbe Welt zurück zu kommen.
Das finde ich interessant und kann nachvollziehen, was du meinst. Das ist vielleicht auch der Verknappung der Kurzgeschichte geschuldet. Die positive Entwicklung hätte sich über mehrere Besuche ziehen können. Es hätten auch noch ein paar schmerzliche Situationen hineingepasst.
Der Vater trägt einen Helm, das ist niedlich, von einem Rollstuhl ist nicht mehr die Rede, der Mann misst Fenster, hängt Türen aus und tanzt. Das Personal findet alles in erster Linie lustig, sogar das Türen wiedereinhängen, und ja, das ist ein sehr versöhnliches Ende.
Solange es noch ein bisschen mit dem Laufen geht, kann man einem demenzkranken Mann schlecht vermitteln, dass er lieber sitzen bleiben soll. Der Helm zeigt halt, dass es mehrere schwere Stürze gab. Umso überraschender die Sache mit der Tür, aber auch ein bisschen typisch für Demenz, wo plötzlich irgendetwas möglich ist, womit man nicht gerechnet hat.
Was ich erzählen wollte war, dass es im Übergang erst mal bergab geht und dann aber auch noch einmal bergauf. Dass ein Einleben stattfinden kann. Die Szene in der Kapelle ist ein Versuch, diese ersten positiven Schritte des Einlebens zu zeigen. Aber ich überlege, ob das Ende doch zu kitschig ist.
Aber so ganz will es mir zum größeren ersten Teil der Geschichte nicht passen. Oder es ist eben nicht das Ende...
Du meinst, da fehlt noch was? Im Kopf habe ich noch ganz viele Szenen, im Verlauf von drei Jahren, schöne, lustige und extrem traurige. Aber irgendwann droht es dann ja auch zu einer Aneinanderreihung von Anekdoten zu werden.
In jedem Fall sehr gern gelesen!
Vielen Dank, Placidus und ich behalte deinen Einwand auch noch einmal im Kopf.

Auch dir einen schönen dritten Advent und liebe Grüße
von Chutney

 

Hallo @Kerzenschein ,
und vielen Dank, dass du vorbeigeschaut hast. Ich freu mich sehr über deine Worte!

ich finde deine Geschichte sehr berührend, authentisch und auf eine Weise humorvoll geschrieben, in der ich die ganze Liebe, Fürsorge und Melancholie – auch Trauer und Verzweiflung – der Tochter und Mutter spüre. Dein Schreibstil gefällt mir sehr, mit deiner Wortwahl lässt du dem Leser Freiraum, deine Intentionen nachzuvollziehen, und bringst Lebendigkeit in das Geschehen.
Oh, dankeschön!
Nur beim Fußboden haben sie nicht nachgedacht, sagt meine Mutter. Vinyl in schicker Holzoptik, leider mit Streifen. Es hat Tage gedauert, bis mein Vater gelernt hat, dass er da nicht drübersteigen muss, dass es nur Farbe ist.
Meine Lieblingsstelle, für mich das Paradebeispiel für deinen Schreibstil.
Ja, das ist so ein charakteristisches Detail, die Wahrnehmung von dementen Menschen betreffend. Ich habe das tatsächlich schon mehrfach beobachtet, dass ein Farbwechsel im Boden sehr irritierend sein kann. Schön, dass das an der Stelle gut für dich passt.

Liebe Grüße und bis bald, Kerzenschein!

Chutney


@dotslash

Lieber Dot,
ach wie schön, dass wir uns gestern auch mal wieder gesehen haben, das war ein toller Abend!
Ganz ganz vielen Dank dafür, dass du dich so intensiv mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast, da war einiges dabei, was ich umsetzen konnte.

Endlich komme ich dazu, auch deinen Text zu besprechen. Gelesen habe ich ihn bereits nach Erscheinen und wie ich sehe, hast du bereits mit feiner Klinge nachgebessert. Gefällt mir.
Danke, ja, die feine Klinge versuche ich sofort einzusetzen. Für ein paar stärkere Veränderungen habe ich mir mal eine "Vielleicht"-Liste gemacht für in ein paar Wochen.
Diese Frage stellt sich immer wieder und es gibt zum Glück auch Angebote, Angehörige zu entlasten, damit diese ihre Batterien wieder aufladen können und der Patient so lange, wie möglich in vertrauter Umgebung leben darf. Aber irgendwann kommt der Moment, da braucht es eine externe Lösung und dieser Schritt ist für Angehörige, wenn man nicht gerade die Empathie eines Holzklotz ausstrahlt, nicht einfach.
Und meiner Erfahrung nach, kann dieser Moment auch sehr schnell kommen, also, dass der Prozess ganz lange sehr schleichend ist, und dann eine abrupte Verschlechterung kommt.
Keine Ahnung, ob es an der Adventszeit liegt, aber damit hast du mich voll erwischt. Hier kommt die Tragik bereits zum Anklingen, schwingt das Schuldgefühl mit, eine geliebte Person fremd zu platzieren.
Ja.
Vor ein paar Tagen ist er über eine Teppichkante gestolpert, er fängt sich schon lange nicht mehr ab. Das Haus meiner Eltern hat viele Treppen.
Könnte man ruhig zwei Sätze spendiern, da das Sich-Nicht-Abfangen keine Folge des Stolperns ist.
Ja, ist besser, danke!
Gut vermittelt, wie anstrengend eine Betreuung eben sein kann. Einfachste Handhabungen werden zur Turnübung, wenn der Patient nicht mithilft (– nicht mehr mithelfen kann).
Genau. Es ist zermürbend.
Ja, der ist lang, der Dialog. Aber das muss so sein!
Ja, ich denke auch, das ist die mindeste Länge um überhaupt so ein Gefühl zu geben für die wachsende Verzweiflung. In echt wäre es ja noch viel länger.
ch mal eine Stunde früher stellen ...
Wenn du jetzt nicht den Fuß hoch nimmst, rufe ich die POLIZEI! … ach Blödsinn, nein, ich habe nur einen Witz gemacht, das war nur ein Witz! Uwe, nun mach doch ein bisschen mit!“
Verzweiflung zieht nicht böse gemeinte Polemik nach sich, die aber das Gegenüber nicht (mehr) als Ironie erkennen kann und schon schlägt das schlechte Gewissen zurück.
Verzweiflung, ja auf jeden Fall. Das ist interessant, dass du das als Ironie auffasst, was ich voll verstehen kann. Es soll eigentlich ein Moment sein, wo klar wird, dass es so nicht weitergeht, weil sie anfängt, völlig unverhältnismäßige Drohungen auszustoßen, die sie sofort bereut.
Wenn sie nicht aufpasst, liegt er zu tief und weiß nicht mehr, welche Bewegungen er machen muss, um sich hoch zu schieben. Aber Zehn Minuten später ist er wieder aufgestanden, hat sich komplett ausgezogen,
Ohne aber verstärkt mMn den Sinneswandel, zumal ich das Aufstehen nicht als Folge des richtigen Liegens sehe.
Ja, das wollte ich schon umsetzen, kann mich aber noch nicht durchringen. Das "aber" bezieht sich auf den ganzen Teil zuvor, die viele Mühe, überhaupt ein Bein in die Schlafanzughose zu bekommen und sich ins Bett zu legen, da klappt nichts mehr an Bewegungsplanung. Aber plötzlich schafft er es, aufzustehen und sich auszuziehen. So ein bisschen wie später "hochgradig sturzgefährdet sein", aber eine Tür aushängen.
aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht.
Starker Satz, geht ans Herz.
Danke.
Hinsetzen.
„Ja, ist schlecht, Sie wissen das doch, wir sind mitten am Umziehen, die ganze Station geht übernächste Woche rüber, da können wir doch jetzt keinen mehr aufnehmen, was meinen Sie, was mir meine Leute erzählen [würden]?
Bisschen feilen vielleicht.
Ich weiß, was du meinst, aber bei wörtlicher Rede darf es auch ein bisschen charakteristisch ruckeln, denke ich.
„Fünf“, sagte ich und lauschte. Wann hatte ich sie eigentlich das letzte Mal lachen hören?
Sie lauscht ja, ob die Mutter lacht. Braucht es das? Wird doch sofort klar auch ohne lauschen. :D
Das stand schon ein bisschen auf dem Prüfstand und ist jetzt, mit deiner Stimme, gelöscht. Ist besser, danke!
Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Später, auf der Straße, gluckste meine Mutter neben mir.
Das weiss der Leser auch. Mir würde es gefallen, wenn du diesen Satz mit einer Leerzeile ersetzen würdest.
Vielleicht ein Darling. Subtext ist ja hier :Natürlich hatte sie vollkommen recht, wir haben das eingesehen - aber wir haben trotzdem so lange auf sie eingeredet, dass sie nachgegeben hat. Und der zweite Teil des Satzes kommt halt erst später raus, als kleine Überraschung.
Behalte ich im Auge!
Ich finde das die schlimmste Phase der Krankheit, diese kurzzeitigen Momente der Klarheit, nur um im nächsten Moment wieder in die Tiefen des Vergessens abzutauchen. Für Patient, wie Angehörige nervenzehrend.
Ja, das stimmt.
ehrend.
dass wir jetzt in ein Heim fahren, weil es so nicht weitergeht und dass da allen geholfen wird.
meintest du nicht eher 'damit'?
Ja, das ist besser, habe ich geändert, danke!
Geschmacksfrage. Ich würde Gedanken von direkter Rede unterscheiden (z.B. kursiv schreiben).
Klar, du hast ein einleitendes 'Ich denke nur', aber trotzdem haut mich die direkte Rede hier raus.
Ich habe nochmal gegoogelt und jetzt habe ich einfach gar keine Satzzeichen dazugemacht. Ich glaube, das geht auch.
Sofort wird er ruhig und hebt unbeholfen die Hand, streichelt die Luft über meinen Haaren.
Ich finde streichelt, dieses mit 10cm Abstand über dem Kopf herumwischen, schon fast zu bewusst ausgeführt für Uwe.
Vorschlag: ..., lässt sie in der Luft über meinen Haaren (schweben).
Auch ein Darling. Wobei deine Beschreibung tatsächlich präziser ist. Ich ringe noch mit mir. ;)
In ihrer Handtasche trägt sie ein altes Teekännchen aus Glas mit sich herum. Sie hat den Trick zu Hause selber erfunden. [...] Die Methode funktioniert tadellos, wir behalten sie erst mal bei.
Haben die im Heim auch Teekännchen für alle Fälle? :p
Die haben professionellere Methoden, aber für den Übergang und solange Frau und Tochter an ihm kleben, geht das.
Fälle? :p
Während mein Vater beim Abendessen sitzt, schleichen wir uns weg. Wie oft kann man sich gegenseitig versichern, dass es die beste Entscheidung war, die einzig mögliche? Nachts wache ich auf und stelle mir vor, wie er durch die Flure irrt.
Und da ist es wieder, das schlechte Gewissen.
Meiner Meinung nach gibt es zwar mehrere Möglichkeiten, aber nur für eine entscheidet man sich, somit: die einzig richtige.
"Richtige" wäre natürlich im Prinzip angemessener.
Die einzig "Mögliche" entspricht für mich dem Versuch, das Schuldgefühl abzuwehren, dass da eben doch eine Entscheidung getroffen worden ist, obwohl es vielleicht andere Möglichkeiten gegeben hätte.

An diesem Tag bleiben wir noch länger als gestern, bis nach dem Abendbrot.
Oder blieben sie gestern auch schon länger, als normal?
Ja, eigentlich sind sie gestern auch schon sehr viele Stunden geblieben und heute eben noch länger. Das Gespräch im Mitarbeiterzimmer hat das Schuldgefühl noch verstärkt.
Tanja ist ein Schatz. Glücksfall Nummer zwei. Ich sag mal so, bei dir kommt der Wohlfühlfaktor nicht zu kurz.
Ja, es ist eine Situation, wo man als Angehörige so extrem dünnhäutig ist, ohnehin schon voller Schuldgefühle, verletzt in seinem Selbstbild und von dem ganzen Mitgefühl zerrüttet. Freundliche, humorvolle Pflegerinnen treffen da einfach mitten ins Herz.
„Das kam direkt aus der Kapelle: „Großer Gott, wir loben dich“. Da hat einer in die Tasten gehauen,
Hat mich kurz rausgehauen, weil ich danach zunächst nicht in direkter Rede weiterlas.
Geschmacksfrage, aber könnte man so lösen:
„Das kam direkt aus der Kapelle: 'Großer Gott, wir loben dich'. Da hat einer in die Tasten gehauen, ... “
Habe ich geändert und jetzt auch nur durch Kommata abgetrennt. Danke!
Vinyl in schicker Holzoptik, leider mit Streifen. Es hat Tage gedauert, bis mein Vater gelernt hat, dass er da nicht drübersteigen muss, dass es nur Farbe ist.
:lol: Klasse!
Schreibtischtäter, ja, ja. Planung trift auf Praxis.
Ein beliebter Satz, freut mich!
s.
Er mustert sie. „Du bist 'ne Fehlinvestition.“
Damit wird meine Mutter zur Heldin des Tages. Die Pflegerinnen lachen sich kaputt, dass mein Vater gesagt hat, sie ist ne Fehlinvestition.
:D Eben, Lachen ist die beste Medizin. Ein Ventil um Strapazen erträglich werden zu lassen, ohne aber dabei den Respekt für die Bewohner zu verlieren.
Genau!
Danke Chutney für deine schöne Geschichte, die du mit feiner Feder und lockerem Stil erzählst, obwohl – oder gerade weil das Thema des geistigen Zerfalls im Alter nur schwer zu ertragen ist.
Herzlichen Dank, lieber Dot, für deine lobenden Worte und deine Hilfe, um das Ganze noch zu verfeinern. Ich bin guten Mutes, dass wir uns bald endlich unter deiner Geschichte wiedersehen. Mein Zeitplan ist diesmal echt verrutscht.

Einen schönen dritten Advent dir
und liebe Grüße von Chutney

 

Lieber @FlicFlac ,

dir auch ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar, deine lobenden Worte und einen Gedanken, den ich tatsächlich generell bei dieser Geschichte für mich klären muss: Bewertungen der Protagonistin zulassen, oder nicht. Normalerweise finde ich es gut, nicht zu bewerten oder zu kommentieren, ich mag das, das den Lesern selbst zu überlassen. In diesem Text kommt es aber hier und da vor und hat dann auch seinen Grund. Hm, ich geh mal durch.

Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie geschimpft hat.
Das ist eine Interpretation. Okay, vielleicht weiß sie das auch, weil die Mutter das dann später so beschrieben hat. Dennoch reicht es und passt auch gut, wenn du es wie vieles andere nur zeigst: Am Ende lobt sie ihn und gibt ihm einen Kuss.
Ich sehe da das 'Wiedergutmachende' drin.
Das Problem der Mutter ist ja gerade, dass sie trotz aller Mühen hinterher immer noch mit schlechtem Gewissen dasteht, dass sie eben nicht das Gefühl hat, es bei ihm gut gemacht zu haben.

Ich habe versucht, die Rolle meiner Mutter zu übernehmen, aber entweder bin ich ein Weichei oder meine Liebe reicht nicht.
Da ist ein selbstfokussierter Kommentar, und zumindest der erste Teil mit dem Weichei -- gefällt mir nicht. Ton-Sache ... wenn, dann sollte das nicht pauschal-abwertend klingen, also 'bin ich nicht stark genug'. Auch, dass die Liebe nicht reicht, ist sehr hart fokussiert und bewertet.
Auch das stimmt, dass es zu hart ist, aber es ist eben eine Aussage über die Tochter. Selbstvorwürfe sind einfach in dieser Situation sehr häufig und so einen Fall schildere ich hier, wo die Angehörigen eben nicht nur tun was nötig ist und Mitgefühl haben, sondern auch mit sich hadern. Man könnte das natürlich auch irgendwie zeigen, hm, ich behalte es mal im Kopf.

„Ja, ist schlecht, Sie wissen das doch, wir sind mitten am Umziehen, die ganze Station geht übernächste Woche rüber, da können wir doch jetzt keinen mehr aufnehmen, was meinen Sie, was mir meine Leute erzählen? Wir sind jetzt schon absolut am Limit! ... Was ist denn mit Ihrem Mann, beschreibense den mal. Dement? Bei uns sind alle dement. Inkontinent. Aha. Isser aggressiv? Bestimmt nicht? Läuft er weg? Also, machen Sie sich mal keine übertriebenen Vorstellungen. Wir haben hier nicht die Kapazität, den ganzen Tag Händchen zu halten. Momentan schon mal gar nicht. Kommen Sie mit ihrem Mann in drei Wochen, dann können wir das ganz anders gestalten.“ Natürlich hatte sie vollkommen recht.
Das Fette ist, nachdem einfach wiedergegeben wird, was die Stationsfrau da sagt, eine Bewertung. Passt nicht rein :)
Ich gerate ja schon ins Grübeln, weil du hier nicht der Erste bist, den das stört. Das ist für mich fast ein kleiner humoristischer Versuch, denn sie stimmen ja voll zu, überreden die Stationspflegerin aber dann doch ihn schon aufzunehmen. Ich behalte das im Auge. Andererseits, wenn ich schon solche Bemerkungen mache, will ich sie auch über den ganzen Text verstreuen.

Früher habe ich meinen Vater abends manchmal auf seiner Fahrradtour begleitet. Ich war in der Grundschule und hätte einiges zu erzählen gehabt, aber er musste sich den ganzen Tag schon genug von den Kunden anhören, also träumte ich vor mich hin und trat in die Pedale. Oft landeten wir bei einem Rohbau, noch ohne Fenster und Türen, liefen außen um das Haus herum und drinnen über nackten Beton und natürlich stand hier auch der Kunde herum, hocherfreut, dass mein Vater sich nach Feierabend ein Bild von dem Projekt machte. Sie quatschten sich fest und ich stand gepestet daneben und beschloss, nie mehr diese blöden Fahrradtouren mitzumachen. Als ich dieses Mal nach Hause fahre, behalte ich ein Bild im Kopf: Das Radio auf der Station ist aufgedreht. Tanja winkt mir von nebenan zu. Mein Vater hält meine Mutter fest, wiegt sich in den Hüften. Sie summt leise mit: „Tanze mit mir in den Morgen ...“
Ja. Schön. Vielleicht ist der letzte Satz bissl zu viel. Vielleicht wäre 'prosaischer' oder schlichter stärker, passt besser: Dass sie miteinander tanzen. Nur dieses Bild Das mit der gesummten Melodie trägt eine Spur zu viel auf mit dem 'Tanze in den Morgen'.
Ja, ich weiß, was du meinst und ich finde die Idee, den Satz einfach wegzulassen ziemlich gut. Mal schauen, wann ich es über mich bringe. :shy:

Insgesamt kann ich dir sagen: Chapeau! Toll!

Und dann habe ich mich natürlich sehr über die vielen Stellen gefreut, wo der
Text für dich gut funktioniert, dankeschön! :)

Ich hoffe, du hattest einen guten Start in die Woche nach unserem schönen Treffen, vielen Dank, du hast mir was zum Freuen und was zum Überlegen gegeben. Wir treffen uns bald unter deinem Text!

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo @Chutney !

Normalerweise finde ich es gut, nicht zu bewerten oder zu kommentieren, ich mag das, das den Lesern selbst zu überlassen. In diesem Text kommt es aber hier und da vor und hat dann auch seinen Grund. Hm, ich geh mal durch.
Wenn du einen Grund hast, ist es in Ordnung. Damit wir uns richtig verstehen: Deine Geschichte ist auch so wie sie da steht gelungen, auch wenn du nichts dran änderst. Es sind Kleinigkeiten, die ich noch vorschlage.
Das Problem der Mutter ist ja gerade, dass sie trotz aller Mühen hinterher immer noch mit schlechtem Gewissen dasteht, dass sie eben nicht das Gefühl hat, es bei ihm gut gemacht zu haben.
Ja, das habe ich verstanden. Ich habe es aber auch ohne diesen Kommentar verstanden. Vielleicht nicht so konkret. Aber dennoch vom Gefühl her. Das ist ja das starke insgesamt an deiner Schreibweise: Ich kann spüren, wie die sich fühlen, ohne dass du darauf hinweisen musst:
Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hilft ihm ins Bett.
Das sehe ich vor mir und habe einen Eindruck, wie das sein könnte. Vielleicht denke ich nicht konkret 'schlechtes Gewissen', aber ich sehe jemanden, der 'etwas wiedergutmachen will', besonders nett und liebevoll sein möchte -- und das passt zu dem, wie sie zuvor agiert hat. Sie liebt ihn und kann das nicht so lassen, auch wenn die Polizeidrohung nicht ernst war, befürchtet sie, was es mit ihm gemacht haben könnte.

Auch das stimmt, dass es zu hart ist, aber es ist eben eine Aussage über die Tochter. Selbstvorwürfe sind einfach in dieser Situation sehr häufig und so einen Fall schildere ich hier, wo die Angehörigen eben nicht nur tun was nötig ist und Mitgefühl haben, sondern auch mit sich hadern.
Wo ich es noch mal lese, passt das mit dem 'nicht genug Liebe' jetzt. Was mich immer noch leicht stört ist das Wort 'Weichei'; das hat hier einen Klang, der nicht recht zur Figur gehören will. Nicht zum Ton, in dem das erzählt ist.

Ich hoffe, du hattest einen guten Start in die Woche nach unserem schönen Treffen, vielen Dank, du hast mir was zum Freuen und was zum Überlegen gegeben.
Ich danke dir für deine netten Worte zu 'Schnee'.

Gruß von Flac

 

Lieber @FlicFlac ,

dankeschön fürs erneute Melden. :)

Deine Geschichte ist auch so wie sie da steht gelungen, auch wenn du nichts dran änderst. Es sind Kleinigkeiten, die ich noch vorschlage.
Ja, danke auch und Kleinigkeiten machen ja oft viel aus. Ich habe das Gefühl, dass ich bei dieser Geschichte ein bisschen beratungsresistenter bin als sonst und alles noch aufschiebe. Aber ich glaube tatsächlich, dass ich gerade noch zu dicht dran bin.
Ja, das habe ich verstanden. Ich habe es aber auch ohne diesen Kommentar verstanden. Vielleicht nicht so konkret. Aber dennoch vom Gefühl her. Das ist ja das starke insgesamt an deiner Schreibweise: Ich kann spüren, wie die sich fühlen, ohne dass du darauf hinweisen musst:
Am Ende lobt sie ihn, gibt ihm einen Kuss und hilft ihm ins Bett.
Das sehe ich vor mir und habe einen Eindruck, wie das sein könnte. Vielleicht denke ich nicht konkret 'schlechtes Gewissen', aber ich sehe jemanden, der 'etwas wiedergutmachen will', besonders nett und liebevoll sein möchte -- und das passt zu dem, wie sie zuvor agiert hat. Sie liebt ihn und kann das nicht so lassen, auch wenn die Polizeidrohung nicht ernst war, befürchtet sie, was es mit ihm gemacht haben könnte.
Das ist interessant, dass du meinst, das reicht so an dieser Stelle, um diese Scham zu zeigen, nach einer überzogenen Drohung aus einem Ausnahmezustand heraus und dem Wissen, dass er ja gar nichts dafür kann.
Vielleicht hast du Recht.
Auch das stimmt, dass es zu hart ist, aber es ist eben eine Aussage über die Tochter. Selbstvorwürfe sind einfach in dieser Situation sehr häufig und so einen Fall schildere ich hier, wo die Angehörigen eben nicht nur tun was nötig ist und Mitgefühl haben, sondern auch mit sich hadern.
Wo ich es noch mal lese, passt das mit dem 'nicht genug Liebe' jetzt. Was mich immer noch leicht stört ist das Wort 'Weichei'; das hat hier einen Klang, der nicht recht zur Figur gehören will. Nicht zum Ton, in dem das erzählt ist.
;) Alles klar, kommt auch mit auf die Liste zum Überdenken.

Vielen Dank nochmal, Flicflac und schöne Weihnachten dir,

wünscht Chutney

 

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