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Nekroblissement

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30.08.2001
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Nekroblissement

Unter der blinkenden Neontafel mit der Aufschrift Eros-Center Nr. 9 verließ ihn die Zielstrebigkeit, die ihn hergeführt hatte. Er blieb stehen und kaute auf seiner Unterlippe. Männer drängten sich auf dem schmalen Bürgersteig an ihm vorbei, hierhin nach Nr. 7, dorthin nach Nr. 11, immer ihrem Ständer nach.
Die Milchglastür zu Nr. 9 wurde aufgestoßen. Der tiefrot beleuchtete Gang dahinter spuckte zwei feixende Kerle auf die Straße.
„Meine Fresse, haste die Dinger von der Schwatten geseh’n?“, sagte der eine.
„Mordstitten“, bestätigte der andere.
„Rasierte Mösch hat die, jede Wette.“
„Blitzblank.“
„Aber fünfzig Euro. Bin ich Graf Koks?“
„Scheißnutten.“
Er blickte den beiden nach, bis sie – die üppige Oberweite lautstark debattierend – in Nr. 11 verschwanden.
Willst du das wirklich?, fragte er sich. Andererseits: Die Alternative war nicht verlockend, ganz und gar nicht.
Er gab sich einen Ruck und betrat das Etablissement. Die Luft in dem engen Gang war schwer von süßem Parfüm, das ihm schlagartig die Geruchsrezeptoren verklebte. Eines war gewiss: Verbrachte er hier auch nur eine Stunde, würde er so intensiv nach Puff riechen wie ein Frittenbudenbetreiber am Ende des Tages nach Fett.
Linkerhand stand die Tür zu einer kleinen Küche offen. Zwei junge Frauen mit übergeworfenen Bademänteln saßen an einem Tisch und rührten wortlos ihren Kaffee um. Evita hatte ihm gesagt, es sei das Büro auf der rechten Seite des Flurs, aber die offene Tür vermittelte ihm das Gefühl, sich hier anmelden zu müssen.
„Tach auch“, sagte er.
Die Brünette mit den raspelkurzen Haaren musterte ihn mürrisch.
„Siehste nich’, dass wir grad Pause machen? Die Mädchen steh’n oben.“
„Ich will nicht zu den Mädchen. Ich hab ’nen Termin bei Evita.“
Die Brünette streckte die Hand mit der Kaffeetasse aus und deutete an ihm vorbei zur gegenüberliegenden Tür.
„Die is’ da drüben“, sagte sie und wandte sich ab.
„Ja, dann ... danke. Und entschuldigen Sie die ... also, danke jedenfalls.“
Er drehte sich um, klopfte an die Tür und betrat das Büro.
Evita erhob sich hinter ihrem aufgeräumten Schreibtisch und klackerte auf Pfennigabsätzen näher. Sie reichten sich die Hände.
„Frank Schwarzenbeck. Wir haben telefoniert.“
„Evita. Darf ich Frank sagen?“
„Klar.“
„Setzen wir uns.“
Frank hatte eine verlebte Puffmatrone erwartet – die süßesten Telefonstimmen gehörten immer den hässlichsten Mädchen. Aber Evita: Irgendwo Mitte vierzig angelangt, die halblangen Haare modisch zerzaust, kein Make-up. Eine elegante Erscheinung in weißer Bluse und Jeans.
„Ich hab nicht viel Zeit, also machen wir’s kurz“, eröffnete sie ohne Umschweife. „Du suchst Arbeit, und ich brauche dringend jemanden, der den Laden in Schuss hält. Seit wann bist du arbeitslos?“
„Knapp vier Jahre.“
„Zeig mal deine Hände her.“
Frank zögerte, dann hielt er ihr die ausgestreckten Hände hin. Evita betrachtete sie kurz und nickte.
„Seh’n mir nicht allzu links aus, schön, schön. Scheinst überhaupt gut in Form zu sein. Kannst du ’ne Glühbirne wechseln? ’nen verstopften Abfluss freimachen? Betten beziehen – ich mein: versiffte Betten?“
Es schien ihm nicht passend, dass ihr das Wörtchen versifft mit dieser hässlichen Betonung (er sah die durchschwitzten, spermagestärkten Laken geradezu vor sich) so locker über die Lippen kam. Aber es rückte den Eindruck zurecht, den ihre Erscheinung bei ihm hinterlassen hatte. Mochte sie auch äußerlich eine adrette Geschäftsfrau sein – sie kam aus dem Milieu. Nicht der rechte Ort für sprachliche Feinheiten.
„Krieg ich hin“, sagte er lässig.
Meine Güte, natürlich bekam er das hin. Nach vier Jahren raus aus dem Job konnte er keine Bilanz, ja, nicht mal mehr eine Buchhaltung unfallfrei erstellen. Aber das hier war nur eine Hausmeisterstelle. Allemal besser als stumpfsinnige Fortbildungsmaßnahmen oder für ein paar Euro Unkrautjäten im Park, bloß damit er für ein Weilchen aus der Arbeitslosenstatistik verduftete.
Evita nickte zufrieden. „Gut. Wir machen’s so: Du fängst morgen an. Probezeit ist ’n Monat, das reicht. Wenn du’s bis dahin nicht packst, fliegst du. Die Schicht läuft von zwei Uhr mittags bis zwei Uhr nachts. An jedem zweiten Montag und Dienstag hast du frei. Dreißig Tage bezahlter Urlaub, aber nicht in den Zeiten, in denen die Muschis brummen. Und?“
Er konnte dem Stakkato der Arbeitsbedingungen gedanklich kaum folgen. Urlaub klang gut, aber Zwölf-Stunden-Tage und nie mehr die Sportschau sehen? Kam ganz darauf an, wie Evita ihm das versüßen wollte.
„Ja“, sagte er gedehnt und räusperte sich, „das ist schon was. Ich frag mich nur, was ich ... also wegen der Bezahlung ... in der Anzeige stand nichts davon.“
„Vier am Ende des Monats“, sagte sie frei heraus und lachte kurz auf, als sie sein verdutztes Gesicht sah.
„Vier was? Tausend?“
Fürs Glühbirnenwechseln? Wollte die Puppe ihn auf den Arm nehmen?
„Viertausend. Du kriegst ’nen Vertrag, steht alles drin. Und täusch dich nicht; es ist viel, aber ich erwarte auch viel. Du bist praktisch mein Mädchen für alles.“ Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort: „Für fast alles. Ich würd ja sagen, überleg’s dir, aber ... wie alt bist du?“
„Bald fünfzig.“
„Sag ich ja: bald fünfzig. ’ne Menge Typen in deinem Alter und deiner Situation würden sich die Finger nach dem Job lecken. Also, was ist jetzt?“
Was sollte schon sein? Vier Riesen waren ein Argument, und der Rest würde sich finden.
„Ja, natürlich, ich mach’s. Ich wär ja blöd.“
„Eben“, nickte Evita und besiegelte ihre Zusammenarbeit mit einem Handschlag. „Dann zeig ich dir jetzt das Haus.“

Die dräuende Schwüle auf der engen Treppe rauf zum ersten Stock trieb Frank den Schweiß auf die Stirn; unter dem Schlussverkaufssakko waren seine Achseln klitschnass. Er hatte den Zeitpunkt verpasst, sich den Stoff abzustreifen.
„Flatrate-Ficken gibt’s bei mir nicht“, erläuterte Evita die Unternehmensphilosophie. „Wir haben Themenetagen. Ich mein, unsere Mädchen machen fast alles, aber jede hat so ihr Talent. Hier zum Beispiel, hier ist Frankreich.“
Sie hatten den Treppenabsatz der ersten Etage erreicht. Evita zeigte auf eine Landkarte an der Wand; Europa war darauf abgebildet, die Umrisse Frankreichs fett umrandet, die Landfläche in den Farben der Trikolore hervorgehoben.
Frank musterte die Karte. „Hier wird also ...“
„Geblasen“, nickte Evita. „Natürlich nicht nur, aber wenn einer ’nen Blowjob sucht, dann am besten hier.“ Sie trat nah an ihn heran und raunte ihm zu: „Diese Etage bringt die meisten Kunden.“
Die französische Etage bestand aus zwei langen Fluren mit jeweils acht Zimmern. Manche Türen waren geschlossen, in den übrigen Türrahmen lehnten die spärlich bekleideten Mädchen mit den Engelszungen.
„Komm, ich stell dich kurz vor“, sagte Evita und zog ihn am Ärmel in den rechten Flur hinein.
Unversehens fand er sich umgeben von Lippen. Wie lange war das jetzt schon her? Monika hatte ihn mit ihrer Verweigerungshaltung verrückt gemacht. Für ihn die größte aller Wonnen, war es für sie auf bloße Erniedrigung hinausgelaufen. Das war wohl eine Art pawlowscher Emanzenreflex - kaum geschah etwas nicht auf gleicher Augenhöhe, schon hieß es: Erniedrigung. Sein Ding in den Mund nehmen? Also bitte, das konnte er doch wohl kaum von ihr verlangen; nicht, wenn er sie liebte. Und er hatte sie geliebt, weiß Gott, bis sie vor zwei Jahren mit seinem besten Freund durchgebrannt war.
Erzähl du mir noch mal was von Erniedrigung, Miststück.
Der Geruch in diesem engen Schlauch war überwältigend; die Luft gesättigt von einer Mischung aus Parfüm, Schweiß und Fischnuancen – ein wirksames Sedativum für Franks Libido. Damit stand er ziemlich allein da. Ein steter Strom von Freiern – vom Milchbubi bis zum hüftlahmen Rentner – schob sich an ihm vorbei zur Fleischbeschau. Ringsum die geflüsterte Verheißung auf Sodom und Gomorrha, die getuschelten Verhandlungen über eine Verwöhnstunde mit Abspritzgarantie.
Nach und nach lernte Frank sie kennen: Babette, Yasmin, Sabrina. Wie sie wohl nach Feierabend hießen?
Er war erkennbar kein Kunde, also sparten die Mädchen sich ihre einstudierte Verführermiene und sahen ihn gelangweilt an, die Spuren des stumpfsinnigen Rhythmus’ von Warten, Feilschen und Fellatio tief in die hübschen Gesichter geschrieben.
Nach Begehung der ersten Etage führte Evita ihn in die zweite: Griechenland.
„Unsere Dreilochstuten“, sagte Evita und meinte das durchaus liebevoll.
Dritter Stock: Deutschland. In die Landfläche der Karte kunstvoll eingebettet das Motiv von Rubens’ Gemälde Die drei Grazien.
Als Frank sich umsah, erschlug ihn fast die Wucht der Pfunde. Acht barocke Engel, in Corsagen und Schnürstiefel gezwängt, warteten auf die Freunde der üppigen Formen.
„Unsere Schwerlastabteilung“, klärte Evita ihn auf. „Läuft nicht so gut, ich hab vor, den linken Flur über kurz oder lang zum spanischen Thema zu machen. Titten gehen immer.“
Vierter Stock: England. Frank schwirrte bereits der Kopf vor lauter Namen, Brüsten und Ärschen. Die Mädchen hier oben trugen ausnahmslos Leder. Hier und da konnte er einen Blick auf eine kleine Auswahl der Spielzeuge in den Zimmern werfen: Handschellen, Peitschen, Liebesschaukeln.
Am Ende des linken Flurs öffnete sich eine Tür. Heraus kam ein Muskelberg mit Bürstenhaarschnitt und kaukasischen Gesichtszügen, der Frank um mehr als eine Kopfeslänge überragte.
„Das ist Andrej“, sagte Evita. „Unser Hausknigge. Lässt ein Kunde seine Manieren zu Hause, bleut Andrej ihm den Benimm wieder ein.“
Frank reichte dem Klischeeschläger die Hand. Andrej grifft beherzt zu.
„Dobrij nodschir, Towarisch. Du bist der Neue?“
„Seit heute, ja.“
„Dann halt die Ohren steif. Aber nur die Ohren, verstanden?“
„Sicher. Klar.“
„Ich hab zu tun. Do svidanija.“
„Ja ... ja, auch so“, sagte Frank in der Hoffnung, dass es sich um eine Abschiedsformel handelte.
Andrej schob sich an ihnen vorbei und ging die Treppe hinab.
„Das war das Haus“, sagte Evita. „Lass uns gehen. Ich hab Termine.“
„Und was ist da oben?“, erkundigte sich Frank und zeigte auf eine weiß lackierte Metalltür, die den Treppenaufgang zur fünften Etage komplett verschloss.
„Nichts weiter“, antwortete Evita. „Zimmer, die renoviert werden müssen. Komm jetzt.“

Im Grunde genommen lief es auf Plackerei hinaus. Für jede der vier Etagen blieb ihm eine Stunde. Bettbezüge und Laken wechseln, staubsaugen, Spiegel und Waschbecken reinigen, die Linoleumböden auf den Fluren wischen. In seinem alten Leben hatte ein Staubtuch den gleichen praktischen Nutzwert gehabt wie eine Damenbinde. Jetzt hatten die Temperaturunterschiede zwischen der Eiseskälte der Arbeitslosigkeit und der Hitze von monatlich mehr als zweitausend Mäusen netto auf dem Konto das ehemals laue Haushaltslüftchen in einen Reinigungsorkan verwandelt.
Die Abfalleimer in den Zimmer bereiteten ihm anfänglich einen Ekel, dem er auch mit doppelt übergestreiften Gummihandschuhen nicht beikam. Oft waren sie randvoll mit verklebten Haushaltstüchern und Kondomen, in denen noch die Nachkommenschaften der Besucher aus der vergangenen Nacht gelierten.
Im Laufe der Zeit gewöhnte er sich daran, bis er schließlich so weit war, dass die benutzten Präser seinen Sportsgeist weckten – er begann damit, heimlich eine Tabelle zu führen. Unangefochtene Nummer eins in der Hurenliga war Yvonne von der französischen Etage. An Spitzentagen brachte sie es auf über zwanzig Gummis. Und das war nur die offizielle Wertung – die eingetrockneten Spermaornamente auf vielen Laken waren ein beredtes Bild dafür, dass auch die Gesundheit einiger Mädchen durchaus käuflich war.
Um Punkt achtzehn Uhr musste er fertig sein, dann öffnete das Laufhaus. Danach hatte er das, was Evita Bereitschaft nannte. Bereitschaft, ha! Unentwegte Hetzjagd, so sah das aus. Er sorgte für den Präsernachschub, wechselte die Rollen mit den Haushaltstüchern, schlichtete Revierstreitigkeiten unter den Mädchen (die dramatischeren Szenen mit unzufriedenen Kunden blieben Andrej vorbehalten), erledigte für Evita die Einkäufe, und wenn einmal nichts zu tun war, dann fielen immer noch eine Menge Reparaturen in den unvermieteten Zimmern an.
Nur die fünfte Etage, die blieb tabu.

So tabu wie Clarissa auf der englischen Etage darunter. Eine fünfundzwanzigjährige Italienerin mit langen schwarzen Locken und blauen Augen. Sie hatte kaum sichtbare Narben auf den Wangen, Überbleibsel einer schlecht verheilten Jugendakne. Ihre Lippen waren zu schmal für die markant ausgebildete Nase. Gemessen an dem retuschierten Knochenideal der Hochglanzmagazine war sie vielleicht ein wenig zu fleischig um die Hüften herum.
Aber alles in allem: mordsmäßig attraktiv. Hatte Witz und Verstand, das Mädchen.
Er mochte sie. Mochte sie auf seine stille und verträumte Art. Das änderte sich auch nicht, als er herausfand, dass ihre schwarzen Haare gefärbt waren, sie eigentlich aus Heidelberg kam und in Wirklichkeit Claudia hieß. So lief der Hase nun mal in diesem Gewerbe.
Viel mehr als kurze Schwätzchen waren ihm meist nicht vergönnt – die Meldegänger aus den anderen Zimmern hatten wachsame Augen und Ohren. Evita hatte ihm die Regel klipp und klar gesagt: Du hältst dich von den Mädchen fern! Er wollte keine Schwierigkeiten, nicht für sich, nicht für Clarissa. Und er wollte den Betrieb nicht aufhalten.
Aber der Betrieb wurde bald schon zum Problem. Manchmal im Vorbeigehen dachte er: Zieh dir was über! Ich will nicht, dass die Kerls dich so sehen.
Immer häufiger suchte er nach Vorwänden für einen kurzen Abstecher in die vierte Etage. Eine wackelnde Türklinke, ein Fleck an der Wand, Fusseln auf dem Boden; Mannomann, also diese Etage, da gab es immer etwas zu tun.
Wenn er dann an ihrer verschlossenen Tür vorbeiging (und das tat er oft, Clarissa war gut besucht), quälte ihn zunehmend ein dumpfes Magengrimmen.
Irgendein unsinniges Mitgefühl, redete er sich ein. Dass es Eifersucht war, hätte er sich niemals eingestanden.

Nach drei Monaten war er der Meinung, alle Facetten seiner Arbeit, selbst noch die unappetitlichsten, zu kennen – bis Evita ihn an einem frühen Abend ins Büro rief.
„Setz dich“, sagte sie lächelnd und bot ihm mit einer Handbewegung den Besucherstuhl an.
Frank setzte sich. Ein leichtes Unwohlsein nistete sich unter seiner Schädeldecke ein. Das letzte Mal hatte er hier am Tag seines Vorstellungsgesprächs Platz nehmen dürfen.
„Wie gefällt es dir bei uns?“, erkundigte sich Evita.
Sein Unwohlsein steigerte sich jäh. Das war fast Wort für Wort die rhetorische Ouvertüre, die bei seinem letzten Job, nach einigen haltlosen Vorwürfen und endlosem Gejanke über Einsparungszwänge, im Rausschmiss geendet hatte.
„Richtig gut“, sprudelte es aus ihm heraus.
Evita betrachtete ihn mit einem lauernden Blick. „Ja, aber wie gefällt es dir wirklich?“
„Ich sag doch: ’s ist toll.“
Er war nie besonders im Lügen gewesen, aber Evita kaufte ihm die Nummer vom Traumjob offensichtlich ab. Sie lehnte sich zufrieden zurück. „Glaub ich dir sogar. Wir hatten hier schon ziemlich faule Säcke, aber du machst deine Arbeit richtig gut.“
„Danke“, gab er artig zurück und atmete innerlich auf.
„Darum vertraue ich dir auch“, fuhr sie fort. „Kann ich doch, oder?“
„Absolut.“
„Hab da nämlich noch ’ne Aufgabe für dich. Die lass ich nicht jeden Hinz und Kunz machen.“ Sie bemerkte seinen fragenden Blick und ergänzte: „Is’ nichts Besonderes, sollst nur was für mich abholen. Andrej hat keine Zeit.“
„Was ist es denn?“
„Regel Nummer eins: Keine Fragen. Regel Nummer zwei: Kein Wort zu niemandem. Oder meinst du, ich schmeiß jemandem einfach so viertausend Euro in den Rachen? Da ist das Klappehalten mit drin, kapiert?“
Evita reichte ihm ein Blatt Papier mit einer Wegbeschreibung darauf.
„Du sprichst nur mit Haller“, sagte sie. „Dem gehört der Laden.“
„Ja, mach ich.“
Was für ein Laden?
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „In ’ner Stunde bist du zurück. Schaffst du locker.“
Er war schon an der Bürotür, als Evita ihm nachrief:
„Frank!“
„Ja?“
„Mit wem sprichst du?“
„Mit Haller.“
„Genau. Nicht vergessen.“

Hallers Laden, wie Evita ihn genannt hatte, war ein Schlachtbetrieb. Frank wartete eine Viertelstunde vor der Tür des Pförtners, bis Haller kam. Der Mann trug eine Kühlbox, die mit einem Deckel luftdicht verschlossen war.
„Haller“, stellte der Mann sich vor.
„Schwarzenbeck.“
„Du bist Evitas Neuer?“
Die Frage gefiel Frank so wenig wie der ganze fette Kerl mit seinem schiefen Grinsen, aber Evita hatte ja recht: Für viertausend Euro konnte man schon mal die Klappe halten. Gott, er hätte sein Ehrgefühl für weitaus weniger Geld verscherbelt.
„In gewisser Weise“, antwortete er knapp.
„Lass ’n Stück latschen. Der Laden hat Ohren.“ Dabei nickte Haller unmerklich zum Pförtnerhaus hinüber.
Sie schritten den Kiesweg entlang, der zum Besucherparkplatz führte. Frank warf einen verstohlenen Blick auf die Kühlbox.
„Sag Evita, ich hab die scheiß Citrate vergessen.“
Evita hatte Frank verboten, Fragen zu stellen; aber konnte sie ihm einen Vorwurf machen, wenn der Schlachter von sich aus das Geheimnis in die Welt posaunte?
„Hm“, machte Frank deshalb nur, in der Hoffnung, dass Haller mehr preisgab.
„Ich hab so viel am Hals“, klagte Haller weiter, „is’ mir einfach durchgegangen. Wenn’s nicht anders geht, soll sie’s eben mit Wasser verdünnen.“
Franks bloße Ahnung wurde ihm zur Gewissheit.
„Das Blut?“, fragte er.
„Blöde Frage, was denn sonst? Die Innereien bestimmt ... Wart mal, Kollege.“ Haller blieb stehen und musterte Frank misstrauisch. „Keine Ahnung, wovon ich rede, he? Sie hat’s dir nicht gesagt?“
„Nein.“
„Scheiße!“ Er schüttelte wütend den Kopf. „Hättste mir sagen müssen, Kumpel. Verdammte Scheiße!“ Einen Moment lang stand Haller unschlüssig da. Er schien abzuwägen, was er Frank geben sollte: die Kühlbox oder eine ordentliche Tracht Prügel. Dann entspannte sich sein Gesicht. „Was soll’s, früher oder später wärste eh drauf gekommen. Brauchst es Evita ja nicht unter die Nase zu reiben.“
„Mach ich nicht“, beteuerte Frank. Dabei hatte Haller ihn grad noch ausdrücklich gebeten, Evita von den Citraten zu berichten. Aber der Schlachter schien sowieso kein Schlaukopf zu sein. Frank nahm sich vor, die Sache vorerst für sich zu behalten.
„Dann hier.“
Haller drückte ihm die Kühlbox in die Hände. Die Flüssigkeit schwappte gegen die Wände, wie eine sämige Suppe mit großen Fleischstücken darin.
„Lass bloß den Deckel zu“, sagte Haller. Dann schickte er noch eine Mahnung hinterdrein: „Verarsch mich nicht noch mal. Wenn du mich noch mal verarschst, häng ich dich am Haken auf wie ein Schwein.“
„Ich hab dich doch gar nicht ...“, protestierte Frank.
„Wie ein Schwein“, wiederholte Haller und schritt davon.
Auf der Rückfahrt zergrübelte Frank sich das Hirn, was man mit einer 10-Liter-Kühlbox voll Blut und Innereien Sinnvolles beginnen konnte.

Während all der Zeit hatte er die verschlossene Tür zur fünften Etage fast aus seinem Gedächtnis verbannt.
Als er dann aber wieder einmal dabei war, seinen ungelenken Charme bei Clarissa an die Frau zu bringen (und die Tatsache zu verdrängen, dass er doppelt so alt war wie sie), vernahm er ein kurzes, dumpfes Geräusch von der Decke.
„Hast du das gehört?“
„Da war nichts“, sagte Clarissa.
Frank stellte fest, dass sie im Lügen eine noch größere Niete war als er selbst.
„Ich hab’s doch deutlich gehört. Da ist wer da oben.“
„Und wenn schon“, erwiderte sie ausweichend.
„Ich dachte, die Zimmer wären nicht in Gebrauch.“
„Sind sie ja auch nicht.“ Sie sah sich um. Kein Mädchen sonst auf dem Flur, ausgenommen Mandy, aber die schwatzte gerade einem Freier ein paar Fesselspielchen auf. „Meistens jedenfalls“, ergänzte sie leise.
„Also doch.“
„Frag Evita. Wenn sie’s dir sagt, gut. Wenn nicht, lass mich bitte damit in Ruhe.“
„Entschuldige, ich wollte nicht ...“
„Frag einfach Evita, okay?“

Evita hatte die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und die Hände gefaltet.
„Also hat eines der Mädchen gequatscht? Wer?“
„Keiner hat gequatscht. Ich hab’s selber gehört. Da oben war was. Als wär was umgefallen.“
„Umgefallen, aha.“ Sie seufzte übertrieben. „Ich wollte es dir sowieso bald sagen. Bist lang genug dabei.“
„Was sagen?“
„Wir haben da oben noch eine Etage am Laufen. Für etwas, nun, ausgefallenere Wünsche. Wir nennen es unsere Nekropolis.“
Frank wurde flau im Magen.
„Soll das heißen ...?“
„Nein“, fiel Evita ihm lachend ins Wort. „Wir tun nur so. Wir haben zwei Mädchen da oben. Die kommen nur, wenn sie gebucht werden. Dann richten wir sie her wie eine Leiche, und der Kunde ...“
Sie ließ den Satz unvollendet und blinzelte ihn vergnügt an, übergab den Gegenstand ihrer Andeutung seiner Einbildungskraft, und er malte sich daraufhin abstoßende Bilder aus, die Evita mit Worten wohl niemals hätte heraufbeschwören können.
„Ist das nicht verboten?“, wagte er einen Einwand.
„Wer sollte es uns verbieten?“, fuhr sie ärgerlich auf. „Wir tun keinem was zuleide. Außerdem bringt es ’nen hübschen Batzen ein. Ich muss das alles hier schließlich irgendwie bezahlen, oder? Dich, zum Beispiel. Schon vergessen?“ Das hatte er keineswegs. Evita kam richtig in Fahrt. „Die Sache ist die: Als ich jung war, war ich immer gut besucht. Ich hab einfach die Spardose aufgehalten, und die Jungs haben fleißig reingesteckt. Von dem Geld hab ich mir vor drei Jahren den Laden hier gekauft. Wenn der weiterhin so viel abwirft, gehört mir bald auch Nr. 11, und ich brauch nicht mal ’nen Kredit. Auf lange Sicht habe ich noch größere Pläne. Das soll mir mal einer verbieten!“ Sie kam hinter ihrem Schreibtisch hervor und schleuderte ihm mit TicTac-frischem Atem ihren Monolog ins Gesicht. „Glaubst du, ich hab all die geilen Böcke auf mir rumrutschen lassen, nur damit ich jetzt einen auf Betschwester mache? Mich interessiert Rendite, nicht Moral. Wenn du Moral willst, geh in die Kirche zu den Pfaffen; die kübeln ihre Moral da nur so von der Kanzel runter, und abends stecken sie den Ministranten ihre kleinen Heiligenschwänze in den Hals und lachen sich halbtot über die Blödheit ihrer Schäfchen.“
Halt bloß die Schnauze, gemahnte Frank sich selbst, wenn du es jetzt auf die Spitze treibst, fliegst du im hohen Bogen raus, und das war es dann mit dem schönen Verdienst und Clarissa. Aber eine Frage, die musste einfach raus:
„Was ist mit den Mädchen?“
Sie blickte ihn überrascht an, wie einen, der eine Frage gestellt hat, deren Antwort sich doch wohl von selbst verstand.
„Was soll mit denen sein? Denen geht’s gut. Vielleicht macht’s ihnen nicht immer Spaß, ja und? Mir steht der Job auch manchmal bis hier, kennen wir doch alle. Die beiden verdienen sich ’ne ordentliche Stange damit. Die arbeiten dreimal, viermal im Monat, das bringt denen mehr in die Tasche, als die anderen hier nach zwei Monaten zusammenkriegen. Für irgendwelche blödsinnigen Ideale kannst du dir nirgends was kaufen. Wir wollen doch alle leben, oder?
Frank entging die pikante Ironie nicht: Evitas Mädchen mussten sterben, um zu leben. Prächtiger Stoff, um in einem Philosophieseminar verhackstückelt zu werden.
Dreimal, viermal im Monat, hatte Evita in ihrem flammenden Plädoyer gesagt. Bei zwei Mädchen waren das sechs bis acht Buchungen. Das deckte sich auffallend mit seinen Bluttouren, wie er sie nannte: im Schnitt zweimal die Woche.
Denk nicht darüber nach, sagte er sich, das geht dich nichts an; du willst gar nicht wissen, was genau da läuft.
Natürlich wollte er das. So einer Geschichte musste er einfach nachspüren.
„Das Blut ...?“
Evita verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte ihn herausfordernd an. „Welches Blut?“
„Hallers Blut.“
„Das ist bloß Schweineblut“ erklärte sie leichthin. „Manche Kunden wollen, dass es wie eine Unfalltote aussieht, schön mit Wunden und allem Drum und Dran. Gibt’s natürlich nur gegen Aufschlag. Frag mich nicht, was die davon haben. Nehme mal an, das ist auch so ’ne Machtgeschichte.“
„Was ist mit den Citraten?“
„Ach, du weißt davon? Citrate sind Salze der Citronensäure; die halten das Blut flüssig. Hast du ’ne Ahnung, wie schnell Blut gerinnt?“
Hatte er nicht.
„Hat Haller sonst noch was geplaudert?“, forschte sie nach. „Etwas, das ich wissen sollte? Hm? Mir kannst du’s ruhig sagen.“
„Nee, hat er nicht.“
Da gab es ja auch nichts zu verschweigen, außer vielleicht Hallers Drohung: Ich häng dich am Haken auf wie ein Schwein. Nichts, womit er hätte angeben wollen. Ganz sicher nicht das, was Evita aus ihm herauszuschmeicheln hoffte.
Sie nickte so betont, dass die Botschaft unmissverständlich war: Ich will dir das mal glauben, aber solltest du mich doch angelogen haben, Freundchen, dann zieh dich warm an.
Sie ging zurück zu ihrem Schreibtisch, griff nach dem Telefon und bat Andrej ins Büro.
„Wer steht auf so etwas?“, erkundigte sich Frank, während sie auf den Russen warteten.
„Du würdest dich wundern“, antwortete Evita. „Soll bei Leichenbestattern ein beliebtes Spielchen sein, aber die sitzen ja auch an der Quelle. Und ob’s stimmt ...?“ Sie zuckte die Achseln. „Jedenfalls haben wir hier eine stabile Nachfrage. Es kommen natürlich nur Leute mit Geld ... mit viel Geld, versteht sich. Wir sind Monopolist in der Gegend, da können wir schon was verlangen.“ Sie schnaufte ein freudloses Lächeln aus. „Komisch, oder? Diese Kunden, die sind alle verheiratet. Wie leblos müssen die Frauen dieser Männer sein, dass die mir so viel Geld zahlen, um ’ne Leiche zu vögeln.“
„Verachtest du sie?“
Sie warf ihm einen stechenden Blick zu.
„Die Kerls? Alle, wie sie da sind. Die legen dir die Kohle aufs Bett, und dann bist du nichts weiter für die als ein Stück Fleisch mit zwei Titten und ’ner Möse drin. In diesem Gewerbe ficken sie dir jede Achtung vor ihnen grunzend aus dem Balg. Die paar Netten, die drunter sind, zählen nicht.“
„Warum hast du’s dann gemacht?“
„Das Geld war’s. Am Ende sind wir alle Huren. Alle spreizen die Beine, halten die Ärsche und Schlünder hin; hier, im Büro, in der Werkstatt, in den Ämtern. Aber wir sind wenigstens ehrlich dabei. – Ah, Andrej.“
Der Russe hatte die Tür geöffnet und kam ins Büro.
„Ich hab unserem Hausmeister hier von der Fünften erzählt.“
„Jetzt schon?“ Der Russe war sichtlich überrascht.
„Er wird nicht plaudern.“ Und während sie Andrej unverwandt ansah, sagte sie: „Wird er doch nicht, oder?“
„Ganz bestimmt nicht“, versicherte Frank.
„Plaudert er doch, weißt du, was zu tun ist.“
Andrej brummte zustimmend.
Frank hatte einige beiläufige Unterhaltungen mit dem Schläger geführt. Sie waren durchaus nicht unfreundlich gewesen. Aber so viel stand fest: Sollte er etwas von seinem Wissen nach außen tragen, würde ihm Andrej, da gab es keinen Zweifel, die Gesundheit ruinieren – im besten Falle.
Evita lächelte zufrieden. „Dann sind wir uns ja einig.“ Sie blätterte in ihren Unterlagen und winkte Frank herbei. „Morgen ist wieder ein Termin. Du holst am frühen Abend Nachschub bei Haller, und danach erweitern wir dein Aufgabenspektrum. Stell dich schon mal ein auf ungefähr Mitternacht.“

Am nächsten Tag um kurz nach Mitternacht holte Evita ihn zum angekündigten Besuch der Nekropolis ab. Sie verließen das Bordell zur Straße hin, wo sich Evita nach links wandte, bis sie hinter Nr. 11 das Gittertor einer Hofeinfahrt aufsperrte.
„Ist der einzige Zugang“, erklärte sie, während sie über den Hof gingen. Der war nur vage beleuchtet von den Lichtern aus den Zimmern der Bordellhäuser zu ihrer Linken. Die anderen drei Seiten des Karrees wurden von den rückwärtigen Wänden heruntergekommener Wohnblocks gebildet, von denen nur schießschartenartige Klofenster auf den Hof hinausgingen. Diese Abgeschiedenheit war ein idealer Schleichweg für Leichenliebhaber.
„Hab mich schon gewundert, warum ich im Haus nie was mitbekommen hab“, sagte Frank.
„Da hätten sich unsere Kunden auch schön bedankt. Hier vorne ist es schon.“
Frank schätzte, dass sie jetzt im Hof genau auf der dem Eingang zu Nr. 9 gegenüberliegenden Seite standen. Sie blieben vor einem etwas mehr als mannshohen Anbau stehen, der sich gegen das Bordell duckte und eine beachtliche Breite und Länge aufwies.
Evita entriegelte die Flügeltüren. Der Schließmechanismus hätte einem Hochsicherheitstrakt zur Ehre gereicht. In der Dunkelheit dahinter tastete sie nach einem Lichtschalter.
Frank folgte ihr hinein, und Evita schloss hinter ihm wieder ab. Der Raum war leer und penibel sauber gehalten. An seinem Ende war eine Tür in die Hauswand eingelassen. Evita zog sie auf; dahinter befand sich ein Fahrstuhl.
„Unser Styx in die Totenwelt“, sagte Evita. „Es gibt keinen Fährmann hinauf, nur ’nen Liftboy, und das ist entweder Andrej, oder, wenn der keine Zeit hat, bin ich’s.“
Er betrachtete den Fahrstuhlspiegel. Auf dem Glas war nicht die kleinste Schliere zu sehen.
„Hinter dem Spiegel ist das Treppenhaus“, erklärte Evita auf der Fahrt nach oben. „Wir haben die Fahrstuhltüren im ganzen Haus zugemauert. Kein Mensch ahnt was davon. – Da sind wir auch schon.“
Die Tür glitt auf. Der kleine Flur der fünften Etage wurde von den niedrig sitzenden Dachschrägen klaustrophobisch eingezwängt. Durch die Dachfenster schimmerte der kraftlose Schein eines wolkenverhangenen Halbmondes herein und warf ihn und Evita als konturschwache, in Hüfthöhe scharf abgewinkelte Schatten gegen die Wand.
Evita öffnete die einzige Tür auf diesem Flur und schaltete das Licht in dem Raum dahinter an.
„Et voilá“, sagte sie und machte eine ausladende Handbewegung, als präsentierte sie ihm eine Nobelsuite im Steigenberger.
Frank war von der Nekropolis enttäuscht. Er hatte gehofft, wenigstens einen Blick auf den Leichenschänder oder die Tote werfen zu können, aber die beiden hatten das Feld bereits geräumt. Was das Zimmer anging, hatte er sich morbiden Hirngespinsten hingegeben, aber die Realität war ernüchternd. Das war keine Folterkammer, kein mit Fäulnisgasen verpestetes Mausoleum. Bloß ein Raum mit einem übergroßen französischen Bett, im hochgestellten Kopfteil ein Spiegel. Das Fenster mit dem heruntergelassenen Rolladen in der Dachschräge war zum Lüften angekippt. Auffällig waren eigentlich nur hunderte von Fotos, die dicht an dicht auf den Wänden klebten und die Tapete darunter kaum noch erkennen ließen. Und die Kühlbox neben dem Bett. Eine von Hallers Boxen.
„Das muss alles sauber“, bestimmte Evita und zeigte auf eine Tür in der gegenüberliegenden Wand. „Da drin ist das Bad, da findest du auch das Putzzeug.“
Frank holte aus einem Schrank im Bad die Reinigungsmittel, streifte sich Handschuhe über und begann mit dem Bett. Laken und Decke waren mit dunklen Flecken übersät. Eine größere Lache auf dem Laken war noch feucht – als er sich darüber beugte, spiegelte sich sein Gesicht darin.
Er atmete einige Male tief durch, um seinen Magen zu beruhigen.
„Wohin mit dem Zeug?“, wollte er wissen.
„Pack’s in den Blauen. Kommt unten in die Tonne. Hier oben nutzen wir die Bettwäsche nur einmal.“
Frank stopfte die erste Decke in den Sack. Dabei fiel etwas aus einer Stofffalte auf den Boden. Sah aus wie ein vom Spieß gestreifter Schaschlikwürfel. Er bückte sich danach, betrachtete seinen Fund näher ... und ließ ihn erschrocken wieder fallen.
„Das ist ’n Stück Leber.“
„Kann schon sein“, sagte Evita. „Ich hab dir doch gesagt, manchmal wollen sie was von ’nem Unfall. Der Kunde heute hatte Lust auf die Frau-vom-LKW-überfahren-Nummer. Hier, schau mal, so was Ähnliches hatten wir schon mal.“
Sie klopfte auf eines der vielen Fotos an der Wand. Die gestochen scharfe Aufnahme zeigte ein Mädchen, das rücklings auf einem Bett lag, leichenblass, mit geschlossenen Lidern, selbst noch im Tod eine Schönheit, jedenfalls was das Gesicht betraf. Ihre Arme und Beine waren leicht gespreizt, die Handflächen mit den spinnenbeinartig gekrümmten Fingern himmelwärts gerichtet, Oberschenkel und Waden ein Flickenteppich aus Hämatomen und Abschürfungen. Ihr Bauch ... Frank schluckte, als er das Kuddelmuddel von Innereien und Blut betrachtete, das aus der aufgeplatzten Bauchdecke hervorquoll und sich wie ein saftglänzender Gekröseberg zur rasierten Scham hin auftürmte.
„Die Nummer hat damals auch Andrea übernommen“, erläuterte Evita. „Zwei geschlagene Stunden hab ich an ihr rumgeschminkt, genau wie heute. Ein ganzes Pfund Leber ist draufgegangen. Hast du ’ne Vorstellung, was das für die Mädchen heißt? Zwei Stunden ohne jeden Mucks liegen? Und dann noch der Kunde? Als Leiche darfst du keinen Finger krümmen. Mach das mal.“
Bei allem Abscheu konnte Frank nicht umhin, Evitas Talent zu bewundern. Sie hätte eine astreine Karriere als Visagistin für Splatterstreifen hinlegen können.
„Das Foto von der LKW-Nummer heute wird noch besser“, versprach Evita und tippte auf eine freie Stelle zwischen den Fotos. „Hier häng ich’s hin.“
Sie drehte sich um und lächelte. Aus jedem Grübchen in ihrem Gesicht sprach der Stolz über das maskenbildnerische Meisterstück.
„Los jetzt“, drängte sie, „ich hab unten auch noch was zu tun. Halbe Stunde bist du fertig.“
Frank stopfte das Bettzeug in den blauen Sack, wischte die Blutspritzer vom Bettrahmen, wienerte den Boden, reinigte die Kühlbox in der Dusche, hernach die Dusche selbst, und zum Schluss nahm er aus dem Schrankfach neben dem Putzzeug frische Bettwäsche und bezog den Leichenacker.
Als sie dann gehen wollten, fiel ihm ein kleines Brett an der Wand auf. Darauf stand ein Einmachglas, das mit einer klaren Flüssigkeit bis oben hin gefüllt war. In dem Glas schwamm ein über dem ersten Gelenk abgetrennter kleiner Finger mit ausgefranstem Wundrand.
Saubere Arbeit, dachte Frank mit schaudernder Anerkennung, sieht aus wie echt.
„Ist der gekauft oder hast du den gemacht?“
„Ist ’n Erinnerungsstück. Wir hatten mal eine hier, die war völlig durch’n Wind. Zweitausend extra hat die genommen, dafür durfte der Kunde ihr mit ’ner Gartenschere den Finger abschneiden. Die hat das Geld für Stoff ausgegeben. Wahnsinn, oder? Für Dreck, der einen umbringt. Und dafür ’nen Finger hergeben. Ich hätt’ mit dem Geld was Besseres angefangen.“
Frank hatte es plötzlich eilig, in den Fahrstuhl zu kommen. Als sie nach unten fuhren, fiel ihm noch etwas ein, das ihm während der Putzerei beständig durch den Kopf gegangen war.
„Wo ist eigentlich die Leber hin? Ich mein, du hast doch gesagt, das wär ’n ganzes Pfund gewesen, aber da war nur das kleine Stückchen ...“
Evita machte eine Geste der Ratlosigkeit. „Der brät sich das Zeug zu Hause mit ’nem Haufen Zwiebeln. Wär doch schad drum, hat er mir mal gesagt. Außerdem könnt’ er so das Mädchen noch mal schmecken. – Was siehst du mich so an? Ich würd so was bestimmt nicht essen.“
Bevor sie die Hoftür des Anbaus aufschloss – Frank wollte nur noch raus, raus in die Unschuld des Hinterhofs, raus in das Leben auf der Straße –, nahm Evita ihn noch einmal ins Gebet.
„Damit das klar ist: Du hast nichts gehört, nichts gesehen, und du wirst nichts ...“
„Kein Wort“, versicherte er. „Wie die drei Affen.“
Bloß raus hier.
„Und du fährst niemals allein da hoch, verstanden?“
Das war nun nicht schwer zu verstehen.
Frank nickte.
Raus.

Zu niemandem ein Wort, das hieß für Frank: ausgenommen Clarissa. Er vertraute ihr, wie man nur jemandem vertraut, den man ... Aber war das nicht ein zu großes Wort?
Vielleicht, so hatte er oft überlegt, vielleicht mochte er sie ja bloß; mochte sie, weil sie mitunter genauso einsam zu sein schien, wie er es war. Wie sie traurig dastand, wenn kein Kunde in der Nähe war, jedwede Spannung ihres Körpers verflogen, den leeren Blick seelenwärts gerichtet – nur um im nächsten Augenblick, beim nächsten „Bist du noch frei?“ wieder die verruchte Lady aus sich herauszupulen.
Aber Mitgefühl als Basis für ein gemeinsames Leben funktionierte allenfalls im Tierheim. Die Käfigbewohner dieses Laufhauses wurden nicht mitgenommen; ein kleines Spielstündchen beizeiten, dann galt es, auf das nächste Herrchen zu warten.
Mal ganz davon abgesehen, dass Clarissa es augenscheinlich nicht darauf anlegte, ausgerechnet von ihm mitgenommen zu werden. Nicht mal auf einen Kaffee nach Feierabend ließ sie sich ein.
Aber wen außer Clarissa hatte er denn schon zum Reden? Und die Sache mit der Nekropolis war wirklich zu heiß.
Eine Woche lang schnürte er immer wieder an ihrem Zimmer vorbei, bis er sie endlich allein dort oben antraf. Er wollte schon die Geschichte von der kleinen Totenwelt über ihren Köpfen rausfeuern, als sie ihn am Ärmel zupfte. Offenbar hatte auch sie etwas auf dem Herzen.
„Kommst du kurz rein?“, bat sie ihn.
Frank zögerte. Diese Schwelle hatte er weiß Gott schon oft überschritten. Mit Putzeimer und Staubsauger. Aber noch nie mit Clarissa. Sie war die verbotene Frucht. Wenn er jetzt mit hineinging und davon naschte, würden sie beide hochkant hier rausfliegen.
„Wenn uns einer sieht?“, wandte er ein.
„Bitte!“, drängte sie.
Ihre Augen schimmerten feucht. An einem amourösen Abenteuer war ihr sichtlich nicht gelegen.
Verzweifelt wägte Frank das Für und Wider ab. Er dachte an die armseligen Vorsprechtermine in Zimmer 114 der Arbeitsagentur; dachte an den Fallmanager, der ihm mit Leistungskürzung gedroht hatte, sollte er nicht den dritten Kurs Bewerbertraining besuchen; dachte an seinen geplanten Winterurlaub.
In diesem Moment wurde ihm schmerzhaft bewusst, wie recht Evita doch hatte: Am Ende sind wir alle Huren. Er war keinen Deut anders als Clarissa. Einer, der sich für Geld verkaufte. Die Klappe hielt. Eine Hausmeisterhure.
Lass sie nicht hängen, dachte er. Scheint, als bräuchte sie deine Hilfe.
„Aber nur kurz“, sagte er und betrat das Zimmer.
Clarissa schloss die Tür, und damit wurden alle Gedanken an Evita, Andrej und das schöne Geld fürs Nächste ausgesperrt.
Sie setzte sich auf das Bett und begann zu weinen. Langsam, beinahe widerstrebend, trat er näher. Er konnte mit weinenden Frauen nichts anfangen. Tränen machten ihn hilflos.
„Was ist mit dir?“, erkundigte er sich. „Siehst nicht gut aus.“
„Mir geht’s beschissen.“
„So schlimm?“
Er setzte sich neben sie. Tapsig legte er seinen Arm um ihre Schulter und wollte sie an sich drücken, aber Clarissa wand sich frei und rückte ein wenig von ihm ab.
„Lass das“, sagte sie.
„Aber ich wollt’ doch nur ...“
„Ich weiß, was du wolltest. Ich ertrag das nicht.“
Ihre Zurückweisung versetzte ihm einen Stich. Sie hatte ihn schließlich hereingebeten. „Nur ein bisschen in den Arm nehmen, mehr wollt’ ich gar nicht.“
„Aber ich will das nicht“, sagte sie, und ihre zitternde Stimme gewann an Schärfe. „Kannst du das nicht verstehen? Diese schmierigen Kerle, tagein, tagaus. Kommen hier reingekrochen und suchen nach ihrer verschissenen Mutter. Nach ’nem Frauchen. Verzogene Bengels wollen sie sein. Hunde. Stiefellecker. Beschimpfen soll ich sie. In den Mund spucken. Ihre Fettärsche mit der Peitsche versohlen. Die widern mich so an!“
„Ich bin nicht wie die.“
„Du bist ein Mann.“
Das war ein Argument, das er nur schwerlich widerlegen konnte. Etwas in ihm empörte sich über die Sippenhaft, in die sie ihn nahm. Aber der Gedanke an die allabendliche Heerschau der Testosteronkrieger da draußen brachte den kleinen Protestler rasch zum Schweigen.
„Kann ich dir was helfen?“
„Zuhören“, sagte sie. „Ich hab keinen, der mir zuhört.“
Da sind wir schon zwei, dachte er.
Sie erzählte ihm die alte Geschichte vom Vater, der mit einer Jüngeren durchgebrannt war. Von der Mutter, die sich betrunken und sie geschlagen hatte. Wie sie nach dem Hauptschulabschluss von zu Hause ausgebüchst war, sich wahllos Männern an den Hals geworfen hatte, bloß um eine Bleibe zu haben, bis sie schließlich vor fünf Jahren hier gestrandet war, in der Hoffnung, sich ein kleines Startkapital für einen Neuanfang zusammensparen zu können. Aber sie war immer noch hier, und vom Geld kaum was übrig.
„Und jetzt wollen die ...“
Hier versagte ihr die Stimme. Die Verzweiflung in ihrem Blick schnürte ihm die Kehle zu. Mit jeder Faser seines Körpers wollte er nach ihr greifen, sie beruhigen, ihr Mut zusprechen. Gottnocheins, warum lässt du mich nicht, dachte er bitter. Ich bin doch hier. Bin doch hier.
„Was wollen die?“
„Evita. Andrej.“ Sie holte tief Luft. „Ich soll ’ne Etage höher.“
Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte stumm hinein.
Frank hielt es nicht mehr auf dem Bett. Er sprang auf und lief ziellos im Zimmer umher.
„Das können die nicht machen“, sagte er. Immer wieder: „Können die nicht. Können die nicht. Können die nicht.“
Er sprach es wie eine rituelle Formel, die Beschwörung eines gnädigen Gottes, der es mit dem vorgezeichneten Schicksal vielleicht doch nicht ganz so genau nahm.
Er setzte sich wieder neben sie.
„Keiner kann dich zwingen. Nicht dazu.“
Sie ließ die Hände kraftlos in den Schoß fallen. Ihre Wangen waren rot vom Salz der Tränen.
„Ich will keine Leiche sein“, sagte sie.
„Du musst das doch nicht machen.“
Sie sah ihn zornig an. „Was weißt du denn schon?“
„Ich war oben.“
„Du?“
Misstrauen keimte in ihrem verschleierten Blick auf.
„Nur zum Saubermachen, ’n paar Mal bloß“, beeilte er sich zu sagen. Noch vor Minuten hatte er ihr unbedingt von dem Zimmer erzählen wollen, jetzt überlegte er fieberhaft, wie er ihren Fragen nach den Details entwischen konnte. „Was ist mit den Mädchen, die das bisher gemacht haben?“
„Steffi allein schafft das nicht.“
„Evita sprach von zwei Mädchen.“
„Andrea? Die kommt nicht mehr. Ist einfach abgehau’n. Keiner weiß, wohin. Die hat mir mal gesagt, sie hält das nicht mehr aus. Bringt mich irgendwann noch wirklich um, hat sie gesagt. Und jetzt soll ich an ihrer Stelle da rauf.“
„Dann hör auf mit dem Job. Du hast was Besseres verdient.“
Damit meinte er sich.
„Ich kann nicht einfach aufhören.“
„Aber warum denn nicht?“
Sie wandte den Blick ab und sagte bloß ein Wort: „Andrej.“
Der also. Gleichwohl war Frank nicht entmutigt. Andrej war weit fort, irgendwo hinter dieser Tür, und Frank fühlte sich Clarissa in diesem Moment so nah, dass er einen lange überwunden geglaubten Leichtsinn beging: Er gab ein Versprechen ab.
„Niemand wird dich da oben reinstecken“, sagte er, ganz der treue Beschützer.
Sie bedachte ihn mit einem ausdruckslosen Blick, der nicht erkennen ließ, ob sie aus seinen Worten etwas Hoffnung schöpfte.
„Das lass ich nicht zu“, bekräftigte er.

Er ließ es dann doch zu.
Evita war außer sich vor Zorn. Sie ließ keine seiner Einwendungen gelten. Seine Herzschmerzangelegenheiten solle er gefälligst mit sich selbst ausmachen, aber nur ja die Mädchen in Ruhe lassen. Und wenn er schon unbedingt den Galan spielen wolle, bittschön, aber dann müsse er Clarissa erst auslösen (hier nannte sie ein Sümmchen, das er in zwei Jahren schottischster Lebensart nicht zusammengebracht hätte). Sie drohte ihm erst mit Rausschmiss. Dann mit Andrej.
Der ritterliche Mumm, der noch in Clarissas Zimmer durch seine Venen geschäumt war, schmolz auf ein paar jämmerliche „Ja, aber“-Brocken zusammen.
Er behielt die Stelle und die Unversehrtheit seiner Glieder. Die Warnung aber war unmissverständlich: noch so’n Ding!
Was sollte er auch tun? Zur Polizei gehen? Die betrieb hier eine Revierfiliale. Wann immer Andrej einem allzu aufdringlichen Kunden das Gesicht durchwalkte, kamen bald darauf die Beamten, flachsten ein wenig mit Evita und dem Russen, und wenn sie in Spendierlaune waren oder der Randalierer sich gar zu ungebärdig gegen die Festnahme sträubte, verpassten sie ihm noch einen ordentlichen Verwahrungsklaps, wie sie es nannten – sie konnten es im Bericht ja immer noch Andrej unterjubeln, der hinwiederum nichts befürchten musste, hatte er doch bloß eines der Mädchen beschützt. So waren alle fein dabei raus, und manchmal kamen die Beamten Tage später in Zivil und holten sich Evitas Dank bei einem der Mädchen ab.
Nein, er musste allein damit klarkommen.
Als er sich nach Tagen getraute, Clarissa wieder unter die Augen zu treten, war ihr Zimmer verwaist. Er wusste weder, wo sie wohnte, noch kannte er ihren Nachnamen oder eine Telefonnummer. Eines der Mädchen zu fragen, kam nicht in Frage - denen war Stillschweigen so fremd wie Keuschheit.
Ich lass das nicht zu, hatte er Clarissa verprochen. Was war er nur für ein kleiner, feiger Schisser.
In dieser Nacht betrank er sich das erste Mal seit vielen Jahren.

Drei Wochen vergingen, in denen er immer wieder das Treppenhaus hinauflief und an der verschlossenen Tür zur fünften Etage lauschte. Nichts. Wenn er nach einer Buchung zum Saubermachen in die Nekropolis fuhr, aufmerksam bewacht von Andrej oder Evita, achtete er auf jedes Detail, das ihm Aufschluss über Clarissas Befinden hätte geben können. Vergebens. Die Fotos – vielleicht hing sie schon dort, von Evita kunstvoll zurechtgemacht, aber er fand nie die Zeit, mehr als nur einen flüchtigen Blick auf das Totenalbum zu werfen.
Dann, eines nachts, als er einen Betrunkenen auf der ersten Etage einsammelte und ihm unsanft die Treppe hinabhalf – der abgefüllte Kneipengänger hatte halb Frankreich mit faden Häschenwitzen gelangweilt –, wurde er Zeuge eines ungewöhnlichen Disputs zwischen Evita und Andrej. Er war noch nicht ganz mit seiner schwankenden Begleitung unten angekommen, als die Tür zum Büro aufging und die beiden auf den Flur heraustraten.
„Die Schlampe bringt uns in Teufelsküche“, sagte Evita erbost.
„Hab’s überall versucht“, erwiderte Andrej kleinlaut.
„Schau genauer hin. Wird sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.“
„Und dann?“
„Kündigung.“
Nur diese Wortfetzen, dann waren die beiden auf der Straße verschwunden.
Schlau war Frank nicht daraus geworden. Wer war mit Schlampe gemeint? Clarissa etwa? Gab es Schwierigkeiten?
Seine Befürchtung bestätigte sich, als er nach Feierabend auf dem Parkplatz vor seinem klapprigen Fiesta stand. Er schloss auf, schob seine Hand unter den Türgriff und fühlte ein Stück Papier. Es war eine kurze, offenbar in aller Eile hingekrakelte Notiz:
Hol mich an der evangelischen Kirche ab. Bitte! Claudia
Mit der bangen Frage, wie es ihr gehe und ob sie ihm seine Feigheit verziehen habe, fuhr er zur Kirche und hielt am Bürgersteig. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten der Gebäudewand, eilte zu ihm herüber und warf sich auf den Beifahrersitz.
„Endlich“, sagte er mit klopfendem Herzen, „ich hab mir solche ...“
„Fahr!“
„Wohin?“
„Scheißegal!“
Während der ziellosen Fahrt durch die Peripherie der Stadt warf er häufiger einen flüchtigen Blick zu ihr hinüber. Sie hatte die Domina abgestreift und trug jetzt Shirt und Jeans, die Haare nachlässig zu einem Zopf gebunden. Schlecht sah sie aus. Eingefallen. Verhärmt.
„Wie geht es dir?“, brach er schließlich das Schweigen.
Sie würgte. Dachte er jedenfalls, aber es sollte wohl eine Antwort sein.
„Was?“, hakte er nach.
„Vorgestern hatte ich eine Buchung,“ sagte sie, ohne aufzublicken.
„Diese Schweine“, rief er aus, als wäre es die Überraschung des Jahres.
„Heute sollte meine zweite sein.“
Sie gab sich alle Mühe, ruhig zu sprechen, aber Frank spürte: nur ein bisschen an der emotionalen Kruste knibbeln, und ihre ganze eiternde Seele würde herausspritzen.
Er dachte an den Blutnachschub, den er heute besorgt hatte. Für Claudia also. Noch bei seinem Botengang hatte er es prächtig verstanden, diesen Gedanken gar nicht erst zuzulassen.
„Die zweite schon? Wieso sollte?“
„Ich war nicht da.“
„Warum nicht?“
Erstklassige Frage, mein Lieber. Du hast den Bogen raus. Muss sich für sie ja ganz danach anhören, als verlangtest du eine Rechtfertigung von ihr.
„Ich mein, warum ...“
„Warum, warum, warum! Willst du tauschen? Ja?“
„Bei Gott, nein!“
Claudia holte tief Luft. „Als er fertig war ...“ Sie brach ab und lehnte den Kopf an die Nackenstütze. „Als er mit mir fertig war, hat er noch mit Evita gesprochen. Die dachten wohl, ich bekäme es nicht mit. Nicht übel, die Kleine, hat er gesagt. Nicht ganz so sensationell wie die echte Tote vor drei Tagen, aber wirklich nicht übel. Weißt du, was das heißt?“
Ihre Stimme war nah am Überschnappen.
Frank war schlagartig übel geworden. „Das hat er nur so gesagt“, wandte er ein, „du weißt doch, wie Männer sind. Immer auf den Putz hauen. Wollen immer die Größten sein. Das war bloß ’n blöder Spruch.“
„Das war kein beschissener Spruch!“, schrie sie ihn an. „Der hat vor mir ’ne Leiche gehabt.“
„Das ist ... ich weiß gar nicht, was ich ... dann musst du zur Polizei, Clarissa.“
„Ich heiße Claudia. Das weißt du! Der Freier ist ’n krankes Schwein von Staatsanwalt. Und die Bullen? Es sind Evitas Bullen. “
„Aber du kannst das doch nicht einfach so laufen lassen.“
„Wenn ich was sage, holt mich Andrej.“
„Versteck dich irgendwo. Andrej ist nicht Gott.“
„Ich wünschte, er wär’s; dann wär ihm alles egal.“
Sie fuhren eine Weile schweigend durch die Nacht. Frank war zutiefst beunruhigt. Irgendetwas hatte sie noch auf dem Herzen, so angespannt, wie sie weiterhin dasaß.
„Da ist noch was“, begann sie schließlich.
„Ja?“, sagte er, obwohl er es nicht hören wollte. Die Art, wie sie sprach, weckte in ihm nur einen Wunsch: Ich will das nicht hören.
„Ich war gestern bei der Routine.“
„Die Untersuchung?“
Alle Mädchen mussten in bestimmten Abständen zum Arzt, oder wie es in Nr. 9 hieß: Muschicheck.
Claudia hatte die Hände in den Schoß gelegt und strickte mit ihren Fingern ein Gedankenknäuel.
„Die haben was gefunden.“
Er schaute kurz zu ihr rüber. Sie warf ihm einen wilden, stierenden Blick zu.
Ohne ein weiteres Wort wusste er um den Befund. Er hatte davon gehört, abgestoßen und fasziniert zugleich. Hatte nie daran geglaubt. Bloß eines dieser abseitigen Schauermärchen.
Der Herr Staatsanwalt hatte sich beim Rein-und-raus mit der Toten Leichenwürmer eingehandelt. Und jetzt wimmelte es in Claudias Schoß von diesen ...
Die Schinkenbrote vom frühen Abend verlangten nach Freiheit. Rasch lenkte er den Fiesta an den Straßenrand, riss die Tür auf, dann schoss ihm auch schon der halbverdaute Schinken-Vollkorn-Pamps durch Mund und Nase, geradewegs in den Rinnstein.
Als er sich wieder aufrichtete, hielt sie ihm mit tränennassem Gesicht ein Taschentuch hin. Er nahm es und wischte sich den Mund ab, beschämt darüber, dass er sich so gehen ließ. Sie war es, die allen Grund zum Magenaufruhr hatte, aber vermutlich hatte sie das schon hinter sich.
„Warum hast du kein Gummi genommen?“, keuchte er, und der Vorwurf war so gallenbitter wie der Geschmack auf seiner Zunge.
Claudia blickte ihn verständnislos an. „Ich hab immer Gummis genommen. Ich bin doch nicht verrückt.“
„Aber wie konnte dann das passieren?“
Sie schüttelte leise den Kopf. „Keine Ahnung, wovon du sprichst. Der Arzt meinte, der Gebärmutterhals würd ihm gar nicht gefallen. Er hat ’ne Gewebeprobe eingeschickt.“ Kaum noch hörbar fügte sie hinzu: „Ich weiß, was dabei rauskommt. Ich spür das.“
Frank atmete für einen Augenblick erleichtert auf. Keine Würmer. Es war doch nur eine alberne Lagerfeuergeschichte. Dann wurde ihm klar, worauf ihre Andeutung hinauslief, und der Schreck fuhr ihm tief ins Gedärm.
Zervixkarzinom. Das hatte seine Mutter aus dem Leben gefressen. Die Gebärmutter hatten sie ihr rausgeschabt, aber der Krebs hatte bereits gestreut. Gestreut – was für ein elender Euphemismus! Ein Blitzkrieg war es gewesen.
Mit seiner Rechten griff er nach ihren zitternden Händen.
„Das heißt doch nichts“, versuchte er sie zu beruhigen. „Das kann alles Mögliche sein. Warte doch erst mal das Ergebnis ab.“
„Scheiß aufs Warten“, sagte sie, während sie seine Hand so fest drückte, dass es schmerzte. „Ich warte, seit ich denken kann, aber am Ende geht immer alles schief. Das ist doch kein Leben.“
Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Es hätten seine Worte sein können.
„Frank?“
„Ja?“
„Bitte, kann ich heute nacht bei dir schlafen? Nur diese eine Nacht? Ich muss was nachdenken.“
So viele Nächte, wie du willst, dachte Frank.
„Klar“, sagte er.
„Dann fahr mich kurz nach Hause, ich hol meine Sachen.“

Sie lotste ihn in ein verwahrlostes Viertel. Er blieb im Wagen vor dem Achtstock sitzen, während sie die wenigen Schritte zur Tür eilte und im Haus verschwand.
Er schaltete das Radio an und drehte es laut, um Angst und Sorge zu betäuben. Whitney Houston versprach, ihn immer zu lieben.
Hör bloß auf mit der romantischen Folklore, dachte er verbittert. Irgendwann kommt die Zeit, da verpasst einer von uns dem anderen einen Arschtritt, und das war’s dann mit dem Gemaunze. Nichts im Leben war so gewiss wie der Tod und die Arschtritte. Schönen Dank auch.
Ein Schatten schob sich vor die Fahrertür. Frank schaute auf zum Gesicht des Besuchers, das ihm da, Wange an Wange mit dem käsigen Vollmond, entgegenblickte.
Die Tür wurde aufgerissen.
Andrej, dachte er noch voll Entsetzen.
Eine Faust huschte vor den Doppelmond, wurde größer und größer.
Treffer.
Aus.

Am Anfang war das Dunkel.
Bald gesellten sich blitzende Lichtpunkte hinzu, stoben durch die Finsternis.
Seine erste Empfindung: Kälte. Sie kroch ihm von den Lenden das Rückgrat hinauf, frostete seine Fußsohlen, kitzelte ihm die Hoden.
Sein Kopf ... oh, sein Kopf. Der war zu dreifacher Größe aufgebläht, nur um den hämmernden Schmerzen eine genügend große Spielwiese zu bereiten.
Er hörte Stimmen. Ein dumpfes Gemurmel, das keinen Sinn ergab; bloß eine Abfolge von Urlauten, wie Affengebabbel in zehnfach verlangsamter Geschwindigkeit.
Jahre vergingen. Aus den Urlauten wurden Silben, alsbald Wörter, dann Sätze.
Die Modulation der einen Stimme kannte er. Wie hieß sie doch gleich? Bonita? Evita? Marita? Dieser verfluchte Kopfschmerz. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
Die zweite Stimme. Harte Diktion. Der Name sauste ihm im Schädel herum, eine kleine mistige Fliege, die er nicht zu fassen bekam. Mütterchen Russland kam ihm in den Sinn. Aber nein, es war ein Väterchen. Ein Mann. Mit äußerster Willenskraft schnappte er nach dem Namen, bis er ihn hatte: Andrej.
Die andere Stimme: Evita, natürlich.
Da war noch ein Dritter.
„Halsstich oder Bruststich, is’ mir egal“, sagte der Dritte.
„Halsstich“, bestimmte Andrej.
Hals oder Brust? Wovon sprachen die?
Er versuchte, die Augen zu öffnen. Seine Lider widersetzten sich dem Ansinnen mit bleierner Schwere, aber sie mussten dann doch auf.
Ein kalter Lichtstrahl schlüpfte durch den Spalt, stach mit Nadelsschärfe in den Sehnerv. Rasch schloss er die Augen, atmete tief durch und unternahm einen neuerlichen, blinzelnden Anlauf. Diesmal gelang es besser.
Ganz Buchhalter, der er zeit seines Lebens gewesen war, erstellte er eine Bestandsliste des Anlagevermögens:
Da war zunächst einmal der Raum, in dem er sich befand, vielleicht sechs mal sechs Meter im Geviert. Vom Boden bis zur Decke weiß gekachelt. Ihm gerade gegenüber ein aus massiven Glasbausteinen zusammengesetztes Fenster, das die Nacht dahinter nur als dunkle Ahnung hereinließ. Zur Linken eine geschlossene Metalltür, zur Rechten ein ebenso geschlossenes, doppelt so breites Schiebetor, gleichfalls aus Metall.
Eine schmucklos-pragmatische Betriebs- und Geschäftsausstattung: Weiße Neonleuchten an der Decke; von der Decke hing ein motorbetriebener Kettenzug herab, der in einer Querstrebe von annähernd zwei Armeslängen endete, die auf dem Boden auflag; an den beiden Enden der Querstrebe waren zwei Klemmvorrichtungen verschraubt; das Bedienpult für den Kettenzug baumelte an einem Kabelstrang einträchtig neben der Kette.
Unweit davon hing eine handliche Maschine an einem zweiten Kabelmantel herab: Eine elektrische Säge mit einem Rotationszahnblatt.
Ein Metalltisch neben der Tür, darauf: Messer unterschiedlicher Form und Größe, eine kleine Axt, ein nachlässig zusammengerolltes Seil, Paketklebeband, verschiedenerlei Werkzeuge, deren Bestimmungszweck Frank nicht kannte, und – ein leerer 20-Liter-Eimer mit knallroter Banderole und dem Aufdruck Kraft Tomaten-Ketchup.
Er befand sich in einem Schlachtraum. Das war die Erkenntnis, schlicht und einfach.
Bei dem Gedanken war es nicht mehr weit bis zu Hallers Schlachtbetrieb, und richtig: Haller stand, flankiert von Evita und Andrej, unter den Glasbausteinen. Sie trugen einheitliche Mode: Gummistiefel und weiße Kittel. Andrej hatte neuerdings fünf Beine, drei davon gehörten zum Stativ einer Videokamera, hinter dem der Russe stand. Filmenswertes schien es nicht zu geben – das Objektiv war nach unten geneigt.
Was ja nicht so bleiben muss, dachte Frank, und jetzt wurde ihm bewusst, dass er splitternackt auf dem kalten Boden saß, mit dem Rücken gegen die Kacheln gelehnt. Er zog die Fersen seiner aufgestellten Beine noch näher ans Gesäß heran und beugte seine Brust vor bis zu den Knien, um seine Blöße zu bedecken und vielleicht ein wenig gegen die Kälte anzukämpfen, die aus seiner kalkfarbenen Haut Archipele unterschiedlichster Blaufärbungen hervorgelockt hatte. Erst, als er die Arme um die Beine legte, bemerkte er die Handschellen, die man ihm angelegt hatte.
„Frank.“
Das kam von links. Er blickte zur Seite. Sogleich kapriolten die Schmerzen wieder durch seinen Schädel.
Es war Claudia. Nackt. In fast der gleichen Haltung wie er. Sie trug den gleichen Handgelenksschmuck, nur dass sie ihr die Hände auf dem Rücken gefesselt hatten.
„Claudia.“
Das kleine Techtelmechtel blieb nicht ungehört.
„Ah, seht mal“, hörte er Haller sagen, „das Hausmeisterchen ist wach.“
Haller trat zu ihm und beugte sich herab.
„Wie geht’s uns denn?“
Nur eine rhetorische Frage. Haller wollte keine Antwort. Er streckte seine Hand aus und tätschelte behutsam Franks Wange.
„Weißte noch?“
tätschel
„Verarsch mich nicht noch mal, hab ich gesagt.“
tätschel tätschel
„Überleg mal, wie du uns alle verarscht hast. Du und die Nutte da.“
Haller sprach in einem leidenschaftslosen Vernunftston, der Frank die Kehle zuschnürte. Die Nummer kannte er noch gut, von seinem Vater. Bei einem Vergehen in einlullender Geduld die tausendundeins Erziehungsgebote deklamieren, mit der liebenden Hand über den Scheitel des ungezogenen Bengels streicheln – unterdessen lauerte die andere, kräftigere Hand nur darauf, selbst den geringsten Widerspruch („Wag dich und sag ein Wort!“) oder, noch frecher, das zerknirschte Schuldeingeständnis („Still! Du hättest vorher dran denken sollen!“) des kleinen Missetäters stummzuprügeln.
„Kommst an den Haken, hab ich gesagt.“
Franks väterliche Konditionierung ließ keine Verteidigungsrede zu.
„An den Haken“, wiederholte Haller. „Red’st nicht mit jedem, nä?“
Niemand hängt einen anderen einfach so an den Haken, sagte sich der Mucksmäuschenfrank, dem das Herz aus dem Hals springen wollte. Ein kleiner Angstmacher war er, der Haller. War wohl nicht gut um sein Selbstwertgefühl bestellt, dass er solche Sprüche klopfen musste.
„Na, mir isses wurscht“, sagte Haller, stutzte einen Moment und lachte dann laut auf. „Hey, ist der nicht gut? Im Schlachthaus ist mir alles wurscht. Das ist doch wohl ...“
„Haller!“, fiel Evita ihm scharf ins Wort.
Der Schlachter brummte missmutig und richtete sich auf.
„Gut, fangen wir an“, sagte er und nickt Andrej zu.
Der Russe trat mit dem Stativ einige Schritte zur Seite und justierte die Kamera.
Evita ging derweil zum Tor und zog es auf. Ein Schwall kühler Abendluft schwappte herein.
„Wir sehen uns im Büro“, sagte sie noch, dann war sie schon hinaus und das Tor wieder zu.
Haller griff in die Tasche seines Kittels und streifte sich eine Gummimaske über – es war das pausbäckige Karnevalsgesicht eines grinsenden Schweines.
„Keine blöden Großaufnahmen“, feixte er zu Andrej hinüber, seine Stimme dumpf unter dem starren Schweinegrinsen. „Bereit?“
„Bereit“, antwortete Andrej und drückte den Aufnahmeknopf.
Haller durchmaß den Raum mit stapfenden Schritten. Andrej folgte ihm mit einem Kameraschwenk.
Neben Frank strampelte Claudia mit den Beinen, aber ihre Fersen fanden auf dem glatten Boden keinen Halt.
„Hilfe!“, schrie sie gellend.
Der Schrei und die Aussicht, tatsächlich am Haken zu enden, brachte endlich Schwung in Franks Stimmbänder.
„Lass mich!“, bettelte er zum Schlachterschwein hinauf.
Warme Flüssigkeit umspülte seinen Sack.
„Das Hausmeisterchen ist nicht stubenrein“, kommentierte Haller.
„Geh weg!“
„Nein.“
Das Schweinegesicht neigte sich tiefer. Es hatte Hallers blaue Augen.
„Hätt’ dich wirklich gern am Haken geseh’n“, sagte das Schwein. „Hast echt Glück.“
Damit tat es einen Schritt zur Seite, packte Claudia bei den Knöcheln und schleifte sie rüber zum Kettenzug.
Kameraschwenk Andrej.
Frank blieb schluchzend an der Wand zurück, die Finger wie zum Gebet ineinander verschränkt, aber das war allein den Handschellen geschuldet.
Claudia lag schreiend auf dem Rücken, keilte in rasender Folge nach Haller aus. Der war anderes Schlachtvieh gewöhnt, weitaus schwerer, mit Kuhhufen bewehrt – dagegen die emsigen Fußsohlen hier: lächerlich.
Mit raschen, routinierten Handgriffen verbrachte er Claudias Füße in die Klemmvorrichtungen der Querstrebe.
Die Schmerzen machten sie rasend. Ihr Kreischen steigerte sich zum schrillen Geheul. Nicht menschlich, diese Stimme, ja, nicht mal mehr tierisch.
„Hör auf!“, glaubte Frank zu rufen, aber er brachte bloß ein Krächzen heraus, das in der Kakophonie unterging.
Er hatte bis zuletzt auf die Barmherzigkeit des Schlachters gesetzt, auf das Ätschi-Bätschi-Ende eines brutalen Scherzes gehofft. Jetzt aber, da es Claudia unbestreitbar ans Leben gehen sollte, rauschte Adrenalin in einer Flutwelle durch seine Venen, steigerte seine matten Kräfte für einen kurzen Moment ins Herkulische. Er schoss förmlich hoch auf die Füße. Ehe noch Andrej oder Haller reagieren konnten, war er schon unter irrem Gebrüll zum Tisch gelaufen und schnappte sich eine Klinge. Wegen der Handschellen hielt er das Messerheft mit beiden Händen. Er wirbelte herum, ein nackter Samurai mit einem Kinderschwert. Das alles ging so rasch vor sich, dass Haller kaum Zeit fand, dem Messer auszuweichen – er tat einen Ausfallschritt und hob dabei schützend den linken Arm. Die Schneide verfehlte seinen Hals und fuhr ihm ins Fleisch des Oberarms.
Die Schreie des Schweins mischten sich ins übrige Geheul. Es war, als wären die gemarterten Seelen aus dem Fegefeuer in diesen Raum gefahren, und eine jede klagte ihre Pein: das Grausen vor viehischem Tod; der Wahnsinn, der sich in die Schädeldecke krallte; die Wut, von Schmerz durchsaftet.
Einzig Andrej blieb ruhig. Er verließ seinen Regisseursposten, riss Frank das Messer aus der Hand und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, dass dieser bis zur Wand zurücktaumelte, wo er stöhnend zu Boden rutschte.
Haller tobte.
„Der Sauhund hat mich geschnitten!“, schrie er und schlug zur Beweisführung mit der rechten Hand auf die durchtrennte Stelle seines Shirts, die sich allmählich rot färbte. Aber mehr war es auch nicht – bloß ein Schnitt, der ein bisschen Blut hervorlockte.
Andrej kniete sich neben Frank und nahm ihn in den Schwitzkasten. Die Ellbogenbeuge klemmte Franks Kehlkopf ein, raubte ihm den Atem, lähmte sein ohnehin sinnloses Gestrampel.
„Mach das noch mal, und ich brech dir den Hals“, versprach Andrej. „Du guckst einfach zu und hältst die Fresse.“
Haller lief derweil wie wildgeworden auf und ab, Mordlust in seinen Augen unter der Maske. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab, seine Rachsucht in die Tat umzusetzen. Seine Wut konzentrierte sich auf Claudia, die ohne Unterlass schrie.
„Halt endlich die bekackte Schnauze, du blöde Kuh!“ Er nahm die Rolle Paketband vom Tisch, riss einen Streifen ab und klebte Claudia den Mund zu.
Es wurde ruhig im Schlachtraum, nur Claudias hyperventilierendes Schnaufen war noch zu hören.
„Mach weiter!“, befahl Andrej. „Der Kunde wartet.“
Der Kunde?, dachte Frank. Welcher Kunde?
„Dir hat er ja nicht den Arm versaut“, klagte das Hallerschwein. „Was is’ mit dem Film? Du und dieser Mistarsch wart beide im Bild.“
„Ich schneid’s später raus. Mach jetzt.“
Haller betastete noch einmal seine Wunde, dann nahm er das Bedienpult des Kettenzugs und drückte einen Knopf. Summend lief der Motor an. Langsam zogen die Kettenglieder die Querstrebe in die Höhe, und mit ihr Claudia. Als sie in der Luft hing – die Arme auf dem Rücken fixiert, die Beine bis an die Dehnungsgrenze gespreizt –, wand sie sich hin und her, wie eine Entfesselungskünstlerin, die vergeblich versuchte, sich an diesen unglaublichen Befreiungskniff zu erinnern.
Haller holte einen länglichen, runden Gegenstand vom Tisch. Das Schwein nickte Frank grinsend zu.
„Ist ’n Bolzenschussapparat“, erklärte Haller, als befände er sich auf einer Fachtagung der Schlachterinnung. „’s gibt drei Arten von Bolzen: penetrierend, stumpf und einen, der Gas einbläst. Der hier ist stumpf.“ Er hielt sich den Apparat demonstrativ an die Schweinestirn. „Dringt nicht ins Hirn. Betäubt bloß.“
Frank verspürte einen neuerlichen Entleerungsdrang, aber es war schon alles raus aus ihm. Er saß einfach da, vom Grauen und dem Russen innig umarmt, und beglotzte Hallers Auftritt.
„Bolzenschuss muss sein“, führte Haller weiter aus, während er nah an Claudia herantrat. „Steht in der Tierschutzschlachtverordnung. Kannste nachlesen, wenn du’s nicht glaubst.“
Frank hätte ihm alles geglaubt, wenn er nur Claudia gehen ließe. Bitte, lass sie doch gehen. Tu ihr nichts, ja? Lass sie einfach vom Haken, und wir gehen alle heim. Niemand wird was erfahren. Großes, großes Ehrenwort!
O Gott! Bitte, Haller!
„Der Apparat wird senkrecht zur Stirnfläche angesetzt“, sagte Haller. „Denk dir ’ne Linie vom Hornansatz zum gegenüberliegenden Auge. Dann vom anderen Horn zum anderen Auge. Wo die Linien sich kreuzen, setzt du den Apparat auf. Ungefähr hier.“ Er griff nach Claudias herabhängendem Haar, hielt ihren Kopf fest und setzte das Bolzenschussgerät auf ihre Stirn. „Gehör’n natürlich ’n paar Fingerspitzen dazu, die richtige Stelle zu finden, die blöde Kuh hat ja keine Hörner.“
Ein kurzer Druckluft-Plopp. Claudias Kopf wurde nach hinten getrieben, zog den Körper nach und ließ ihn vor und zurück schwingen. Ihre Muskulatur erschlaffte. Das Schnaufen hörte auf.
„Höchstens ’ne Minute zwischen Betäubungsschuss und Entblutungsschnitt“, sagte Haller, während er zum Tisch trat und das Bolzenschussgerät gegen zwei Schlachtermesser tauschte. „Is’ Vorschrift.“
Frank schloss die Augen und heulte wie ein Kind. Er wünschte sich, taub zu sein, aber das grausige Hörspiel lief weiter.
„Erster Schritt: Eröffnung der Haut.“
Er flüchtete in Gedanken auf eine Sommerwiese, aber die Blumen darauf waren verwelkt, manche bereits in Fäulnis übergegangen. Ein grinsendes Schwein rumpelte auf einem Rasentraktor über die Wiese und schnitt die Halme entzwei; wo die Halme fielen, tränkte sich der Boden mit Blut.
„Das is’ jetzt immer Fummelei ... Durchstich hinter der Kehle ... genau zwischen Luftröhre und Wirbelsäule ... na, komm schon ... da liegen die Biester ... Halsschlagadern auf beiden Seiten ... passt ...“
Nur ein kleiner Wasserfall, der da plätschert, versuchte Frank sich einzureden.
„Der Sack hat die Augen zu“, beschwerte sich Haller. „Verdammt, sorg dafür, dass der sich das hier beguckt!“
Andrejs Atem blies ihm ins Ohr. „Mach die Augen auf!“
Frank gehorchte.
Da hing Claudia. Kopfüber am Kettenzug. Träge schaukelndes Schlachtfleisch. Perfekt gesetzter Zwillingsschnitt am Hals. So viel Blut. Zweistromblut. Läuft durch den Abfluss im Boden. Platscht in den Tank darunter.
Haller durchschneidet ihr vollends die Kehle. Noch mehr Blut. Er trennt den Kopf vom Rumpf. Hackt mit einem Beilmesser die Oberarme ab. Jetzt die elektrische Säge. So laut, so grässlich laut. Beginnt bei der Scham. Arbeitet sich nach unten durch. Bauchdecke auf. Brustkorb auf. Die Füllung fällt raus: plumps, plumps, plumps. Organe. Gedärmeschlingen. Der Magen.
Bewundere das Schwein. Wär absolut nichts für mich, so’n Schlachterjob. Glaub, ich müsst kotzen dabei.
Später dann: Andrej. „Fertig?“
„Fertig.“
„Dann rüber zum Kunden.“

Andrej führte Frank in den Raum hinter der Metalltür.
Endlich, dachte Frank erleichtert, ich hab so Hunger. Will bloß noch nach Hause und unter die Dusche.
Andrej drückte ihn bäuchlings auf einen Tisch hinab.
„Richtig so?“
Na klar war das richtig. Bisschen ausruhen von den Strapazen.
„Ja, das ist gut“, antwortete eine Männerstimme.
Ach, er war gar nicht gemeint.
„Einen frischeren Jahrgang hatten Sie nicht?“, erkundigte sich der Mann.
„Derzeit nicht“, hörte Frank Andrej sagen.
An der Tischplatte vorbei sah er ein Beinpaar, das in einer anthrazitfarbenen Anzughose steckte. Die Hose stülpte sich über schweineteuren Schuhen. Hallerschuhe. Guter Witz, fand er. Muss ich unbedingt morgen Claudia erzählen.
„Soll ich’s aufnehmen?“, wollte Andrej wissen.
„Ja, bitte. Dieses erste Mal will ich nicht vergessen.“
Eine Hand wuschelte durch seine Haare, streichelte seine Stirn. Die Hand war parfümiert.
Schritte, die sich entfernten.
Also, diese liebkosende Hand, die roch wirklich gut.
Schritte, die zurückkamen.
„Mit Gesicht?“
„Ohne“, kam die Antwort mit Bedauern. „Man weiß ja nie.“
Ein kurzes Geklapper.
„Aufnahme?“
„Aufnahme. Holen Sie Haller, dann gehen Sie bitte.“
Schritte, die sich entfernten.
Wären doch bloß seine Handschellen nicht gewesen, er hätte nach dieser duftenden, ihn zärtlich erforschenden Hand gegriffen.
Schritte, die zurückkamen.
„Wohin damit?“
„Hierhin, bitte.“
Eine Hand, nicht die schöne, duftende, sanfte Hand, eine behaarte Schwielenhand legte ein Messer auf die Tischplatte. Die Klinge glänzte rot.
„Sie setzen den Schuss und warten dann bitte draußen.“
Ein blutbefleckter Kittel geriet in sein Blickfeld. Er verdrehte die Augen und schaute hoch zum Schwein.
„Hallo Schwein“, sagte Frank und lächelte versonnen.
Das Schwein grinste wortlos zurück.
Die zärtliche Hand wurde fortgenommen. Das Schwein drückte ihm einen kühlen Metallmund an die Stirn.
„Nicht aufhören“, jammerte Frank der Hand hinterher.
Ein Druckluft-Plopp.
Das Schwein verschwand in der Dunkelheit. Meeresrauschen brandete durch Franks Ohren. Hier hatte er immer hingewollt: ans Meer. Das Meer und diese Hand – konnte ein Tag bezaubernder enden?
Jemand zog sich aus an diesem nachtschwarzen Strand. Durch die Brandung hindurch hörte er das Klappern seiner Gürtelschnalle. Es war der Handmann, der Treue, der Gute. Er konnte ihn erschnuppern. Der Handmann trat hinter ihn und drückte ihm sanft, unendlich sanft die Beine auseinander.
Heißes, pulsierendes Fleisch glitt durch den Spalt seiner Hinterbacken. Der Handmann beugte sich über ihn.
Dann war sie endlich, endlich wieder da, diese Hand, die so köstlich duftete. Er hätte vor Freude weinen mögen, allein er konnte es nicht. Er konnte nur liegen. Schweben. Träumen.
Die Hand hielt ihm etwas an die Kehle, hart, scharf; es ließ eine Ahnung von Schmerz in ihm anklingen, aber dieser Hand hätte er alles verziehen.
Dann machte die Hand eine rasche Bewegung, und dabei wirbelte sie ein Bouquet auf, dass ihm tausend Sterne vor den Augen tanzten.

 

Tach zusammen.

@ Hanniball

Für mich in der Tat. Denke ich, jedenfalls. Was haben wir?
Der Mann nimmt einen Job an, gewöhnt sich ein, lernt ihn kennen. Er entdeckt ein Geheimnis und wird zum Verräter. Dafür wird er bestraft.
:susp:
Dann sind auch die Lottozahlen vorhersehbar. 49 Zahlen, eine Lottofee, am Ende gewinnt 6 + Zusatzzahl.

Bin hiermit der erste Unterstützer!
Ich mach da aber nicht mit (jedenfalls nicht auf seiten der Vervollständigungs-Schamanen), weil ich in den meisten Fällen eh nicht raff, worauf eine Geschichte hinausläuft – was ganz gut ist beim Lesen, denn so wird es mir nicht gar so rasch langweilig.

Und weil er wieder mal Feigling ist, wird er bestraft. Im metaphorischen Sinne.
Wie gesagt, beabsichtigt war das nicht von mir.
Wobei, wenn ich darüber nachdenke, könnte man die „Moral vom G’schichterl“ auch umdrehen: Da ist er endlich mal kein Feigling, schon wird er bestraft. Denn immerhin holt er Claudia von der Kirche ab, wohlwissend, dass Andrej ihm dafür die Ohren lang ziehen wird, so dieser davon Kenntnis erhält.

So wie alle Jungendlichen in Horrorfilmen, die unzüchtigen Sex haben, getötet werden müssen.
Ich glaub, so einen Film hab ich auch mal gesehen. :D

Schöne Grüße von diesseits!
Immer, wenn du das schreibst, möchte ich antworten: Schöne Grüße aus dem Jenseits. Aber in unserem Alter sollte man das wohl besser nicht tun.


@ Elisabeth

endlich habe ich es geschafft
Au wei ...

Deine Geschichte zu lesen und ich bin zimelich enttäuscht muss ich sagen.
... der erste Verriss ...

Enttäuscht, dass es nur eine Kurzgeschichte ist, die ich da lesen durfte.
Wow, richtig geil!
Ah! Vielen Dank :)

Tricolore ist Italienisch. Kann man das dann bei Frankreich auch so sagen, oder müsste das dann Tréscoloures oder so heißen? Ich hab keine Ahnung, fiel mir nur so auf.
Die Nationalflagge Frankreichs wird in der Landessprache auch „le tricolore“ genannt. Ist also kein Fehler – allerdings überlege ich grad, ob ich’s nicht auf „Trikolore“ eindeutschen soll.

Mit der deutschen Schreibweise des Russischen würde ich ein wenig anders umgehen.
Ich würde 1. kein "y" verwenden, da die i-Laute im Russischen recht differenziert werden müssen. Wie Du bei Andrej siehst, ist das meiste aber mehr mit einem "j" als mit einem "y" umzusetzen.
Ich würde das also folgendermaßen schreiben:
Dobrij djen (Der zweite Teil wird auch mit i-Laut gesprochen.)
und
Dos vijdanja (Das erste ist ein besonderer Laut, den es nur im Russischen gibt und mehr wie ein ij klingt.)
Das war schon einmal ein Diskussionspunkt. Meine Liebste war auch der Meinung, dass irgendwas an der Schreibung nicht ganz richtig wäre. Ich hatte den Kram im Internet recherchiert, weil Russisch für mich gleich nach Kisuaheli kommt. Klär ich noch mal und werde es sicher ändern. Morgen. Sonst steht der böse Iwan wieder vor Berlin.

Am Rande: Ich hätte gedacht es wäre schon Abends (wegen der Leuchtreklame). Dann hieße es statt Dobrij djen nämlich Dobrij nodschir.
Hmmm ... Dobrij djen habe ich gewählt, weil selbst mir das geläufig ist. Nodschir passt natürlich besser zur Tageszeit, und phonetisch erschließt sich der Sinn wohl noch besser als beim russischen „Tach“. Hmmm ... na gut, aus Tag wird Nacht.

Das zweite "da" stört mich ein wenig.
Das hinwiederum bleibt. Wir reden hier so. :D

in einem Schlachtraum
Mann, hundertmal gelesen, nie aufgefallen. Danke für den Hinweis.


Heyyy das war mein 100ster Beitrag! Kuhl.
Die ersten 100 sind die schönsten. Ich bin jetzt schon ’n alter Oppa und immer noch nicht bei 1.000.


Ich habe mich sehr über deine Kritik und die Hinweise gefreut. Bedankt.


@ Weltenläufer

Ich denke nur, dass mit einem klapprigen Fiesta ein ganz bestimmtes Bild erzeugt wird und das erfüllt hier keine Funktion. Und Bilder sollten ja wegen ihrer Bedeutung gezeigt werden.
Habe grad überlegt, statt des klapprigen Fiestas einfach „Wagen“ hinzuschreiben. Gefällt mir nicht. Nee.


Auf bald,
Some

 

Servus somebody,

zunächst möchte ich meine persönlichen Highlights auf stilistischer Ebene anführen.

die Luft gesättigt von einer Mischung aus Parfüm, Schweiß und Fischnuancen – ein wirksames Sedativum für Franks Libido.

Aber Mitgefühl als Basis für ein gemeinsames Leben funktionierte allenfalls im Tierheim. Die Käfigbewohner dieses Laufhauses wurden nicht mitgenommen; ein kleines Spielstündchen beizeiten, dann galt es, auf das nächste Herrchen zu warten.

nur ein bisschen an der emotionalen Kruste knibbeln, und ihre ganze eiternde Seele würde herausspritzen.

Warten, Feilschen und Fellatio

Wobei ich an dieser Stelle fast den Korinthenkacker raushängen lassen würde, indem ich die 'Kritik' anbringe, dass die Alliteration durchaus vollständig hätte ausfallen können. Etwa indem du "Warten" durch "Fasten" ersetzt. Aber das ist reine Geschmackssache und bedeutet im Grunde keinen wesentlichen Unterschied.

Auch wie du am Ende das Stilmittel des pars pro toto gewählt hast (Schweinegesicht, Handmann), hat mir sehr gut gefallen.

Ansonsten lässt sich zur Geschichte vorrangig anmerken, dass sie eine umfangreiche Exposition aufweist, die den 'eigentlichen' Horror beinahe vermissen lässt. Gerade als man sich damit abgefunden hat, dass es kein tatsächliches Grauen mehr geben wird, bringst du die finale Eskalation - exzellent!

Frank ist dermaßen traumatisiert, dass sich seine Wahrnehmung komplett verschiebt und er den Schrecken nicht mehr als solchen auszumachen vermag.

Um es auf eine griffige Formel zu bringen, würde ich deine Story als einen Mix aus "Delikatessen" (jedoch weit weniger ulkig) und "8 mm" charakterisieren. Denn das am Ende sollen doch die Aufnahmen zu einem Snuff Movie sein. Oder nicht?

 

Tach tutorialslave,

Wobei ich an dieser Stelle fast den Korinthenkacker raushängen lassen würde, indem ich die 'Kritik' anbringe, dass die Alliteration durchaus vollständig hätte ausfallen können. Etwa indem du "Warten" durch "Fasten" ersetzt. Aber das ist reine Geschmackssache und bedeutet im Grunde keinen wesentlichen Unterschied.
Du machst dir kein Bild davon, wie viel Zeit ich darauf verwendet habe, hier eine saubere Alliteration zu stemmen. Ich habe keine Lösung gefunden. Das von dir vorgeschlagene „Fasten“ passt nicht so recht, finde ich – nah dran ist es schon (Verzicht, um Körper, Geist und/oder Seele zu reinigen; Aufnahme des „Entbehrten“ nur zu bestimmten Tageszeiten, hier also in den Abend- und Nachtstunden). Aber Fasten ist gemeinhin der freiwillige Verzicht auf Lebensnotwendiges, und ich bezweifle, dass Männerschwänze als Grundnahrungsmittel für Frauen durchgehen. Hinzu kommt, dass „Fasten“ für mich mit einer positiven Konnotation verbunden ist; das widerspräche dem Bild, das ich von den Huren gezeichnet habe.


Auch wie du am Ende das Stilmittel des pars pro toto gewählt hast (Schweinegesicht, Handmann), hat mir sehr gut gefallen.
Danke.


Gerade als man sich damit abgefunden hat, dass es kein tatsächliches Grauen mehr geben wird, bringst du die finale Eskalation
Meine größte Sorge war, dass viele Leser vorher abspringen würden. Schön, dass es mir offensichtlich gelungen ist, zumindest die bisherigen Kritiker bei der Stange zu halten.


Frank ist dermaßen traumatisiert, dass sich seine Wahrnehmung komplett verschiebt und er den Schrecken nicht mehr als solchen auszumachen vermag.
In einer anderen Geschichte hatte ich schon einmal so eine Situation; das umzusetzen, ist eine im Wortsinne schweißtreibende Angelegenheit. Zumal es ratzfatz ins Alberne abgleiten kann.

Denn das am Ende sollen doch die Aufnahmen zu einem Snuff Movie sein. Oder nicht?
Wenn du es so nennen willst, ja – allerdings nur fürs Heimkino gedacht.


Vielen Dank auch für das Heraussuchen der „besten Stellen“ – ist immer gut zu wissen, was funktioniert und wo es noch hakt.


Auf bald,
Some

 

Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschliessen, wirklich sensationell gut, nirgends kann ich einen Bruch finden, superflüssige Übergänge, spannend bis zur letzten Zeile, zwischendurch noch witzig, alles klasse!

 

Hallo somebody

Die Geschichte hatte ich ja bereits vor längerer Zeit ausgedruckt, und nach dem Akt der Empfehlung las ich den Text umgehend in einem Rutsch durch. Nun habe ich endlich auch den Kommentar dazu gebacken. ;)

Meine Erwartungshaltung an eine ausgereifte Horrorstory wurde erfüllt. Dem Sog der Neugier und dunkler Vorahnung erlegen, folgte ich gespannt, was dem zunehmend hormongesteuerten Prot da noch alles so zustossen würde. Einzig mit dem letzten Teil hatte ich aufgrund (m)einer Fehlüberlegung etwas Probleme. Dazu gleich mehr, erst einmal die Perlen:

Es schien ihm nicht passend, dass ihr das Wörtchen versifft mit dieser hässlichen Betonung (er sah die durchschwitzten, spermagestärkten Laken geradezu vor sich) so locker über die Lippen kam.
Treffend formuliert. :D

, die Spuren des stumpfsinnigen Rhythmus’ von Warten, Feilschen und Fellatio tief in die hübschen Gesichter geschrieben.
Auch hier, eine passende Metapher zur Freudlosigkeit dieses Jobs. Die nicht ganz perfekte Alliteration finde ich hier nicht so schlimm, wirkt sie doch so um so stärker, und weniger konstruiert.

In seinem alten Leben hatte ein Staubtuch den gleichen praktischen Nutzwert gehabt wie eine Damenbinde.
Macho, aber passt. ;)

Wenn du mich noch mal verarschst, häng ich dich am Haken auf wie ein Schwein.“
„Ich hab dich doch gar nicht ...“, protestierte Frank.
„Wie ein Schwein“, wiederholte Haller und schritt davon.
„Frag Evita. Wenn sie’s dir sagt, gut. Wenn nicht, lass mich bitte damit in Ruhe.“
„Entschuldige, ich wollte nicht ...“
„Frag einfach Evita, okay?“
Das waren zwei Beispiele für das Stilmittel 'ansatzloses Nachhaken'.
(Wenn's denn so was gibt, muha.)
Das gefällt mir äusserst gut, denn es bring so schön Fahrt rein, wirkt lebendig.

„Ich hab unserem Hausmeister hier von der Fünften erzählt.“
„Jetzt schon?“ Der Russe war sichtlich überrascht.
„Er wird nicht plaudern.“ Und während sie Andrej unverwandt ansah, sagte sie: „Wird er doch nicht, oder?“
„Ganz bestimmt nicht“, versicherte Frank.
„Plaudert er doch, weißt du, was zu tun ist.“
Andrej brummte zustimmend.
Grosses Kopfkino, zeigt schön die Dominanz von Evita.

Außerdem könnt’ er so das Mädchen noch mal schmecken. – Was siehst du mich so an? Ich würd so was bestimmt nicht essen.“
Gut in Worte verpackt, diese für Eva erschreckend groteske Normalität.

der abgefüllte Kneipengänger hatte halb Frankreich mit faden Häschenwitzen gelangweilt
:D
Überhaupt hast du immer wieder feine Lacher eingebaut, das macht Laune beim Lesen!
Sie trugen einheitliche Mode

Der Herr Staatsanwalt hatte sich beim Rein-und-raus mit der Toten Leichenwürmer eingehandelt. Und jetzt wimmelte es in Claudias Schoß von diesen ...
Brruäch, sehr gut!:sick:

, riss die Tür auf, dann schoss ihm auch schon der halbverdaute Schinken-Vollkorn-Pamps durch Mund und Nase, geradewegs in den Rinnstein.
andere würden einfach brechen oder kotzen verwenden, aber das hier, das kann man richtig nachfühlen.
:sick:


Einen kleinen Fiptehler hab ich auch noch gefunden:

, bleut Andrej ihm den Benimm wieder ein.
bläut

Und hier meine Stolpersteine:

Eine Woche lang schnürte er immer wieder an ihrem Zimmer vorbei,
Vorbeischnüren? Klingt komisch, sagt man das so?
(Vlt: strich, schlich, streifte, o.ä.)

Claudia lag schreiend auf dem Rücken, keilte in rasender Folge nach Haller aus.
obwohl 'keilen' ein Synonym für schlagen ist, finde ich es hier unpassend. 'Treten' fänd ich besser.

Die Schreie des Schweins mischten sich ins übrige Geheul.
Das wirkte mir zu distanziert, als wäre der Typ mit der Schweinemaske für Frank anonym, er kennt aber den Haller dahinter, somit müsste es "dieses Schweins" heissen.

So, und nun zum Schlussakt.

„Dann rüber zum Kunden.“
[...]
Andrej führte Frank in den Raum hinter der Metalltür.
Blöderweise gibt es in der 5. Etage auch eine Metalltür, deshalb hiess das für mich, ab ins Laufhaus. Damit hatte ich ein ganz falsches Bild im Kopf. Und das Frank bereits übergeschnappt war, kam mir gar nicht in den Sinn, da bei mir aufgrund der völlig unlogischen Location das Hirn rauchte. Somit funktionierte der letzte Absatz auch erst, als ich deinen Kommentar (#11) las. Da war die Spannung aber bereits schon etwas raus. Im Nachhinein kann ich mir gar nicht mehr erklären, warum ich überhaupt auf das Laufhaus kam, ts, ts, ts.
:Pfeif:

Egal, habe die Geschichte sehr gerne veschlungen.
Irgendwie nachhaltig, oder besser, die Geschichte über Frank hallt nach und das spricht für ausgereiften Lesestoff.

Lieben Gruss,
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Moi Somebody,

eigentlich wollte ich Dich necken, 'ach, zu viel Krista Beinstein geguckt?', dann hab ich Deine Antworten gelesen und gesehen, dass die Vermutung falsch war.

Mir gefällt der Text nicht, ehrlich gesagt finde ich ihn äusserst ärgerlich. Du sagst irgendwo, Du hättest sehr lange an dem Text gesessen, was sicher sein mag, er ist (beinahe oder vollständig) fehlerfrei geschrieben. Aber ich provoziere Dich mal ein bissl: wie viel der Zeit ging fuer Recherche zum Thema drauf? Ueberhaupt ein Tag? Nix? Vllt die Sache mit der Blutgerinnung?

Eines meiner Probleme mit diesem Text: Hier wird etwas als mega shocking verkauft, was mal vor ganz genau 20 Jahren ein heisses Thema war. Und darauf gibt es hier keinen Hinweis, kein Augenzwinkern - es wird uns erzählt, als sei das alles neu, aufregend, wild. Dabei ist es aufgewärmte Suppe, kein einziger Aspekt ist irgendwie unverbraucht, ueberrraschend, neu, spannend, individuell. Es ist auch nicht Retro.

Die Schluss-Szene ist mehr oder minder aus zwei neuen Filmen präsent, die beide weitergehen: I Spit On Your Grave 2 und A Serbian Film. Die Gliedmassenabsägsache ist genial-realistisch und wirklich grauslig in einem älteren Film gezeigt: Tesis. Eine der wenigen sinnvollen Adaptionen des Snuffthemas.
Es gibt ein vor sicher 15 Jahren erschienenes Buch, das fake Snuffmovies aus Japan präsentiert und analysiert (Eros in Hell) - so echt, dass man die special effects tatäschlich nicht als solche erkennen kann. Und sori - die man auch mit ein bisschen Puder und Blut definitiv so nicht hinbekommt, da braucht es wohl eine Ausbildung zum Maskenbildner, nicht zur Visagistin.
Seit dem Webegag von Snuff (der etwas nach hinten losging) Anfang der 90er gibt es die Geruchte ueber echte Snuff-Filme. Noch wurde keiner gefunden, ich meine auch, dafuer gäbe es eine ganz simple Erklärung.
Fast zeitgleich kam ein Kurzfilm "Lustfleisch" von Krista Beinstein raus (die ja nun relativ bekannt bzw. zu finden ist, wenn man schauen will, ob das Thema schonmal bearbeitet wurde), der ein Skandälchen auslöste, immer noch - sogar in manchen Zusammenstellungen jugendfrei - zu beziehen. Da wird eben das gemacht: in/mit blutigem Fleisch gefickt. Ich hab mein Steak lieber auf dem Grill, aber ich sehe darin auch nix Skandalöses.

Von Anfang: Der Titel heisst Necroblissement, wir sind in einem Puff. Was kann da also passieren? Leichenfickerei. Dafuer muessen gemeinhin Menschen zu Leichen gemacht werden. Ich habe mich durch den Puffeinstieg muehsam gequält, und auf den Dreh gewartet, der eine neue Idee zeigt, und bekomme? Menschen werden fuer Snuff-Filme getötet. Ach was!

In einigen Komms habe ich was von 'realistisch' gelesen, was ich absolut nicht nachvollziehen kann.
Zusammengefasst: Eine deutsche Puffmutter hat ein scheinbar ganz normal gefuehrtes Hurenhaus, in dem die Prostis vom Gesundheitsamt ueberprueft werden und beim Finanzamt gemeldet sind. Das ist ein Puff in der Innenstadt, offensichtlich, unverdeckt.
Die naive, gutherzige Nutte Claudia, ein Klischee fuer sich.
Dann gibt es einen Russen (Herrjeh! Klar, ein Russe, was sonst?), der Mann fuer's Grobe. Osteuropamafia und so. Staatsanwälte als Kunden. Da passt einiges nicht.
Ein oller Knabe, offensichtlich beim Arbeitsamt gemeldet oder Sozialhilfeempfänger, liest ne Anzeige, und obwohl er ein Spiesser ist, der sich ekelt, und das Wort Puff auch nur mit spitzen Lippen aussprechen mag, will dort unbedingt putzen, weil ihm die Weiterbildungsmassnahmen anekeln ... ah ja.
Dass es hunderte von Leihfirmen gibt, die immer Leute suchen, um tausende Quadratmeter nette Bueroflächen zu putzen, oder unter-der-Hand Jobs, Anzeigen fuer Putzen in privaten Haushalten etc., ist ihm dabei aber noch nicht gekommen? Da muss es nun ein Puff sein - erschliesst sich mir nicht. Seine Situation ist fuer mich keine Notlage, die ihn zwingt, sich - wie eingangs ja auch nochmal explizit erzählt - so zu ueberwinden.

Die Puffmutter betreibt nun aber mit ihrem Russenbrutalo ein Mordsgeschäft, wofuer mehrere Polizeibeamte bestochen werden muessen. Aber in dieser Mafiasippe gibt es keinerlei Kontakte, die es evt möglich machen, den kleinen Grosscousin Igor als Hausmeister/Blutschlepper zu beschäftigen?

Wenn Frauen/Männer gesucht wuerden, um sie umzubringen: wie gross wäre die Wahrscheinlichkeit, dass dafuer brave deutsche registrierte Buerger und bei den Ämtern registrierte Huren hergenommen werden? Null oder Null?

Das hätte mal leicht umgangen werden können, und hätte die Geschichte aus aus ihrem biederen Umfeld entlassen: Der Puff ist in der Tuerkei und die Frauen werden aus Moldavien eingeflogen. Nur ein Bsp.
Recherche hätte ergeben - und dies erklärt eben auch, warum echte Snuffmovies sinnlos sind - dass es auf der Welt 27 Millionen Menschen gibt, die in Sklaverei leben. Ein Teil in Europa. Menschenhandel und Zwangsprostitution brauchen Landesgrenzen. Weil den Verschleppeten oder unter falschen Jobangeboten ins Ausland gelockten Menschen nach Grenzuebertritt der Pass (und alles Geld) abgenommen werden kann. Mit der illegalen Einreise und oft misshandelt haben solche Menschen oft ebenso viel Angst, von Behörden des Einreiselandes verhaftet zu werden. Solche Frauen arbeiten aber sehr vermutlich nicht im brav gefuehrten Stadtpuff, sondern auf dem Strassenstrich oder eher noch in Motels oder Privathäusern entlang der Grenzen, weitab von Ortschaften.

Möchte man also jemand zu Tode ficken lassen oder zum Sex töten, nimmt man wohl Illegale oder Verschleppte, die aus keiner Registrierung und Geschäftsbuechern, Gesundheitsregistern etc. verschwinden muessen.
Noch ein Stueck Recherche: von zwei grossen Menschenrechtsorganisationen unanhängig voneinander erstellten ,weltweiten Studien haben 2007 die Preise fuer Sklaven ermittelt. Dabei ging man so weit wie möglich zureuck, ca. 3000 Jahre, und rechnete die jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse auf heute um. Der Preis fuer einen Menschen blieb bis zur Bevölkerungsexplosion 1970 fast gleichbleibende stabil:
$ 80.000. Eine Anschaffung, die man oft halbwegs behandelte. Heute liegt der Preis bei circa $ 100 – läppischen € 80. Dafuer bekommt man nicht einmal ein Paar schicker Markenschuhe.
Es wird daher gesagt, diese Menschen werden nicht mehr als Sklaven behandelt, sondern wie Styroformbecher: einmal benutzt und weggeworfen.

Dann rechne mal: Andrej, die Bestechungen an die Bullen, die Probleme, die registrierte Mädchen schaffen, € 4.000 (*lach tot*) monatlich an einen Fake-Hausmeister, die irren Löhne fuer Mädchen, die nur mit Eingeweiden ficken aber noch nicht gekillt werden (falls es die gibt) ... Verdammt wenig geschäftstuechtig. Leute, die so dumm sind, schaffen es nicht, die deutsche Polizei zu bestechen. Es wäre auch logischer, wenn die Dame einen normalen Putzlohn zahlen wuerde, vllt extra fuer Blutarbeiten (Ekelzuschlag), und kein Gehalt, das jeden sofort misstrauisch werden liesse (vergleiche: perfekt eingestzt in dem A Serbian Film - hier nämlich als zusätzlicher Spannungsmoment!) - warum macht die Frau sich den Stress? Warum schmeisst die dafuer ihr Geld raus - dass ihr Laden nicht läuft, wundert micht kaum, obwohl ich schon nicht rechnen kann.

Und warum es keine Snuffmovies gibt: ein echter Mord live ist einfach billiger und man hat kein Beweismaterial am Hacken.

Das gesamte setting ist hanebuechen und unglaubhaft.
Dann weiss ich nicht, was mich hier gruseln soll. Und bitte sag nicht, alles wurde schonmal erzählt, das stimmt einfach nicht. Vegleich zu diesem Thema: eine auch schon nicht mehr ganz neue Geschichte von Gemma Files: "Kissing Carrion". Entfernt ähnliches Thema, spannend, knapp, und grenzueberschreitend erzählt. Uberraschend und sehr literarisch, kein Trash. Saubere Recherche. Es geht also. Es gibt Geschichten, die wir so noch nicht gelesen haben, es ist möglich, neue Dinge zu erzählen, mit neuen Sichtweisen.

Ich muss keinen 8mm-Verschnitt bekommen - an den mich dieser Text auch erinnert. Und das ist mein zweites Problem: Ebenso schmerzhaft naiv wie auch einfältig wie Nick Cage stapft auch Dein Prot durch ein setting, and dem es sehr lange einfach nix gibt, das so verrucht auf den Leser wirkt wie auf den Prot. Das macht ihn massiv unsympatisch, ich finde keine Figur, die ich ansatzweise klischeefrei und interessant finde.

Du suchst sicher bei all dem Lob hier keine andere Lösung, aber ich wuerde diese vorschlagen: Setz den Text in die 70er Jahre. Dazu passt auch der Sprachduktus ("Puppe" hab ich das letzte Mal in einem alten James Bond- oder Edgar Wallace-Film gehört), die biedere Grundhaltung des Prots wie auch Erzählers, die bei allem, was ueber heterosexuelle Missionarsstellung hinausgeht, innerlich die Hände uber dem Kopf zusammenschlagen.
Du verwendest ne Menge leerer Phrasen, die meist die Kitschgrenze ueberschreiten. Und warum immer diese uralten Klischees?

Der tiefrot beleuchtete Gang dahinter spuckte zwei feixende Kerle auf die Straße.
„Meine Fresse, haste die Dinger von der Schwatten geseh’n?“, sagte der eine.
„Mordstitten“, bestätigte der andere.
„Rasierte Mösch hat die, jede Wette.“
„Blitzblank.“
„Aber fünfzig Euro. Bin ich Graf Koks?“
„Scheißnutten.“
Er blickte den beiden nach, bis sie – die üppige Oberweite lautstark debattierend – in Nr. 11 verschwanden.
In einen Puff gehen nur ungehobelte Schweine Marke Schalke-Fans.
Er gab sich einen Ruck und betrat das Etablissement. Die Luft in dem engen Gang war schwer von süßem Parfüm, das ihm schlagartig die Geruchsrezeptoren verklebte. Eines war gewiss: Verbrachte er hier auch nur eine Stunde, würde er so intensiv nach Puff riechen wie ein Frittenbudenbetreiber am Ende des Tages nach Fett.
Klar, 'unmoralischer' Sex in schmieriger Umgebung. Gähn. Hätte es nicht mal eines der neueren, modern-schicken Hurenhäuser sein können, wenn es schon unrealistsich sein soll? Muessen wir immer wieder die gleichen Bilder in den gleichen Worten serviert bekommen?
Damit hatte eigentlich schon Tomi Ungerer aufgeräumt, sein Buch kam wohl in den Mitt-80ern raus.
Frank hatte eine verlebte Puffmatrone erwartet – die süßesten Telefonstimmen gehörten immer den hässlichsten Mädchen.
Auf solche zweifelhaften Lebensweisheiten eines Erzählers kann ich gut verzichten - umso mehr in einer Horrorgeschichte. Was eigentlich ist daraus geworden, dass Horror grenzueberschreitend sein soll, Normen aufbricht, neue Ästhetik schafft?
Das ganze Intro bis zum Schlachterabhol-Auftrag ist maximal redundant und langweilig: es könnte zur Charakterisierung dienen, bietet aber nur eindimensionale Pappfiguren. Dann besser weg damit.
Betten beziehen – ich mein: versiffte Betten?“
Es schien ihm nicht passend, dass ihr das Wörtchen versifft mit dieser hässlichen Betonung (er sah die durchschwitzten, spermagestärkten Laken geradezu vor sich) so locker über die Lippen kam. Aber es rückte den Eindruck zurecht, den ihre Erscheinung bei ihm hinterlassen hatte. Mochte sie auch äußerlich eine adrette Geschäftsfrau sein – sie kam aus dem Milieu. Nicht der rechte Ort für sprachliche Feinheiten.
Ja mei ... mir fehlt eindeutig die Ironie. Das ist alles so ih bäh. Die Geschichte ist aber auch viel zu lang, als dass man einen unsympatischen Prot nehmen könnte, bei dem sich alle freuen, dass er qualvoll draufgeht - sowas geht nur fuer Nebencharaktere (siehe nochmal: I Spit On Your Grave)

Die dräuende Schwüle auf der engen Treppe rauf zum ersten Stock trieb Frank den Schweiß auf die Stirn;
Klar, stinkend und schwuel muss es auch noch sein.
Die ganzen Räume mit den Länderthemen: uralt. Und sollte daher keinesfalls in dieser epischen Breite erzählt werden. Da wuerde ich massig streichen, das treibt auch die Handlung nicht voran, von der bislang auch nicht viel zu spueren war.
Als er dann aber wieder einmal dabei war, seinen ungelenken Charme bei Clarissa an die Frau zu bringen (und die Tatsache zu verdrängen, dass er doppelt so alt war wie sie), vernahm er ein kurzes, dumpfes Geräusch von der Decke.
„Hast du das gehört?“
„Da war nichts“, sagte Clarissa.
Ja, das ist diese klassische Szene aus einer Geisterhausgeschichte. Aber: ihm wurde gesagt, die Räume sollen bald renoviert werden - warum findet er dann Geräusche dort verdächtig? Diese Szene / Entwicklung passt fuer mich nicht ins setting.
Von dem Geld hab ich mir vor drei Jahren den Laden hier gekauft. Wenn der weiterhin so viel abwirft, gehört mir bald auch Nr. 11, und ich brauch nicht mal ’nen Kredit. Auf lange Sicht habe ich noch größere Pläne.
Hm, also sie sagt aber auch, Flatrateficken is nich, und der Prot zählt massig Kondome - warum wirft denn der Laden nix ab und ist so ein miefiges Dreckloch? Das wäre als reine Tarnung albern hoher Aufwand (s.o.).
„Also hat eines der Mädchen gequatscht? Wer?“
„Keiner hat gequatscht. Ich hab’s selber gehört. Da oben war was. Als wär was umgefallen.“
„Umgefallen, aha.“ Sie seufzte übertrieben. „Ich wollte es dir sowieso bald sagen. Bist lang genug dabei.“
„Was sagen?“
„Wir haben da oben noch eine Etage am Laufen. Für etwas, nun, ausgefallenere Wünsche. Wir nennen es unsere Nekropolis.“
Die Frau muss grenzdebil sein, wenn sie ihm das verrät, nur weil da ein Geräusch war. Siehe Bauarbeiten. Das schlucke ist nicht, kein Stueck. Das ist ein denkbar unguenstiger Uebergang von "was jetzt wirklich los ist" - zumal wir seit lesen des Titels ja nun darauf warten! Leser sollten dem Erzähler möglichst nicht voraus sein.
„Unser Hades in die Totenwelt“, sagte Evita. „Es gibt keinen Fährmann hinauf, nur ’nen
Hades ist die Totenwelt. Du meinst den Styx. Oder sollte das ein versteckter Hinweis sein, dass eine Puffmutter nicht so gebildet sein kann?
„Ich bin nicht wie die.“
„Du bist ein Mann.“
Ein weiteres zu Tode genudeltes Klischee. Hab ich zuletzt wohl in Klute gesehen. Sicher gibt es sowas. Es passt als Aussage aber besser zu einer, die in den den ersten Wochen arbeitet. Danach wird meist in Kunden vs. Männer (nicht Frauen vs. Männer) unterschieden - ausser, die Prosti ist eine Lesbe, die heterosexuell arbeitet. Diese Sache wirkt extrem altbacken und bieder auf mich.
Misstrauen keimte in ihrem verschleierten Blick auf.
Hoffnung keimt. Falsche Kollokation, in einem Blick keimt nix. Klingt unschön. Verschleierter Blick ist purer Kitsch und macht die Adjektivdichte im Text nicht besser. Zudem klingt die ganze Sache auch nach einer Phrase.
„Ich weiß, was dabei rauskommt. Ich spür das.“
Frauen mit Bauchgefuehl hab ich auch langsam ueber, selbst wenn das ein evt realistsiches Klischee sein sollte. Die ganze Szene, der Dialog, daran ist nix neu. Warum dann so ausuefernd?
„Halsstich oder Bruststich, is’ mir egal“, sagte der Dritte.
„Halsstich“, bestimmte Andrej.
Endlich passiert was. Leider das, womit ich seit Zeile 1 gerechnet habe.

Ganz Buchhalter, der er zeit seines Lebens gewesen war, erstellte er eine Bestandsliste des Anlagevermögens:
edit: Deine Version ist korrekt, hab ich grad in einem Buch gelesen und im Duden nachgeschlagen; komische Sache, Zeit klein.

Das Ende empfinde ich als lieblos nacherzählte Auseinandernehmszene aus den oben genannten Filmen, ein bisschen Kitsch, keine interssante Sichtweise, keine Fasznination, keine Sinnlichkeit, kein echter Schrecken andererseits.

Aber ja: wir sind hier auch kein Horrorforum. Hier muessen sich auch unschuldige Äuglein aus der Kinderabteilung verirren duerfen, ohne dass jemand ein lebenslanges Trauma mitnimmt und ueberall abgeschlagene Gliedmassen rumfliegen sieht. Insofern hast Du es schon richtig gemacht. Fuer dieses Forum. Als Horrorfan beinahe jeglichen Untergenres bin ich wirklich enttäuscht.

Bei einem so fehlerfreiem Text mit erkennbar geplantem Aufbau ist es natuerlich möglich, eine Empfehlung zu vergeben oder anzunehmen - allerdings sehe ich an keiner Stelle, wie sich dieser Text vorbildlich von anderen abhebt, Innovation bietet. Schade. Gutes Thema, völlig vertan.

Hoffe, Du kannst mit meinen Gedanken etwas anfangen.
Herzlichst,
Katla

 

Tach zusammen,

ein wenig spät, aber jetzt: Danke euch fürs Lesen und für die Anmerkungen. Fürs Gutfinden sowieso. :)

@ dotslash

Nun habe ich endlich auch den Kommentar dazu gebacken.
Und ich nun endlich auch meine Antwort.

Meine Erwartungshaltung an eine ausgereifte Horrorstory wurde erfüllt. Dem Sog der Neugier und dunkler Vorahnung erlegen, folgte ich gespannt, was dem zunehmend hormongesteuerten Prot da noch alles so zustossen würde.
Sog der Neugier. Das klingt dufte! Dauert ja ein Weilchen, bis das Ding in Fahrt kommt, und ich hatte zwar gehofft, dass es unterhaltsam rüberkommt, aber doch mit dem einen oder anderen Gemecker von wegen „viel zu langatmig“ gerechnet.

:D
Überhaupt hast du immer wieder feine Lacher eingebaut, das macht Laune beim Lesen!
Jaja, die Häschenwitze. Der Brüller auf den Grundschulhöfen in den 70ern.

bläut
Ich habe hierfür die alte Rechtschreibung verwendet. Hm, mal sehen, ich weigere mich in vielen Fällen, die neue Rechtschreibung heranzuziehen. Muss ich noch mal gucken, ob ich das „bläut“ übernehme.

Vorbeischnüren? Klingt komisch, sagt man das so?
Das Herumstreifen eines Fuchses bezeichnet man als „Schnüren“. Ich mag den Klang des Wortes und fand es hier passend.

obwohl 'keilen' ein Synonym für schlagen ist, finde ich es hier unpassend. 'Treten' fänd ich besser.
Da auch Pferde "auskeilen", finde ich das Wort hier sehr passend. Ich denke, ich bleibe dabei.

Blöderweise gibt es in der 5. Etage auch eine Metalltür, deshalb hiess das für mich, ab ins Laufhaus. ... Im Nachhinein kann ich mir gar nicht mehr erklären, warum ich überhaupt auf das Laufhaus kam, ts, ts, ts.
Hehe, das wüsste ich auch gerne. Sicher gibt es an beiden Orten eine Metalltür, aber das ist schon alles.

Übrigens, Dot, einen schönen Gruß von Obi-Woll. :)

@ Katla
Das ist eine wirklich lange Kritik. Da fehlt mir jetzt die Muße, einzelne Punkte aufzugreifen. Das hole ich aber auf jeden Fall nach, weil ich a) einige Kritikpunkte wirklich hilfreich finde und b) andere hinwiederum höchstgradig albern sind. Aber wir lesen uns die Tage. Danke jedenfalls auch dir schon mal für die große Mühe und die Zeit, die du auf die Kritik verwendet hast.

Auf bald,
Some

 

Tach Katla,

gehen wir’s mal mehr oder minder der Reihe nach durch.

Eines meiner Probleme mit diesem Text: Hier wird etwas als mega shocking verkauft, was mal vor ganz genau 20 Jahren ein heisses Thema war. Und darauf gibt es hier keinen Hinweis, kein Augenzwinkern - es wird uns erzählt, als sei das alles neu, aufregend, wild. Dabei ist es aufgewärmte Suppe, kein einziger Aspekt ist irgendwie unverbraucht, ueberrraschend, neu, spannend, individuell. Es ist auch nicht Retro.
Ich habe eine Geschichte geschrieben, nichts verkauft, schon gar nicht mit dem Etikett „mega shocking“. Siehst du irgendwo eine von mir verfasste „Achtung, Kinder: Torture Porn!“-Warnung? Willst du mir oder dem Text ankreiden, was die Leser dabei empfinden? Der eine mag geschockt sein, der andere kratzt sich gelangweilt am Sack. Und?
Zweifellos sind die meisten Zutaten nicht neu – ich denke aber, die Mischung gibt es in dieser Form noch nicht.

Die Schluss-Szene ist mehr oder minder aus zwei neuen Filmen präsent, die beide weitergehen: I Spit On Your Grave 2 und A Serbian Film. Die Gliedmassenabsägsache ist genial-realistisch und wirklich grauslig in einem älteren Film gezeigt: Tesis. Eine der wenigen sinnvollen Adaptionen des Snuffthemas.
Mir ist die Szene nicht filmisch präsent, da ich diese Streifen nicht gesehen habe.
Und ich frage mich wirklich, was das soll: Du ziehst für eine Seite wie kurzgeschichten.de diese Filme als Vergleichsmaßstab heran („die beide weitergehen“)? Korrigiere mich, wenn ich irre: In A Serbian Film wird unter anderem eine gebärende Frau penetriert (meinetwegen gefickt, wenn’s dir zu bieder klingt), und ein Neugeborenes misshandelt/missbraucht – und zwar nicht hinter einem Weichzeichner oder dem Rücken des bösen Buben versteckt. Soweit richtig?
Soll ich Vergleichbares hier reinstellen? Soll ich die „Gliedmassenabsägsache genial-realistisch und wirklich grauslig“ hier reinstellen? Nein. Gerade du als Moderatorin solltest darum wissen.
Du verweist zwar am Ende deiner Kritik selber darauf, was dich aber nicht davon abhält, bis zu diesem Punkt immer wieder solche Extremdarstellungen von Gewalt und/oder Sex herzunehmen und zu sagen: Da, guckst du hier, das ist the state of the art; um dann zu klagen: Was ist bloß mit den Grenzerweiterungen im Horror?
Was, bittschön, soll ich im Rahmen einer Veröffentlichung auf kurzgeschichten.de damit anfangen? Zumal ich auch jenseits von kg.de kein Verlangen hätte, es solchermaßen ins Extrem zu treiben.

Fast zeitgleich kam ein Kurzfilm "Lustfleisch" von Krista Beinstein raus (die ja nun relativ bekannt bzw. zu finden ist, wenn man schauen will, ob das Thema schonmal bearbeitet wurde), der ein Skandälchen auslöste, immer noch - sogar in manchen Zusammenstellungen jugendfrei - zu beziehen. Da wird eben das gemacht: in/mit blutigem Fleisch gefickt. Ich hab mein Steak lieber auf dem Grill, aber ich sehe darin auch nix Skandalöses.
Die Dame sagte mir erst etwas, nachdem ich nach ihr gegoogelt habe – ich habe vor einiger Zeit im Fernsehen ein Kurzporträt von ihr gesehen, passenderweise in einem Kulturmagazin. Aber wiederum: Was brächte mir die Kenntnis dieses Films für meine Geschichte? Bratwurst im Arsch geht nicht, hat die Beinstein schon gemacht?
Zu „Lustfleisch“ habe ich nicht gar so viel gefunden, das hier zum Beispiel:

Das vornehme Mahl: Sekt & Kaviar - Lustfleisch (echtes blutiges Tierfleisch ist im Spiel)… dieses Video wird wie Krista Beinstein's erster Episodenfilm Film "True Love" (Dildotanz, Messerszene, Küchen-Lust etc., nur noch wenige Kopien vorhanden) in einer einmaligen Auflage von 100 Kopien verkauft.
Quelle: http://www.joyclub.de/forum/t60985-15.echte_lesben_bi_filme.html
Einmalige Auflage von 100 Kopien. Darf in keiner gut sortierten Sammlung fehlen.

Ich habe mich durch den Puffeinstieg muehsam gequält, und auf den Dreh gewartet, der eine neue Idee zeigt, und bekomme? Menschen werden fuer Snuff-Filme getötet. Ach was!
Nein, darum geht es in meiner Geschichte nicht. Hast du sie gelesen? In meiner Geschichte steht nicht die Produktion (und der Verkauf) von Snuff-Filmen im Mittelpunkt. Du greifst die allerletzte Szene heraus und machst das, was du in weiten Teilen deiner Kritik machst: Verdrehen oder gar falsch darstellen.

Die naive, gutherzige Nutte Claudia, ein Klischee fuer sich.
Naiv, okay, meinetwegen. Aber gutherzig? Hast du diese Eigenschaft orakelt? Nirgends in der Geschichte wird Claudia als gutherzig charakterisiert.
Es wird langsam nicht nur ärgerlich, sondern auch albern.

Dann gibt es einen Russen (Herrjeh! Klar, ein Russe, was sonst?)
Ja, ein Russe. Und? Ich bezeichne ihn in meiner Geschichte ja selbst als „Klischeeschläger“.

Ein oller Knabe, offensichtlich beim Arbeitsamt gemeldet oder Sozialhilfeempfänger, liest ne Anzeige, und obwohl er ein Spiesser ist, der sich ekelt, und das Wort Puff auch nur mit spitzen Lippen aussprechen mag, will dort unbedingt putzen, weil ihm die Weiterbildungsmassnahmen anekeln ... ah ja.
Spätestens an dieser Stelle deiner Kritik war mir klar: Die findet die Geschichte nicht bloß scheiße, die will sie auch scheiße finden.
Der Protagonist ekelt sich vor den benutzten Kondomen in den Mülleimern. Verständlich, finde ich. Wo ekelt er sich sonst? An welcher Stelle mag er „das Wort Puff [kaum] auch nur mit gespitzten Lippen aussprechen"? Und wo steht geschrieben, dass ihn die Weiterbildungsmaßnahmen anekeln? Nirgends. In der Geschichte steht bloß: „Aber das hier war nur eine Hausmeisterstelle. Allemal besser als stumpfsinnige Fortbildungsmaßnahmen.“
Aber das passt natürlich nicht zu dem von dir gewünschten Bild des „Spießers, der sich ekelt“.
Weißt du, Katla, ich habe nichts gegen offene Worte, und wenn es ironisch gewürzt ist, umso besser. Es ist aber wenig hilfreich, Dinge in den Text zu fabulieren, die nicht darin sind, nur damit’s in ein Meinungskorsett passt.

Dass es hunderte von Leihfirmen gibt, die immer Leute suchen, um tausende Quadratmeter nette Bueroflächen zu putzen, oder unter-der-Hand Jobs, Anzeigen fuer Putzen in privaten Haushalten etc., ist ihm dabei aber noch nicht gekommen? Da muss es nun ein Puff sein - erschliesst sich mir nicht. Seine Situation ist fuer mich keine Notlage, die ihn zwingt, sich - wie eingangs ja auch nochmal explizit erzählt - so zu ueberwinden.
Jahrelange Arbeitslosigkeit ist für viele eine Notlage. Am Anfang zweifelt er lediglich, ob er das (also den Job, genauer: erst einmal das Vorstellungsgespräch) überhaupt will – von einem „sich so zu überwinden“ kann da noch gar nicht die Rede sein. Es muss auch kein Puff sein, es ist aber nun mal einer. Weder du noch ich wissen, wie oft der Typ sich vorher beworben hat. Möglicherweise zahlen die hunderte von Leihfirmen so schlecht (denkbar, oder?), dass er deswegen nicht arbeiten geht und weiter Stütze kassiert, in der Hoffnung, einen einigermaßen bezahlten Job zu finden. Unrealistisch?

Aber in dieser Mafiasippe gibt es keinerlei Kontakte, die es evt möglich machen, den kleinen Grosscousin Igor als Hausmeister/Blutschlepper zu beschäftigen?
Berechtigter Einwand.

Wenn Frauen/Männer gesucht wuerden, um sie umzubringen: wie gross wäre die Wahrscheinlichkeit, dass dafuer brave deutsche registrierte Buerger und bei den Ämtern registrierte Huren hergenommen werden? Null oder Null?
Wo in meiner Geschichte werden Frauen gesucht, um sie umzubringen?

Das hätte mal leicht umgangen werden können, und hätte die Geschichte aus aus ihrem biederen Umfeld entlassen: Der Puff ist in der Tuerkei und die Frauen werden aus Moldavien eingeflogen.
Aber sicher, Katla, leicht umgangen und raus aus dem biederen Umfeld. Osteuropäische Mädchen. Was du in diesem Fall geschrieben hättest ... ich ahne es.

Dann rechne mal: Andrej, die Bestechungen an die Bullen, die Probleme, die registrierte Mädchen schaffen, € 4.000 (*lach tot*) monatlich an einen Fake-Hausmeister, die irren Löhne fuer Mädchen, die nur mit Eingeweiden ficken aber noch nicht gekillt werden (falls es die gibt) ... Verdammt wenig geschäftstuechtig.
Na, geht’s wieder? Können wir dann?
Ich habe an keiner Stelle geschrieben, dass die Bullen mit Geld bestochen werden, vielmehr: „... und manchmal kamen die Beamten Tage später in Zivil und holten sich Evitas Dank bei einem der Mädchen ab.“
Die Mädchen ficken nicht mit Eingeweiden.
Die Mädchen sind auch nicht da, um „gekillt“ zu werden.
...

Es wäre auch logischer, wenn die Dame einen normalen Putzlohn zahlen wuerde, vllt extra fuer Blutarbeiten (Ekelzuschlag), und kein Gehalt, das jeden sofort misstrauisch werden liesse (vergleiche: perfekt eingestzt in dem A Serbian Film - hier nämlich als zusätzlicher Spannungsmoment!)
Schon wieder „A Serbian Film“. Nochmals, ich habe den Film nicht gesehen, aber die Inhaltsangabe macht natürlich Mut:

Miloš ist glücklich verheiratet und hat einen jungen Sohn. Da er als ehemaliger Pornostar keine Rente bezieht, ist sein größtes Problem, neben einem eifersüchtigen Bruder Marko, der als korrupter serbischer Cop sein Geld verdient, das Dahinschmelzen der Ersparnisse in einer DVD-Hülle. Da trifft es sich gut, dass die ehemalige Co-Aktrice Lejla ihn an den selbsternannten Kunstproduzenten Vukmir weitervermittelt.

Aufgrund seiner Fähigkeit, sogar ohne visuelle Stimuli eine Erektion zu erlangen, ist Miloš in der Szene als „the Filthy Stud“ bekannt, eine Tatsache die auch Vukmir zu Ohren gekommen ist. Die anfänglichen Bedenken, ausgelöst durch die Geheimniskrämerei bezüglich des Filminhaltes, lösen sich schnell auf, nachdem Milos eine hohe Summe für die Teilnahme angeboten wird.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/A_Serbian_Film


Ein ehemaliger Pornostar, der Bruder ein korrupter serbischer Cop, unserem Miloš gehen die Ersparnisse aus, da erinnert man sich seiner in der Szene, natürlich hat Miloš erst noch Bedenken wegen der Geheimniskrämerei, aber eine hohe Summe überzeugt ihn dann doch.

Das ist wahnsinnig originell (wie auch der Rest in der Zusammenfassung). Was macht diesen Film so besonders, dass du ihn mehrmals zitierst? Die Handlung? Die Spielstätten? Oder ist es am Ende doch nur das Ausmaß der Gewalt, die Grenzerweiterung?

Warum schmeisst die dafuer ihr Geld raus - dass ihr Laden nicht läuft, wundert micht kaum, obwohl ich schon nicht rechnen kann.
Ich schrieb in meiner Geschichte folgendes (vielleicht fällt dir auch hier etwas auf):
"Von dem Geld hab ich mir vor drei Jahren den Laden hier gekauft. Wenn der weiterhin so viel abwirft, gehört mir bald auch Nr. 11, und ich brauch nicht mal ’nen Kredit. Auf lange Sicht habe ich noch größere Pläne."

Dazu passt auch der Sprachduktus ("Puppe" hab ich das letzte Mal in einem alten James Bond- oder Edgar Wallace-Film gehört), die biedere Grundhaltung des Prots wie auch Erzählers, die bei allem, was ueber heterosexuelle Missionarsstellung hinausgeht, innerlich die Hände uber dem Kopf zusammenschlagen.
Ach, Katla ... Ist das Absicht? Oder schlicht Unvermögen, die Dinge richtig wiederzugeben? Was soll diese von jeder Kenntnis meiner Geschichte ungetrübte Bemerkung mit der Missionarsstellung? Wie oft noch willst du Teile meiner Geschichte so bis zur Unkenntlichkeit verzerren, bloß um „Spießer“, „bieder“ und „altbacken“ unterbringen zu können? Es gäbe ein Erklärungsmodell dafür ... aber nein.

In einen Puff gehen nur ungehobelte Schweine Marke Schalke-Fans.
Du hast also erkannt, dass die Geschichte im Pott spielt? Dann hat’s doch funktioniert.
Was wäre dir denn lieber gewesen? Zwei Professoren, tief in einen interfakultativen Disput versunken, auf dem Weg zur Mensa falsch abgebogen? Zwei Poetry-Slammer, Goethe rezitierend? Meine Geschichte spielt nicht in einem Edelpuff, und die beiden Kerle kamen da grad zur Tür raus. Fettich.

Was eigentlich ist daraus geworden, dass Horror grenzueberschreitend sein soll, Normen aufbricht, neue Ästhetik schafft?
Mich würde brennend interessieren, was du unter diesen Begriffen verstehst. Kein semantisches Wischiwaschi, sondern konkrete Merkmalsausprägungen. Und wenn du dann noch die Muße findest, erläutere mir doch bitte deine Ansichten darüber, wie du das hier auf kg.de umsetzen würdest.

Die ganzen Räume mit den Länderthemen: uralt.
Nenn mir ein Beispiel.

Hades ist die Totenwelt. Du meinst den Styx. Oder sollte das ein versteckter Hinweis sein, dass eine Puffmutter nicht so gebildet sein kann?
Nö, das ist ein offener Hinweis darauf, dass ich mit schwer vertan habe. Peinlich. Danke fürs Draufstoßen.

Ein weiteres zu Tode genudeltes Klischee. Hab ich zuletzt wohl in Klute gesehen. Sicher gibt es sowas. Es passt als Aussage aber besser zu einer, die in den den ersten Wochen arbeitet. Danach wird meist in Kunden vs. Männer (nicht Frauen vs. Männer) unterschieden - ausser, die Prosti ist eine Lesbe, die heterosexuell arbeitet. Diese Sache wirkt extrem altbacken und bieder auf mich.
Was bei dir so alles zu Tode genudelt ist.
Woher nimmst du diese Weisheiten? Hast du noch eine Ausgabe von „Berufe Aktuell“ rumliegen?
Willst du mir allen Ernstes erzählen, dass die meisten Frauen, die sich prostituieren, in den ersten Wochen ein undifferenziertes Bild von Männern haben (in diesem Fall also: Männer sind Schweine), dann aber, nach Wochen, je mehr sie erleben, damit beginnen, zwischen Kunden und Männern zu unterscheiden?
Es mag beide Fälle geben. Belassen wir es dabei.

Hoffnung keimt. Falsche Kollokation, in einem Blick keimt nix. Klingt unschön. Verschleierter Blick ist purer Kitsch und macht die Adjektivdichte im Text nicht besser. Zudem klingt die ganze Sache auch nach einer Phrase.
Mumpitz. Gestehst du einer entstehenden/wachsenden Hoffnung das bildhafte „keimen“ zu, musst du es auch allen andere Emotionen zugestehen.
Über die falsche Kollokation denke ich noch mal nach. Spontan hätte ich gesagt ... aber ich denk noch mal darüber nach.
Was an einem verschleierten Blick purer Kitsch sein soll, das verrat mir mal.

Frauen mit Bauchgefuehl hab ich auch langsam ueber
Deine Befindlichkeiten sind mir schnuppe. Ich war und bin der festen Überzeugung, dass viele Menschen wie Claudia in einer solchen Situation ähnliches denken.


Bei einem so fehlerfreiem Text mit erkennbar geplantem Aufbau ist es natuerlich möglich, eine Empfehlung zu vergeben oder anzunehmen
Das rettet mir den Tag. Ich war übrigens auch mal Moderator, hier in der Horror-Rubrik. Damals war es noch jederzeit möglich, eine Empfehlung auszusprechen. Man musste bloß eine PN schicken. Habt ihr das geändert?


Hoffe, Du kannst mit meinen Gedanken etwas anfangen.
Okay, mal frei von der Leber weg meine Einschätzung deiner Kritik:

Sie spornt an, intensiver über die Bearbeitung eines Themas nachzudenken. Gezielt zu recherchieren, was es zu einem Thema bereits gibt, gehörte nie so wirklich zu meiner Vorgehensweise. Meist habe ich eine Geschichte im Kopf und will sie dann auch niederschreiben. Legitim, aber klar: Das kann dann Haue geben.

Mir ist bewusst, dass die Geschichte das Rad nicht neu erfindet. Sie hat Schwächen, auch keine Frage. Du hast mir einige Anregungen gegeben, Szenen neu zu überdenken.

Insoweit: Danke, ernsthaft.

Dennoch möchte ich dich ermuntern, aufmerksamer zu lesen. Was du mir hier an Verdrehungen, Verkürzungen und falschen Wiedergaben meiner Geschichte präsentierst (s.o.), ist ärgerlich. Ungeschminkte Meinungen sind jederzeit willkommen. Findest du die Geschichte scheiße, kannst du’s mir auch genau so sagen und am Text belegen.
Meine Geschichte ist aber z.B. keine Plattform, um einen wodurch auch immer motivierten Furor wider die Biederkeit loszulassen. Wenn du sie als altbacken empfindest, kein Thema. Wenn aber die Gründe dieser Einschätzung (und anderer) immer wieder mit völlig verzerrten Stellen aus meiner Geschichte „belegt“ werden, dann frage ich mich, was dich bei deiner Kritik geleitet hat.

Und willst du hier auf kg.de auch weiterhin den Rosenkranz der „Grenzerweiterung im Horror“ beten? Dann wird es aber schwierig. Du rufst doch auch nicht bei KI.KA an und verlangst nach Analsex-Mangas. Auf diese Seite können durchaus auch Kinder und Jugendliche zugreifen. Du schreibst dazu:

Aber ja: wir sind hier auch kein Horrorforum. Hier muessen sich auch unschuldige Äuglein aus der Kinderabteilung verirren duerfen, ohne dass jemand ein lebenslanges Trauma mitnimmt und ueberall abgeschlagene Gliedmassen rumfliegen sieht.
Ist auch gut so, dass die „unschuldigen Äuglein aus der Kinderabteilung“ nicht alles zu lesen bekommen.

Mir hätten Rechercheergebnisse wie A Serbian Film übrigens auch außerhalb von kg.de nicht viel gebracht. Ich muss mir die Vergewaltigung eines Säuglings nicht ansehen (ganz gleich, ob der Film nun ein primitives Machwerk ist oder gesellschaftspolitisch wertvoll). Und ich will mir auch keine Gedanken darüber machen, wie man dem noch Neues abgewinnen kann. Ich brauche auch keine Vergewaltigungsszenen, die länger dauern als die Schlacht um Minas Tirith. Echt nicht.

Auf bald,
Some

 
Zuletzt bearbeitet:

Moi Somebody nochmal,

aha, der Leser ist schuld, wenn ein Text nicht funktioniert, und daher beleidigt man seine Kritiker, das immerhin ist mal was Neues auf KG.de. :D

Nur kurz: Schlammcatchen interessiert mich nicht. Der Text hat Mängel in Recherche und Konzeption, die hab ich Dir aufgezeigt. Das war offensichtlich, bevor Du selbst gesagt hast:

Ich schreibe fast immer ohne große Vorbereitungen, nur mit der vagen Vorstellung vom Fortgang der Geschichte im Kopf.
Eben. Dann piss mich nicht dafuer an, dass ich dem Text das ansehe.

Abneigungen und Vorlieben des Autors sind keine gute Grundlage oder Rechtfertigung fuer Figurenkonzeption, wenn diese Figur etwas tun soll, was der Autor eben nicht tun wuerde.
Du findest benutzte Gummis eklig? Ich auch - und ich wuerde 1000 Dödeljobs oder Fortbildungen machen, bevor ich in einem Puff putze. Du auch? Damit wird das falsch gemixt. Guenstiger vllt, die Figur so zu konzipieren, dass ihre Entscheidungen folgerichtig und stimmig im Text - und nicht im Vergleich zur Privatansicht des Autors - sind. (Was weiss ich, er geht seit 20 Jahren zu so einer Mutti-Prosti und ist jetzt mal interessiert, ob in nem richtigen Puff all das geboten wird, was er immer so in den Talkshows sieht. Bezahlung ist 500.- ueber seinem SozSatz, das genuegt ihm. Die kriminelle Puffmutter da missversteht das als Interesse an kinky sex, und schickt ihn Blut holen. Das juckt den Prot nicht, weil er in den Nachkriegsjahren aufgewachsen ist und seine Eltern selbst geschlachtet haben. Er ist aber von der Kombi Sex-Fleisch abgestossen, was er - da er seinen Job behalten oder männlich wirken will - fuer sich behält. Das wieder bestätigt seine Chefin, sie denkt, dann erzähle ich ihm mal, vllt lässt der sich gebrauchen da oben ... usw. Ein Prot, der bissl neugierig und offen ist, wirkt auch auf Leser interessanter als einer, der ueber alles die Nase ruempft. Nur eine Möglichkeit, die vieles ausbuegeln wuerde.)
Dadurch kommt so ein Unstimmigkeits-Dominoeffekt: Der Grund ist nicht an seiner Person festgemacht, sondern ueber ein Gehalt. Das passt dann nicht zur finanziellen Lage der Puffmutter, das wieder nicht zu den Bestechungen nicht zum ... usw. Das wäre nicht nötig gewesen, hättest Du Deinem Prot einen guten Grund gegeben, der seinen Charakter und seine Entscheidungen nachvollziehbarer macht.

Ob Du oder ich als Schreiber/Kritiker spiessig sind oder nicht, ist völlig schnurz - aber die Figuren muessen im gewählten plot konsequent angelegt sein.

Warum Neues hier im Hobbyschreiberforum? Weil Hobbyautoren schwächeren Stil, Ausdruck und Spannungsbogen ... bla haben. Wenn ein professioneller Autor vielverwendete Themen wählt, kann er das trotzdem halbwegs spannend machen. Ein Hobbyautor, der sowas schreibt, kann das nicht - dann hat der Leser etwas, das er genau so, aber eben wesentlich besser schon x-Mal gelesen hat. Hobbyautoren sollten das wettmachen, um interessant zu sein. Innovation, was Individuelles, neue Themen, Sichtweisen, settings ... wir haben ohne Massenmarktdruck nämlich hier mehr Freiheiten als Profis.
P.S. Fuer mich haben neue Ideen nix mit Krampf, sondern Phantasie und Lust am Schreiben zu tun. :-)

Den Rest spare ich mir,

Deine Befindlichkeiten sind mir schnuppe.
dann wirst Du sicher nicht erwarten, dass ich mich nett mit Deinen Rueckfragen beschäftige.

Empfehlungen: per PN oder per Meldung, und werden - wie in allen Rubriken - geprueft und ggfs. abgelehnt. Die Kriterien findest Du jeweils oben festgehalten im Empf-thread. Wir haben da letztes Jahr einiges spezifiziert und vereinheitlicht.

Viele Gruesse,
Katla

 

Wunderbarer Schlagabtausch und spannender als die Frauen-WM.

...
Warum Neues hier im Hobbyschreiberforum? Weil Hobbyautoren schwächeren Stil, Ausdruck und Spannungsbogen ... bla haben. Wenn ein professioneller Autor vielverwendete Themen wählt, kann er das trotzdem halbwegs spannend machen. Ein Hobbyautor, der sowas schreibt, kann das nicht - dann hat der Leser etwas, das er genau so, aber eben wesentlich besser schon x-Mal gelesen hat. Hobbyautoren sollten das wettmachen, um interessant zu sein. Innovation, was Individuelles, neue Themen, Sichtweisen, settings ... wir haben ohne Massenmarktdruck nämlich hier mehr Freiheiten als Profis...
Katla

Ein sehr interessanter Gedanke. Tatsächlich: Wenn Stephen King über 300 Seiten die relative Ereignislosigkeit einer amerikanischen Kleinstadt beschreibt (Needful Things, ein tolles Werk), kann man das Buch nicht weglegen.
Weitere große Autoren bringen Triviales über ihre geniale Sprache an den Mann. Auf der anderen Seite jene, die es ohne eine besonders interessante Sprachen minütlich krachen lassen, Preston/Child würde ich mal dazu rechnen, Nicci French und Dan Brown.

Sollte unser Stil so übel sein, dass wir permanent die Flucht in Neues/Außergewöhnliches/Abnormes nehmen sollen, ja müssen? Zirkusakrobaten gleich die Worte verdrehen und neu erfinden, die verrücktesten, nie da gewesenen Plots erfinden? Die Kurzgeschichte bietet sich hierzu an, drängelt sich fast auf. Siegergeschichten von Literaturwettbewerben (z.B. MDR) haben allerdings keinen Plot, geschweige denn Spannungsbogen, beziehen ihre Kraft allein aus der Sprache. Deshalb sind es ja auch Sieger.
Vielleicht sollte hier für beide Platz sein…

 
Zuletzt bearbeitet:

Tach Katla,

ich erwarte von einer Kritik, dass sie sich auf die Geschichte bezieht. In vielen Teilen deiner Kritik triffst du schlichtweg Falschaussagen zu meiner Geschichte. Einen Ausschnitt dieser Verzerrungen und falschen Darstellungen habe ich oben zitiert. Kannst du und jeder andere nachlesen – und überprüfen.

Ich habe dir zu vielen dieser Behauptungen offene Fragen gestellt. Du hast keine davon beantwortet.

aha, der Leser ist schuld, wenn ein Text nicht funktioniert, und daher beleidigt man seine Kritiker, das immerhin ist mal was Neues auf KG.de. :D
Siehst du, Katla, das ist das Problem: Du gibst nicht wieder, was ich schreibe. Ich habe nicht behauptet, der Leser sei schuld an einem nicht funktionierenden Text. Recht billig, dich hier in diese Kukident-Häme zu flüchten.

Nur kurz: Schlammcatchen interessiert mich nicht.
Mich auch nicht. Du gestattest aber, dass ich meine Geschichte verteidige?

Eben. Dann piss mich nicht dafuer an, dass ich dem Text das ansehe.
Ich habe dich nicht „angepisst“. Ich habe dir auch nicht angekreidet, dass du mir mangelnde Recherche vorwirfst. Ich habe allerdings viele objektive Falschdarstellungen aus deiner Kritik hergenommen und dich gebeten, dazu Stellung zu nehmen.

Abneigungen und Vorlieben des Autors sind keine gute Grundlage oder Rechtfertigung fuer Figurenkonzeption, wenn diese Figur etwas tun soll, was der Autor eben nicht tun wuerde.
Das sehe ich ganz genau so.

Guenstiger vllt, die Figur so zu konzipieren, dass ihre Entscheidungen folgerichtig und stimmig im Text - und nicht im Vergleich zur Privatansicht des Autors - sind. (Was weiss ich, er geht seit 20 Jahren zu so einer Mutti-Prosti und ist jetzt mal interessiert, ob in nem richtigen Puff all das geboten wird, was er immer so in den Talkshows sieht. Bezahlung ist 500.- ueber seinem SozSatz, das genuegt ihm. Die kriminelle Puffmutter da missversteht das als Interesse an kinky sex, und schickt ihn Blut holen. Das juckt den Prot nicht, weil er in den Nachkriegsjahren aufgewachsen ist und seine Eltern selbst geschlachtet haben. Er ist aber von der Kombi Sex-Fleisch abgestossen, was er - da er seinen Job behalten oder männlich wirken will - fuer sich behält. Das wieder bestätigt seine Chefin, sie denkt, dann erzähle ich ihm mal, vllt lässt der sich gebrauchen da oben ... usw.
Guter Ansatz. Bunter als der von mir gewählte. Hätte mehr Leben in die Bude gebracht. Ich habe mich für einen kürzeren Weg entschieden, der aus meiner Sicht ebenso folgerichtig ist. Die Motivation für meine Figur ist schlicht und einfach: Kohle.

Dadurch kommt so ein Unstimmigkeits-Dominoeffekt: Der Grund ist nicht an seiner Person festgemacht, sondern ueber ein Gehalt. Das passt dann nicht zur finanziellen Lage der Puffmutter, das wieder nicht zu den Bestechungen nicht zum ... usw. Das wäre nicht nötig gewesen, hättest Du Deinem Prot einen guten Grund gegeben, der seinen Charakter und seine Entscheidungen nachvollziehbarer macht.
Der einzige Grund ist das Gehalt, richtig. Ein durchaus guter Grund, finde ich, gerade in seiner Situation.
Und noch einmal: Evita steht finanziell nicht schlecht da. Sie besticht auch nicht mit Geld.

Ob Du oder ich als Schreiber/Kritiker spiessig sind oder nicht, ist völlig schnurz - aber die Figuren muessen im gewählten plot konsequent angelegt sein.
Unwidersprochen. Hab nie was anderes behauptet.

Warum Neues hier im Hobbyschreiberforum? Weil Hobbyautoren schwächeren Stil, Ausdruck und Spannungsbogen ... bla haben. Wenn ein professioneller Autor vielverwendete Themen wählt, kann er das trotzdem halbwegs spannend machen. Ein Hobbyautor, der sowas schreibt, kann das nicht - dann hat der Leser etwas, das er genau so, aber eben wesentlich besser schon x-Mal gelesen hat. Hobbyautoren sollten das wettmachen, um interessant zu sein. Innovation, was Individuelles, neue Themen, Sichtweisen, settings ... wir haben ohne Massenmarktdruck nämlich hier mehr Freiheiten als Profis.
Auch hier stimme ich dir in weiten Teilen zu. Aber das sind Allgemeinplätze – meine Frage bzw. Aufforderung war die hier:

Mich würde brennend interessieren, was du unter diesen Begriffen verstehst. Kein semantisches Wischiwaschi, sondern konkrete Merkmalsausprägungen. Und wenn du dann noch die Muße findest, erläutere mir doch bitte deine Ansichten darüber, wie du das hier auf kg.de umsetzen würdest.
Das war keine Ironie, sondern echtes Interesse. Du hast eine Reihe sehr harter Filme ins Felde geführt. Ich hätte es wirklich spannend gefunden, konkret von dir zu erfahren, was du unter den Begriffen Grenzerweiterungen / Durchbrechen der Normen / Ästhetik verstehst. Gibt oder kann/darf es Grenzen im Horror geben? Was ist das genau, die Ästhetik des Horrors?
Und ebenso hätte mich interessiert, wie man diese Betrachtungen auf kg.de anwenden kann. Das wäre fruchtbringender als das in sich widersprüchliche Resumee aus deiner ersten Kritik:

Insofern hast Du es schon richtig gemacht. Fuer dieses Forum. Als Horrorfan beinahe jeglichen Untergenres bin ich wirklich enttäuscht.
Ich habe es also „schon richtig gemacht für dieses Forum“ – gleichwohl bist du enttäuscht?

dann wirst Du sicher nicht erwarten, dass ich mich nett mit Deinen Rueckfragen beschäftige.
Es geht nicht um Nettigkeiten, sondern um Textbezug.

Abschließend: Du neigst dazu (jedenfalls hier in unserem Austausch), viele Dinge aus dem Zusammenhang zu reißen und damit deine Argumente zu begründen. Entschuldige, damit kann ich nichts anfangen. Vieles wird zudem gleich zu Superlativen aufgebaut, wobei dies dir unbenommen sein soll – ich teile deine Einschätzungen zum Kitsch, zu Klischees und anderen Dingen offenbar nicht.

Ich bin offen für Kritik und freue mich wirklich über jeden, der sich mit meiner Geschichte auseinandersetzt. Ich kann einer Kritik aber nur dann vertrauen, wenn sie sich an den Text hält. Das hast du in Teilen getan, keine Frage – aber vielfach eben auch nicht. Erwarte nicht, dass ich das dann unwidersprochen stehen lasse.


@ nastroazzurro

und spannender als die Frauen-WM
Wenn das mal keine Haue gibt.

Sollte unser Stil so übel sein, dass wir permanent die Flucht in Neues/Außergewöhnliches/Abnormes nehmen sollen, ja müssen? Zirkusakrobaten gleich die Worte verdrehen und neu erfinden, die verrücktesten, nie da gewesenen Plots erfinden?
Gute Fragen, wirklich. Das Nachgrübeln darüber hat mir in den vergangenen Jahren einige hübsche Schreibblockaden eingehandelt. Wäre aus meiner Sicht ein interessantes Thema (gerade in Kombination mit der Grenzerweiterung/Ästhetik) für eine Diskussion – allgemein und auf kg.de bezogen.

Auf bald,
Some

 
Zuletzt bearbeitet:

Das ist ’n Stück Leber.“
„Kann schon sein“, sagte Evita. „Ich hab dir doch gesagt, manchmal wollen sie was von ’nem Unfall. Der Kunde heute hatte Lust auf die Frau-vom-LKW-überfahren-Nummer. Hier, schau mal, so was Ähnliches hatten wir schon mal.“
Sie klopfte auf eines der vielen Fotos an der Wand. Die gestochen scharfe Aufnahme zeigte ein Mädchen, das rücklings auf einem Bett lag, leichenblass, mit geschlossenen Lidern, selbst noch im Tod eine Schönheit, jedenfalls was das Gesicht betraf. Ihre Arme und Beine waren leicht gespreizt, die Handflächen mit den spinnenbeinartig gekrümmten Fingern himmelwärts gerichtet, Oberschenkel und Waden ein Flickenteppich aus Hämatomen und Abschürfungen. Ihr Bauch ... Frank schluckte, als er das Kuddelmuddel von Innereien und Blut betrachtete, das aus der aufgeplatzten Bauchdecke hervorquoll und sich wie ein saftglänzender Gekröseberg zur rasierten Scham hin auftürmte.„Die Nummer hat damals auch Andrea übernommen“, erläuterte Evita. „Zwei geschlagene Stunden hab ich an ihr rumgeschminkt, genau wie heute. Ein ganzes Pfund Leber ist draufgegangen. Hast du ’ne Vorstellung, was das für die Mädchen heißt? Zwei Stunden ohne jeden Mucks liegen? Und dann noch der Kunde? Als Leiche darfst du keinen Finger krümmen. Mach das mal.“
Bei allem Abscheu konnte Frank nicht umhin, Evitas Talent zu bewundern. Sie hätte eine astreine Karriere als Visagistin für Splatterstreifen hinlegen können.
Daraus habe ich geschlossen, dass da oben mit Eingeweiden rumgemacht wird. Und zwar live, siehe 'Kunde', nicht nur fuer Bilder.
Später wird ein Mädchen vermisst, was nicht beweist, aber nahelegt, dass sie im Zuge dessen ermordet wurde. Beides mit der Selbstverständlichkeit der Zerstueckelung und der Videoaufnahme am Ende (plus den Photos hier im Abschnitt) ergab fuer mich, dass da auch ab & zu eine bei umkommt. Und "Frauen gesucht" - ganz einfach, weil man die Mädels ersetzen muss. Wenn dann z.B. Claudia anstelle von (Andrea?) nach oben gebeten wird, und sie das nicht ueberleben sollte, so wie eventuell die Kollegin, die abgehauen respektive gekillt wurde, bleibt die Stelle sicher nicht unbesetzt.

Die Länderthemen (im Puff) gibt es in allen möglichen Witzen und Zoten. Man ahnt, was da kommt, dafuer sind die Erklärungen zu lang. Lange Erklärungen liest man mit mehr Interesse, wenn sie Dinge beschreiben, die man noch nicht (so) gehört hat.

Ich hätte es wirklich spannend gefunden, konkret von dir zu erfahren, was du unter den Begriffen Grenzerweiterungen / Durchbrechen der Normen / Ästhetik verstehst. Gibt oder kann/darf es Grenzen im Horror geben? Was ist das genau, die Ästhetik des Horrors?
Fände die Diskussion auch spannend.

Wir können das hier unter der Geschichte fuehren oder mit Verlinkung zu diesem thread im Horror-Diskussionsthread (und es vllt ausweiten auf mehr User?). Fände ich sinnvoll, aber Dein Vorschlag, Deine Entscheidung.

 

Tach noch mal,

Daraus habe ich geschlossen, dass da oben mit Eingeweiden rumgemacht wird. Und zwar live, siehe 'Kunde', nicht nur fuer Bilder.
Nachdem du oben die Beinstein erwähnt hast, weiß ich nicht genau, was du unter „mit Eingeweiden rummachen“ verstehst. Um allen Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, sag ich mal, wie ich’s mir gedacht habe:
In diesem Zimmer oben werden Mädchen „auf tot“ zurechtgemacht. Sie werden von Kunden gebucht, die die Illusion der Nekrophilie suchen. Viele lassen sich für ihre „Heimvideothek“ dabei filmen. Das ist, ganz kurz umrissen, das, was dort oben passiert. Keine echten Morde, keine echten Toten. Nur die Illusion.
Die Fotos sind Evitas Dokumentation ihrer „Schminkarbeiten.“

Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass dort oben ein Mädchen nach dem anderen vor laufender Kamera ermordet wird. Ich meine auch, aus den vorherigen Kritiken und Kommentaren keine solchen Vermutungen herausgelesen zu haben.

Du bist die erste, die dies erwähnt. Ich werde mir die Geschichte darauf hin noch einmal ansehen. Bisher bin ich davon ausgegangen, nicht zu viel weggelassen zu haben.

Die Länderthemen (im Puff) gibt es in allen möglichen Witzen und Zoten.
Nie einen solchen Witz gehört.

Wir können das hier unter der Geschichte fuehren oder mit Verlinkung zu diesem thread im Horror-Diskussionsthread (und es vllt ausweiten auf mehr User?). Fände ich sinnvoll
Da stimm ich dir zu. Verschieb es bitte in den Thread, bislang sind ja noch keine weiteren Reaktionen eingetrudelt. Diese Diskussion sollte nicht in ein paar Tagen oder Wochen unter meiner Geschichte vermodern. Zumal mich weitere Meinungen zu dem Thema interessieren.

War das konkret? Ich hoffe.
Absolut. Danke für deine ausführlichen Betrachtungen. Ich werde noch darauf antworten, in den nächsten zwei, drei Tagen wird es erst mal knapp bei mir mit der Zeit. Hoffentlich beteiligen sich noch mehr an der Diskussion.

Bsp: Clive Barker Weaveworld. Dort ist ein Wesen, das das Gedächtnis verloren hat und sich fuer einen Todesengel hält. Es hat zu lange in einer Wueste existiert, und ist ueber die Einsamkeit und Eintönigkeit verrueckt geworden. Aus diesem inneren Konflikt heraus handelt es - fuer fast alle anderen Prots potentiell tödlich. Wenn ich zu Hasue bin, suche ich gern ein Zitat, aber dieses Wesen wird auf eine Art beschrieben, die schon Körperlichkeit surrealistisch auflöst - eine Art in Flammen stehende Mechanik im Innern teils transparenter Haut.
Ganz übles Thema. Ich hatte vor vielen Jahren mal mit Weaveworld begonnen. War ein Flohmarktexemplar. Irgendwo um Seite einhundert herum fehlten plötzlich dutzende Seiten, dafür war der Anfang des Romans noch mal abgedruckt. Ich hab’s in den Mülli getan und mir das Buch nie mehr neu gekauft.
Insofern: Zitat wäre schick.

Auf bald,
Some

 

Hey Somebody!
Wollt mir gestern Abend noch eine kurze Geschichte raussuchen die ich lese, bin dann auf deine gestoßen und hab gesehen das sie doch relativ lang ist.
Hab sie dann angefangen zu lesen und war so gefesselt das ich sie mir dann doch komplett durchgelesen hab und viel zu spät ins Bett bin, aber ich fand sie so interessant! Du hast alles so genau beschrieben das ich mir jede Situation echt gut vorstellen konnte.
Echt super!

Kalona

 

Eine wahnsinns Geschichte!

Ich habe - außer "Heinrichs Abendmahl" in "Fleisch ... und andere Appetitverderber" (was eine meiner Lieblingsstories ist) - noch nichts von dir gelesen.

Deine Art zu schreiben ist hochgradig amüsant und pointiert. Die Dialoge fand ich so realistisch und treffend, dass die Protagonisten für mich lebendig wirkten.
Mir gefällt das Setting und wie du dieses nach und nach skurriler werden lässt. Ich musste teilweise kurz beim Lesen pausieren und grinsend den Blick vom ausgedruckten Schriftstück heben, weil mich die Atmosphäre in Verbindung mit der Entwicklung der Geschichte so positiv schockiert hat.

Das Ende hingegen kommt dann doch zu klischeemäßig und man hätte es erwarten können. Ich hatte jedoch gehofft, dass der Irrsinn sich noch steigert (bis ungefähr zum Schlachthausteil war die Geschichte genau so konstruiert, wie ich es auch zu tun pflege). So verkommt es am Ende doch zum fantasielosen Splatter. Geschlachtet wie ein Schwein eben; das Thema wird in Mainstreamhorrorfilmen schon zu sehr ... ausgeschlachtet.
Da wäre Potential für eine richtig verrückte Auflösung gewesen.

Dies soll aber nicht das Vergnügen mindern, was ich doch mit dem Großteil der Geschichte hatte. :D

Ein Rechtschreibfehler noch:

Kameraschwank Andrej

 

Hallo Somebody,

Die erste Hälfte der Geschichte fand ich superspannend, pointiert, sehr unterhaltsam, professionell, total begeisternd! Den Rest fand ich auch gut, aber nicht auf dem gleichen fesselnden Niveau. Vielleicht lag es daran, dass manches mir noch unklar blieb. Von wem war die parfümierte Hand? Wurde Claudia wirklich verletzt oder war es nur gefakt? Ein paar Hinweise fänd ich gut.
Auch könnte in der zweiten Texthälfte manches stilistisch ausgefeilter sein. Der Anfang hat sehr hohe Maßstäbe gesetzt.

Fazit: in weiten Strecken beneidenswert gut formuliert. Tolle Sätze. Gelungener Mix aus Realität, "Reportagestil", Krimi, leise Liebesgeschichte, Humor, glaubhaften Charakteren.

schöne Grüße Petdays

 

Tach ihr zwei,

großen Danke fürs Lesen und die Kommentare.

@ Leif

Ich habe - außer "Heinrichs Abendmahl" in "Fleisch ... und andere Appetitverderber" noch nichts von dir gelesen.
Also, das ist doch … Tse.

Deine Art zu schreiben ist hochgradig amüsant
Das nehme ich ungeachtet der Rubrik mal als Kompliment.

Das Ende hingegen kommt dann doch zu klischeemäßig und man hätte es erwarten können.

Da wäre Potential für eine richtig verrückte Auflösung gewesen.
Schon richtig, es ist nicht das neu erfundene Rad. Ich habe mit Pointen seit jeher so meine Schwierigkeiten gehabt. Was wäre denn für dich eine verrückte Auflösung gewesen? Ist das nur ein Gefühl deinerseits, oder hast du eine oder gar mehrere Ideen?

Nur mal so unter uns Blutsbrüdern: Ursprünglich sollte es ein Bordell sein, das gegenüber einem Friedhof liegt, unter dem schröööcklich hungrige Ghouls durch selbstgebuddelte Stollen schleimen. Stollen übrigens, die bis unter das Bordell auf der anderen Straßenseite reichen. Aber die Idee hielt ich irgendwann für zu bekloppt und hab sie in die Tonne gehauen.

Kameraschwank Andrej
Was 'n blöder Fehler. Danke. Ändere ich sofort.


@petdays

dass manches mir noch unklar blieb. Von wem war die parfümierte Hand? Wurde Claudia wirklich verletzt oder war es nur gefakt? Ein paar Hinweise fänd ich gut.
Den „Träger“ der parfümierten Hand habe ich mit Absicht nicht näher beschrieben. Ich denke, diese Anonymität macht das Geschehen umso erschreckender. Außerdem hätte es mir widerstrebt, hier z.B. einen Herrn Staatsanwalt / Politiker / Firmenboss / wasweißichdenn einzuführen, der recht seltsame sexuelle Vorlieben hat.
Was Claudia betrifft: Sie wurde fachmännisch zerschnippelt. Ich glaube nicht, dass in der Geschichte ein Hinweis steckt, es könne sich dabei um eine Täuschung gehandelt haben. Die ist mausetot.

Auch könnte in der zweiten Texthälfte manches stilistisch ausgefeilter sein. Der Anfang hat sehr hohe Maßstäbe gesetzt.
Findest du wirklich, die Geschichte fällt stilistisch ab? Ich hab sie von vorn bis hinten mit der gleichen Sorgfalt immer wieder überarbeitet. Mag sein, dass der Ton sich während der Schlachterszenen etwas ändert, aber das war von mir gewollt.


Freut mich wirklich sehr, dass ihr die Geschichte gelesen und kommentiert habt.

Auf bald,
Some

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo somebody,

Ein paar Ausführungen, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen:

Claudias Tod. Davon war ich auch ausgegangen. Doch durch folgende Textstelle, die danach kam, war ich irritiert und hielt es doch nur für einen fake:

An der Tischplatte vorbei sah er ein Beinpaar, das in einer anthrazitfarbenen Anzughose steckte. Die Hose stülpte sich über schweineteuren Schuhen. Hallerschuhe. Guter Witz, fand er. Muss ich unbedingt morgen Claudia erzählen.

>> Da würde ich eine Ergänzung erwarten. Vielleicht so:
Muss ich unbedingt morgen Claudia erzählen. Aber das ging ja nicht mehr.

Auch finde ich, dass er zu schnell Claudias Tod für sich akzeptiert. Er müsste vor Horror total fertig sein etc. etc.
Den „Träger“ der parfümierten Hand habe ich mit Absicht nicht näher beschrieben. Ich denke, diese Anonymität macht das Geschehen umso erschreckender. Außerdem hätte es mir widerstrebt, hier z.B. einen Herrn Staatsanwalt / Politiker / Firmenboss / wasweißichdenn einzuführen, der recht seltsame sexuelle Vorlieben hat.

>>> ... das wäre für mich ein Beispiel, wo es für mich "abfällt". Die parfümierte Hand als Bild fand ich gut und erschreckend, nur hatte ich sie auf jeden Fall weiblich konnotiert und das hatte ich nicht in den Gesamtzusammenhang einordnen können. Vielleicht fügst du noch ein Detail hinzu, dass man an einen Herrenduft denkt. Das fände ich leserfreundlicher. :)
Auch die Clarissa-Claudia-Sache könntest du später noch einmal wiederholen. Vielleicht bleibt Claudia auch für ihn Clarissa, weil er den Namen mehr mag/ zuerst mit ihr assoziiert hat / ihn passender findet etc. etc.

Kleine Wiederholungen finde ich oft besser, als wenn man vom Leser zu viel erwartet. Z.B. zeichnen sich auch Meister der Horrorgeschichte wie P. Wilson gerade durch solche Dinge aus: klare, kraftvolle Sprache, schöne Bilder, sehr hohe Leserfreundlichkeit (z.B. auch durch WdH!!) etc.

Im ersten Teil finde ich mich als Leser besser "geführt", die Geschichte ist für mich klarer strukturiert, z.B. die Themengruppen im Bordell etc. Das hat für mich viel Eleganz und einen Sog, dem ich gern folge. Im letzten Teil war der erzählerische "Film" für mich mit "Störungen" durchsetzt, die mich aus meinem Lesefluss rausgerissen haben.

Manches kann ja zunächst rätselhaft erscheinen, wie die parfümierte Hand. Das finde ich geheimnisvoll. Aber zumindest erwarte ich, dass der Held sich auch dazu Gedanken macht und ich nicht als Leser "alleine rätseln muss".

Ich hoffe, du verstehst, was ich meine. :)

Ansonsten finde ich die Geschichte nach wie vor toll. Nur würde ich mir im letzten Teil noch ein paar verbesserungen wünschen.

schöne Grüße Petdays

 

mir gefällt die geschichte , sie ist schon realistisch , als pitzzabote bin ich schon in ein paar bordelle gekommen . ich denke ich hätte es änlich geschrieben . weiter so

 

Hey some,

zwar bin ich nicht gefragt, aber antworten kann man ja trotzdem, oder?

somebody schrieb:
Findest du wirklich, die Geschichte fällt stilistisch ab? Ich hab sie von vorn bis hinten mit der gleichen Sorgfalt immer wieder überarbeitet. Mag sein, dass der Ton sich während der Schlachterszenen etwas ändert, aber das war von mir gewollt.
Meiner Meinung nach ändert sich nichts am Stil, der ist weiterhin sorgfältig. Auch geht es nicht um die zweite Hälfte, sondern um den Schluss, das Finale. Hier stecken nicht mehr so viele Details drin, jedenfalls keine liebevollen und stimmigen. Da setzt du im Rest deiner Geschichte hohe Maßstäbe. Zudem kommt, dass die Erzählung immer mehr aus dem Bereich des Möglichen driftet und es dem Leser ab einem gewissen Punkt zu viel wird. Das heißt nicht, super Geschichte, scheiß Schluss. Das heißt: Super Geschichte, die besten Stellen finden sich nicht am Ende.

Beste Grüße
immer noch ein Fan dieser Geschichte
markus.

 

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