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- 31.01.2016
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Muschelherz
Ich habe zwei Plätze am Ende des Raumes reserviert und überblicke von hier aus sämtliche Tische. Das mache ich immer so. Heute bin ich verabredet.
Es ist Mittagszeit, das Café ist gefüllt und jeder Gast scheint zu reden. Nichts im Raum absorbiert den Schall, so dass ich mir vorkomme wie in einer Kathedrale voller Marktfrauen. So ähnlich klang es hier sicher vor hundert Jahren, als das noch der Verkaufsraum für Schlachtvieh war. Ich blicke nach oben, fixiere die hohe Decke mit den gefliesten Ornamenten, in der Hoffnung sämtliche Geräusche und Gesprächsfetzen dadurch ausblenden zu können. Meergrüne, spärlich gekleidete Frauen und Kinder, Orangenbäume. Diese Methode habe ich mir von einem Nachbarjungen abgeguckt. Denn immer, wenn wir Kinder beim Ballspiel auf dem Hof alle gleichzeitig auf ihn einschrien, weil er den Ball so entsetzlich lange festhielt, bevor er sich entschloss, ihn abzugeben, blickte er in den Himmel. Ich dachte, er würde mit dem Ball unter dem Arm abheben und in die Wolken fliegen. Ist er natürlich nicht, aber er warf den Ball urplötzlich einem von uns entgegen.
Wir treffen uns hier, weil es keine zweihundert Meter vom Büro entfernt liegt und Ben das Essen mag.
Und dann betritt er den Raum wie eine Bühne, teilt den Vorhang, der die Kälte draußen auf den Straßen halten soll mit ausladender Geste und bleibt einen Augenblick unbeweglich stehen. Er ist gekommen, um mir zuzuhören. Es dauert eine Weile, bis er mich gefunden hat. Ich hätte aufstehen und winken können. Verbuche diesen Genuss, ihn mich suchen zu lassen, als Teil von Wiedergutmachung für die vergangenen Tage der Ignoranz.
Mit großen Schritten kommt er auf mich zu. Ich unterdrücke den Impuls aufzuspringen und auf ihn zuzulaufen, bleibe sitzen, nehme die Tasse Kaffee, die ich mir bereits vor einer halben Stunde bestellt habe. Ihn bringt es nicht von seinem Vorhaben ab, mich zu berühren und er stupst mit dem Zeigefinger gegen meine Nasenspitze, gestikuliert noch im Stehen der Kellnerin, dass er umgehend etwas bestellen möchte, und schält sich elegant aus seinem Mantel. Die umliegenden Gäste sehen ihm dabei zu, leicht enerviert, dass er auf engem Raum viel Platz benötigt als nötig wäre, um sich seines Mantels zu entledigen. Ich glaube, auch Respekt zu erkennen vor so viel Präsenz.
"Hast du schon bestellt?" Seine Bassstimme vibriert in meinem Bauch. Jedenfalls fühlt es sich so an.
"Bin auch eben erst angekommen", lüge ich.
Er lächelt souverän und zeigt eine Reihe natürlich weißer Zähne. Jetzt küsst er meine Wange doch noch, bevor er sich setzt. Er riecht, wie Männer riechen müssen. Nach frischer Luft und einem teuren Parfum, das vorgaukelt eine Seife zu sein, sauber und natürlich, wie frisch aus Blättern, Moos und einem kleinen, wilden Felltier gepresst. Ich muss an einen Schwertkampf denken, in einer Rüstung aus Leder und Ketten, barfuß auf sattem, grünem Boden, auf dem Blumen wachsen - nein, das sieht lächerlich aus - aber bei Regen, irgendwo in Nordschweden. Ich habe mich gut verhüllt, ohne Ausschnitt und freie Sicht, damit er mir unabgelenkt zuhört. Seine Brust ist zwar auch verpackt, aber sie zeichnet sich unter dem weißen Hemd ab wie flache Zwillingssteine am Ufer eines Fjords. Sein rotbrauner Bart berührt den Kragen und ich verbiete mir, hineinzugreifen, ihn daran an mich zu ziehen und zu küssen, bis mir der Atem ausbleibt. Wie eine Schildmaid es wahrscheinlich tun würde. Meine Hände gehorchen in letzter Sekunde und greifen stattdessen energisch die Speisekarte, die vor mir liegt und die ich wie einen Schutzschild vor mein Gesicht halte. Mein Vater meint, Ben wäre eine gute Partie: zielorientiert und ambitioniert und schlecht sähe er ja auch nicht aus, gäbe einen Partner mit Niveau ab.
"Hast du gewählt?" Er sieht mich an und ich fühle mich ertappt, meine Wangen sind heiß, während er im nächsten Moment der Kellnerin einen vielsagenden Blick gönnt. Hat sie mit den Augen gerollt?
"Ich hab nicht viel Zeit. Was gibt es denn Dringendes? Sehen wir uns nicht sowieso Samstag?", spricht er in die Speisenfolge. "Ich nehme bretonische Austern. Gibt es Belons?"
"Ja, frisch geliefert."
"Ein halbes Dutzend und einmal das Safranrisotto mit Herzmuscheln. Für dich?"
Er richtet seine braunen Augen auf mich und ich denke an das kleine Felltier.
"Nein, ich nehme eine Galette mit Zwiebelconfit und Chèvre", sage ich vielleicht eine Spur zu entschieden. Mein Mittagessen benötigt kein Herz. Herzlose Menschen wählen solche Speisen. Die Kellnerin nickt und tippt in ihren Orderman und fragt: "Was trinken Sie?"
"Chablis. Zwei Gläser", bestimmt Ben.
"Nein. - Nein. Ich nicht. Bitte Wasser."
"Still?"
"Nein. Mit viel Sprudel, bitte."
Die Kellnerin geht ab und überlässt mir die Bühne.
"Ben, ich habe die Möglichkeit, für den Master nach Peru zu gehen."
Nun sprudelt es aus mir heraus, obwohl ich mir doch einen taktischen Ablauf zurecht gelegt hatte. Ich wollte erst den köstlichen Lunch genießen, Ruhe bewahren, ihn zappeln lassen, ein bisschen plaudern, flirten eventuell.
Er sieht zeitverzögert auf, als hätte es tatsächlich einige Zeit gebraucht, bis meine Worte sein Hirn erreicht haben. Dabei ist er bestimmt mit seinen Gedanken im Büro oder sogar nur im Vorzimmer, wo die blonde Frau Schmidt sitzt. Ich puste mir eine imaginäre Haarsträhne aus dem Gesicht. Diese kurzfristige Verabredung war ihm nicht recht, passte nicht in seinen Tagesplan. Das habe ich schon bemerkt, als ich ihn im Teezimmer bat, mittags mit mir essen zu gehen. Er nutzte die Gelegenheit, einen Blick in meinen Ausschnitt zu werfen. Vermutlich um die Farbe meines BH's zu prüfen und stimmte dann zu. Ich kann nicht länger warten, ihn mit meinen Plänen zu konfrontieren und er muss ja auch mal etwas zu sich nehmen.
"Das ist wunderbar", sagt er unverbindlich, freundlich und wirft, warum auch immer, einen raschen Blick über seine Schulter.
"Ich wäre für ein halbes Jahr nicht hier", lege ich nach und es klingt seltsamerweise wie eine Frage.
"Hmhm. Das ist einfach hervorragend". Er streicht mit geübter Geste den Bart glatt und sieht mir in die Augen.
"Hervorragend, dass ich ein halbes Jahr weg bin, oder hervorragend meinen Master zu machen, oder hervorragend im Sinne von Peru verfügt über dreiundfünfzig Naturschutzgebiete und ..."
"Corinne", sagt er sanft lächelnd, greift über den Tisch und drückt meine Hand. Nicht zu fest, nicht zu lasch, "wir haben doch Zeit."
Sein Telefon regt sich diskret und er hält es mit manikürten Fingern ans Ohr. Die Kellnerin serviert die Mahlzeit und er lässt erst jetzt meine Hand los.
Während Ben halblaut redet, sortiere ich mein Besteck nach Nutzen und ich mache die Reihenfolge ausfindig. Das Confit duftet süßlich, der Ziegenkäse ist leicht verlaufen und gebräunt, die Galette an den Rändern knusprig. Ich habe überhaupt keinen Appetit.
"Entschuldige", sagt er und stürzt sich strahlend auf die Meerestiere.
"Also", beginne ich erneut, "der Schwerpunkt Unternehmungsführung im Wirtschaftsbereich dort in Cusco ist in der reno ..."
"Entschuldige", unterbricht er mich und hält erneut das Telefon an sein Ohr. Ich hab es nicht einmal klingeln hören, so konzentriert bin ich auf meinen Monolog. Ich stochere mit der Gabel im Essen und bemerke den Mann neben mir erst, als er mich anspricht.
"Hey, Corinne." Es ist Max, er sieht erfreut aus und bringt mich aus dem Konzept.
"Max." Ich hätte ihn hier nicht erwartet. Ben ist mittlerweile in den ruhigen Salon nebenan gegangen.
"Verrückt. Ich jobbe hier in der Küche. Ich wollte dich eh noch sprechen. Wegen des Semesters in ..."
"Ja. Völlig verrückt, Max. Dann lass uns doch einfach ganz bald mal darüber reden, unterbreche ich und betone die diffuse Zeitangabe mit Nachdruck, um ihn abzuwimmeln, aber da steht Ben schon wieder am Tisch und blickt amüsiert. Als die Kellnerin hinzukommt und wissen möchte, ob alles zur Zufriedenheit wäre, sehe ich zur Decke, aber das hilft nicht - und so laufe ich an allen Dreien vorbei zum Waschraum.
"Warum?", frage ich mich.
Um meine Gedanken zu sortieren und irgendwie auch, um sie loszuwerden, rede ich in Stressmomenten mit mir selbst. Das käme von der Gedankenüberdosis, meint meine Mutter, und das wäre nicht verrückt, sondern gesund, und eine sehr gute Möglichkeit, auszusortieren. Sie fände es eine geniale Idee, meine Flut von Gedanken- und Informationsmengen auf diesem Weg zu filtern. Mein Vater hat dazu keine Meinung, der sorgt sich ja bereits um meine Zukunft, indem er mir einen potentiellen Ehemann und eine Ausbildung in Südamerika nahelegt.
"Nutze dein Hirn ruhig auch mal in Liebesangelegenheiten! - Hast du mal 'ne Zigarette?", frage ich die Brünette, die plötzlich neben mir am Waschtisch steht und bereits gehen will, lauter als ich sollte. Sie sieht mich verschreckt an und nestelt dann eine aus ihrer Handtasche, reicht sie mir. Vermutlich hat sie mir vom Klo aus zuhören müssen und fürchtet sich nun vor mir.
"Feuer?"
"Hier drinnen?"
"Kommst du mit raus?"
"Nein ... "
"Dann hier drinnen." Sie zögert und zündet die Zigarette an.
"Bin schon weg", sage ich, und verlasse mit einem zusammengekniffenen, weil mit Rauch gefülltem Auge, schnell den Toilettenraum. Ich gehe an den hochgestapelten Getränkekisten im Flur vorbei, nehme schnell eine Flasche Bier daraus, an der Küche längs entlang nach draußen, stelle ich mich neben die Mülltonnen, will an einer die Flasche öffnen, scheitere aber und stelle sie auf den Boden. Max steht erneut neben mir, wie aus dem Nichts, nimmt die Flasche auf, entdeckelt sie, gibt sie mir zurück. Ich nehme sie wortlos und einen kräftigen Schluck.
"Woher kennste den Typ?"
Er raucht nicht, guckt nur so vor sich hin.
"Isser noch da?" Ich inhaliere tief.
"Klar. Verspeist Muscheln mit Genuss. Außerdem wartet er auf dich." Er lächelt und dabei entblößt er einen vorwitzigen Eckzahn, den ich fasziniert betrachte.
"Er ist mein Chef. Unsere Väter kennen sich aus der Studienzeit."
"Verstehe."
"Echt jetzt?" Ich sehe sein Profil und kann nur mutmaßen, wie er das meinen könnte. Er ist offenbar blitzgescheit, denn Ben ist sehr jung für einen Chef. Man könnte zweifeln.
"Klar."
"Jedenfalls ist er schon irgendwie der Traum einer jeden ..."
"Tochter?"
So langsam nervt Max mit seinen Sticheleien. "Beziehungslosen Studentin", ergänze ich wahrheitsgetreu.
"Bindungsangst?"
"Nebenfach Psychologie?"
"Du scheinst vom Romantischen Hollywood-Syndrom befallen zu sein. Weit verbreitet. So bleiben dir die Schattenseiten einer realen Beziehung erspart. Kein schlechter Plan. Dir ist aber schon klar, dass er in fünfundzwanzig Jahren ... "
Ein ganz übler Klugscheißer, dieser Max.
"Ich will mir auch nicht vorstellen, mit ihm die Wohnung zu putzen", schießt es mir in den Kopf und aus dem Mund. "Es ist tatsächlich faszinierender an ihn zu denken, wenn wir, sagen wir mal zum Beispiel in Schweden an einem ... ach, was weiß ich." Ich schüttle den Kopf und mache ein paar kleine Hüpfer. Es ist kalt.
"Schon okay."
"Ich werde mal wieder reingehen. Muscheln gucken. Bis dann." Ich eile an den Tisch zurück, setze mich Ben gegenüber und bilde mir ein, leichte Genervtheit in seinem Gesicht zu erkennen. Es ist aber auch gut möglich, dass ich leicht genervt bin.
"Ich habe dein Essen abräumen lassen. Es war kalt", sagt er und lächelt milde.
Ich habe mich geirrt. Kein Vorwurf in seiner Stimme. Keine Fragen. Im Grunde perfekt.
"Was meinst du denn nun, Ben?", frage ich schon etwas ungehalten.
"Wozu?" Er ordert mit einer Handbewegung die Rechnung. Ein Hebel in meinem Hirn legt sich um. Ich spüre genau, wie er einrastet. Ist da etwas Tomate in seinem Bart? Ich beuge mich über den Tisch, um es besser zu erkennen. Er legt seine Black Card auf das Silbertablett und rülpst. Verhalten, aber er stößt auf und eine Knoblauchfahne umzieht meine Nase, gepaart mit dem Geruch von Alkohol. Ich erhebe mich spontan, baue mich vor ihm auf und sage:"'tschuldige, ich muss los." Und ich verlasse das Theater. Zur Garderobe, ziehe meinen Mantel an und stelle fest, dass meine Tasche noch am Stuhl hängt. Während ich noch darüber nachdenke, was es bedeutet ohne Handtasche zu gehen, entdecke ich Max, wie er bei Ben steht, etwas sagt, die Handtasche greift und mir langsam entgegenschlendert. Strahlend, mit einem vorwitzigen Eckzahn.
"An deinem Abgang musste aber noch arbeiten." Er hakt sich bei mir unter und wir verlassen das Bistro, dabei zieht er etwas an meinem Arm. Vielleicht befürchtet er, ich würde umkehren und an meinem Abgang feilen.
Auf dem Gehweg muss ich einige Male tief durchatmen, damit sich mein Herzschlag normalisiert. So viel Drama bin selbst ich nicht gewohnt.
"Wollen wir noch ins Resonanz? Bisschen reden. Hab Feierabend. Ich will dir doch von dem Gespräch mit der Uni erzählen. Ich glaub, für mich ist das nix. Voll der elitäre Schuppen..." Max erbricht einen Wortschwall. Jetzt hake ich mich bei ihm unter und lege meinen müden Kopf an seine Schulter. Er redet und redet, aber ich filtere alles durch. Er riecht nach Weichspüler und Wolle. Zum Kampf in Schweden wird das nicht taugen, aber sein Einsatz im Bistro war gar nicht so übel. Mit Blick in die schneegefüllten Wolken lasse ich mich führen.
Im Resonanz geht Max sogleich an den Tresen und bestellt zwei Korn. Ich stehe neben ihm und bestelle auch zwei. Unsere Blicke treffen sich.
"Was?"
"Nix."
Wir kippen die Schnäpse hinunter und mir wird warm. Ich ziehe meinen Mantel aus und auch den Pullover, öffne die oberen Knöpfe meiner Bluse und gehe zur Musikbox. Ich stehe gerade auf die 80's und wähle Falco, schlendere im Takt zu Jeanny zu Max zurück, trinke seinen zweiten Korn und bestelle nochmal vier.
"Weiß du, Max ..." Ich versuche ihn anzusehen, suche seine Augen. "Weißtu. Ich glaube ... ich glaube, ich kann nicht mit 'm Mann Nudeln koch'n, abwasch'n und dann auf'm Sofa ...."
"Einschlafen?"
"Genau!" Er versteht mich. Darüber freue ich mich so richtig. Ich ziehe einen Schuh aus, weil der schon den ganzen Weg gedrückt hat.
"Quit livin' on dreams. Jeanney, life is not what it seems", singe ich mit Falco. Nun muss ich tanzen. Dafür ziehe ich den anderen Schuh auch aus.
"Ist ja nicht so voll hier", rufe ich erfreut.
"Ist ja auch erst vierzehn Uhr", bemerkt Max völlig richtig. "Komm, ich bring dich nach Hause." Und das ist sicher sehr vernünftig und so gehen wir Arm in Arm wie ein verliebtes Paar die verschneiten Straßen entlang.
"Weiß du, Max, ich bin grad' ziemlich heiter. Heiter bis glücklich, könnt' man fast sagen. Auch irgendwie befreit." Und ich küsse ihn auf die rote Nase. Weil ich vor meiner Haustür eine Stufe höher stehe als er. Und weil ich's will.
"Sehen wir uns morgen?", fragt er leise.
"Jaaaa. Ich denke morgen bin ich auch wieder vergnügbar." Max begleitet mich bis vor die Wohnungstür und nachdem ich umständlich den Schlüssel ins Schloss gesteckt habe, lasse ich ihn dort, denn ich habe es eilig ins Bad zu kommen.
"Und manchmal fühle ich mich selbst wie 'ne Muschel. Halb drinnen, halb draußen. Weich und hart. Von außen kaum lebendig. Die meisten Menschen wissen nicht mal, dass Muscheln ein Herz haben. Um voranzukommen, muss ich raus, wenigstens mit einem Fuß. Und plötzlich bin ich in der Lage, eine Art Raketenstrom zu verursachen und presche dann immer über's Ziel hinaus. Oder ich klebe mich fest, verankere mich an andere. Lebe sozusagen in Symbiose. Eine Beziehung würde ich das nämlich nicht nennen. Ich kann das einfach nicht so gut. Es ist doch eh alles eine Illusion. Was bedeutet das überhaupt? Der Richtige? Der Falsche? Ich will nicht glauben, dass ich nur komplett sein soll, wenn ich mit dem richtigen Mann zusammen bin. Das ist ein entsetzlicher und absurder Gedanke!"
Ich stehe unter der Dusche, betrunken, sentimental, wütend, ohne Job und Liebhaber. Das Wasser ist angenehm heiß und ich bewege mich nicht, ziehe in Erwägung, bis in alle Ewigkeit hier stehen zu bleiben oder bis ich den Duft von Kaffee wahrnehme.
Als ich in die Küche komme, sitzt dort Max. Ich habe gar nicht bemerkt, dass er mit hineinkam. Der Wohnungsschlüssel liegt neben der Kaffeetasse.
"Du bist ganz schön präsent", sage ich, weil meine Energie zu nichts anderem reicht und ich weiß, dass ich irgendetwas sagen muss.
"Ich dachte, ich bleib' noch. Nur für den Fall ..."
"Was'n für'n Fall?" Ich mache mich ganz klein auf dem Stuhl und schlürfe den Kaffee, den er gekocht hat.
"Du warst so ... aufgedreht."
"Hm."
"Ich fühle mich irgendwie ..."
"Verantwortlich?"
"Verliebt."
Naturgemäß schnappen meine Schalenhälften bei Berührung, auch verbaler, zu. Wir nippen an unseren Tassen und schweigen eine Weile.
"Es war doch klar, dass der Typ nicht passt", platzt es dann aus Max heraus. "Statistisch gesehen greift man zwölf Mal daneben. Ich hab gelesen, man würde mit seiner Wahl, also wenn man meint, immer den Falschen auszusuchen, so was wie Psychohygiene betreiben, um damit die eigenen, ungeliebten Seiten loszuwerden. Der Typ würde quasi deine miesen Seiten ausleben. So erspart man sich, sich selbst zu hassen. Man kann also den Kerl bekämpfen statt sich selbst. So in der Art."
Diese These ist überdenkenswert.
"Ich denke, ich gehe nach Neuseeland", und ich habe keine Ahnung, wie ich darauf komme.
"Ich denke, ich komme mit."
"Kennst du die Abalone?"
"Man ist überrascht, wenn man sie von innen sieht."
Gegen seine Komplimente bin ich immun, sollte das eins gewesen sein.
"Ich werde Muschelschalen sammeln und daraus Badfliesen machen", sage ich und finde diesen Einfall extrem gut.
"Ich werde Gemüse pflanzen und vom Regen vollgesogene Schafe umdrehen, sie scheren und aus der Wolle Pullover stricken."
Ich weine. Es überkommt mich und ich höre vermutlich bis zum Abflug nicht mehr damit auf.