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Mein Stellplatz Nummer 13

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29.10.2016
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Mein Stellplatz Nummer 13

„Doch jeder tötet, was er liebt, (..)“ – Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading, 7. Strophe, Oscar Wilde

Bodyman haben sie mich bereits auf dem Gymnasium genannt, so ein Unsinn! Als Bodyman wird der Assistent eines amerikanischen Politikers bezeichnet, mit Bodyman kann aber auch ein Spezialist für Autokarosserien gemeint sein. In meinem speziellen Fall ist natürlich der athletische Körper für den Spitznamen verantwortlich. Immer nur ein Bodyman zu sein, das ist nicht lustig. Als ob nicht auch jemand wie ich tiefer Gefühle und kluger Gedanken fähig wäre! Meine Ergebnisse im Abitur waren gut, ich lese viel, finde Gefallen an Kunstgeschichte und habe mich folglich auch immatrikulieren lassen, aber alle sehen und begehren nur den Körper. Dabei sind meine Interessen überaus weit gefächert, ich bin vielseitig und aufgeschlossen. An manchen Tagen jedoch komme ich mir vor wie ein Toyboy bei einer billigen Seitensprung-Agentur. Da denke ich zum Beispiel an Jeanette, aber ich bediene hier keine schmutzigen Männerfantasien! Abgesehen davon wären diese in einem Leben wie dem meinen knallharte Realität. Meine Geschichte ist eine ganz andere und für das Kopfkino völlig ungeeignet. Wie einem Gemälde von Dante Gabriel Rossetti entsprungen erscheint diese sechsundzwanzigjährige präraffaelitische Schönheit in dem Fitness-Studio als La Ghirlandata oder Lady Lilith. Ich gebe ihr eine kostenlose Einführung in das smarte Zirkeltraining an den vollelektronischen Kraftgeräten und beim ausführlichen Demonstrieren der einzelnen Übungen spüre ich, wie sie mich und meinen Körper genüsslich in Augenschein nimmt. Sie hat eben den besonderen Blick für Qualität – wie einst Oscar Wilde. Das Beste ist für sie gerade gut genug und ich kann Jeanette keinen Wunsch abschlagen, denn unsere Liebe bedeutet für mich viel mehr als vielleicht für sie. Ich bin kein Libertin und das hier ist kein verantwortungsloser Hedonismus! Auch wenn ich weiß, dass es ganz und gar realitätsfern wirkt und selbst wenn es kitschig klingen mag: Mein größter Wunsch würde in Erfüllung gehen, wenn sie und ich als die einzigen und für immer glücklichen Bewohner einer verzauberten Insel zusammen sein könnten. Nein, der Bodyman ist jetzt nicht wahnsinnig geworden, nur verrückt vor Liebe.

„Gerrit“, fragt sie mich heute atemlos, „darf ich mein Auto auf deinem sicheren Stellplatz in der Tiefgarage parken, während ich fort bin? Nur für ein paar Tage, bitte!“ Ihre grünen Augen hypnotisieren mich, der flehende Klang ihrer leicht heiseren Stimme verträgt keinen Einwand: „Ich muss unbedingt weit weg. Mein Mann darf nichts davon wissen. Du fährst mich doch zum Flughafen?“ Unser Treffen findet in meiner kleinen Hochhauswohnung statt und wie jedes Mal elektrisiert mich bereits der reine Anblick ihrer schlanken, engelsgleichen Gestalt. Ich stehe jetzt direkt hinter Jeanette und sie hat sich gebückt. An das Twerking in den Vereinigten Staaten von Amerika denke ich mit Blick auf ihren beweglichen Po, der für den Geschmack vieler Amerikaner zu klein wäre. Für mich ist er genau richtig und er reckt sich mir erwartungsvoll entgegen. Unter ihrer zarten, weißen Haut scheint es zu vibrieren, wenn ich sie berühre und mit dem wohlgeformten Rücken und ihren gewellten, nach Rosen duftenden roten Haaren vor Augen zärtlich von hinten in sie eindringe. Ich bin nämlich nicht der brutale Stecher, der die Bitches nagelt. Das entspräche nicht meinem Frauenbild. Beide Hände auf die marmorne Fensterbank gestützt, schaut Jeanette, während wir genüsslich unserer Liebe frönen, in die Landschaft hinaus, wo in der milchigen Ferne die Berge des Taunusgebirges aufragen: Caspar David Friedrich – Der Wanderer über dem Nebelmeer! Dort in der Nähe des Großen Feldbergs, der höchsten Erhebung im Taunus, die jetzt im aufsteigenden Novembernebel beinahe schon verschwimmt, ließ ihr wohlhabender Ehemann erst vor einem Jahr eine neue Villa bauen für die kleine Familie, von der er träumt. „Einen Jungen und ein Mädchen wünscht er sich.“ Sie ist mit ihren Gedanken im Moment wohl nicht ganz bei der Sache. „Ich will gar keine Kinder haben.“ Spricht da jetzt die böse Lady Lilith? „Ich muss weg.“ Nein, es ist meine liebe Ghirlandata. „Du hilfst mir doch?“, fragt mich Jeanette, während unser Geschlechtsverkehr immer noch andauert und, nachdem ich ejakuliert habe, antworte ich lapidar: „Stellplatz geht klar!“

Der Fahrstuhl bringt uns jetzt nach unten zu ihrem nagelneuen, mattschwarzen Porsche Cayman S. Ich öffne für sie das große Tor zur Tiefgarage und sie fährt hinein. Auf dem tristen Grau an der Stirnseite meines mit dem Apartment gemieteten Stellplatzes prangt ein grünes Plastikschild mit der Nummer 13. Grün ist die Hoffnung, sagt man. Das stimmt mich nachdenklich, mit meiner unstillbaren Sehnsucht bin ich ein heimlicher Neoromantiker. Unterhalb des Schildes hat irgendein Dummkopf sich mit dem Kreideschriftzug Lucky Thirteen auf dem Beton verewigt. Als ich mit ihrem leichten Gepäck in der Hand vor ihr aus der Tiefgarage trete, trifft mich die feuchte Kühle dieses Spätherbsttages und der Duft nach verrottendem Laub und Gras. Auf eine traurige Art genau das Gegenteil von Walther von der Vogelweide und seiner Minnelyrik: „Gebrochen bluomen unde gras, / vor dem walde in einem tal.“ Ich weiß noch ziemlich viel aus dem Deutschkurs auf erhöhtem Anforderungsniveau, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie mir das hier und heute weiterhelfen soll.

Ganz mit dem Fahren beschäftigt sitze ich nun am Steuer meines zuverlässigen alten Autos, das die Tiefgarage kaum kennt. Für Jeanette und mich geht es schweigend in Richtung Frankfurt Airport mit Pharrell Williams im Ohr: Get Lucky und im nächsten Lied, das von einer weiblichen Stimme interpretiert wird, heißt es dann: Today Is Your Lucky Day, wohl so eine Art Thementag bei dem Sender heute. Die nebelnasse, sechsspurige Autobahn ist stark frequentiert, trotzdem nähern wir uns rasch dem futuristisch anmutenden riesigen Flughafenkomplex mit seiner endlos geschäftigen Betriebsamkeit. Vor dem belebten Abflugterminal drückt Jeanette mir noch etwas in die Hand: „Nur für den Notfall! Hiermit kannst du den Cayman öffnen, aber nicht einfach so damit herumfahren, versprich mir das bitte!“ Ich antworte leise: „Du kannst dich wie immer auf mich verlassen, weißt du doch.“

Wieder zurückgekehrt in mein einsames Apartment kommt mir die gesamte Angelegenheit zunehmend seltsam vor. Ich frage mich, was wäre, wenn ihr jetzt etwas zustieße und sie nicht zurückkäme? Ich liebe sie doch. Wir gehören zusammen wie Ying und Yang. Warum hat sie nie den Vorschlag gemacht, und das meine ich nicht im Sinne von Eskapismus, dass wir beide gemeinsam fliehen sollten? Ich bin bereit für ein neues Leben mit Jeanette, tief im Herzen bin ich bereit dafür. Für sie würde ich mich neu erfinden. Wenn sie jetzt für immer verschwunden oder sogar tot wäre? Schlimm wäre das für sie und auch für mich! Into this world we're thrown, das ist aus einem berühmten Lied der Doors, Jim Morrison hat das gesungen. Genau in diesem Moment erlebe ich den Nihilismus (oder ist es der Existenzialismus?), sozusagen ein Ungefragt-in-die-Welt-geworfen-worden-sein (war das jetzt Heidegger?). Ich gebe gerne zu, dass ich gerade in Philosophie noch sehr große Defizite habe. Mit dem teuren Porsche ohne Papiere stehe ich da wie ein gemeiner Autodieb! Jeanette kann es sich doch leisten, die Parkgebühren am Flughafen aufzubringen! Ich muss die Situation mental in den Griff kriegen. Bankdrücken hilft in so einem Fall eigentlich immer. Ich bette mich auf die stabile Hantelbank, welche ständig in meinem Wohnzimmer aufgebaut ist. Das Gewicht der Langhantel in beiden Händen, in den Armen und dem Brustkorb zu spüren beruhigt mich ein wenig. Die Übung hilft mir dabei, meine Atmung zu kontrollieren. Mens sana in corpore sano, das haben viele bis heute nicht verstanden. Fitness und Gesundheit, das ist so viel mehr als reiner Körperkult! Obwohl, bei meinem Anblick hätten die Bildhauer im alten Griechenland sofort zu Hammer und Meißel gegriffen und den Marmor behauen. Das hätten sie im Falle des bereits leicht adipösen Herrn Wehrheim mit seinen Herzrhythmusstörungen sicherlich nicht getan. Betablocker sei Dank ist bei dem schon fast tote Hose, sagt Jeanette jedenfalls. I'm the bodyman, not like you. I'm the bodyman, not like you. Diesen selbst ausgedachten Unsinn murmele ich beim Training im Geiste vor mich hin. Drei intensive Sätze mit der Langhantel und jeweils zwanzig Wiederholungen, aber die schlimmen Gedanken wollen nicht weichen! Ich kann Jeanette ja nicht fragen, kann sie nicht erreichen. Ihr Smartphone hat sie bestimmt abgeschaltet, wo immer in der Welt sie sich aufhalten mag. WhatsApp, Facebook, Twitter und Skype, das alles lehnt sie ab. Datenschutz ist ihr wichtig. Aber wenigstens eine kosmische Verbindung zwischen uns muss es doch geben! Wenn ich jetzt ganz fest an Jeanette denke, dann wird sie es bestimmt spüren. Weshalb muss es denn ausgerechnet mein Stellplatz Nummer 13 sein? Ein beunruhigendes Szenario: Am Flughafen wäre der Porsche schnell und leicht zu finden, dort würde man zuerst suchen. Ihr Ehemann und auch die Polizei wüssten dann, dass sie mit dem Flugzeug das Land verlassen habe. Jetzt nehme ich eine andere Trainingsposition ein und greife nach dem kalten Eisen der Kurzhanteln, versuche es mit Bizepscurls, ebenfalls drei Sätze mit je zwanzig Wiederholungen, keine Besserung! Ich nehme ja immer L-Carnitin vor dem Training. Dem Wehrheim mit seinen Cardio-Problemen würde ich eher zu L-Arginin raten, aber auf mich hört ja niemand. Dabei kennt sich der Bodyman wirklich aus mit den Aminosäuren. Vielleicht will Jeanette mit meiner Hilfe ihre Spuren verwischen? Soll ich in etwas hineingezogen werden? Soll ein Verdacht auf mich gelenkt werden? Das möchte ich nicht glauben, mein präraffaelitischer Engel ist doch keine Lady Lilith! Hat Jeanette tatsächlich etwas Schreckliches zu verantworten oder sogar selber getan? Bin ich womöglich jetzt schon in ein Verbrechen verwickelt, von dem ich überhaupt nichts weiß? Ich spüre ein beklemmendes Gefühl in mir aufsteigen, Schweiß bricht aus und das liegt nicht am Krafttraining.

Während ich mir einen großen Eiweißshake mit Schokoladengeschmack mixe, lenkt mich eine nüchterne Nachrichtensendung auf dem Flachbildschirm glücklicherweise wieder von den irrwitzigen Grübeleien ab, doch die Worte des Nachrichtensprechers machen mich stutzig: „Die Polizei bittet nun um die Mithilfe der Bevölkerung. In der Nähe des Großen Feldbergs wurde in einer Taunusvilla die Leiche des Immobilienmaklers Joachim Wehrheim gefunden. Zu den Einzelheiten und den näheren Umständen möchte sich der Polizeisprecher aus ermittlungstaktischen Gründen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht äußern. Die zuständigen Behörden bitten die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach dem mattschwarzen Porsche der Ehefrau des Maklers, Jeanette Wehrheim, die zur Zeit unauffindbar ist.“ Ein Foto mit ihrem makellosen Engelsgesicht wird eingeblendet, danach sieht man den tief auf dem Boden kauernden und geduldig lauernden dunklen Cayman. Wehrheim ist tot und wir sind frei, das ist mein erster Gedanke, den ich Jeanette telepathisch mitzuteilen versuche. Ich kriege aber keinen Kontakt zu ihr, spüre rein gar nichts, so sehr ich mich auch anstrenge. Ein Kaiman ist doch eine Art Krokodil? Ich höre beinahe meinen ehemaligen Deutschlehrer sagen, der Porsche auf dem Stellplatz Nummer 13 sei metaphorisch und symbolisiere das bedrohlich Böse. Wer ist hier eigentlich bedroht? Mich packt ein Gefühl exorbitanter Übelkeit. Bestimmt haben die lieben Mitbewohner hier im Haus den mattschwarzen Boliden bereits ausgespäht und die Polizei alarmiert, deren speziell eingerichtete Rufnummer im Fernsehen noch einmal gezeigt wird. Keine Ahnung, wie oft dieser Aufruf bereits herausgegangen ist!

Schon klingelt es an meiner Apartmenttür. „Scheiße“, sage ich kaum hörbar zu mir selbst. Unter normalen Umständen käme so etwas genauso wenig wie das F-Wort jemals über meine Lippen. Ich spüre, wie meine pulsierenden Herzkammern kurz aus dem Rhythmus geraten, als ich den drei adretten Polizeibeamten öffne. Sie bitten mich freundlich, sie nach unten in die düstere Tiefgarage zu begleiten. Dort nehmen sie den Porsche erst einmal gründlich unter die Lupe und lassen mich schmoren. Das ausgerechnet zwei Tage vor meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag! Today Is Your Lucky Day, das murmele ich im Geiste verzweifelt vor mich hin, immer wieder, immer wieder, bald werde ich verrückt, gleich drehe ich durch! Ich rufe mir mit aller Kraft meine Trainingsroutinen in Erinnerung, atme bewusst, fokussiere mich. Mind over matter, das sagt der Mentaltrainer aus dem Studio immer. Als die Befragung in der Tiefgarage schließlich beginnt, bin ich erstaunt darüber, wie gut mein Organismus mit dem in der Wartezeit aufgestauten Noradrenalin und Adrenalin zurechtkommt. Atmung und Puls habe ich wieder vollständig unter Kontrolle und antworte souverän und unaufgeregt auf die Fragen.
„Wie kommt der Porsche von Frau Jeanette Wehrheim auf Ihren Tiefgaragenplatz?“
„Sie hat mich heute früh gebeten, den Wagen für die kurze Dauer einer Flugreise auf meinem Stellplatz parken zu dürfen und ich habe sie dann zum Flughafen gefahren.“
„Wohin sollte die Reise denn gehen?“
Ich erkläre ihnen, dass Jeanette ganz einfach weit weg wollte und ihr Ehemann nichts davon wissen durfte. Wohin sie dann letzten Endes geflogen sei, wisse ich nicht.
„Ich habe Frau Jeanette Wehrheim lediglich vor dem Abflugterminal abgesetzt. Das ist die Wahrheit.“

Von Polizeiarbeit habe ich keine Ahnung und von dem, was da in der Wehrheimvilla und vielleicht auch bei der Gerichtsmedizin abgelaufen ist. Aber noch während der Befragung erhält einer der drei netten Beamten eine Nachricht auf seinem Diensthandy. Es hat sich inzwischen herausgestellt, dass der reiche Immobilienmakler Joachim Wehrheim im Alter von achtundvierzig Jahren an einem plötzlichen Herzversagen ohne Fremdeinwirkung gestorben ist. Ist es zu stark, bist du zu schwach, hätte Darwin gesagt, so etwas weiß ich noch aus dem Biologieunterricht. Das kommt davon, wenn ein eitler und arroganter Schnösel sich eine junge Frau sucht und auf seine alten Tage noch einmal Vater werden will! Es war also, entgegen des ersten Eindrucks, den die Polizei gewonnen hatte, ein natürlicher Tod, offensichtlich aufgrund Wehrheims immenser Aufregung über eine den Ermittlungsbehörden vorliegende handschriftliche Notiz: Ich bin jetzt weg und es hat keinen Sinn, nach mir zu suchen. „Lucky thirteen!“, bricht es aus mir heraus, woraufhin die drei mich befremdet anblicken.

Eine Woche später in den Nachrichten: "Frau Jeanette Wehrheim ist bis zum heutigen Tage unauffindbar geblieben, obwohl sie inzwischen vom Tode ihres Gatten erfahren haben dürfte und dessen Alleinerbin ist."

 

Hallo Bjoern,

Kommentatoren werden sich hier immer widersprechen, das macht das Ganze ja auch spannend und hilft dabei sich selbst klarer zu werden warum man etwas wie geschrieben hat. Wirklich ändern soll man ja auch nur, was einem selbst wirklich einleuchtet. Wenn es das nicht tut, ist eine Begründung, warum man dabei bleibt immer nett. So wie du es gerade gemacht hast. Ich hatte den Eindruck, dass du der Stelle selbst ein bisschen hinterher trauerst und wollte kundtun, dass ich das auch so sehe.

Liebe Grüße von Chutney

 
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Hallo maria.meerhaba,
Angst hat mich gepackt, als dein Name unter den Beiträgen zu meinem Text aufgetaucht ist. Gott sei Dank habe ich meine Medikamente bereits vorher genommen, so dass kein Herzinfarkt droht. Die Korrekturhinweise werde ich im Einzelnen sorgfältig prüfen, kann dir aber nicht versprechen, ob ich auch etwas verändern werde. Auf jeden Fall ganz herzlichen Dank für die Korrekturarbeit. Selbst wenn der Text schließlich so bleiben sollte, so lerne ich auf jeden Fall etwas! Ach ja, 48 Jahre ist schon alt aus Gerrits Sicht, der sich in Konkurrenz zu Herrn Wehrheim sieht. Wenn die gewünschten Kinder auf die Welt kämen, dann wäre Herr Wehrheim ja auch schon mindestens 49. Nimm einmal 18 Jahre hinzu, dann sind wir schon bei 67. Mir tun die Kinder alter Väter immer leid, aber das ist ja heute modern.
Glaubwürdigkeit ist beim Schreiben und auch für das Lesen ungeheuer wichtig und ich sehe die von dir angesprochene Problematik. Der Typ ist mehr als Muskeln, behaupte ich ganz dreist. Allerdings hat er sich in meiner Fantasie zu einer Comicfigur ausgewachsen. Beinahe hätte ich zu zeichnen angefangen, denn er sieht ja schon lecker aus, auch wenn Männer nicht so mein Ding sind. Als Comicfigur kann er möglicherweise per se nicht mehr glaubwürdig sein. Darüber denke ich noch nach.
Gerrit distanziert sich von Pornographie, die er ja im Grunde selber lebt. Natürlich führt das bei der Leserschaft zu unreinen Bildern im Kopfkino. Ich sehe das als Ironie. Hoffentlich bin ich nicht ganz allein mit meiner Meinung. Gerrit will mehr sein als nur Körper. Er ist aber gleichzeitig ungeheuer stolz auf seinen Körper. Diese Widersprüchlichkeit lässt ihn vielleicht auch als unglaubwürdig rüberkommen, ich weiß aber nicht, was ich da für Gerrit tun kann. Er ist eben so. Die Biologieunterricht-Formulierung ist Absicht, Gerrit ist ja noch nicht lange aus der Schule und will, das finde ich lustig, als Pornographiegegner auch nicht "schweinisch" formulieren.
Was du als "Zitate" abtust, das ist für mich erst das Fleisch in der Suppe. Bitte recherchiere einmal zu dem Stichwort: Lilith, darum habe ich schon oben gebeten, weiß aber nicht, ob das bis jetzt jemand getan hat. Wenn du nicht sowieso schon alles weißt, dann wirst du finden: Judaistik, Feminismus, Satanismus und vieles mehr, will heißen: Lilith ist ein riesengroßes Fass! Der Text enthält noch einige solche Fässer und wartet nur darauf, dass jemand sie aufmacht.
Das ist meine spontane Antwort, wenn mir mehr einfällt, gibt es mehr,
Bjoern

Postskriptum: Der Groschen ist gefallen! Meine Kurzgeschichte brauchte einen Vorspann. Den Rahmen habe ich dann kurzerhand geschlossen, so dass der Text nun mit einem Leseauftrag beginnt und mit einem schon recht deutlichen Verdacht endet.

 
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maria.meerhaba; schrieb:
Das trifft meinen persönlicheren Geschmack einfach nicht.

Letzte Nacht hatte ich die Lösung, so dachte ich, und jetzt habe ich noch mehr Probleme. Du fällst hier(siehe Zitat) kein absolutes Urteil, danke dafür, aber etwas kann nicht stimmen, wenn der Autor selbst wie ein doofer Lehrer hinter dem Erzähler steht und die Leserschaft zum genauen Lesen auffordert. Der erhobene Zeigefinger erzeugt unnötigen Widerstand und ist kontraproduktiv.

Ich habe den Vorspann jetzt erst einmal gekürzt.

Das Oscar Wilde Zitat möchte ich auf jeden Fall beibehalten, es ist einer meiner Lieblingssprüche und wird oft auch Jean Genet (Man tötet, was man liebt) zugeordnet, zu dem ich aber schon mit dem Vornamen Jeanette eine Spur gelegt habe.

 
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Hallo Bjoern Klaras,

ich nähere mich den vielen Geschichten gerade von allen möglichen Seiten. Deine hatte ich ja noch nie so richtig gewürdigt, nur mal eben den Feldberg eingeflogen.
Jetzt hatte ich Zeit zum gründlichen Lesen.
Nur ein Feedback, weil ich annehme, die Luft ist immer noch ein bisschen raus.

Den Rahmen um die Gechichte fand ich nicht gut. Mir erschließt sich der Nutzen gar nicht. Das Zitat ist was anderes, das empfinde ich als Nennen einer Inspirationsquelle. Allerdings ist mir da der Bezug auch nicht klar.
Beziehungsweise, wenn ich es ernst nähme, hätte er Jeanette getötet - und dann farge ich mich, wo in der Geschichte dafür die Andeutung ist. Die muss schon sein.

Ich würde den ganzen Kram (Rahmen) rigoros streichen. Ich denke oft ambivalent und überlege Fürs und Widers. DaHier aber bin ich mir sowas von glasklar. Mit dem Rahmen tust du deiner Geschichte überhaupt keinen Gefallen. Überleg mal, wie du drauf gekommen bist, den überhaupt zu installieren, der Grund kann nicht in der Geschichte selbst gelegen haben, sondern eher in deinem Bestreben, den Gerrit als unzuverlässigen Erzähler zu installieren. ich weiß gar nicht, warum du das überhaupt willst.
Also kein Mensch glaubt, dass Autor und Icherzähler oder personaler Erzähler identisch sind. Kein Mensch glaubt auch, dass ein Icherzähler immer genau das meinen muss, was er sagt. Aber das Unzuverlässige, das musst du über die Handlung reinbringen, nicht über einen methodischen Vorspann.
Nur noch was zur Erklärung. Ein unzuverlässiger Erzähler wäre Gerrit dann, wenn er klammheimlich die Jeanette ins Jenseits befördert hätte und sich das erst am Ende herausstellt. Aber nur so, dass er ihr nachtrauert, ist doch nichts Unzuverlässiges dabei. Ich hab da jetzt mal extra übertrieben. Also wenn das Zitat heißen soll, er hat sie umgebracht, dann musst du das in den Text implementieren.

Ein Erzähler braucht nicht sympathisch sein oder ein Held, der kann sein wie er will, sogar eine Gurke. Der kann auch als wandelndes humorvolles Antiklischee gebaut werden. Das geht alles. Nur glaubwürdig muss er sein.

Ich fand die Geschichte in Strecken ganz witzig. Also besser gesagt, den Protagonisten. Er funktioniert für mich aber eher als Karikatur, als Überzeichnung, als Persiflage eine Mannes, der wegen seiner Muskeln geliebt wird, sich dauernd darüber beschwert und gleichzeitig verbissen auf die Erhaltung seines Körpers aus ist und unbedingt so rüberkommen will. Aber auf jeden Fall und unbedingt als gebildeter Mensch rüberkommen will.
Wenn ich die Geschichte so lese, finde ich es auch nicht schlimm, dass die Kreideschrift doch ein bisschen an den Haaren herbeigezogen wirkt. Dann ist das eine humorvolle Zutat. Du versuchst, das Humorige über den Kontrast zwischen Muskelmann und gebildeten Sprüchen herzustellen und in der Folge über die Geschwätzigkeit. Das erste klappt eingermaßen für meinen Geschmack, Beim zweiten übertreibst du es. Du musst nicht alles, was dem Kerl einfallen könnte, auch aufschreiben. Der Kontrast ist installiert, das reicht. Zu viel Infodump drumherum, was Gerritt noch so alles vom Stapel lassen könnte, ermüdet dann. Und dann leidet auch die Glaubwürdigkeit von so einem Typen.
Was außerdem fehlt: Das ist ja kein Krimi, eigentlich ist die Handlung relativ dünn. Ich finde, zwischen Gerrit und seiner Angebeteten müsste eigentlich ein echter Konflikt entstehen. Das kann man ja auch humorvoll lösen. Aber das hast du zugunsten der Geschwätzigkeit aus den Augen verloren. Die sollte ihn vielleicht benutzt haben, irgendwas und dann rafft er es. Und hat sie dann getötet. Oder er hat dem Ehemann doch eine verpasst, was weiß ich. Oder er reist seiner Dingens, (ich hab den Namen, wenn sie nett ist, vergessen, kann das echt nicht alles immer nachschlagen,) hinterher und dann entpuppt sie sich doch als Lilith, die kenn ich wenigstens. Was macht er dann zum Beispiel? Also du hast Handlung zugunsten Charakterdarstellung und Charaktermonolog vernachlässigt, was mich nicht gehindert hat über die Vorstellung dieses bildungsbeflissenen Muskelprotzes hin und wieder zu kichern und das auch zu genießen. Nur dass er häkelt, hat eigentlich noch gefehlt.

Das wär mein Feedback.
Viele Grüße an dich von Novak

 
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Hej Novak,

vielen Dank für dein sehr gut nachvollziehbares und ausführliches Statement. Da merke ich, hier hat sich jemand viel Mühe gemacht mit dem Lesen und gute Gedanken dazu entwickelt. Mit dem Rahmen liegst du vermutlich richtig, ich habe ihn entfernt.

Insgesamt ist der Text nicht wirklich gelungen, die Teilnahme an der TdM-Challenge war aber eine Erfahrung, die ich nicht wissen möchte. Das Krimi-Stichwort habe ich auch entfernt. Seltsamer Humor trifft die Sache eher. Niemals habe ich über irgendwelches Geschreibsel von mir so viel nachgedacht wie über diese Geschichte, deshalb nehme ich dein Statement zum Anlass und hoffe, du bist mir nicht böse deswegen, eine Zusammenfassung meiner Gedanken zu "Stellplatz Nummer 13" zu geben. Der folgende Text stammt aus meinem Blog:

Erläuterungen zu "Mein Stellplatz Nummer 13":

1. Grundlegendes

Thema: „Auf der Mauer stand mit Kreide“. Eine Dreiecksbeziehung, ein Ich-Erzähler, etwas Sex, ein wenig Crime. Ein Rahmen rundet die Komposition ab. Schauplatz ist eine Hochhauswohnung mit Blick auf das Taunusgebirge, außerdem die dazugehörige Tiefgarage. Die Handlung besteht aus einer Sexszene, einer Fahrt zum Flughafen und polizeilichen Ermittlungen.

2. Die Namen

Wehrheim, Ortsname im Taunus: „wehrhaftes Heim“, verweist auf die Villa in der Nähe des Feldbergs als Verteidigungsbastion der vom gottähnlichen Joachim gewollten Kleinfamilie.

Joachim, aus dem Hebräischen: gottähnliche Person, großes Wissen und unglaubliche Fähigkeiten!

Jeanette, verweist auf den Schriftsteller „Jean Genet“, aber auch auf „Jeanne d'Arc“ und
spaltet sich auf:
1. Lilith iat die böse Dämonin aus der Kabbala, verschiedene Deutungen sind möglich.
2. Ghirlandata, die Antagonistin von Lilith, ist lieb, engelsgleich, schön und rein.

Gerrit, aus dem Friesischen: „Der Kühne mit dem Speer“.


3. Der Erzähler

Der Erzähler in der ersten Person ist Gerrit, genannt der Bodyman. Er kämpft er fast unentwegt gegen das Vorurteil, er sei dumm. Er möchte als Bildungsbürger anerkannt werden, bemüht sich deshalb um eine gepflegte, stark ausgeschmückte Sprache, sucht gewählte, manchmal gestelzt wirkende Formulierungen und setzt auf Imponiergehabe, indem er sein Halbwissen ausbreitet. Gerrit würde nie das F-Wort verwenden. Gerrit versucht beharrlich, eine illusionäre Existenzform zu leben, die er selbst als neoromantisch bezeichnet. In sprachlicher Hinsicht gerät er dadurch als Ich-Erzähler stellenweise in die Nähe zum Kitsch. Der Erzähler ist hier als ein nur bedingt zuverlässiger angelegt. Was Leser und Leserinnen ihm glauben, bleibt ihnen überlassen. Die Fernsehfahndung zum Beispiel ist in der Realität kaum vorstellbar.

4. Narzissmus

Gerrit scheint nur für den Körperkult zu leben. Den Spitznamen Bodyman trägt Gerrit seit seiner Schulzeit. Sein Gegenstück hat Gerrit in der ebenfalls narzisstischen Jeanette gefunden, die sich selbst als präraffaelitische Schönheit stylt und von Gerrit als Engel betrachtet wird. Wie aus einem Rossetti-Gemälde herausgefallen sieht sie aus, La Ghirlandata oder Lady Lilith, also janusköpfig. Die Beziehung zwischen Gerrit und Jeanette ist eine Beziehung zwischen zwei Narzissten. Gerrit ist oft gekränkt, es heißt ja auch narzisstische Kränkung, weil er glaubt, dass seine durchaus vorhandene Intelligenz und Bildung nicht anerkannt werden. Deshalb spricht er immer ganz gewählt und macht dabei ein ernstes Gesicht.

5. Humor

Der Autor lässt Gerrit selber in blumiger Sprache aus seinem wilden Leben erzählen. Der Humor ist also eng mit dem Ich-Erzähler verbunden.

6. Vorbilder

Der Autor beruft sich auf die pikareske Tradition des europäischen Schelmenromans, dabei in erster Linie auf „Felix Krull“ von Thomas Mann. Ebenso wie Felix lebt auch Gerrit eine illusionäre Existenzform. Gerrit ist im Gegensatz zu Felix aber kein typischer Hochstapler, eher ein Aufschneider. Beim Erzählen in der ersten Person schimmert auch ein klein wenig Ulrich Plenzdorf mit „Die neuen Leiden des jungen W.“ durch. Roald Dahl ist hier das Vorbild für Humor.

7. Erzählstil

In dem Hauptteil des Textes, der von einem Erzähler in der ersten Person präsentiert wird, ist der Erzählstil ein stellenweise ins kaum noch erträgliche Extrem getriebener Manierismus mit Einflüssen aus der Romantik und dem Symbolismus. Das wird gezielt kombiniert mit Formulierungen, die dem Zeitgeist des Jahres 2016 entsprechen.

8. Gemälde – Präraffaelismus und Romantik

Der Autor lässt sich von dem präraffaelitischen Gemälde La Ghirlandata (lieb) von Dante Gabriel Rossetti inspirieren, dem das Bild der Lady Lilith (böse) des gleichen Malers gegenübergestellt wird. Die Kurzgeschichte spielt im Jahre 2016, aber der Stil, in dem der Ich-Erzähler erzählt, erfährt eine ähnlich blumige Ausprägung wie sie in dem La Ghirlandata-Gemälde zu sehen ist, weil Gerrit völlig überspannt ist. Caspar David Friedrichs Der Wanderer über dem Nebelmeer steht hier unter anderem deshalb für die Romantik, weil Gerrit sich selber als Neoromantiker sieht. Allen drei Gemälden ist gemeinsam, das sie endlos reproduziert worden sind und sich als Öldrucke und Prints an allen möglichen und unmöglichen Orten finden lassen. In dieser Form handelt es sich um abgesunkenes Kulturgut im Sinne von: Hochkultur meets Trash!

Ja natürlich, Gerrit habe ich mir als Comicfigur vorgestellt!

Mit dem Abfassen des Textes war auch eine quasi therapeutische Abrechnung mit diversen Dämonen verbunden. Man müsste mich schon persönlich kennen, um das nachvollziehen zu können. Textimmanent, so wie es sich eigentlich gehört, geht da wenig. Eines kann ich versprechen: Mit dem Manierismus bin ich durch!

Skål, Bjoern

 

Hi Bjoern Klaras,

ich finde deine Geschichte eigentlich ganz witzig, auch das gewollt Trashige daran, und vor allem das Trashige in völlig schamloser Verbindung zu Elementen der klassischen Hochkultur. Obwohl dein Text wohl nicht gleich zu meiner Lieblingsgeschichte werden wird, lasse ich mich gerne darauf ein, wie du mit ihr gängige Muster missachtest und dadurch - zumindest bei mir funktioniert das - die ewige Frage anregst, was wir warum als gut gemacht bewerten.

Zum Text selbst nur einige kurze Bemerkungen:

-- "Fokussiert" ist ein Modewort. Ich kann nachvollziehen, warum es in den Text passt. Aber einmal reicht, oder?

-- Hier finde ich was zu viel:

Wer jetzt Pornographie erwartet: Ich bediene hier keine schmutzigen Männerfantasien! Abgesehen davon wären diese in einem Leben wie dem meinen knallharte Realität und nicht nur Fantasien.
-- Den (Teil-)Satz vor dem Doppelpunkt würde ich streichen und z.B. durch ein einfaches "Aber" ersetzen.
-- Zweimal "Fantasien" hintereinander klingt auch nicht so toll. Ich würde auch dem letzten Satz hier nicht nachtrauern, wenn er ganz weg wäre.

Grün ist die Hoffnung, sagt man, aber Plastik ist relativ wertlos.
Der "Aber"-Teilsatz kann weg. Die Farbsymbolik ist zuerst nicht beim Leser angekommen, da hast du nachgeholfen. Bei der Bewertung des Plastiks braucht man die Nachhilfe eigentlich nicht.

Wir gehören zusammen wie Ying und Yang.
Yin und Yang

Hat die Geschichte nicht früher so geendet, dass Jeanette einfach spurlos verschwunden bleibt? Das fand (oder fände) ich ohne die Erwartung ihrer Rückkehr besser.

Die Geschichte ist das eine. Noch viel unterhaltsamer finde ich deine lebhaften Kommentare darunter. Ich hoffe, das verbraucht sich nicht mit der Gewöhnung an das Forum...

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
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Hallo erdbeerschorsch,

du hilfst mir dabei, besser zu verstehen, was ich hier eigentlich gemacht habe und immer noch tue. Toll ist die Idee, die Kommentare als Teil des Ganzen zu lesen und das Prozessuale auch in Rezeption und Diskurs zu würdigen, den geschriebenen Text so quasi zur Performance auszuweiten. Du hast mehrmals ins Schwarze getroffen.

"Fokussiert" ist eines der Wörter, die ich nicht mag. Irgendwann kam ich mir altmodisch vor, als ich "konzentriert" verwendete, "mit ... beschäftigt" werde ich jetzt im ersten Fall einfach schreiben.

Die beiden nächsten Verbesserungsvorschläge übernehme ich ebenfalls, weil mir das unmittelbar einleuchtet.

Schwieriger wird das mit Ying und Yang und Jeanettes spurlosem Verschwinden. An das Ende muss ich noch einmal ran. Du hast mir schon sehr geholfen und mich motiviert, die leidige Geschichte noch einmal anzupacken.

Gruß, Bjoern

 

Hallo Bjoern Klaras,
ich kann Deine Geschichte lesen, wenn ich mir skurrile Bilder vorstelle und dazu einen Kommentar aus dem Off im Tonfall eines überspannten Comedian höre, der mit nasaler Stimme und total geschwätzig und überzogen ins Mikro qietscht und quäkt. Ob mich das dann nervt im Lauf der Zeit, weiß ich nicht genau. Ich sehe aber Deinen Text mehr, als dass ich ihn lese. Ich sehe Knallrot, Plüschrosa und Krachgelb. Und das alles in einem Wirbelwind aus Worten und Gedanken, die einen hektischen Fluss bis tumultösen Wasserfall bilden. Manchmal wie eine Kollage, in der weit auseinander liegende Bilder zusammengezwungen werden. Dann passen für mich aber der Tonfall, den ich höre und die Bildungsbürgerattitüde, auch wenn sie als Stilbruch bewusst eingebaut ist, sowie das präpotente Gehabe Deiner Figur für mich nicht ganz zusammen. Aber das gehört wohl auch zur Idee, den Gym-Spezialisten, den man sich wortkarg und auf seine Muckis reduziert vorstellt, als Tratsch- und am Schluss als Heultante darzustellen.
Also, wenn ich gerne Würstel mit Obst und Kaiserschmarrn und dazu noch Blaukraut und Rinderragout mag, alles zusammen auf einem Teller, dann kann ich mit der Geschichte was anfangen. Ich mag alles ein wenig. So zusammen bin ich, ehrlich gesagt, unschlüssig.
Ich habe keine anderen Kommentare gelesen, nur den von erbeerschorsch vorhin. Da gefällt mir ein Wort besonders, das würdigend gemeint ist: schamlos. Ja, der Text ist schamlos. Das ist wohl das Interessante daran.
Herzlich
rieger

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej rieger,

gerade lerne ich die Wortkrieger lieben, denn gemeinsam nähern uns hier Erkenntnissen, die allein im stillen Kämmerlein nie und nimmer reifen könnten. Ich muss gestehen, dass ich schon mehrmals drauf und dran war, Soundtrack-Empfehlungen zu dem Text mitzuliefern. Poetry-Slam, als Performance könnte ich mir das vorstellen, mit den von dir angesprochenen Bildern. Ich höre jetzt auch die Stimme, von der du schreibst. Schamlos, das Wort war mir in dem Zusammenhang mit meiner Geschichte auch neu, ich ahne aber, weshalb du das, wie @erbeerschorsch auch, passend findest.

Skål, Bjoern

 

Hallo Bjoern,

ich finde, der Text hat eine Menge Probleme. Ich schreibe mal zwei Punkte auf, hoffentlich kannst Du damit etwas anfangen.

Wahl des Protagonisten

Was hast Du als Geschichtenschreiber davon, einen solchen Charakter als Erzähler zu wählen? Mir leuchtet das nicht ein. Der Typ ist eitel und unreif, erzählt eine mehr oder weniger belanglose Geschichte, in der er sich aufbläst und im Grunde nur das jämmerliche Bild bestätigt, das sich der Leser nach den ersten drei Sätzen von ihm macht.

Es ist immer unheimlich, jemandem dabei zuzusehen, der sich unwissentlich blamiert. Manche Menschen mögen das lustig finden, mich macht das eher traurig. Ich habe einen starken Widerwillen dagegen, deshalb schaue ich mir auch nie diese Talentshows an, in denen sich Leute, die ihre eigenen Schwächen nicht kennen, vor einem Millionenpublikum zum Nappel machen.

So ist es auch hier, der Erzähler ist ein Dummschwätzer und wird vorgeführt. Das gefällt mir nicht. Er begreift nicht, weshalb es beschränkt ist, sich über das Reliefmuster seines Körpers zu definieren. Er begreift nicht, dass es schwach und charakterlos ist, über die vermeintliche Schönheit des eigenen Körper zu schwafeln.

Damit bestätigst Du als Autor das Klischee des dümmlichen Kraftsportlers. In diesem Fall ist es noch peinlicher, weil sich dieser Kraftsportler ein paar Schlagworte aus dem Bereich humanistischer Bildung ausleiht und jetzt hofft, damit sein Publikum zu beeindrucken.

Und Du lässt auch das Klischee nicht aus, dass Kraftsportler glauben, die anderen Menschen fänden ihre aufgeblasenen Muskeln so unheimlich attraktiv und im Grunde wären alle nur neidisch, während es in Wirklichkeit genau anders herum ist.

Sprache

Die ganze Geschichte könnte bereits eine andere Färbung erhalten, wenn man den Kitschfaktor der Sprache verringern würde:

Ich spüre, wie meine pulsierenden Herzkammern kurz aus dem Rhythmus geraten, als ich den drei adretten Polizeibeamten öffne ... diese sechsundzwanzigjährige präraffaelitische Schönheit ... Mein größter Wunsch würde in Erfüllung gehen, wenn sie und ich als die einzigen und für immer glücklichen Bewohner einer verzauberten Insel zusammen sein könnten ...

Der Text trieft vor Kitsch. Unechtes Gefühl, wohin man auch schaut. In dieser Ballung macht es den Text schon beinahe obszön. Schamlos, hatte ja ein Kommentator geschrieben. Das würde ich unterstreichen.

Mal ein Beispiel: „Du hilfst mir doch?“, fragt mich Jeanette, während unser Geschlechtsverkehr immer noch andauert und, nachdem ich ejakuliert habe, antworte ich lapidar: „Stellplatz geht klar!“

Wow, er fickt sie also noch weiter, nachdem er gekommen ist und dann haut er so einen coolen Spruch raus. Das Schlimme ist eben, dass er selbst es so beschreibt, und wie ein Pudel geifernd darauf hofft, dass jetzt alle Leser in Ehrfurcht erstarren. Aber genau das macht es eben so kitschig und dümmlich. Auf diese Weise stellst Du als Autor Deinen Erzähler und Protagonisten bloß. Das hat niemand verdient finde ich. Also nimm die rosa Flamingos aus dem Garten und gib dem Mann etwas Charakter zurück, indem Du ihn zurückhaltener klarer und reflektierter zeigst.

Selbst dann kann er ja immer noch ein Narzist sein. Dr. House ist ein Narzist wie er im Buche steht. Hanibal Lecter auch und Patrick Bateman (Amercian Psycho) ebenso. Aber denen sieht man zu, ohne dieses Gefühl des Fremdschämens.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

es stimmt, dass mein Text problematisch ist. Eine unproblematische Kurzgeschichte hätte ich unter
meinem richtigen Namen in der Lokalzeitung veröffentlicht. Diesen Text habe ich nicht ohne Grund
unter einem Pseudonym bei den Wortkriegern gepostet. Vielen Dank für dein ausführliches, gründliches
und verständliches Statement.

Gruß, Bjoern

 

Hm, das heißt wohl, in Wirklichkeit schreibst Du viel besser, und nur bei dieser Geschichte warst Du nicht ganz sicher und postest sie hier im Forum? Langsam wird es albern.

 

Es geht nicht um besser oder schlechter, sondern um anders. Albern ist das ganz und gar nicht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Achillus,

Zu deinem Statement vom 6. Dezember 2016:

Konrad Paul Liessmann:
"Kitsch! Oder warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist"
Verlag Christian Brandstätter 2002
ISBN 3-85498-170-8

Dazu in aller Kürze, gefunden auf dem Online-Portal der Wiener Tageszeitung: DER STANDARD

http: //derstandard.at/2884233/Hoch-lebe-der-Kitsch

„Hoch lebe der Kitsch!
REDAKTION
22. Mai 2007, 17:00

Warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist - Das Buch von Konrad Paul Liessmann zeigt nach wie vor philosophische Relevanz
(…)
In seiner Abhandlung "Kitsch! Oder warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist" rehabilitiert der Philosoph den Kitsch als künstlerischen Ausdruck für die Gegenwart, wenn er schreibt: "Kitsch und Kunst fallen in der Postmoderne zusammen". Denn spätestens seit Jeff Koons wüssten wir: der Kitsch selbst ist nun die Avantgarde. Daher verlange die Etablierung von Kitsch-Art eine ästhetische Neubewertung des Phänomens Kitsch.
(…)
Heute gelte Kitsch, so Liessmann, nicht nur nicht mehr als "falscher Ausdruck von falschen Bedürfnissen", sondern als "richtiger Ausdruck richtiger Bedürfnisse". Die Erklärung für die Erhebung von Kitsch zum Kult sieht er als "sublime Rache an den Zumutungen der avantgardistischen Moderne". Das Bewusstsein des Bekenntnisses zum Kitsch schlage den "asketischen Idealen der auf Wahrheit und Authentizität fixierten radikalen Moderne ebenso ein Schnippchen wie den philiströsen moralischen Ansprüchen der politischen Korrektheit".

Denn wer sich zum Kitsch bekenne, habe quasi einen Weg gefunden, das zu genießen, was radikale Moderne und politische Aufklärung verweigern wollen (…). (dabu)“

Noch eine schöne Zeit bis Weihnachten!
Bjoern

 
Zuletzt bearbeitet:

Da wir hier so langsam schön ins OT abdriften, würde ich Euch bitten, eine eventuelle Fortführung der Debatte in den PM-Bereich zu verlegen. Jeder folgende Kommentar ohne Bezug auf die Geschichte wird gelöscht.
Für Metadiskussionen könnt ihr gern einen Thread unter Autoren öffnen.

 

Hallo Bjoern Klaras,

nachdem ich mir vorgenommen habe, alle Challengegeschichten zu lesen und zu kommentieren, bin ich nun bei Dir gelandet.

Nach Genuss der Geschichte bin ich allerdings nicht sicher, auf welchem Planeten ich gelandet bin. Das ist nicht böse gemeint, sondern spaßig.

Ich habe die Kommentare nur überflogen. Da war doch etwas Zündstoff in der Diskussion, in die ich mich aber nicht einmischen möchte.

Zur Geschichte: Man liest die Arbeit, die darin steckt. Ich bin zu unerfahren, um wirklich zu beurteilen, ob das gut ist oder nicht (gefühlt ist es eher schlecht, wenn man die Anstrengung des Autors spürt).

Aber mein Geschmack ist die Geschichte einfach gar nicht. Wäre sie nicht in der Challenge, hätte ich sie nicht zu Ende gelesen. Sie funktioniert einfach nicht bei mir. Ich fühle mich als Leser nicht angesprochen. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass sie bei anderen funktioniert und auch gut ankommt.

Aber, auch wenn sie nicht bei mir funktioniert, konnte ich am Ende der Geschichte schmunzeln und dachte mir was für ein Depp - nicht der Autor, sondern der Protagonist.

Ich bin gespannt auf die nächste Geschichte von Dir.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Ich bitte alle um Entschuldigung dafür, wenn ich mich hier vorübergehend an keiner Diskussion mehr beteilige.

Bjoern

 

Hallo Bjoern Klaras,

kann ich verstehen und finde es gut, dass Du überhaupt reagiert hast. Danke dafür.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hallo Bjoern Klaras,

deine Geschichte ist tatsächlich gut geeignet, meine Stirn kraus zu ziehen und ein paar Falten tiefer zu furchen. :D
Ich bin hochgespalten bei diesem Ding.

Ich fange mal einfach formal oben mit dem Titel an, der mir sehr gut gefällt. Er irritiert und macht neugierig und genau das soll ein Titel, nämlich zum Lesen anregen.

Das Challengethema ist auch vernünftig untergebracht, nämlich in Form des Stellplatzes und seiner Inschriften. Am Ende der Geschichte allerdings fragt man sich, wozu Jeanette diesen Aufwand mit seinem Stellplatz betrieben hat. Irgendwie wäre das alles, so wie es der Protagonist ja selbst sieht, nicht nötig gewesen.


Was den Plot anbelangt, da bin ich hin und hergerissen und schwanke.
Einerseits würde ich am Ende dieser Geschichte sagen, sie erinnert mich an die uralten Krimivorlagen der Amis aus den 60zigern, diese Serienkrimis, bei denen irgendein schwer wegen einer Frau angeschlagener Kerl von einem gestandenen Mann, also der perfekte Macho, letztendlich liebeskrank ausgeknockt wird, während er sich in der Männerwelt bravourös schlägt.

Der versetzte Liebhaber, der vermutlich wegen seiner schrulligen Exzentrik von Jeanette verlassen wird, denn was will eine bereits reiche Frau mit einem armen, zudem noch durchgeknallten Toyboy wie ihn?

Hat insoweit seine durchaus innere Logik. Aber genau an dieser Stelle schwanke ich, weil ich ja nicht weiß, ob das tatsächlich deine Intention war.
Vermutlich ist das, was ich da gerade als Resümee geschrieben habe, eine hochgradige Verletzung deines Autorenegos, denn unter Umständen hast du dir Tiefsinniges gedacht und ich sehe darin nur eine Persiflage.
Jedenfalls ist es eine Geschichte, die irgendwie noch nicht so richtig wo angekommen ist. Es ist weder ein Thriller, noch ein Abenteuer, noch eine Philosophieabhandlung, noch eine Satire, noch ein Krimi, denn immer dann, wenn es mal in eine dieser von mir eben erwähnten Genrerichtungen geht, stoppst du ab. Stets geht es in diese Richtungen nicht weiter und genau deswegen weiß ich nicht so recht, was das hier für eine Geschichte sein soll.

Und es kommt mir gerade bei deiner Geschichte in den Sinn, dich zu fragen, für wen du eigentlich Geschichten schreibst. Das ist eine berechtigte Frage, denn wenn du zufällig Geschichten nur für dich schreibst und dir zufällig egal sein sollte, was der Leser davon hält und ob er damit klar kommt, dann könnte dies für mich einiges an dieser Geschichte erklären.

Wenn du Geschichten schreibst, weil es DIR einen ungeheuren Spass bringen soll, dass ist das völlig legitim und absolut in Ordnung und erfüllt seinen Zweck. Aber das sind dann wirklich nur höchst eingeschränkt an die Öffentlichkeit weiterzureichende Texte.
Nicht alles, was man als Autor toll findet und genau diesen Eindruck vermittelt mir dein Text, ist auch für den Leser gut lesbar.

Du verwendest zum Beispiel derartig viele Dinge, von denen ich keine Ahnung habe. Ich weiß nicht, wer der Maler Dante Gabriel ist, was eine La Ghirlandata sein soll, bei Lady Lilith ahne ich ein wenig , was du meinen könntest, mir sind durchaus nicht alles Aussagen eines Oscar Wilde geläufig, was ein Libertin ist müsste ich jetzt nachschauen und in welchem Zusammenhang Hedonismus gebraucht wird auch.

Du siehst also, du gibst mir einen Haufen deiner Aussagen nicht auf Anhieb preis, sondern zwingst mich, entweder drüber wegzulesen und mich durchzuwurschteln oder bei Wiki oder sonstwo meine Wissenslücken zu schließen, um mit dir mithalten zu können oder aber frustriert die Geschichte in die Ecke zu werfen.
Welche der Reaktionen hältst du persönlich dann für erforderlich als Autor? Was verlangst du deinen Lesern ab?

Wenn du all diese Einsprengselungen in deinen Text gegeben hast, um letztendlich zu verdeutlichen, dass dein Protagonist ein durchgeknallter Narzisst ist, der eigentlich nicht nur seinen gestählten Body, sondern auch seinen aufgepumpten Geist zur Schau stellen will, dann frage ich mich, wieso das nicht mehr in die Handlung eingewoben wird und zum eigentlichen Hauptthema der Geschichte geworden ist.

Ein liebesblinder Depp, der aber eigentlich schon von Haus aus gar nicht in diese Falle hätte tappen dürfen und der jetzt mit dieser Situation klar kommen muss.
Das aber wird alles nicht wirklich deutlich in deiner Geschichte. Leider, denn sie hätte vermutlich echtes Potential eine richtig gute spannende Geschichte zu sein.


Lieben Gruß

lakita

 

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