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Maskerade

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09.09.2015
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Maskerade

Schon im Flur höre ich die Männerstimmen. Ich könnte schwören, das verhaltene Lachen ist das von Frank. Nachdem ich leise Jacke und Schal abgelegt habe, fahre ich mit den Fingern durch die Haare, prüfe mein Spiegelbild und warte. Da ich nicht verstehen kann, worüber gesprochen wird, zwinge ich mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die knarzenden Dielenbretter und mein hüpfendes Herz ignoriere ich. Als ich im Türrahmen erscheine, verstummt das Gespräch.
„Du bist spät dran, Schatz“, empfängt mich Joachim und nippt an seinem Bier.
Frank schnellt wie ein Springmesser vom Stuhl hoch und stößt gegen den Küchentisch, dabei schwankt die Flasche Radeberger bedrohlich. „Hey, Carla!“, ruft er eine Spur zu laut und schenkt mir einen Linksrechtskuss. Er tut so, als würde keine Mauer zwischen uns stehen. Keine Mauer aus Hoffnung und Enttäuschung, die nur durch Worte eingerissen werden könnte.
Ich bin verunsichert und befürchte, man sieht es mir an. „Was heckt ihr zwei da aus?“, will ich wissen, während ich ein Glas mit Leitungswasser fülle. Meine Kehle ist trocken.
„Wir haben Karten. Für den Faschingsball am Samstag. Jetzt geht’s drum, was zieh’n wir an.“ Frank zwinkert mir zu.
„Ach? Da freu’ ich mich für euch. Ihr gebt bestimmt ein schönes Paar ab.“
„Wenn du uns lieb bittest, nehmen wir dich mit“, wirft mir Frank den Ball zurück.
„Ich hab aber schon andere Pläne.“
„Carla, das Leben besteht nicht nur aus Arbeit. Amüsier dich mal!“
Wie es aussieht, haben die beiden Jungs soeben beschlossen, mich weich zu klopfen.
"Wann war’n wir das letzte Mal weg, hm? Voriges Jahr ging es auch nicht, als du …“
„… schwanger warst. Genau. Warum sprichst du es nicht aus?“ Ich trinke einen Schluck Wasser, muss mein Gesicht hinter dem Glas verbergen. Die Narbe im Unterleib zieht. Ich atme tief durch. „Ringelpiez mit Anfassen. Was sagt denn Babs dazu?“
Frank räuspert sich. „Ja, doch, findet sie gut.“ Er greift sich in den Hemdkragen. „Jedenfalls hat sie nix gesagt.“
„Sie weiß es noch nicht, stimmt’s?“ Ich muss lachen, obwohl mir nicht danach zumute ist.
„Sie wird es erfahren, so bald ich daheim ankomme.“
„Ich wollt’ sie schon die ganze Zeit besuchen. Ich schaff’s irgendwie nicht.“ Der Satz bleibt mir beinahe im Hals stecken. „Wie geht’s ihr denn?“ Noch während ich spreche, erkenne ich, wie oberflächlich sich meine Frage anhören muss. So, als ob ich nicht wüsste, wie man sich fühlt, wenn man Abschied nehmen musste. Erst von einem Kind, dann von einer Idee.
„Sie hat alles gut überstanden.“ Er macht eine Pause, als müsse er jedes Wort genau abwägen. „Sie kommt klar, denk’ ich. Weißt doch, sie ist hart im Nehmen.“
„Na, du musst es ja wissen.“
„Ach, komm Carla, sei kein Spielverderber!“, sagt Joachim. Genau der schmachtende Singsang, wie er ihn anstimmt, wenn er meint, ich sollte wieder mal meinen ehelichen Pflichten nachkommen.
„Muss es ausgerechnet ein Maskenball sein? Ich würd’ mal wieder ins Theater oder Kino geh’n, dieses Remake mit Richard Gere, wie heißt das gleich noch? Betrug?“
„Untreu.“ Frank hat wieder diesen Blick aufgesetzt, von dem ich mich aufgespießt fühle. Er tänzelt auf mich zu, umfasst meine Taille und schiebt mich sanft, aber bestimmt durch die Küche. „Können wir ja später mal machen!“ Er lacht.
„Kindskopf, alberner!“ Ich kann dem Idioten nicht böse sein.
„So, Freunde. Ich muss!“ Frank wirft sein Sakko über die Schulter. „Bis Samstag dann.“
Wir begleiten ihn zur Tür und schauen ihm nach. Er überspringt jeweils eine Stufe, winkt uns flüchtig zu und verschwindet aus meinem Blickfeld, als hätte es ihn nie gegeben.
„Babs hat’s auch nicht leicht“, sagt Joachim mehr zu sich.
Was er damit meint, will ich nicht wissen.
„Hast doch bestimmt Hunger, hm?“
Ich nicke nur.
„Los komm! Ich hau’ uns schnell ’n paar Eier in die Pfanne!“
„Gute Idee.“ Nur zu gerne würde ich die Verlorenheit ausblenden, die sich wie ein leises Gift in jede Zelle stiehlt und mich lähmt.


Dunkelheit umgibt die Körper wie eine böse Vorahnung. Sie gibt nur ein paar Stellen nackte Haut preis, makellos und mit einem Leuchten, das von innen zu kommen scheint. Die Blondine hat den Kopf in seinen Schoß gelegt. Ihre Fingerspitzen berühren - zart wie Schmetterlingsflügeln - seinen muskulösen Bauch. Mit jedem Atemzug saugt sie seinen Geruch ein und genießt ihre Begierde.
Da bin ich mir sicher, je länger ich das Plakat betrachte.
„Könnte man direkt neidisch werden, stimmt’s?“, sagt jemand hinter mir, sodass mein Herz einen Schlag aussetzt. Ich wirble herum und blicke in Franks belustigtes Gesicht. „Soll wirklich ein guter Streifen sein, ’ne Paraderolle für die Lane … “
„Sag mal, hast du sie noch alle? Mich so zu erschrecken.“ In letzter Sekunde zügle ich meinen Impuls, ihm eine runterzuhauen.
„Sorry! Blöd von mir! Aber als ich dich da sah … Ich dachte halt … Hätt’ ich weiterlaufen sollen, oder was?“
„Und du bist ganz zufällig hier langgekommen. Weißt nicht, dass ich um die Zeit den Laden schließe?“ Wie auf Stichwort beginnt die Glocke der Rathausuhr blechern zu schlagen.
„War im Reisebüro.“ Er macht eine knappe Kopfbewegung. „Komm!“, sagt er und berührt vorsichtig meinen Arm. „Bis zur Kreuzung.“
Schweigend laufen wir nebeneinander. Die Köpfe gesenkt, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Einer das Double des anderen. Und obwohl eisige Windböen um die Häuserecken fegen, wünsche ich mir, dass wir immer so weiterliefen, ohne Bestimmung, dass wir keine andere Wahl hätten.
„Ihr wollt in Urlaub fahren? In die südliche Sonne?“, frage ich.
„Mal seh’n. Wenn die Kinder Ferien haben. Babs muss auch mal raus. Is’ alles nicht so einfach. Im Moment.“
„Was? Der Winterblues?“
„Mensch, Carla, frag doch nicht so!“
„Wie soll ich denn …?“
Er bleibt stehen und sieht mich ernst an. „Kannst du dir vorstellen, dass ich unsere Gespräche, unsere Scherze vermisse? Ich komm mir vor wie ein verdammter Schuljunge. Du spukst in meinem Kopf.“ Seine Stimme ist rau und fremd. „Ich kann nix dagegen machen.“
Und plötzlich sehe ich die Szene wieder vor mir, glasklar und messerscharf. Die Geburtstagsfeier von Babs. Ich lehne am Fensterrahmen und beobachte tanzendes Laub. Das Lachen aus dem Nebenraum wird unerträglich. Frank hat mich im Halbdunkeln gefunden, tritt hinter mich, flüstert in mein Haar und küsst für einen Sekundenbruchteil meine Traurigkeit weg.
Er holt mich zurück in den frostigen Winterabend. „Ich frag’ mich oft, was wäre, wenn wir uns früher begegnet wären.“
Ich wünsche mir, dass er mich in den Arm nimmt und mich wärmt, aber ich sage: „Lass’ gut sein, Großer!“ Scharf ziehe ich die Luft durch den Mund ein, dann imitiere ich seine Stimme: „Meine Frau versteht mich nicht mehr!“
Er lacht.
„Ich kann das nicht, Frank!“, flüstere ich. Mit der Kälte kriecht die Angst in mir hoch. Die Angst, enttäuscht zu werden und alles zu verlieren. Meine Haut ist so dünn geworden. „Danke für’s Bringen!“ Der Wunsch, allein zu sein, wird übermächtig. Wer braucht schon Geständnisse, die in eine Sackgasse führen? Das mache ich mit mir aus. Meine Augen tränen vom scharfen Wind.


Babs schält sich als Erste aus ihrem Mantel. Eine Komposition aus Blau und Silber kommt zum Vorschein. Ausgesprochen geschmackvoll, sehr harmonisch, die kleine Meerjungfrau. Wenn es stimmt, dass eine Verkleidung die unterbewusste Sehnsucht danach ausdrückt, was wir sein wollen, dann wünscht sich Babs, die Frau ohne Unterleib zu sein. Verständlich, nach den Erlebnissen der letzten Wochen. Ich hätte ihr beistehen sollen. Ihr sagen müssen, dass man lernen muss, seine Gedanken zu steuern, weg vom Zentrum des Schmerzes hin zu anderen Aufgaben oder auch zu anderen Männern. Alles beginnt im Kopf. Auch das Ende des Kummers. Wir könnten uns immer noch zum Kaffeekränzchen treffen, gegenseitig Händchen halten und unsere Herzen ausschütten. Besser nicht. Ich bleibe auf Distanz.
Mein Schweigen ist wenigstens ehrlich.
So ehrlich wie meine Verkleidung, weil sie keine ist. Ich trage mein kleines Schwarzes. Heute bin ich Verführerin und Trauernde, heute werde ich auf dem Vulkan tanzen. Der Augenblick, in dem ich glaube zu ersticken, ist schnell vorbei.

Frank hat ein Auge unter einer schwarzen Klappe versteckt, aber dafür spüre ich seinen Blick umso intensiver, der über meine bloßen Arme und Schultern spaziert und am Ausschnitt Rast macht. Meine Haut kribbelt. Der Gedanke, ich könnte das Schiff sein, das der Freibeuter der Meere heute entern will, erregt mich.
Nachdem Joachim von der Garderobe zurück ist, setzt sich unsere kleine Prozession in Bewegung.
Hitze schlägt uns entgegen, im Saal kann man sein eigenes Wort nicht verstehen. Ein Mönch und eine Nonne winken uns aufgeregt zu. Fast hätte ich die beiden nicht erkannt, die einen Sechsertisch für uns besetzt halten.
Die Masse tobt und grölt den Text mit, den Anton aus Tirol vorgibt. Er preist gerade seine Figur an, die angeblich ein Wunder der Natur ist. Ein Harlekin wirft eine Papierschlange nach Babs, nimmt sie bei der Hand und zieht sie auf die Tanzfläche. Als wir uns weiter durch die Tischreihen zwängen, bleibt Joachim mit dem wadenlangen Flanellnachthemd hängen. Er sieht so hilflos aus. Ein bisschen tut er mir leid, aber er wollte es ja so.

Bevor Joachim von der Ordensschwester entführt wird, zuckt er mit den Schultern und schenkt mir einen letzten verzweifelten Blick. Babs bleibt auch verschwunden. Unser Tisch ist verwaist. Frank nickt und malt Kreise in die Luft. Seine Aufforderung zum Tanz. Er geht vorneweg, schiebt sich durch das Gedränge, teilt für mich das Meer, mein verwegener Piratenkapitän.
Erst setze ich die Füße fest auf den Boden, dann springe ich, immer höher und höher, und wenn alles vibriert in mir, dann hebe ich ab. Ich habe beinahe vergessen, wie sehr ich diese Verwandlung mag und wie befreiend sie sein kann.

So geschmeidig, wie es mein knappes Kleidchen zulässt, schraube ich meinen Po auf den Barhocker. Frank steht neben mir und fächert uns mit der Getränkekarte Luft zu. „Was willst’n trinken? Sex on the Beach, Leuchtturm?“ Er entscheidet für mich: „Sex ist immer gut.“
In der Spiegelwand kann ich mich sehen, das Hütchen mit dem Tüllschleier verleiht mir etwas Lächerliches. Ich komme mir vor wie eine misslungene Mischung aus Vamp und meiner eigenen Großmutter. Wenigstens ist das Licht vorteilhaft, das, was vom Gesicht übrig ist, sieht jung und erhitzt aus. Die Schatten sind verschwunden.
Wir saugen schweigend an den Strohhalmen, der Cocktail ist klebrig süß. Ich weiß nicht, der wievielte es ist, ich habe nicht mitgezählt. Frank reibt sich an meinem Schenkel. Ich lasse mich nicht lumpen und erwidere den Druck, kein Blatt Papier passt zwischen uns. Er dreht mich schwungvoll zu sich und mir wird schwindlig, als ob ich Karussell fahren würde. Mit meinem Zeigefinger zeichne ich geheimnisvolle Muster auf seine nackte, verschwitzte Brust. Meine roten Krallen wirken billig und obszön und unecht, so wie mein Gekicher. Mir egal, ich amüsiere mich.
„Nimm doch mal die alberne Gardine weg.“ Im nächsten Augenblick hebt er den Schleier von meinem Gesicht. Unsere Blicke verhaken sich. „Warum versteckst’n deine Augen?
„Vielleicht hab ich Angst, dass du meine Gedanken liest.“ Ich bin nicht sicher, ob ich das ausgesprochen habe.
„Du hast schöne Augen, weißt du das? Blau und tief wie das Meer“, blödelt er. Dann wird er ernst, nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich.


Die Lippen sind weich, die Zunge fordernd. Es gibt nur uns beide, wir treiben in einem Raum, der nur aus Zärtlichkeit besteht. Hände streicheln mich, sind überall gleichzeitig, sogar in mir. Seltsam. Ich kann die Berührungen genießen wie schon lange nicht mehr. Ich lasse mich fallen. Das Bett unter mir ist weich, ein Wasserbett, es schaukelt sanft. Das Meer rauscht. Er drückt meine Schenkel auseinander, dringt in mich ein, es geht so einfach. Logisch, denke ich, ich bin klebrig süß und unersättlich. Und billig. Wer ist der Kerl eigentlich, dem ich mein Becken entgegenrecke? Ich öffne die Augen. Er trägt eine Maske, doch ich weiß mit einem Mal, es ist Richard Gere, ja genau, der junge Richard Gere. Er stöhnt, dann spricht er mit Franks Stimme: „Amüsierst du dich?“ Sein Gesicht zerfließt, bevor ich ihm sagen kann, wie sehr ich ihn liebe. Ich schließe die Augen wieder, das Gesicht ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich alles, was geschieht, deutlich erspüre. Er treibt von mir weg, doch ich will, dass er härter zustößt, es darf ruhig wehtun, muss wehtun. Ich bin hart im Nehmen. Ich kralle mich in seinen Rücken, bis ein scharfer Schmerz meine Eingeweide durchzuckt. Das Boot schwankt und droht zu kippen, als der Mann die scharfe Klinge aus meinem Körper zieht. Er nimmt die Augenklappe ab und grinst. Blut läuft über Franks Hand. Dort wo mein Unterleib sein sollte, klafft eine offene Wunde. Ich schreie. Lautlos.
Das Bett neben mir ist leer.


Joachim ist frisch rasiert und geduscht, die Haare noch feucht. Er deckt den Frühstückstisch, als ich in die Küche schlurfe.
„Na du. Kommst gerade richtig“, sagt er aufgekratzt. „Siehst ein bisschen käsig aus.“
Jedes Wort von ihm gleicht einem Paukenschlag, mein Kopf dröhnt.
Er hat Brötchen aufgebacken, Salami hauchdünn geschnitten, Erdbeerkonfitüre und Joghurt auf den Tisch gestellt. Eine Kerze flackert. Er hat sich richtig Mühe gegeben. Beim Anblick des Rühreis dreht sich mir der Magen um.
„Mir ist schlecht.“ Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen, meine Arme baumeln kraftlos an mir herab, als wären sie nur mit wenigen Stichen am Rumpf festgenäht.
„Mach, was du willst! Ich fang jetzt an. Schwofen macht hungrig.“
Es ist nicht mit anzusehen, wie gierig er schlingt. Ich hole mir einen Becher Kaffee aus der Maschine, die ein letztes Röcheln von sich gibt, trete ans Fenster und schaue in den Garten.
„War doch toll gestern, oder? Mal was anderes.“ Er spricht mit vollem Mund. „Weißt du, manchmal ist es ganz einfach: Hürde nehmen und zack …“ Das Brötchenmesser muss ihm aus der Hand gesprungen sein. „Ich bin richtig stolz auf dich, Carla. Ein guter Weg.“
Die Kalendersprüche nerven. Schon lange. Sicherheitshalber vergewissere ich mich, doch er liest nicht ab, er hat das wirklich auswendig gelernt.
„Achim?“, unterbreche ich den Exkurs in die Küchenpsychologie.
„Ja, Schatz?“
„Welche Augenfarbe habe ich?“
Er zögert. Zu lange. “Graublau.“
„Aha.“ Kann man gelten lassen, füge ich in Gedanken hinzu, aber nur, wenn das Meer aufgewühlt ist.

Es beginnt zu schneien. Plötzlich ist es ganz still. Auch in mir. Ich stelle mir vor, wie der Schnee alles zudeckt, die schmutzigen Kieswege, die Sehnsucht und die Scham.

 
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Hey peregrina bzw. Achillus :),


das ist ein spannender "Nebenplot", der hier von dir aufgemacht wird, Achillus, allerdings wäre dieser einen eigenen Thread wert, meine ich. Vielleicht hast du Lust, diese interessante Grundsatzdiskussion gesondert fortzusetzen? Fände ich übrigens eine prima Sache.


Achillus schrieb:
Ich weiß nicht, was Leser daran fasziniert, Alltagserlebnisse nahezu ohne jegliche philosophische oder ästhetische Brechung durch- und nachzuerleben. Mich persönlich spricht das nicht an. Ich will etwas Neues erfahren, ungewöhnliche Menschen kennenlernen, ungewöhnliche Orte, Berufe und Ereignisse verfolgen. Ich will es opulenter, dramatischer und härter.
barnhelm hat Poe und Hemmingway erwähnt. Ließe sich noch weiter ergänzen: Salter, Carver, Nugent, Ford ... Viele Autoren, von denen ich in letzter Zeit gelesen habe.
Auch im Film. Empfände ich sehr eindimensional, wenn es ausschließlich Popcornkino gäbe. Ja, ich schaue gerne Formate wie der "Herr der Ringe" an, gleichfalls bsp. aber auch "Smoke" oder "Night on Earth". Da gehe ich dann eben anders ran.

Achillus schrieb:
Zeige das Fremde im Vertrauten, und zeige das Vertraute im Fremden.
Ja, das stimmt schon, aber deswegen benötigt man doch nicht unbedingt einen exotischen Rahmen, keine Zombies wie in The Walking Dead oder ein Sauron-Rahmen wie bei Tolkien.
Interessant sind für mich die Beweggründe für ein bestimmtes Verhalten der Protagonisten. Eben die Psychologie dahinter. Ist ja nicht so, dass ein Arbeitskollege die selben Entscheidungen trifft, als ich das tue, nicht mal, wenn er das selbe Alter und einen ähnlichen Hintergrund wie ich habe. Was ihn dann letztendlich dazu bringt, sich in bestimmten Situationen so zu verhalten, wie er sich eben verhält, finde ich sehr reizvoll. Für mich sind das alles Enthüllungsgeschichten, die es mir bestenfalls ermöglichen, menschliches Verhalten, in all seinen Facetten, besser verstehen zu können, und sie mit mir selbst abzugleichen. Das übt durchaus einen Reiz auf mich aus.

Achillus schrieb:
Ich will etwas, das mich aus meinem Alltag nach oben herauszieht.
Ich verstehe schon, aber das geht halt ausschließlich in Richtung Unterhaltung. Von Enthüllungsgeschichten, Sozialstudien etc. erwarte ich eben mehr.

Achillus schrieb:
In der Theorie entsteht Lust beim Lesen unter anderem dadurch, dass wir mit dem Text in eine unsichere, abenteuerliche, risikoreiche Umgebung gestoßen werden, dort verschiedene ungewöhnliche Erlebnisse haben können, dann aber das wohltuende Gefühl erfahren, wieder in die geschützte Normalität unseres Lebens zurückkehren dürfen.
Das stimmt schon, und man merkt, dass du dich viel mit Theorien auseinandergestzt hast. Heldenreise und so. Aber es gibt durchaus auch eine andere Herangehensweise, die mMn ihre Berechtigung hat, auch wenn sie nicht unbedingt jedermanns Sache ist. Muss ja nicht immer Mainstream sein. Gerade in Foren wie diesen, in denen man nicht unbedingt darauf achten muss, was sich besonders gut verkauft, hat man gottseidank mehr Spielraum, als es die Welt da draußen ermöglicht - Verlagswesen etc.

Achillus schrieb:
Beim Kontakt mit dem Unbekannten ergibt sich für den Leser stets die Spannung, dass er die fremden Regeln, Gebräuche, Zusammenhänge nicht genau einschätzen kann. Lustgewinn ergibt sich dann zwangsläufig wenn dieses „Chaos“ geordnet wird, weil der Text nach und nach die Zusammenhänge enthüllt.
Jede Figur, die von einem Autor erschaffen wird, ist mir erst mal unbekannt, die Zusammenhänge sind für mich als Leser anfangs nicht einschätzbar, und ja, der Lustgewinn entsteht, wenn das "Chaos" geordnet wird, die Zusammenhänge enthüllt werden. Das macht den Rahmen doch völlig auswechselbar und ich verstehe nicht, weshalb ein Alltagsrahmen nicht zum erhofften Lustgewinn führen könnte.

Achillus schrieb:
... denn Du malst ein Bild, das es so bereits schon gibt.
Malen wir nicht alle Bilder, die es so oder ähnlich schon gibt? Ist doch auch so, dass es Figuren und Szenarien aus deinen Geschichten - die ich übrigens hervorragend finde - schon gibt, oder? Vermutlich auch gerade deswegen, weil viele Autoren, Produzenten und Regisseure den von dir empfohlenen Weg einschlagen? Ich empfinde Orks, Agenten, Untote etc. auch nicht mehr so originell. Ebensowenig exotische Schauplätze wie Dschungel in Zentralafrika oder Raumstationen auf dem siebzehnten Mond vom Uranus.

Achillus schrieb:
Schaut man sich beispielsweise solche beliebten SF- oder Fantasy-Produktionen wie Star Trek oder Game of Thrones an, dann sieht man im Mittelpunkt zwischenmenschliche Konflikte. Raumschiffe, Zombies und Drachen sind im Grunde lediglich Äußerlichkeiten. Was diese Produktionen so spannend macht, sind die Charaktere und ihre Kämpfe, ihr Streben, ihre Erfolge und ihr Scheitern.
Natürlich übt das Faszination aus, da gebe ich dir recht. Ich finde aber, Kino, Buch und Fernsehen wären deutlich ärmer, wenn es nicht auch andere Produktionen gäbe, als Star Trek und Co.
Ist halt vielleicht einfach auch Geschmackssache. Ich bewege mich gerne in beide Richtungen; je nach Stimmung. Und ich kann durchaus auch Alltagsgeschichten viel abgewinnen.
Nachtrag: Auch da finden sich doch Streben, Erfolge und oder Scheitern.

Sorry, peregrina, ist jetzt eigentlich offtopic alles.


Gruß an euch!


hell

 

Hallo Hell, vielen Dank für Deine Anmerkungen. Nur ganz kurz:

Natürlich braucht es keine Drachen oder Raumschiffe, um eine spannende, interessante Geschichte zu erzählen. Aber es braucht etwas, das deutlich über Alltagsbegebenheiten hinausgeht. Das kann durchaus in der Reflexion von Alltagserlebnissen liegen. Kafka hat ja auch einige ganz alltägliche Dinge beschrieben, aber die Art und Weise war eben sehr ungewöhnlich.

Peregrinas Geschichte beschreibt ja durchaus etwas, das nicht jeden Tag passiert. So ein "Maskenball" ist schon eine spezielle Sache. Aber insgesamt bleibt (mir) das Ganze zu harmlos.

Wenn ich mich an zwei Geschichten von Franzen erinnere (Die Korrekturen und Freiheit), dann werden dort auf jeden Fall spannende Geschichten ohne Drachen und Raumschiffe erzählt – es sind im Grunde Gesellschaftspanoramen - aber es gibt eben auch Welten zu entdecken, die der Leser wahrscheinlich nicht kennt. Sei es der Beruf eines Protagonisten als Literaturdozent oder die Tätigkeit einer Figur für die Natur Concervancy.

Natürlich stehen die zwischenmenschlichen und innerpsychischen Konflikte im Mittelpunkt, aber es braucht ein Setting, in dem sich diese Konflikte entfalten können. Würde das Ganze nur in der Stube von Erna und Georg spielen, sind wir wieder bei der Lindenstraße.

Außerdem ist es, glaube ich, nicht ganz richtig, zu meinen, Genre-Geschichten (Science Fiction, Fantasy, Thriller etc.) wären automatisch trivial. Dass sie unterhalten sollen ist im Grunde kein Kriterium, denn auch die sogenannte ernste Literatur will nicht langweilen sondern unterhalten. Die Frage ist immer nur, auf welchem künstlerischen und intellektuellen Niveau das passiert.

Zwei Beispiele dafür, dass SF/ Fantasy alles andere alle Popkorn- bzw. Mainstream-Kultur sein können:

Under the Skin, ein Alienfilm der besonderen Art, der mich nach dem Schauen noch lange beschäftigt hat: https://www.youtube.com/watch?v=Ofj4jNR-lXk

Und Valhalla Rising, düster, verstörend, kompromisslos: https://www.youtube.com/watch?v=haSjrZsfjio

Gruß Achillus

 

Hey Achillus (sorry, peregrina),

auch nur ganz kurz:

Außerdem ist es, glaube ich, nicht ganz richtig, zu meinen, Genre-Geschichten (Science Fiction, Fantasy, Thriller etc.) wären automatisch trivial.
Nein, das wollte ich auch nicht zum Ausdruck bringen; da bin ich ganz bei dir :).

Gruß

hell

 

Hallo Achillus, hallo hell,

das ist wirklich aufregend, was und wie und überhaupt, dass ihr so rege diskutiert.
Euer Austausch bekommt eine Eigendynamik, damit hab ich absolut kein Problem und niemand muss sich entschuldigen, wenn er unter meiner Geschichte Grundsätzliches bespricht, kommt uns beiden (meiner KG und mir) zugute. :lol:

Aber morgen werde ich mich auch mal dazu äußern.
Das betrifft selbstverständlich auch deinen Komm, ThomasQu.

Vorerst danke für eure interessanten, hilfreichen Gedanken. Meinen Komm füge ich dann an diese Info an.

Schönen Abend euch allen,
peregrina

 

Liebe peregrina,

bei meinem Text Im Elfenbeinturm hat sich gerade eine ähnliche Diskussion entwickelt. Scheint ein grundsätzliches Thema zu sein ...

Gruß
wieselmaus

 
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Ladies first!

Zitat von wieselmaus
… bei meinem Text Im Elfenbeinturm hat sich gerade eine ähnliche Diskussion entwickelt. Scheint ein grundsätzliches Thema zu sein ...

Liebe speedy wieselmaus,

ja, es geht um Grundsätzliches, aber ich befürchte, dass es schwierig ist, in dieser Frage auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Im günstigsten Falle wird eine Annäherung möglich sein. Wir können nie alle Leser erreichen, das ist auch völlig logisch, zu viel Subjektives wie Lesepräferenz, Erwartungen und Emotionen, Emotionen, Emotionen spielen eine Rolle.
Ich hab mir vorgenommen zu versuchen, mal aus meinem alten Muster Alltag auszubrechen, mal was ganz Unerwartetes geschehen zu lassen. :baddevil: Ansätze sind schon zu erkennen.

Liebe Grüße von peregrina


Hallo ThomasQu,
danke schön, dass du noch mal detaillierter auf den Text eingehst.

All die anderen Kommentare habe ich nicht gelesen, weil ich unvoreingenommen an die Sache herangehen wollte.
Das ist eine gute Ausgangsposition, da kannst du nicht von anderen Meinungen beeinflusst sein.

An der Sprache jedenfalls liegt es nicht, warum der Text nicht bei mir ankam, da habe ich mich im Überschwang nicht exakt genug ausgedrückt.
Gut zu wissen, denn wie gesagt, ich bemühe mich um Klarheit.

Die erste Szene in der Küche, die sehr dialoglastig ist, nimmt fast ein Drittel der ganzen Geschichte ein …
Statistik: Die KG ist vier Seiten lang, die Eröffnungsszene in der Küche braucht fast eine Seite, Dialoge gibt es später mehr.
Dialoge sind eine Herausforderung für mich. Generell sollen sie nicht gekünstelt wirken, sie sollten zumindest in die Nähe von Authentizität der Alltagssprache rücken. Außerdem übe ich mich darin, dem Leser Informationen zu geben, die nicht so wirken, als wären sie nur als Info für ihn gedacht.

…und ist für mein Empfinden mit Nebensächlichkeiten überladen und nicht zielführend. Daher war die Szene für mich erstmal schwierig zu lesen, auch, weil mir einfach nicht klar wurde, worum es hier überhaupt gehen soll.
In meinen Augen sind es keine Nebensächlichkeiten, die erwähnt werden. Ich greife alle Fäden auf, die ich später zum Weiterspinnen brauche, führe die Hauptpersonen ein, gebe Hinweise auf den nahenden Konflikt. Mag sein, dass ich manchmal etwas geheimnisvoller vorgehe, als es das Thema nötig hat. Damit möchte ich beim Leser eine gewisse Neugier erzeugen und ich hoffe, er würde somit am Ball bleiben. :lol:
Dass diese Idee nicht in jedem Falle aufgeht, dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann, zeigt dein Leseverhalten. Dich hab ich genervt und verprellt.
Ich möchte nicht, dass du meine Erklärungen als Rechtfertigung siehst, und auch will ich gar nicht behaupten, dass du nicht richtig hingeschaut hast. Ich möchte dir nur verdeutlichen, das vieles, was du als störend und irritierend wahrnimmst, einfach nur bewusste Entscheidungen von mir sind.

Erst das hüpfende Herz, dann: Er tut so, als würde nicht Unausgesprochenes wie eine Mauer zwischen uns stehen. (Das erzeugte bei mir das Gefühl, als würdest du zwischen den beiden Personen Frank und Carla eine Barriere aufbauen wollen). Ein paar Zeilen später wieder tanzen sie durch die Küche.
Alles Mögliche wird angedeutet, nichts aufgelöst ...
Natürlich wird es aufgelöst, allerdings später, ich muss doch, bevor ich auflösen kann, erst mal etwas zum Auflösen bereitstellen. Der erste Abschnitt ist voller Informationen, die dafür sorgen, dass die Geschichte ins Rollen kommen kann.

Hüpfendes Herz – die Stimme versetzt Carla in Aufregung
Mauer des Schweigens - da ist etwas gewesen, darüber wurde nicht gesprochen, das wurde tot geschwiegen und steht nun zwischen den beiden (Ausgangssituation)
sie tanzen durch die Küche - sie haben einen guten Draht zueinander, das Tänzchen ist ein Spaß, der auch ein wenig die Unbekümmertheit Franks zeigen soll und als Vorbote zukünftiger Geschehnisse gesehen werden kann

Das empfand ich als verwirrend und der ganze Absatz kam sehr widersprüchlich bei mir an. Noch dazu machst du mir erst am Ende des Absatzes überhaupt klar, wie die drei Personen zueinander stehen. (Carla und Joachim ein Paar, Frank der Freund der Familie).
Joachim redet Carla gleich zur Begrüßung mit Schatz an, könnte man schlussfolgern, dass die zwei zusammengehören. Und doch hat Franks Stimme für Aufruhr in Carla gesorgt.

Und anstatt mich als Leser an die Hand zu nehmen, mich durch die Geschichte zu führen und mir zu verdeutlichen, was hier Sache ist, wird es im zweiten Absatz noch schlimmer. Dunkelheit umgibt die Körper wie eine böse Vorahnung. Ist das jetzt real erlebt? Oder schon im Kino?
Den Schuh ziehe ich mir an, ist aber auch bewusst so gemacht. Es ist zwar schade, dass du den folgenden Absatz als Steigerung der Verwirrungsversuche empfindest, aber generell baue ich meine Geschichten in Szenen auf und vermeide immer am Beginn des neuen Aufzuges explizit zu erwähnen, wann und wo wir uns befinden.
Bei der angesprochene Stelle hätte ich natürlich auch gleich schreiben können, dass Carla ganz verträumt und verzückt das Filmplakat von UNTREU ansieht, aber das kläre ich nach fünf Textzeilen auf. Vielleicht mache ich es mit diesem Vorgehen den Lesern zu schwer, bin allerdings bis zu deinem Kommentar nicht davon ausgegangen.

Ich fühle mich in dem Text wie in einem Labyrinth, in dem ich nicht weiß, welche Richtung ich einschlagen soll.
Die ganze Geschichte ist so sprunghaft erzählt, …
Ja, das sind Sprünge, wie gesagt, von Szene zu Szene, wie im Film, neue Klappe und weiter. Ich weigere mich einfach nach der zweiten Klappe zu schreiben: "Als ich am nächsten Abend das Geschäft abgeschlossen habe, führt mich mein Heimweg am Kino vorbei. Wieder bleibe ich fasziniert vor dem Plakat stehen und sehe der Lane zu, wie sie …"
Ja, dann kann diese Empfindung das Ergebnis sein.
… wirkt auf mich so zusammenhanglos und ich musste Satz für Satz einige Male lesen, um überhaupt einen Fortgang zu erkennen.

Um alles in Kürze zusammenzufassen, ich kannte mich hier einfach nicht aus, es fehlt der rote Faden.
Natürlich habe ich keine Ahnung, was da beim Lesen mit dir geschieht, warum du nicht rein in die KG findest. Trotzdem war es interessant und wichtig für mich zu erfahren, was der Text, bzw. der Anfang mit dir gemacht hat. Kann ja sein, dass du nicht der einzige Leser bist, dem es so ergeht. Vielleicht sind mehrere vorzeitig abgesprungen.
Möglich, dass ich den Einstieg verknappen muss. Aber von den zahlreichen Dialogen und den Hechtsprüngen von Absatz zu Absatz würde ich ungern Abstand nehmen.

Naja, jedenfalls bin ich nach der Kinoszene jedes Mal ausgestiegen, sorry.
Das ist traurig, aber wahr.
Danke für die Zeit und deine Bemühungen, um mir deinen Leseeindruck zu verdeutlichen.

Liebe Grüße,
peregrina


Hallo Achillus,

danke für die intensive Auseinandersetzung mit dem Vertrauten und dem Fremden in meinem/unseren Texten. Du wirfst noch mal eine Menge interessanter Fragen auf und im Großen und Ganzen teile ich deine Gedanken sogar, das heißt, ich kann sie in der Theorie vollkommen nachvollziehen.

Ich denke man kann sich beim Schreiben diesbezüglich an zwei Direktiven orientieren: Zeige das Fremde im Vertrauten, und zeige das Vertraute im Fremden.
Ja, das hatte ich aus deinem letzten Komm gut herausgefiltert und mir auch vorgenommen, bei einer zukünftigen KG in irgendeiner Form zu berücksichtigen. Die Frage, die für mich bleibt, ist aber, was sollten deine Ausführungen für konkrete Auswirkungen auf die KG Maskerade haben.

Ganz grundsätzlich darf ich als Leser nicht das Gefühl haben – und das hatte ich eben bei diesem Text – dass mein Leben spannender ist, als diese Geschichte.
Das glaube ich unbesehen und du wirst verstehen, dass ich da schmunzeln musste.
Wenn ich deine Geschichten lese - und die verfolgen ja konsequent diese Devise -, schlussfolgere ich automatisch, dass du nicht zufällig Dinge erlebst, die viel Adrenalin freisetzen.
Bei mir ist das anders: Wenn ich mit dem PKW sechs Stunden auf deutschen Autobahnen unterwegs war, komme ich mir schon vor wie Jutta Kleinschmidt.
Und so aufregend und abenteuerlich sehen dann die Geschichten aus, die ich fabriziere. :D Meist sind es Themen aus dem Bereich Alltag, Beziehungskisten, Zwischenmenschliches eben, die mich bewegen und die deshalb zur Geschichte verbraten werden. Aber wer sagt denn, dass es nicht auch Leser gibt, die sich für unspektakuläre Ereignisse und die leiseren Töne interessieren? Ich schreibe unter anderem auch das, was ich selber gerne in KGs lesen würde (unter anderem). Warum sollte ich da die Einzige sein?

Ich will doch gerade in die andere Richtung. Ich will etwas, das mich aus meinem Alltag nach oben herauszieht. Wenn die Figuren zu bieder und durchschnittlich agieren, bekomme ich den Eindruck, diese Leute sollten Geschichten aus meinem Leben lesen, damit mal etwas Abenteuerliches in ihre Existenz kommt. Aber so darf es doch nicht sein.
Ja, da verstehe ich dich auch.
Aber vielleicht dürfen wir nicht dein aufregendes Leben und die daraus resultierenden Erwartungen an Literatur als Maßstab ansetzen. Möglicherweise ist dein reales Leben so prickelnd und ereignisreich, dass meine kleine unschuldige Geschichte sich nur so belanglos und alltäglich daneben ausnimmt. Meinst du nicht, dass könnte ein entscheidender Faktor sein?

In der Theorie entsteht Lust beim Lesen unter anderem dadurch, dass wir mit dem Text in eine unsichere, abenteuerliche, risikoreiche Umgebung gestoßen werden, dort verschiedene ungewöhnliche Erlebnisse haben können, dann aber das wohltuende Gefühl erfahren, wieder in die geschützte Normalität unseres Lebens zurückkehren dürfen.
Ja, davon hab ich gehört und so ist es auch. Genau, Abenteuer erleben aus einer sicheren Entfernung und ohne einer wirklichen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Ich bevorzuge Psychothriller und begebe mich gerne in die fremde Welt kranker Köpfe. Natürlich würde mir gefallen, wenn ich in der Lage wäre, diese Präferenz aufs Schreiben von KGs zu übertragen.

Es ist in der Kunst immer das gleiche Prinzip: Lustgewinn durch Reduzierung von Komplexität.
Wenn ein Text aber nicht komplex genug ist, sondern lediglich Vertrautes in einem vertrauten Szenario zeigt, wird es schwierig, den Lustgewinn zu erzeugen, der normalerweise beim Auflösen des Chaos entsteht.

Das alles bedeutet nicht, Peregrina, Du hättest das Vertraute nicht überzeugend erzählt. Das mag schon sein und zeigt Dein handwerkliches Geschick. Aber ich interpretiere Dions Einwurf auch so, dass dieses handwerkliche Geschick an der Stelle nicht optimal zur Geltung kommt, denn Du malst ein Bild, das es so bereits schon gibt.

Gehen wir jetzt mal davon aus, meine Geschichte will nunmehr das Fremde im Bekannten zeigen. Das Bekannte sind der Faschingsball und die zwischenmenschlichen Beziehungen (Freundschaft, Ehe, Betrug und Selbstbetrug).
Wie sähe denn das Fremde im Verhalten Carlas aus? Da wird es doch immer Leser geben, die sich im Verhalten Carlas wiedererkennen, weil sie Ähnliches selber erlebt haben.
Egal, ob sie beim Fasching nun nicht mit dem Freund ihres Mannes flirtet, sondern das Mauerblümchen gibt,
ob sie sich auf eine schnelle Nummer in der Besenkammer einlässt,
ob sie Koffer packt und mit Frank, der seine Familie verlässt, nach Neuseeland auswandert.
Du merkst schon, worauf ich hinaus will. Es wird immer jemanden geben, der das Handeln der Figuren als normal, gewohnt, bekannt erfahren wird, in dem Moment, wenn er es mit seinem eigenen Leben vergleicht. Wir lesen also Texte mit unterschiedlichen Erwartungen, die aus unseren Erfahrungen, unserer Prägung resultieren.
Irgendwie komme ich zu dem Schluss, dass das in erster Linie das Grundthema meiner Geschichte (auch der Aufbau und die Aussage), der Umsetzung dieser Idee, nämlich Fremdes im Bekannten zeigen zu wollen, im Wege steht.
Bliebe dein Vorschlag:
Ein exotischer Background kann der Sache tatsächlich zu viel mehr Attraktivität verhelfen. Schaut man sich beispielsweise solche beliebten SF- oder Fantasy-Produktionen wie Star Trek oder Game of Thrones an, dann sieht man im Mittelpunkt zwischenmenschliche Konflikte. Raumschiffe, Zombies und Drachen sind im Grunde lediglich Äußerlichkeiten. Was diese Produktionen so spannend macht, sind die Charaktere und ihre Kämpfe, ihr Streben, ihre Erfolge und ihr Scheitern.
Aber wenn ich mich recht entsinne, hatte ich dir vehement widersprochen, weil ich im exotischen Schauplatz bei dieser Thematik keinen Mehrwert erkennen kann, zumal ich den Maskenball als Setting mit Symbolgehalt als genial empfinde.
Ich bin so ratlos wie zuvor. Irgendwie will sich die Katze immer in den Schwanz beißen. Es gibt nur eine Lösung: Alles auf eine Karte setzen bei der nachfolgenden KG und das, was ich für mich mitgenommen habe, umsetzen.

Bleib dran Peregrina, ich freu mich auf Deine Nächste.
Das ist aber ein schickes Kompliment von dir, danke dafür und die wichtigen Gedanken, die nie ohne Ergebnis bleiben, auch wenn es vielleicht für dich so aussehen mag, ich sei nicht offen genug dafür.


Sei herzlich gegrüßt von peregrina


Lieber hell,

warum eröffnest DU nicht einen gesonderten Faden zu dieser Grundsatzdiskussion das Fremde im Bekannten? Kennst dich doch damit aus :thumbsup:. Es scheint ja Bedarf an Meinungsaustausch zu bestehen.

Eine tolle Woche und liebe Grüße,
peregrina

 
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Liebe Peregrina,

durch Novaks Copywrite stoße ich auf diese Geschichte. Als ich sie erstmals gelesen habe, hat mir die Zeit zum Kommentieren gefehlt. Jetzt aber kann ich das und schau' erst deine Geschichte an, bevor ich dann zu Novak übergehe. Ich habe außer ThomasQu Kommentar bzw. das hin- und her zwischen dir und ihm keinen gelesen.

Weil ich weiß, dass dir auch Details wichtig sind, habe ich genauer hingeschaut, so dass nun der Eindruck entstehen könnte, ich fände den Text nicht so besonders :)

So ist es aber nicht, denn ich finde die Idee und den Handlungsstrang gut aufgezogen. Teilweise ist es mir jedoch zu kryptisch. Auch springst du manchmal für mein Gefühl innerhalb zu kurzer Zeit in eine andere Information, eine andere Situation oder Handlung. Da bedürfte es manchmal nur eines Satzes mehr, der einführt, der ein bisschen den Leser an die Hand nimmt.

Ich mag das zwar auch, dass man mal in eine Situation geworfen wird und sich nach und nach dann Dinge aufblättern. Aber dann sollte es bei der einen Situation bleiben. Bei dir ist es öfters der Fall innerhalb der KG, dass man aufbröseln muss. Das ist dann für mich als Leser irgendwann anstrengend - oder ich "überlese" dann bewusst irgendwelche Informationen, weil ich in dem Moment denke: Hä, das passt für mich jetzt grade nicht ... und hoffe, dass es sich dann im Laufe des Textes auflöst.


Schon im Flur höre ich die Männerstimmen. Ich könnte schwören, das verhaltene Lachen ist das von Frank. Leise lege ich Jacke und Schal ab und versuche, die knarzenden Dielenbretter und mein hüpfendes Herz zu ignorieren. Als ich im Türrahmen erscheine, verstummt das Gespräch.
„Du bist spät dran, Schatz“, empfängt mich Joachim und nippt an seinem Bier.
ThomasQu hat bemängelt, dass nicht klar wird, wie die Personen zueinander stehen. Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich mein, man muss sich ja nur vorstellen, dass Carla heimkommt. Sie würde dann innerhalb eines Männergespräches doch nie annehmen, dass ein bestimmtes Lachen von ihrem Mann kommt, denn es ist ja klar, dass der mit von der Partie ist. Also kann es sich nur um männlichen Besuch handeln und sie tippt darauf, Franks Lachen zu hören. Vollends klar wird das dann doch, als Joachim Carla mit Schatz anspricht. Also für mich ist die Szene eindeutig, das hast du gut eingefädelt.

Jedoch kann ich nicht nachvollziehen, wieso sie sich denn sozusagen reinschleicht. Sie ist doch in ihrer Wohnung und spätestens, wenn sie in der Küche auftaucht, wird sie sowieso entdeckt.
Wollte sie evtl. noch Gesprächsfetzen hören, ohne dass die anderen wissen, dass sie zuhört? Dann sollte das etwas deutlicher gemacht werden. So jedenfalls wird mir nicht klar, wieso sie so leise ist.

Er tut so, als würde nicht Unausgesprochenes wie eine Mauer zwischen uns stehen.
Boah, echt, mit dieser Konstruktion machst du es dem Leser nicht leicht. würde - nicht- un -
Das kann ich beim ersten Mal lesen sowieso nicht verstehen, beim zweiten Mal frage ich mich, wieso das so kompliziert beschrieben ist und beim dritten Mal kann ich überlegen, wie ich das aufdröseln muss, um zu verstehen, wie es gemeint ist.
Dieses nicht lässt mich grübeln.
Für mich wäre es viel besser, wenn es sinngemäß dann noch stimmt, wenn der Satzbau so wäre:
Er tut so, als würde Unausgesprochenes nicht wie eine Mauer zwischen uns stehen, (also er ist relativ entspannt und spielt Theater)
So wie es jetzt dasteht, beziehe ich das nicht auf das Unausgesprochene, dann würde es sinngemäß heißen:
Er tut so, als würde Ausgesprochenes wie eine Mauer zwischen uns stehen.

Ich verstehe es halt nicht, wie du es gemeint hast. :shy:

Edit: Habe nun die anderen Kommentare gelesen und da ging daraus hervor, dass dieses nicht anfangs auch an der Stelle stand, die ich dir jetzt vorgeschlagen habe. Wieso hast du das denn verschlimmbessert? :D

„Wann war’n wir das letzte Mal weg, hm? Voriges Jahr ging es auch nicht, als du …“
„Schwanger warst. Genau. Warum sprichst du es nicht aus?“ Ich trinke einen Schluck Wasser, muss mein Gesicht hinter dem Glas verbergen. Die Narbe im Unterleib zieht.
Das liest sich für mich, als wären die ein ganzes Jahr nicht ausgegangen, nicht zum Essen, nicht ins Kino, nicht an eine Geburtstagsparty.
Das würde ich in:
„Wann war’n wir das letzte Mal aufm Fasching, hm? Voriges Jahr ging es auch nicht, als du …“
ändern.

„Was meint Babs zu dem Ringelpiez?“
Ringelpiez ist mir nicht geläufig, ich kenne zwar den Ausdruck: Ringelpiez mit Anfassen aber dass man das so im Sprachgebrauch als Vorhaben bezeichnet, hat mich irritiert, also ich finde den Ausdruck zu aufgesetzt.

Frank räuspert sich. „Ja, doch, findet sie gut. Jedenfalls hat sie nix gesagt.“ Er macht eine Pause, als müsse er jedes Wort genau abwägen. „Sie kommt klar, denk’ ich. Zwei Kinder reichen ja auch.“ Er greift sich in den Hemdkragen.
„Na, wenn du es sagst.“
Was soll mir dieser Dialog sagen? Ich verstehe nicht, was die Bemerkung mit den Kindern soll. Da fehlt mir völlig der Bezug.
Edit: Nachdem ich dann später lese: Die arme Babs. und ich mich frage, wieso Joachim das sagt, und wieder im Text hoch gehe, kann ich mir nun denken, dass sie auch ein Kind verloren hat.
Aber für mich ist das wirklich in der oberen Sequenz nicht eindeutig genug verpackt, weil es davor um Fasching, Ringelpietz, fröhlich sein etc. geht und dann kommt da so ein abruptes: Sie kommt klar. Zwei Kinder reichen auch. Ich dachte da mehr daran, ob sie einen Babysitter für diesen Fasching irgendwo herbekommt oder so.

Hey, und wenn ein Mann, der zum dritten Mal Vater hätte werden können, sagt: Zwei Kinder reichen auch dann wäre das für mich ein emotionaler Eisklotz. Ist ja, als wenn er beim Einkaufen vor einem Regal steht und sagt: Ach, zwei Gläser Gurken reichen auch."
Vielleicht bin ich deswegen auch nicht darauf gekommen, dass es sich bei dieser Aussage darauf bezieht, das Dritte verloren zu haben, weil ich einem trauernden Vater nie so ein Geschwätz zutrauen würde.


Joachim sagt: „Ach, komm Carla, sei kein Spielverderber!“ Genau der schmachtende Singsang, den er anstimmt, wenn er das Bedürfnis verspürt, den ehelichen Pflichten nachzukommen, wie er seine Akrobatik nennt.
Genau wie der - das muss ein Vergleich sein, sonst muss ich davon ausgehen, dass er mit Carla jetzt ins Bett will ;)
Das liest sich auch, als wären sie alles andere als zufrieden mit dem Sex. Sie findet es akrobatisch, er verspürt nur Pflicht.


„Sag mal, hast du sie noch alle? Mich so zu erschrecken.“ In letzter Sekunde zügle ich meinen Impuls, ihm eine runterzuhauen.
Wieso runterhauen? Er hat doch nichts Anzügliches gemacht?


Und plötzlich steht ein Bild vor mir, glasklar und messerscharf. Ich lehne wieder am Fensterrahmen. Das Lachen aus dem Nebenraum wird unerträglich. Frank hat mich im Halbdunkeln gefunden, tritt hinter mich, flüstert in mein Haar und küsst für einen Sekundenbruchteil meine Traurigkeit weg.
Frank holt mich zurück in den frostigen Winterabend.
Wortwiederholung beim Satzanfang.
Ist es so, dass die Beiden sich durch die Trauer/das Trösten näher gekommen sind?
Mir wird nicht klar, wann die zwei sich ineinander verliebt haben.

„Lass gut sein, Großer!“ Scharf ziehe ich die Luft durch den Mund ein, dann imitiere ich seine Stimme: „Meine Frau versteht mich nicht mehr!“
Großer? So nenne ich meinen älteren Sohn manchmal. Aber einen Freund?

Ich hätte ihr beistehen sollen. Ihr sagen müssen, dass man lernen muss, seine Gedanken zu steuern, weg vom Zentrum des Schmerzes hin zu anderen Aufgaben oder auch zu anderen Männern. Alles beginnt im Kopf. Auch das Ende des Kummers oder sein Beginn.
Wir könnten uns immer noch zum Kaffeekränzchen treffen und gegenseitig Händchen halten. Doch ich bleibe auf Distanz. Mein Schweigen ist wenigstens ehrlich.
Mir fehlt die Information, wieso sie es nicht getan hat. Sollte ich als Leser da hereininterpretieren, dass Babs von den Gefühlen der zwei (also Carla und Frank) wusste?

Nachdem Joachim von der Garderobe zurück ist, setzt sich unsere kleine Prozession in Bewegung.
Es ist reine Geschmackssache, aber für mein Empfinden versuchst du manchmal zu bildlich die Szenen kreativ zu beschreiben. Also wie hier mit der Prozession oder weiter oben mit dem Ringelpietz. Man spürt als Leser, dass du dir Gedanken darum gemacht hast, das interessant zu formulieren. Für mich ist es dann manchmal zu viel.
Die Masse tobt und grölt den Text mit, den Anton aus Tirol vorgibt. Er preist gerade seine Figur an, die angeblich ein Wunder der Natur ist.
Mir bräuchte es keine direkte Bezeichnung des Liedes. Den fetten Satz würde ich auf jeden Fall streichen.
Ich fände eine allgemeinere Formulierung passender: So in der Art: Die Masse tobt und grölt einen bekannten Fasnachtsschlager mit.

Ein Harlekin wirft eine Papierschlange nach Babs, nimmt sie bei der Hand und zieht sie auf die Tanzfläche. Als wir uns weiter durch die Tischreihen zwängen, bleibt Joachim mit dem wadenlangen Flanellnachthemd hängen. Er sieht so hilflos aus. Ein bisschen tut er mir leid, aber er wollte es ja so.

Joachim wirft mir noch einen verzweifelten Blick zu, bevor er von der Ordensschwester entführt wird.

Vielleicht findest du da noch ein anderes Wort anstatt zweimal werfen.

Dort wo mein Unterleib sein sollte, klafft eine offene Wunde. Ich schreie. Lautlos.
Ich schreie lautlos.
Ich schreie geht ja noch, aber lautlos als Ein-Wort-Satz passt für mich hier nicht.

So, das wars, was mir auffiel.

Die Thematik der Geschichte geht ja von verlorerem Kind, Trauer, Hilflosigkeit des Partners bis zum bewussten Suchen nach Abwechslung. Das gibt dem Leser zu denken. Ich hätte mir die Geschichte länger gewunschen, dass die einzelnen Aspekte nicht nur angerissen, sondern durch Diskussionen oder Handlungen vertieft werden.

Z.B. ein längeres Gespräch zwischen Carla und Achim, in der es um die Trauer geht, oder etwas mehr Informationen, wie sich die Beziehung Frank/Carla entwickelt hat bzw. durch was es plötzlich gefunkt hat. Da ist mir die Szene im Nebenzimmer am Fenster etwas mager. Sie flieht vor den Menschen, er kommt und küsst sie. Rumms, dann auf einmal merken sie ihre Anziehung nach Jahren der Freundschaft?

Wieso konnte Carla nicht mit Babs über das verlorene Kind sprechen? Da könnte in einer Szene gezeigt werden. Nimm mich mehr mit in das Beziehungsgeflecht, lass sie mehr mit sich ringen.
Das würde mir gefallen. Vielleicht wolltest du bewusst nur so Handlungstupfen setzen, mit der Gefahr für den Leser, dass er manchmal davor steht und sich vom Autor nicht ganz mitgenommen fühlt. So, jetzt lese ich mal die anderen Kommentare, wie das die anderen empfanden.

Edit: Du hattest in einem Kommentar geschrieben: Schreibbibel Nr. 1 : Du darfst den Leser nicht langweilen.
Ergänze das bitte mit : Du musst jedoch soviel Butter bei die Fische geben, dass es ein unbedarfter Leser versteht.
So schmeichelhaft das ist, dem Leser seine Intelligenz ausspielen lassen zu können, so kann das dann auch in die Hosen gehen, wenn du zu kryptisch bleibst. Das ist, denke ich, ein Punkt, an dem du einfach noch Routine bekommen musst, um die richtige Dosierung zu finden. Du bist auf einem guten Weg - mir gefällt dein Eifer sehr. :thumbsup:

Ganz liebe Grüße
bernadette

 
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Liebe bernadette,

da fehlen mir die Worte, wenn ich sehe, was du dir für Mühe gemacht hast, mit wie viel Akribie du den Text auseinander genommen und analysiert hast. Ein großes Dankeschön an dich.

Weil ich weiß, dass dir auch Details wichtig sind, habe ich genauer hingeschaut, …
Teilweise ist es mir jedoch zu kryptisch. Auch springst du manchmal für mein Gefühl innerhalb zu kurzer Zeit in eine andere Information, eine andere Situation oder Handlung. Da bedürfte es manchmal nur eines Satzes mehr, der einführt, der ein bisschen den Leser an die Hand nimmt.
Erst mal ein paar grundsätzliche Anmerkungen. Im Prinzip weiß ich seit dem Komm von dotslash zu dieser KG, dass es eine falsche Entscheidung von mir war, die KG Messerklingen mit ihrer Ausgangssituation und ihrem Ensemble zu nutzen und dessen Geschichte in der Maskerade weiterzuerzählen. Damit habe ich mir selber Felsbrocken in den Weg gelegt. Man kann die beiden Geschichten nicht losgelöst voneinander betrachten, ich kann aber auch nicht erwarten, dass Leser erst die Vorgeschichte konsumieren. Es war einfach eine Herausforderung, die vergangenen Ereignisse nicht explizit zu wiederholen, sie aber doch einfließen zu lassen. Wahrscheinlich sind die vielen Fragezeichen in den Augen der Leser (nicht allein, aber in erster Linie) das Ergebnis meines gescheiterten Versuchs.
Die oftmals sparsamen Erklärungen, ich räume ein, die manchmal sogar kryptisch erscheinen, sind mir natürlich (meistens) bewusst. Ich lese hier immer wieder mal, der Leser will nicht alles vorgekaut bekommen, er will Freiräume für eigene Bilder und Interpretationen. Da bin ich schon mal froh, dass der Anfang passt:
Also für mich ist die Szene eindeutig, das hast du gut eingefädelt.
Ja, ich dachte auch, die Personenkonstellation wäre deutlich.

Jedoch kann ich nicht nachvollziehen, wieso sie sich denn sozusagen reinschleicht. Sie ist doch in ihrer Wohnung und spätestens, wenn sie in der Küche auftaucht, wird sie sowieso entdeckt.
Wollte sie evtl. noch Gesprächsfetzen hören, ohne dass die anderen wissen, dass sie zuhört? Dann sollte das etwas deutlicher gemacht werden. So jedenfalls wird mir nicht klar, wieso sie so leise ist.
Ja, sie ist daran interessiert, Dinge zu erlauschen, die sie sonst eventuell nicht erfahren würde. Das Ehepaar spricht ja nur noch oberflächlich miteinander.
Rein theoretisch bin ich davon ausgegangen, dass der Leser sich aussuchen kann, welche Gründe sie hat. Da schwebt mir auch immer vor, mit solchen geheimnisvollen Andeutungen kann ich das Interesse und die Neugier des Lesers wecken, ihn an die KG binden.
Seit dem Komm von ThomasQu weiß ich, damit kann man auch ganz fix Leser verschrecken.

Er tut so, als würde nicht Unausgesprochenes wie eine Mauer zwischen uns stehen.
Boah, echt, mit dieser Konstruktion machst du es dem Leser nicht leicht. würde - nicht- un -
Das kann ich beim ersten Mal lesen sowieso nicht verstehen, beim zweiten Mal frage ich mich, wieso das so kompliziert beschrieben ist und beim dritten Mal kann ich überlegen, wie ich das aufdröseln muss, um zu verstehen, wie es gemeint ist.
Edit: Habe nun die anderen Kommentare gelesen und da ging daraus hervor, dass dieses nicht anfangs auch an der Stelle stand, die ich dir jetzt vorgeschlagen habe. Wieso hast du das denn verschlimmbessert?
Weil mir die Logik des Hinweises einleuchtete. Gut, aber ich habe die Stelle endlich geglättet, ich sehe gerne, wenn der Leser durch den Text gleitet, zumindest innerhalb einer Szene.

„Wann war’n wir das letzte Mal weg, hm? Voriges Jahr ging es auch nicht, als du …“
„Schwanger warst. Genau. Warum sprichst du es nicht aus?“ Ich trinke einen Schluck Wasser, muss mein Gesicht hinter dem Glas verbergen. Die Narbe im Unterleib zieht.
Das liest sich für mich, als wären die ein ganzes Jahr nicht ausgegangen, nicht zum Essen, nicht ins Kino, nicht an eine Geburtstagsparty.

Die waren wirklich nicht weg (nur zur Geburtstagsfeier von Babs). Carla hat sich in ihre Arbeit vergraben. Deswegen findet sie auch die Idee mit dem Kinobesuch prima.

„Was meint Babs zu dem Ringelpiez?“
Ringelpiez ist mir nicht geläufig, ich kenne zwar den Ausdruck: Ringelpiez mit Anfassen aber dass man das so im Sprachgebrauch als Vorhaben bezeichnet, hat mich irritiert, also ich finde den Ausdruck zu aufgesetzt.
Ja, so kenne ich es auch. Ich habe nun das „Anfassen“ mit eingebracht, stellt dann gleich einen Bezug zur Erotik her. :shy:
Sorry, wenn ich doziere. Aber, wenn solche Formulierungen zu Carlas Repertoire gehören und so ein simpler Dialog die Figur gut charakterisieren kann, da hab ich doch im speziellen Fall alles richtig gemacht.

Frank räuspert sich. „Ja, doch, findet sie gut. Jedenfalls hat sie nix gesagt.“ Er macht eine Pause, als müsse er jedes Wort genau abwägen. „Sie kommt klar, denk’ ich. Zwei Kinder reichen ja auch.“ Er greift sich in den Hemdkragen.
Was soll mir dieser Dialog sagen? Ich verstehe nicht, was die Bemerkung mit den Kindern soll. Da fehlt mir völlig der Bezug.
Einige Leser, zuletzt Fliege haben diese Stelle als seht verunglückt empfunden. So sehen meine Versuche aus, Dialoge lebensecht wirken zu lassen. Sollte auch nicht so überdeutlich als gezielte Wissensvermittlung an den Leser erkennbar sein.
Da hab ich jetzt eingegriffen, wurde wirklich Zeit. Die zwei Grundgedanken sind besser erkennbar.

Edit: Nachdem ich dann später lese: Die arme Babs. und ich mich frage, wieso Joachim das sagt, und wieder im Text hoch gehe, kann ich mir nun denken, dass sie auch ein Kind verloren hat.
Nein, war nicht so von mir gedacht. Das ist eine sehr diffuse Aussage von Achim, damit kann alles und nichts gemeint sein. Achim bezieht es auf die Sprunghaftigkeit Franks.
Ich hab nun: „Babs hat’s auch nicht leicht“ geschrieben.

Hey, und wenn ein Mann, der zum dritten Mal Vater hätte werden können, sagt: Zwei Kinder reichen auchdann wäre das für mich ein emotionaler Eisklotz. Ist ja, als wenn er beim Einkaufen vor einem Regal steht und sagt: Ach, zwei Gläser Gurken reichen auch."
... weil ich einem trauernden Vater nie so ein Geschwätz zutrauen würde.
Normalerweise ich auch nicht. In der Geschichte vergleicht Frank aber auch die Situationen der beiden Frauen miteinander, er will damit ausdrücken, dass in seinen Augen Carlas Kinderlosigkeit schwerer wiegt als das verlorene Baby von Babs. Er schleimt sich damit bei Carla ein.
Die Zeile ist gelöscht, ist nun besser, denke ich. Allerdings ist jetzt der Dialoganteil noch gewachsen.

Joachim sagt: „Ach, komm Carla, sei kein Spielverderber!“ Genau der schmachtende Singsang, den er anstimmt, wenn er das Bedürfnis verspürt, den ehelichen Pflichten nachzukommen, wie er seine Akrobatik nennt.
Genau wie der - das muss ein Vergleich sein, sonst muss ich davon ausgehen, dass er mit Carla jetzt ins Bett will
Das liest sich auch, als wären sie alles andere als zufrieden mit dem Sex. Sie findet es akrobatisch, er verspürt nur Pflicht.
Das wie ist einfügt, aber an anderer Stelle. Aber da ich das anders gemeint habe, ist auch dieser Satz angepasst. Sie findet die Akrobatik lästig, weil es für sie eine Pflicht ist. Sie hatten früher diese Phase, wo Sex entsprechend der gemessenen Morgentemperatur Carlas angesagt war. Novak hat in ihrer Kopie das Wort verwendet, auf das ich nicht gekommen bin, und das doch alles sagt: Empfängnisvögeln.

„Sag mal, hast du sie noch alle? Mich so zu erschrecken.“ In letzter Sekunde zügle ich meinen Impuls, ihm eine runterzuhauen.
Wieso runterhauen? Er hat doch nichts Anzügliches gemacht?
Wenn ich völlig vertieft bin und mich spricht jemand von hinten an, dann erschrecke ich so sehr, dass ich hauen will. Bin ich denn da die Einzige mit Aggressionspotential?:D

Und plötzlich steht ein Bild vor mir, glasklar und messerscharf. Ich lehne wieder am Fensterrahmen. Das Lachen aus dem Nebenraum wird unerträglich. Frank hat mich im Halbdunkeln gefunden, tritt hinter mich, flüstert in mein Haar und küsst für einen Sekundenbruchteil meine Traurigkeit weg.
Frank holt mich zurück in den frostigen Winterabend.
Wortwiederholung beim Satzanfang.
Ist es so, dass die Beiden sich durch die Trauer/das Trösten näher gekommen sind?
Mir wird nicht klar, wann die zwei sich ineinander verliebt haben.
Ein schleichender Prozess. Hier die einzige Rückblende, die ich mir/dem Leser zu Messerklingen gegönnt habe.

Ich hätte ihr beistehen sollen. Ihr sagen müssen, dass man lernen muss, seine Gedanken zu steuern, weg vom Zentrum des Schmerzes hin zu anderen Aufgaben oder auch zu anderen Männern. Alles beginnt im Kopf. Auch das Ende des Kummers oder sein Beginn.
Wir könnten uns immer noch zum Kaffeekränzchen treffen und gegenseitig Händchen halten. Doch ich bleibe auf Distanz. Mein Schweigen ist wenigstens ehrlich.
Mir fehlt die Information, wieso sie es nicht getan hat. Sollte ich als Leser da hereininterpretieren, dass Babs von den Gefühlen der zwei (also Carla und Frank) wusste?
Nein, sollst du nicht. Für mich wurden die beiden Frauen in dem Moment zu Konkurrentinnen, in dem Carla ihre Zuneigung zu Frank entdeckt hatte.
Außerdem hatte ich mir vorgestellt, Carla empfindet so etwas wie Genugtuung: Nun weiß Babs auch, wie es sich anfühlt, ein Baby zu verlieren. Wobei mir schon lange bewusst ist, dass es keine gute Entscheidung von mir war, Babs das Kind verlieren zu lassen.
Ich bleibe störrisch wie ein Esel, ich hab das so konzipiert und jetzt muss ich durch.

Nachdem Joachim von der Garderobe zurück ist, setzt sich unsere kleine Prozession in Bewegung.
Es ist reine Geschmackssache, aber für mein Empfinden versuchst du manchmal zu bildlich die Szenen kreativ zu beschreiben. Also wie hier mit der Prozession oder weiter oben mit dem Ringelpietz. Man spürt als Leser, dass du dir Gedanken darum gemacht hast, das interessant zu formulieren. Für mich ist es dann manchmal zu viel.
Okay, kann ich mit leben. Das sind keine Stellen, an denen meine Gedanken lange verweilt haben. Solche Bilder kommen einfach, wenn ich die Gruppe vor meinem geistigen Auge entstehen lasse, da schreib ich das Bild nieder.

Die Masse tobt und grölt den Text mit, den Anton aus Tirol vorgibt. Er preist gerade seine Figur an, die angeblich ein Wunder der Natur ist.
Mir bräuchte es keine direkte Bezeichnung des Liedes. Den fetten Satz würde ich auf jeden Fall streichen.
Ich fände eine allgemeinere Formulierung passender: So in der Art: Die Masse tobt und grölt einen bekannten Fasnachtsschlager mit.
Du erstaunst mich. Ich dachte, durch das Konkrete in solchen Situationen wird es für den Leser anschaulicher, auch akustisch, ha ha ha. Aber ernsthaft, da war ich sehr bemüht, einen Titel zu finden, der auch zeitlich mit dem Filmstart von Untreu passte.

Dort wo mein Unterleib sein sollte, klafft eine offene Wunde. Ich schreie. Lautlos.
Ich schreie lautlos.
Ich schreie geht ja noch, aber lautlos als Ein-Wort-Satz passt für mich hier nicht.
Das lass ich mir jetzt nicht ausreden. :lol:

Die Thematik der Geschichte geht ja von verlorerem Kind, Trauer, Hilflosigkeit des Partners bis zum bewussten Suchen nach Abwechslung. Das gibt dem Leser zu denken. Ich hätte mir die Geschichte länger gewunschen, dass die einzelnen Aspekte nicht nur angerissen, sondern durch Diskussionen oder Handlungen vertieft werden.
Noch länger?
Es sieht nur so aus, aus wären so viele Themen abgehandelt worden.
Die beiden KGs, haben unterschiedliche Grundaussagen. Messerklingen ist sehr düster. Carla ist in ihrer Trauer gefangen und hält Achim mit Zynismus auf Abstand. Ergebnis ist Sprachlosigkeit. Und da kommen Carla die vorsichtigen Annäherungsversuche von Frank gelegen. Wobei auch damals der Ruf nach mehr deutlicheren Gesprächen zwischen Carla und Achim laut wurde.

In dieser KG ist der Dreh- und Angelpunkt eigentlich nur Betrug und Selbstbetrug, die verloren Babys, die Eheprobleme sind die Ausgangssituation, der Nährboden quasi auf dem die Gedanken gedeihen können.

Z.B. ein längeres Gespräch zwischen Carla und Achim, in der es um die Trauer geht, oder etwas mehr Informationen, wie sich die Beziehung Frank/Carla entwickelt hat bzw. durch was es plötzlich gefunkt hat. Da ist mir die Szene im Nebenzimmer am Fenster etwas mager. Sie flieht vor den Menschen, er kommt und küsst sie. Rumms, dann auf einmal merken sie ihre Anziehung nach Jahren der Freundschaft?
Solche Beziehungen entstehen ganz allmählich, schleichen sich an und plötzlich steckt man bis zum Hals in der …

Wieso konnte Carla nicht mit Babs über das verlorene Kind sprechen? Da könnte in einer Szene gezeigt werden. Nimm mich mehr mit in das Beziehungsgeflecht, lass sie mehr mit sich ringen.
Das würde mir gefallen. Vielleicht wolltest du bewusst nur so Handlungstupfen setzen, mit der Gefahr für den Leser, dass er manchmal davor steht und sich vom Autor nicht ganz mitgenommen fühlt.
Mit solchen Wünschen stehst du nicht allein, ich fürchte nur, ich kann sie nicht erfüllen.
Also, die Beziehung zu Babs ist sicher die interessanteste von allen. Wenn die Ehefrau den ersten Verdacht hegt, diese verstohlenen Blicke wahrnimmt, nicht sicher sein kann, ob sie sich das nur einbildet. Der Ehemann ihr gegenüber alles verharmlost. Aber das war nicht Gegenstand der KG.
Carla findet es gerecht, dass Babs auch weiß, wie es sich anfühlt, ein Baby zu verlieren. Deshalb will sie sie nicht besuchen und Mitleid heucheln. Aber hab ich schon erwähnt.
Immer standen Carla und Frank im Zentrum meiner Gedanken, auch wenn die Leser mehr als einmal nach mehr Aufklärung der Beziehung von Carla und Achim verlangt haben.

Edit: Du hattest in einem Kommentar geschrieben: Schreibbibel Nr. 1 : Du darfst den Leser nicht langweilen.
Ergänze das bitte mit : Du musst jedoch soviel Butter bei die Fische geben, dass es ein unbedarfter Leser versteht.
In einem späteren Komm hab ich die Gebote vervollständigt, die da lauten:
„Erstes Gebot: Du sollst den Leser nicht langweilen.
Zweites Gebot: Du darfst dem Leser keine Informationen vorenthalten.
Drittes Gebot: Du musst dem Leser nur relevante Informationen geben.
Erstes und zweites stehen sich feindlich gegenüber. Das zweite und dritte konsequent und im rechten Maß zu befolgen, setzt schon sehr viel Fein- und Sprachgefühl sowie Erfahrung voraus.“

So schmeichelhaft das ist, dem Leser seine Intelligenz ausspielen lassen zu können, so kann das dann auch in die Hosen gehen, wenn du zu kryptisch bleibst. Das ist, denke ich, ein Punkt, an dem du einfach noch Routine bekommen musst, um die richtige Dosierung zu finden. Du bist auf einem guten Weg - mir gefällt dein Eifer sehr.
Ja, die Dosis macht das Gift. So ist es auch hier. Ich bleibe am Ball und beim nächsten Mal gehe ich die Geschichte anders an.

Vielen lieben Dank für den Aufwand, auch noch die Kommentare zu lesen. Meine Güte!
Die überarbeitete Fassung hab ich eingestellt, teilweise das arg Geheimnisvolle entwirrt, ohne zu viel zu erklären, hoffe ich.


Liebe Grüße von peregrina

 

Hallo @peregrina

von der Neugierde getrieben, habe ich mir nun auch diesen Teil der Geschichte durchgelesen, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Auch "Maskerade" gefällt mir sehr gut, der Text ist flüssig geschrieben und ich steh einfach auf Deinen Stil (auch wenn Du wohl etwas damit haderst). Du arbeitest sehr subtil, vermittelst Gefühle sehr glaubhaft.

Hier meine Leseeindrücke:

Muss es ausgerechnet ein Maskenball sein? Ich würd’ mal wieder ins Theater oder Kino geh’n, dieses Remake mit Richard Gere, wie heißt das gleich noch? Betrug?“
„Untreu.“ Frank hat wieder diesen Blick aufgesetzt, von dem ich mich aufgespießt fühle. Er tänzelt auf mich zu, umfasst meine Taille und schiebt mich sanft, aber bestimmt durch die Küche. „Können wir ja später mal machen!“ Er lacht.

Kicher. Da hatte ich sofort ne Verbindung. Den Film hab ich in ner schwierigen Zeit in meinem Leben angeschaut und der hat mich echt schier zerrissen. Meine Sympathie galt eher Richard, als Diane.

„Gute Idee.“ Nur zu gerne würde ich die Verlorenheit ausblenden, die sich wie ein leises Gift in jede Zelle stiehlt und mich lähmt.

Tolle Stelle!

Schweigend laufen wir nebeneinander. Die Köpfe gesenkt, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Einer das Double des anderen. Und obwohl eisige Windböen um die Häuserecken fegen, wünsche ich mir, dass wir immer so weiterliefen, ohne Bestimmung, dass wir keine andere Wahl hätten.

Da bin ich ganz nah bei ihr. Kann das total nachempfinden.

Er bleibt stehen und sieht mich ernst an. „Kannst du dir vorstellen, dass ich unsere Gespräche, unsere Scherze vermisse? Ich komm mir vor wie ein verdammter Schuljunge. Du spukst in meinem Kopf.“ Seine Stimme ist rau und fremd. „Ich kann nix dagegen machen.“

Ja, man kann nix dagegen machen. Doofe Gefühle aber auch. Hast Du sehr glaubhaft dargestellt.

„Ich kann das nicht, Frank!“, flüstere ich. Mit der Kälte kriecht die Angst in mir hoch. Die Angst, enttäuscht zu werden und alles zu verlieren. Meine Haut ist so dünn geworden. „Danke für’s Bringen!“ Der Wunsch, allein zu sein, wird übermächtig. Wer braucht schon Geständnisse, die in eine Sackgasse führen? Das mache ich mit mir aus. Meine Augen tränen vom scharfen Wind.

Auch hier ensteht wieder ein sehr authentisches Bild Deiner Prota.

Ausgesprochen geschmackvoll, sehr harmonisch, die kleine Meerjungfrau. Wenn es stimmt, dass eine Verkleidung die unterbewusste Sehnsucht danach ausdrückt, was wir sein wollen, dann wünscht sich Babs, die Frau ohne Unterleib zu sein. Verständlich, nach den Erlebnissen der letzten Wochen. Ich hätte ihr beistehen sollen. Ihr sagen müssen, dass man lernen muss, seine Gedanken zu steuern, weg vom Zentrum des Schmerzes hin zu anderen Aufgaben oder auch zu anderen Männern.

Schwierige Situation und ich kann verstehen, dass sie es nicht über sich bringt, für Babs da zu sein.

Alles beginnt im Kopf. Auch das Ende des Kummers. Wir könnten uns immer noch zum Kaffeekränzchen treffen, gegenseitig Händchen halten und unsere Herzen ausschütten. Besser nicht. Ich bleibe auf Distanz.
Mein Schweigen ist wenigstens ehrlich.

Auch diese Stelle gefällt mir sehr gut.

Seine Aufforderung zum Tanz. Er geht vorneweg, schiebt sich durch das Gedränge, teilt für mich das Meer, mein verwegener Piratenkapitän.

Super beschrieben.

Das Bett unter mir ist weich, ein Wasserbett, es schaukelt sanft. Das Meer rauscht. Er drückt meine Schenkel auseinander, dringt in mich ein, es geht so einfach. Logisch, denke ich, ich bin klebrig süß und unersättlich. Und billig. Wer ist der Kerl eigentlich, dem ich mein Becken entgegenrecke? Ich öffne die Augen. Er trägt eine Maske, doch ich weiß mit einem Mal, es ist Richard Gere, ja genau, der junge Richard Gere. Er stöhnt, dann spricht er mit Franks Stimme: „Amüsierst du dich?“ Sein Gesicht zerfließt, bevor ich ihm sagen kann, wie sehr ich ihn liebe. Ich schließe die Augen wieder, das Gesicht ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich alles, was geschieht, deutlich erspüre. Er treibt von mir weg, doch ich will, dass er härter zustößt, es darf ruhig wehtun, muss wehtun. Ich bin hart im Nehmen. Ich kralle mich in seinen Rücken, bis ein scharfer Schmerz meine Eingeweide durchzuckt. Das Boot schwankt und droht zu kippen, als der Mann die scharfe Klinge aus meinem Körper zieht. Er nimmt die Augenklappe ab und grinst. Blut läuft über Franks Hand. Dort wo mein Unterleib sein sollte, klafft eine offene Wunde. Ich schreie. Lautlos.
Das Bett neben mir ist leer.

Der Traum ist krass. Total realistisch. Da hatte ich Gänsehaut.

„War doch toll gestern, oder? Mal was anderes.“ Er spricht mit vollem Mund. „Weißt du, manchmal ist es ganz einfach: Hürde nehmen und zack …“ Das Brötchenmesser muss ihm aus der Hand gesprungen sein. „Ich bin richtig stolz auf dich, Carla. Ein guter Weg.“

Oje. Der arme Kerl. Wenn der wüsste.

„Welche Augenfarbe habe ich?“
Er zögert. Zu lange. “Graublau.“
„Aha.“ Kann man gelten lassen, füge ich in Gedanken hinzu, aber nur, wenn das Meer aufgewühlt ist. Es beginnt zu schneien. Plötzlich ist es ganz still. Auch in mir. Ich stelle mir vor, wie der Schnee alles zudeckt, die schmutzigen Kieswege, die Sehnsucht und die Scham.

Und auch das Ende hat mich sehr berührt.

Ganz liebe Grüße,
Silvi

 

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