Was ist neu

Lefluna

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20.12.2002
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Lefluna

Auf tollen Straßen gehen wir. Und das in tollen Zeiten. Erst gestern war es wieder so weit: Spaß. Mit Retroflügeln zogen wir über die Stadt. Wir stürmten den Himmel wie einst die Vögel. Wer die heilige Kuh fand, gewann eine Reise zum Planeten seiner Wahl. Wer den Affen aus seinem Käfig befreite, durfte beim nächsten Jetpackrennen mit zehn Metern Vorsprung starten, und wer die singende Madonna vom Turm stieß, bekam tausend virtuelle Credit Points. Das sind ganz schön viele. In der Virtualität kann man einen ziemlichen Radau damit anstellen.
Doch ich wollte die Kuh, und weil fast niemand die Kuh will, bekam ich sie auch. Es heißt, alle anderen Planeten im Universum seien öde und langweilig, dort sei es mit dem Spaß nicht weit her. Mich reizen sie trotzdem, ich weiß nicht warum. Man vermutet, dass ich einen Atavismus habe. Ein altes Merkmal, das sich trotz Gen-Auslese immer wieder durchsetzt. Anscheinend sind manche Merkmale ziemlich zäh.
Ich hab mir Leflunomid ausgesucht, weil auf Leflunomid Gaswesen wohnen. Nur ganz selten schlägt die Evolution diesen Weg ein. Gaswesen sind wie Geister, wenn man sie anfasst, spürt man ein leichtes Kribbeln unter der Haut. Ihre Zellen, sofern man sie so nennen kann, sind komplexe Luftmoleküle, die durch ständig wechselnde Ionisierung miteinander in Verbindung stehen. Im Grunde sind Gaswesen Luftquallen. Manchmal werden sie auch Airjelly genannt.
Als ich heute Morgen in die Raumkapsel stieg, war ich guter Dinge. Und nach vier Stunden Zeitvertreib in der Virtualität war ich da. Ich sah durch die Luke ins All. Vor uns tuckerte Leflunomid auf seiner elliptischen Bahn, eine strahlend weiße Gaskugel, wie die Atemwolke eines Wintergotts. Unsere Raumkapsel drang problemlos in seine Atmosphäre ein und landete auf einer Wüstenebene. Die Piloten gaben mir drei Stunden Zeit, spätestens dann sollte ich zurück sein. Als ich aus der Kapsel stieg, spürte ich mein Herz im Raumanzug hämmern. Was für ein Gefühl, einfach unbeschreiblich … wie konnte das falsch sein?
Mensch, wenn man das den Atavismusgegnern doch nur irgendwie klarmachen könnte!
Es herrschten gute Laufverhältnisse, der Boden unter meinen Füßen war fest und sandig, doch sehen konnte ich kaum etwas, so dicht war der Nebel. Ich fuhr mit einer Hand durch die graue Suppe und staunte: Kleine Luftwirbel folgten meiner Bewegung. Ich machte es nochmal, jetzt schneller, und es passierte wieder. Die Wirbel waren fein und scharf konturiert, wie Schneckenhäuser. Ich breitete die Arme aus und drehte mich im Kreis, bis ich vor Schwindel fast umfiel. Dann trat ich schnell zurück. Ein großer Wirbelstrom hatte sich gebildet. Er stieg langsam nach oben und löste sich erst nach und nach auf.
Ich lachte und rannte los. Und hinter mir her: Wirrrrrrrrbel. Ha! Was ein Spaß! Nie hätte ich das gedacht.
Und die Gaswesen? Ich schaltete meine Sicht auf Infrarot, und siehe da: Sie waren über mir. Tausende von ihnen. Noch in kilometerweiter Entfernung konnte ich kleine rote Punkte schimmern sehen. Alle möglichen Spezies waren dabei: Exemplare so groß wie Häuser trieben auf Luftströmungen sanft dahin; andere beförderten sich mit langen Beinen nach vorn wie Tintenfische; und wieder andere, so schien es, brauchten gar keinen Antrieb, sie zischten nach links und rechts, stießen und rieben sich aneinander, schienen gar zu kommunizieren.
Mich, jedoch, beachtete niemand.
„Hey!“, rief ich, und die Sprecher auf meinem Helm transportieren die Schallwellen nach draußen. „Hey, ihr da oben! Seht ihr mich?“ Ich sprang auf und ab und wedelte mit den Armen hin und her. „Halloooo!“
Sie gingen einfach ihren Gasgeschäften nach. Ärgerlich. Ich hatte mich doch so auf das Kribbeln unter meiner Haut gefreut. Ich wollte eines berühren, eines richtig anfassen. In echt. Naja, vielleicht gab es woanders noch welche, die nett waren.
Ich ging ein paar Schritte und blieb gleich wieder stehen.
Über meinem Kopf schwebte eines. Ich ging nach rechts und es flog mit. Ich ging nach links und …
„Hey du!“, rief ich. „Komm mal runter.“
Es sah mich einfach an.
„Nein? Du verfolgst nur gern, was? Hm. Na gut …“
Ich sprintete im Zickzack über die Wüstenebene Leflunomids, und das Gaswesen verfolgte mich wie ein angebundener Luftballon. Ich konnte es einfach nicht abhängen. Ich hörte irgendwann auf zu rennen, weil ich vor Lachen nicht mehr konnte.
Als ich dann aufsah, schwebte das Gaswesen direkt vor mir, auf Augenhöhe. Es pulsierte wie sensibles Wasser. Mir fiel auf, dass es etwas heller als die anderen Gaswesen war, es strahlte so ein zartes Rosa aus. Vielleicht ein Weibchen?
„Lefluna“, nannte ich sie. „Lefluna, schau mal.“ Ich beugte mich und malte zwei Kreise in den Sand. Dann malte ich nochmal zwei. Und etwas weiter weg: vier Kreise.
„Zwei plus zwei“ – mit dem Finger zeigte ich auf die jeweiligen Kreise – „gibt vier. Verstehst du das? Zwei plus zwei gleich vier.“
Prompt teilte sich Lefluna in vier gleich große Kugeln auf.
„Du kannst rechnen, Lefluna!“ Davon stand aber nichts in der Virtualität!
Oder ahmte sie die Form nur nach?
Ich malte einmal drei und einmal vier Kreise in den Sand. Dann zeigte ich mit dem Finger auf Lefluna. Sofort schwebten sieben Kugeln vor mir.
„Erstaunlich …“
Doch dann bildete sie auf einmal zwölf Kugeln. Zwölf Kugeln? Ich verstand nicht. Drei plus vier war sieben … und drei mal vier war zwölf!
Ich klatschte in die Hände. Ich sprang auf und ab. „Wir verstehen uns, Lefluna, wir verstehen uns! Komm“, ich streckte die Hand nach ihr aus. „Komm her, ich tu dir ja nichts, komm, so machen wir das, wo ich herkomme, wir geben uns die Hand.“
Lefluna kam langsam rüber, ganz vorsichtig. „Komm, komm …“ Ich spürte bereits ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen, dann flog sie mit voller Wucht gegen meinen Helm. Batz!
„Doch nicht so grob!“
Sie machte es wieder. Baaaatz.
„Lefluna!“
Sie flog nach hinten und sprang hin und her wie ein Pendel. Ihr Pulsieren hatte zugenommen. Jetzt war's eher ein Rauschen. Sie lachte über mich.
„Na, wart's bloß ab …“
Ich stürmte los und versuchte sie zu packen. Aber Lefluna war flink, sie ging nach hinten, und zwar immer so schnell, dass ich sie gerade nicht zu fassen bekam. Ich konnte mich strecken, wie ich wollte, stets fehlte mir eine Ellenlänge. Fand ich ziemlich gemein. Ich blieb stehen, stützte die Hände auf die Knie und atmete durch. Und Lefluna auch. Sie nahm meine Gestalt an, ein Raumfahrer mit Helm, und beugte sich nach vorn, außer Atem.
„Das kannst du nicht machen, Lefluna!“
Sie richtete sich auf und äffte meine Bewegung nach.
Ich schüttelte den Kopf. Unmöglich, dieses Gaswesen. Aber was konnte man schon machen?
Den Hampelmann? Ich machte einen und Lefluna machte auch einen. Dann machte ich ein paar funky Dancemoves, und Lefluna machte auch ein paar funky Dancemoves. Das gab mir den Rest. Ich breitete die Arme aus und ging auf sie zu. Ich wollte sie umarmen. Lefluna breitete die Arme aus und ging ebenfalls auf mich zu, doch dann, als ich schon glaubte, sie im Arm zu halten, verwandelte sie sich zuürck in eine Kugel und zischte durch meine Beine. Ich drehte mich um, und sie zischte erneut durch meine Beine. Dann sprang sie hoch und rieb sich schnell an meiner Wirbelsäule, hoch und runter, hoch und runter, ich fasste nach hinten, dann kreiste sie um meinen Hals, ich riss die Hände hoch, dann klopfte sie gegen meinen Bauch.
Und das war kein Kribbeln unter der Haut – das kitzelte!
Ich verlor das Gleichgewicht, fiel auf den Boden, und Lefluna machte weiter.
„Hör auf!“, jaulte ich mit Tränen in den Augen. „Hör doch auf, Lefluna!“ Ich wälzte mich auf dem Boden und kicherte und kicherte. Hatte ich in der Heimat jemals so viel Spaß gehabt? Oder in der Virtualität? Ich denke nicht. Sollten sie doch alle ihre Jetpackrennen fahren, ich war gern woanders. Ich liebte das Unbekannte.
Etwa piepste in meinem Helm und ich sah auf die Uhr. In einer Viertelstunde musste ich zurück sein. Ach … wie die Zeit doch verfliegt, wenn man Spaß hat.
„Ich muss zurück“, sagte ich ihr. „Guck nicht so, ich muss zurück zur Raumkapsel, und nein, ich kann dich nicht mitnehmen, das weißt du ganz genau, fang gar nicht erst damit an.“
Sie folgte mir trotzdem. In Form eines Raumfahrers, sie lief den ganzen Weg mit mir zurück. Schweren Herzens, Lefluna und ich. Ich versuchte ihre Hand zu nehmen, aber sie wollte nicht.
Wir warten jetzt seit zwanzig Minuten. Die Raumkapsel ist noch nicht da. Macht nichts, so kann ich noch ein bisschen Zeit mit Lefluna verbringen. Mir reicht der Sauerstoff für eine weitere Stunde. Die Piloten meinten irgendwas von wegen Abstecher nach Vexvelt … kein Problem. Im Universum gibts doch so viel zu tun, bestimmt ist das ganz normal, wenn sie ein bisschen länger brauchen. Vielleicht suchen sie nach Mineralien, vielleicht ballern sie aus Jucks auf eine Asteroidenkette. Wer weiß das schon? Ich kenne leider keine Piloten. Ich bin auch noch nie einem Menschen begegnet, der die Kuh gefunden und die Reise gewonnen hat. Komisch eigentlich …
„Oder, was meinst du, Lefluna? Die Piloten kommen schon zurück, oder? Die würden mich doch nicht hier lassen ... warum auch? Warum sollten sie das machen? Komm, wir spielen noch ein bisschen.“
Ich breite die Arme aus, gehe auf sie zu und werde überrascht. Lefluna lässt es zu. Sie umarmt mich richtig, und es kribbelt von Kopf bis Fuß. Sie umarmt mich richtig fest.
„Ist alles okay?", frage ich sie, denn sie wirkt fast traurig. Aber natürlich bekomme ich keine Antwort. Mir fällt nur auf, dass es ganz still hier draußen ist. Wirklich ganz still. Und der Nebel ist jetzt irgendwie dichter. Ich muss an meinen Atavismus und seine Gegner denken. Ist das der Grund? Wegen der Neugierde? Wegen der Fragen? Aber wie könnte ich gefährlich sein?
Ich nehme die linke Hand, lasse sie kreisen, und während Lefluna mir noch im Arm liegt, sehe ich zu, wie ein kleiner Wirbel sich sanft nach oben dreht und sich dann nach und nach auflöst.

 

Lesbar geschrieben, aber die Idee "atavistisch verseuchte" Individuen auf entfernten Planeten zu "euthanasieren" ist doch ziemlich abgeschmackt.

 

Hallo proprixalator,


vielen Dank für deinen Kommentar. "Atavistimus" bedeutet ungefähr: angeborenes Rudiment/Merkmal aus einer frühreren evoltionären Entwicklungsphase. Das hat gar nichts mit "Verseuchung" zu tun.
Euthanasie ist vielleicht ein abgeschmacktes Thema - aber die hier dargelegten Gründe dafür und vor allem die Darstellung derer sind in dieser Kurzgeschichte - meiner Meinung nach - ziemlich neu.

MfG,

JuJu

 

Hi JuJu,

mir ist der Begriff "Atavismus" durchaus gelaeufig. Ich habe ihn mit "verseucht" kombiniert um das subtextuale Konzept der Story zusammen zu fassen.
Wenn ich das richtig erfasst habe, wird die Protagonistin eben wegen ihrer atavistischen Tendenzen ausgesondert und dies mit Hilfe eines Spiels (die Idee ist nicht neu und mAn. ist die Umsetzung in zweierlei Hinsicht mangelhaft:
1. Es gibt keine in die Story eingebettete Begruendung fuer das Mangelhafte dieser atavistischen Veranlagung, was zwangslaeufig zu der Annahme fuehrt, hier schimmert ein (durch SF-Sozalisation bedingtes (?)) Vorurteil des Autors durch und 2. weshalb der ganze Aufwand? Das ist doch preiswerter den Prot direkt kaltzumachen.)
"Verunreinigung" schien mir in der Kombination zu statisch und unbelebt, denn der Atavismus kann sich durch Fortpflanzung ausbreiten. Wie eine Seuche eben, die ebenfalls fuer die Menschheit schaedliches genetisches Material weitergibt.
Fuer meinen Geschmack ist das leider zu undurchdacht, auch wenn sich die Story gut liest.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Proproxilator nochmal,

vielen Dank für die Rückmeldung.

2. weshalb der ganze Aufwand? Das ist doch preiswerter den Prot direkt kaltzumachen.)

Wieso nicht gleich die Bullen rufen? Warum wollen Bösewichte immer so lange mit dem Held reden? Warum funktioniert Handies nie? Warum immer nochmal in den Keller schauen? Renn doch gleich weg!!!

So gesehen funktioniert praktisch keine Geschichte mehr.

1. Es gibt keine in die Story eingebettete Begruendung fuer das Mangelhafte dieser atavistischen Veranlagung, was zwangslaeufig zu der Annahme fuehrt, hier schimmert ein (durch SF-Sozalisation bedingtes (?)) Vorurteil des Autors durch und)

Find ich interessant, dass manche das nur schwer einsehen können, aber da bist du nicht der einzige, das kann ich schon annehmen.

Fuer meinen Geschmack ist das leider zu undurchdacht

Die "Gesellschaft" an sich kommt hier nur im ersten Absatz vor, aber ich finde, man kann durchaus vom Wesen des Ich-Erzählers, der zum Schluss “euthanisiert” wird, auf die Art der Zukunfts-Gesellschaft schließen, die diese Euthanasie durchführt.
Und wenn man so was schreibt oder liest, geht man ja immer irgendwie von der eigenen Gesellschaft aus …
Und in dem Zusammenhang leuchtet mir einfach ein, dass eine Gesellschaft, deren höchster Wert die absolute Sicherheit aller ist, und aber gleichzeitig die bedingungslose Leistung jedes Einzelnen hochhält und einfordert, zunehmend konformistischer, unfreier und autoritärer wird. Erst recht, wenn Überwachung und Gentechnik eine immer größere Rolle spielen. (Die NSA-Enthüllungen kamen erst nach dieser Geschichte raus, aber Virualität und Gentechnik stecken da schon drin.)
Und da denke ich einfach, dass Menschen mit Grundpersönlichkeitsmerkmalen wie mein Ich-Erzähler sie hat, so harmlos er auf den ersten Blick auch wirken mag, in einer Gesellschaft, wie ich sie kommen seh, wenn ich dystopisch drauf bin, „Probleme“ bekommen werden. Auf diesen Annahmen beruht der Text, ohne dass ich auf diese Annahmen in Detail eingehe. So funktionieren sehr viele Kgs: Wenn man ein ähnliches Weltbild hat, kann man nicken und sich freuen, wenn nicht, kann man sich fragen, was das soll, oder man muss ein bisschen drüber nachdenken, wie das zusammenpasst.

Was sicher richtig ist: Der Inhalt würde auch mit mehr Raum funktionieren.

Also die Geschichte ist sehr durchdacht, steht halt nicht alles schwarz-auf-weiß da, was ich mir dabei gedacht hab.

was zwangslaeufig zu der Annahme fuehrt, hier schimmert ein (durch SF-Sozalisation bedingtes (?)) Vorurteil des Autors durch

Alles, was du je gelesen hast, stützt sich auf den Vorurteilen des Autors.
Weswegen das Konstrukt des „Vor“-Urteils an sich eigentlich recht wacklig ist. Von einem „Vorurteil“ spricht man fast nur dann, wenn man einem Vorurteil begegnet, das nicht zum eigenen Vorurteil passt. Bei allen anderen „Vor"-Urteilen liest man einfach weiter, ohne sich was dabei zu denken.

Freut mich, dass du die Geschichte angenehm zu lesen fandest. Vielen Dank für deinen Kommentar nochmal.

MfG,

JuJu

 

Hey Juju,


Ich muss an meinen Atavismus und seine Gegner denken. Ist das der Grund? Wegen der Neugierde? Wegen der Fragen? Aber wie könnte ich gefährlich sein?
Der Vorschlaghammer tut echt weh, wenn man ihn so derbe auf dem Kopf geschlagen bekommt. Also, wenn der Leser bei den ganzen Hinweisen die Pointe nicht mitbekommt, dann ist das eben der falsche Leser - warum muss die Geschichte darunter leiden?


Mir hat das natürlich auch sehr gut gefallen und bereue es, dass ich sie damals beim Einstellen nicht gelesen habe. Jaja, SF und so.
Beim zweiten Mal lesen ist das eine sehr traurige Geschichte und man gewinnt den Prot auch richtig lieb - am liebsten würde man den irgendwo bei sich zuhause verstecken und sagen, du bist in Gefahr. Der ist aber so losgelöst von jeder Realität - hängt wahrscheinlich zu oft in der Virtualität ab und erkennt einfach nicht die Gefahr. Er spricht zwar ab und zu von den Atavismusgegnern, aber als richtige Gefahr erkennt er sie nicht an. Und ich kann mir gut vorstellen, dass das so eine geheime Operation ist und man muss da natürlich viele Fragen ausblenden, damit die Geschichte funktioniert, Fragen wie: Wo sind seine Eltern, wie stehen sie zu diesem System, das ihren Sohn ausschließen möchte, hat der Prot. Freunde, ist er ein Außenseiter in der Schule, wie wird/wurde er von LehrerInnen behandelt? Wie ist der Diskurs in den Medien, was den Atavismus betrifft, gibt es so Organisation, die sich darum kümmern - greenpeace für Menschen :) oder Untergrundorganisationen - die anonymen Atavisten - was weiß ich. Das wäre echt eine tolle Geschichte - stelle ich mir jedenfalls vor. Im Grunde trifft dieses Thema auf alle möglichen Epochen der Zeitgeschichte - wir gehen wir als Gesellschaft mit Andersartigkeit um? Jede Gesellschaft muss sich zu dem Thema positionieren - deswegen ist die Diskussion um die Embryonenforschung/Gentechnik so ein wichtiges Thema.

Hier lockt man diese Menschen mit ihrem "Fehler" an und lässt sie daran sterben. Das ist megatraurig. Da gibt es so Hoffnungsschimmer für den Leser, von wegen er könnte sich ja in einen Geist auflösen, weil das ja vorher Erwähnung im Text findet oder er wird selbst zu einem Airjelly. Aber dem wird da der Sauerstoff ausgehen und er wird sterben. Das wäre natürlich viel realistischer. Hat mich auch so bisschen an ein Zitat aus Atwoods Blind Assasin erinnert, ging ungefähr so: Every paradise you cannot escape turns into hell. Da landen die Figuren auch auf einem fremden Planeten und werden von Frauen verführt und befriedigt und es ist der reine Männertraum, aber irgendwann checken sie, sie können nicht weg und ja. :) Wenn ich das jetzt alles richtig im Kopf hab. Muss das Buch mal wieder lesen.

Die Frage, die sich mir gestellt hat, ist, warum fällt ihm das nicht früher ein - warum ist er nicht etwas misstrauischer bei all seiner Verspielt- und Verpeiltheit. Ist er so gutmütig und projiziert das auch auf andere. Das System kann natürlich auch so gut funktionieren, dass er einfach keine Fragen stellt. (Gibt da jetzt natürlich auch tausend Möglichkeiten auf die Frage zu antworten ;))

Ich finde die Geschichte so, wie sie jetzt ist, richtig gut und die kann natürlich auch viel besser sein. Ich hätte echt gerne viel mehr davon gelesen.

JoBlack

 

Hi Juju,

Wieso nicht gleich die Bullen rufen? Warum wollen Bösewichte immer so lange mit dem Held reden? Warum funktioniert Handies nie? Warum immer nochmal in den Keller schauen? Renn doch gleich weg!!!
So gesehen funktioniert praktisch keine Geschichte mehr
Also bitte; ein bisschen Plausibilitaet darf man doch erwarten. Und halbwegs nachvollziehbar vernuenftige oder (um einer leidigen Disskussion ueber Merkmale vernuenftigen Handelns zuvorzukommen) oekonomische Verhaltensweisen sind die Basis dafuer einen Leser mitzunehmen.

Find ich interessant, dass manche das nur schwer einsehen können, aber da bist du nicht der einzige, das kann ich schon annehmen.
Ich verstehe nicht, worauf du dich beziehst. Was bitte einsehen?

Die "Gesellschaft" an sich kommt hier nur im ersten Absatz vor, aber ich finde, man kann durchaus vom Wesen des Ich-Erzählers, der zum Schluss “euthanisiert” wird, auf die Art der Zukunfts-Gesellschaft schließen, die diese Euthanasie durchführt.
Eben. Eine lalelu-Wohlfuehlgesellschaft.

Und wenn man so was schreibt oder liest, geht man ja immer irgendwie von der eigenen Gesellschaft aus …
Wenn man mehr als eine Gesellschaftsordnung erlebt hat, ist man da tendenziell vorsichtiger...

Und in dem Zusammenhang leuchtet mir einfach ein, dass eine Gesellschaft, deren höchster Wert die absolute Sicherheit aller ist, und aber gleichzeitig die bedingungslose Leistung jedes Einzelnen hochhält und einfordert, zunehmend konformistischer, unfreier und autoritärer wird.
Es gibt sicher Indizien dafuer. Aber als Postulat ist es dann doch fragwuerdig.

Auf diesen Annahmen beruht der Text, ohne dass ich auf diese Annahmen in Detail eingehe. So funktionieren sehr viele Kgs: Wenn man ein ähnliches Weltbild hat, kann man nicken und sich freuen, wenn nicht, kann man sich fragen, was das soll, oder man muss ein bisschen drüber nachdenken, wie das zusammenpasst.
Ok, wenn man das als Kuschelgemeinschaft anlegen will... :-))) Aber langweilig und uninspirierend ist das schon. Man bleibt unter sich und klopft sich gegenseitig auf die Schulter. Nur wird man dann nie verstehen, weshalb Leute wie ich einer bin, die Ideenwelt solcher Storys fuer unausgereift halten. Nun, wie es euch gefaellt.

Also die Geschichte ist sehr durchdacht, steht halt nicht alles schwarz-auf-weiß da, was ich mir dabei gedacht hab.
Mag sein, aber trotzdem sind da "galaxisgrosse" Logik- und Plausibilitaetsloecher. Ich habe es nun angefuehrt, wenn es dich nicht weiter belastet, auch gut.

Alles, was du je gelesen hast, stützt sich auf den Vorurteilen des Autors.
Weswegen das Konstrukt des „Vor“-Urteils an sich eigentlich recht wacklig ist. Von einem „Vorurteil“ spricht man fast nur dann, wenn man einem Vorurteil begegnet, das nicht zum eigenen Vorurteil passt. Bei allen anderen „Vor"-Urteilen liest man einfach weiter, ohne sich was dabei zu denken.
Das ist natuerlich korrekt und ich bin dieses Mittels der Totdefinierens auch kundig.
Was ich damit sagen wollte ist, dass grosse Teile der SF auf gefaelschten Gewissheiten beruhen, die sich immer wieder perpetuieren. (zB. Asimovs unsaeglich daemliche Robotergesetzte, um mal was exemplarisch anzufuehren).

IdS beste Gruesse von der Insel

 

Hallo Juju!

Das Reale wird verpönt, dem Virtuellen wird gefrönt. Wer sich für etwas Echtes interessiert, ist zurückgeblieben, gar subversiv und gehört aussortiert.
Dieses bekannte Sortieren oder besser Herauspicken bestimmter Außenseiter mittels Computerspiel ist hier mit neuem Dreh und Schwung zu einer guten SF-Geschichte aufgefrischt.
Gut deshalb, weil sie gar nicht so fern ist wie sie zu sein scheint. Sie hat ihre Wurzeln im Hier und Jetzt, ja, und gewissermaßen auch in der Vergangenheit.
Solche Massenströmungen hat es in unserer Gesellschaft schon gegeben und naturgemäß auch die Außenseiter, die nicht der allgemein bevorzugten Richtung folgten.
Zum Beispiel das Fernsehen. Ich kann mich erinnern, da gab es in den Pausen auf dem Schulhof kleine, um nicht zu sagen winzige Grüppchen, die sich über das Fernsehprogramm unterhielten. Wer zuhause keinen Fernseher hatte, war dort fehl am Platze. Das war zunächst nicht weiter tragisch, jedoch wuchsen diese „Grüppchen“ in wenigen Jahren bis sie die Mehrheit repräsentierten. Die Aktivitäten in der realen Welt nahmen proportional dazu ab. Es wurde weniger Umgang miteinander gepflegt, immer öfter hieß es bereits am frühen Nachmittag: Ich gehe jetzt nach Hause, weil, es fängt gleich eine Sendung an. Und wer dann am nächsten Tag nicht über das Fernsehprogramm reden konnte – das klingt jetzt etwas überzogen, aber im Grunde war es so – der hatte keinen Wert mehr für die Gemeinschaft. Den hätte man – um jetzt wieder auf deine Geschichte zu kommen – auch genauso gut auf den Mond schießen können.

Was deine Geschichte noch zeigt, ist der Unterschied zwischen virtueller und realer Aktivität. In der Virtualität braucht es nur profanes abarbeiten von standardisierten Aufgaben, den Affen befreien oder die Madonna stürzen, um Erfolg zu haben. Die Belohnung ist dann wiederum festsetzt, also vorher ersichtlich. Die Belohnung bringt dann auch lediglich einen Vorteil in weiteren virtuellen Standartspielen.
In der Realität wird mehr gefordert und auch geboten, zum Beispiel Kreativität, und sie birgt Überraschungen und wahrhaft Außergewöhnliches, inklusive der Möglichkeit des realen Ablebens, was wiederum den Wert des Lebens oder besser, eines jeden Augenblicks hervorhebt. Das alles zeigt das kleine Abenteuer deines Helden auf Leflunomid sehr deutlich.

Überhaupt ist das wieder so ein Text, zu dem man unendlich viele Gedanken entwickeln kann. Zum Beispiel die Tatsache, dass der Protagonist auch in die virtuelle Welt eintaucht, sie nicht ganz ablehnt oder gar verdammt, ist interessant.
Er ersetzt sein reales Leben nicht durch ein virtuelles, er versteht die Beschäftigung mit der Virtualität als eine von vielen Tätigkeiten im Rahmen des realen Lebens.

Wenn ich die Gewichtung in deiner Geschichte betrachte, die Szene auf Leflunomid ist wesentlich länger und ausführlicher als die kurze Spielbeschreibung im ersten Absatz, dann erscheint mir der Text wie ein Empfehlungsschreiben für die Teilnahme am realen Leben. Also für einen Rückschritt hin zu altem Verhalten.


Es gibt auch eine religiöse Komponente, vorausgesetzt, es ist kein Zufall, dass das Finden der heiligen Kuh die Arschkarte und das Stürzen der Madonna den Hauptgewinn birgt. Ich vermute eher, es ist kein Zufall, denn auch die Glaubenslehren sind eine Bedrohung für die virtuelle Kultur wie alle anderen alten Werte.


Gern gelesen

Liebe Grüße

Asterix

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jo,

und bereue es, dass ich sie damals beim Einstellen nicht gelesen habe. Jaja, SF und so.

Ja, da leidet das Genre ein bisschen drunter, das ist schade. Hab da ja auch was Längeres geschrieben, das in die Richtung geht ...
Deswegen ab jetzt nur noch kuschelig-warme Migrantenstories mit 9/11 Bezug und Holokaustverarbeitung und Wall Street Kritik. So alles in einem. Ich hab da schon die Hammeridee: junger Amerikaner zieht zu der verlorenen Mutter nach Leipzig, nachdem der Vater, der Feuerwehrmann war, im WTC gestorben ist. In Leipzig wird er dann von Nazis zusammengeschlagen, weil er schwarz ist eine richtig nette deutsche Freundin hat, sie lesen am liebsten Parzival zusammen und kochen dann, doch mit der Zeit versöhnt er sich mit den Skins, mit einem freundet er sich sogar an, und der Prot lernt die Skins verstehen und sinniert über die Geschcihte Deutschlands und der DDR nach und entscheidet sich so für die Politik, gleichzeitig hat er aber noch einen großen Bruder, der in Amerika geblieben und Wall Street Hai geworden ist, das weiß der Prot aber nicht, sie haben leider keinen Kontakt mehr, und so kommt es, das der Prot den Grünen beitritt und voll aufsteigt und als erster deutscher schwarzer BK gehandelt wird, und dass er dann eines Tages gegen eine Wall Street Firma wütet, in der sein eigener Bruder selbst voll aufgestiegen ist, und dann begegnen sie sich eines Tages auf einer Tagung und sehen sich in die Augen, zwei Schwarze, zwei Biographien, zwei Schicksale, so völlig verschieden und doch so ähnlich, für immer vereint durch den Verlust des Vaters am elften September ... und das ganze Gewicht der Geschichte stürzt über sie her ...
Hab gestern den Vertrag beim Teufel unterschrieben. Wird ein Bestseller.


Hat mich auch so bisschen an ein Zitat aus Atwoods Blind Assasin erinnert, ging ungefähr so: Every paradise you cannot escape turns into hell. Da landen die Figuren auch auf einem fremden Planeten und werden von Frauen verführt und befriedigt und es ist der reine Männertraum, aber irgendwann checken sie, sie können nicht weg und ja. Wenn ich das jetzt alles richtig im Kopf hab. Muss das Buch mal wieder lesen.

Das klingt interessant. Muss ich vielleicht auch lesen.

Ich finde die Geschichte so, wie sie jetzt ist, richtig gut und die kann natürlich auch viel besser sein. Ich hätte echt gerne viel mehr davon gelesen.

Wo sind seine Eltern, wie stehen sie zu diesem System, das ihren Sohn ausschließen möchte, hat der Prot. Freunde, ist er ein Außenseiter in der Schule, wie wird/wurde er von LehrerInnen behandelt? Wie ist der Diskurs in den Medien, was den Atavismus betrifft, gibt es so Organisation, die sich darum kümmern - greenpeace für Menschen oder Untergrundorganisationen - die anonymen Atavisten - was weiß ich. Das wäre echt eine tolle Geschichte - stelle ich mir jedenfalls vor. Im Grunde trifft dieses Thema auf alle möglichen Epochen der Zeitgeschichte - wir gehen wir als Gesellschaft mit Andersartigkeit um

Ja, es muss natürlich viel augeblendet werden, damit es auf der kurzen Strecke funktioniert, man sieht aber schon, wenn du das so aufführst, dass man da auch mehr machen könnte. Freut mich, wenn diese Fragen aufkommen, deine Gedanken zu dem Text gefallen mir sehr gut. Ich denke, das ist insgesamt auch ein Thema, das mich beschäftigt und ich irgendwann wieder aufgreifen werde, muss ich noch gucken genau wie.

Vielen Dank!

Hallo Proproxilator,

ich glaube, so langsam reden wir aneinder vorbei. Ich habe auf jeden Fall mitbekommen, dass die Geschichte deiner Ansicht nach Schwächen aufweist. Vielen Dank für deine Meinung.


Hallo Asterix,

sorry, mir geht gerade die Zeit aus, aber zu dir komme ich auf jeden Fall noch! Schon mal vielen Dank für den tollen Kommentar!


MfG,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Asterix!

Zum Beispiel das Fernsehen. Ich kann mich erinnern, da gab es in den Pausen auf dem Schulhof kleine, um nicht zu sagen winzige Grüppchen, die sich über das Fernsehprogramm unterhielten. Wer zuhause keinen Fernseher hatte, war dort fehl am Platze. Das war zunächst nicht weiter tragisch, jedoch wuchsen diese „Grüppchen“ in wenigen Jahren bis sie die Mehrheit repräsentierten. Die Aktivitäten in der realen Welt nahmen proportional dazu ab. Es wurde weniger Umgang miteinander gepflegt, immer öfter hieß es bereits am frühen Nachmittag: Ich gehe jetzt nach Hause, weil, es fängt gleich eine Sendung an. Und wer dann am nächsten Tag nicht über das Fernsehprogramm reden konnte – das klingt jetzt etwas überzogen, aber im Grunde war es so – der hatte keinen Wert mehr für die Gemeinschaft. Den hätte man – um jetzt wieder auf deine Geschichte zu kommen – auch genauso gut auf den Mond schießen können.

Das meine ich schon mal iwo gehört zu haben, das in Zusammenhang mit der geschichte hier zu lesen ist schon interessant. Das ist ja das Analogon zum Smart Phone heute, oder zum Facebook, wer da nicht mitmachen kann, wird es auf dem Schulhof unter Umständen auch schwer haben. (Oder auch im Beruf .. oder fast überall mittlerweile)


Was deine Geschichte noch zeigt, ist der Unterschied zwischen virtueller und realer Aktivität. In der Virtualität braucht es nur profanes abarbeiten von standardisierten Aufgaben, den Affen befreien oder die Madonna stürzen, um Erfolg zu haben. Die Belohnung ist dann wiederum festsetzt, also vorher ersichtlich. Die Belohnung bringt dann auch lediglich einen Vorteil in weiteren virtuellen Standartspielen.
In der Realität wird mehr gefordert und auch geboten, zum Beispiel Kreativität, und sie birgt Überraschungen und wahrhaft Außergewöhnliches, inklusive der Möglichkeit des realen Ablebens, was wiederum den Wert des Lebens oder besser, eines jeden Augenblicks hervorhebt. Das alles zeigt das kleine Abenteuer deines Helden auf Leflunomid sehr deutlich.

Ja, klar. Also ich weiß gar nicht, ob irgendwer das überhaupt so direkt angesprochen hat wie du jetzt, aber das ist sicher drin, dieses "Realität" vs. "Virtualität" , bzw. Internet, Fernsehen usw. Beim Urlaub machen ist das auch immer Thema.
Ich denke, das wird es auch schon immer gegeben haben, also dieser Wunsch nach "neuen" "echten" Erfahrungen, und wenn es nur hieß, dass einer raus aus seinem Dorf wollte, oder nach Amerika, oder dass während der Industrialisierung alle plötzlich meinten, zurück aufs Land und die "echte" Natur zu genießen, oder auch nur, wenn ein Schriftsteller was ganz "Neues" machen möchte. Das ist ein Teil dessen, was uns zu Menschen macht, glaube ich.

Wenn ich die Gewichtung in deiner Geschichte betrachte, die Szene auf Leflunomid ist wesentlich länger und ausführlicher als die kurze Spielbeschreibung im ersten Absatz, dann erscheint mir der Text wie ein Empfehlungsschreiben für die Teilnahme am realen Leben. Also für einen Rückschritt hin zu altem Verhalten.

Eim Empfehlen zur Teilnahme am echten Leben .. ja, ich dachte das würden viele mehr ansprechen, ist vielleicht schwer, wenn man gerade im Netz ist :)

Also für einen Rückschritt hin zu altem Verhalten.
So könnte man es auch sehen ... "altes" Verhalten interessiert mich schon, ja. Wir leben auch in Zeiten, wo der Kapitalismus regiert und alles Alte umschmeißt und sich vieles ändert.


Nochmal vielen Dank für den Kommentar!


MfG,

JuJu

 

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